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Full text of "Archiv für lateinische lexicographie und grammatik mit einschluss des älteren mittellateins"

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ARCHIV 
NISCHE  LEXIKOGRAPHIE 


u.,D  GRAMMATIK 


MIT  EINSCHLUSS  DES 


ÄLTEREN  MITTELLATEINS. 


ALS  ERGÄNZUNG  ZU  DEM 

THESAURUS  LINGUAE  LATINAE 


nGRAnSOEGEBEN  VON 


EDUARD  VON  WÖLFFLIN, 

OftDESTL.  PSOVBSaOB  DBB  XLABI.  PHIIiOLOOlB  AM  DBB  UHlVKBHlTÄT  MÜMCUBN. 


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ZWÖLFTER  BAND. 


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ALLE  RECHTE, 
ElNSGHLIKS8LIi;il  DES  ÜBKRSETZUNOSRKCirrs,  VORBEHALTEN. 


Inhalt. 

Seite 

Moderne  Lexikographie.     Vom  Herausgeber 373 

Beiträge  zu  den  Tironischen  Noten.     Von  W.  Heraeua 27 

Epitome.    Vom  Herausgeber 383 

Zur  Geschichte  der  Pronomina  demonstrativa.  11.  ÜI.  IV.   Von  Meader- 

Wölfflin 239.  355.  473 

Die  Bildungen  auf  -enuB.    Von  Bob.  Planta 367 

Analogiebildungen  auf  -ellus.    Vom  Herausgeber 301 

Grammatikalisch-lexikalische  Notizen.     Von  Fr.  Skuisch 197 

Zur  Phraseologie  der  lat.  Grabinschriften.     Von  J.  E.  Church.    ...  215 

Das  Defectivum  odi  und  sein  Ersatz.     Von  Gust.  Landgraf 149 

Studien  zum  poetischen  Plural.     Von  Paul  Maas 479 

Die  römische  Soldatensprache.     Von  W.  Heraeus 255 

Die  Nachahmung  in  der  latein.  Prosa.     Vom  Herausgeber 114 

Die  archaische  Inschrift  vom  Forum  Eomanum.     Von  W.  Otto    ...  102 

Sprachliches  zum  Bellum  Hispaniense.     Vom  Herausgeber 159 

Plinius  und  Cluviuc  Rufus.     Vom  Herausgeber 345 

Das  Alter  der  Martial- Lemmata.     Von  Gust.  Landgraf 456 

Lexikal.  Bemerkungen  zu  Apuleius.    Von  Friedr.  Leo 96 

Die  Hegesippusfrage.    Von  Gust.  Landgraf 466 

Zur  Mulomedicina  Chironis.   I.  11.    Von  E.  Lommatzsch 401.  551 

Die  neue  Epitoma  Alexandri.    Vom  Herausgeber 187 

Zur  Latinität  der  Epitome  Caesarum.     Vom  Herausgeber 445 

Die  Epitome  des  lulius  Exuperantius.     Von  Weyman-Landgraf  .    .    .  561 

Zu  CaeliuB  Aurelianus.   I.  11.    Von  G.  Hdmreich 173.  309 

Der  Papst  Gelasius  als  Stilist.    Vom  Herausgeber 1 

Epistola  Pseudohippocratis.    Von  Herrn.  Stadler 21 

Die  Vorrede  des  .latein.  Dioscorides.    Von  Herrn.  Stadlei' 11 


Mlscellen, 

Seite 

Zur  Psychologie  der  Völker  des  Altertums.    Vom  Herausgeber.    ...  26 

Zur  lateinischen  Wortbildung.     Von  Ä.  Zimmermann 132.  365 

Die  Endung  -por  in  Gaipor.     Von  Ä.  Zimmermann 281 

Lat.  Personennamen.     Von  A.  Zimmermann 584 

Das  Suffix  -aster.    Vom  Herausgeber 419 

Zum  Thesaurus  Glossarum.     Von  A.  Sonny 125 

Göttweiger  Italafragmente.    Vom  Herausgeber 130 


701^9 


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rV  Verzeichnis  der  angezeigten  Schriften. 

Seite 

Titülns  MummianuB.    Vom  Heraasgeher 354 

Zum  Genetivus  qnalitatis.    Von  Rieh.  Förster 129 

Die  Capfcivi  des  Piautas.    Von  WiUi.  Christ 283 

Zu  den  Donatscholien.    Von  P.  Wessner 284 


Ab  {El.  Lottes)  578.  abaso  (M.  Stoivasser)  579.  agnellus.  agellus  (Heraus- 
geber) 366.  agricola  {Herausgeher)  454.  ampla  {Osk.  Hey)  280.  amu- 
Bus  (P.  Wessner)  477.  angolus  (Älfr.  Klotz)  94.  animaequitardare 
{Eb.  Nestle)  331.     anxio  {J.  E.  P.  Mayor)  400. 

Besta  {J.  E.  B.  Mayor)  400.  602.  biduom  (Sommer)  583.  bruta  (G.  Gufider- 
mann)  441.    bubia  (Ov.  Densitsianu)  425. 

Caitho  (El.  Lottes)  578.  Campania  {Ben.  Dombart)  128.  carms  (Ov.  Den- 
susianu)  425.  cathedra  (J.  Comu)  282.  causator  (Gust.  Landgraf)  284. 
condecibilis  (Herausgeber)  124.    conquinisco  (Herausgeber)  281. 

Dextrator  (Eb.  Nestle)  581.     domo  (Friedr.  Vogel)  424. 

£n,  enim  (M.  Stowasser)  414. 

Ferens  (Hans  Möller)  463.   fovea  (J.  Comu)  560.    Fufidius  (Herausgeber)  280. 

Gerere  matrem  (Herausgeber)  453.  glos.  gluttit.  gluma  (G.  Gundermann) 
413. 

HibuB  bei  Terenz  (L.  Havel)  282. 

Infrngifer  (J.  E.  B.  Mayor)  400. 

Latro  (Fr.  Vogel)  424.    Lucania  (Herausgeber)  332. 

Maniculus  (Hei-aitsgeber)  20.    materi  mater  (Elia  Lottes)  132. 

Nempe  (M.  Stowasser)  417. 

Orvia  (G.  Gundermann)  411.     oricula  (P.  Wessner). 

Paricida  (Herausgeber)  171.  proventare  (L.  Havet)  124.  propitius,  propior 
(Herausgeber)  421.    puUus  =  Hahn  (J.  Coi-nu)  186. 

BntiluB  (Herausgeber)  20. 

Salus  (K.  Brugmann)  422.  signum  =  Glocke  (Herausgeber)  26.  simo 
==  delphinus  (W.  Heraeus)  129.    similis  (Herausgeber)  478. 

Thyrsa,  Neutr.  plur.  (Älfr.  Klotz)  130.    tutarchns  (TT.  Heraeus)  93. 

über,  ubera  (Herausgeber)  560. 

Vicatim  (Herausgeber)  124. 

Nekrolog.    Karl  Schenkl  (E'dm.  Hauler) 147 


Verzeichnis  der  angezeigten  Schriften. 

Seite 

Abbott,  Frank  Fr.    The  use  of  repetition  in  Latin 429 

Babcock,  C.  L.     A  study  in  case  rivalry 428 

Birt,  Theod.    Der  Hiat  bei  Plautus  und  die  lat.  Aspiration  bis  zum 

10.  Jahrh.  nach  Chr 290 

Bonnet,  Max.    Les  histoires  de  Salluste 145 


Verzeichnis  der  angezeigten  Schriften.  Y 

Seite 

Breidenbach,  Heinr.    Über  die  tiron.  Noten 148 

Brngmann,  Karl.    Wesen  der  Wortzusammensetzung 289 

Gamozzi,  Ghiido.     Granins  Licinianns 440 

Cappelli,  Adriano.    Lexicon  abbreviatoramm 444 

CrOnert,  Wilh.    Passows  griecb.  Wörterbuch 287 

Gurschmann,  J.    Inversion  der  röm.  Eigennamen 148 

Densusianu,  Ov.    Histoire  de  la  Langue  Boumaine 597 

Detlefs en,  D.     Quam  und  seine  Zusammensetzungen 140 

„             „     Pete  und  seine  Verwendung  im  Latein 298 

Drescher,  Friedr.    Beiträge  zur  Liviusepitome 146 

Förster,  Rieh.    Easusangleichxmg  des  Pronom.  relat 142 

Freund,  Joh.  Wolfg.    De  Suetonii  genere  dicendi 294 

Gläsener,  H.    Grammatik  des  Lactanz 437 

GOlzer-Riemann,  Phon^tique  etc 288 

Götz,  G.    Thesaurus  glossarum  emendatarum 286 

Hoff  mann,  Eman.    Augustini  de  civit.  dei ....   % 145 

Huvelin,  P.    Tablettes  magiques 601 

Ihm,  Max.    Rieh.  Bentlejs  Suetonkritik 438 

Knöll,  Pius.     Augustini  retractationum  libri  duo 601 

Körting,  Gust.    Latein.-roman.  Wörterbuch 287 

Lobreton,  Jules.     Langue  et  grammaire  de  Cic^ron 430 

„               „        Gaesariana  syntaxis  etc 434 

Leder  er,  J.  Fr.  Index  verborum  in  Solinum 426 

Lessing,  Gar.     Scriptorum  hist.  Aug.  lexicon 426.  588 

Lindsaj,  W.  A.    Plauti  Captivi 295 

Lodge,  Gonzalez.    Lexicon  Plautinum 688 

Long,  Om.  Floyd.     Quotiens,  quotienscunque 589 

Macä,  Ale.    Isidori  differentiarum  über 297 

Menge,  Herm.    Latein.  Synonymik 139 

Meyer,  Paul.    Gic.  Briefe  an  Atticus 144 

Morawski,  Gas.     Rhetorum  Rom.  ampuUae 437 

Morin,  Germ.  Regula  S.  Benedicti 297 

Noyäk,  Rob.    In  panegyricos  latinos  studia  grammatica  et  critiea   .  599 

Oder,  Eug.    Glaudii  Hermeri  mulomedicina 439 

Osthofff,  Herm.     Etymologische  Parerga 589 

Persson,  P.     Gerundium  et  gerundivum 140 

Peter,  Herm.    Der  Brief  in  der  röm.  Litteratur ^   .    .    .    .  298 

Pfeiffer,  Gust.     Roman.  Wortforschung.   11 138 

Pirson,  Jules.    Inscr.  latines  de  la  Gaule 298 

Pradel,  Frid.    De  praepositionum  in  prisca  latinitate  vi  atque  usu  .  593 

Rand,  Eennard.    Boethius  de  fide  catholica 441 

Reifsinger,  K.    Praepos.  ob  und  propter 141 

Reiter,  Siegfr.     Etymologie  von  elementum 138 

Schenkl,  Garl.     Ambrosii  expositio  evangelii  secundum  Lucan  .    .    .  600 

Sjögren,  H.    De  particulis  copulativis  etc 141 

Sommer,  Ferd.     Lat.  Laut-  und  Formenlehre 591 

Sorn,  Job.    Liber  memor.  des  L.  Ampelius 438 

Spejer,  J.  S.    Edepol.   .   .    .   .^ 427 


VI  Verzeichnis  der  angezeigten  Schriften. 

S«ite 

Spindler,  Prosp.    De  Amobii  genere  dicendi 435 

Stadler,  Herrn.    Dioscorides  Langobardus 444 

Stöcklein,  Job.    Latein.  Analogieformen 139 

Teichmüller,  F.    Ambire,  ambitio  etc 286 

Thiel,  Aug.    luvenalis  graeciBsans 434 

Vrba-Zycha.    Augustini  opera 600 

Wagener-Neue.    Latein.  Formenlehre.  1 428 

Waltzing,  Lexique  de  Piaute.  I 134 

Warren,  Minton.     On  some  ancient  and  modern  etymologies  ....  580 

Webster,  Rieh.    Elegies  of  Maximianus 442 

Wolff,  Jul.    De  clauBulis  Ciceronianis 594 

Zauner,  Ad.    Roman.  Sprachwissensshaft 294 

Zycha.    Vgl.  Vrba. 


Verzeichnis  der  Gelehrten, 

welche  Beiträge  zu  Band  I — Xu  geliefert  haben. 

Abbott^  Frank)  Uniy.-Prof.  in  Chicago. 

Appel)  Ernst,  Dr.  phil.  in  Grevenbroich  bei  Düsseldorf. 

-f  Anracher,  T.  M«,  Dr.  phil.  GymD.-Lehrer  in  München. 

f  Baehrens,  Emil,  Prof.  in  GroniDgen. 

Baist,  G«,  Prof.  in  Freibarg  (Baden). 

Banaler,  Willi«,  Dr.  phil.  Ass.  am  Thes.  in  München. 

Bauer,  Ludw«,  Dr.  phil.  Gymn.-Prof.  in  Augsburg. 

Beclier,  Ferd.,  Dr.  phil.  Proy.-Schnlrat  in  Berlin. 

Beck,  J«  W«,  Dr.  phil.  Gymn.-Prof.  in  Amsterdam. 

Bennet,  Ch.  E«,  Univ.-Prof.  in  Ithaka  (Ver.  St). 

Birt,  Theodor,  Prof.  in  Marburg. 

Blase,  H«,  Dr.  phil.  Gymn.-Dir.  in  Worms. 

Blfimlein,  Karl,  Dr.  phil.  Gymn.-Lehrer  in  Frankfurt  a/M. 

Blfimner,  Hugo,  Prof.  in  Zürich. 

Buckel,  Ernst,  Gymn.-Dir.  in  Heidelberg. 

Bonne^  Max,  Prof.  in  Montpellier. 

Brandes,  Wilh«,  Dr.  phil.  Oberlehrer  in  Braunschweig. 

Brandt,  Sam«,  Prof.  in  Heidelberg. 

Brtel,  Michel,  Prof.  in  Paris. 

Bmgmann,  Karl,  Prof.  an  d.  Univ.  Leipzig. 

f  Brons,  Ito,  Prof.  in  Kiel. 

Bficheler,  Franz,  Prof.  in  Bonn. 

Bfirchner,  L«,  Dr.  phil.  Gymn.-Prof.  in  München. 

Christ,  Wilh.  t«,  Prof.  in  München. 
Church,  J«  E«  Jan.,  Prof.  a.  d.  Univ.  Reno,  Nevada. 
.Comu,  J«,  Prof.  an  d.  Universität  Graz. 
Cramer,  Franz,  Dr.  phil.  Gymn.-Lehrer  in  Düsseldorf. 
Cser^p,  J.,  Prof.  in  Budapest. 

Behner,  Seb«,  Dr.  phiL  Gymn.-Lehrer  in  Neuwied. 

Benk,  Jos«,  Pfarrer  in  Strauisdorf. 

Densnsianu,  Ot«,  Prof.  in  Bukarest,  Rumänien. 

f  Bessauer,  Hugo,  Dr.  phil.  Gymn.-Lehrer  in  Würzburg. 

Betiefsen,  B«,  Direktor  in  Glückstadt 

Denerling,  A«,  Rektor  in  Burghausen. 


Vm  Verzeichnis  der  Gelehrten  u.  s.  w. 

Wkrtngj  A»y  Dr.  phil.  Gymn.-Lehrer  in  Königsberg  i.  Pr. 

DOMlNuty  B,j  Rektor  a.  D.  in  München. 

f  Driger^  Lmj  GynuL-Dir.  in  Anrieh. 

DralieiB^  H»)  Dr.  phiL  und  (}jmn.-Prof.  in  Berlin. 

Ihretsel^  H«,  Oberlehrer  in  Zwickau. 

DsiatikOy  Karl,  Dr.  phil.  Prof.  nnd  Oberbibliothekar  in  6 Ottingen. 

Edward«,  George,  Prof.  a.  Olivets  Coli.  Michigan. 

Ehwald,  JLf  Dr.  phil.  Gynau-Prof.  in  Gotha. 

Ellis,  Bobingon,  Prof.  in  Oxford. 

EngUader,  D«,  Lehrer  in  Mnrowana-Goslin  (Proy.  Posen) 

Fiseh,  Bieh«,  Dr.  phil.  G7mn.-Lehrer  in  Berlin. 

FleUeher,  Cnrt,  Dr.  phil.  Gynm.-Prof.  in  Grimma. 

Flemlgch,  Mieb»,  Dr.  phil.  Gjmn.-Lehrer  in  MQnchen. 

F5r8ter,  Rieb«,  Prof.  an  d.  Univ.  Breslau. 

F5r8ter,  Wend.,  Prof.  in  Bonn. 

Frankfurter,  S*,  Dr.  phil.  an  der  Uniyersit&ts-Bibliothek  in  Wien. 

Friek,  C,  Dr.  phiL  Oberlehrer  in  HOzter. 

Friedrieb,  0.,  Dr.  phiL  Gjmn.-Prof.  in  Potsdam. 

Fncbs,  Bob«,  Dr.  phil  in  Klotssche  bei  Dresden. 

Fttrtner,  Jos«,  Gjmn.-Prof.  in  Mfinchen. 

Fonek,  A«,  Dr.  phiL  Gymn.-Dir.  und  Oberscb.-R.  in  Sondershausen. 

t  Georges,  S«  E«,  Dr.  phiL  Prof.  in  Gotha. 
Geratbewolü,  B«,  Dr.  phil.  Gjmn.-Prof.  in  Ansbach. 
Geyer,  Paulas,  6ymn.-Prof.  in  Augsburg. 
GiÜbauer,  Mieb«,  Prof.  in  Wien. 
G15ck]ier,  F«,  Dr.  phil.  in  Niederlölsnitz. 
Oöts,  0«,  Prof.  in  Jena. 
Gröber,  G«,  Prof.  in  Strasburg. 
fGflmbel,  W.  Ton,  Prof.  in  Manchen. 
Gundemuinii,  G«,  Prof.  in  Giefsen. 
Gustafsson,  F«,  Prof.  a.  d.  Univ.  Helsingfors. 
Gvljabr-Probst,  E«  A«,  Oberlehrer  in  Leipzig- Rendnitz. 

Hamp,  Carl,  Dr.  phil.  Gymn.-Prof.  in  Aschafifeaburg. 
I  Härder,  Frani,  Dr.  phil.  Gymn.-Prof.  in  Berlin, 

i  Hartel,  Wilb«  t«,  Kultusminister  in  Wien, 

t  Hartmann,  Felix,  Dr.  phiL  in  Grols-Lichterfelde. 

Hauer,  Jul«,  Gymn.-Prof.  in  Eremsmünster. 

Hauler,  Edmund,  Prof.  in  Wien. 

Haufsleiter,  Job«,  Dr.  phil.  Prof.  in  Greifswald. 

HaTOt,  Louis,  Prof.  in  Paris. 

Helm,  Bud«,  Dr.  phil.  Priy.-Doc.  in  Berlin. 

Helmreicb,  G«,  Dr.  phil.  Gymn.-Rektor  in  Hof. 

Hepp,  Dr.  phil.  Gymn.-Prof.  in  RottweiL 

Heraeus,  Wilb«,  Dr.  phil.  Gymn.-Lehrer  in  0£fenbach. 

fHerii,  Martin,  Prof.  in  Breslau. 


VerzeichniB  der  Gelehrten  u.  s.  w.  IX. 

Hey  9  Oskar^  Dr.  phil.  Gymn.-Lehrer  i.  U.  QDd  Sekretär  am  Thesanms  lin- 

guae  lat.  in  München. 
Hidm^  K«  J«^  Prof.  in  Hehingfors. 
Hirt,  Paul,  Dr.  phil.  Gymn.-Lebrer  in  Berlin. 
Hölzl,  Max,  Dr.  phil.  Gym.-Lehrer  in  Dresden- Neustadt. 
Hoffmann,  Eman«,  Prof.  in  Wien. 
^Hofmann,  Konr.,  Prof.  in  München. 
Hoppe,  Karl,  Dr.  phil.  in  Berlin. 
Hnemer,  Joh.,  Dr.  phil.  Landesschulinspektor  in  Wien. 

Ihm,  G.,  Dr.  phil.  Gymn.-Lehrer  in  Bensheim. 
Ihm,  Max,  Prof.  II.  Bed.  am  Thes.  in  München. 
j"  Jordan,  Helnr.,  Prof.  in  Königsberg. 

Ealb,  Wilh.,  Dr.  phil.  Gymn.-Prof.  in  Würzburg. 

fKeil,  Heinr.,  Prof.  in  Halle.  • 

Keller,  Otto,  Prof.  in  Prag. 

Kirk,  Hamilton,  Uniy.-Prof.  in  Nashyille. 

Klebg,  Elimar,  Dr.  phil.  Priv.-Doc.  in  Berlin. 

Klotz,  Aifr*,  Dr.  phil.  in  Leipzig. 

Köhler,  Albn,  Dr.  phil.  Gymn.-Prof.  in  Nürnberg. 

Korsch,  Theodor,  in  Moskau. 

Kothe,  Herm«,  Dr.  phil.  Gymn.-Lehrer  in  Breslau. 

Krüger,  Hngo,  Dr.  iur.  Bibliothekar  in  Leipzig. 

Kmmbacher,  K«,  Prof.  in  München. 

Krosch,  Bmno,  Dr.  phil.  am  Egl.  Staats-Archiy  in  Marburg. 

Kubier,  Bemh«,  Üniy.-Prof.  in  Berlin. 

Landgn'af,  Gast«,  Dr.  phil.  Gymn.-Prof.  in  München. 

Landwehr,  Hugo,  Dr.  phil.  Gymn.- Lehrer  in  Berlin. 

-f-Langen,  Peter,  Prof.  in  Münster  i.  Westfalen. 

Lattes,  Elia,  Prof.  in  Mailand. 

Lease,  Emory,  Prof.  in  New  York 

Leite,  im  de  Yaseoncellos,  Prof.  in  Lissabon. 

Leo,  Friedr.,  Prof.  in  Göttingen. 

Lessing,  K»,  Dr.  phil.  Gymn.-Prof.  in  Berlin. 

Linderbauer,  Benno,  0.  S.  B.  Gymn.-Prof.  in  Metten. 

Lindsay,  W«  M.,  Prof.  a.  d.  üniy.  St.  Andrews,  Schottland. 

Linke,  Hugo,  Dr.  phil.  Gymn.-Lehrer  in  Breslau. 

irLoewe,  Gust.,  Dr.  phil.  in  Göttingen. 

Lommatzsch,  E«,  Dr.  phil.  Priy.-Doc.  in  Freiburg. 

fLttbbert,  Edoard,  Prof.  in  Bonn. 

Ludwig,  Ernst,  Dr.  phil.  Gymn.-Prof.  in  Bremen. 

Maas,  Paul,  gepr.  Lehramtskand.  in  München. 
Maarenbrecher,  Bert.,  Dr.  phil.  Priv.-Doc.  in  Halle. 
MayholT,  K.,  Gymnasialrektor  a.  D.  in  Dr.  sden. 
Mayor,  John  E.  B.,  Prof.  in  Cambridge. 
Meader,  Clar«  L«,  Dr.  phil.  Priy.-Doc.  in  Ann-Arbor. 
Meiser,  Karl,  Dr.  phil.  Rektor  in  Regensburg. 


X  Verzeiohnifl  der  Gelehrten  u.  s.  w. 

Meltser,  Joh.,  Prof.  in  Maulbronn. 

Mendel  Panl^  Dr.  pbil.  aus  Oldenburg. 

Menrad,  Jos«,  Dr.  pbil.  Gymn.-Prof.  in  Müncben. 

Meyer-Lfibke,  Wllh.,  Prof.  in  Wien. 

Miodonskl,  Adam,  Prof.  &  d.  üniv.  Erakau, 

Mohr,  Paul,  Dr.  pbil.  6ymn.- Direktor  in  Bremerbaveu. 

Möller,  Hans,  Dr.  pbil.  in  Marburg  (Hessen). 

Moore,  €•  U«,  Univ.-Prof.  in  Cambridge,  Amerika. 

Malier,  Adolf,  Dr.  pbil.  Gymn.-Lehrer  in  Flensburg. 

Nauck,  Carl,  Gymn.-Dir.  a.  D.  in  Königsberg  i./N. 

Nestle,  £b«,  Dr.  pbil.  Prof.  am  Semin.  in  Maulbronn. 

f  Netüeship,  Henry,  Prof.  in  Oxford. 

Hetusil,  J«,  Prof.  a.  d.  üniv.  Charkow. 

Biedermann,  Max,  Dr.  pbil  Gjmn.-Prof.  in  Chaux  de  Fonds. 

Kohl,  U.,  Dr.  pbil.  Gymn.-Prof.  in  Berlin. 

Opits,  Theodor,  Dr.  pbil.  Gymn.-Lehrer  in  Dresden-Neustadt. 

Osthoff,  U.,  Prof.  in  Heidelberg. 

t  Ott,  J,  N«,  Rektor  in  Rottweil. 

Otto,  A«,  Dr.  pbil.  Gymn. -Lehrer  in  Breslau. 

Otto,  Walter,  Dr.  pbil.  Assistent  am  Thes.  in  München. 

fPanll,  C«,  Dr.  phil.  Prof.  in  Lugano. 

Peiper,  R«,  Dr.  phil.  Gymn.-Prof.  in  Breslau. 

Petschcnig,  M«,  Dr.  phil.  Gymn.-Prof.  in  Graz 

Pfannenschmied,  Heino,  Dr.  pbil.  Arcbivdirektor  in  Colmar. 

Piechotta,  J.,  Dr.  phil.  Gymn. -Lehrer  in  Leobscbütz. 

Planta,  Bob«,  Dr.  phil.  in  Zürich  (Fürstenau). 

Piasberg,  0«,  Dr.  pbil.  Gymn.-Lebrer  in  Berlin. 

Ploen,  Ueinr.,  Dr.  phä.  Lehrer  am  Lyceum  in  Strafsbnrg  i.  Eis. 

PokrowsklJ,  Mich«,  Dr.  phil.  in  Moskau. 

Poulsen,  Frederik,  Cand.  phil.  iu  Kopenhagen. 

Praun,  Joh«,  Dr.  phiL  Gymn.-Prof.  in  Mönchen. 

Band,  Kennard,  Dr.  phil.  Instr.  an  d.  Uniy.  Cambridge,  Amerika. 

Benn,  Emil,  Dr.  phil  Gymn.-Prof.  in  Landshut. 

f  Bibbeck,  Otto,  Prof.  in  Leipzig. 

Bies,  G.,  Gymn.-Prof.  in  Oldenburg. 

Biefs,  Ernst,  Dr.  pbil.  in  Heidelberg. 

Bittweger,  Karl,  Dr.  phil.  in  Bochum. 

fBohde,  Erwin,  Prof.  in  Heidelberg. 

Boife,  John  C«,  Univ.-Prof.  in  Ann-Arbor,  Michigan. 

Boosen,  A.,  Dr.  phil.  Gymn. -Lehrer  in  Bonn. 

Bofsberg,  Konr«,  Dr.  phiL  in  Hildesheim. 

Bnefs,  Ferd«,  Dr.  phil.  Gymn.- Prof  in  München. 

Sanders,  H«  A«,  Priv.-Doc.  in  Ann-Arbor. 
Sehenkl,  H«,  Prof.  in  Graz. 
t  Sehenkl,  K.,  Prof.  in  Wien. 


Verseichnis  der  Gelehrten  u.  s.  w.  XI 

fSchepfii)  Georg)  Dr.  phil.  Gymn.-Prof.  in  Speier. 

Schiller,  U«,  Dr.  phil.  Gymn-Prof.  in  Farth. 

Sehlee,  Fr«,  Dr.  phiL  Gymn.-Lehrer  in  Berlin. 

Schlutter,  0«  B.,  Gymn.-Prof.  in  Hartford  (Connectioat). 

SchmalZy  J.  H«,  Gymn.-Dir.  in  Bastatt. 

Sclimans,  H«,  Dr.  phil.  G7mn.-Lehrer  in  Bamberg. 

f  Schmidt,  Joh«9  Prof.  in  Königsberg. 

t  Schmitz,  Wilh.,  G7mn..Dir.  in  Köln. 

Schnorr  t«  Carolsfeld,  U«,  Dr.  phil.  Oberbibliothekar  in  Mfinchen. 

SchöU,  Friedr.,  Prof.  in  Heidelberg. 

t  Scholl,  Rad.,  Prof.  in  München. 

f  Schönwerth,  Olaf,  Gymn.-Assistent  in  Manchen. 

Schachardt,  Hugo,  Prof.  in  Graz.  ^ 

Schnlthefs,  Otto,  Dr.  phil.  Gymn.- Lehrer  in  Franenfeld  nnd  Prof.  au  der 

Universität  Zürich. 
Schulze,  Wilh«,  Prof.  in  Göttingen. 
Schütte,  Otto,  Gymn.-Lehrer  in  Braunschweig. 
Schwarz,  Dr.  phil.  Gymn.-Lehrer  in  Hirschberg  i.  SchL 
Seck,  Franz,  in  Moskan. 
Seeck,  0.,  Prof.  in  Greifswald. 
Seitz,  Friedr«,  Dr.  phil.  Gymn.-Lehrer  in  Elberfeld. 
Seoffert,  L«,  Dr.  iar.  Univ.-Prof.  in  München. 
fSitü,  Karl,  Prof.  in  Würzburg. 
Skutsch,  Fr«,  Prof  in  Breslau. 
Sommer,  Ferd«,  Dr.  phil.  Prof.  in  Basel. 
Sonny,  Adolf,  Prof.  an  der  Universität  Kiew. 
Souter,  A«,  Univ.-Prof.  in  Aberdeen. 
Spengel,  Andr.,  Dr.  phil.  Rektor  in  Passau. 
Stacey,  S.  G.,  Dr.  phil.  Gymn.-Prof.  in  Shelbyville,  Tennessee. 
Stadler,  Herrn«,  Dr.  phil.  Gymn.-Prof.  in  München. 
Stöckleln,  Joh«,  Dr.  phil.  Gymn.-Lehrer  in  München. 
Stolz,  Friedr«,  Dr.  phil.  Prof.  in  Innsbruck. 
Stowazser,  J«  M.,  Gymn.-Prof.  in  Wien. 
tStademnnd,  Wilh«,  Prof.  in  Breslau. 
Stfirzlnger,  Joh.  Jak«,  Prof.  in  Würzburg. 
Snchier,  Hermann,  Prof.  in  Halle. 

Thielmann,  Phil«,  Dr.  phil.  Gymn.-Rektor  in  Fürth. 

Thnrneysen,  Bad«,  Prof.  in  Freiburg. 

Tranbe,  Ludw«,  Dr.  phil.  Univ.-Prof  in  München. 

tJsener,  Herm.,  Prof.  in  Bonn. 

TUet,  J«  T.  d«,  Prof.  in  Utrecht. 

Vogel,  Friedr«,  Dr.  phil.  Gymn.-Prof.  in  Fürth. 

Wagener,  C«,  Dr.  phil.  Gymn.-Prof.  in  Bremen. 
Weher,  PhiL,  Dr.  pnil.  Gymn.-Proil  in  München. 
Weihrieh,  Franz,  Dr.  phil.  Gymn.-Prof.  in  Wien. 
Weinhold,  A.,  Dr.  phil.  Gymn.-Prof.  in  Meifsen. 


XII  Verseichnis  der  Gelehrten  u.  s.  w. 

Weisei  Oskar,  Dr.  phil.  Gymn.-Prof.  in  Eisenber»?. 
Wessner,  P.,  Dr.  phil.  Gymn.-Lehrer  in  Bremerhaven. 
WeTmaOi  Carl,  Dr.  phil.  Univ.- Prof.  in  München. 
Wölffliii,  Eduard,  Prof.  in  München. 
Woltjer,  A.,  Dr.  phil.  Gymn.-Prof.  in  Amsterdam. 
Wotke,  Karl,  Dr.  phil.  Gymn.  Prof.  in  Wien. 
Wrobel,  Job.,  Prof.  in  Czemowitz. 

Zander,  Carl,  Prof.  a.  d.  Universität  Lund. 
Zimmermanii,  A.,  Dr.  phil.  Gymn.-Prof.  in  Breslau. 
Zingerle,  Anton,  Prof.  in  Innsbrnck. 


Der  Papst  Gelasius  als  Latinist. 

Die  Ansicht,  dafs  man  das  Spätlatein  in  gröfsere  Gruppen, 
wie  Kirchenlatein,  Juristenlatein,  Medicineriatein,  auseinanderiegen 
könne,  gehört  heute  der  Vergangenheit  und  Vergessenheit  an. 
Wenn  auch  gewisse  Kunstausdrücke  in  einzelnen  Disciplinen 
durchschlagen  mögen,  obschon  auch  diese  sich  oft  genug  im  Laufe 
der  Jahrhunderte  ändern,  so  bleiben  doch  in  der  Hauptsache  die 
einzelnen  Schriftsteller  Individuen,  deren  Eigenart  sich  in  ihrer 
Sprache  ausprägt,  wenigstens  die  bedeutenderen  Köpfe  und  geisti- 
gen Führer.  Diese  aus  der  Masse  der  Mittelmäfsigen  auszu- 
scheiden hätte  an  sich  schon  einen  gewissen  Wert;  die  Unter- 
suchung der  Sprache  stellt  uns  aber  noch  weitere  Ergebnisse  in 
Aussicht.  Wenn  man  zugiebt,  dafs  unter  den  zahlreichen  erhal- 
tenen Papstbriefen  die  des  Gelasius  (492 — 496)  zu  den  bedeutend- 
sten zählen,  so  wird  sich  aus  dem  eingehenden  Studium  seiner 
Redewendungen  auch  feststellen  lassen,  dafs  das  Dekret  De  libris 
recipiendis  et  non  recipiendis  nicht  wohl  von  Gelasius  herrühren 
kann.  Denn  wie  wäre  es  denkbar,  dafs  in  diesem  Aktenstücke 
der  Axisdnick  mediante  Constantino,  Cyrillo,  Marciano,  Tauro 
viermal  vorkäme,  während  das  Wort  mediare  in  den  zahlreichen 
Briefen  des  Gelasius  nirgends  gebraucht  ist?  Ein  litterarischer 
Nachlafs  von  einigen  hundert  Seiten  ist  doch  ausreichend  genug, 
um  aus  demselben  einen  solchen  Schlufs  zu  gestatten.  Die  voll- 
ständigste Sammlung  bot  uns  Andr.  Thiel:  Epistolae  pontificum 
Romanorum,  vol.  I  (ann.  461 — 523),  Brunsb.  1868,  p.  285 — 613. 
Die  von  Otto  Günther  im  Wiener  Corpus  herausgegebene  Col- 
lectio  Avellana  (1895.  1898)  enthält  kein  neues  Material,  wohl 
aber  p.  357 — 468  eine  kritische  Revision  eines  Teiles  der  Briefe; 
Löwenfeld  endlich  hat  in  seinen  Epistolae  pontificum  Roman, 
ineditae  (1885)  auf  S.  1 — 12  eine  kleine  Anzahl  bisher  unbekann- 
ter Briefe  hinzugefügt.*) 

•)  Wir  citieren  im  Folgenden  nach  Thiel  (Epist.  Tract.Fragm.)  unter 
Tergleichung  der  Avellana. 

Archiv  für  lat.  Lexikogr.    XU.    Hoft  1.  1 


2  Ed.  Wölfflin: 

Als  der  Senator  Andromachus  nebst  einigen  Gesinnungsge- 
nossen die  Luperealien  in  alter  Weise  gefeiert  wissen  wollte,  trat 
ihm  Gelasius  entgegen  (Tr.  6,  5  =  Av.  100,  II.  12),  und  zwar 
nicht  nur  mit  Berufung  auf  Livius  1,  5,  sondern  auch  mit  einem 
zweiten  Citate:  Livius  in  secunda  decade.  Damach  werden  wir 
annehmen  müssen,  dafs  er  noch  das  Originalwerk  des  Livius  ge- 
lesen hat,  während  sonst  die  meisten,  und  schon  vom  ersten 
Jahrhundert  nach  Christus  an,  sich  mit  einer  Epitoma  begnügten. 
Vgl.  Archiv  XI  1  flF.  Und  in  demselben  Schreiben  §  6  (==  Av. 
§  14)  führt  er  den  Vers  an: 

Quicquid  Romani  meruerunt  perdere  mores? 
So  noch  die  neueste  Wiener  Ausgabe  mit  einem  Fragezeichen  im 
Testimonienverzeichnis.  Er  stammt  aus  Lucan  2,  318,  ist  übrigens 
keine  Frage,  imd  nach  den  besten  Handschriften  mufs  ^pendere* 
gelesen  werden.  Dem  Relativsatze  gehen  die  Worte  voran  *hac 
caede  luatur'  als  Schlufs  des  Hexameters. 

Ebendaselbst  wird  §  8  Th.  (=  20  Av.)  ein  Juvenalvers  citiert 
(6,  285),  welchen  erst  Günther  gefunden  hat,  und  unmittelbar 
davor  begegnen  wir  den  Worten:  sicut  ille  ait*)  ^ut  non  tam 
deterrere  quam  admonere  animos  videantur',  welche  wieder  mit 
einem  Fragezeichen  versehen  sind.  Der  Meister  der  Prosa  ist 
hier  Cicero  de  domo  127  cur  prohibendo  non  tam  deterrere  vide- 
retur  quam  admonere  [wie  nachträglich  auf  S.  809  bemerkt  ist]. 
Daraus  lernen  wir  mit  Vergnügen,  dafs  Gelasius  die  heidnischen 
Klassiker  nicht  nur  kannte,  sondern  auch  anerkannte,  dafs  er  also 
nicht  zu  denjenigen  gehörte,  welche  die  sprachliche  Form  ver- 
nachlässigten und  verachteten.  Da  aber  Gelasius  diese  Phrase 
nochmals  Epist.  14,  21  (ne  sensus  non  tam  deterrere  quam  ad- 
monere videamur)  wiederholt,  ohne  die  Quelle  anzudeuten,  so  ist 
es  leicht  möglich,  dafs  noch  andere  Reminiscenzen  an  Klassiker- 
stellen in  seinen  Briefen  stecken,  beispielsweise  Anklänge  an 
Vergil. 

Mit  diesen  Erwartungen  treten  wir  an  die  Prüfimg  seines 
Lateins,  welches  wir  für  das  Ende  des  fünften  Jahrhunderts  ein 
gutes  nennen  dürfen.  Nicht,  dafs  Gelasius  ein  strenger  Klassiker 
wäre;    die    damalige   Kirche    hätte   ja  mit  dem  Wortschatze   des 

•)  Da  auch  Avell.  100,  10  citiert  wird:  sicut  ait  ille  ^voluntatem  te 
habere  mentiendi,  artem  fingendi  non  habere',  so  möchte  man  diese  Stell o 
bei  Cicero  suchen,  findet  sie  aber  nicht.  Ob  Gelasius  eine  uns  verlorene 
Rede  vor  Augen  hatte? 


Der  Papst  Gelasius  als  Latinist.  3 

Cicero  nninöglich  ausreichen  können,  und  statt  synodus,  syno- 
dalis,  synodicus  wird  kein  Vernünftiger  puristische  Über- 
setzungen erwarten.  Ebensowenig  konnte  sich  Gelasius  den  Ein- 
flüssen der  Entwicklung  des  Rechtes  entziehen^  sondern  er  durfte 
unbedenklich  in  Übereinstimmung  mit  dem  Codex  Theodosianus 
bonuscula  für  ^geringes  Vermögen',  subadiuva  für  ^Unteran- 
gestellter',  petitorium  für  ^Bittschrift'  gebrauchen.  Dem  allge- 
meinen Spätlatein  gehören  beispielsweise  an  signaculum,  tri- 
yialis,  adimpleo,  taliter,  nullatenus  (idlatenus),  Yon  welchem 
letzteren  er  einen  unmäfsigen  Gebrauch  macht  im  Vergleiche  zu 
der  Zurückhaltung  seiner  Vorgänger.  Ganz  neue  Wörter  aber 
sind  etwa  modernus  und  magistrianus.  Ersteres,  nach  Ana- 
logie Ton  hodiemus  von  dem  Adverb  modo  abgeleitet,  reicht 
nicht  viel  über  das  Jahr  500  hinauf  (vgl.  Rhein.  Mus.  37,  92),  so- 
dafs  Epist.  20  post  modemum,  Epist.  22  admonitiones  modemas 
zu  den  allerfrühesten  Belegen  gehören,  wogegen  das  konkurrie- 
rende Wort  novellus  viel  älter  ist;  magistrianus  (Tr.  1,  5  etwa 
=  Polizisten)  kennen  wir  bisher  blofs  aus  Fulgentius. 

Zu  diesen  unklassischen  Wörtern  gehört  auch  das  archaische 
primitus  =  anfänglich,  von  Anfang  an.  Wir  dürfen  wohl  ver^ 
muten,  dals  bei  Lucilius  und  Lucretius  der  Hexameter  einen  An- 
teil an  dem  Suffixe  hatte,  und  wissen  aus  der  Lektüre,  dafs  die 
Klassiker  mit  primo  und  primum  vollkommen  ausreichten.  Aus 
der  reichen  Beispielsammlung  bei  Neue,  Formenlehre  11*  740,  er- 
sehen wir,  dafs  das  Adverb  bei  Augustin  und  Ammian  sehr  häufig 
geworden  ist,  was  sich  ja  auch  aus  dem  Zusammenfallen  der 
Formen  primo  und  primum  (gespsochen  primom)  leicht  erklärt. 
So  versuchte  auch  Gelasius  nicht  gegen  den  Strom  zu  schwimmen, 
wie  folgende  Beispiele  beweisen.  Tract  3,  7  primitus  extiterunt 
neben  primordialiter  extiterit.  Ep.  6,  2  (Av.  94,  2)  nova  pestis  et 
primitus  ignorata;  5,  2  ut  eadem  se  primitus  tenuisse  firmarent; 
14,  14  testimonio  pr.  absolutas;  26,  3  (Av.  95,  22)  quae  primitus 
desudasset;  Ep.  34  coUata  pr.  donatione,  wozu  aus  Löwenfelds 
Briefen  bestätigend  hinzukommen:  2  suscepta  pr.  donatione  und 
15  pr.  donatione(m)  suscipias. 

Um   auch  noch  die  Syntax  mit  einem  Worte  zu  berühren, 

so  hat  Gelasius  mit  dem  Spätlatein  die  klassische  Konstruktion 

simplicissimus  quisque  und  simplicissima  quaeque  (simplicissimum 

quodque)  ganz  verloren;  er  kennt  nur  noch  Positiv-  und  Plural- 

formen.     Ep.  4,  1.  18,  6   simplices  quosque;   6,  1  ab  exiguis 

1* 


4  EcL  Wölfflin: 

qnibusqae  bestiolis  (obschon  Avell.  6^  27  exiguissimis  yorkommt); 
1,  4  contiguas  (=  proximas)  sibi  quasque  provincias;  8^  2  salvos 
quosque;  10,  9  medicantes  quosque;  14t,  26  perversa  quaeque;  Ay. 
100,  25  yilia  quaeque.  Des  von  andern  versuchten  simpliciores 
quosque  hat  er  sich  wohlweislich  enthalten.  Eine  vermittelnde 
Rolle  spielte  vielleicht  das  häufige  singuli  quique.  [Ausnahme 
Tr.  6,  14  extrema  quaeque.] 

Aber  auch  in  der  Gleichmäfsigkeit  des  Lateins  darf  man 
einen  Beweis  grammatischer  Schulung  erblicken.  Ein  planloses 
Hin-  und  Herschwanken  zwischen  Doppelformen,  wie  es  unge- 
bildete Schriftsteller  kennzeichnet,  kann  ihm  nicht  zur  Last  gelegt 
werden. 

Es  gehört  zu  den  Ausnahmen,  dafs  fortasse,  fortassis 
und  forsitan  unterschiedslos  neben  einander  gebraucht  werden. 
Femer  mag  man  zugeben,  dafs  sine  und  absque  parallel  laufen, 
letzteres  natürlich  seltener  verwendet;  dagegen  fällt  auf,  dafs 
Gelasius  Frgm.  4  sine  aliqua  reprehensione  geschrieben  hat,  da 
er  sonst  regelmäfsig  ullus  gebraucht.  Epist.  14,  16  sine  ullo 
respectu;  14,26  ebenso;  26,  12  (Av.  95,  67)  absque  ulla  synodo; 
(Av.  95,  2().  28)  sine  ulla  notione  und  sine  ulla  synodo;  26,  10 
(Av.  95,  54)  sine  ulla  perturbatione;  27,  8.  9  sine  ulla  discussione 
imd  sine  ulla  examinatione.  VerständUcher  ist  Frgm.  3  sine 
mora  aliqua  et  sine  ullo  dispendio,  wo  der  Schriftsteller  ab- 
wechseln wollte. 

In  einem  anderen  Falle  dagegen,  in  dem  Gebrauche  von 
contagium  und  contagio,  hat  Gelasius  streng  geschieden;  die 
Häufigkeit  des  Gebrauches  hängt  damit  zusammen,  dafs  so  oft 
von  dem  Umgange  strenggläubiger  Katholiken  mit  Sektenanhängern 
gesprochen  wird.  Das  weitaus  überwiegende  contagium  liefert 
zunächst  sämtliche  Pluralformen,  welche  den  wiederholten  Ver- 
kehr ausdrücken,  z.  B.  Ep.  8  contagia  perfidorum;  10  contagia 
communionis  extemae;  11,  1  pestifera  contagia,  und  so  noch  ein 
dutzendmal.  Ln  Singular  teilen  sich  contagium  und  contagio; 
doch  liefert  letzteres  an  etwa  zehn  Stellen  nur  die  Ablativform, 
neben  dem  Ablativ  contagio;  contagium  als  Nominativ  oder  Akku- 
sativ steht  ohne  Konkurrenz  da.  Man  nehme  nur  Briefe  eines 
beliebigen  anderen  Papstes,  und  man  wird  diese  Unterschiede 
nicht  beobachtet  finden,  z.  B.  Avell.  ep.  11,2  nequitiae  contagionem 
infundere. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  der  copia  verborum,  und  wählen 


Der  Papst  Gelasins  als  Latinist.  5 

wir  ein  naheliegendes  Beispiel:  welches  Wort  hat  Gelasius  für 
Papst  gebraucht?  Die  Benennungen  der  höchsten  geistlichen 
Würde  unterscheiden  sich  von  denen  der  weltlichen.  Rex  steht 
für  sich  allein  da,  weil  es  in  der  Monarchie  nur  einen  Rex  ohne 
Konkurrenz  geben  soll;  die  Päpste  dagegen  waren  ursprünglich 
nur  Bischöfe,  später  primi  inter  pares,  was  sie  auch  in  der  Sprache 
ausdrücken  wollten.  Neben  dem  pontifex  Romanus  (summus  p. 
Epist.  14^  6)  gab  es  noch  viele  pontifices;  antistes  kann  sowohl 
einen  Bischof  als  auch  nach  dem  Zusammenhange  den  Papst  be- 
zeichnen; papa  (Vater)  bedeutet  nicht  mehr  als  abbas,  und  Gela- 
sius  gebraucht  das  Wort  nicht  von  sich,  sondern  nur  von  ver- 
storbenen (beatae,  sanctae  memoriae)  Vorgängern,  z.  B.  von  Leo, 
Simplicius  und  Felix  Ep.  26,  11  (=  Av.  95,  61.  62). 

Einen  neuen  Titel  hat  Gelasius  zwar  nicht  ersonnen,  aber 
doch  in  Umlauf  gebracht,  und  zwar  einen  von  allgemeiner  Be- 
deutung, welchen  er  auch  tiefer  Gestellten  beilegte:  es  ist  prae- 
sul.  Ursprünglich  der  Vortänzer,  der  Oberste  der  Salier,  ver- 
blafste  das  Wort  und  bezeichnete  einen  beliebigen  Vorsteher, 
doch  immer  nur  zur  Seltenheit  und  in  gewählter  Sprache,  wie 
z.  B.  bei  Ausonius  ein  pr.  senati  vorkommt.  Im  J.  417  schreibt 
der  Bischof  Zosimus  (Av.  46,  8):  animo  praesule  et  in  excubiis 
constituto  semper  opus  est,  in  welchen  Worten  der  Christ  als 
XQO^axog  geschildert  ist,  wie  von  Gelasius  Ep.  14,  26  pontificali- 
bus  excubiis.  Im  J.  460  schreibt  Leo  (Av.  54,  3)  von  den  prae- 
sules  catholici  in  Alexandrina  ecclesia,  was  sich  nicht  stark  von 
nQBößvTBQoi  unterscheidet,  wie  schon  im  J.  378  (Av.  13,  6)  ge- 
meldet wird:  ecclesia,  de  qua  episcopus  iudicio  sanctorum  prae- 
sulum  deiectus  est.  Vgl.  Simplicius  (a.  482)  Av.  ep.  68,  5;  derselbe 
(479?  482?)  ep.  66,  3  praesules  et  praedicatores  fidei.  In  dem 
Synodalberichte  vom.  J.  485  (Av.  ep.  70,  9)  heilst  es  aber  auch 
einmal:  successor  praesulum  sedis  apostolicae,  womit  nur  der 
Papst  gemeint  sein  kann. 

Diesen  schwankenden  Sprachgebrauch  fand  Gelasius  vor,  und 
das  Wort  praesul  gefiel  ihm  zur  Bezeichnung  von  Papst  oder 
Bischof.  Es  erinnerte  nicht  nur  an  consul,  es  bezeichnete  auch 
den  Vorsteher  der  Kirche  als  militans,  im  Gegensatze  zu  dem 
kaiserlichen  praeses,  welcher  auf  dem  Throne  sitzt.  Dies  spricht 
Gelasius  Ep.  12,  2  aus,  indem  er  dem  Kaiser  das  praesidere  hxi- 
mano  generi  einräumt,  die  Päpste  aber  praesules  rerum  divinarum 
nennt,  worauf  in  gleichem   Sinnß  antistites  religionis  folgt.     Es 


6  Ed.  Wölfflin: 

B(fll  damit  freilich  nicht  geleugnet  werden ,  daTs  praesidere  auch 
Ton  einem  Papste  oder  Bischof  gebraucht  sein  könnte:  will  man 
einen  Beleg  halien^  so  vergleiche  man  Gel.  Tract.  1^  12  ecclesiae 
praesidere.  Wenn  wir  nun  bei  Gelasius  über  30  Beispiele  finden, 
so  hat  er  den  Gebrauch  des  Wortes  jedenfalls  ausgedehnt^  aber 
die  Bedeutimg  auch  eingeengt,  im  wesentlichen  auf  Papst  und 
Bischof.  Ep.  8;  3  a  caelesti  praesule  non  derelinqui  bezieht  sich 
das  Wort  auf  Gott;  in  der  Phrase  pr.  ecclesiae  Romanae,  aposto- 
licae  sedis  praesul  oder  kürzer  apostolicus  praesul  auf  den  Papst, 
in  secundae  sedis  praesul  oder  Constantinopolitani  praesulis  auf 
den  Bischof  von  Konstantinopel  (Tract.  4,  1  pr.  ecclesiae  Con- 
stantiuopolitanae  neben  apostolicae  sedis  antistes),  in  der  Ver- 
bindung tot  ec<*.lesiarum  praesules  oder  in  ^subdere  ecclesiasticis 
praesulibus'  auf  beliebige  Bischöfe,  wie  z.  B.  Frgm.  8  praesulem 
«uum  von  Forum  Popilii.  So  sind  auch  Ep.  (>,  2  quid  facerent 
populorum  praesules?  die  Hirten  der  Herde  gemeint.  Ep.  10,  4 
non  solum  praesuli  apostolico,  sed  cuicunque  pontifici  könnte 
man  die  Hubstantiva  auch  vertauschen.  Und  dieser  Gebrauch  des 
Gelasius  ist  auf  die  spätere  Patristik  übergegangen:  vgl.  beispiels- 
w<»i8e  Vigilius  Av.  ep.  83,  1  (a.  553)  praesul  sedis  apostolicae 
«=  (ilel.  E[).  3,  10.  42,  4.  Nach  apostolatus  ist  dann  auch  prae- 
Hulatus  gebildet  worden,  doch  erst  nach  dem  Tode  von  Gelasius, 
Av.  ep.  208,  4  aus  dem  Jahre  520. 

Wir  vemuigen  aber  noch  genauer  nachzuweisen,  dafs  die 
Vorliebe  für  praesul  mit  einer  allgemeineren  Anschaxiung  des 
(Jolasius  zusammenhiingt.  Er  hat  nämlich  ein  besonderes  W^ohl- 
gefallen  an  dem  troj)i8chen  Gebrauch  von  salire  und  seinen  Zu- 
sammensetzungen. Ep.  33  contra  regularum  statuta  prosilire; 
30,  l  in  pauperum  prosilire  dispendium;  Frgm.  40  in  contume- 
liam  religionis  pn>8iluis8o,  ebendas.  in  iniuriam  sanctorum  loco- 
rum  ])r. 

Die  nämliche  Beobachtung  drängt  sich  uns  auf,  wenn  wir 
den  Gebrauch  von  resultare  ins  Auge  fassen,  welches  einem 
8tärken»n  n^sistore  entspricht.  Ep.  1,  *2i  Timotheo  haeretico  resul- 
U\rv  (^worauf  folgt  obstiteritV,  UK  5.  12,  12.  2i\  8  potuit  resultare; 
2(K  13  resultamti  non  iustitit  imperator:  27,  2  nemo  resultabat. 
Si>  bestätigt  sowohl  die  Häufigkeit  von  praesul  als  auch  die  An- 
wendung verwandter  Tropen,  dafs  die  Persönlichkeit  des  Gelasius 
au  der  Ausbreitung  des  Wortes  den  wesentlichsten  Anteil  ge- 
habt hat. 


Der  Papst  Gelasius  als  Latinist.  7 

In  einem  anderen  Falle  hat  sich  die  Initiatiye  des  Gelasius 
bis  auf  die  romanischen  Sprachen  vererbt.  Die  Anhänger  der 
Sektierer  Eutyches,  Petrus,  Acacius  u.  s.  w.  hiefsen  vor  Gelasius 
meistens  consortes,  welchem  das  Substantiv  consortium  ent- 
spricht, z.  B.  ad  consortium  erroris  adsumitur.  Vgl.  Epist.  18,  5 
consortibus  huius  erroris;  12,  8  Eutychen  furoris  auctorem  . . .  eins 
consortem  Dioscorum.  Ep.  1,  17  a  communione  catholica  devian- 
tes  in  eins  consortium  transierunt.  Daneben  laufen  noch  syno- 
nyme Ausdrücke  wie  Ep.  18,2  (Av.  101,4)  Petrus  eiusque  com- 
municator  Acacius  und  unmittelbar  darauf  cum  suis  participibus; 
Ep.  1,  14  comitem  haereticorum;  3,  9  haeresi  communicans.  Der 
Polemik  des  Gelasius  schien  dies  nicht  mehr  zu  entsprechen,  da 
ja  der  Mitregent  bei  Velleius  consors  imperii  heifst,  der  Kollege 
im  Tribunat  bei  Tacitus  consors  tribimiciae  potestatis,  und  auch 
das  Kirchenlatein  hatte  diesen  Gebrauch  in  bonam  partem  bei- 
behalten, z.  B.  Av.  38,  7  regni  consortes,  oder  bei  Gelasius  selbst 
Tract.  6  (Av.  100,  30)  consortibus  professionis  Christianae;  Ep.  3,  2 
fidei  consortibus. 

Statt  dessen  hat  Gelasius  comp  lex  durchgesetzt,  welches 
zwar  im  Codex  Theodosianus  6,  4,  21  (a.  372)  auch  noch  im  Sinne 
von  socius  'Amtsgenosse'  gebraucht  ist,  vermutlich  aber  durch  die 
Sektenstreitigkeiten  einen  unangenehmen  Beigeschmack  erhalten 
hatte.  Gebraucht  hatte  den  Ausdruck  schon  einmal  Simplicius 
an  Acacius  (150,  2  Av.)  de  Petro  atque  aliis  complicibus  eorum 
(a.  479  oder  482);  auch  in  der  Erklärung  der  Bischöfe  vom 
J.  494  (zwei  Jahre  nach  der  Papstwahl  des  Gelasius)  lesen  wir 
Ep.  11,  1  Eutychis  Petri  Acacii  complicibus  atque  consorti- 
bus se  immiscendos,  wo  der  neue  Ausdruck  durch  Beifügung 
des  alten  verdeutlicht  wird;  durchgesetzt  hat  jenen  ohne  Zweifel 
Gelasius.  Denn  schon  in  seinem  vor  der  Papstwahl  im  J.  488 
oder  489  erlassenen  Schreiben  über  das  Schisma  des  Acacius  sagt 
•er  Ep.  1,  7:  nee  hoc  fecerunt,  qui  cum  Timotheo  sentiebant  eique 
commünicabant,  sed  ^unus  complex  insaniae  Petri',  sicut  iam 
testatur  Acacius,  übereinstimmend  Ep.  1,  2  ab  haeretico,  hoc  est 
complice  insaniae  suae.  Schlägt  man  diese  erhaltene  Stelle  nach 
(Acacius  an  Simplicius,  p.  194  Thiel),  so  lauten  die  Worte:  qui 
consors  ipsius  insistebat  insaniae.  Gelasius  hat  somit,  was  nach 
damaligen  BegriflFen  nicht  unerlaubt  war,  ein  Wort  des  Citates 
gegen  ein  ihm  mehr  zusagendes  Synonymum  vertauscht  und 
dasselbe  auTserdem  an  einigen  dreifsig  Stellen  verwendet.    Einige 


8  Ed.  Wölfflin: 

Beispiele  werden  genügen.  Ep.  1,  11  huic  pennanenti  in  pravi- 
täte  fit  complex;  1^  6  haereticus  cum  suis  complicibus;  1,  16  a 
complicibus    suis   postulatus  antistes;    1;  17  complices  pravitatis; 

1,  31  huius  rei  complicem  esse;  2,  34  complex  mali.  Mithin  hat 
6.  schon  in  seinem  ersten  Rundschreiben  über  den  Sektenstreit 
sein  Lieblingswort  achtmal  gebraucht.  Besonders  charakteristisch 
sind  noch:  Ep.  12,  8  eorum  communicatores  et  complices;  3,  9 
communicantes  et  complices;  Av.  95,  34  complex  erroris. 

Schlagen  wir  nun  das  Handwörterbuch  von  Georges  nach^ 
so  wird  complex  mit  *der  Verbündete'  übersetzt  und  des  Ge- 
brauches in  malam  partem  gar  nicht  gedacht,  welcher  doch  seit 
Gelasius  ausgeprägt  ist.  Und  in  den  romanischen  Sprachen  be- 
zeichnet ja  das  Wort  heute  noch  den  ^Mitschuldigen',  sodafs  die 
Geschichte  von  complex  in  zwei  Teile  zerfällt.  Der  ältere  Ge- 
brauch war  mindestens  neutral,  sogar  vorwiegend  in  bonam  par- 
tem, wie  die  ^dii  complices'  =  consentes  bei  Amob.  3,  40.  Der 
Vater  des  jüngeren  (romanischen)  Gebrauches  ist  Gelasius.  Der 
Fall,  dafs  wir  die  Bedeutungsveränderung  eines  Wortes  auf  eine 
bestimmte  Person  zurückführen  können,  ist  in  der  Lexikographie 
nicht  so  häufig;  um  so  mehr  verdiente  das  vorliegende  Beispiel 
in  ausfiihrlicher  Besprechung  vorgeführt  zu  werden. 

Der  nämliche  Streit  hat  noch  eine  andere  Spur  in  der  Lati- 
nität  des  Gelasius  hinterlassen.  Insofern  Acacius  und  seine  An- 
hänger eine  secta  bildeten,  hiefsen  diese  natürlich  sectatores, 
was  mit  complex  (consors)  fast  gleichbedeutend  war.  Ep.  10,  10 
haeresum  sectatores;  12,  7  complice  et  sectatore  perversitatis; 
18,  2  complices  atque  huiusmodi  sectatoribus  permixtos;  27,  3 
complices,  sectatores,  communicatores  pravitatis;  30,  14  sectatori- 
bus et  communicatoribus;  3,  9  sectantium  communicatores.  Dies 
klang  dem  G.  wieder  zu  gut  oder  zu  wenig  schlecht,  da  ja  bei 
den  Heiden  die  Klienten  so  hiefsen  und  sectator  Aristotelis  oder 
eloquentiae  verbunden  werden.  Nicht  anders  war  es  im  Kirchen- 
latein, und  da  Salvian  von  sectatores  sapientiae  spricht,  wie  Av. 

2,  120  sectatores  catholicae  fidei  genannt  werden,  so  fand  G. 
einen  neuen,  der  Sachlage  besser  entsprechenden  Ausdruck  in 
sequax,  welches  in  malam  partem  das  zähe  Festhalten  an  dem 
Verkehrten  ausdrückt,  wie  schon  bei  Manilius  Bacchi  Venerisque 
se<]uax.  Leider  fehlt  das  Wort  im  Index  von  Günther,  wenn  wir 
auch  für  den  Gebrauch  bei  G.  einstehen  und  einen  Vergleich  mit 
den  älteren  Papstbriefen  anstellen  können.     Av.  56,  6  ^Simplicins 


Der  Papst  Gelasius  als  Latinist.  9 

a.  476)  fidei  sequacem;  Av.  70,  14  (römische  Synode  vom  J.  485) 
sequacibus  eorum,  nämlich  Petrus  und  Acacius.  Viel  häufiger 
hat  das  Wort  G.  gebraucht,  und  zwar  in  tadelndem  Sinne.  Ep. 
1,6  a  Timothei  (haeretici)  sequacibus;  1,20  cuius  sequacibus 
professoribusque  communicat;  3,  10  sequaces  eorum  Timotheum 
Petrumque.  Auch  in  dem  (unechten)  Aktenstücke  De  recipiendis 
libris  kehrt  der  Ausdruck  wieder:  Ep.  42  gegen  Ende  cum  öuis 
obscenissimis  sequacibus. 

Man  wird  bei  aufmerksamer  Lektüre  des  G.  noch  manches 
finden,  was  vom  klassischen  Sprachgebrauche  abweicht  und  uns, 
weil  es  oft  wiederkehrt,  eine  individuelle  Färbung  zu  haben 
scheint;  doch  wird  hier  Vorsicht  am  Platze  sein.  So  gehören 
die  Phrasen  wie  rectum  tr am  item  teuere,  a  tramite  deviare, 
secundum  regularum  tramitem  dem  Kirchenlatein  überhaupt.  Vgl. 
Innocentius  (a.  417.  Avell.  41,  3)  ad  rectum  viae  tramitem  redire; 
Simplicius  (a.  478.  Av.  65,  2)  a  catholicae  tramite  veritatis 
avertere. 

Viel  signifikanter  ist  der  tropische  Gebrauch  von  decolo- 
rare,  entweihen,  trüben,  corrumpere.  Vgl.  Ep.  6,  3  decolorata 
primordia;  9,3  decolorasti  gloriam  (worauf  folgt  violasti);  14,  9 
sine  decoloratione  recipi  non  possunt;  26,  3  (Av.  95,  16)  catho- 
licorum,  quos  nitebantur  decolorare.  Tract.  5,  8  (Av.  97,  28) 
angelus  degener  factus  ac  de  caelesti  sede  pro  hac  sui  decolorsr 
tione  seclusus;  5,  24  (Av.  97,  80)  mortis  condicione  decoloratum; 
5,  25  (Av.  97,  82)  concupiscentiae  decolorare  excessus;  5,  25  de- 
generis  ac  decoloratae  radicis;  6,  10  (Av.  100,  25)  cur  decoloratis, 
cur  ad  vilia  quaeque  deducitis?  Trotzdem  glauben  wir  nicht  an 
individuelle  Prägung,  einmal  weil  uns  analoge  Tropen  aus  der 
Farbenwelt  bei  G.  nicht  bekannt  sind,  und  weil  es  näher  liegt, 
das  Wort  auf  das  Studium  Augustins  zurückzuführen,  welcher  es 
vielleicht  zuerst  gebildet  hat.  Vgl.  civ.  d.  11,  7  cognitio  creatu- 
rae  in  se  ipsa  decoloratior  est,  ut  iUi  (Ucam,  quam  etc.  Ep.  138, 
10  decoloratis  corruptisque  moribus. 

Mit  sichtlicher  Vorliebe  bedient  sich  G.  der  Verba  impe- 
tere,  irradiare  und  ventilare;  nach  Günther  kämen  diese  in 
den  Papstbriefen  vor  G.  nicht  vor,  wohl  aber  in  späteren,  wo  sie 
auf  den  Einflufs  des  G.  zurückgeleitet  werden  könnten.  Es  sind 
keine  Neubildungen,  sondern  impetere  konnte  G.  bei  Lukan  ge- 
funden haben;  auch  irradiare  ist  ursprünglich  poetisch,  und  venti- 
lare ist  durch  Fronto  und  Juristen  in  die  Prosa  eingeführt.     Wir 


10  Ed.  WOlfflin:    Der  Papst  Gelasius  als  Latinist. 

könnten  reiche  Beispielsammlungen  mitteilen,  welche  indessen 
ihren  vollen  Wert  erst  erhalten  würden,  wenn  wir  im  stände 
wären  genau  anzugeben,  wie  sich  6.  zu  der  älteren  Patristik 
verhält. 

Um  mit  einer  stilistischen  Beobachtung  zu  schliefsen,  so  ist 
G.  für  den  Reiz  der  Allitteration  nicht  unempfänglich;  doch 
vermeidet  er  die  abgedroschenen  Formeln,  sucht  die  selteneren 
hervor  imd  hat  vielleicht  einige  neue  Paare  zusammengestellt. 
Statt  des  allbekannten  oro,  obsecro,  obtestor  schreibt  er  also 
Epist.  12,  4  deprecor,  obtestor  et  exhortor,  wie  auch  Simplicius 
(Av.  56,  10)  precor  atque  obsecro.  Ciceronianisch  ist  plenus  et 
perfectus  (Av.  97,  54.  100,  26),  natürlich  auch  schon  den  Alteren 
geläufig,  wie  Av.  58,  3  (dazu  plenitudinem  perfectionemque  Av. 
67,  46)  und  öfter;  gleichfalls  ciceronianisch,  aber  von  Cyprian, 
Hieronymus  und  Augustin  verwendet,  pravus  et  perversus  Tract 
6,  4.  Av.  95,  37;  ursprünglich  plautinisch  salvus  et  sospes  Ep. 
10,  10.  Für  durus  difficilis,  dominus  ac  deus,  palam  publice  kann 
auf  Seneca,  Sueton  und  Tertullian  verwiesen  werden.  Spät- 
lateinisch dürfte  parte  vel  portione  sein,  Ep.  1,  14  (belegt  aus 
Urkunden  des  7.  Jahrhunderts  bei  Pardessus);  ungewöhnlich 
aporiantes  et  angustati  Ep.  13,  1;  familiaritatem  foedusque  Ep. 
12,  8,  wozu  noch  die  zugleich  reimenden  Verbindungen  onerosus 
potius  quam  officiosus  (Ep.  12,  1)  und  frementes  atcjue  frenden- 
tes  (Ep.  1 ,  20)  hinzukommen. 

Für  die  Echtheitskritik  sind  nicht  nur  abweichende  Aus- 
drücke zu  benutzen,  sondern  auch  gewöhnliche,  wenn  sie  unver- 
hältnismäfsig  häufig  vorkommen,  wie  nullatenus,  utique  oder 
quod  absit.  Die  Bibel  giebt  uns  die  letztere  Wendung  nicht 
in  Form  des  Relativsatzes,  sondern  im  Hauptsatze  absit  a  te  (nobis) 
lob  34,  10.  Matth.  16,  22.  Vgl.  Arch.  VII  170.  Dem  Gelasius 
scheint  die  heidnische  Form  vorzuschweben,  quod  omen  dii  aver- 
tant  (neben  dii  avertant  oder  dii  avemmcent);  denn  er  schreibt 
selbst  Ep.  7,  3.  12,  6  quod  dominus  avertat.  Natürlich  findet  sich 
auch  bei  tt.  absit  ut,  imd  schon  vor  G.  quod  absit,  z.  B.  Simpli- 
cius Av.  63,  4.  64,  2.  Gleichwohl  bleiben  die  30  Beispiele  von 
quod  absit  charakteristisch  für  Gelasius,  sodafs  man  den  Autor 
daran  erkennen  kann. 

München.  Ed.  WSlffliu. 


Die  Vorrede  des  lateinischen  Dioskorides. 

Diese  Vorrede  ward  zuerst  1478  zu  Colle  in  Toskana  von 
dem  magister  iohannes  allemanus  de  medemblich  am  Eingange 
seiner  Ausgabe  der  alphabetischen  Redaktion  gedruckt.  Mit  Bei- 
ziehung weiterer  Handschriften  ward  das  Ganze  wiedenmi  1512 
zu  Lyon  verlegt  per  Gilbertum  de  villiers  expensis  Honestissimi 
viri  Bartholomei  trot.  In  diesen  beiden  Ausgaben,  wie  über- 
haupt in  der  alphabetischen  Redaktion,  erscheint  die  Vorrede 
etwas  gekürzt  und  umgestaltet.  In  der  ursprünglichen  Form  gab 
sie  nach  Cod.  Monac.  latin.  337  (M)  T.  M.  Auracher  in:  Der  longo- 
bardische  Dioskorides  des  Marcellus  Virgilius.  Vollmöllers  Roma- 
nische Forschungen  I  (1882)  S.  54 — 56.  Allein  Auracher  hatte 
keine  anderen  Textquellen  als  die  Münchener  Handschrift,  die  er 
und  K.  Hofmann  für  ein  Unikum  hielten;  selbst  die  Inkunabel- 
drucke waren  ihnen  unbekannt.  Nun  sind  aber  gerade  die  ersten 
Blätter  des  Codex  schwer  beschädigt;  fol.  2  (1  fehlt  ganz)  zeigt 
einen  grofsen  keilförmigen  Ausrifs,  dem  viele  Wörter  zum 
Opfer  gefallen  sind,  auch  sonst  sind  die  Blätter  vielfach  durch- 
löchert, die  Schrifk  ganz  oder  teilweise  zerstört.  So  ist  denn  bei 
Auracher  der  Text  recht  lückenhaft,  auch  ist  manches  falsch  ge- 
lesen. Nach  den  Drucken  hat  Sittl  in  Bursians  Jahresber.  Bd.  43 
p.  90  eine  Anzahl  von  Verbesserungen  und  Ergänzungen  gegeben; 
auch  eine  moderne  Abschrift  des  Münchener  Codex,  welche  die 
Bibliothfeque  nationale  zu  Paris  besitzt,  hat  manches  besser,  ein- 
zelnes aber  auch  schlechter  als  Auracher.  Es  sei  daher  hier  der 
Versuch  erlaubt,  auf  Grund  weiterer  handschriftlicher  Quellen 
den  Text  zu  gestalten,  zugleich  als  Probe  meiner  Neuherausgabe 
des  ersten  Buches  des  latein.  Dioskorides.  Leider  fehlt  nun  ge- 
rade im  Codex  Parisinus  latin.  9332  (P)  die  Vorrede;  auch  jene 
zwei  Blätter  desselben,  welche  jetzt  zu  Bern  im  Cod.  A.  91 
verwahrt  werden,  bieten  dieselbe  nicht  mehr,  ebensowenig  die 
Göttinger  Fragmente  (G). 


12  Herrn.  Stadler: 

So  sind  wir  denn  neben  M  ganz  auf  die  alphabetische  Re- 
daktion angewiesen,  wofür  ich  bisher  folgende  Handschriften 
auffand. 

1.  Codex  Bambergensis  L.  III.  9.  membr.  saec.  XIII   .     .     .     .      a 

(Enthält  fol.  28v<>  u.  29  nur  die  Vorrede.) 

2.  Cod.  Bononiensis  620.  (IL  —  A.  —  223.)  membr.  8^,  83  fol. 

saec.  XII h 

(Ex  bibliotheca  Ulyssis  Aldrovandi.   Bologna.    Umversitätsbibl.) 

3.  Cod.  Casanatensis  955.  [A.  IV.  6.]  membr.  250  X  150°^, 

92  fol.  ^saec.  XIII.  uel  forte  praecedentis' c 

(Rom,  Bibl.  Casanat.) 

4.  Cod.  Amplonianus  41  fol.  membr.  saec.  XIV e 

(Vgl.  H.  Schum,  Beschr.  Verz.  d.  Amplon.  HandBchr.-Samml.  zu 
Erfurt.     Berlin  1887.    S.  161.) 

5.  Cod.  Parisin.  latin.  6819  (Colberg.  3793  Reg.  6039)  membr. 

245  X  163"™,  70  fol.  saec.  XUI i\ 

6.  Cod.   Parisin.    latin.    6820   membr.  345  X  240™",  74  fol. 

saec.  XIV p^ 

7.  Cod.  Parisin.  latin.  6821   membr.  285  X  215™,    128  fol. 

(110  bis)  saec.  XV p^ 

(Alle  drei  in  der  Biblioth^que  Nationale  zu  Paris.) 

8.  Cod.  Vossianus  Latinus  in  quarto  Nr.  1,  saec.  XIV  ...       v 

(Universitätsbibl.  zu  Leydcn  [reicht  nur  bis  ficus  maritima].) 

Dazu  kommen  noch  die  beiden  Drucke,  von  denen  ich  den 
von  Colle  mit  x,  den  Lyoner  mit  k  bezeichne.  AI,  bedeutet  Über- 
einstimmung aller  Textquellen  der  alphabetischen  Redaktion. 

Von  den  oben  genannten  Handschriften  ist  die  beste  und  der 
ursprünglichen  Form  am  nächsten  stehende  die  Bologneser  (6), 
dann  folgen  p^,  v,  c  und  a.  Die  Erfurter  (e)  hat  viele  Flüchtig- 
keitsfehler und  Verschreibungen;  p^  steht  dem  Drucke  von  Colle 
am  allernächsten  und  hat  allein  von  allen  die  Randnoten  des 
Petrus  de  Abano.     Die  schlechteste  ist  p^. 

Mit  Vergnügen  benutze  ich  diese  Gelegenheit,  um  sowohl 
den  Vorstanden  und  Beamten  der  betreflfenden  Bibliotheken,  die 
mich  in  so  entgegenkommender  Weise  mit  Aufschlulserteilung 
imd  Überlassung  ihrer  Handschriften  unterstützt  haben,  meinen 
gebührenden  Dank  zu  sagen,  als  auch  dem  Vorstande  der  Kgl. 
Hof-  imd  Staatsbibliothek  zu  München,  welcher  mir  die  Über- 
sendimg der  Handschriften  vermittelte  und  deren  IWützung  in 
besonders  liebenswürdiger  Weise  ermöglichte. 


Die  Vorrede  des  lateinischen  Dioskorides.  13 

2c  Incipit  6PIST0L<\  DIOSCHORIDeS. 

Multi  uoliierant  auctores  antiqui  de  uirtutibus  herbarum  et 
conpositioues  oleorum  <scribere^  et  quam  plurimi  iuniores  sco- 
lastici  amabüiQ  Ariae  frater  tempiabo  et  ego  probare  tibi  in  hoc 
presentm  mea  et  non  qualia  Uli  qui  nee  initium  nee  finem  conphre 
potuerunt  sed  ex  hütoria  hoc  est  ex  diuersa  instrucHone  pando  et 
probabiliter  tibi  osfendo  et  singularum  rerum  confectiones  et  pigmenr 
forum  uirtutes;  nam  et  quae  ab  antiquis  scripta  sunt  ud  quae  ex 
his  probanda  sunt  uel  reprobanda  sunt  düigenter  monstrabo.  nam 
lolaos  JJiimiensis  et  Eradides  Tarentinus  leuiier  huiuscemodi  tdi- 
gere  rfoctrinam  pretermfftentes  herbarum  uirtutes  |  2d 

Incipit  prologus  diascoridis  libri  (rot)  h.  incipit  dyascorides  de  sim- 
plici  medicina  und  ex  dioscoride  p^  von  spät.  Hd.  incipit  prologus  in  libro 
diascoridis  smnmi  et  illustri  medici  de  erbarum  noticione  siue  medichami- 
nibos  qualiter  coUigantur  qualiter  resserüantur  qualiter  qb'  conficiantur 
(rot)  p^.  incipit  prologus  sequentis  libri  per  alfabetuzn  transpositi  secun- 
dum  constantinum  (cf.  Rom.  Forsch.  XI  p.  2)  a  incipit  liber  diascoridis 
(rot)  c  Prologus  djoscoridis  de  simplici  medicina.  Incipit  prologus  dj- 
OBCoridis  X. 

Dioscorides  per  Petrum  de  Padua  correctus  et  elucidatus  p^  von 
später  Hd. ;    |),  u.  x  haben  hier  die  Note :  Notandum  quod  libri  diascorides 

dicti  duplex  reperitur  ordinatio ;  in  |}j  ist  die  Schrift  der  ersten  Seite  mit- 

nnter  recht  beschädigt.        actores  e        conpositione  AI.        oleorum  v 
ororum  e        olerum  ahcp^Tnl        holerum  p^p^        scribere -4Z.        pluri"**  h 

Bcolastic^  h  amabit  aerig  fuef  a.  R.*)  uel  ferunt  h  amabit  arte 
aerie  ff  p^  amabilis  aerie  e  amabili  serie  i^^xX  mit  der  Note:  litteris 
enim  alfabeti  •  i  •  ordinando  et  sermone  planiori !         amabilisarie  frater  p, 

aerie  c  fr.'  a.  R.  aP  super  p,  temptabo  AI.  tentabo  X  Et 
ego  %X         ego  auf  Ras.  h         tempt.  prob,  et  ego  tibi  a         presencia  /), 

presen^a  v       mea  fehlt  a       ma  p^        nra  p^p^Ti        qui  nature  init.  e 

inicium  acp^p^        ini^um  v        et  hystoria  e        ex  hystoria  a&xX 
ystoria  p^        istoria  cpi        hoc  est  ex  div.  fehlt  v       dmersa  a.  Ras.  h 
hoc  ei   causa  p,         instruccione  cp^         in8truc§one  v         pando  et  prob, 
tibi  he        pando  tibi  et  p^p^y^X        tibi  pando  et  p.  t.  o.  p^         prob.  ost. 
cvp^p^xX        singularium  i^ijPgxZ        confeccion.  c        etiam  que  |)i         qug 
av  (^in  b  v.  2.  Hd.)  sonst  que        qug  av  sonst  que  (^  in  b  v.  2.  Hd.) 
ex  hiis  ep^         scripta  sunt  postque  ex  his  probata  sunt  dilig.  p^         prob, 
sint  dil.  V        prob,  sunt  uel  que  repr.  sint  e         prob,  sunt  dil.  (a.  R.  von 
spät.  Hd.:  uel  reprobanda)  b        prob,  sunt  uel  repr.  dil.  c         probanda  et 
reprob,  sunt  jp,x>l        loca  os  bv        loca  oms  ac        loca  omnia  X        locaos 
^PiPiPs'i^         hiihiniensis  v.  spät.  Hd.  b         niciniensis  cv         uitinienses  a 

bitininensis  p^         bitunensis  e        litunensis  p^        vicinensis  p^yi  a.  R. 

^  a.  R.  BB  am  Rande 


14  Herrn.  Stadler: 

dimittentes  etiam  metwIKtiit  et  haromaticas  species.  Crathebas 
aero  pmdentissimas  et  Andres  medicvft.  radieibus  diuersarum  herba- 
mm  concisos  potestates  et  uirtutes  pignwdkpnini  colligere  potue- 
ront  antiqnis  auctoribus  melius  ordinapiies  quitm^  et  i/isi  multos 
radicea  et  nomina  herbaruni  potestates  ^^retenniserini. 

ceteri  huiusi>io(7t  coiiscrqjiores  propemodum  omnia  preter- 
fuisisse  uidentur  .  quorum  etiam  nomina  in  notitia  oninium  tmdo 
id  est  Basilins.  TuWus  et  Xicheratus  et  Nigros  Petronius  et 
Diodotus,  hi  onmes  asclepiadii  fuerunt  qai  uoluenmt  uirtutes 
specierum  prouationesque  leuiter  demonstrare.  quin  ex  casuum 
probatione  potuerunt  tradere.  sed  calore  iubentur.  bis  raptis. 
uerbositatem  magis  quam  plenam  sunt  instructionem  consecuti. 
quorum  ex  bis  unus  certior  euforbium  boluit  sucum  esse  camelae 

al.'  uttimensis  uitinenBis  Z  a.  R.  uitiniensiB.  eracL  a.  Ras.  b  exmlci* 
des  car.  e  leniter  e,  fehlt  Pi  tetigenmt  aPiPfPfV  discipUnam  AI. 
et  met.  a  etiam  metallicas  dimitt.  p^nl  metalica  d.  p^  dimi- 
tentes  b  aromaticas  AL  Carcathebras  b  caratebras  a  erater- 
bras  e        crathebas  r        Catebras  p,         Cathebras  p,         Crathebras  p^xX 

])ratent.  p^         andre'  p^         andres  r         andras  p^         Andreas  « 
radieibus  herbamm  diuersis  concisis  abcep^p^X        rad.  diuersis  herbarum 
concisis  v        radieibus  fehlt  />,  x         contisis  p^  %        potestates  uirtutesque 

AI.        picm.  a        ab  antiq.  e        anctoritatibos  bp^p^uX        ordintes  v 
quamuis  AI.         et  ipsi  v.  spät.  Hd.  b        ml'tas  multas  rad.  e         multa  v 
herb,  et  potest.  AL        pt'misrt  a.  R.  v.  s|)ät.  Hd.  b         i>retermiBerunt 
aep^X         n.  herb,  pretermisenint  r         pr^miserit  korrig.  v.  si>ät.   Hd.   in 

pr'miserit  p,      Cftara  rad.   r    hi'moi  p,      h'eemodi  e     i^reterndMe  b     pre* 
term.  omn.  vid.  e  *    quorum  et  v.  spät.  Hd.  b      quor.  klein  c      et  nom.  a 
noticiam  dcpjxX        noticia  p,p,        noti§a  r       notia  ^        oiu     i  noticia  a 

tradam  p,  Bassilius  bnX  Tellius  ahcpi  et  tellius  p,«  et 
tuliuB  p,         incleratus  e        petronis  cpi         nigrospeti  anus  p,         cliod.?  e 

hü  ep^p^TiX        hii  2.  i  ausrad.  p,         asclepiadi  c        -des  b        fuere  x 

asclei)iadii  fuere  pucri  X  fuer  qui  uoluef  p,  fuerunt  qui  fuerunt 
uol.  p,  asclepiadii  experimentatores  fuerunt  qui  e  probacion.  c,  sonst 
probation.  probationesque  cognoseere  et  leu.  monstr.  p^  monstrare 

aecc       probationes  abvp^       probd^s  e       probaciones  c       qui  sine  causa 
probationem  p,         caü  x         qui  sine  casu  bcevp^X         probationem  p^xl 

qui  sine  casu  uel  causa  probationes  tradere  sed  a  qui  sin  c'a't 
casu  pj  trad  pot.  e  sed  calore  iuuentutis  rapti  AL  i^doch  iuuentis  a 
inuentutis  b)  consecuti  sunt  AL  instruccion.  cp^ ,  wo  mag.  q.  pl.  und 
inst,  nachgefahren  sind.     Quorum  unus  ex  h.  b        hiis  exX        cercior  cp^p^ 

cer§or  i;,  wo  unus  fehlt  uoluit  AL  succum  uoluit  esse  herbe 
camimelle  c  uoluit  esse  sucum  herbg  camomillg  a  uol.  succum  esse 
herbe  pj        succum  esse  e       uol.  esse  succum  p,  x  X       u.  e.  sucum  herbe  />, 


Die  Vorrede  des  lateinischen  Dioskoridee.  15 

herbae.  quae  maxime  in  Italia  nascitur  et  andro-  |  3  a  semon.  simi- 
lare  uoluit  hipericho.  aloen  etiam  caupsiten  dixit  in  ludea  nasci 
ceteraque  Bimüi  mendacio  conscripsit.  peccauit  etiam  in  consti- 
tuendis.  uel  demonstrantis  uirtutibus  et  nominibus  pigmentorum. 
nos  autem  ex  prima  etate  iuicui  6t4piditatem.  etiam  buius  rei  ha- 
hentes  moltdrum  regionom  terram  eonuifnus.  maxime  cum  me 
scias  uitam  militarem  exercuisse  euius  militie  causa  omnes  prouiR- 
cias  girando  Siddidici  et  post  expleta  stipendia  militiae  ocio  coji- 
donatns  studiosae  ac  diligenter  mibi  laborem  imposni  ut  (juhique 
libros  de  herbarum  potestatibus  et  uirtu^  et  confectiones  oleor 
rum  ostenderem.  ut  quae  ab  aliis  pretermissa  sunt  scribendo  mon- 
strarem  a  me,  carissime  frater.  quare  peto  te  ut  cum  bos  quin- 
que  libros  legere  fueris  dignatus.  non  ad  mea  uerba  tantum  sed 
ad  uirtutes  pigmentorum  uel  herbarum  attendas.  hac  enim  qua 
conscripsi    hac   tibi   tradidi  non   ex    opinione.  |  3  b   aut  fama  co- 

sucu  h  herbae  v  camomille  hevp^p^p^Til  que  AI.  ytalia  ep^x 
italia  p^         nascitur   ceteraque    similia    mendacio  b.      Das   Fehlende: 

maxime  et  audrosem.  —  nasci  von  spät.  Hd.  a.  K.  nachgetr. :  et  fehlt  7t  l 
simulare  p^l        simtare  ex        yperico   abvp^p^Til        ypericon  e 

inperico  p^      ipperico  c      aloen  et  causiten  ap^       causiten  PiP^bvcTil 

causton  e        similia  ae        medato  x        mendact  e        mendatio  X        mda- 
tio  j)f     pecc.  et  in  ar     demonstrandis  AI.     nom.  omnium  pigm.  bp^p^evxl 

uirtutibus  omnium  pigm.  jp,  et  omnium  nom.  pigmentorum  a 

aetate  r        etate  a        ex  prima  iuuentute  uel   etate   bcep^^         ex   prima 
etate;  Glosse:  uel  augmentatiua  p^        etiam  fehlt  ;;,        cupid.  fehlt  e 

hab.  huiuB  rei  c         terras   circuimus  e         circuiim'  b         circuiuimus  ter- 
ram Pi      terras  circuiuimus  acevp^p^nl     cum  scias  a     mil.  uit.  bcep^ 
exercuiss^  b      exercuisse  me  a      milicie  cep^p^  sonst  militie      mili^^  v 
milicig  a       prouint.  x      gyrando  c       addidisti  e      milicie  jp,       milicie  ac 
miliciat  p^  sonst  militie         otio  b%         ocio  in  otio  korr.  ^;,  oio  e 

studiose  AI.  (stud  Rasur  ose  b)  hac  diligent  p^  michi  r  la- 
bore  p^  im**'  Hbr.  a  et  uirtutibus  AI.  confectiones  abe  con- 
fecciones  jj,  confeccione  c  confectionibus  ^,  rxl  confecti  oinbj  p^ 
oleruma&PjxX  ot'orum  c  holerum />,/>,  otum /jj  oleonim  cir 
ostenderiS  a  que  abce  et  que  i^j/^axX  et  qug  v  sint  r 
scrib.  et  monstrare  p^  a  me  fehlt  AL  kme  hat  a.  Has.  b  kme  f  i- 
evpiP^  frat'  p,  kme  fil'  e  karissime  a  char.  X  te  peto  Al.^ 
doch  quare  repleto  e       hos  quatuor  a       libros  VI  e       dign.  fueris  e 

amea  p^        tm  e        tantum  fehlt  2h  Ps^'^^        uirtute  c        adtendas  b 
■ed  pig.  uel  herb,  uirtutö  atndas  Pi       atenda  p^        hec  enim  que  AI.  doch 
hec  e.  que  v        hec    H-  omoia  qug  b        scripsi  bp^  ytX        ac  tibi  AL 
non  opin.  a       oppin.  b 


16  Herrn.  Stadler: 

gnoui.  sed  ex  lectione  et  experimento  addidici.  nam  et  multamm 
prouinciamm  situm  non  ignanis  adtendens.  manifestissime  in- 
stmo  secrmdum  climma  et  genus.  et  omnia  conscripsimns.  qnamin 
uirtutes  medicinae  sunt  necessaria.  et  conpositiones.  et  inuictas 
nirtutes.  qui  cum  conficere  aliquod  medieamen  uolueris.  inspicies. 
meritum  uirtutis  pigmentorum  et  ex  aliquantis  unam  facis  con- 
fectionem  tunc  poteris  causae  succurrere.  preterea  etiam  hoc  con- 
uenit  nosse  ex  quibus  locis  colli  gende  sunt  herbae.  in  quibus  etiam 
reponantur.  temporis  etiam  oportunitas  requirenda  est,  ut  non 
usque  differas.  quae  pro  tempore  colligas.  ne  aut.  arida  nimis.  aut 
inmatura  decerpas.  in  bis  enim  coUigendis  nisi  tempus  aduer- 
teris  potestatum  suarum.  et  uirtutum  possibilitates  omittunt. 
magna  res  est  enim  in  scire  tempus  herbamm  coUigendarum.  an 
sicco,  an  humido.  an  frigido.  an  calido  tempore  colligas.  |  3c  an 

ex  leccione  uel  experimento  c        sed  electione  e         ex  electione  p^nX 
sed  exper.  uel   ex  leccione  p^  didici  AI.  q  didici  b  nam 

n 

ex  a  et  fehlt  nach  nam  PfP^^Ä.         terramm  p^p^nl         igaros  p. 


uc. 


attendens   AI.    doch    adtendens  p^  instructns    ce  instnctos  p^ 

AI 

instruo    ?  b        instnicto  a         instruo  secund.  uirtutes  qnicum  (elima  —  in- 
uictas   fehlt)    a  secundum   uocationem    et    genus    onmia    crp^p^p^xl 
s.  prouocationem  et  gen.  onm.  e         sed  uocatione  et  g.  o.  b         con- 
scripssim'  />,        necesstLiie  p^p^p^nk        necessarie  her         nee.  sunt  e 

medicine  Ah  doch  medicin^  bv  inuict|  v  inuicte  in  iniucte  korri- 
giert b  inuicte  cep^  innere  darüber  Rasur  p^  nee.  secundum  poci- 
ones  et  inuictas  uirt.  />j  q'  '>  conf.  e  qui  conf.  p^  Q  p,  uol.  ali- 
quod med.  cepi  aliquid  med.  u.  ap^  aliif  b  aliquod  conf.  med. 
uol.  p,xi  inspicies  -^  v.  2.  Hd.  /),  merito  cp^  merita  f  et  uir- 
tutes AL  unam  facies  abep^  faciens  unam  cvp^p^xl  confeccion.  cp^ 
confectione"  v.  2.  Hd.  b        cause  bcep^p^xk       caus^  abvp^        etiam 

c  c 

conuenit   hoc  bce         et  hoc   c.  p^p^*'^         hoc     uenit   r,      v.  2.  Hd. 
nosce  ja,      h.  coli.  s.  e      colligendg  s.  herbj  a  i\  sonst  herbe     in  q.  et  rep.  a 

reponuntur p^       etiam  horis  reponantur  p^nl      in  quib.  horis  rep.  p^ 
Temporum  ce        temponim  etiam  et  op.  b        temporum  et  op.  a         tem- 
porum  op.  r      et  quo  tempore  op.  ja^xi      tempfe  op.  p^      ut  nusquam  xX 

ut  nusqi   Rasur    lä}  j>,       etiam  usq;  d.  e       ut  non  —  colligas  fehlt  p^ 
que  pro  fPtPif        Qui  pro  acxi        quo  temp.  6        coligas  p^p^ 
ne  Rasur  aut  p^         nimius  e        nimmis  p^         immat.  accp^^i^nl         hÜB 

fja^xA        etiam  e.  xa        aduenerit  avp^xl        adueneit  ;>,        antis  b 
aduertis  p^         tpt  aduenire  aduertoris  r         iv>ssibilitatem  cep^  possi- 

bilitatis  abp^xl        amittunt  AI        et.  -H-  est  j»,  enim  est  6«xi.        in 

nur  M.  tpr  coli.    herb,  aep^nl         colig.  h.  ^,  A  .  .  .  A  /i^  aut  .*.  . 


Die  Vorrede  des  lateinischen  Dioskorides.  17 

ex  altis  et  montnosis  locis  an  ex  uallibus  et  campis.  an  ex  locis 
humidis  aut  siccioribus.  fortiores  enim  sunt  herbe  qae  in  campis 
homidis  naseuntnr.  maxime  umbraculo  quolibet  a  sole  fensatis. 
Mm  hae  sunt  herbe  eligende  que  non  ex  ueteri  radice  gi- 
gnnntur.  etiam  hoc  latere  prudentiam  tuam  non  debet  quod  ali- 
quante terrae  regionum  secundo  fetant  herbas  quas  aut  cultura 
nasci  preeipiat  aut  natura  locorum  inmaturo  euomet  tempore, 
nam  multas  herbas  nouimus  hiemis  tempore  et  flores  et  folia 
uiridia  habentes  multe  etiam  in  anno  secundo  fetant  flores.  nam 
qui  huiusmodi  uult  habere  notitiam  diligenter  debet  scire  quo 
tempore  semina  quo  flores.  quo  radices.  uel  ipsas  herbas  colligat. 
uti  scias  quae  nature  sunt,  quae  utiles  atque  inutiles.  uel  que 
habent  inpostura.  ut  facile  probes  atque  cognoscas.  signa  etiam 
herbarum   quae  in  plurimis  |  3d  foliis  quae  in  raris  sint   demon- 

ant  ,  .  .  e  coUigantur  aut  ex  aliis  e  t|^r  herbas  colligas  b  montuos- 
sis  P3  ex  oalibuB  et  canpis  p^  ex  fehlt  vor  locis  cp^  hum.  et  sicc.  cpj^ 
an  siccior.  ab  h.  uel  siccis  vp^p^nX  h.  uel  siccioribus  locis  e  forcio- 
^^  ^PiPt  8^"^*  enim  p^p^tiX  herbg  o  e.  herbg  sunt  v  qu|  av 
in  umbraculo  v  defensate  ep^p^-nX  defensat^  ac  deffensate  p,  defen- 
säte  b  nam  he  herbe  sunt  b  nam  he|  sunt  coUigendg  herbg  q^u|  a 
nam   hee   sunt   eligende  c^;,  xX         nam  he  sunt  herbe   elig.   que  v        he 

di 

sunt  p^  n.  hee  h.  el.  que  e  n.  heg  sunt  p^  ex  fehlt  c  race  v 
ginguntur  b  Etiam  latere  hoc  bcpi  et  hoc  latere  axX  nam  1. 
hoc  e  quia  vp^p^nX  qui  a  aliquant^  terrg  abv  fetant  p^e  fetant 
uel  ferunt  v  secundo  v.  spät.  Hd.  übergeschr.;  nach  ferät  Rasur  b 
ferant  a  ferunt  ep^p^%  fuerunt  X  quas  —  nouimus  fehlt  e  pcip  jOj 
precipit  p,  p,         inmaturo  v.  spät.   Hd.  übergeschr.  b         in  mat.  p^  x 

euomit  vp^        euo      b       hyemis  tempore  bce       t.  yemis  x       t.  hi.  p^ 
t.  hyem.  p^X        habere  avp^p^yiX         et  folia  uiridia  habere  et  flores 
bcep^  multe  v         enim  bcep^p^         in  autumpno  b         in  uno  anno 

sec.  Pi  ferunt  ep^yiX  ferant  a  fetant  uel  ferunt  v  ferant  flores 
quo  radices  (nam  qui  —  flores  a.  R.  v.  spät.  Hd.  mit  der  Variante  hi*)  b 
noticiam  Äl.  aufser  b  quia  h*  e  colligere  debeat  p^  coligat  p, 
quo  tempore  e  herb.  ips.  a  ut  sciat  p^  ut  scias  vp^  uti 
sciat  c  un  scias  e  Rasur  scias  b  qug  maturg  abv  sonst  que  mature 
sunt  uel  inmature  Äl.  doch  immaturg  v  inut.  p,  uel  inut.  b  que 
av  sonst  que         que  inposturam  habent  jp^  quem  inposturam  ut  v 

^q  b       h.  inposturam  abp^p^x       imposturam  X       inposteram  a        imma- 

ture  que  habent  [sed  qnt*    manipto  uel  in  sitibus  debent  poni.  et  non  in 

confectionibus]  inposturam  ut  .  .  .  e        cognoscas  uel  signa  figuras  etiam  v 

cogn.  figuras  signa  p,       signa  et  h.  a       sigüa  et  auf  Ras.  b        signa 

hierb.  et  qoe  e  signa  ociä  (c  ausradiert)  p^        pluribus  p^TiX       in  fol. 

ArchiT  für  lat.  Lexikogr.    Xn.    Heft  1.  2 


18  Herrn.  Stadler: 

stro.  multos  euim  error  decipit  nescientes.  nam  hamm  rerom 
plnrimi  scriptores  qui  occultate  fide  haec  scire  non  potaerant. 
erraaenmt  dioentes  aliquam  non  habere  nee  äores  nee  ramulos. 
Bec  Semen,  sicut  est  .grosteos  -i-  gramen,  sut  ueciu.  aut  pentafiUu. 
hae  nollo  tempore  äores  gaudent.  oportet  etiam  hoc  medicom 
scire.  quae  herbe,  quanto  tempore  dorent.  ellebori  ambo  albus  et 
niger  anno  ono  durare  possont.  alia  enim  triennio  dorant  quo- 
rum  nomina  subtus  subieci.  mazime  quae  in  duritia  uel  in  creta 
nascuntur.  id  est  sticados.  caraedrion.  polion.  broton.  seriphon. 
absenthion.  ysopu.  et  similia  suprascriptis.  iste  herbe  pleno  se- 
mine colligende  sunt,   quarum  flores  antequam  cadunt  legi  oportet. 


plurim.  be        in  plurim.  ociam  p^        in  ramis  acep^        ^q  i  ramis  b 
sunt  PiP^e         demonstrabo  e         eror  j?,         herror  b         m.  enim  decepit 
error  xX        er.  decepit  ap^        deci  e       n.  h.  rerum  herbarum  v       harum 
rerum  •  i  •  herbarum  /?,         multi  script.  6  c        plurimos  p^        occnltata  a 

occulata  vp^       occulta     b      occultate  e       occultate  Pi       ocultata  p^ 
oculata  xX        hec  scire  avp^        hoc  sc.  cxX        h'  sc.  bepiP^         po- 

tuer.  errauef  6jP|        errauere  acnXy  fehlt  v      aliquas  aeup^      aliqn  p^ 

aliqn  c      aliqu   b      alit^  p,      non  habere  flores  vp^p^uX      non  h.  non  fl.  e 
nee  ramos  p^         nee  sem.  nee  ramos  b         nee  sem.  nee  ramolos  e 

nee  sem.  fehlt  c         agrostis  abvp^xX         agstis  pj         acstis  c 
agrestis  ep,        bichic  b        bichicon  acevp^        bichichon  p^        bibicon  p^ 

bibichon  xX        pentafilon  evp^p^        penta  filon  b        pentafilum  a 
petafilon  c        pentaphjlon  p^        pentaphilon  xX         he§  ap^        hee  bexl 
hg  ct7         he,  2.  e  ausrad.  p^         he  p^         zu  nuUo  a.  R.  al'  mnlto  b 
nlto  p,         flore  gaud.  avp^nX  gaud.  flore  bcepi  fl.  gaudent 

a.  Ras.  p,         h'  scire  e         h'  m.  sc.  bp^         oportet  et  hoc  m.  sc.  a 
que  av  sonst  que         ell'i  e         EUeborus  albus  et  niger  vp^         a\h%  et 
nig'  e        annum  unum  ace        annü  •  i  •  d.  6        d.  •  i  •  annü  pj        pht  xX 

AtsB  ft  Pi  alie  vp^p^nX         At'  b  tmnio  e         durare  poss  p^ 

quarum  abvp^p^xX         ieci  b         subiecti  e        subiciam  p^         que  t; 

que  in  tracia  •  i  •  duricia  uel  creta  p^         que  in  grecia  uel  in  creta 

darüber  -i*  v.  2.  Hd.  j^^^xX        q.  in  duritia  uel  creta  c         q.  in  duricia  uel 

creta  a  que  in  duriga  v  q.  in  grecia  uel  in  cretica  p^  uel  in  cti 
Rasur  b  st.  idest  camepitheos  uel  comedreos  a  -i-  stic.  uel  came- 
pilheos.  cam.  bcep^  camepith.  fehlt  v  sticados.  camepith.  p^xX 
•  i*  sUca.  bardos.  camephiteos  p^  camedreos  evp^nX  chamedreos  p^ 
(ßL§^6izovovy  serifon  AI.  polion  uel  fer.  p^  absinthion  abvp^p^ 
abaintion  cep^nX  ysopon  a  ysopum  e  jsopos  bevp^p^n 
ysopo  p^c  ysopus  X  et  sim.  sunt  p,xX  et  similia.  vp^  istg  herbe 
plen|  av      h^e  p^      iste  pleng  h.  sem.  sunt  coli,  b      coUigendg  v       plene 


Die  Vorrede  des  lateiniBchen  Dioskorides.  19 

semen  nero  earum  non  siccum  exsacandum  est.  eo  ipse  herbe 
deinde  cnin  floribus  ezBncande  sunt.  lacrimuB  herbarum  de  uiri- 
dioribas  |  4  a  herbis  ooUigendi  sunt,  radices  et  comas  radicum. 
ut  superius  diximns.  matnribus  herbis  tollende  sunt,  quarum 
radicTun  coria  si  exsacare  uolueris.  illo  tempore  oportet  fieri.  cum 
iam  ceperint  deponere  folia.  tempore  adactae.  maxime  qui  uo- 
luerit  herbarum  radices  colligere.  et  mundas  locis  siccis  easdem 
debet  ponere.  et  si  non  faerint  munde,  id  est  terrae  plene  labande 
sunt  et  sie  reponende.  •  flores  herbarum  et  semina  earum  arcellis 
uel  loculis  ligneis  redigende  sunt,  aut  in  cartis  aut  in  foliis  suis, 
haec  enim  semina  seruari  solent.  quod  si  sucos  seruare  uolueris. 
propter  humida  medicamina.  oportet  in  uitreis  aut  argenteis,  aut 
comeis  uasis  reponi.     quodsi  ad  oculorum  medicamina  sucos  ser- 

semine  cep^p^nX         sem.  plene  j9j         anq  h         anq  PiP^  cadant  AI. 

colli^  debent  c       colligi  oportet  abevp^p^^X       antequam  sciu  coli^ 
op.  p^         Semen  uero  hanim  e         exicandom  p^         exsicand'  p^     sonst 
exBicc         est  fehlt  e         he§  ips^  a        he  Ras.  ipse  p^        h§  ip«|  h 
h^  ipse  ftre  p^         hee  ipse   cenX         he   ip.  p,         ac  ips^  herb|  v 
dein^  a        dein  e       e.  fi.  snis  AI.        c.  floribns  nel  foliis  suis  p^        exi- 
csnde  e      eziccande  p,  sonst  exsiccande      Lacrymns  X      herbanun  fehlt  p^ 

coüigendus  est  AI     et  come  AI  doch  come  v        radices  nel  comeas 
aut  coria  radic.  Pj       de  mataris  AI.       coUigende  sunt  p,nX       tollend^  a 

q.  radices  cum  coriis  abv        q.  rad.  cum  choriis  c        qu.  radice    pre- 
dictarum  coria  p^         q.  radices.  radicum  coria  e        q.  radices  et  radicum 
coria  p^p^xX        siccare  b        exicare  c        exiccare  p^     sonst  exsiccare 
nolum'  in  uolueris  korr.  a      adducte  b       adducte  cepjp^pjx       adductg  a 

adlact^  adduct^  v  adulcte  X  max.  q.  uoluerit  p^cv  m.   q. 

noluerint  p,  m.    q.    uoluerunt   anX  m.    q.   uolult   b  m.  uo- 

lait  Pi  rad.  herb,  e         coli,  in  mundis  AI         et  siccis  locis  e 

locis  et  siccas  eas  %X  sonst  locis  et  siccis  eas  depone'  korr.  p,  de- 
bet  —  y.  2.  Hd.  p,  ponere  p,  exponere  e  deuet  v  sonst  deponere 
debet.     eas  ponere  deb&  pj         debet  ^  v.  2.  Hd.  p,        fuTt  b       fuerunt  p, 

mund|  pleng  u.  s.  w.  abv        fuTt  radice  müde,  lauande  sunt  (-i-  terra 

plene  fehlt)  p^  sonst:  terra  AI.         lauande  AI.     erü  arcellis  et  1.  &        in 
arcellis  l         locus  e         religende  cp^         religende  ab     redigend^  v 
kartis  a        aut  foliis  p^         suis  fehlt  AI.        hec  AI.  doch  hec  c        reser- 

nari  bee  sie  serbari  v  hec  —  solent  fehlt  p^  siccon  seruar  auf  Ras.  Pg 
de  conseruari  p,xl  succos  cenX  conseruare  x)l  reseruare  uo- 
luerit e  oport.  aut  in  6pj  occul.  p,  succos  cep^%X  qui  e 
qug  av  sonst  que  recipiunt  Ah  in  confeccionem  suam  pj  in  con- 
fectionem  suam  p^p^nX  in  confeccione  sua  liq.  picem  c  recipiunt  p.  1. 
in  confectione  sua  be     r.  confectione  sua  v      aut  acetum  be     aut  cedrias  e 

2* 


20    Herrn.  Stadler:  Die  Vorrede  d.  lateinischen  Dioskorides. 

uare  aolueris.    qaae  recipient  in  confectione  sua.   picem  liquidam 
nel  acetnm.    aut  cedriam  in  nasis  heneis  ant  s^agneis  ümIs. 

eXPUCIT  ePt'A  DIOSCHORTOeS. 

IXCIP=  LIKTLTES  PIGMENTORÜM 

CETERAQÜ-E  AD  HOUS  MODI 

PERTINENT  RATIOXEM. 

nel  cedriam  xl  eneis  AI.  doch  gneiB  r  fac  b  ant  st&gnatis 
lacias  e         stagneis  pone  p^         faties  x         facies  p^i  in  |>,  t.  spftt.  Hd. 

Expiicit  ;überfahren  prologus  incipit  textus  libri.  r  Finit  prolc^pis. 
Incipit  über.  Ä 

Freising.  H.  Stadler. 


Ritilis. 

Dals  die  rutilae  eomae.  welche  Tacitus  Germ.  4  den  Germanen  nach- 
rühmt, nicht  mit  ^fuchsrot*,  sondern  mit  ^hochblond*  (impertinent  blond) 
zu  übersetzen  sind,  zeigt  schon  der  Name  des  Bruders  des  Arminins, 
Flavus.  Die  romischen  Schriftsteller  glaubten  diese  Mittelfarbe  besser 
mit  rutilus  als  mit  rufus  zu  bezeichnen,  wie  ja  Tacitus  selbst  dem 
Bataver  Cirilis  bist.  4.  61  rutilatum  crinem  zuschi^ibt.  Auf  die 
Hautfarbe  hat  Calpumius  Flaccus  declam.  2  das  Adjektiv  übertragen: 
rutili  sunt  Germaniae  vultus:  und  dazu  gesellt  sich  noch  Hieron.  vit. 
Hilar.  22:  Butilus  coma  et  candore  corporis  indicans  provinciam  \^inter 
Saxones  quippe  et  Alemannos  gens  non  tam  lata  quam  valida:  apud 
historicos  Germania,  nunc  Francia  vocatur^  Der  helle  Teint,  welcher 
mit  den  blonden  Haaren  verbunden  zu  sein  pfle>;rt.  wird  bestätigt 
durch  Firmicus  Matern,  math.  1,  1  cur  omnes  in  Aethiopia  nigri, 
in  Germania  candidL     Vgl.  Liv.  38.  21. 

München.  Ed.  Wolfflin. 


Manicilis. 

Die  von  Mever-Lübke  Gramm,  d.  roman.  Spr.  I  412'i  geforderte 
und  von  Wilh.  Schulze  i^Arch.  VIII  134^^  insohrittlteh  nachgewiesene 
Form  manaclus  ^maniclus"^  tHr  manipulus  £udet  sich  auch  in  der 
besten  Handschrift  (Cod.  Ämbro&  von  S  e  n  e  c  a  diaL  7.  25.  2  in 
maniculo:  sie  wird  auch  in  den  Text  zu  setzen  sein,  obschon  dial. 
5.  22,  2  manipalares  überliefert  ist. 

München.  Ed.  Wolfflin. 


Epistola  Pseudohippocratis. 

Dem  Liber  de  medicamentis  des  Marcellus  Empiricus  geht 
in  der  einzigen  bis  jetzt  bekannten  Handschrift^  dem  Cod.  Lau- 
dunensis  420  (antea  326)  saec.  Villi,  sowie  in  den  Drucken  des 
Comarius  (Basil.  1536),  Aldus  (Medici  antiqui  Venet.  1547)  und 
Stephanus  (Medicae  artis  principes  1567)  eine  Briefsammlung  medi- 
zinischen Inhaltes  voraus  (Epistulae  diversorum  de  qualitate  et 
observatione  medicinae).  Darunter  befindet  sich  auch  ein  Brief 
des  *Hippocrates'  an  den  König  Antiochus  (Antiocho  regi  Hippo- 
crates  Cous  salutem  d.  S.  5  der  Ausgabe  von  Helmreich).  Eben 
dieser  Brief  steht  auch  in  dem  Cod.  Parisin.  Latin.  6837  (De  la  Mare 
511.  Reg.  6349.  109  fol.  195  x  120°^°»,  membr.  saec.  XHI/XIV. 
Biblioth.  Nationale),  aber  in  so  veränderter  Form,  dafs  man  eher 
an  eine  selbständige  Bearbeitung,  wofür  auch  die  Hereinnahme 
von  Stücken  aus  dem  zweiten  Briefe  (Epistula  alia  eiusdem  Hippo- 
cratis  ex  Graeco  translata  ad  Maecenatem.  Helmreich  a.  a.  0.  S.  9  flF.) 
spricht,  als  an  blofse  Willkür  ungetreuer  Abschreiber  denken 
mufs.    Der  Text  des  Briefes  lautet  nämlich  hier  (fol.  42r**.  sq.)  also: 

Incipit  epistola  ypogratis  ad  Regem  Antiochum.*) 

Quoniam  conuenit  te  regum  omnium  potentissimum  uitam 
longam  et  aetatem  producere,  maxime  cum  tanta  sapientia  uigeas,  ut 
mathesin  quoque  optime  scias,  Optimum  duxi  etiam  rationem  salutis 
tuae  tibi  notissimam  fieri,  ut  ex  qua  origine  uel  quibus  de  causis 
morbi  nascerentur  et  quibus  uitia  reprimerentur  medelis  disceres.  ö 
Sicut  enim  tempestas  imminens   signa  praemittit,  ita  et  corporis 

g  or3m. 

1  Qm  3  sias  optimü  4  post  morbi  ras.  5  uicia  6  pre- 
mittit  langor 

*)  Mit  Ansnahme  der  Überschrift  gebe  ich  moderne  Orthographie. 
AUe  Abweichungen  der  Handschrift  sind  unten  vermerkt. 


22  Herrn.  Stadler: 

languor  impendens  certa  significatione  praenoscitur.  Haec  ergo  ^si^tu 
diligenter  obseraabiS;  qui  fidem  nostris  demonstrationibus  accommo- 
das^  poteris  reliquum  tempus  aetatis  integra  sanitate  decnrrere. 
Quatuor  sunt  humani  corporis  partes  a  quibus  oaletadinam  ma- 

6  nant  origines^  id  est  Caput;  pectus^  uenter  atque  uesica.  Si  uero 
capite^  ut  saepe  fit,  aliquis  uenturus  est  morbus,  bis  intelligi 
assolet  signis.  Nam  quasi  uertigo  et  tenebrae  subsistere  aut  etiam 
in  eadem  capitis  parte  uarii  dolores  existere  <(8olent^.  Supercilia 
aut  etiam  praegrauantur  aut  de  temporibus  pulsus  micat  aut  de 

looculis  mane  lacrimae  fluunt  aut  caligo  impedit  uisum  aut  sonant 
aures,  <nares>  etiam  obcluduntur  et  odorem  non  capiunt.  Si 
quando  ergo  aliquid  tale  sentitur,  purgari  caput  debet,  sed  leuiter 
nullo  graviore  medicamine,  id  est  origani  indici  coma  ^uel^  pulei 
uel  ysopi  in  mulsa  melitissima  debet  infundi,  cumque  illic  mace- 

15  ratum  fuerit,  sucum  ex  eo  acet<at>um  dimidium  j  |  fol.  42  v^.  |  he- 
minae  eo  modo  sedens  ad  solem  <die>  calido  ieiunus  gargarizetur. 
Similiter  sinapem  colatum  tritum  atque  cribellatum  pinguissimae 
mulsae  admiscens  ieiunus  in  balneo  uel  contra  solem  gargarizetur. 
Sed  et  sucum  betarum  partes  .11.  mellis  partem  .1.  in  se  mixtum 

20naribus  tepidum  infundere  conuenit,  quia  omnis  humor  in  capite 
consistit,  ut  aegrotetur,  et  cycli  curas  adhibeant  uel  ciborum.  Hoc 
qui  neglexerit,  huiusmodi  incommodis  subiacebit:    Grrauatur  audi- 

tus  et  facit  surdos.    Plerumque  nascuntur  < >  et  hemicranium. 

Aurium  dolor  fit  et  cerebri  motus  et  sonitus  assidue,  plerumque 

25  etiam  singultus.  Deinde  et  sjnanchae  fiunt  idest  suffocationes 
uel  alme  idest  tussiculae,  inde  glandulae  uel  scrofae  et  diuersa 
uitia.  Circa  fauces  et  ceruicem  dolores  oriri  solent  et  strumae, 
et  in  facie  Scabies  et  faucium  tumor.  Inde  uua  distillat,  quod 
morbos  plurimos  excitat.    Inde  sunt  et  quae  dicimtur  edebronis(?) 

30  6raece  id  est  capitis  pessimum  uitium.  Inde  alopecia  et  ulcera 
capitis  et  dentium  dolores,  et  capilli  defluunt  et  ad  iectationem  (?), 
quibus  uitiis   cura  superior  adhibenda   est.     Si   uero  de  pectoris 

1  prenoBcitur         4  ualotudines   manantur  originum  5  adque 

sepe         7  tenebre  ut  (uel?)         8  eiusdem         cap.  partes         existere 
9  supra   aut  ras.  pgrau.  do  timpora  10  lacrime  uisui 

12  purgarc       13  origano  .  iiid. .  comas        15  emine  16  sole        17  pin- 

guissime  mulse         19  beaii  21  egrot.         cicli         23  emigranium 

25  sonances        26  <^uliuc?y  scrofe        27  strumas        28  scabiem        una 

que          29   que          30  grece          pessimi   uicium          alopicia 
32  uiciis 


Epistola  Psendohippocratis.  23 

causa  imminet  morbus,  haec  signa  praeourrunt.  Capitis  et  pecto- 
ris sudor  exsistity  fit  crassior  et  et  quasi  plenior  Lingua ,  os  ama- 
rum,  saliua  item  amara  uel  salsa  sentitur,  tusillae  defluunt,  aures 
dolent,  cogitationes  sequuntur  omnino  uigiliae  iiiqui<(et^aey  inquie- 
tantur  scapulae,  et  latera  grauia  fiunt  et  interdum  dolent;  osci-  5 
tantur  assidue  sine  somno  et  quiete.  Grauitas  corporis ,  animi 
dolor,  prurigo  corporis  fit,  spasmus  difficilior  sentitur  nocte,  quasi 
a  somno  tristior  mens  e^t.  Frigus  sentitur  in  pectore,  tremunt 
interdum  brachia  sed  et  manus  reliqua  interpellant  (?)  etiam  sicca 
tussis,  dolor  et  prurigo  corporis  atque  pectoris  et  defectio  renicu-  lo 
lomm.  Contra  haec  ergo  tale  remedium  succurrit:  Si  quis  plenus 
est  corpore,  post  cenam  cibum  et  post  cenam  potum  simul  reiciat. 
Macilenti  uero  ieiuni  uomant;  materiam  simul  flegmatis  ac  fellis 
emittunt.  Crassi  uero  corpore  proderit  etiam  ieiuno  uomere. 
ütilius  erit,  si  quis  ieiunus  bilem  eiecerit.  Bilis  enim  dicituria 
jnater  morborum  uel  humor  fellis.  Sed  sie  antea  utatur  radices 
rafani  confectas  in  oxymelle,  nasturcii,  sinapis  et  erucae.  Huius- 
cemodi  talia  comedant  et  aquam  tepidam  postea  superbibant  et 
«ic  prouocent  ||  fol.  43  r°.  |  uomitum.  Tunc  omnis  humor  noxius, 
qui  amarus  est  uel  crassus,  reiectus  plurimum  subleuat.  Certe  si  20 
non  potest  uomere,  ne  stomachum  laedat,  ieiunet  tota  die  aut,  si 
necesse  faerit,  abstineat  .X.  et  omne  uitium  uitabit.  Hoc  qui 
curare  contempserit,  aut  lateris  dolore  uexabitur,  aut  melancholica 
id  est  nigri  fellis  iniuria  periclitabitur,  aut  acutis  febribus  infesta- 
bitur,  aut  lethargicus  exsistet.  Pulmonum  quoque  dolor,  frenesis,  25 
ardores,  subglutiones  et  pestilens  somnus  inerit.  A  uentre  autem 
fli  uenturus  est  morbus,  haec  antecedunt  signa:  Yenter  ipse  tor- 
quetur  et  turbatur  et  corruptus  cum  cibo  et  potu  reicit  escam. 
Nam  potio  amara  sentitur,  genua  deficiunt,  corpus  omne  aut 
grauator  aut  dolet.  Crura  torpescunt,  praeterea  et  febris  occultaso 
grassatur.  His  ergo  cognitis  prima  est  abstinentiae  utilitas,  tum 
etiam  medicamentis  satius  est  ahium  purgare,  ut  graue  corpus 
iuuamine  adiuuetur.  Quod  si  morbus  maior  premere  uidetur,  adi- 
cies  altera  die  abstineutiam.    Si  tamen  <(uires  patientur)>,  sin  minus 


2  exiBtit       3  ide         tussile  <^tousillae^         4  secuntur  inquie 

5  scapnle          7   <^quare*?>         materia         16   <hic?>         17  oximelle 

erace          21  ledat         22  uicium         23  dolorö         24  febris  26  litarg. 

existat         pulmonem         frenesim         26  ardoris         sonus  28  escä 
30  Curator  pescunt        pret.        32  saucius  est        33  adities 


24  Herrn.  Stadler: 

[tardauerit  quam  tardissime]  quam  leuissimum  sumes  cibum  sicut 
ouum  sorbile  aut  aliquid  eius  simile.  et  bis  ergo  sie  oportebit  ocor- 
rere  sine  aliquo  graui  purgatoriO;  ut  uenter  molliatur.  Baue 
autem  fit;    si   lappatii  decoctus  sucus  similiter  bibatur  uel  illad 

5  olus  saepe  in  eibo  sumatur.  Sed  et  caulis  brassicae  crispi  de- 
coctus sucus  aut  crudus  cum  sale  et  melle  mixtus  potui  dattir. 
Ventrem  cum  modo  depurgat;  sed  et  mercurialis  herbae  id  est 
firtillae  sucus  salubriter  purgat.  Est  prfieterea  herba  quam  Graeci 
berbina  appellant,  cuius  decoctae  sucus  salubriter  bauritnr.     Sed 

10  et  betae  et  caulis  et  urticae  in  mulsa  decoctus  potui  datur.  Qnod 
si  maior  increuerit  morbus^  polypodiae  radices  in  mulsa  decoctas 
cum  piperis  granis  .XXX. ,  aut  caltda^  ubi  defluxerint  caules,  de- 
cola;  tum  partes  .11.,  mellis  partem  .1.  potui  dabis.  Si  quis  haec 
adhibere  cessauerit  uel  neglexerit,  aut  coeliacus  fit  id  est  uentris 

16  uitia  sustinebit  aut  nimia  uentris  solutione  laedetur;  djsenteriam 
patiuntur  et  ilium  et  costarum  dolorem.  Unde  etiam  nascuntur 
tertianae,  quartanae,  fiunt  podagrici.  Unde  nascuntur  apoplexeis; 
baemorrhoidae  quoque  de  uitio  uentris  erumpunt.  Inde  et  dolor 
articulorum  quem  Graeci  arthritim  dicunt.     Nam  si  de  uesica  im- 

20minet  \\  fol.  43y^.  {  languor,  baec  indicia  praemittit.  Nam  multa 
<(ue>si<(cae)>  sentitur  inflatio  et  assidue  strepitus  uentris  emittitur, 
ructatur,  color  pallidus  fit,  grauis  somnus,  urina  sordida  et  liuida 
est  et  plerumque  difficilis,  tumescunt  uerenda.  Aduersum  haec 
talis    medicina  subuenit:    Feniculi   et  apii  radices  macerentur   in 

26uino  uetere,  hoc  est  duos  cyathos  quod  est  tertia  pars  heminae. 
Totidem  aquae  calidae  accipies  et  ieiunus  bibat,  uel  dauci  semen 
et  myrrhae  pusillum  tritum  ex  uini  cyathis  duobus  et  tantundem 
aquae  calidae.  Praeterea  radicis  asparagi  sucus  cum  uino  sumi- 
tur,  uel  herbum  erraticum  uel  serpillum,  decoque  ea  in  aqua  uino 

SOmixta,  bibe.  Sed  et  ciceris  albi  non  arietini  decocti  similiter 
cum    uino    sucus   accipitur.     Haec   qui  curare   contempserit,   aut 

1  leuißsime  2  occurre  4  lappatu  (-ii?)  decoctü  sucü  ille 

ö  sepe         brasice   <cri8pae?>  7  herba  firtilla  (wenn  richtige 

bisher  unbekannter  Name   des  Bingelkrautes)         8  preterea        greci 
9  decocte  10  bete         urtice         decoctis         11  polipodie         decoctia 

12  grana         decolatum         14  ciliacus         15  uicia        ledctur        dis- 
senteriam        16  cossarum        17  terciane         abolises         18  emorroide 
uicio       erumpant       19  greci  artesim       20  langor       premittit       22  pallid 
28  difficiles        26  ciatos        tercia        emine        26  aque        27  mirra 
uino  ciatis  28  preterea  radices  assparai  29  eam  aqua  mixtä. 

SO  antini 


Epistola  Pseudohippocratis.  25 

hydropicus  fit  aut  iecoris  dolore  hoc  est  cordis  uexabitur.  Frene- 
sim  quoque  sustinere  cogetnr  et  dolorem  lateris  et  stranguiriam 
id  est  urinae  difficultatem  patietur,  coli  et  uentris  suflFocatione 
laedetor,  nee  non  et  caaculosus  erit.  Sane  de  anni  totius  tempore 
tibi  scripsi^  per  quorum  uices  scias^  quibus  rebus  aut  uti  debeas  6 
aut  abstinere.  Incipimus  ergo  a  brumali  conuersatione^  quae  fit 
solstitiali  die  id  est  .YUI.  Eal.  lanuarii.  Tunc  enim  incipit  se 
diffundere  humor  increscens.  Utimur  ergo  calidis  et  optimis 
[temporibus  edere],  uino  aliquatemis  indulgendum  est.  Sunt  autem 
hi  dies  usque  ad  uemi  conuersationem  .XCI.  Nam  incipit  uer-lO 
nalis  ipsa  conuersatio  .VIII.  Kai.  Aprilis.  Ex  hoc  et  flegma  crescit 
et  sanguis.  Utimur  ergo  bene  olentibus  et  acribus,  omne  corpus 
exercere  labore  debemus  usque  in  .IIII.  idus  Novembris.  Igitur 
ex  supradicta  die  usque  in  hanc  diem  crescit  fei,  et  amaritudo 
eins  augetur,  ex  qua  febris  administrantur  alimoniae  usque  ad  16 
aestiuam  conuersationem.    Utimur  ergo  dulcibus.    Venerem  autem 

< y  parcius  laborare  nihilominus  corpus  exercitabimus.    Sunt 

autem  hi  dies  usque  supradictam  conuersationem  numero  .CXIII. 
Conuersatio  aestiua  .VIII.  Kai.  lul.  incipit.  Tunc  nigri  fellis 
augmenta  succrescunt  id  est  melancolica  usque  ad  conuersationem  20 
autumnalem.  Utimur  ergo  frigidioribus  et  dulcioribus  et  bene 
olentibus;  labore  tunc  corpus  abstinebimus,  sed  uenerio  usu  nos 
continere  debemus  maxime  diebus  .XII.  Conuersatio  autem  autum- 
nalis  incipit  .VI.  Kai.  Octobres.  Tunc  ||  fol.  44r°.  |  cum  feile 
etiam  crescit  pinguis  humor  id  est  pituita  usque  ad  occasum  Plia-25 
dum.  Utimur  ergo  acidis  et  acribus  et  parcius  laboramus,  abs- 
tinemus  a  uenere.  Sunt  autem  ad  Pliadum  occasum  dies  .XLV; 
qui  est  Kai.  lanuar.  His  ergo  utens  sanus  transies  omne  tempus 
aetatis  nee  medicis  indigebis. 

1  ydropicuB         uocabitur         2  Btranguiriam         6  g  abundare  conn. 

7  sol  striciali  '^la  8  aptis  9  uinum  11  april  12  cribus 
14  usqne  in  hac  die  15  febres  aministr.  16  estinä  Ventrem 
17  partius  nihillom.  ezercitauimuB  18  Conuersationem  estiue 
kl  vi  22  ueneri  24  kl  Octob.  25  pliadum  28  que  kl 
iaö.        transiens        29  gstiü        hec. 

Freising.  H.  Stadler. 


26  Wölfflin:   Miscellen. 


Zur  Psychologe  der  VSlker  des  Altertaias. 

Da  schon  bei  mehreren  spatlateinischen  Autoren  die  bekanntesten 
Völker  nach  ihren  Nationalcharakteren  geschildert  sind,  z.  B.  Romanos 
graves,  Graecos  leves,  Afros  versipelles  bei  Isid.  Orig.  9,  2,  105 
(Arch.  YII  338),  so  drängt  sich  die  Frage  auf,  auf  welche  Quelle 
diese  Angaben  zurückgehen.  Der  kürzlich  der  Vergessenheit  entrissene 
Pirmicus  Matemus  sagt  uns  Math.  1,  3,  3:  Scjthae  soli  immanis 
feritatis  cnidelitate  grassantur,  Itali  iiunt  regali  semper  nobilitate 
praefulgidi,  Galli  stolidi,  leves  Graeci,  Afri  subdoli,  avari  Syri,  acuti 
Siculi,  luxuriosi  semper  Asiani  et  voluptatibus  occupati,  Hispani  elata 
iactantiae  animositate  praeposteri  (Stolz  lieb'  ich  den  Spanier). 

Wie  verbreitet  das  Interesse  tiir  Völkerpsychologie  war,  zeigt 
uns  Hieron.  comment.  epist.  Galat.  3,  1  (avorivot  rakatai):  Vanos 
Mauros  et  feroces  Dalmatas  Latinus  pulsat  historicus  (Sali.  hist.  1,  63 
Dietsch.  Tertull.  de  anima  20.  Bücheier  in  Jahns  Jahrb.  1875,  305); 
timidos  Phrygas  omnes  poetae  lacerant;  Athenis  expeditiora  nasci 
ingenia  philosophi  gloriantur  etc.  Vgl.  auch  Hier.  comm.  ep.  Oalat. 
lib.  n  prolog. 

Die  wissenschaftliche  Behandlung  dieser  Prägen  geht  auf  den. 
Geographen  Ptolemaeus  zurück,  über  welchen  wir  durch  Servius  zu 
Verg.  Aen.  6,  724  Folgendes  erfahren:  Inde  Afros  versipelles,  Graecos 
leves,  Gallos  pigrioris  videmus  ingenii;  quod  natura  climatum  facit, 
sicut  Ptolemaeus  deprehendit,  qui  dicit  translatum  ad  aliud  clima  ho- 
minem  naturam  ex  parte  mutare.  Er  nahm  also  eine  Assimilations- 
fähigkeit  an,  welche  sich  durch  die  Auswanderung  bestätige.  Der 
oben  citierte  Isidor  wird  aus  derselben  Quelle  geschöpft  haben. 

München.  Ed.  Wölfflin. 


Si^uni,  Glocke. 

Da  die  Romanisten  streiten,  ob  das  rätoromanische,  altfranzösi- 
sche u.  s.  w.  sen,  sein,  (vgl.  neufranz.  tocsin,  tokcein,  Sturmglocke, 
Feuerglocke)  von  Signum  oder  von  sanctiun  herkomme,  mag  es  nicht 
überflüssig  sein  zu  erwähnen,  dafs  in  dem  heute  noch  üblichen,  jeden- 
falls sehr  alten  Gebete  bei  der  Olockenweihe  die  Ausdrücke  campana, 
Signum,  tintinnabulum,  vaseulum  parallel  neben  einander  stehen.  Dafs 
Isidor  niu-  von  tintinnabulum  spricht  Orig.  3,  21,  13,  nicht  von  cam- 
pana oder  Signum,  erklärt  sich  vielleicht  aus  den  heidnischen  von 
ihm  benutzten  Quellen. 

München.  Ed.  Wölfflin. 


Beiträge  zu  den  Tironischen  Noten. 

I.    Die  sachliche  Ordnung  der  Noten. 

Schon  eine  flüchtige  Musterong  der  Tironischen  Noten  läfst 
die  Thatsache  erkennen^  dafs  die  Noten  vielfach  wie  die  griechisch- 
lateinischen ^Hermeneumata'  des  3.  Bandes  des  Corp.  Gloss.  Lat. 
nach  sachlichst  Gesichtspunkten  geordnet  sind  (Yerwandtschafl;, 
Kriegswesen,  Kleidung  u.  s.  w.).  Daneben  macht  sich  aber  auch 
ein  sprachlidyts  Ordnungsprinzip  geltend,  und  zwar  nicht  nur 
selbständig,  sondern  auch  innerhalb  der  durch  ein  sa^shüches  Band 
mit  einander  verknüpften  Gruppen,  indem  nach  wirklicher  oder 
vermeintlicher  etymologischer  Verwandtschaft  oder  gar  äufserer 
Ähnlichkeit  zahlreiche  Noten  gleichsam  ankrystallisiert  erschei- 
nen. Dieses  zweite  Prinzip  drängte  sich  in  Verbindung  mit  aller- 
hand Ideenassociationen  öfters  so  entschieden  vor,  dafs  die  Grenzen 
der  sachlichen  Kategorien  nicht  immer  offen  zu  Tage  liegen  und 
auch  von  dem  Bahnbrecher  auf  dem  Gebiete  der  Noten,  Wilhelm 
SchmitZf  der  in  den  Prolegomena  seiner  Ausgabe  p.  10  f.  sachliche 
Reihen  herauszuschälen  versucht  hat,  nicht  überall  richtig  be- 
stimmt zu  sein  scheinen.  Da  nun  die  sachliche  Anordnung  der 
Noten  für  das  Verständnis  derselben  sehr  wesentlich  ist,  wie 
sich  auch  im  Verlauf  der  Untersuchungen  zeigen  wird,  so  sei 
zumUshst  ein  kurzer  Überblick  gegeben. 

Die  Kategorie  *de  cognatione',  wie  man  sie  nach  der  Über- 
schrift der  entsprechenden  ^Hermeneumata'  nennen  mag,  läfst 
Schmitz  von  tab.  33,  21  pater  bis  33,  57  novercalis  reichen,  dann 
diejenige  *de  magistratibus'  mit  tab.  36,  28  jmrpura  anheben.  Mir 
scheint  auch  das  ganze  Mittelstück,  abschliefsend  mit  36,  26 
atnator,  amabilis  unmittelbar  vor  der  neuen  Kategorie  der  ersten 
noch  zuzuteilen.  Deutlich  ist  zunächst  die  Zugehörigkeit  von 
35,  70 — 36,  27,  wie  die  Heraushebung  der  in  einem  Abschnitt  über 
Verwandtschaft  zunächst  zu  erwartenden  Personalsubstantiva  zeigt: 
peUex  35,  70,  succuba  71,  zelotypus  73,  rivali^  75,  moechus  76,  para- 


28  W.  Heraeus: 

Situs  77,  letw  80,  meretrix  86,  sjxido  89,  scortum  90,  amicus  91, 
famüiaris  95,  sodalis  98,  rf?eM5  36,  2,  inimicus  4,  necessarius  11, 
anmtor  26.  Schon  in  diese  Reihe,  in  der  die  engere  Zusammen- 
gehörigkeit von  35,  70 — 90  einerseits  und  35,  91 — 36,  11  andrer- 
seits einleuchtet,  ist  manches  infolge  Ideenyerbindung  hinein- 
gestellt, das  streng  genommen  nicht  in  den  Abschnitt  gehört. 
Die  meisten  Begriffe  aber  finden  sich  auch  in  den  ^Herm.'  unter 
den  entsprechenden  Rubriken  C.  Gl.  L.  III,  28  f.  303  f.  (*de  a£fini- 
tate').  181,  20  f.  374,  67  ('de  natura  humana').  253  ('de  nuptiis'). 
Was  sich  um  diesen  Kern  gruppiert,  ist  dann  leicht  verständlich, 
so  lupanar  und  fomix  hinter  moechiis,  parasituSy  Yor  leno'j  dafs 
ccUoy  lixüy  agaOio  (=  agaso!)  hinter  feno,  lenunculus  (Kahn!),  feno- 
ciniiim  figurieren,  erklärt  sich  aus  der  litterarisch  genügend  be- 
kannten Verwendung  jener  Leute  zu  kupplerischen  Zwecken.  Zu 
meretrix,  amicus  etc.  bis  inimicus  sind  die  Deriyata  merdricula, 
meretriciuSy  amicus,  atniculis,  amicitiae  etc.  gestellt;  um  necessa- 
rius (nahe  verwandt)  haben  sich  die  Verwandten  necesse,  necessitas 
etc.  gereiht;  die  folgende  Serie  36,  13 — 20  dubium,  dtAitat,  non 
duhium,  tum  duhitat,  sowie  jaret  nebst  drei  Kompositen  ist  offen- 
bar durch  necesse  hervorgerufen,  wie  endlich  36,  21  amat  nebst 
Kompositen  und  Derivaten  durch  amator.  Prüfen  wir  nun  die 
an  noverca,  -aiis  tab.  33,  57  sich  anschliefsende  Reihe  von  offendit 
33,  58  bis  soUicitudo  35,  69,  auf  welche  die  Gruppe  peUex  bis 
amator  folgt,  so  erkennen  wir  folgende  durch  etymologische 
Partien*)  erweiterte  Reihe  von  Personalsubstantiven  sofort  als  zu 
'de  cognatione'  gehörig:  tidor  34,  7,  jwer  13,  pudla  17,  mtdier  19, 
mrgo  22,  ancilla  25,  liber  2i\,  lil)erfus  37,  servus  40.  Sie  begegnen 
auch  in  den  Herm.  in  den  betreffenden  Abschnitten.  Di^egen  ist 
die  vorhergehende  Reihe  ab  novcrcaliSy  offouiit  bis  tutor  infolge 
Ideenassociation  angeschlossen.  Ich  finde  folgenden  Kern  von 
Personaladjektiven,  der,  zunächst  durch  n^  vercalis  veranlafst,  immer 
weitere  Kreise  gezogen  hat:  offensus  33,  60,  bez.  infenstis  62, 
maleficus  72,  bez.  malivolus  74,  maUgnus  76  nebst  den  Gegensätzen 
heneficus  etc.,  dann  vir  bonus  80,  honesfus  84,  omatissimus  91, 
siüendidissimus  95,  lautissimus  34,  3.  Es  folgt  die  schon  be- 
handelte Reihe  tutor  bis  serviis,  dann  wieder  eine  Reihe  von  Per- 
sonaladjektiven: fidelis  34,  54,  farinorosus  64,  firfnus  67,  novicius 


*)  Dieselben  sind  im  Folgenden,  soweit  sie  leicht  verständlich  sind, 
übergangen,  und  ist  immer  nur  der  Kern  herausgehoben. 


Beiträge  zu  den  Tironischen  Noten.  29 

73,  innocens  78,  bez.  nocefis  77,  certus  81,  detnens  90,  curiosus 
35,  53,  soUicittis  68.  Wie  passend  z.  B.  fiddis  und  novicias  an 
,scn?MS  sich  anschliefsen,  leuchtet  ein;  so  steht  vsthvrirog  novicius 
hinter  servus  Herrn.  Montep.  C.  Gl.  III,  305,  4  unter  der  Rubrik  *de 
adiinitate',  fidelis  niötbg  dovkog  neben  fidtis  ütiörbg  q>Ckog  C.  61.  II, 
71,  56  f.,  womit  man  Capers  Vorschrift  C.  Gh-.  L.  VII,  97,  9  fidus 
amicus  erit,  famuium  fiddem  dicito  (metrisch  etwa  famulum  die 
contra  fiddem)  vergleiche.  Hinter  deniens  34,  90,  bez.  vehemens  91 
aber  bricht  die  Beihe  plötzlich  schroflF  ab:  es  folgt  quam  ob  rem 
92  offenbar  ganz  willkürlich,  dann  pedus,  pectorosm,  peccat,  parcit, 
poscit  nebst  Perf.  und  Kompositen,  ebenso  tangit,  trahit,  tractat, 
bis  mit  amosm  35,  53  und  sollicitus  68  die  ursprüngliche  Anord- 
nung wieder  durchbricht:  an  curiosus, procurat  etc.  lehnt  sich  zunächst 
das  sinnverwandte  cogitat  nebst  Kompositen  an,  dann  soUidtus, 
soUidtudOj  an  soUicitus  wiederum  poUicitus,  an  curiosus  furiosus 
wegen  Gleichklangs,  bez.  vermeintlicher  Verwandtschaft.  Von 
curiosus  aber  rückwärts  zu  konstruieren  wage  ich  nicht,  so  ver- 
fElhrerisch  auch  der  Versuch  ist.     Siehe  S.  30. 

Nach  unsrer  Auffassung  reicht  also  die  Kategorie  ^de  cogna- 
tione'  von  tab.  33,  21  pater  bis  36,  27  amator,  bez.  27  amdbüis, 
DaTs  hier  in  der  That  ein  Abschlufs  ist,  beweist  die  Thatsache, 
dafe  mit  36,  28  purpura  ein  neues  Kapitel  in  der  grundlegen- 
den Casseler  Hdschr.  beginnt,  mit  einem  Abschnitt  anhebend, 
der  *de  honoribus'  bezeichnet  werden  könnte  und  zunächst  bis 
37,  14  excandescit  (vorhergeht  candidatus,  candescit)  durchaus 
nur  die  alten  republikanischen  Amter  und  Würden  enthält: 
Senator,  consul,  tr,  pL,  praetor,  die  verschiedenen  -tnn,  dictator, 
censor,  woran  candidatus  sich  anlehnt.  Diese  Kategorie  geht 
nach  einer  grofsen  Digression  (tab.  37,  15  colit  bis  38,  50  cripta) 
weiter  auf  tab.  38,  51  ff.  lictor  —  imperator  61.  An  letzteres 
Wort  reihen  sich  Titel  und  Namen  der  Kaiser  tis  Antoninus 
39,31,  die  offenbar  in  der  Kaiserzeit  in  die  bereits  zur  Zeit 
der  Republik  begonnene  Sammlung  eingefügt  sind  (s.  Schmitz 
p.  11),  zwischen  beide  Teile  aber  hat  sich  eine  Rubrik,  die 
ich  mit  *de  agricultura'  bezeichne,  geschoben,  die  mit  colit 
37,  15  und  vier  Kompositen  beginnt.  Es  folgen  accola,  publi- 
cula,  dann  mit  den  entsprechenden  Ableitungen  ager,  terra, 
ieUus,  humus,  possessio,  praedium,  fundanus,  locus  (Grrundstück), 
vüla,  vicus,  pagus,  iter,  iugerum,  aripennis,  immunis  (steuerfrei), 
via,  regio,  semita,  solum,  spatium,  terminus,  campus,  colonia,  plani- 


30 


W.  Heraens: 


Das  Gesamtbild 

n 


der  Reihe  ^de  cognatione'  ist  also  folgendes: 


m 


pater 

mater 

filius 

frater 

soror 

socer 

gener 

vitricus 

alumnus 

pupillus 

patraus 

avus 

aTuncalus 

amita 

abaTns  etc. 

germauus 

nurus 

noverca 


[infensus 
maleficus 
vir  bonus 
honestus 
omatissi- 

mus 
splendidissi- 

mus 
lautissimus] 


tutor 

puer 

puella 

mulier 

virgo 

ancilla 

liber 

libertus 

servus 


pellex 

succuba 

zelotypus 

rivalis 

moechus 

parasitus 

leno 

meretrix 

spado 

scortum 

amicus 

familiaris 

sodalis 

cliens 

inimicus 

necessarius 

amator 


n 

[fidelis 

facinorosus 

firmus 

novicius 

innocens 

certus 

demens 


m 


cunosas 
sollicitns] 


[dubium 

dubitat 

apparet] 


(quam    ob 

rem 
pectus 
peccat 
parcit 
poscit 
tangit 
trahit) 


Beiträge  zu  den  Tironischen  Noten.  31 

iies,  porticus,  area,  cripia.  Ähnliche  Reihen  finden  sich  in  den 
Herrn,  unter  der  Rubrik  'de  agricultura'  oder  *de  rusticatione* 
C,  Gl.  m,  26.  195.  199.  260.  299.  356.  Veranlafst  aber  scheint 
mir  die  ganze  Digression  durch  publicula  37, 21,  das  sich  an 
candidatus  37,  12  passend  anschliefst  (61.  U,  269,  35  dri(ioxr}dijg 
publicola)  und  leicht  auf  (igricola^  colit,  ager  etc.  führte. 

Mit  divus  Anianinus  reifst  der  Faden,  und  es  herrscht,  wie  es 
scheint,  Willkür  bis  per  singulos  40,  16.  Mit  miser  40,  17  fangt 
dagegen  wieder  eine  feste  Masse  von  Noten  an,  die  ich  'de  divi- 
tiis*  überschreiben  möchte  nach  Analogie  der  Herrn.  Steph.  GL 
HI,  370  u.  a.  Zunächst  finden  wir  die  verschiedenen  Synonyma  für 
arm  und  reich  nebst  ihren  Substantiven  und  anderen  Verwandten: 
arm:  miser,  avctrus,  pauper,  frugi,  fanielicuSf  sordidus,  squaltdus, 
egens,  inops,  parsimanm,  penuria,  iactura^  datnnum,  mendicus,  tenuisy 
humüis,  cimlis,  ffmciliSy  macer,  sestertiarius;  reich:  peeuniosus, 
heatus,  dives,  potens,  pollens,  opulens,  locuples,  largus,  dapsilis, 
copiosus  41,  30.  Es  folgen  ab  41,  31  opes  Begriffe,  die  sich  auf 
Geld,  Fiskus,  Wucher,  Ausgaben,  Abgaben,  Geschenke,  Rechnung 
und  Lohn  beziehen,  abschliefsend  mit  merces  42,  30,  atidoramen- 
fum  42,  menstruum  47.  An  menstnmm  hat  sich  mensula,  mettsu- 
larins  imd  insula  und  insularius  51  in  bekannter  Art  angereiht. 

Der  folgende  Abschnitt  beginnt  42,  52  mit  mos,  inorosus, 
moraiis,  woran  mons  mit  Ableitungen  sich  anlehnt,  und  ist  offenbar 
beherrscht  von  dem  Gedanken  der  menschlichen  Fehler  und  Leiden- 
schaften: turpitudo,  flagitium,  stuprum,  probrum,  obscenitas,  natura, 
viHum,  mcestum,  libido,  ira,  timor,  mehis  {audacia  fehlt,  während 
audei,  atidaa  dasteht;  vgl.  fundanus  37,  56),  scelus,  foedus  (Adj.), 
fama,  infamis  43,  51.  Was  dann  folgt  von  dido,  condicio  43,  52  f. 
bis  excors  44,  63,  ist  so  überwuchert  von  Nebenschöfslingen,  dafs 
sich  nur  mit  Mühe  der  leitende  Faden  erkennen  läfst.  An  fama 
hat  sich  zunächst  condicio  angeschlossen;  das  folgende  garrit, 
garrtdus  57.  58  pafst  wieder  zu  der  Rubrik  *de  vitiis'  und  hat 
die  Reihe  narrat  mit  Verwandten  bis  innarrahilis  64  hervorge- 
rufen, dieses  wiederum  die  Gruppe  inmsiis,  invisitatum,  mirum 
nebst  Ableitungen.  An  mirum  ist  nimirum  gereiht,  welches  seiner- 
seits ntMnertiSy  innumerm  etc.  hervorgerufen  hat.  Dann  aber  be- 
ginnt der  Zusammenhang  sich  zu  lockern  mit  85  iuhet,  iussit, 
vergü,  evergit  etc.,  imd  ist  höchstens  noch  zu  erkennen  in  con- 
temnit  93,  contumelia  96,  cupiditas  100,  anceps  44,  14,  otiosus  35, 
indignus  41,  stomackus  58,  socordia  59,  vecors  62,  excors  63. 


32  W.  HeraeuB: 

Mit  excors  44, 63  schliefst  der  Abschnitt  *de  vitiis'.  Un- 
mittelbar darauf  folgt  eine  Partie,  die  mit  der  Rubrik  ^tempora 

^^^^  _  mm 

et  anni'  Herm.  Montep.  61.  III^  295,  29  ff.  viel  Ähnlichkeit  hat 
und  sich  klar  abhebt  von  tUurnum  44,  64  bis  quam  dudum  45,  10. 
Die  folgende  Reihe  von  fas  bis  nefatidarhis  scheint  durch  cras 
44,  84  veranlafst  zu  sein.  Dagegen  ist  mane,  maiutinum  46,  8.  9 
in  den  Abschnitt  Me  re  militari'  zwischen  pugna  und  cohors  ver- 
sprengt. 

Die  folgende  Kategorie  'de  re  militari'  lafst  Schmitz  mit 
exercet,  bez.  exercitus  45,  25,  bez.  27  anfangen  und  mit  tropaeo- 
phorum  46,  17  schlielsen.  Mir  scheint  die  Reihe  bereits  mit  ordo, 
ordi9iariHS,  ordinat  45,  18  f.  zu  beginnen:  Tgl.  GL  11,  451,  29  ro^^ 
«(>ZOff  Ordinarius;  IV,  134,  16  Ordinarius  miles,  qui  integre  ordine 
militat.  Die  folgende  Reihe  repudium,  divortium,  vidua,  orfanus 
(das  Medium  ist  orhal)  gehört  unter  'de  cognatione'.  Von  exer- 
citus bis  tropaeophorum  handelt  dann  alles  vom  Kriegswesen,  aber 
die  Reihe  geht  noch  weiter:  ich  erkenne  noch  oppidantAS  46,  19, 
socius  20,  woran  sich  aequalis  mit  seiner  Sippe  (27 — 37)  ange- 
schlossen hat,  rapina  58,  signum  mit  Verwandten  74 — 86  signifer. 

Die  nächste  sachlich  geordnete  Gruppe  erscheint  erst  tab. 
48,  36  parenticida  bis  neptiger  48,  78  und  handelt  von  Räubern, 
Mördern,  Dieben  und  verwandten  Kategorien:  parenticida,  praedo, 
hostis,  grassator,  latro.  piraia,  sicarius,  percussor,  planus,  plagiarius, 
marsipiarius,  strofosus.  chalda^is.  magus,  mathenmiicus.  psyllus,  für, 
nepos,  was  in  diesem  Zusammenhang  nur  Verschwender,  Tauge- 
nichts sein  kann  und  eine  Reihe  von  Verwandtschaftsnamen:  ab- 
nepos,  pro}iepos,  ncptis,  proneptis.  nepticula.  neptiger  (vgL  mlat.  sarariger 
=  uxoris  frater)  hervorgerufen  hat.  Diese  R^ihe  läiGst  sich  von 
parenticida  ab  eine  Strecke  weit  in  ihrem  Zusammenhang  mit 
dem  Vorhergehenden  rückwärts  verfolgen:  parens  48,  34,  cognatus 
32  {parentes  roman.  =  Verwandte!),  natio  28,  municeps  18. 

Von  }teptiger  48,  78  ab  ist  kein  leitender  sachlicher  Faden  zu 
erkennen.  Erst  54,  4  erscheint  mit  adulesccfis,  iuvenis  6,  adüUus  11, 
setiex  16,  veteranus  25,  pusilhon  2Sy  puUam  29  eine  Gruppe  von 
Altersbezeichnungen.  Eine  gröfsere  Reihe  Me  sacerdotiis'  hebt  dann 
tab.  55,  16  mit  sacer,  bez.  sacerdos  22,  pontifex  2b  an,  welche  deut- 
lich die  Spuren  ihrer  allmälilichen  Erwcitenmg  air  sich  trag^ 
indem  an  pontifex  die  christlichen  Priesterämter  episcopus,  papa 
etc.  angeschlossen  sind,  bis  mit  flamen  62  wieder  die  ältere  Reihe 
der   antiken   römischen  Priestemamen   beginnt   imd   bis  antistes 


Beiträge  zu  den  Tironischen  Noten.  33 

56,  4,  bez.  propitius  5  ohne  Anstofs  verläuft.  Ich  wage  übrigens 
die  Vermutung,  dafs  sich  die  Reihe  sacer  an  acer  54,  64,  alacer 
69  u.  8.  w.  angelehnt  hat. 

Eine  Kategorie,  die  von  *Tod  und  Unterwelt'  handelt,  fängt 
dann  58, 43  mit  mors  an  und  setzt  sich  mit  gröfseren  oder 
kleineren  Abschweifungen,  wie  49 — 60  (durch  di  inmortales  48 
veranlafst)  und  86 — 89  (die  biblischen  Ausdrücke  e  Sion,  ex  Sion, 
in  Sion,  Sion  an  das  fehlende  Ixion,  bez.  Ixsion  angelehnt, 
8.  Schmitz,  Beitr.  zur  lat.  Lit.  p.  303),  bis  59,  49  tabellarius  fort. 
Die  folgende  Titulaturensammlung  cle>nenHssimus  59,  51  bis  am- 
plissitnorum  virorum  83  hat  sich  wohl  an  das  letzte  Glied  der 
Reihe  Me  infemis'  n.  46  UtultAS  (Grabschrift)  angeschlossen. 

Auf  die  christliche  Kirche  bezieht  sich  im  Folgenden  die 
Reihe  apostolus  60,  14,  Martyr,  lesus  u.  s.  w.  bis  diaconus,  iunior, 
fossaritis  44:  zu  letzterem  vgl.  C.  Gl.  V,  632,  1  vespelliones:  fossarü 
qui  mortiws  sepdiunt  Es  folgt  ein  Abschnitt  Me  numeris'  61,  4 
semd  bis  61,  90  miUe  milia,  womit  ein  Kapitel  im  Casselanus 
endet. 

Nach  einer  kleinen,  auf  Freude,  Scherz  und  Spal's  bezüg- 
lichen Reihe  gaudet,  gemü,  laetiis,  scurray  sttdtus,  fatuus,  morio, 
ffurdtiSj  stölidus,  sannae,  subsannat  beginnt  mit  annus  62,  17  eine 
Rubrik  über  das  ^Kalenderwesen',  die  bis  63,  17  idus  sextilis  reicht. 
Sachliche  Ordnung  ist  dann  erst  wieder  65,  74  carcer  zu  erkennen, 
womit  ein  Abschnitt  über  ^Strafen'  anhebt,  sich  anlehnend  an 
Ausdrücke  des  Ernstes  und  der  Trauer:  65,  60 f.  severus,  tetricuSy 
austerusy  tristis,  maestus  12.  Die  Partie  *de  poenis'  verläuft 
zunächst  glatt  über  erga^tulum,  Imdumiae,  vinculiim,  eculeum  bis 
copuia  65,  95,  woran  sich  iungit  mit  Verwandten  leicht  anschliefst, 
an  dieses  wiederum  die  Verba  ähnlicher  Flexion  fingit  imd  pingit 
nebst  ihren  Sippen  bis  figidina^  66,  39,  bez.  iuxta  40,  was  von 
der  Gruppe  iungit  versprengt  scheint.  Von  da  ab  vermag  man 
nur  noch  einzelnes  dem  Abschnitt  Me  poenis'  Zugehörige  zu  er- 
kennen, wie  vexat  41,  2>wwif  52,  carnifcv  60,  crudelis  61,  cruciat  63, 
womit  der  Faden  abreifst. 

Der  nächste  Abschnitt  handelt  ^de  leguminibus'  von  tab.  68, 4 
frumentum  bis  praearat  68,  44,  ähnlich  den  Partien  in  den  Hermen. 
C.  GL  in,  193.  266  u.  a.,  angeschlossen,  wie  scheint  an  mendum 
'  67,  91.  Es  folgt  eine  Partie  *de  caelo'  über  Himmel,  Sonne  und 
Mond,  Tag  und  Nacht,  Jahreszeiten  u.  s.  w.,  beginnend  mit  inibei* 
68,  68,  anknüpfend  an  imheciUis  (bez.  imhuit)  68,  66,  das  wieder 

Archiv  far  lat.  Lezikogr.    XH.    Heft  1.  3 


34  W.  Heraeus: 

mit  dem  Vorhergehenden  durch  labefaeit  68,  63  und  adfliffit  68,  45 
verbunden  ist,  während  adfligit  keinerlei  Beziehung  zu  dem  vor- 
hergehenden (pra€)arat^  dem  Endwort  der  Rubrik  *de  legum.', 
erkennen  läfst.  Die  Vermutung  liegt  daher  nahe,  dafs  erat  das 
Anfangswort  imher  der  Rubrik  Me  caelo'  rückwärts  auf  hnbuit^ 
imherillisj  lahefaciiy  adfligit  geführt  hat.  Der  Abschnitt  *de  caelo' 
verläuft  zimächst  glatt  bis  tepidum  69,  67,  amoenum  72,  apricum  73^ 
opaami  74.  Auf  opacum  folgte  wohl  ursprünglich  das  klangver- 
wandte  opamm  93  (=  oppansum  aus  der  Vulgata,  s.  C.  Gl.  VI^ 
2  s.  V.),  dann  lassen  noch  hiJaris  94,  diutumum  99,  cbscurum 
70,  2  Zusammenhang  mit  der  Rubrik  erkennen,  worauf  die  Reihe 
abbricht,  wenn  man  nicht  in  ftdgtir  72,  12,  tonitrum  26,  lux  43 
die  letzten  Ausläufer  sehen  will.  Zwischen  opactim  imd  (^sum  aber 
haben  sich  wohl  an  letzteres  Wort  zimächst  pronum  02,  oblicum  91 
angelehnt,  an  dieses  wieder  ohlitus  mit  seiner  Sippe  und  das  sinn- 
verwandte ignaruSy  während  das  unmittelbar  auf  opacum  folgende 
acidum  75  vielleicht  durch  tepidum  67  (Wein!)  hervorgerufen  ist. 

Eine  neue  sachliche  Gruppe  wird  73,  60  mit  aqua  (vorher^ 
geht  acuit,  acu^  u.  ä.)  eingeleitet  und  verläuft  Über  mare^  pdagus, 
flumen,  Iif>€riSf  sanguiSy  lacrim<ie  74,  15,  um  welches  Wort  die 
Verba  des  Weinens  mit  Kompositen  gruppiert  sind  flet  74,  12^ 
pforat  74,  17.  An  flet  ist  offenbar  flat  74,  23  f.  angeschlossen  mit 
Verwandten,  von  denen  flahnim  28  wiederum  das  klangähnliche 
flagium  nebst  Deminutivum  v)3f.  veranlafst  hat,  imi  welches  sich 
endlich  die  sinnverwandten  fenda,  fustis,  lignum  35 — 40  eineraeits^ 
die  entsprechenden  Verba  coercety  conpescity  castigat  30 — 32  (hinter 
flahmm,  fldbellum)  andreraeits  gruppiert  haben.  Von  lignum^  be». 
lignarius  ab  ist  kein  Zusammenhang  mehr  zu  erkennen  in  frauSy 
Quirites,  Syraciisa  etc. 

Im  Folgenden  heben  sich  deutlich  drei  Gruppen  ab:  ^de  re 
poetica  et  graphica'  76,  10  poeta  —  76,  5<.)  dupl(mium,  *de  metallis 
et  armis*  77, 13  aurum  (hier  beginnt  ein  neues  Kapitel  in  den  Hdschr.) 
bis  77,  76  arcus  et  sagitta,  endlich  *de  membris  humanis'  78,  9 
mit  imago  ansetzend,  über  icon  (iconographiaj  comoedus,  comes), 
figura,  effigies,  characier  zu  den  Teilen  des  menschlichen  Körpers 
überleitend:  bticea,  maxiüa  etc.  bis  |>es  79,  45,  eine  Gruppe,  die 
in  den  Herm.  'de  membris  humanis'  betitelt  ist.  Dann  scheinen 
im  wesentlichen  Adjektiva,  die  auf  Eigenschaften  der  Menschen  * 
gehen  (*de  moribus  humanis'  in  den  Hermen.),  die  Ordnung  zu 
bestimmen:  79,  46  lenis  (unmittelbar  an  das  Schlufsglied  pes  des 


Beiträge  zu  den  Tironischen  Noten.  35 

vorhergehenden  Abschnittes  anknüpfend),  inanis  49,  maiurus  51, 
mitis  55,  gregalis  60,  lentus  64,  temuienttis  68,  ddidator  80,  99, 
noxius  100,  varius  81,  5,  effradarius  30,  conaeftmws  48,  sohritcs  53, 
woran  u.  a.  consobrinus  57  sich  anlehnt.  Unmittelbar  darauf  folgt 
ein  Abschnitt  *de  templis  et  dis':  81,  58  ctedis,  54  lovis,  66  Inno 
n.  8.  w.  bis  82,  15  de  teniplo,  Ausläufer  desselben  erkennt  man 
noch  in  der  Partie  83,  3  f.  Capitolinits,  Neptunus  etc.,  Isis,  sistrum, 
woran  sich  durch  naheliegende  Ideenverbindung  somnus  mit  Syno- 
nymen und  entsprechenden  Verben  bis  stertit,  stemutat  83,  34  an- 
schliefsen.  Mit  83,  72  Puteoli  setzt  dann,  auch  in  den  Hdschr. 
durch  Beginn  eines  neuen  Kapitels  gekennzeichnet,  der  grofse 
geographische  Abschnitt  ein,  Städte-,  Länder-  und  Völkemamen 
enthaltend,  und  reicht  bis  89,  16  liioralis. 

Nach  einer  kleinen  Pause  hebt  sich  eine  kleinere  Gruppe 
Me  mensuris  et  ponderibus'  von  90,  42  cyatJms  bis  90,  55  am- 
phora  ab,  desgleichen  eine  verwandte,  freilich  mit  fremden  Be- 
standteilen durchsetzte  'de  vasis  et  fictilibus'  (vgl.  C.  61.  III,  153. 
270  u.  a.)  96,  21  doleum,  cupa  22 y  Samos  25  (samische  Erde!), 
scutrum  34,  malctra  47,  idigo  48,  hition  56  (woran  sich  cenicm  55 
und  an  dieses  venum  u.  ä.  50flf.  angeschlossen  hat),  uma  75,  scy- 
phiis  97,  1,  lanx  2,  womit  Buch  III  schliefst.  Das  neue  Buch, 
mit  praetexta,  toga  anhebend,  behandelt  zunächst  die  „Kleidungs- 
stücke" und  Verwandtes,  z.  B.  die  verschiedenen  Färbemittel  und 
Farben  der  Kleider:  letztere  erscheinen  auch  in  den  Herm.  z.  B. 
61.  in,  370  unter  der  Rubrik  *de  vestimentis',  während  p.  22  und 
93  ihnen  ein  besonderer  Abschnitt  *de  coloribus'  gewidmet  ist. 
Von  99,  22  ab  eine  öruppe  Me  pellibus'  (wie  61.  III,  24  u.  a.)  über 
lorum,  segestre,  ansa  (Ose  am  Rande  der  Schuhsohlen,  womit  sich 
leicht  cuviim  und  terehra  verbinden)  bis  99,  54  malocorhim  (an 
corium  angelehnt).  Der  immittelbar  anschliefsende  Abschnitt  *de 
omamentis'  verläuft  glatt  von  99,  55  anuliis,  draco,  armilla  u.  s.  w. 
bis  sucineum  100,  2.  Während  der  ganze  Abschnitt  von  97,  3 
bis  100,  2  durch  den  Begriff  der  „Bekleidung"  zusammengehalten 
ist,  steht  der  folgende  100,  3  paries,  crafis,  clatriy  tigntim  etc.  bis 
101,  35  triclinium  unter  dem  der  „Wohnung^',  in  dem  alles,  was 
aus  Holz  und  Stein  ist,  aufgeführt  wird  (^de  habitatione'  in  den 
Herm.),  womit  sich  natürlicherweise  eine  6ruppe  *de  aereis' 
verbindet,  welche  eherne  Haushaltungsgegenstände  enthält.  Dieselbe 
beginnt  in  einem  neuen  Kapitel  im  Cassellanus  mit  101,  36  aes, 
aenum,  pelvis  u.  s.  w.,  libra  74  und  Verwandte  bis  charistion  80 

3* 


36  W.  Heraeus: 

(xecQiörimv,  auch  eine  Art  Wage,  s.  u.),  hicema  95,  jworum  sich 
dann  alles  mögliche  auf  Feuer  und  Verbrennung  Bezügliche  grup- 
piert (vor  lucema  die  leicht  rückwärts  zu  verfolgende  Reihe  lucur 
braty  cereum,  faXy  hynien,  thalamuSy  festtiSy  faiisUiS),  bis  mit  camt- 
num  71,  vapar  72,  nUnim  81  die  letzten  Ausläufer  noch  sichtbar 
sind.  Hinter  rutrum  beginnt  mit  edit  102,  82  ein  Abschnitt  ^de 
escis",  der  bis  frusteUum  104,  2  ohne  Anstois  abläuft  und  dann 
durch  die  Zwischenglieder  secat,  fcHx,  pahulum  in  eine  Reihe  ^de 
herbis  et  arboribus'  übergeht  bis  106,  36  Sirenes  (an  die  Wald- 
gottheiten Pafiy  SüvantiS  etc.  angeschlossen),  so  jedoch,  dafs  ohne 
erkennbare  Ideenverbindung  (es  sei  denn  der  Begriff  des  Weins, 
der  aber  erst  105,  44  auftaucht)  sich  zweimal  kleinere  Reihen 
*de  potionibus'  eingeschoben  haben:  103,  83 — 99  sorbüiOy  gula  etc. 
und  104,  64  potio  bis  meratum  80,  femer  die  auf  den  Weinstock 
bezügliche  Gruppe  vitis  105,  44  hinter  racemus  57  eine  bis 
scrupea  97  vor  uva  08  reichende  gröfsere  Digression  erfahren  hat, 
die  zwar  zuerst  bis  cannüy  cannxda  80  f.  ihre  Zugehörigkeit  nicht 
verleugnet,  dann  aber,  wohl  aus  Anlafs  von  calamiis  78  und 
canna  80,  als  „Schreibrohr''  gedacht,  abschweift  zu  pennay  plunui, 
cHeSy  aviSy  nidua,  pumex  (wieder  Schreibmaterial!),  scrupea  97  (ge- 
glättet durch  pumex).  Erst  das  folgende  uva  schliefst  wieder  an 
racemus  57  an. 

Die  Grenze  der  folgenden,  durch  Abschweifungen  wenig  unter- 
brochenen Abschnitte  sind  leichter  zu  erkennen  und  daher  z.  T. 
schon  in  den  Hdschr.  kenntlich  gemacht:  ^de  re  ludicra'  (Theater, 
Musik,  Agonistik  etc.)  106,  37  plodü  bis  108,  17  agoniÜietes,  woran 
sich  in  natürlicher  Ideenverbindung  wilde  Tiere,  dann  zahme  an- 
schliefsen  108,  18  leo  bis  109,  62  formica.  Es  folgt  die  Gruppe  *de 
navigatione'  von  109,  63  navis  bis  110,  62  UntriSy  im  wesentlichen 
Schiffsnamen  und  Schiffsteile  enthaltend  (die  Digression  110,  38 — 
51  glohuSy  glomuSj  gluten  u.  s.  w.  ist  sichtlich  durch  limmi  110,  29 
hinter  retis  veranlafst).  Daran  schliefst  sich  naturgemäfs  eine 
Reihe  'de  ventis'  an,  von  110,  63  ventus  bis  110,  85  Aeolus]  zwi- 
schen die  letzten  Windnamen  hat  sich  bosforus  71)  und  aequor, 
-ium  81  f.  geschoben,  die  zum  folgenden  Abschnitte  'de  maribus' 
(so  C.  Gl.  in,  245  fg.)  gehören,  der  von  2>cfm  86  bis  111,  4  nmre 
Adriaticum  reicht.  Hierauf  Me  re  medica  et  morbis'  111,  5  ^nedicus 
bis  112,  40  tuberosum  (dazwischen  ein  Abschnitt  'de  avibus' 
111,  30  hirundo  bis  43  noctua,  angeschlossen  an  hiscus,  luscinia 
18  fg.),  'de  re  vehicularia'  112,  41   iumentum  bis  91  mangonizat, 


Beiträge  zu  den  Tironischen  Noten.  37 

*de  piscibus  et  anguibus'  112,  92  piscis  bis  113,  30  chimaerc^ 
Dann  ein  Abschnitt,  der  von  Gewässern  und  ähnlichem  handelt, 
beginnend  mit  113,  31  umor  —  st^nis  —  mador  —  limfa  — 
liquoTy  stagnum  etc.,  bis  mit  psychölutra  und  balneum  114,  21  f. 
Ausdrücke,  die  sich  auf  Bäder  beziehen,  einsetzen,  woran  sich 
45 — 47  im  Bade  gebrauchte  Büchsen,  auf  -tfiecium  endigend, 
angeschlossen  haben,  welche  Gruppe  wiederum  die  Reihe  iheca  39 
mit  Kompositen  bis  bihliotheca  42  yeranlafst  hat,  woran  monolnblia, 
hibliopola  43  f.  sich  anlehnten  und  endlich  die  gleichfalls  grie- 
chischen metrischen  Ausdrücke  48—62  hexameter  bis  palhnbachius. 
Den  SchluTs  machen  Eigennamen  von  Personen^  alphabetisch  ge- 
ordnet: 114,  63  Attius  —  119,  10  Zeuxis*)^  und  eine  bunte  Reihe 
biblischer,  der  Vulgata  entnommener  Ausdrücke  bis  120,  78. 

So  haben  wir  von  tab.  33,  21  an  eine  fast  nicht  unterbrochene 
Reihe  von  sachlichen  Kategorien,  wie  folgender  Überblick  zeigen 
mag,  bei  dem  jedoch  zu  beachten  ist,  dafs  die  Grenzen  hier  und 
da  fliefsend  sind  und  mehrere  auf  einander  folgende  Abschnitte  ge- 
legentlich unter  einen  höheren  Begriff  sich  zusajnmenfassen  lassen: 

de  cognatione  33,  21  —  36,  27 

de  honoribus  36,  28  —  38,  61 

(dazwischen  de  agricultura  37,  15  (21)  —  38,  50) 

de  divitiis  40,  17  —  42,  51 

de  vitiis  humanis  42,  52  —  44,  63 

de  tempore  et  annis  44,  64  —  45,  17 

de  re  militari  45,  18  —  46,  86 

de  sceleratis  48,  36 — 78 

de  aetate  hominum  54,  4 — 29 

de  sacerdotiis  55,  16  —  56,  5 

de  rebus  infemis  58,  43  —  59,  49 

de  bonorum  nominibus  59,  öl — 83 

de  ecclesia  christiana  60,  14 — 44 

de  numeris  61,  4 — 90 

de  calendario  62,  17  —  63,  17 

de  poenis  65,  74  —  66,  63 

de  leguminibus  68,  4 — 44 

de  caelo  68,  68  —  70,  2 


•)  Eine  sorgfältige  Untersuchung  über  Anordnung  und  Quellen  dieses 
Abschnittes  findet  man  bei  Heinr.  Breidenbach,  Zwei  Abhandlungen  über 
die  Tironischen  Noten,  Darmstadt  1900. 


38  W.  Heraeus: 

de  aqua  73,  60  —  74,  22 

de  re  poctica  et  graphica  76,  10 — 50 

de  metallis  et  armis  77,  13 — 76 

de  membris  humanis  78,  9  —  79,  45 

de  moribus  humanis  79,  46  —  81,  57 

de  templis  et  dis  81,  58  —  82,  15 

de  terris  83,  72  —  89,  16 

de  menßuris  et  ponderibus  90,  42 — 55 

de  fictüibus  96,  21  —  97,  2 

de  vestimentis  97,  3  —  99,  21 

(dazwischen  de  aromatibus  et  coloribus  98,  66  —  99,  4) 

de  pellibus  99,  22—54 

de  omamentis  99,  55  —  100,  2 

de  habitatione  100,  3  —  101,  35 

de  aereis  101,  36  —  102,  81 

de  escis  102,  82  —  104,  2  (10) 

de  herbis  et  arboribus  104,  11  —  106,  36 

(dazwischen  de  potionibus  103,  83—99  und  104,  64—80) 

de  vite  105,  44  —  106,  36 

de  re  ludicra  106,  37  —  108,  17 

de  feris  bestiis  108,  18  —  109,  62 

de  navigatione  109,  63  —  110,  62 

de  ventis  110,  63—85 

de  mari  110,  86  —  111,  4 

de  re  medica  et  morbis  111,  5  —  112,  40 

(dazwischen  de  avibus  111,  30 — 43) 

de  re  vehicularia  112,  41 — 91 

de  piscibus  et  anguibus  112,  92  —  113,  30 

de  aquis  113,  31  —  114,  62 

(Nomina  propria  personarum  114,  63  —  119,  10) 


n.   Das  Verbum  in  den  Tironischen  Noten. 

F.  Ruefs  hat  sich  in  dieser  Zeitschrift  Bd.  IX,  237  fif.  der 
dankenswerten  Aufgabe  unterzogen,  nach  Vergleichung  des  Wort- 
bestandes des  Georgesschen  Lexikons  mit  dem  der  Tir.  Noten  den 
Gewinn,  den  das  lateinische  Wörterbuch  aus  den  Noten  zieht,  in 
übersichtlichen  Listen  zu  veranschaulichen.  Die  rund  1000  neuen 
Wörter,  im  wesentlichen  Ableitungen  einer  späteren  Zeit>  welche 


Beiträge  zu  den  Tironischen  Noten.  39 

die  Bildungskraft  der  lat.  Spra>che  zu  bezeugen  und  auf  manche 
dunkle  Schriftstellen  Licht  zu  werfen  geeignet  sind^  reducieren 
sich  allerdings  bei  näherem  Zusehen  bedeutend,  da  der  Verf.  in 
seine  Listen  beim  Verbum  z.  B.  neben  den  Praesentia  auch  die 
Perfecta  und  Supina  vielfach  aufgenommen  hat  (composcit^  com- 
poposcit;  retingit,  retinxit,  retinctum  u.  a.;  invilescit,  inviluit  und 
so  bei  den  meisten  Incohativis),  andererseits  viele  Wörter  aufführt, 
die  nur  in  der  Schreibung  von  bekannten  abweichen,  wobei  er 
durch  den  Umstand  entlastet  erscheint,  dafs  er  sich,  da  doch  kein 
Kommentar  gegeben  werden  sollte,  streng  an  Schmitz'  Index  ver- 
borum  gehalten  hat,  dessen  Mängel  in  anderer  Beziehimg  Verf. 
selbst  p.  236  beklagt.  Dieser  Index  ist  in  der  That  nur  zu  ge- 
eignet, den  Benutzer  der  Noten  irre  zu  führen,  ganz  abgesehen 
davon,  dafs  Schm.  bei  zweifelhaften  Wörtern  sehr  oft  seine  An- 
sicht nicht  erkennen  läfst,  obwohl  er  im  allgemeinen,  was  sich 
mir  bei  Durcharbeitung  der  Noten  immer  klarer  herausgestellt 
hat,  über  einen  grofsen  Teil  derselben  zu  gut  denkt  und  gegen 
die  gesunde  Skepsis,  die  der  alte  Kopp  in  seiner  Talaeographia 
critica'  beweist,  nicht  immer  mit  triftigen  Gründen  opponiert. 
So  steht  exsuit  83,  56  in  einer  Reihe  suit  mit  Kompositen,  dar- 
unter persuit  unbelegt,  resuit  nur  aus  Sueton  nachgewiesen  (dazu 
C.  Gl.  V,  577,  53  f.,  mit  dissuere  erklärt).  Dazu  bemerkt  Schm. 
^exuif?  Kopp  n,  501^,  merito  ipse  dubitans'.  Trotzdem  hat  K.s 
Ansicht  die  gröfste  Wahrscheinlichkeit  für  sich.  Denn  erstens 
ist  zu  beachten,  dafs  exuH  sich  sonst  in  den  Noten  nicht  findet, 
zweitens,  dafs  exstw  eine  ganz  gewöhnliche  Schreibung  in  Hdschr. 
ist  (z.  B.  im  Med.  Verg.  A.  8,  567),  die  Cassiodor  sogar  fordert 
C.  Gr.  L.  VII,  204,  4  mit  der  Begründung,  dafs  es  ein  Kompositum 
von  stwre  sei.  Was  lag  also  näher,  als  daXs  man  exuit  in  der 
Reihe  suit  unterbrachte,  zumal  mangels  eines  Simplex  uit?  Ahnlich 
steht  exsoldum  40,  38  hinter  ohsolehim,  excreat  89,  28  hinter  creat 
als  scheinbares  Kompositum  von  creat  neben  den  wirklichen  re- 
und  procreaty  wo  doch  niemand  zweifelt,  dafs  exscreat  gemeint  ist. 
Auch  dilti*)  und  perduit  94, 29  neben  induit  zeigen  die  mechanische 


*)  Das  Stenogramm  weist  freilich  auf  diduit^  was,  obwohl  sonst  nicht 
belegt,  nicht  undenkbar  ist  als  alte  Form  für  didat^  aber  nicht  eben  wahr- 
scheinlich, da  sonst  das  gewöhnliche  Simplex  fehlt.  In  diesen  und  anderen 
Fällen  ist  wohl  nach  der  Verderbung  des  Wortes  das  Wortbild  entsprechend 
abgeändert  worden  (wie  schon  Kopp  an  anderen  Stellen  annimmt),  wenn 


40  W-  Heraens: 

Einreihungsweise  der  Noten  und  sind  offenbar  die  archaischen  Kon- 
junktive =  detj  perdat,  keine  Verba  (di)dHO  und  perdtio,  wie  Ruefs 
anzunehmen  scheint.  Femer  müssen  offenbare  ß^kompositionen  aus- 
scheiden wie  adspargit  64,  91  (vgl.  conspargit  93),  ambagit  41,  45 
(vgl.  iransagit  ebd.  und  das  zweifelhafte  prosagit,  s.  u. ;  das  folgende 
Perf.  ambegit  wird  noch  C.  Gr.  V,  456,  10  =  Anecd.  Helv.  p.  74,  32 
ohne  Beleg  citiert),  adsallire  128,  52*)  =  adsilire  „überfallen^. 
Von  diesen  Bildimgen  ist  adspargit  (bez.  con-)  in  späten  Texten 
ganz  gewöhnlich  und  unbedingt  für  sie  anzuerkennen  (vgl.  George» 
Lex.  d.  Wtf.  s.  V.  asp,  und  die  Glossen  C.  Gl.  VI  s.  v.  Auch  in- 
schriftlich Ludi  saec.  VII  col.  III,  75  adsparmt  und  Anth.  lat.  ep. 
525,  6  (Afrika)  asparsus)^  auch  sonst  als  Variante  nicht  selten, 
namentlich  in  jüngeren  Hdschr.,  so  Varr.  r.  r.  3,  16,  35  zweimal, 
von  Keil  aufgenommen,  während  Vel.  Long.  p.  75,  7  aspergo  als 
Verbum  vom  Subst.  aspargo  scheidet.  Bei  ainbagit  wie  transagit 
kann  es  zweifelhaft  sein,  ob  die  Formen  nicht  ihre  Entstehung  der 
in  den  Noten  öfters  befolgten  Sitte  verdanken,  dafs  nach  dem 
Simplex  in  den  folgenden  Noten  der  Kürze  halber  nur  die  Pro- 
fixe  der  Komposita  gesetzt  werden,  woraus  sich  wohl  Schreibungen 
wie  adfacitf  cofifacif  22 y  39  f.  erklären.  Obwohl  die  Möglichkeit 
nicht  geleugnet  werden  kann,  dafs  dergleichen  Rückbildungen 
wirklich  einmal  lebendig  waren,  wie  sie  ja  das  Romanische  viel- 
fach voraussetzt:  so  das  oben  genannte  adsallire  (assaillir),  conqtiae- 
rere  (conquerir,  auch  archaisch:  G.  I.  I,  198,  31.  34.  551  conquae- 
sivei),  excarpere  (in  ital.  scarso,  C.  Gl.  V,  547,  44  excerpta:  excarsa^ 
578,  15  scarpo**):  digo,  Aeth.  Ist.  66  excarpstim),  dispartire  (it.  dis- 
partire,  Gl.  II,  272,  49),  commandare  (Commander,  so  Not.  Tir. 
30,  65,  von  Vel.  Long.  p.  73,  11  sogar  als  gebräuchlich  bezeichnet), 
condamnare  (condamner,  s.  C.  Gl.  VI  s.  v.),  consacrare  (consacrer: 
zweimal  im  Mon.  Ancyr.  und  in  C.  I.  X,  7501  aus  derselben  Zeit^ 
sehr  oft  auf  afrikan.  Inschr.,  s.'  Seelmann  Ausspr.  60,  und  in 
Gloss.,  wie  C.  Gl.  III,  403,  25.  IV,  388,  48  etc.  Zweifelhaft  ist 
mir  auch  snhagitat  Not.  Tir.  76,  77  unter  Kompositen  von  agitaty 


man  nicht  Ausfall  einer  ganzen  Note  annehmen  will.  C.  Gr.  L.  IV,  203,  2S 
ist  diduoi'  m.  E.  aus  cidxior  verschrieben. 

•)  In  einem  späteren  Abschnitt«,  der  Ausdrücke  der  4ex  Salica'  ent- 
hält, wie  concambiare  (changer),  maUare  (gerichtl.  ansprechen),  adrhamire 
(geloben,  bestätigen),  deraubare  (cf.  derober;.  Dieselben  bleiben  im  Fol- 
genden unberücksichtigt. 

**)  Nach  Lommatzsch  Rh.  M.  52,  304  ist  das  s  alier  Anlaut. 


Beiträge  zu  den  Tironischen  Noten.  41 

die  bis  auf  reagitat  auch  sonst  bekannt  sind:  suhigitat,  das  man  hier 
erwartet,  fehlt  in  den  Noten  und  war  von  vornherein  in  seiner 
Bildung;  ob  von  suhigo  oder  von  agito,  nicht  klar.  Die  Pseudo- 
Rekomposition  findet  sich  auch  C.  Gl.  II,  463,  48  inskavvfo'  sub- 
ago,  subagito,  —  Umgekehrt  bieten  considet  50,  28  und  (Uligit 
25,  62  keine  neuen  Verba,  sondern  das  nach  Analogie  von  resideo 
u.  a.  abgewandelte  späte  cansedeo  (s.  Georges;  C.  Gl.  II,  440,  4 
consideo)  und  das  nach  cdligo  gebildete  adUgo:  vgl.  Ter.  Scaur. 
p.  26,  8  lego,  cdligo,  cclligo,  pdligo  dicimus. 

Scheinbar  neue  Komposita  vom  unpersönlichen  licet  bieten  in 
der  mit  licet  22,  4  beginnenden  Reihe  die  Formen  alUcet,  elicety 
perlicet.  In  Wirklichkeit  sind  es  vul^re  Bildungen  nach  der 
IL  Eonj.  für  die  sonst  in  den  Noten  fehlenden  allicit  etc.  Charisius 
p.  244,  18  und  Diomedes  p.  367,  12  erkennen  alliceo  und  pelliceo 
an;  C.  Gl.  II,  267,  51  heifst  es:  deked^G)  itüecebrOj  pelliceOy  aUiceOy 
inliceo,  inlicio]  Placidus  C.  Gl.  V,  91,  19  glossiert  pellicens:  per- 
suadens  und  wendet  p.  3,  16  in  einem  freien  Sallustcitat  pdlicet 
an;  IV,  139,  25  steht  peUaci  a  pdlicetidOy  270,  20  pelUcet  Hier 
liegt  also  wirklicher  Übergang  in  die  IL  Konj.  vor  wie  bei  ini^dlat 
44,30  (vgl.  Du  C.  und  C.  Gl. VI  u.VII  s.  v.  pcllator  und  compello),  und  der 
Sammler  brachte  die  Komposita  unter  licet  unter.  Zweifelhafter  ist 
schon  rüget  120,  25  (trotz  Diom.  367,  11  rugex),  ruxi;  rugio,  rugivi 
bildet  Hieronymus),  zumal  da  rugetns  folgt,  das  selbst  Schm. 
nicht  anerkennt,  dann  siiget,  sugitus.  Hier  wie  bei  sopei  83,  26 
haben  wir  es  wohl  mit  einer  vulgären  Schreibung  zu  thun,  aus 
der  keine  Schlüsse  auf  weitere  Konjugation  der  Verba  zu  ziehen 
sind.  Dafs  die  Stenogramme  die  Endung  -et  zeigen,  kann  natür- 
lich nichts  dagegen  beweisen.  Ahnlich  liegt  der  Fall  bei  remoU 
Hat  73,  21,  deniolliut  73,  20%  wo  Kopp  bemerkt  'notae  termina- 
tionem  male  effictam  esse  puto':  es  sind  Vulgärbildungen  für  die 
bekannten,  regelmäfsigen  remollit,  demollit,  vgl.  spätlat.  aileviare  = 
ital.  alleggiare,  disturpiat  42,  60  (so,  nicht  -pat  hat  u.  a.  der  cod. 
Cassell.)  und  vieles  andere  im  Komanischen,  das  auch  mölliare 
voraussetzt. 

Eine  ganze  Reihe  von  neuen  mit  dis-  zusammengesetzten 
Verben  bieten  scheinbar  die  Noten:  diiurat,  diludit,  disrendit, 
distruity  divehit,  diliberat,  dipilat,  dibatiut,  dilacrimat.  Die  Noten- 
bilder zeigen  überall  di-.  Trotzdem  mufs  schon,  ganz  abgesehen 
von  der  sachlichen  Unwahrscheinlichkeit  der  Bildungen  (nur  di- 
pilat  =  dispilat,  wie  GL  II,  435,  19  und  441,  39  steht,  wie  Not. 


42  W.  Heraeus: 

Bern.  17,  97,  liefse  sich  hören),  der  Umstand  stutzig  machen,  dafs 
die  zu  erwartenden  Komposita  deinrat,  deluditj  descendit  u.  s.  w. 
fehlen.  Charakteristisch  hierfür  ist  discendit  58,  3  hinter  ascendit, 
eonscendUy  wo  in  den  interpolierten  Hdschr.  descendit  mit  dem 
entsprechenden  Stenogramm  eingeschoben  ist.*)  Die  Schreibung 
discendit  ist  in  Hdschr.  und  Glossen  bekanntlich  ungemein  häufig 
(Lachm.  Lucr.  p.  371.  Roensch,  Itala  463.  C.  61.  VI  s.  v.),  auch 
inschriftlich  nachzuweisen  C.  I.  VI,  142  (Ende  3.  Jhdt.)  discensio, 
und  wird  noch  dazu  ausdrücklich  verworfen  Ton  Caper  p.  92,  2 
(vgl.  Beda  p.  271,  16).  Und  ebenso  wird  es  mit  den  übrigen 
Bildungen  stehen,  zu  denen  ich  auch  diUissat  71,  55  rechne,  was 
Schm.  als  dilaxat  fafst,  wohl  wegen  des  vorhergehenden  Ictssanien, 
das  allerdings  höchst  wahrscheinlich  =  laxanien  ist  (s.  weiter 
unten).  Allein  dieses  hat  sich  nur  in  die  Reihe  lassus,  Jassi- 
tndo,  la^scscit,  deldssat  eingeschoben.  Die  Verwechslung  der  Prär 
fixe  de-  und  rf/s-,  die  wohl  von  Fällen  wie  detnoveo  dimoveo,  de- 
strimjo  disiringo  ausging,  hat  ja  im  Romanischen  zur  teilweisen 
Verdrängung  von  de-  durch  dis-  geführt,  z.  B.  im  ital.  disdegnare, 
frz.  dedaiguer.  So  ist  disvestire  128,  54  (mit  de-,  bez.  dispoHatt 
hinter  deratdßare  der  lex  Sal.,  gewissermafsen  als  Erklärung)  der 
Ersatz  för  klass.  devestire:  frz.  d^vetir.  Auch  discertat  34,  83 
erscheint  jetzt  in  einem  anderen  Licht  und  wird  um  so  zweifel- 
hafter, als,  ähnlich  wie  bei  discendit  oben,  das  regelmäfsige  rfe- 
certat  in  den  interpolierten  Hdschr.  eingeschoben  ist;  bei  Plautus 
wird  es  immerhin  zweifelhaft  bleiben  trotz  der  Glosse  discertat: 
plus  certat  IV,  409,  45  (vgl.  auch  Götz  Arch.  11,  347)  und  rfw- 
cerfatio  cod.  Cant.  Act.  apost.  15,  39,  wo  dissensio  vg.  =  :ra(»o- 
^vöfAog  des  Originals.  Ahnlich  steht  es  mit  disturpat,  oder  viel- 
mehr disturpiat  (s.  o,)  42,  60,  wobei  wieder  deturpat  nachge- 
tragen ist,  das  nicht  nur  bei  Suet.,  Plin.  n.  h.  imd  Hieronymus 
(Paucker,  Suppl.  1.  1.  s.  v.^  und  in  alten  Bibelhdschr.  (Boensch, 
It.  190)  begegnet,  sondern  auch  bei  Fronto  p.  46,  Firm.  math. 
p.  276,  5  Kr.,  Fulg.  p.  161,  1  Helm,  Don.  Ter.  Eun.  4,  4,  3,  Acr. 
Hör.  n.  p.  4,  Schol.  luv.  8,  15  Lomm.  u.  a.  Endlich  werden  auch 
disfatiifat  72,  37  und  distcnjit  49,  3'  unter  diesem  Gesichtspunkt 
verdächtig,  dafs  sie  nichts  weiter  als  die  vulgären  Formen  von 
def,  imd  dci.  sind. 

•«  Der  umgekehrte  Fall  liegt  7.  65  vor,  wo  hinter  diribtt  in  jenen 
Hdschr.  das  viilgßre  dtriJnt  ,vgl.  C.  Gl.  VI  s.  v.)  eingeschaltet  erscheint, 
was  keineswegs  'wohl  sicher'  dehibet  ist,  wie  Kuefs  p.  243  meint. 


Beiträge  zu  den  Tironischen  Noten.  43 

Andere  blofe  in  vulgärer  Schreibung  erscheinende  Verba  sind 
fluvitat  73,  92  =  fluitat  (so  Verg.  A.  5,  867  cod.  R,  10,  306  Bern,  c), 
scutit  102,  52  =  excutit  (ital.  scuoto,  vgl.  Gl.  V,  515, 16  sciissores: 
qui  i(icula  mittunt  und  61.  VI  s.  v.),  oborsiis  92,  97  =  obortus 
(vgl.  Par.  Ep.  Val.  Max.  I,  7  ext.  10  und  die  Stellen  für  das  im 
Spätlat.  häufige  adorsus  bei  Georges  Wtf.,  Gl.  IV,  22,  61  auspi- 
catus:  adorsus,  sowie  für  aborsus  ebenda  und  C.  Gl.  VI  s.  v.),  eruncMt 
96,  98  =  eruncat  (Vgl.  Paul.  Fest.  69  derunciant:  depurgant,  wo 
deruncinant  vermutet  wird,  wie  auch  Schm.  -inat  liest),  ventulat 
110,  64  =  Ventilat  (vgL  ital.  sventolare  =  exv.,  C.  Gl.  IV, 
571,31  u.a.).  Beu^cerat  111,  86*  ist  späte  Form  für  redulcerat 
(Col.,  Amm.),  ebenso  reambidat  90,  38  (wie  Gl.  IV,  97,  42)  für 
redambulat  (Plaut.),  und  reornat  33,  89  fiir  redornat  (Tert.,  s. 
Wölfflin  Arch.  8, 278),  wie  im  Spätlatein  reimliio  (Bemer  Palimpsest 
5.  Jhdt.  bei  Weyman,  Abh.  fiir  Christ  S.  149  A.  4)  neben  redinduo 
steht,  reinvefüo  (Beda:  s.  Arch.  III,  501;  ital.  rinvenir)  neben  red- 
invenio,  reaccendo  neben  redaccendo,  reoletio  Gl.  III,  429,  29  neben 
redolere  (vgl.  Sen.  ep.  91,  21  niors  malatn  olitionem  habet,  jetzt 
nach  den  Hdschr.  wieder  hergestellt).  Ganz  singulär  und  ohne 
die  entsprechenden  älteren  Bildungen  mit  red-  sind  dagegen  in 
.den  Tir.  Noten  reagitat,  reeminet  (s.  unten),  reorat,  reonerat,  re- 
ungit  (reunctor  bei  Plin.  mai.  ist  geringere  Überlieferung),  welche  das 
von  Wölfilin  a.  a.  0.  gereinigte  Material  bei  Georges  (reaedifico, 
reaccendo  yreexinanio,  reexpecto,  reinvito,  reitero)  noch  vermehren. 
Aus  den  Glossen  kommen  hinzu:  reaudio,  rehisco  (neben  redhibeo, 
redhalo,  redhostit),  reamico,  rehidino,  renstus,  reunitiOy  s.  C.  Gl.  VI 
und  VII  8.  V.;  anderweitig  reingredior  (Arch.  IV,  268)  imd  rehiter- 
preior  (ArcL  III,  501).  Endlich  sind  Formen  wie  abligat  29,  74, 
percuUt  11,  44',  praecidit  11,  46,  wie  sie  R.  als  Komposita  von 
ligare  und  cadere  annimmt,  schon  deshalb  verdächtig,  weil  die 
gewöhnlichen  ahlegat,  percidit,  prarcldit  dann  fehlen  würden.  In 
den  betreffenden  Reihen  sind  die  Komp.  von  cado  imd  caedo, 
ligo  und  lego  völlig  durcheinandergeworfen. 

Verdächtig  immerhin  sind  Bildungen  wie  (dvescit  119,  18 
hinter  alvus,  alvolus,  obwohl  eine  abweichende  Note  für  albescU 
93,  49  vorhanden  ist;  instagnat  113,  77  zwischen  stagnum  und 
stagnosus  ist  möglicherweise  kein  Kompositum  von  stagnum  oder 
stannum  ^Zinn',  das  im  Spätlatein  stagnum  lautet  (ital.  stagno), 
sondern  ein  durch  Vokalvorschlag  (istagn.)  verdorbenes  Simplex, 
steht  übrigens  Aeth.  cosmogr.  p.  89  Riese  =  versumpfen.     Ahn- 


44  W.  Heraeus: 

lieh  liegt  der  Fall  bei  inspurcat  52,  22,  wo  man  spurcat  ungern 
vermifst,  obwohl  impurco  bei  Sen.  phil.  erscheint.  Conliberat 
34,  29  könnte  cofüihrat  sein,  confempfat  89,  21'  =  contentat  nach 
bekannter  Schreibung,  von  contentus  (Gl.  II,  244,  49  iQxcvfita 
contento  und  Du  C),  obwohl  auch  ein  Intensivum  von  contemno  denk- 
bar ist,  das  61.  Y,  449,  24  als  Erklärung  von  dedignatur  sich  findet; 
schwerlich  aber  liegt  ein  Komp.  von  iempto  *  versuchen'  vor, 
trotzdem  es  vom  Interpolator  an  diese  Reihe  angeschlossen  ist. 
Die  Formen  praetaedet,  pra^taesum,  praetaedescit  46,  93fiF.  sind 
schon  von  Kopp  verdächtigt,  mit  um  so  mehr  Recht,  als  die  ge- 
wöhnlichen perfaedet  etc.  in  den  Noten  fehlen.  Das  auffallende 
reemifiet  25,  20^  hinter  praeminet  wird  nichts  als  praeeminet  sein. 
Bei  der  eigentümlichen  Einordnungsweise  der  Noten  ist  auch 
submeat  80,  42  möglicherweise  =  submeiaiy  subgeiat  =  suhgilat 
(subgilat  in  Hdschr.  öfters),  obwohl  sugülat  82,  46  erscheint; 
classescit  89,  94*  =  cassescit?,  cofinitescit  113,  62  =  connivescU, 
das  in  den  Noten  fehlt;  dispadat  und  expadat  63,  25  f.,  mit  de- 
nen die  Herausgeber  nichts  anzufangen  wissen,  sind  vielleicht 
Komp.  von  pcindare.  Sicherer  scheint  mir,  dafs  coamit  73,  48* 
(diese  Note,  nicht  69,  80  meint  wohl  auch  Ruefs),  interpoliert 
unter  Komp.  von  acuo,  Perf.  von  coacesco  ist,  wie  es  ja  auch 
69,  80  in  der  Reihe  a^^iduMy  acetum,  acescit  begegnet  (vgl.  Althochd. 
Gl.  UI,  297  coacHo:  in  arefum  vertor,  isuren,  auf  Hier.  prol.  Proverb. 
coacuerint  zurückgehend). 

Es  bleiben  noch  einige  Bildungen  zu  besprechen,  die  den 
Eindruck  der  Fiktion  machen,  wie  praedit,  praedidit  unter  Komp. 
von  dare  12,  69",  das  wohl  nur  aus  dem  Part,  praeditus  erschlossen 
ist,  wie  perplccUtur  65,  52  aus  perplvxns  65,  55.  Vielleicht  ist  auch 
mbnititur  74,  81  aus  subnixus  gemacht  und  effulcit  72,  V*  aus  (f- 
fulfits,  doch  mahnt  die  Glosse  II,  467,  54  vTtoörrjQi^io  effulcio  5m7>- 
f)dcio  perfidcio*)  zur  Vorsicht  (Apul.  met.  2,  21  ist  effxdcii  eine 
nicht  eben  wahrscheinliche  Konj.  von  Blümner  für  effidtis:  vgl. 
Ärch.  IX,  308).  Sicherer  ist,  dafs  in  den  Noten  gelegentlich  Kom- 
posita mit  der  Präposition  in-  aus  negierten  Participien  fingiert 
sind.  Bezeichnend  ist  für  mich  inidciscitur,  das  in  den  interpo- 
lierten Hdschr.  hinter  hUhs,  hudtns,  nlciscitur  eingeschoben  ist. 
Dasselbe    dürfte    für    das    auch    vom    Cassellanus    gebotene    in- 


*)  Auch  Not.  Tir.  72,  3,   dagegen   ist  Auct.   pan.  Pis.  98  permulcere 
die  bessere  Überlieferung. 


Beiträge  zu  den  Tironischen  Noten.  45 

punit  66,  54  zwischen  punit  punitus  und  inpunitus  gelten,  viel- 
leicht auch  für  inf'atigat  12,  34,  immemorat  30,  16*  (wegen  im- 
memor  und  immemorabilis  ebd.?),  inviolat  53,  38  in  der  Reihe 
v^idat,  inviolat,  transvioJ^it,  inviolutus,  wo  übrigens  auch  involat 
und  transvolat  im  Spiele  gewesen  sein  können  (vgL  die  auffallenden 
Komp.  renecat  und  subnecat  Ib,  22  f  nach  renegat,  subnegat  3, 11  ff.? 
u.  ä.).  Doch  ist  inviolat  als  verstärktes  violat,  das  allein  klassisch 
ist,  nicht  unmöglich  (anders  ist  Anth.  Lat.  ep.  1289,  1  casto,  bona, 
inviolans  auf  afrik.  Inschr.,  nach  innocens  gebildet),  wie  denn 
conviolo  bei  Kirchenschriftst.,  atviolo  C.  I.  L.  XTV,  128  n.  1153, 
oimdo  Gruter  996,  13  (ne  mea  ossa  obvioles),  deviolo  im  Pactus 
Alamann.  frgm.  lU  §  24  ed.  Lehmann  (ßi  qiiis  puellam  de  gyna^ceo 
demciaverit,  nach  devirgino?)  sich  findet,  während  eviolo  Prop.  1, 
7,  16  offenbar  verdorben  ist,  das  schon  citierte  transviölo  aber 
zwar  zur  Not  ab  verstärktes  viölo  nach  frz.  tres  sich  erklären 
lalst,  aber  verdächtig  bleibt.  Ahnliche  Erwägungen  lassen  Zweifel 
offen  an  insepdit  58,  63*,  eingeschoben  zwischen  sepdit,  sepnltuSj 
insepiiltus;  immerhin  ist  ensevdir  nicht  altfranzösisch.  Sicherer 
scheint  mir,  dafs  inpudet  52,  13*,  hinter  pudens,  inpudens,  pudet 
eingeschoben,  fingiert  ist,  obwohl  sich  ein  inpudet  halten  liefse 
nach  Analogie  von  indecet,  das  67,  82*  hinter  indecens  in  ähnlicher 
Weise  interpoliert  ist,  aber  als  verstärktes  und  als  negiertes  decet 
(letzteres  freilich  nur  in  der  Litotes  non  indecet,  die  nichts  für 
indecet  an  sich  beweist)  nachgewiesen  ist.  Wie  inpudet  und  in- 
decet wird  dann  wohl  auch  inpiget  89,  74*  zwischen  piget,  piger 
und  impiger  fiktiv  sein,  zumal  die  Einschiebungen  alle  in  gleicher 
Weise  vor  sich  gegangen  sind.  Wer  endlich  die  Reihen  tolerat, 
tolerahiliSj  intoleraty  intoJerabilis  63,  58  ff.  und  memor,  commemorat, 
immemoTy  immemorat,  inmetnordbiUs ,  conmemordbUis  30,  14  ff.  be- 
trachtet, wird  Zweifel  an  intolerat  und  immemorat  nicht  unter- 
drücken können. 

Eine  Reihe  anderer  Komposita  ist  der  Fiktion  höchst  ver- 
dächtig, aufser  den  schon  oben  erwähnten  renecat,  mbnecat  bei- 
spielsweise exstituit  24,  64  in  der  Reihe  statuit,  adstituit,  con- 
stituit,  distituit  (=  dest.),  exstituit,  instituit  etc.;  es  ist  gewifs 
gemacht  nach  eoctitit  in  der  gleichförmigen  Reihe  stetit,  adstitit, 
constitit,  distitit  (von  distare)  etc.  Nicht  mehr  Vertrauen  habe 
ich  zu  affectitat,  confectitat  (defectitat  fügen  noch  die  interpolierten 
Hdschr.  hinzu),  effectitat  22,  54  ff.  im  Hinblick  auf  die  vorher- 
gehende Reihe  affecit,   confecit,  defecit,  effecit,  oder  zu  adsedat, 


46  W.  Heraeus: 

cireiimspdat ,  perscdatj  ohsedat  50,  47*  nach  Toraufgeheudem  ad- 
sidet,  circumsidet,  oder  zu  transf'etat  92,  88*  im  Hinblick  auf  trans- 
fretat  93,  85,  oder  zu  confuit,  difuit  (hinter  defuit),  refmt  4,  90  ff., 
obwohl  z.  B.  confuit  recht  altertümlich  aussieht,  gab  es  doch  auch 
ein  exesio  (Paul.  Fest.  82).  Der  Interpolator  hat  schwerlich  an 
Inf.  cofifare  dabei  gedacht,  eher  an  die  entsprechenden  Reihen 
confagit,  diffügit,  refugit,  die  ja  vul^r  confuit,  dijfuit  etc.  ge- 
schrieben wurden  {confuit  z.  B.  Val.  Max.  p.  243,  19  u.  383,  3 
Eempf  in  cod.  A).  Ahnliche  Verdachtsmomente  liegen  massen- 
haft vor,  und  schon  der  alte  Kopp  bemerkte  im  alphab.  Index 
seiner  Palaeogr.  crit.  II,  419  zu  admonet:  adsueti  notarom  col- 
lectores  primitivis  verbis  derivata  adnectere  saepius  etiam  inusi- 
tata  temere  finxisse  videntur,  quod  semel  admonuisse  lectores 
sufliciat. 

Auf  diese  allgemeine  Bemerkung  bezieht  er  sich  ausdrücklich 
unter  anderen  bei  den  Kompositis  adscdutat,  adturbat,  adteffii  (er 
verweist  auf  adtigit  von  adtingo),  amonstrat,  cofhcingü,  deministraiy 
pericit,  pemuntiaty  propurgat,  transviolat  (s.  oben  p.  45).  Allein 
zur  Vorsicht  mahnt,  dafs  prapiirgare  jetzt  aus  Vulg.  Sir.  7,  33 
nachgewiesen  ist,  periacere  (ans  Ziel  werfen)  aus  Sali.  fr.  Orl.  III,  5 
Maur.  (tdum  periaci  poterat),  wenn  auch  trotz  solcher  Belege  die 
Möglichkeit  bestehen  bleibt,  dafs  der  Einreiher  der  betr.  Noten 
fingiert  hat.  Mit  diesem  Vorbehalt  betrachten  wir  zur  Ei^nzung 
des  schon  im  Vorbeigehen  Gestreiften  einige  singulare  Bildungen, 
die  uns  mehr  oder  weniger  unverständlich  oder  gar  verdachtig 
sein  würden,  wenn  sie  nicht  durch  Grlossen  eine  Bestätigung  nicht 
nur,  sondern  auch  Erklärung  fänden. 

So  wird,  um  mit  den  reinlat.  Olossen  zu  beginnen,  effretai 
93,  84^  durch  die  Glosse  eafretat:  navigat  IV,  70,  28  u.  o.  er- 
läutert, evadatur  73, 43*)  durch  ev.:  reposcit,  flagitat  IV,  337,  24  u.  ö., 
das  sonderbare  adplcctitur  65,  50*  durch  adpl,:  adgaud^t  (unklar) 
V,  1G3,  12,  disdonat  41,  88  durch  disd.:  per  diversa  donat  V,  286, 32, 
wo  freilich  Glossen  wie  dissonat:  per  diversa  sanat  IV,  56,  24  be- 
denklich machen  können,  wie  auch  bei  den  angefahrten  Bildungen 
der  Umstand,  dafs  in  jenen  Glossen,  wie  stets  in  den  Noten,  die 
3.  Pers.  Praes.  Ind.  steht,  auf  Beziehungen  zwischen  beiden  Arten 


•)  Ebenda  evadaticiae  73,  45  hinter  vadaticiae,  wobei  litterae  zu  er- 
gänzen ist  nach  C.  Gl.  VI,  661,  67  exvadaticia  epistulu  (ohne  Interpret.),  wo 
Götz  lieber  ex  vad.  ep.  trennen  will. 


Beiträge  zu  den  Tironischen  Noten.  47 

Ton  Sammlungen  führt.  Ahnlich  detribuit  b2,  58*,  mit  adtribuit 
Gl.  IV,  330,  11  erUärt,  insulcat  95,  85  =  infert  V,  504,  40,  folr 
lescit  98,  13  =  tumescit  V,  361,  2,  contorpet  56,  97*  =  stupet 
IV,  324,  34,  revirdescit  31,  95  =  revirescit  (Loewe  p.  420),  evergit 
43,  88  (bei  Liv.  unsicher)  =  reinclinat  IV,  337,  26,  discertat  = 
plus  certat  (doch  s.  oben  p.  42),  cotilibescit  22,  2  =*  placet  u.  ä. 
IV,  322,  49  (litterarisch  nur  adlibescit),  dmpiscit  52,^1  =  de- 
lirat  V,  285,  66  u.  ä.  (doch  auch  destpiscentes  im  Lemma  bei  Plac; 
desipiscens  populus  aus  Hieron.  von  Paucker  Suppl.  lex.  lat.  nach- 
getragen), amanet  30,  39  =  extra  manet  IV,  16,  7  (doch  auch 
amansit  und  amaneo  in  den  Glossen);  s.  Generalindex  der  Glossen. 
Ebenso  scheint  persolet  28,  36  durch  die  Glosse  persolenter:  ad- 
sidue  V,  608,  26  geschützt  zu  sein,  dissequitur  30,  7  durch  disse- 
quentium:  discordantium  V,  567,  36  (Ggs.  von  conseqtienL?  Oder 
ist  dissidentium  zu  lesen?  Vgl.  Du  C).  Andere  Bildimgen  werden 
durch  Interpretamente  der  Glossen  bestätigt:  so  stthonerat  80,  78  durch 
Gl.  IV,  394, 13  suhgravat*):  subonerat;  incmdescit  49,21  durch  inte- 
grascit:  incrudescit  V,  535,  43,  subunguit**)  79,  98  durch  suhlet: 
subunxit  (subiunxit  codd.,  von  Roensch  verbessert)  V,  40,  7,  j>ra^- 
taxat  89,  24^  durch  praetaxato:  praescripto  V,  510,  62,  recertat 
34,  84*  durch  antagonista:  recertator,  provocator  IV,  16,  46. 
Wieder  anderes  ist  in  den  an  Neubildungen  so  unendlich 
reichen  griechisch -lateinischen  Glossen  des  sogenannten  Cyrill- 
Lexikons  belegt:  comministrat  25,  12  =  diovxö  comministro  11, 
278,  16,  deJocat  37,  91*  =  ixto7tCt(o  293,  12,  pemarrat  43,  61 
=  iqyriyov^at  252,  58,  probrat  42,  69*  =  6v£iöC^(o  384,  4,  invi- 
lescit  39,  84  =  il^evrekC^G}  303,  16,  peditat  45,  61  (nach  equitat 
gebildet)  =  ä^S^ö  400,  21,  commergit  72,  76  =  ßv^C^io  260,  40, 
exciet  103,  27  =  7taQaxfLci^(o  395,  16,  obforpet  56,  98  =  xccTavaQxß> 
342,  33  (zu  ddundat  76,  56  vgl.  adundatorium  i^ofißQL6t7]Qiov  II, 
10,  4),  dagegen  ist  carescit  57,  57  nach  Stellung  imd  Notenbild 
axacarum  fit,  während  ein  cäresco  Gl.  11,  437,  32  öt^qo^ccl,  car^eyoy 
caresco,  privor  vorliegt.  Aufserdem  sind  von  den  Neubildungen 
der  Liste  Ruefs',  soweit  sie  nicht  schon  oben  gelegentliche  Er- 
wähnung gefunden  haben,  nur  wenige  auch  sonst  nachweisbar 
(die  vom  Romanischen  vorausgesetzten  werden  unten  in  anderem 
Zusammenhang  behandelt):   so  inviscat  98,  99  aus  dem   späteren 

*)  Ebenso  singulär  wie  con-  und  regravat  27,  85  und  86*  der  Noten. 
**)  Dagegen  subunctor  C.  I.  L.  X,  3498  ist  =  Gehilfe  des  ufictar  (militär. 
Charge). 


48  ^-  Heraeus: 

Latein  von  Paucker  Suppl.  s.  y.  belegt^  subrumjnt  46,  65  im  Archir 
XI,  131,  recernit  25,  80  von  Sittl  Arch.  III,  501  aus  cod.  Theod. 
(vg.  secemit).  Dazu  kommen  remutat  31,  75  ^  QueroL  p.  38,  19  P^ 
obrolat  75,  97**  =  Schol.  Dan.  Senr.  A.  1,  394  obvolasse  (pbvolito 
wird  aus  Ps.  Pore.  Latro  decl.  von  Gre.  citiert),  conlitescit  57,  5^ 
=  SchoL  Dan.  A.  5,  72  conlituif,  secerpit  89,  42  =  Aeth.  Ist.  59, 
doch  schöpft  dieser  Schwindelmeier  bekanntlich  auch  aus  Glossa- 
rien und  anderen  Lexicis  seine  Worte;  canstipulatur  67,  31,  enectit 
74,  63  und  percedit  10,  73  sind  bei  Du  G.  belegt  (zu  letzterem 
TgL  pergredi,  das  in  den  Lexicis  fehlt,  aber  Aur.  Vici.  Gaes.  33,  3 
überliefert,  von  Roensch,  Itala  196  dreimal  aus  alten  Bibelhand- 
schriften nachgewiesen  ist).  Von  Bildungen,  die  litterarisch  nur 
einmal  belegt  sind,  erwähne  ich  ahloeat  (Suet.),  addocet  (Hör.),  od- 
meat  (Paul.  Xol.),  cofipendit  (Yarr.  1.  1.,  vgl.  Du  G.),  concingit  (Th. 
Prise.),  COM  find  it  (Ps.-Tib.).  detorret  (Sidon.),  exambulat  (Plaut.), 
incoijitat  (Hör.),  jierfuhfurat  (Stat.),  perfovet  (SeduL),  praeacuit 
(Gato),  2w*«cs/)iVi7  (Gael.  Aur.),  propaniat  (Vulg.),  repotit  (CoL), 
suhne(fat  (Gic),  suhtorquet  (Gargil.),  transvdvit  (Tert),  gemesdt 
(Glaud.),  fulgescH  iFirm.),  foefescit  (Isid.  und  s.  Paucker  SuppL), 
palpi'l>rat  (^Gael.  Aur.\  discrepitat  (Lucr.),  nigricat  und  manganigat 
(Plin.  n.  h.,  woraus  Kopp  Benutzung  des  Plin.  in  den  Noten 
schliefst^  von  solchen,  die  aufserdem  in  den  Glossen  vorkommen, 
conidllit  ^Plaut),  commofUt  (Marc.  Emp.  und  s.  Paucker  SuppL), 
contorret  (Amm.),  depetit  (Tert."),  dispendit  (Varr.  L  L),  etuscai  (Ict.), 
inplanat  (Vulg.),  propimiat  (Tiilg.),  prolilKit  (Plin.  n.  h.),  reinergit 
(Aug.\  resiüt  (Suet.),  trapisvap'icat  (Veget.). 

Was  an  Neubildungen  übrig  bleibt,  nachdem  man  die  Liste 
von  Kuefs  durchsiebt  hat,  ist  herzlich  wenig  und  fast  ganz  auf 
Komposita  beschrankt,  auch  gewifs  nicht  alt,  zum  Teil  sogar 
sehr  anfechtbar  aus  den  oben  dargelegten  Gründen.  Als  alt  nimmt 
Schmitz  Beitr.  296  prosagit,  prosegit  58,  98  f.  (hinter  Sisyphus)  in 
Anspruch  =  pro(r)sum  agit  und  erblickt  darin  einen  Reflex  aus 
des  Livius  Odysseeübersetzung  (/.  Ö96  avo  ü&eöxe).  Aber  ich 
fürchte  sehr,  dafs  diese  geistreiche  Kombination  den  Wert  der 
Noten  weit  überschätzt:  wenigstens  vermag  ich  kein  Analogon 
dafür  in  den  vielen  llKK>  Noten  zu  finden  (über  egltärum,  das 
Schm.  citiert,  s.  unten).  Dagegen  empfiehlt  sich  die  Vermutung 
Kopps,  diifs  ursprünglich  prarmgity  praesagiit  stand,  was  auch 
sachlich  durchaus  zu  den  vorhergehenden  Noten  i)rodigium,  alu- 
ciiMlor,  sortilet^is  stimmt.     Auch  die  aufiTallend  wenigen  Bildungen, 


Beiträge  zu  den  Tironischen  Noten.  49 

die  nicht  Komposita  sind,  machen  nicht  den  Eindruck  höheren 
Alters,  ja  lassen  sich  zum  Teil  als  jüngeren  Datums  erweisen. 
Es  sind  aufser  den  schon  oben  S.  43  f.  als  der  Korruptel  verdächtig 
behandelten  aivescit,  dassescit,  dis-  und  expadat  und  den  Simplicia 
prcbrat  42,  69*  und  taminat  Ib,  39  (aus  exprohrat  und  contaminat 
erschlossen?;  bei  Fest.  393^,  13,  was  Georges  citiert,  liest  Thew- 
rewk  temerare  mit  den  Hdschr.),  aptificat  32,  83*  und  luctificat  59, 
44,  Bildungen,  wie  sie  das  Spätlatein  massenhaft  produziert  hat, 
habiliiat  7,  66^  nidat  105,  91  (=  nidificat?),  nidorat  103,  25,  wie 
scheint,  von  nidor  nach  Analogie  von  odorat,  das  selbst  in  den 
Noten  fehlt,  sopescit  83,  28*,  ctimbagat  110,  58  (nach  Art  von 
navigat?*)),  frendescU  94,  34,  fukescit  72,  10*  (=falg.?),  pistrit  94, 
87,  wahrscheinlich  eine  Rückbildung  aus  pistrinum,  aber  be- 
merkenswert als  Substrat  des  altfrz.  pestrir,  neufr.  p^trir.  Dies 
Verb  führt  uns  auf  das  Romanische,  und  wir  stellen  zum  Schlufs 
noch  einige  dem  Romanisten  vielleicht  interessante  Neubildungen 
zusammen**):  adsummat  61,  6  (frz.  assommer:  wie  dies  zur  Be- 
deutung *töten'  kommt,  mag  conficere  und  dessen  späterer  Ersatz 
consummare  erläutern;  Körtings  Entwicklung  ist  weit  hergeholt), 
adlocat  37,  90  (ätb.  allouer),  disvestit  128,  54  (frz.  d^vetir),  dis- 
turpicU  42,60  (vgl.  Körting),  dispendit  41,59  (altfrz.  despendre 
=  verausgaben),  incdlciat  79,  34**  (it.  incalciare  etc.),  incruciat 
66,  64  (vgl.  Körting),  inodiat  46,  89  (it.  annojare,  frz.  ennuyer; 
übrigens  in  einer  afrikan.  Grabschrift  Anth.  Lat.  ep.  1606,  14 
Buech.  inodiari  =  in  odium  adduci  und  im  cod.  Lugdun.  Exod. 
5,  21  inodiare  =  ßSBkXv66BLv)j  stibundaf  76,  59  (frz.  sonder),  sub- 
umbrcU  39,  41  (s.  Körting;  auch  in  2  alten  Bibelübersetzungen: 
cod.  Ver.  Marc.  9,  7  =  i%i6xittlBiv  und  Ottobon.  Exod.  25,  20, 
».  Roensch  It.  200  und  coli.  phil.  163),  endlich  adgyrat  96,  17* 
und  degyrat  96,  18,  welche  die  Liste  der  bisher  nachweisbaren 
Komposita  von  gyrare    vermehren  (circumgyro    Archiv  VI,  436. 


*)  Das  Spätlatein  weist  ja  manche  Neubildungen  der  Art  auf,  z.  B. 
ifentrigare  =  ventrem  facere  „Stuhlgang  haben".  Ist  danach  vielleicht  resti- 
gat  65, 12  in  der  Reihe  instaurat  restaurat  instigat  restigat  als  Ableitung 
von  resiis  su  fassen  (das  dahinter  eingeschobene  restitor  13*  könnte  Nbf. 
von  restor  =  „Seiler"  C.  Gl.  n,  691,  36  sein).  Doch  ist  es  möglicherweise 
fingiert  nach  restaurat  der  Reihe  oder  nach  instinguit  restinguit,  die  beide 
fehlen. 

**)  Über  veniulat  =  Ventilat  s.  o.  S.  43 ,  über  demoUiat  S.  41 ,  über  in- 
sepelit  S.  45. 

AiohiT  für  lat.  Lexikogr.    XII.    Heft  1.  4 


50  W.  Heraeus: 

X,  422;  congyro  Roen»ch  It.  186  und  C.  Gl.  V,  334,  40,  wahrencl 
das  Rumänische  iucongyro  voraussetzt;  pergyro  Peregr.  Silv. 
p.  66  R.  civiiaiem  perg.\  regyro  aufser  bei  Florus  noch  cod.  Legion. 
2  Reg.  5,  12  haec  dicetis  t'egyravit  ahiens  in  iracundia)^  sowie 
conbatuü,  dibaiuü  (=  deb.  bei  Petr.  und  Lex  Sal.  24^3),  subbaiuU 
(noch  Lex  Sal.  2,  3)  71,  81  ff. 


m.  Das  Nomen  in  den  Tir.  Noten. 

Weit  gröfseres  Interesse  als  das  Yerbum  erregt  das  Nomem 
in  den  Tironischen  Noten.  Zweifellos  bilden  die  Nomina  den 
Grundstock,  wie  schon  die  in  den  meisten  Teilen  nachw^bare 
systematische  Anordnung  zeigt,  die  oben  naher  erlautwt  worden 
und  eben  hier  von  Wichtigkeit  für  die  Worterklärung  ist  Um 
das  Substantivum,  bez.  Ac^ektivurn  sind  die  Verba,  Adverbia  u.  a. 
gruppiert  oder  au&erhalb  der  Sachkategorien  wohl  oder  übel 
untergebracht  worden.  Aber  freilich  geben  gerade  die  Noinini^ 
wegen  ihrer  grofsen  Yerderbtheit  dem  lexikalischen  Forscher  auch 
die  meisten  Rätsel  auf,  und  wie  vieles  auch  durch  die  Bemühungen 
der  Herausgeber  Gruter,  Kopp,  Schmitz  au%eklart  ist,  so  bleibt 
doch  noch  eine  Reihe  von  Wörtern,  die  sich  dem  Yerständnia 
hartnäckig  entziehen.  Verschiedene  Gründe  kommen  hier  zu^ 
sammen,  um  die  Erklärung  zu  erschweren.  Einmal  sind  bekannt* 
lieh  die  Wörter  hinter  den  Notenbildem  ohne  Literpretamwt^ 
und  auch  die  Glossen,  die  sich  z.  B.  in  der  Haupthandschrift^  dem 
Cassellanus,  massenhaft  beigeschrieben  finden,  sind,  wie  man  jetzt 
sieht,  mechanisch  aus  den  im  Mittelalter  gangbaren  reinlateinischea 
Glossarien  ausgeschrieben,  und  zwar  nicht  ohne  mannig&che  Irr^ 
tümer.  Einen  Blick  in  die  Werkstatt  des  Glossators  des  Cass. 
gestattet  uns  die  zu  viscera  p.  89,  95  beigesetzte  GUosse  sarcinay 
nw/ndka,  die  Schmitz  mit  Recht  fragwürdig  findet  Das  Ahaxus- 
Glossar  löst  das  Rätsel  sehr  einfach:  dort  steht  C.  GL  IV,  402,  12 
visaccia  (=  bisaccia):  sarcinay  mamiica  (=  mantica)  vor  der  Glosse 
viscera:  vaiae,  medullae.  Der  Glossator  ist  also  beim  Nachschlagen 
seines  Lexikons  in  den  vorhergehenden  Artikel  abgeirri  Eia 
anderes  Beispiel:  in  der  Pariser  Hdschr.  A^  steht  bei  Äparies' 
p.  96,  95  die  sonderbare  Erklärung  afflirtio,  deren  Quelle  offen- 
bar das  Placidus-Glossar  C.  Gl.  V,  4,  19  ist,  wo  aj)orria  (=  inÖQ- 
QOia)  mit  affluxio  (afhixio  vermutet  Roensch)  erklärt  wixd.  Dafs 
aber  Ajwrics  nur  eine  Komiptel  von  Aj^trodite  ist^  hat  man  richtig 


Beiträge  zu  den  Tironiachen  Noten.  51 

aus  der  folgenden  Note  Erycina  geschlossen.  Doch  wir  verfolgen 
diese  Glossen  hier  nicht  weiter^  die  man  übrigens  heutzutage,  zu- 
mal nach  dem  Erscheinen  des  Generalindex  zu  den  lat.  Glossen, 
besser  verstehen  wird  als  auch  der  neueste  Herausgeber  der 
Not;en  (vgL  z.  R  noch  seine  Bemerkung  zu  äbscultat  mit  G.  GL 
rV  8.  ▼.  adverto  und  atiseuUo).  Sie  helfen  uns  eben  nicht  weiter, 
ihrer  Entstehung  und  gedankenlosen  Fabrikation  nach,  sodafs 
wir  es  nur  als  ein  Glück  betrachten  können,  dafs  uns  wenigstens 
in  den  systematischen  Abschnitten  durch  den  Zusammenhang  eine 
gewisse  Stütze  gegeben  ist,  die  freilich  auch  täuschen  kann,  weil 
auch  wirkliche  und  vermeintliche  Etymologie  sowie  Gleichklang 
von  Wörtern  auf  die  Anordnung  der  Noten  eingewirkt  hat,  wie 
schon  oben  bemerkt  (S.  27£).  Daher  die  Möglichkeiten  der  Er- 
Idarung  oft  sehr  zahlreich  sind,  um  so  mehr,  als  auch  die  Noten- 
bilder selbst  nicht  frei  von  Korruptelen  sind  und  öfters  nach  den 
verdorbenen  Bildern  das  Wort  abgeändert  worden  ist:  ein  Titulus, 
wie  Punkt,  Haken  oder  dergL,  anders  gestellt,  die  geringe  Nei- 
gung eines  Striches  genügen,  um  eine  ganz  andere  Wortendung 
zu  ergeben*. 

Wir  betrachten  nun,  wie  das  Verbum,  so  auch  das  Nomen 
im  wesentlichen  in  Bezug  auf  die  Ausbeute,  welche  es  für  das 
lat  Lexikon  liefert,  und  halten  uns  wiederum  an  die  von  F.  ßuefs 
Arch.  IX,  237  ff.  aufgestellte  Liste.  AuLser  Betracht  bleiben  aber 
sowohl  die  auf  Tafel  120 — 132  stehenden  biblischen,  bez.  kirch- 
lichen (wie  anathema  inaranatha,  antiphona),  als  die  juristischen, 
bes.  aus  den  ^Leges  barbarorum'  gezogenen  Wörter  wie  fridus 
(s.  u.),  vadUtio,  hurina  u.  s.  w.  Zu  den  letzteren  rechne  ich  auch 
die  aufserhalb  jener  Tafeln  stehenden  Wörter  fredus  (Kopp:  fre- 
midus)  p.  93,  83  vor  fretuSy  wohl  =  multa^  scUka  p.  90,  25^,  wo 
an  lex  oder  terra  (Grimm  K.-A.  493)  gedacht  ist,  alode  p.  51,  93% 
wohl  =  ml.  alodium  (es  folgt  lieres  mit  Ableitungen)  und  auf 
derselben  Tafel  1.  78  omaius  (hinter  7naitis)j  was  Kopp  omasus 
deutet,  aber  auch  ml.  homagium  sein  kann,  wenn  es  nicht  aus 
der  in  Hdschr.  oft  begegnenden,  durch  falsche  Trennimg  ver- 
ursachten Schreibung  nihil  (lijomaius  herausgesponnen  ist.  Dahin 
rechne  ich  auch  mit  Kopp  vassm  118,  40*  im  Kapitel  der  Eigen- 
namen =  Vasall  (vgl.  ebd.  48*  satrapas)*),  und  auch  das  schwie- 


*)  Schmitz  fafst  es  im  Index  als  Eigennamen,  wie  auf  derselben  Tafel 
85  f.  Vassus,  Vaseenus,  die  nach  den  Erörterungen  von  Breidenbach  a.  a^  0. 

4* 


52  W.  Heraeas: 

rige  Uta  71,  61  vor  litura,  wozu  Schmitz  *litapura  C.  GL  L.  III, 
203,  36  \=  kixci  pura!];  qui  expediam  nescio'  bemerkt,  möchte 
ich  als  Treigelassene'  in  Anspruch  nehmen  (Uta,  lida,  leta,  leda^ 
laeta  im  Mittellatein..),  obwohl  sich  Uta  als  Subst  L  DekL,  das 
es  doch  wohl  sein  wird*),  aus  dem  Lateinischen  erklaren  liellse 
nach  Analogie  von  ignora  u.  ä.  bei  Roensch,  colL  phiL  194,  roga 
mlat.  =  rogatio,  s.  Du  C.  Auch  die  zahlreichen  griechischen  Lehn- 
und  Fremdwörter  scheiden  wir  aus  und  beschränken  uns  auf  einiges 
allgemein  interessante,  bez.  auch  fCir  das  griech.  Lex.  neue,  z.  B. 
(isciis  p.  98,  1*,  causterium  p.  102,  24  =  cauterium,  presterium 
114,  32  =  TtQi^ör.  in  einem  Abschnitt  über  Bäder,  paederoHmim 
(Farbe)  98,  50  (vgl.  oxypaed.  Vop.  Aur.  46,  4),  aposphragisma  99,  58 
(Plin.  ep.),  clioOiedrum  101,  24  (aus  dem  von  griech.  Gramm,  be- 
zeugten xXivoxad'ddQi.oVy  bei  frühmittelalterlichen  SchriftsteUem 
und  jetzt  auch  G.  Gl.  Y,  618,  51  exedra  vd  diothedrum:  sedes 
episcopalis)  y  eleuifierium  99,  70  unter  Schmucksachen  hinter  cy- 
lindriy  catetlae  (Gl.  II ,  59,  35  mit  xä^e^a^  XBQiöiQaiov  erklart), 
myracopum  98,  86  (vgL  die  von  Mommsen  verbesserte  Digesten- 
stelle  Arch,  III,  261),  colohathra  107,  67  (vielmehr  -bcUa  =  'ßatf^g^ 
vgl.  1.  61  scinobatra  =  öxoivoßdrrig^  was  C.  Gl.  III,  172,  44  mit 
calahatariiis  erklärt  wird,  während  Non.  p.  115,  20  s.  v.  grallator 
die  Hdschr.  auf  colobathrarius  weisen,  GL  III,  240,  13  TtaXoßdvrig^ 
öxoi^voßcctr^g  funiamhulus,  s.  Gl.  s.  v.  fufiamh.)^  opledes  ebd.  t  59  (von 
Schm.  als  bxkoxaCxtrig  erwiesen  aus  Gl.  III,  308,  65)  und  sdro- 
paectes  1.  60  (im  Sinne  von  xvßevrijgy  s.  Schmitz  Beitr.  277),  para- 
paestus  114,  59  hinter  anapaestus  (wohl  =  „verrückt",  vgl.  XttQa- 
7tkrixtog)j  liorcistypolis  96,  100  nach  Schmitz  Rh.  M.  37,  319  = 
6(fXixo7t(Xikrig  von  ^QXig^  oQx^^og  (Olivenart),  besser  von  Kopp  zu- 
sammengebracht mit  orchestopclarius  i==  dgxtiäToxöXog**)  bei  Firm, 
math.  8,  15,  doch   geben  die  Glossen  III,  302,  46    6(f%ri6xQxdkri 

S.  24  wohl  als  Vurus,  Varenus  zu  deuten  sind.     Dagegen  hat  Kopps  Vam- 
diu8  nur  geringe  Wahrscheinlichkeit. 

•)  Wertlos  ist  die  Glosse  in  A^  linita  =  C.  Gl.  IV,  256,  S6  2ita:  Hnita, 
was  wohl  auf  Verg.  Georg.  4,  99  geht. 

**)  Das  Fremdwort  wird  mit  lat.  Endung  versehen,  wie  calttbcUarius 
(s.  0.),  petauristariwi  {TtstavQicri^g,  -Sintis  Not.  Tir.  107,  ß3  wohl  verschrieben), 
propolarius  {utQonmXrig,  im  alten  Lat.  propola)  C.  Gl.  V,  676,  66.  622,  17, 
petaminarius  («»  irerafi^yog)  und  pyctomacharius  bei  Firm.,  u.  a.,  pyctio  «> 
jri'xnjg  Gl.  rV,  143,  13.  Im  Grunde  dieselbe  Erscheinung,  wie  wenn  cocci- 
netis  später  neben  coccinus  %6%xivos  aufkommt  (s.  unten  S.  74)  u.  &., 
wobei  .freilich  Nebenformen  wie  dfunietts,  ficultieus  mitgewirkt  haben  mögen. 


Beiträge  zu  den  Tironischen  Noten.  53 

Jwmiestopeda,  was  ein  Eompositum  wie  nkivondkr^  scheint*)^  dinus 
57,  69*  und  66,  78  (Kopp  denkt  an  einen  obskuren  griech.  Heer- 
führer CliniuSy  doch  s.  Gl.  V,  350,  4  dinus:  Uctulus  und  61.  s.  v. 
tridiniumj  wenn  nicht  eine  vom  Romanischen  vorausgesetzte  Bildung 
dinus  =  indinatus  gemeint  ist),  catacusis  101,  61  =  xardxv6ig 
unter  Geföfsen  (vgl.  epidiusis  bei  Plaut,  imd  Varr.),  eglutrum  ebd. 
62  (von  Schmitz  Beitr.  271  erkannt,  unter  Hinweis  auf  Liv. 
Andron.  bei  Non.  p.  544  argenteo  poluhro^  aureo  eglti^o**)),  pro- 
scholium  101,  8  (Gl.  HI,  380,  66  in  proscolio  iv  rtp  TCQoöxokCc)), 
orfhistroium  101,  28  =  öpd'oöt.,  iaurocatliapta  108,  32  (von  Schmitz 
Beitr.  304  erkannt),  pieihora  111,  80  (volksetym.  in  pletura  um- 
gestaltet bei  Veget.  und  Peli^.;  s.  auch  die  Glossen  s.  v.),  helcium 
110,  37  hinter  tragtda  (bei  Apul.  =  Kummet,  cf.  }ielciarius)j  hypo- 
hryckiwn  110,  21  (Tertull.),  platocerus  108,  45  =  xXuxvxiqog  (wie 
in  einer  mittellai  Quelle  Arch.  VI,  441;  Gl.  V,  517,  15  trageU- 
phwn  quem  nos  dicimus  platocervum  wie  Polem.  Silv.  p.  267  Mms. 
jilatocerviis  mit  weiterer  volkstümlicher  Wandlung,  endlich  abgekürzt 
piaton  bei  Apic.  342),  symmistiaim  119,  23  (von  öv^ipivötrigy  zw.), 
orthembasis  93,  99  (Komp.  von  i^ßaötg  Badewanne),  zyrthecium 
114,  45  (nach  Schm.  =  Siy()o^iy'xtov;  viell.  =  i^vkod^xiov  oder  = 
chirothecium?  vgl.  Du  C.)  imd  myrotliecium  1.  46  =  Cic.  Att.  2,  1,  1, 
tritoliufn  und  emitolium  97,  93  (=  r^jtrvAtov,  fjfivTvkLov  von  rvkrj 
nach  Schm.)***),  ergaticus  109,  81,  glaucomaiicus  91,  SAxmdschenia- 
ticus  106,  64,  protaules  107,  8  (nur  inschr.  Or.  2783),  plagiaules 
ebd.  9  (Gl.  IH,  302,  42  plaginula  (pv^iyyufttjg),  nionaules  10,  calor 
maules  12  (s.  C.  Gl.  VI  s.  v.),  choro-  und  psilocitharista  neben  dioro- 
und  psüocifharistes  (letzteres  aufser  bei  Suet.  Dom.  4  auch  C.  I.  L. 
VI,  10140).  Ein  merkwürdiges  Wort  findet  sich  101,  80  hinter 
trutina,  statera:  diaristion,  was  Kopp  xagiCtYigiov  oder  %aQi6xix6v 
deutete.  Allein  es  ist  nichts  als  das  seltene  xagiöxCtov,  was  von 
Simplic.  zu  Arist.  phys.  255  als  örad'fiLxbv  oqyavov  bezeichnet  wird, 
jetzt  auch  G.  Gl.  HI,  197,  61  %a(>c<yr^G}v  campana  gefanden  wird 
(hinter  ^vy6g  statera)  und  schon  in  der  Inschrift  Or.  4344  ponde- 
rarium  , . .  et  charistionem  aeretim  pos  stateram.     Mit  Unrecht  ver- 


*)  Nach  frdl.  Mtl.  von  Skutsch  ist  -palarius  auch  bei  Firm,  überl. 

**)  aureo  et  glutro  codd.,    em.  Otfr.  Müller.     Das   Wort  fehlt  in   den 
lai  Lexicis.     ixlowgov  PoUux,  auch  elutriare  scheint  hierher  zu  gehören. 

***)  ^S^'  übrigens   das   noch   unerklärte  salco  emituUario  der  Inschrift 
C.  I.  L.  VI,  8076  und  dazu  Loewe,  BuUett.  dell'  inst.  1882  p.  60.  127.  191. 


54  W.  Heraeue: 

dächtigt  Kopp  anch  ne^iiiela  109^  32  und  vermutet  Nepeta.  Das 
Wort  steht  unter  Backwerken  in  der  Reihe  jjiacenia,  scribüUa,  li- 
hum,  nefda^  nucuncuhis  (letzteres  doch  wohl  =»  lucuncuhis,  was 
man  sonderbarerweise  bisher  übersehen  hat)  und  irt  gesichert 
durch  mittelat.  nehula,  s.  Du  G.  und  die  biblische  Glosse  zu  Volg, 
Levii  7,  12  in  C.  Gl.  V,  494,  73  coUyridas:  cibus^  qtiem  nas  «e- 
bulam  dicimus.  Anderes  ist  noch  unerkannt  geblieben^  so  mesi- 
stda  103,  63  hinter  offa,  offtda,  offeUa.  Kopp  wollte  mmsalia,  und 
.Schmitz  setzt  ein  Fragezeichen  dahinter,  die  Losung  geben  die 
Glossen:  III,  379,  54  u.  ö.  missisulas  (oder  misis.)  iiufruktu  (hinter 
ofdla  u.  Ittcanicae).  Ednlnum  109,  38  unter  Backwerk  ist  nicht 
mit  Kopp  u.  SchuL  edibilium  zu  lesen,  sondern  wohl  jjdvßiov  zu 
erklären,  das  bei  Athen.  647  C  eine  Kuchenart  ist  (vgL  subitiüum 
unten  S.  66,  das  gleichfalls  in  den  Noten  und  bei  Ath.  erscheint). 
Unt«r  Schlangen  findet  sich  zwischen  cdubra  und  echidna  113,  28 
dibia,  was  wohl  dibsa  =  dijtsas  (vgl  unten  S.  67)  mit  regel- 
rechter Lautvertretung  (ahsis,  obsonhtm,  parabsidtis  35,  76*)*). 
Cimbilpae  und  mnbilae  99,  81  f.  stehen  zwar  hinter  cyfnba,  sodaGs 
man  Ableitungen  dahinter  vermutet  hat.  Trotzdem  wird  nichts 
als  die  sonst  in  den  Noten  fehlenden  Namen  CybAe  und  Cf/bde 
dahinter  stecken  (s.  S.  H2*)),  wie  ich  auch  eumbile  110,  59  hinter 
cumba  für  volkstümlich  an  cumJyere  angelehntes  cubüe  halten  mochte 
(Schm.  mit  Kopp  cymbulas).  Cybebe  und  Cybde  stehen  hinter  einander 
ebenso  wie  dodmentum^  documentum  53,  70  f.,  manubiae^  9nanibiae 
67,  75  f.,  dupeuntj  di^yeum  77,  59  f.,  dorsum,  dossum  96,  31,  coto- 
nium,  cetonium  105,  28  (unter  Obstbäumen):  denn  letzteres  wird 
doch  nichts  anderes  als  eine  Nebenform  sein,  vgL  citoneum  xv- 
davtov  GL  m,  358,  76  und  sonst  in  Hdschr.**)  Das  auf  der- 
selben Tafel  105,  32  hinter  sorbuin  und  mespäwu  stehende  geso- 
pum  (das  Wortbild:  ZüSPum  nach  einer  Mitteilung  von  Schmitz) 
scheint  mir  auch  nicht  richtig  als  hys(s)opu'm  von  Kopp,  dem 
Schmitz  folgt,  gedeutet  zu  sein,  schon  wegen  des  Zusammenhangs, 
der  einen  Obstbaum  erfordert,   also  gizyphum.     Auch  diyrocasias 


•)  Vor  parasitus  interpoliert,  womit  Schm.  jenes  für  identisch  erklärt. 
Doch  vgl.  die  vulgäre  Schreibung  2)ara])sis  =  ndgoipig  (C.  Gl.  VI  s.  v.). 
Übrigens  findet  sich  t  öfter  für  8  geschrieben,  z.  B.  Traiumanus  118,  82. 
Im  Notenbild  von  dibia  ist  DB  und  die  Endung  a  enthalten. 

•^;  Kopp  II,  629  bemerkt:  cffoiitwm  quum  vox  nihili  sit,  et  eottyfiium 
praecedat,  suspicor  cetofnnum  legendum  esse,  quod  pro  setoninum  sive  seri- 
cum  medio  aevo  usu  venit.   (S.  Du  C.) 


Beiträge  zu  den  Tironischen  Noten.  55 

nicht  richtig  als  xBigongaöCa  erklärt:  es  wird  Ivkoxaöötcc  gemeint 
sein;  vgl.  den  mittellat.  Memorialvers  cs^  opo  stiats,  ciro  lignum 
carpoque  fructus  (geht  auf  ö;ro-,  SvAo-,  xaQXoßccXöafiov)  bei  Loewe 
Gl.  nom.  p.  118,  cJierofnyrrha  =  J^rjQÖfivQu  bei  Sedul.  hymn.  2,  81 
(unrichtig  Arch.  VI,  114),  xyrohalsamum:  cortex  halsami  Osbern. 
p.  628  =-»  |vAo/3.  u.  a.  Sonst  scheint  noch  bemerkenswert,  dafs 
irechedipnum  99,  42  unter  Schuhwerk  aufgeführt  wird:  die  Scho- 
ben zu  luv.  3,  67  schwanken  zwischen  der  Erklärung  vestimenta 
parasitica  und  gallicnlae  (Galoschen)  graecae.  Propnigeum  114,  3S, 
aus  Vitr.  und  Plin.  belegt,  findet  sich  auch  C.  Gl.  III,  217,  2 
tepidnria  itQOXvtyslcc.  Über  anathymiasis  111,  77  vgl.  „die  Sprache 
des  Petr.  S  10^',  Progr.  Offenbach  1899,  desgl.  Über  sapluton96, 
02  ««  ^aitL  ebd.  S.  5  (Eigenn.  inschr.).  Ghinz  dunkel  sind  die 
griechisch  aussehenden  Wörter  eglidriae  102,  5  nach  lantema, 
111,  16  hinter  chiron,  chiro)iomm,  chyrtigilis*)  hat  Kopp  wohl 
candelabrum  vor  stuppa  (vgl.  eclutrum  oben?);  phironimxis  111,  70 
unter  Krankheiten  zwischen  ictericus  und  stranguria  {pyroma 
Kopp,  TCVQBtröfisvog  Schmitz);  geronteum  114,  34  am  Schlufs  des 
Abschnitts  über  Bäder  (gerontoconiium  Kopp);  sinteria^  bez.  sinte- 
riaeus  111,  64,  das  vielleicht  als  Simplex  von  djsenteria  fingiert 
oder  volkstümliche  Abkürzung  ist;  dramea  77,  65  hinter  framea 
(vgl.  drama,  dragma  =  manipulus,  drachma;  das  Hilfszeichen  des 
Notenbildes  ist  a);  monopticus  100,  75  zwischen  archimimus  und 
fhymdicus  (vom  St.  Ttrox-  =  simplex  oder  von  6ä-?);  caUhiae  78,  24 
(ein  caltba  von  jakryilf  =  ferrea  catena  bei  Du  C;  vgl.  Kot.  Bern. 
43, 1  cdlih///e  vor  ferrum);  caporidia  104,  63  unter  efsbaren  Pflanzen 
(capreida  Kof'p  u.  Schm.,  xoTc^agCdicc?  xa^ijQCdtcc'f)]  hillamim  und 
goilenum  99,  3  u.  4  unter  Farben  (vgl.  galnus  bei  Du  C,  frz.  jaum)] 
über  sareeoninm,  bez.  vat^ez.  s.  S.  79  A.  3.  Von  hybriden  Bil- 
dungen seien  erwähnt  testamentigraphns  31,  45  (wie  arfigra- 
phus;  infidigraphiis  bei  Paucker  Suppl.  lex.  lat.),  ejntogitim  97,  9 
(bei  Quintil.  u.  s.  Du  C),  epigroma  76,  o  (?  zw.  epitoma  u.  epi- 
gramma),  epifiomen  21,  71  (vgl.  supemomen  in  chridtl.  Inschr. 
C.  I.  V,  6280,  flpz.  surmm\  di-  u.  epipampinum  105,  50*  u.  51*, 
hieris  109,  98  (===  dti?'pij$,  cf.  Du  C.)  neben  quadrieris  110,  1,  letz- 


*)  Schm.  deutet  chirologus,  richtiger  wohl  Kopp  choerogryUus,  was  aus 
der  Vulgata  geschöpft  ist,  wie  ortygametra  119,  95,  nycticorax  74,  67*  u.  a., 
PythoniS8a(Jx3lg.  1  Par.  10, 13).  Vgl.  altfrz.  cyrogrylles  bei  Schnchardt  Ü,  284 
titid  die  seltsamen  Entstellungen  jenes  Wortes  bei  Diefenbach,  gloss.  lat.-germ. 


56  ^'  Heraens: 

teres  auch  C.  I.  VI,  1063;  dirodium  112,  62*  neben  bin,  s.  n* 
S.  58  (vgL  bicrota  C.  I.  L.  V,  1955,  difariam,  disulcuSy  dienmum, 
divium  C.  GL  VI  s.  v.).  Über  semetrum  s.  S.  81.  Verdachtig  ist 
mir  dagegen  histrionices  108,  11:  es  liegt  wohl  hisirianicus  zu 
Grunde. 

Eine  Anzahl  Wörter  scheiden  wir  von  der  Betrachtung  aus 
dem  Grunde  aus,  weil  sie  möglicherweise  Eigennamen  sind.  So 
ist  mir  zweifelhaft,  ob  aenaria  101,  49  wirklich  eine  Ableitung 
von  aemis,  hinter  dem  es  seinen  Platz  gefunden  hat,  sein  soll^ 
und  nicht  vielmehr  die  Insel  Aenaria  gemeint  ist.  Zu  rubritis 
78,  80  bemerkt  Kopp  ^rubnis  esse  videtur';  es  scheint  aber  auf 
die  gens  Kubria  zu  gehen.  Ebenso  ist  ostiensis  55,  41  u.  100,  42 
unter  Ableitungen  von  ostium  möglicherweise  nicht  eine  Bildung 
nach  atrien^is,  sondern  Adjektiv  von  Ostia;  iconium  78,  12  hinter 
icon  m.  E.  die  Stadt  /c;  f anister  74,  54  hinter  fanum,  fancttictis 
kann,  wie  Kopp  vermutet,  auf  colonia  Fanestris  gehen  (Cogn.  For 
nester  Inschr.  bei  de  Vit;  zur  Schreibung  vgl.  equisfer  45,  53,  se- 
quisfer  94,  74);  stibpontium  110,  97  =  Sipofittim  (Kopp);  Uir^ios 
92,  36  vor  Vulcanus  =  tornns  oder  Turnus?]  helia  f»9,  91  hinter 
helius  (=  Helios)  =  Prophet  Elias?  bei  Pmdent.  auch  Elia; 
92,  52*  hibria  =  Hiberia  nach  Kopp;  CiÜkarion  (Cass.  CiÜiaran) 
106,  97  =  Githaeron  (Kopp);  genesius  58,  94*  =  Genesius? 
das  folgende  genesalia  ist  freilich,  wenn  nicht  verdorben,  wohl 
von  genesis  gebildet,  wie  spätes  genesiacu^  =  genethliacus  bei 
Paucker  Suppl.  1.  1.;  von  copisanus  und  enepus  wird  S.  64.  62  bei 
den  Fiktionen  die  Rede  sein.  Dahin  rechnen  wir  auch  mehrere 
Nomina,  die  in  der  Litteratur  nur  als  Cognomina  nachweisbar 
sind,  so  cerco  109,2  (^Cogn.  derLutatii);  casfricius  45,  32  (Gentil- 
name,  vgl.  Wölfflin  Arch.  V,  424;  doch  castricianus  Cod.  Theod.), 
bibacidiis  104,  73,  apruncuhis  (^ein  gallischer  Rhetor,  bez.  Bischof 
des  Namens  bei  Amm.  22,  1,  2,  bez.  Sidon.  Apoll.,  s.  Mohrs  Ind.; 
a2>ricHhiS  ein  Fisch  bei  Apul.  apol.  34,  während  C.  I.  IV,  2477  das 
Cognomen  auch  Diminutiv  von  a2>riais  sein  könnte),  luscälus . 
111,  21*  verstehe  ich  als  LhcHIus  (z.  B.  Cognomen  eines  Konsuls 
265  p.  Chr.),  Wirklich  lebendig  jedoch  sind  gewesen  basstis  71,  56, 
vor  crassus  richtig  eingereiht,  in  den  Glossen  sehr  häufig  erklart 
mit  jungiiis,  iyx^*^^^  K^-  j®^^  ^-  CJl.  VI  s.  v.)  und  in  den  röman. 
Sprachen  erhalten  {frz.  bais  etc.\  }H*do  58,  22*  =  iial,  pedopie  FvlIlS' 
ganger,  C.  Gl.  II,  144,  33  mit  j^anrus,  :rXcirv:tovg  erläutert  Viel- 
leicht auch  fundanus  37,  56  iSchm.   schreibt  Fund,),   wenn   der 


Beiträge  zn  den  Tironischen  Noten.  57 

Glosse  IV,  240,  34  fufidanus:  rusticus  qui  fundos  colit  zu  trauen 
ist.  metaUes  82,  79*  ist  vor  satelles  nach  der  Erklärung,  die  die 
Alten  von  Metellus  geben  (=  mercenarius),  eingeordnet  (in  den 
Not.  Bern  61,  6  nach  merx,  prontercalis),  dagegen  37,  45  nietdlus 
hinter  teUus  nach  dem  Gleichklang.  Umgekehrt  ist  in  der  inter- 
polierten Note  camtUarius  115,  54*  hinter  Camillus  wohl  keine 
Ableitung  des  Eigennamens  mit  Kopp  zu  suchen,  sondern  came^ 
laritis  zu  erkennen,  wie  auch  2  Hdschr.  haben,  indem  cafnelltis 
mit  offenem  e  ganz  gewöhnlich  ist  in  Hdschr.  und  Inschriften 
und  auch  vom  Romanischen  z.  T.  vorausgesetzt  wird  (s.  u.  S.  68). 
Eine  gröfsere  Anzahl  Wörter  in  der  Liste  von  Ruefe  re- 
präsentieren bloXis  jüngere  oder,  was  seltener,  ältere  Formen 
von  alten  Bekannten,  was  indirekt  dadurch  bestätigt  wird,  dajb 
die  regelmäfsigen  Formen  mit  wenigen,  im  flgd.  ausdrücklich  be- 
zeichneten Ausnahmen,  wo  meist  die  jüngere  unmittelbar  hinter 
der  älteren  eingeschwärzt  ist,  in  den  Noten  fehlen.  Bei  der 
folgenden  Musterung  ist  freilich  vielfach  zu  erwägen,  ob  nicht 
die  betr.  Form  der  Unkenntnis  des  Sammlers  oder  der  Verderbt- 
heit seiner  Quellen  oder  der  Korruptel  des  Notenbildes,  welche 
die  Korrektur  des  Wortes  nach  sich  zog,  auf  Rechnung  zu  setzen 
ist.  Das  gilt  namentlich  für  einige  auffallende  Endungen,  z.  B. 
ampendax  65,  56  =  appendix  (der  Anlaut  auch  Paul.  Fest.  21,  6), 
canicfdus  108,  91,  lacinium  97,  10  unter  Kleidungsstücken,  jyerio 
99,  41  =  pero  unter  Schuhwerk,  petauritamf^  107,  63  (Kopp:  pe- 
tauristarius),  scuirum  96,  34  =  scutra?  (cf.  Gl.  V,  623,  31),  sub- 
frixgostis  81,  26*  (==  subfraginosus  bei  CoL?  rom.  subfraciostis 
^bedürftig'),  iorpitudo  57 y  1  unter  Ableitungen  vom  St.  torp-  = 
torpedo?  (vgl.  gravitudo  =  gravedo).  Dagegen  hat  cervia  108,  72* 
hinter  cervus  das  Romanische  für  sich:  prov.  u.  ital.  cervia  (cervia 
Leg.  Alam.  Pactus  fr.  V,  6),  wie  ama  im  Schriftlatein,  plagia 
im  Roman.  *==  Gestade  (ital.  piazza,  altfr.  playe;  vgl.  Serv.  Aen. 
2,  23  statio  est  quam  plagiam  dicunt).  Desgl.  camhla  11,  74 
„Mantel  mit  Kapuze"  im  franz.  chasuble  (casubla  od.  -ubula  Greg. 
Tur.  patr.  8,  5  p.  690,  1;  vgl.  Du  C),  cichora  104,  46  als  Fem. 
Sing.,  itaL  cicoria  etc.  Für  vitium  68,  21  unter  Leguminosen 
setzte  Kopp  vicia,  wozu  Schm.  bemerkt  ^sed  obstat  titulus';  aber 
natürlich  hat  jener  in  der  Deutung  Recht,  nur  ist  die  Endimg 
-um  möglich  nach  griech.  ßixCov,  vgl.  C.  GL  III,  267,  3  rä  ßixCa 
vicia,  korrekt  299,  61  ßixCov  vicin.  Anderes  scheinen  die  Glossen, 
bez.  Grammatiker  als  vulgär  zu  bestätigen:  indicivum  55,5  statt 


58  W.  Heraeut: 

-iva  steht  auch  GL  II,  80,  43  (firfwrgov  erkl.);  birodiuni  112,  63 
unter  Wagen,  wie  Gl.  IV,  488,  54  (sonst  in  Gloss.  birahim  oder 
-15,  birofa  in  Jurist.  Quellen  u.  bei  Du  G.,  als  Adj.  bei  Kon.  86,  30 
dsinm:  vehicuU  biroti  genus,  ital.  biroccMV^  pastifiocia  104,  20*, 
hinter  dem  korrekten  -am  eingeschoben,  wie  GL  II,  519,  53,  wah- 
rend V,  381,  57  die  Hdschr.  schwanken;  femer  wird  tramen  99, 16 
als  Nbf.  von  trama,  offenbar  durch  die  begrifßrrerwandten  stamen, 
mbtemen  hervorgerufen,  bestätigt  durch  die  Cjrill^oase  II,  428,  30 
Qodävr^  tramay  subtenten,  tramen  (iramis:  lY,  397,  45  irama  vd 
traniis  und  GL  s.  v.  forago\  desgl.  eqnifer  108,  67  „wildes  Pferd" 
als  echte  Nominatiyform  durch  die  Glossen  erwiesen  gegen  das 
von  den  Lexx.  angesetzte  eqniferusy  wie  schon  Roensch  colL  phil. 
273  £  sah,  der  auch  auf  die  analogen  Bildungen  caprifer  und 
ovifer  in  den  Glossen  hinwies,  aber  das  bekannte  semifer  übersah 
(freilich  scheint  bei  Augustin  semifems  überL).  Ätwupex  93, 17  «* 
aucupeSy  was  als  Nom.  Sing,  auch  von  Prob.  C.  Ghr.  L.  IV,  26,  22 
gefordert  wird,  kann  verglichen  werden  einerseits  mit  den  Plauti- 
nischen  Nom.  mici])es  und  praeci})eSy  sowie  dem  von  Prise  C.  Gr. 
II,  280,  11  ohne  Beleg  citierten  bicipes,  andrerseits  mit  dem  in. 
Hdschr.  häufigen  jirhicipes  (vgl.  Roensch,  Itala  263,  Cic  divin.  1, 8, 6 
cod.  Leid.,  GL  IV,  374,  28  u.  a.).  Die  Nominativform  lYirfts  73, 41 
fiir  vaSf  von  Schmitz  erkannt,  wird  aus  Ennod.  belegt  und  hat 
viele  Analogien  auch  in  den  Noten,  wie  gruis,  lendisy  fründis, 
s.  unten  S.  86.  Indem  im  Spätlatein  gern  fdr  die  Endung  -^iris 
die  vollere  -anns  gewählt  wurde,  finden  wir  saitUarius  63,  94 
wie  Hist.  Apoll,  c.  32  salutarias  litteras;  scholarins  101,  5  wie 
im  Romanischen  (ital.  scolario  etc.),  palmarins  107,  93,  peeulumus 
40,  98  (s.  Georges  Wtf.)  u.  a.  Umgekehrt  steht  acinaris  105, 100 
Singular  da,  indem  bei  Varr.  r.  r.  1,  22,  4  acinaria  dolia  die 
Endung  nicht  zu  erkennen  ist,  wenngleich  Schmitz  Beitr.  272 
sich  auf  Grund  der  Noten  für  -aris  entscheidet:  doch  finde  ich 
Schol.  Pers.  6,  21  turdus  acinarim.  Desgleichen-  hat  crocinmm 
98,  91%  hinter  regulärem  -imim  eingeschaltet,  viele  Analogien  im 
Spätlatein,  z.  B.  coccineum  neben  älterem  -inum  98,  67.  58,  tait- 
thutetim  98,  62  neben  gewöhnlichem  -inum  61;  polentaceum  68^  21 
wird  bestätigt  durch  Apul.  met.  G,  19,  wo  man  seit  Jahn  zu  der 
Lesart  des  Flor,  jwlentacmm  damnum  zurückgekehrt  ist.  Phfyxi- 
num  98,  65  ist  nach  Schm.  Nbf.  zu  phrixianum,  8cahnica  9,  27*^ 
hinter  parro,  cepe  zu  dem  im  Roman,  fortlebenden  (a)scalonia  (Scha- 
lotte).   Über  angusti-  und  laticlavus  36,  35  f.  und  dueüium  «»  duel- 


Beiträge  zu  den  Tironischen  Noten.  59 

lum  91,  55  s.  C.  GL  VI  s.  v.  Klar  sind  endlich  CLsturms  112,44  »« 
-cOy  canistdlfis  108,  96  =  -um,  myrtacium  105,  76  =  -eMm  (Geis.), 
fnensirum  42,  47  =  -immj  aeqtwrium  110,  82  =  -cuw,  aruspis 
55,  70*  hinter  haruspex.  Endlich  erklärt  sich  esquilis  102,  88 
wohl  am  einfiachsten  als  AbL  von  Esquiliae,  das  wie  ein  Städte- 
namen  behandelt  wird,  die  ja  gern  in  späterer  Zeit  in  der  in- 
deklinabel behandelten  Ablatiyform  erscheinen,  s.  Mommsen  Herrn. 
32,  466;  dagegen  ist  colaphis  128,  57  aus  der  Yulgata  entnommen, 
in  der  das  Wort  3mal  in  dieser  Form  erscheint,  nicht  anders 
;als  discolis  101,  7*  von  dyscolus  aus  Vulg.  1  Petr.  2,  19  (vgl. 
Schmitz  Beitr.  298  ff.).  Anderweitige  Veränderungen  des  Vokalis- 
mus oder  Konsonantismus  liegen  in  folgenden  Wörtern  vor,  die 
gröfstenteils  von  den  Herausgebern  richtig  gedeutet  worden  sind, 
wenn  auch  nicht  ohne  gelegentlichen  Widerspruch:  recinus  91,  17 
=  ric,  pestrinum  und  in  pestr.  53,  17  u.  17*  =  pistr.  etc.  (auch 
das  Notenbild  ist  an  pestis  angelehnt;  das  korrekte  pistr,  steht 
94,  90),  verbicifia  108,  57  =  verbecina,  antegradum  95,  72  =  miti" 
gradum  (s.  unten  S.  80),  serpicuhtm  83,  43=  sirjh  (Schmitz 
bemerkt:  ^Koppius  cur  citaverit  Propert.  4,. 2,  40,  non  assequor'; 
doch  wohl,  weil  daselbst  sei'pie.  überliefert  ist,  während  sonst 
sirp-,  scirp-^  surp-  sich  findet),  sororeddtnm  98,  63  =  sororidahim 
(ein  schlagender  Beweis  für  die  Benutzung  des  älteren  Pliuius 
(8,  195)  in  den  Glossen,  wie  schon  Kopp  sah),  sareza  77,  52  = 
sarisüj  verginetis  43,  90  =  virgineus  (Verginius?),  arepennis  36,  8 
=  arip.y  genetcUis  95,  43  =  genit  (letzteres  steht  28,  62);  pan- 
nunadus  und  pannoclarea  95,  66  f.  «=  payiniadiis,  pannuc(u)laria 
(s.  mein  Programm  „Sprache  des  Petr.^  S.  3.  45);  paenus  21,  1  =*: 
penuSj  fetor  103,  35  =  faetor;  gressator  98,  42  =  gross.;  guridus 
62,  13  zw.  faiuvSj  morio  und  stolidus  ==  gurdus  (im  Roman,  fort- 
lebend); iubor  und  tuhorosus  112,  40  =  tuber  etc.;  scdubromm 
77,  3  =  scdebr,,  doch  s.  S.  70 A.,  ammtUa  101,  49  =  (}i)am\üa,  her- 
vüia  104,  62  =  erv.  (Ed.  Diocl.  1,  12  herh).  Für  dilenis  58,  74  =»= 
ddirus,  dUenimewtum  79,  48,  difinitum  34,  61*,  dilumbatus  79,  41 
gilt  das  oben  S.  41  f.  über  Komp.  mit  di-  Gesagte,  und  auch  divium 
38,  17  neben  ift-,  ob-,  pervium  wird  als  devium  gemeint  sein  (Gl. 
11,  282,  3  dvöödevTog  divius)  trotz  der  Glosse  divium  dioSicc  II, 
503,  32,  die  aber  anderswo  mit  devium  überliefert  ist  (vgl.  S.  56  o.). 
Volksetymologische  Umgestaltung  zeigen cordeocMS neben  ca/^ 
diaeus  111, 52  (s.  die  Glossen),  incaustum  102, 26  =  enc  wie  in<!omma 
««=  iyxoiiiucj  impiliaj  incaenia  (in  Glossen),  imbolia  (Isid.  15,  2,  26), 


60  W.  HeraeuB: 

impurium  =  enipar.  (Anth.  lat.  ep.  1266,  2),  inergumenos  (Anth.  1. 
ep.  1356,  19,  Glossen  u.  a.);  vgl.  imwrmis  Not.  Tir.67,  44  nach  dem 
Notenbild,  während  das  Interpret,  hwrmis  überliefert  ist,  wie  auch 
in  den  Glossen  wohl  inormis,  aber  nie  innormis  begegnet  (vgL 
Arch.  III,  148.  IX,  386).  Wechsel  von  l  und  r  zeigen  veUrcJia 
108,  97  wie  im  Romanischen:  ital.  teltro,  C.  Gl.  III,  431,  20  vel- 
tragus,  Lex.  Sal.  6,  veltris  (die  feminine  Endung  Grat.  cyn.  203 
überl.),  serpilastnim  83,  44  =  serperastmm,  Wechsel  von  l  und  n: 
nympJioticum  und  ntftnphidum  113,  53  (ersteres  auch  in  Glossen); 
prolepos  48,  74*  zwischen  prompus  (=  -os)  und  lep^iSy  was  jetst 
klar  wird  aus  den  Glossen,  die  für  ^lepos  eine  Nbf.  lepos  mit  der 
roman.  Bedeutung  ^filius  fratris'  bieten,  s.  Loewe  Prodr.  340  und 
C.  Gl.  VI  s.  V.  (prolepticiis  vermutete  Kopp  für  proleposy^  nuctm- 
cuIhs  109,  33  =  luCj  wie  oben  S.  54  vermutet  wurde.  Ohne  wei- 
teres klar  ist  aquileius  73,  54  hinter  aquäex  =»  a^äegus  (oder 
Aquilius?  das  Hilfszeichen  ist  freilich  ius),  sifams  «=»  sipharus 
oder  supparum  109,  88  (die  Stelle  ist  von  Brandes,  de  asp.  lat. 
p.  22,  nach  dem  siparum  die  echte  Form  ist,  übersehen),  canabun^ 
(st.  -?s,  vgl.  S.  70),  welche  Form  auch  im  Roman,  z.  T.  voraus- 
gesetzt wird;  clancatio  28,  51  =  clarigatio,  esquilentum  102,  87  =- 
esctdaitiim  (an  aesmlHum  ist  wohl  weniger  zu  denken,  trotz  pdlr 
fnefitum  Gl.  II,  472,  39,  pomentum  304,  33  u.  a.),  conftuchis,  de- 
fludiis  73,  84  =  cofi-,  defluxus.  Endlich  glauben  wir,  einige  an- 
dere Wörter  der  Liste  Ruefs',  die  bisher  eine  Crux  der  Interpreten 
bildeten,  auf  bekannte  zurückfahren  zu  können:  {Hscipulum  91,  46 
(so  der  Cass.;  Gruter  suscipidum  mit  anderen  Hdschr.,  *non  in- 
tellego'  Schm.)  auf  sescipulum  =  sesqiuptum  (vgl.  Gl.  IV,  284,  21 
sescupulum) y  conlubnum  42,  17  zwischen  vedigal,  lucar  und  ratio 
auf  cofilubium  =  coUubum  (so  lautet  der  Nom.  in  den  Glossen, 
bez.  cofilibium  IV,  322,  46;  vgl.  Du  C.  s.  v.  cöllihmm)  xöXlvßog^ 
bez.  'OVy  was  in  den  Zusammenhang  jedenfalls  gut  pafst  (Schmitz 
stimmte  mir  brieflich  bei);  verhina  108,  57  zwischen  verhex  und 
verbiet nu  auf  verbena  (Vossius  venüna,  Kopp  vervina  als  Nbf.  von 
verbicina),  endlich  eine  Crux  der  älteren  Erklärer:  cestifer  36,  94 
hinter  viocunis  am  Schlufs  der  Namen  von  röm.  Magistraten  auf 
cistiber  (Mart  5,  17,  3  cistd^etv  als  Dativ,  was  von  0.  Hirschfeld 
aus  den  Hdschr.  wiederhergestellt  und  erklärt  worden  ist  nach 
C.  I.  L.  VI,  420  Cistiber  aus  der  Zeit  des  Commodus  und  ICaibel 
epigr.  589  Kiörißag,  worüber  Näheres  im  Rh.  Mus.  54,  309, 
auch   über  den   Irrtum  der  häufig  überlieferten  Glosse  vicorium 


Beiträge  zu  den  Tironischen  Noten.  61 

(vicortis  u.  ä.)  et  cistifer  nomina  sunt  nietaUorum  (b.  auch   unten 
S.  83). 

Indem  wir  noch  einige  Bildungen  fiir  einen  anderen  Zu- 
sammenhang aufsparen,  wenden  wir  uns  zu  den  Fiktionen.  Über 
sie  gilt  im  allgemeinen^  was  schon  oben  S.  44  f.  bei  der  Behand- 
lung der  Komposita  des  Yerbums  bemerkt  worden  ist.  Beispiels- 
weise sei  folgende  Reihe  citiert  (21,  70fiF.):  nomerij  epinometi  (s. 
oben  S.  55),  anomen  =  agn,,  adnomen,  connomen,  cognomen,  de- 
nomen,  pemomen,  prononien,  praenometi,  wozu  interpolierte  Hdschr. 
noch  renotnen  fügen.  Aber  auch  die  gute  Überlieferung  hat  schon 
Erweiterung  erfahren.  Denn  wenn  auch  adnomen  und  connatnen 
nur  Schreibvarianten  sind  (ersteres  findet  sich  für  agnofnen  z.  B. 
C.  61.  II,  399,  29  und  lul.  Capit.  Ver.  3,  5  codd.,  zu  letzterem 
vgL  confiato  Inschr.  Murai  1536,  9  =  cognato),  epinotnen  sich 
immerhin  als  hybride  Bildung  =  supemomen  (s.  oben  S.  55)  er- 
klaren läfst  trotz  der  Möglichkeit  der  Korruptel  (C.  Gl.  V,  357,  11 
epinome:  fnemoria,  richtig  358,  31  epitomen  memoria  vel  brevior 
riuw),  so  sind  doch  de-,  per-  und  renomen  schon  Kopp  mit  Recht 
höchst  verdächtig  erschienen.  Zu  denonien  vermutet  er  Anlehnung 
an  das  Yerbum  denofninOy  zu  den  beiden  anderen  Bildungen  be- 
merkt er  ^modum  excessisse  notarum  auctores  in  componendis 
nominibus  haec  etiam  nota  docet'.*)  Ähnlich  äufert  er  sich  zu 
admens,  commens  34,  88  f.  zwischen  mens,  amens  imd  demens,  ve- 
hemens,  sowie  zu  den  meisten  im  Folgenden  besprochenen  Kom- 
positen, die  sich  schon  dadurch  z.  T.  als  Fiktionen  verraten,  dafs  sie 
nur  in  interpolierten  Hdschr.,  bez.  Partien  stehen,  wenn  auch  der 
grundlegende  Cassellanus  schon  nicht  ganz  frei  davon  ist,  wobei 
die  Anlehnung  an  Formen,  die  in  unmittelbarer  Nähe  stehen, 
meist  handgreiflich  ist.  So  steht  20,  58*  invena  vor  inventuSy 
offenbar  nach  Analogie  der  vorhergehenden  a4vena,  adventuSy  can- 
venay  conventtis,  denn  eine  Bildung  invena  ist  in  jeder  Beziehung 
unwahrscheinlich  (anders  steht  es  mit  spätem  trafisvena),   Procisas 


•)  Doch  ist  auch  hier  Vorsicht  geboten.  Z.  B.  insecundus  57,  64,  das 
Kopp  bezweifelt,  ist  Eutr.  9,  24  überliefert,  wenn  auch  aus  formalen  Grün- 
den bestritten,  infeis  45,  12  hinter  fas,  wird  von  Kopp  infans  gleichgesetzt, 
was  nicht  nnmöglich  ist,  da  infans  sonst  in  den  Noten  fehlt,  doch  findet 
sich  C.  Gl.  in,  451,  57  u.  488,  69  infas  ScQ-i^iitov.  perscriptura  7,  10  ist 
von  Schmitz,  Festschrift  zur  Trierer  Phil.-Vers.  1879  p.  60,  aus  dem  Floren- 
tinas Dig.  29,  1,  8  wiederhergestellt  (cum  tesiamenti  facient  perscripturam ; 
vg.  ewn  testamentum  f,  per  scripturam). 


62  W.  Heraeus: 

11,  66  unter  Komp.  von  mesus  ist  mechanigch  nach  procidii  n.  45- 
der  vorhergehenden  Reihe  eingesetzt,  wie  umgekehrt  praect(2»7  n.  46- 
nach  praecisiis  n.  67  (s.  S.  43).  Adstabilis  24,  49^  zwischen  ston 
bilis  und  constabilis  entspricht  der  Reihe  stat,  adstaty  eonstatj  wo- 
bei selbst  comtabilis  nicht  ganz  frei  Ton  dem  Verdacht  ist,  daCs 
es  aus  dem  folgenden  canstabüitum  vom  Sammler  erschlossen  is^ 
trotzdem  C.  61.  Y,  180,  23  coJiibiUus:  coistabäitis  sidbi  findet  and 
Verstärkungen  mit  con-  im  Spätlatein  beliebt  sind  (s.  unten  S.  64; 
anders  constibüts  bei  Varr.  r.  r.  wie  restibilis,  s.  Arch.  I,  582).  In- 
fiduciarins  34,  56'  steht  verdächtig  nach  fidelis,  infiddiSy  fiduckh 
riiis.  Ebenso  erklärt  sich  ohseciindus  57,  62^  ans  obsecmndai  64, 
transvidetÜHS  53,  43'  aus  trafisviolaiy  obsopor  83,  29*  aus  dbsopüj 
resplendor  33,  100  aus  resplendet,  revilitas  39,  85*  aus  reväescii, 
dilenis  79,  47  aus  delenimentiimy  definis  34,  60,  difinis  60*,  m- 
ftnis  bl*^  aus  definU,  infinitum]  eformis  67,  39  wohl  aus  enormis^ 
bez.  in(n)ormis  n.  44,  wie  umgekehrt  vielleicht  narmosus  72,  72* 
hinter  ^nortna,  tiormida  nach  forma,  formvia,  fonnostis  67,  35 ff. 
gemacht  ist,  sdlarensis  101,30*  hinter  sdla,  sellarius  nach  100,  47 
celln,  -arius,  -emis]  mifro/ctarius  81,  29  vor  effmdarim  aas  an- 
fractus,  das  freilich  erst  in  interpol.  Hdschr.,  bes.  Partien  erscheint, 
aber  den  Verdacht  erhöht,  dafs  hier  nicht  alles  in  Ordnung  ist 
Aus  präpositionalen  Ausdrücken  abgeleitet  sind  wohl  indUia 
43, 53*  vor  in  ditione  (=  in  die.)  und  entsprechend  subdictia 
n.  53*";  degratus  28,  72*  zwischen  gratus  und  ingratus  ms 
de  gratia  n.  79  nach  in  gr,,  daher  man  auch  incoftfiJt^ibernßiii^ 
89,  91*  nach  der  Reihe  contuberniumy  contubemaliSy  in  canr 
iubemio  mifstrauisch  betrachten  darf  (vergleiche  auch  inepidixis 
93,  77  und  probdlis  23,  54*  nach  ifibellis,  wenn  nicht  die 
ursprüngliche  Note  pei'bdlis  =  perdueUis  war).  Mehr  oder 
weniger  verdächtig  sind  auch  exhalitus  102,  22  nach  häkUy  haiiiuSy 
exhalat]  delixum  93,  5  nach  prolixum,  elixmn  (oder  =  dekiciimT)y 
evadinionium  73,  46*  nach  evadaticiae  entsprechend  vadimomnm 
vor  vadaticiae]  restitor  55,  13*  nach  iuMigat,  institor,  restigat 
(trotz  plautinischem  restitrix  und  desiitor  bei  lulian.  epit.  nov.; 
restitor  ftlr  resHtutor  führt  ForcelL  aus  späten  Kaisermünzen  an), 
reluvies  82,  26  in  der  Reihe  ehiity  cofi-,  cK-,  re-,  sfibluit, 
ehiviesy  in-,  con-,  di-,  re-,  subluvies  (oder  ist  rduvies  so  viel 
als  sMuvies  Nagelkrankheit?  vergleiche  rcluvium  für  reduma 
bei  Fest.  p.  270),  mepus  48,  71*  vor  oft-,  pranepos  (Schmitz 
vermutet   aenipes;    man   könnte,  auch   an   den   Flulanamen   Etvir- 


Beiträge  zu  den  Tironischen  Noten.  63 

petiS*)  (iiiBchr.auch'-Ei/^3rovs)  denken  oder  extranepos  vergleichen,  das 
vom  ramän.  stranepot  ,,Urenkel*^  vorausgesetzt  wird),  deuter  6,  23 
nach  netikr  (Schmitz  Arch.  I,  286  hält  es  für  Komp.  von  tUer,  ohne 
es  ZQ  erklären;  vielleicht  ist  es  latinisiertes  dsvxsQos  mit  vul- 
gärem Schwund  der  Endung,  vgl.  deutrus  bei  Du  C),  elimen  59,  56* 
zwischen  Urnen  imd  mblimen  (vielL  ans  diminat  fingiert  oder  als 
Nbf.  von  dimentum  nach  Analogie  von  velanien,  vdamenfmn;  di- 
menium  ist  eine  häufige  Schreibung  für  elementuMy  die  dann  An- 
lais  zu  Verwechslung  mit  dem  sinnverwandten  cüimewtum  gab, 
sodab  ajätere  Grammatiker  Vorschriften  über  die  Unterscheidung 

der  VJTörter  gaben,  s.  Anecd.  Helv.  289,  20).**)     Eine  besondere 

■  ^ 

*)  So  vermutet  auch  Breidenbach  a.  a.  0.  S.  22  für  Aenepus  114,  89 
in  der  Liste  der  Eigennamen. 

•*)  Anders  Hülsen,  Phil.  56,  385  A. ,  dessen  Ausführungen  mich  nun- 
mehr an  der  Ursprünglichkeit  der  ganzen  Reihe  sowie  an  der  Richtigkeit 
von  sublimen  u.  sublimentissimus  ebd.  zweifeln  lassen,  während  ich  früher, 
Phil.  65»  197  f.,  die  sonderbaren  Formen  mit  inschriftlichem  piens,  pienHssi- 
mu8  verglich.  Die  Reihe  lautet:  limefi,  [elimen],  sublimtn,  [sublime7itumj, 
vir  sübUtnen,  vir  sublimentissimus.  Da  sie  unter  lauter  Titulaturen  steht, 
80  ergiebt  sich,  dafs  sublimis  (bez.  vir  sublim i 8),  das  in  dieser  Form  in 
daa  Noten  fehlt,  das  Ursprüngliche  war.  Die  Verderbnis  der  Endung  in 
-en  veranlafste  die  Änderung  des  Noienbildes  wie  in  vielen  Fällen,  die  gar 
keine  andere  Erklärung  zulassen.  Der  Zusatz  vir  suhlimentissimus  ergab 
sich  dann  von  selbst  (vgl.  die  folgenden  Titulaturen).  Limen  aber  wurde 
aus  etymologischen  Gründen  in  die  Gruppe  gesetzt.  Die  jüngsten  Zusätze 
sind  elimen,  was  oben  zu  erklären  versucht  wurde,  und  sxiblimentum ,  was 
vieUeickt  nichts  ist  als  eine  vulgäre  Schreibung  für  subplementitm  {subpli- 
menium  Not.  Tir.  29,  50  cod.  Cass.,  Val.  Max.  7,  6,  1  codd.  u.  0.).  Sublimen 
selbflt  könnte  aber  als  Kompos.  von  limen  nur  im  Gegensatz  zu  superlimen 
„Oberschwelle"  (Orelli  5129  =  Wilm.  2096,  vom  J.  56  n.  Chr.,  C.  Gl.  III, 
268,  64  tb  vn^Q&vQOv  superlimen),  wofür  in  der  Vulgata  sxiperliminare,  von 
Servius  Aen.  3,  351  das  in  den  Lexx.  fehlende  suhliminium  gebraucht  ist, 
die  untere  Thürschwelle  bedeuten,  entsprechend  sublim^inyare:  limen  C.  Gl. 
n,  594,  44  (ee  folgt  9uperli>ninare:  supertus  Urnen;  vgl.  Althochd.  Gl.  lü,  1 
sublimitcir^:  dris  gufli).  Bei  dieser  Gelegenheit  bemerke  ich  zu  der  Nach« 
prüfung,  die  von  Hülsen  an  den  inschriftl.  Zeugnissen  für  einen  Positiv  piens 
a.  a.  0.  geübt  ist  und  ihn  zur  Bestreitung  desselben  geführt  hat,  dals  zwar 
einige  Inschriften  immerhin  Zweifeln  Raum  geben,  dafs  aber  z.  B.  C.  I.  X, 
3148  cwn  suo  piente  marito  durch  den  wenn  auch  noch  so  barbarischen 
Yere  gesichert  ist  und  Buecheler  Anth.  lat.  epigr.  1826  keinerlei  Zweifel 
an  der  Echtheit  der  Inschrift  ausspricht.  Auch  könnte  die  Bemerkung  pi-- 
entius  dici  non  polest  Anecd.  Helv.  p.  55,  8  gegen  wirkliche  mifsbräuchliche 
Anwendung  von  piens,  pientior  nach  dem  Superlativ  pientissimus  gerichtet 
sein.  Die  von  Forcellini  citierte  Glosse  pietis  s-bosßijs  ist  moderne  Fäl- 
schung (Onomast.  Labb.). 


64  W.  Heraeus: 

Betrachtung  verdienen  die  mit  cofi-  komponierten  Nomina. 
Corulisciplina  53,  86  nach  discipahts,  discijjiina,  condiscipultis  hat 
schon  Kopp  der  Fiktion  verdächtig  gefanden.  Nicht  anders  wird  es 
stehen  mit  condavicula  50,  88*  hinter  clavis,  davictda,  condavis 
(eine  in  den  Glossen  überwiegende  Form  für  -rc,  s.  S.  87);  ctmliheriiiims 
34,  39*  hinter  Uherius,  cotdibertus,  libertinns;  canuiculum  12,  102* 
hinter  iactat^  ia>culum,  coniectat;  cohtquilinus  13,  55*  hinter  in- 
quinat,  couiquinat,  hiquilimis;  cotistuprum  42,  66*  zwischen  shiprum 
und  constupratum,  während  coniaHura  40,  53  hinter  iadura  wohl 
=  coniectura  ist,  confluctas  ^  cmifluxus  (s.  oben  S.  60),  canilatinus 
3,  4  hinter  latinus  =  Collatinus  wie  in  Hdschr.  des  Livins  und 
Florus  (Anecd.  Helv.  p.  175,5  wird  conlatina  porta  verlangt).  Wah- 
rend hier  die  Entstehung  klar  ist,  finden  sich  anderswo  Bildungen, 
denen  man  ratlos  gegenübersteht.  Was  soll  man  z.  B.  von  ron- 
capsa  92,  56  in  der  Reihe  capsa^  Capsula^  capsarius,  concapsay  ca- 
tasta  si^en?  von  coyvtrtdUum  101,  68  hinter  trugäu  =»  tmeUu 
(truUitifn  selbst  fehlt!  vgl.  contröle?  oder  concilium  Trullanum?), 
von  coaegyptia  u.  -iacus  86,  58*  u.  ^  hinter  concaegypUis  (^  cmnes 
Aegypti  nach  Kopp),  von  cotifors  10,  54  hinter  fors  (nach  coftsors 
gemacht?),  von  condiariiim  41,  48,  das  wie  ein  Kompositum  von 
diar.  aussieht,  von  Schmitz  mit  der  Bemerkimg  abgethan  ^Kopp 
superflue  proposuit  conditorinm\  Doch  hier  helfen  uns  einmal 
die  Glossen  wieder,  welche  nicht  zweifeln  lassen,  dafs  es  nichts 
als  eine  vielleicht  volksmäfsige  Umgestaltung  von  cotigiarium  ist 
(condiarium:  dofium,  Stipendium  u.  ä.,  s.  C.  Gl.  s.  v.  cangiar,  und 
condiar.)y  und  passend  reiht  sich  das  Wort  an  die  auf  derselben 
Tafel  stehenden  Stipendium,  salarium,  dmiatiimm,  vestiarium  (Kleider- 
geld), diaria  (in  den  Not.  Bern.  41,  74  steht  condiarium  hinter 
Kompositen  von  condit).  Ebenso  verdächtig  sind  trotz  der  Vor- 
liebe des  Spätlateins  für  Verstärkungen  mit  con-  die  Adjektiva 
co^igratus  78,  73*  nach  congratidatur;  coaequobilis  46,  37  nach 
aequaliSy  coaeqiiaUs,  aequahiUs;  confatigahüis  72,  40  nach  con- 
fatigat;  consolidus  40,  38*  (aus  consölidare  erschlossen?  doch  vgl 
die  Pflanze  consolda),  consanus  53,  27*  hinter  samiSj  insanus, 
vaesanus  (=  Cosanus  oder  Compsanus?  Consanus  civis  Cic.  Verr. 
5,  158  codd.,  und  aus  den  Verrinen  sind  viele  Eigennamen  ge- 
schöpft, wie  schon  Kopp  erkannte*)),  consuavis  21,  56  nach  stia- 
vis,  insuavis  (aus  consuavio  =  co9isavio?).    Von  conme^\s  und  con^ 


*)  S.  jetzt  Breidenbach  a.  a.  0.  p.  32  flf. 


Beiträge  zu  den  Tironischen  Noten.  65 

stahilis  war  schon  oben  S.  62  die  Rede.  Indem  wir  die  mit  Präposi- 
tionen zusammengesetzten  Nomina  verlassen^  erwähnen  wir  noch 
einige  Simplicia^  die  aus  Kompositen  fingiert  zu  sein  scheinen, 
wie  vacuaneum  32,  41  aus  supervacuan,  n.  43,  bustus  93,  28*  hinter 
bustum  aus  conbiistum  (oder  mask.  Nbf.  des  Subst.  wie  Anth. 
lat.  ep.  1433,  4?  vgl.  C.  Gr.  V,  573,  1.  Doch  s.  burere  Arch.  II, 
268),  temans  92,  14  aus  viMus  contemans  Vulg.  Is.  15,  4?,  menr 
stris  42,  46  (vor  menstni(^uym,  viell.  als  blofse  Endung  gemeint 
för  tri-j  se-,  bimestris,  die  übrigens  in  den  Noten  fehlen),  pandium 
63,  30  aus  dispandmm  n.  32  (=  dispend.?  s.  auch  oben  S.  44 
expadat  u.  disp,).  Vielleicht  auch  lacebris  57,  12  vor  inlacebris 
(die  auffallende  Endung  -is  ist  wohl  durch  falsche  Auffassimg 
von  in  entstanden),  doch  steht  Jecebrae  in  den  Glossen  und  volu^ 
crum  75,  98  für  involucrum  findet  sich  bei  Gregor.  Tur.  (s. 
Bonnet  p.  175,  7)  in  der  Form  voluclum  (anderes  bei  Du  C);  munis 
38,  10  bei  Plaut.  Von  Monstrositäten  wie  Sopotamin  94,  4P  vor 
Mesopot  und  ähnlichem  schweigen  wir  ganz;  über  sinteria  s.  oben 
S.  55.  Von  anderen  Ableitungen  erregen  Verdacht  tantunicunque 
5,  27  in  der  Ableitungsreihe  tayitus,  entsprechend  quantumarnque 
der  vorhergehenden  Reihe  quantm;  apostolaticiiis  4,  85*  nach 
postvdaticius,  apostohis  eingeschoben,  falls  hier  nicht  Korruptel 
vorliegt  (apostatiais  o.  ä.;  doch  könnte  es  Bildung  vom  Subst. 
IV.  Dekl.  apostolatus  sein);  ostentaeulmn  12,  22  nach  ostentat y  vor 
sustentat,  snstentaculum;  fratrimonium  33,  43*  hinter  patri-,  niatri- 
numium,  entsprechend  der  vorhergehenden  Reihe  patemnmy  mat,, 
frat.  (doch  s.  Du  C.  ^  bona  fratema),  lindbrum  110,  31  in  der 
Reihe  linum,  linaria,  linabnim,  linameny  linanieiitumj  die  völlig 
konform  der  Reihe  velum  p.  102,  82 — 86  verläuft,  wobei  Hnmnen 
als  Nbf.  von  Ihiamentiim  (vgl.  Hnteamen  u.  'tnentum  unten  S.  76) 
möglich  ist. 

Mit  weniger  Sicherheit  lassen  sich  eine  Anzahl  von  Dimi- 
nutiven bestreiten.  Das  Volks-  und  Spätlatein  liebt  ja,  was  auch 
die  roman.  Sprachen  bestätigen,  diese  Bildungen  mafslos,  und  an 
sich  läfst  sich  die  Möglichkeit  ihres  Vorhandenseins  in  der  leben- 
digen Sprache,  wenn  auch  nur  der  späteren  Zeit,  nicht  wohl 
leugnen,  wie  ja  auch  durch  Glossen  und  Inschriften  gelegentlich 
solche  Formen  gesichert  sind.  Allein  äufsere  Indicien  erwecken 
auch  hier  öfters  den  Verdacht,  dafs  wir  es  mit  Fiktionen  nach 
bekanntem  Schema  zu  thun  haben.  In  einem  Fall  sind  wir  in 
der  glücklichen  Lage,  auch  im  cod.  Cass.  1.  Hd.  eine  Interpolation 

Archir  für  Ut.  Lexikogr.    Xn.    Heft  1.  b 


66  W.  Heraeas: 

nachzuweisen:  92,  2  f.  caenaculum,  caettacdlum,  canava,  camea;  aus 
der  61.  ScaL  (C.  GL  Y,  595, 69,  s.  S.  83)  cafiava  camea  post  caenacidum 
ergiebt  sich,  wie  schon  Kopp  sah,  dafs  caenacdlmn  ein  apäterea 
Einschiebsel  ist  Wir  begnügen  uns  mit  der  Aufzahlung  der 
sämtlichen  Diminutiva^  soweit  sie  neu  oder  nur  einmal  belegt  sind^ 
ohne  im  einzelnen  uns  zu  entscheiden.  Diminutiva  hufeUa:  bubeUa 
103,  71*  hinter  bubida  (sc  caro),  caudilla  96,  30  hinter  caiukk, 
caudula;  tnaceUa  40,  82  hinter  in(icula  (span.  mancilla,  s.  Gröber 
Arch.  ni,  520;  übrigens  ma^dla  mlai  auch  für  -um)^  spotiddla 
95,  70**  hinter  spondtda;  plumella  105,  85  hinter  pluma  (Gregor. 
Tur.  patr.  14,  1  tapetes  vel  plumellas;  61.  V,  630,  63  pulvillum: 
plumella,  ptdvinum,  s.  auDserdem  Du  C),  pusMla  111,  91'  nach 
Pustula  (romanisch,  s.  Diez  s.  y.  postäla^  und  in  Glossen:  s.  Arch. 
VIII,  384),  barcella  110,  15  nach  barca,  barcida;  cupdla  96,  23 
nach  cupa,  cupuia  (Apic.  und  Gloss.).  Auf  -eUum:  cenaceUum 
92,  3  nach  cenaculum,  fascinabeUum  112,  83  nach  fascitialndum, 
oscellum  58,26  nach  osculum  (osciüum?)y  segestellum  99,27  nach  se- 
gestre,  tintinabellum  112,  87  nach  -abulum,  praedisdlum  37,  54 
hinter  praediolum  (spate  Mifsbildung  wie  arhoriscettuSy  lepiscellus 
im  Beichenauer  Glossar,  ramisceHus  u.  rogisc.  im  Roman.?  Oder 
aus  praedhim  und  sella  gebildet?),  flosceüum  105,  Gl  nach  flos- 
culum  (Apul.  herb.  u.  Gloss.),  frustellum  104,  2  (61.  III,  379,  38  u.  ö., 
Amm.  -dUum),  capisteilum  hinter  capistrum  (Ed.  Diocl.  10,  6,  aufser- 
dem  C.  I.  VIII,  8457;  Kopp  *hoc  nomen  non  intellego').  Auf 
'illum:  subüillum  109,  35  unter  Gebäck  zwischen  favum  und 
mustacium,  was  gegen  Schmitz'  Konjektur  sorbitiUum  gesichert  ist 
nicht  nur  durch  Athen.  XIV  647  F  (Citat  aus  dem  Pemmatologen 
Chrysippos)*),  sondern  auch  durch  die  Glossen,  z.  B.  UI,  87^  82 
atßLtMog  sivitüluSf  und  sich  als  lateinisches  Diminutiv  zur  Not 
erklären  läfst  (vgl.  panis  speusfiais  Plin.  18,  105  und  „Sprache 
des  Petron  und  die  61os8en^^  S.  28  A.  4) ;  puMcHllum  80,  38  hinter 
punctum  (Solin.).  Auf  -cula  u.  -culus:  inauricula  99,  73'  hinter 
auris^  hiauris^  auricula;  ccndavicula  (s,  oben  S.  64);  facuitaiicula 
30,  55  {-atula  ^kleines  Vermögen'  Hierou.  und  Du  C),  pulvicula 
113,  74'  hinter  pulvis  (davon  span.  polilla  „Kleidermotte^^  nach 
Diez;  -iculus  Solin.  15,  28,  sonst  -isadus:  feminines  2^lvis  ist  be- 
kannt), siticula  104,  68  vor  siticidasus  (wie  Gl.  II,  185,  15  sitir 


*)  Vgl.  über  edubium  in  derselben  Reihe  der  Noten,  das  wir  gleich* 
faÜA  durch  Athen,  erklären  konnten,  oben  S.  64. 


Beiträge  zu  den  TironiBchen  Noten.  67 

ciila  diiffcc,  aber  III,  190,  8  s.  ditl^dg  unter  Schlangen,  vgl.  oben 
dibsa  S.  54);  basiada  100,  64  und  pelvicula  101,  64  (beide  bei 
Vel.  Long,  ohne  Beleg),  neptieula  48,  77  (aufser  bei  Symmachni 
noch  C.  L  VI,  28562.  VIII,  2604  und  in  den  Glossen;  neptis  non 
neptida  App.  Prob.  p.  199, 1);  funiada  110,  26  (Charis.  p.  125,  22 
ohne  Beleg,  sonst  -culuSy  umgekehrt  canicukuSy  s.  S.  57);  hosticulus 
48,  40  nach  hostis^  somnicultis  83,  17  nach  somnus  (vgl.  somnicur 
losus  und  frz.  sommeü),  suericulum  103,  64  vielleicht  Dim.  von 
dem  folgenden  mis,  Gen.  sueris  nach  volks-  n.  altertüml.  Flexion 
wie  cinis,  cineris  (surcultim  vermutet  Kopp);  pejninculiis  104,  50 
nach  p^M),  sieliunculus  109,  54  nach  stdio,  temtmc,  112,  50  nach 
iemo,  uniunc.  99,  76  nach  unio,  pemuncuhis  103,  72  nach  pema 
„Schinken"  (=  pemiuncidus  bei  Plin.  von  pernio?),  apruncidus 
108,  26  (s.  oben  S.  56),  andrunculus  100,  27  nach  andron  (An- 
drodus  Kopp),  titiunculus  102,  12*  nach  titio  „Feuerbrand"  (s. 
Buecheler  Arch.  II,  119  über  die  Vogelart  titiunculus;  Polem. 
Silv.  p.  267  Mms.  titumglus),  btirdunculus  112,  43  nach  hirdo 
JWerd"  (bei  Marc.  £mp.  eine  Pflanze),  leuncidus  108,  18*  hinter 
leo  (Vulg.);  über  nucuncuhis  =  lucunc,*)  u.  pcmnunctäus  =  pcmnic. 
s.  oben  S.  60.59;  catäiuncida  43,  27,  donatiunc.  41,  91,  natiunc. 
48,  29,  pactiunc,  43,  32  hinter  cautio  u.  s.  w.,  auciiuncula  57,  21 
(auch  in  Glossen).  Auf  -uluSy  -tila,  bez.  -oZmw,  -ola:  cdvtdtiS 
119,  17,  serractdum  112,  73  unter  Wagen  (fehlt  in  den  Leix., 
obwohl  Amm.  31,  2,  18  sarradis  überliefert  ist;  vgl.  C.  Gl.  II, 
505,  27  saradum  aiia^a  und  N.  J.  f.  PhiL  1897  p.  359  über  mut- 
mafslichen  Zusammenhang  mit  öaQccyagov  rheda),  hipulus  108,  86* 
(mittellat.  „Hopfen"?),  denhdus  68, 1  (Schm.  denticulus,  doch  siehe 
S.  67A.mid  vgl.  roman.  dentdl%Ls\  peculus  40,99*  hinter  pcaisi^y^ 
cermdus  103,  72  (Front,  strat.),  fluviolus  73,  93»  (Greg.  Tur.),  hae- 
dulus  108,  59  (luv.),  hntidus  116,  89  (Cic),  mimulus  106,  71 
(Amob.),  nervulus  65,  87*  (Cic),  voffulus  89,  78  hinter  vagm 
(Hadr.  und  C.  GL  III,  179^  20  «=  ^(ißogy,  spondula  95,  70  nach 
sponda,  eucumula  101,  66  (Petr.),  cyndnda  99,  80  (aufser  Plin.  ep. 
noch  App.  Prob.  194,  16),  vaginula  11,  55*  (Plin.  maL),  iragtda 
110,  36   vor  hdcia   (Varr.  1.  1.,   nach   dem   es  Dimin.  von  traha 

•)  Vgl.  Lindsay  Archiv  XI,  332  über  die  Form  lucuntuhis,  die  sich 
aufser  an  den  beigebrachten  Stellen  noch  C.  Gl.  m,  316,  1  litocuntuli  (sie) 
rriyttvltai,  findet  (vgl.  auch  Xovxovvtloi  Athen,  p.  647  D).  Die  Bildung  vom 
Stamm  hicunt-  ist  regelrecht  wie  infantalus,  adoI^scentuHtM ,  dentulus  Not. 
Tir.  (8.  o.)  u.  a.     S.  auch  'Sprache  des  Petr.'  S.  49  A.  1. 

5* 


68  W.  Heraeus: 

„Schleife^'  ist,  also  wohl  trägula  anzusetzen  ist,  vgl.  Gl.  V,  250,  8 
trahue,  quae  mstici  tragul<i  vocant),  spiculn  96,  82  nach  spica  (ApuL 
herb.),  asciola  119,  90  (Isid.,  61.  V,  590,  25),  aber  mit  hdlictda 
68,  36  hinter  Jialica  nnter  Getreidearten  ist  wohl  das  Kleidungs- 
stück hälic.  =  al(l)ic.  gemeint,  das  77,  55*  richtig  eingeordnet  ist 
{H  ist  überall  im  Notenbild,  Tgl.  über  die  von  den  Granmiatikem 
verworfene  Aspirierung  der  Wörter  Vel.  Long.  C.  Gr.  VII,  68,  18, 
Caper  p.  107,  12  und  das  Wortspiel  Mart.  12,  8),  artificiolum 
53,  90  (cf.  Du  C),  miniolum  98,  90,  prandiolum  103,  12,  prae-  u. 
subsidiolum  34,  10  u.  12*,  prodigiolum  58,  39,  scapiiiolum  101,  73, 
venefiaolum  82,  53,  plateola  120,  78  (Du  C),  aedificiolum  81,  63 
(Inschr.),  monasteriolum  55,  45*,  scrinidum  101,  20  (beide  bei 
Hieron.),  graplmlum  76,  47  (Ven.  Fort,  und  Glossen),  clipeclum 
n,  61  (Hyg.  fab.,  C.  Gl.  U,  248,  16,  Diom.  C.  Gr.  I,  478,  18). 

Wir  stellen  nunmehr  die  übrigen  Ableitungen  nach  den 
Endungen  zusammen,  wobei  wiederum  an  die  in  den  Lexicis  noch 
nicht  verzeichneten  Wörter  die  nur  einmal  belegten  angeschlossen 
sind.  Den  breitesten  Baum  unter  den  adjektivischen  Bildungen 
nehmen  die  auf  -arius  zur  Bezeichnung  von  Berufsarten  ein,  wie  ja 
auch  die  Inschriften  (s.  jetzt  Oleott,  studies  in  the  word  formation  of 
the  latin  inscriptions,  Leipz.  1898)  und  Glossen,  letztere  besonders 
in  der  Rubrik  ^de  artificibus'  der  systematischen  Glossarien  des 
3.  Bandes,  reich  daran  sind  und  vielfach  mit  den  Tiron.  Noten 
übereinstimmen.  Neu  sind:  anellarius  99,  57  (prov.  anelier  etc.), 
archisynagogiariiis  6,  38^,  etdogiurius  119,  46,  cUpdlarius  11 ,  02 
hinter  dipeus  =  cUpeolar,,  fissurarius  74,  92*  (?),  fusurarius  37,  83* 
(vgl.  C.  Gl.  ni,  163,  42  %vrri$  fusilarius),  patriciilaritis  33,  38 
hinter  paterculus  (urspr.  partic?  oder  nach  matrictdarius  bei  Ghreg. 
Tur.,  =  pauper,  inops  Osb.  367  fingiert?),  libanar'ms  120,  18  hinter 
libanum  (=  t%is\  massipiarius  48,  CO  =  mars,,  meihodiarius  107, 56 
(Art  Taschenspieler),  nefandaritis  45,  17  (vorhergehen  nefandus 
und  nefariusl),  poüonarius  104,  66  (-arium  ein  Lokal  bei  Du  C), 
stadio/ritis  107,  82,  tuniocularms  103,  80  =  tom.;  purgatarius 
73,  39*  (cf.  rogodarius  Arch.  IX,  410  u.  ä.),  anfradaritis  und  in- 
fiduciarhis  (fingiert,  s.  oben  S.  62),  Camillarius  115,  54*  hinter 
Camülus  (wohl  ^  cafnelaritis  mit  der  in  camelus  beliebten  Ver- 
doppelung des  l,  s.  Georges  Wtf.  und  ital.  cammdh)^  fatistuarius 
•H,  7  hinter  fastus,  faustuosus,  infauskis  (faiuarius  vermutet  Kopp, 
|i  scheint  vielmehr  Verwechslung  mit  fustuarius  vorzuliegen, 

bei  fcmstuosm  eine  solche  mit  fasttwsus).    In  Inschriften,  bez. 


Beiträge  zu  den  Tironiachen  NotexL  69 

Glossen  begegnen  von  den  Neubildungen:  armamentaritis  45,  80 
(C.  L  VI,  999  u.  ö.,  8.  Oleott  p.  143),  choragiariiis  106,  81  (C.  I. 
V,  56795),  mdipeponarius  104,  51*  =  mdop.  (Inschr.  Bull.  comm. 
1887  p.  160),  semricularius  38,  56  (C.  Gl.  IV,  423,  24),  fossarius 
60,  44  (V,  632,  1  =  vespiUOy  s.  Du  C,  =  gradus  clericorum),  po- 
diarius  107,  69  unter  Cirkusspielem  hinter  podium  (wohl  dasselbe 
wie  podarii  nodoi^ötpot  C.  GL  III,  172,  55  in  dem  Abschnitt  *de 
amphitheatro'),  regionarius  38,  23*  (Hesych.  ^eyeovccQiog'  yeiro- 
vCagxos  nnd  Du  C).  Nur  einmal  bezeugt  in  den  Lexx.  sind: 
higarius  112,  79,  sodaliciaritis  36,  1,  segmentariiis  09,  6  (alle  drei 
in  Inschr.);  monodiariiis  107,  53  (-aria  Inschr.),  enfradarius  81,  30 
=  effr,  (Sen.  phil.;  C.  Gl.  II,  67,  37  effractorius  ^Qsnavolxtrig 
mit  verdächtiger  Endung,  vgl.  das  synonyme  directarius,  refrada- 
rius  gleichfalls  bei  Sen.  phil.  u.  a.;  über  enf,  =  eff.  vgl.  zur  App. 
Prob.  Arch.  XI,319;  Forcell.  leitet  enfr.  Yon  i(i(pQdxri]g  ab),  sester- 
Harius  40,  86  (Petr.  und  Glossen,  s.  „Sprache  des  Petr."  S.  8),  merce- 
darius  (Sen.  phil.,  Gl.  IV,  116, 7  m,:  qui  dat  mercedeni  pro  labore  sibi 
impenso).  Entsprechende  weibliche  Bildungen  sind  vielleicht  bibaria 
104,  71  (vgl.  meraria  yevöZQCs  C.  Gl.  II,  128,  57,  doch  mit  popina 
V,  605,  15  erklärt,  sc.  tahema]  prov.  bivers  Schenk,  beveria  Ze- 
cherei), lincma  110,  30  (wie  C.  I.  L.  V,  5923;  Georges  erklärt 
„WerkstÄtte  des  linarius^^,  ergänzt  also  tabema'^  C.  Gl.  V,  218,  29 
Unaria:  retia  =  kiväpia?);  dagegen  ist  bei  panmiclaria  95,  67 
(=  pannic.,  s.  S.  59)  zweifelhaft,  ob  nicht  res  zu  ergänzen  oder 
Neutr.  Plur.  gemeint  ist,  wie  beides  bei  Hadr.  Dig.  der  Fall  ist 
(das  Mask.  nur  Plac.  C.  Gl.  V,  7,  38  arüla(tore}:  cocione,  panni- 
culario).  Ahnliche  Zweifel  herrschen  wegen  lardaria  103,  70  hinter 
laridum  (lardaritis  Inschr.,  lardarium  mittellat.  bei  Du  Gange  und 
Jordan,  Topogr.  v.  Rom  11,  469*),  lardare:  fletshus  Althochd. 
Gl.  in,  303);  desgl.  bei  lavandaria  114, 20,  das  bei  Laber.  =  Wäsche, 
Neutr.  PL,  lavandarius  =  qui  lavanda  conducit  (vgl.  Dig.  12,  7, 
27  und  ital.  lavanda  „Waschung'^  feminin;  Pompej.  Graffito  tiA- 
nicas  duas  lavandas  dedi),  Glosse  des  cod.  Montecas.  zu  Instit.  3, 
24,  1  fuUo,  Ahd.  Gl.  III,  138  fidlo  vel  laventarius,  Papias:  fuUo: 
lavandariuSj  decorator**),   Canabaria  110,  34*  hinter  canabum  (bez. 

*)  in  sagaria  98,  16  (hinter  sagaria)  kann  wohl  nur  als  Strafsenname 
verstanden  werden. 

••)  S.  auch  Du  C.  s.  v.  lavandarin,  -us,  -um.  Ähnliche  Bildungen  vom 
Gerundivum  sind  molendarius  (C.  Gl.  11,  224,  60  Scihris^  Adj.  bei  Paul.  Dig.), 
sowie  die  spätem  Beamtennamen  curagendarivs,  mittendanuSi  regeudariu^ 


70  W.  Heraeus: 

canabinum),  das  schon  nach  dem  Znsammenhang  als  cannabum  =» 
Hanf;  zn  verstehen  ist  (s.  oben  S.  60),  wird  man  danach  zunächst 
als  cannabetum  deuten,  vgl.  Du  C.  s.  t.  canevaria,  obwohl  die 
Möglichkeit  Yorhanden  ist,  dafs  canavaria  «=  Eellermeisterin  ge- 
meint ist  (Georges  s.  v.  citiert  Caesar.  Arelat.). 

Von  neutralen  Bildungen  sind  neu:  clipdlarium  77,  61*  = 
clipeol.y  paedagogiarium  6,  35  (wohl  identisch  mit  gr.-lat.  paeda- 
gogiuntj  nur  mit  latein.  Endung  versehen?),  praedia/rium  37,  54^, 
vtuuarium  32,  42,  reliquiarium  64,  25  (=  xardket^ig  der  LXX  bei 
Boensch,  It  32,  August,  conf.  5,  8  (15)  rd,  Evae^  =  Reliquien- 
schrein bei  Du  C),  promentarium  (Gl.  III,  313,  48  xaiiulovy  Gloss. 
Werth.  ed.  Gallee  362  mit  prumptuarium  erklärt,  III,  305,  11 
-arius  ra^iovxos-  Schmitz  schreibt  unnötig  promptuar-]  es  ist  Bil- 
dimg vom  Participialstamm  proment-,  wie  sedeniarius,  ferentariuSy 
dicentarius  in  Glossen  u.  a.);  über  aenaria  s.  oben  S.  56,  über  salu- 
tarius  u.  ä.  S.  58. 

'(u)osus:  beneficiosus  33,  69  (Adv.  bei  Du  C),  cacidosus  112, 
17*  hinter  cacida,  beide  ohne  Stenogramm  {cachectosus  vermutet 
Schm.;  es  steht  unter  Krankheiten  zwischen  Scabies  scabiosiis  und 
pituiia  pituitosus,  daher  vielleicht  von  breton.  cacadd  ^==^  aussätzig? 
accidia,  -osus  =  acedia  in  Glossen  pafst  nicht  in  den  Zusammen- 
hang), casttiostis  55,  88  (von  castus  Subst.  4.  Dekl.  ?  vgl.  incestuostis), 
ferruginosum  77,  31,  fretosus  93,  84*  (s.  Du  C.  =  locus  fretis  i.  e. 
rivulis  et  canalibus  impeditus),  inodiosus  46,  89  (altital.  nodiosOj 
vgl.  Arch.  III,  254  und  oben  S.  49  inodiai),  intertriginosum  112,  5, 
maUdictiosus  6, 84  (von  nuüedictio,  zw.),  originosum  76, 99*,  vastuosus 
82,  84  (Erweiterung  von  vastusT)*\  vdosus  109,  86*  (hinter  velor 
nientum;  vielleicht  verdorben,  vgl.  bcluostis  und  veüostis  =»  vilL\ 
buccosus  78,  33  (Gl.  III,  330,  51  mit  yvdd^av  „Pausback«  erklärt); 


regerefidarins  (Not.  dign.  ed.  Seeck  p.  7),  referendarius  (Du  C).  Merkwürdig 
ißt  ohrendarium  mit  und  ohne  vas  in  Grabinschriften,  von  vulgärem  ohro  (ftlr 
ohrud)^  vgl.  Inschr.  bei  Marini  fr.  Arv.  p.  341  laoleruie  Tyclieni  quod  se 
voluit  ohri  und  den  Tadel,  den  Probus  C.  Gr.  IV,  184,  29  über  das  Perfekt 
obrivi,  bez.  ohrii  ausspricht. 

♦)  Ebenso  könnten  fretosus,  salubroeus,  castuosus  gedeutet  werden.  So 
findet  sich  dtibiostis  neben  duhius,  ähnlich  ehriosus,  ridiculosus,  obnoxiostts,  ca- 
nosus  (aufser  Yaler.  Imper.  bei  Vop.  Prob.  6, 6  auch  Gl.  UI,  329, 58,  Cass.  Fei.  p.  226 
Eose,  vgl.  Span,  canoso),  mixiosus  (Cael.  Aur.;  ital.  ansioso  etc.),  strenuoms 
(Gl.  y,  80,  49  und  Arch.  lU,  504),  seriosus  (Constantinsroman  p.  11,  11,  frz. 
B^rieux),  scainvsus  (Glossen,  s.  Arch.  IX,  430),  mcdignosus  (Gl.  11,  126,  33), 
crudoms,  aus  dem  Romanischen  zn  erschlielsen,  wie  piasus,  tremiUostis  u.  a. 


Beiträge  zu  den  Tironischen  Noten.  71 

über  die  verdächtigen  famtuosus,  nomiosus,  saJubrostis,  subfragosus 
8.  oben  S.  57;  pruriginosum  111,  83  (Gai.  Dig.),  membrosum  79,  44 
(Priap.),  ramitosus  111,  63  (Plin.  mai.;  rames  Nbf.  von  ramex, 
gew.  ramico8us\  scntentiosus  21,  7  (Cic.  u.  Glossen,  z.  B.  11,  594,  11. 
IV,  565,  CO.  169,  27). 

-icius*):  laudaticiae  28,  24  (sc.  liUerae,  wie  commendatimaej 
evadaticiae,  worüber  oben  S.  46  A.),  fusicium  37, 81,  suppress^icium 
24,  25,  contempticius  43,  95,  devoticius  48,  6,  plagiaticius  48,  58, 
(semi)ustuluticixis  102,  40  und  42,  purgatichis  73,  39,  aegroHcius 
82,  57  (in  Glossen,  wo  auch  aegrotaticiiis) ,  auctoraticius  42,  41 
(Gl.  n,  250,  47  mit  ai)%^Evxix6g  erklärt),  pressicium  24,  23  (Gl.  11, 
407,  43  =  7cii6i(iov),  posiictum  100,  60  (61.  II,  394,  45  u.  o.  — 
^aga^ga^  vgl.  C.  I.  X,  6565  amphiteatnim  cum  porüs  posticiis, 
Anth.  lat.  epigr.  297,  3  u.  6  der  Nom.  posticius)\  Über  apostölati- 
das  8.  oben  S.  65,  über  castricius  S.  56;  editicius  12,  93  (Cic, 
Gl.  V,  497,  51  XL  ö.,  s.  Arch.  V,  430),  conventicium  20,  66  (sc.  ae$, 
Cic),  erraiiciiis  90, 76  (Fronto  de  diff.,  der  es  unterscheidet  Yon-ict($)j 
missicius  23,  41  (Suei,  femer  Mart.  3,  91,  1.  Inschr.  bei  Oleott 
p.  218.  Glossen  s.  v.),  perpessicius  32,  49  (Sen.  phil.,  der  es  viel- 
leicht gebildet,  und  C.  Gl.  II,  467,  2  u.  ö.,  s.  Arch.  IX,  406), 
posiulaiicins  4,  84  (Sen.  phil.  u.  Gloss.  11,  173,  21  u.  a.,  s.  Arch. 
IX,  410). 

-actus:  aeraceum  11,  39  (Vitr.;  s.  auch  Arch.  XI,  88),  myr^ 
facium  105,  56  (Cels.),  polentacium  68,  31  (Apul.,  s.  oben  S.  58). 

-alis:  a^ificialis  81,  63',  antitialis  56,  3  hinter  Tiiialis  («=■ 
sodalis  Titius  auch  in  Inschr.,  s.  Oleott  p.  237),  wohl  verdorben 
Schm.  rermu^t  Angitialis  (viell.  antistitialis  von  mlat.  antistitium  oder 
ancilis:  A(n)Lis  sind  die  Elemente  der  Note),  augurionalis  55,  84 
hinter  augurialis  (vielleicht  fingiert  nach  decurialiSj  decuriojialis 
Öl,  51  f.;  Kopp  angurcUis),  comitalis  45,  85  von  cotnis  (-talis?  doch 
8.  Du  C),  officionalis  33,  67^  (pfficinalis?,  doch  s.  officionarim 
Du  C),  invitalis  30,  33,  spatialis  38,  31'  (hinter  spatium;  fingiert 
nach  dem  figd.  tenninus,  terminalis*^),  trefniMis  96,  75  (vgl  Forc), 
Uterale  78,  97*  (nach  Analogie  von  ventrale),  incontuhemalk  89,  91' 
(fingiert,  S.  62),  aevalis  90,  19  (Mai  Cl.  auct.  VI,  504  aevalis: 
longissimus) ,  cercUis  89,  84*  hinter  cera  (C.  Gl.  V,  445,  33  u.  ö. 
ceralis:  decoro»iis,  fonnosiiSy  aber  wie  zu  erklaren?  cerale  *-  Wachs- 
zins  bei  Du  C),  favoraUs  82,  34*  vor  dem  klassischen  favorabHis 


•)  Vgl.  Wölfflin  Arch.  V,  415  ff.  'Die  A^jektiva  auf  -icins». 


72  W.  Heraeus: 

(Gl.  rV,  340,  27  favoralem  a  favefido),  mamipalis  44,  19  (GL  V, 
220,  21  Var.  von  mancipiulis;  C.  I.  L.  III,  6065  promagister  fru- 
menti  mancipalis,  Subst.  =  servus  bei  Du  C),  pueralis  34,  15* 
(Gl.  II,  342,  47  p,  xatoTtatg),  digitale  78,  58  (ital.  digitale  =  Finger- 
hut, ditale  die  bekannte  Pflanze,  GL  II,  2G6,  5  dig,  äaTcrvkijd'Qa  ij 
ßdoavog  u.  a.;  auch  bei  Du  C),  crimindlis  32,  92  (ICt.  u.  Glossen),. 
deairioncUis  57,  52  (oft  in  Inschr.  Galliens  u.  Italiens  und  in 
Glossen),  genualia  79, 19  (Ovid  u.  C.  GL  II,  33, 12  gentmle  yovuTÖ- 
äieiiog).     Über  genesalia  s.  S.  56. 

-aris:  subpaentilare  97,  14  (Kleidungsstück,  vgl.  subttmicale 
bei  Hieron.),  villaris  37,  94  (Plin.  mai.).  Über  acinaris  s.  S.  58. 
Nach  subpaenulare  möchte  ich  das  bestrittene  paJlare  97,  23  er- 
klären, wo  Kopp  an  den  Infinitiv  palliare,  wovon  palliatus,  dachte. 
Allein  Verba  werden  in  den  Noten  nur  in  der  3.  Sing.  Ind.  Praes. 
Akt.  aufgeführt,  daher  auch  Kopp  für  cretare  84,  85  (hinter  creta) 
nicht  übel  creterrae  vermutet.  Liegt  eine  Korruptel  vor,  so  liefse 
sich  an  paleare  =  a%vQGiv  (GL  II,  141,  19)  oder  =  Wampe  den- 
ken. Ähnlich  wird  osctdare  58,  27  zu  erklären  sein,  obwohl  es 
auffällt,  dafs  das  Verbum  osculatur  fehlt. 

'ilis:  clansile  50,  84,  tectile  80,  17,  vestilis  41,  81  zwischen 
vestis  und  vestibuhmi,  vor  vestilium  (Körting  leitet  franz.  vetille 
„Kleinheit*^  von  einem  vorauszusetzenden  vestHia  ab,  vgl.  Gl.  II, 
207,  22  vesciliae  %alrat.  (pQvyävmv,  wofür  quisquüiae  bei  Charis. 
p.  33,  19;  Osbem.  p.  627  vistilia:  intestina)^  volutüis  75,  91,  piaw- 
$ile  106,  46  (GL  IV,  145,  1  plausihile  et  plausile  unum  est),  cor- 
ruptüe  46,  72  (s.  Paucker  Suppl.  lex.  L),  tinctile  50,  2  (Ovid). 

'hilis:  re-,  con-,  de-  und  disfatigabilis  72,  39* f.  hinter  fati- 
gabilis  (Tert.)  (fingiert?),  enmtabilis  31,  78,  ex-  und  inexplacabüis 
64,  42  f.  (nach  Analogie  von  i^wji^piabilis  oder  fingiert  nach  in- 
explicabilis'i  C.  Gl.  V,  106,  15  explucato:  vehenumier  placato),  ex- 
und  inexsatiabils  20,  89  f.,  intneabilis  80,  43*  (vgl.  Arch.  III,  252), 
marcescibilis  113,  48*  (aus  inmarc,  fingiert?),  nuptiabüis  80,  61 
(gew.  nupticdis),  refneniarabüis  30,  19*  c-,  re-,  sub-  u.  transmutor- 
bilis  31,  78  f.;  über  coaeqtuibilis  s.  S.  64,  über  constabilis  S.  62 j 
datisibilis  50,  85  (Gl.  IV,  237, 1  fascetininas  [=  fascinas  Faschinen]: 
claiisibiles  vallationes\  expiabilis  63,47  (Gl.  IV,  71,  15  =  inmundus, 
und  8.  Paucker  SuppL),  inexsecrabilis  93,  79  (GL  II,  347,  20  =» 
x€xarccQaiiivog) ,  orabilis  64,  33  (GL  II,  303,  37  =  i^Lkearög  und 
Du  C);  invitabilis  30,  34  (Varr.  bei  GeU.  und  GL  U,  92,  38  = 
ütQOTQeyttixög,  IV,  44,  14  =  beneficiis),  meabilis  80,  43  (Plin.  mai.). 


Beiträge  zn  den  Tironischen  Noten.  73 

e/fabüis  83,  50  (Apul.;  in  Glossen,  wie  scheint,  mit  affabüis  und 
efficahüis  verwechselt),  inreprobabiUs  19, 100*  (Interpr.  Iren.),  narra- 
büis  Ad,  63  (Ovid  u.  Gl.  II,  132,  34),  innarrabilis  43,  64  (aufser 
Lact  auch  Aeth.  Ist.  20;  gew.  inen,),  pausabilis  120,  76  (Cael.  Aur.). 

-entus:  sqxuüendus  (sie)  40,  41*  nach  squal^r,  squaliduSy  wenn 
es  nicht  fingiert  ist  nach  dem  Schema  hotror,  horriduSy  horrendus 
74,  96f.  (C.  61.  II,  407,  1  findet  sich  nB(p(yQ^ivog^f)  squalentus, 
squaiidus,  entsprechend  olenttis,  fliientum,  silentus,  clienta  neben 
dienSj  cruenius  von  *crueo  (vgl.  cruor).  Ebenso  zweifelhaft  kann 
maetdentus  40,  79  hinter  macer,  macies  vor  macida  und  macidaUis 
scheinen,  trotz  crapulentus  und  ähnlicher  Bildungen,  als  Ableitung 
von  macala:  denn  es  findet  sich  öfter  in  Hdschr.  für  macilenius: 
C.  61.  IV,  466, 4  tabentis  artus:  maculefita  membra,  61.  Reichenav.  190 
confedeque  macie:  macidentL  Doch  wird  Arch.  III,  259  Dynamid. 
1,  25  far  das  Adj.  =  fleckig  angeführt  und  C.  61.  III,  181,  7  steht 
öxikfbärig  macüentus  (sie).  Über  esquilentus  s.  S.  60.  Corpidens 
22,  21  kann  neben  corpidentus  (so  Kopp)  stehen  wie  violens, 
apidens,  gracüens,  mucilens  (Arch.  II,  578)  neben  den  ent- 
sprechenden Bildungen  auf  -entus;  die  61o8se  V,  185,  37  corpii- 
lefis:  ping^uis  beweist  freilich  nicht  viel,  da  anderwärts  die  regel- 
mafsige  Form  überliefert  ist. 

-ensis:  seHarensis  101,  30*  (fingiert,  s.  S.  62),  petrensis  110,  88 
(Cael.  Aur.). 

'iscus:  Daciscus  86,  51  (hinter  Dada),  wofür  Schmitz  un- 
nötigerweise, wie  er  brieflich  zugab,  Badens  mit  Kopp  schreibt; 
vgl.  6eorges  und  C.  I.  III,  5218  in  expeditione  Dacisca;  VI,  2605 
natione  Dacisca,  Not.  dign.  öfters,  ebenso  Syriscus,  Thracisciis. 

'icus:  ergaücus  109,  81  von  ergata?,  tran^alpicus  88,  97*  (AI- 
picus  selten),  lychniHcus  101,  97,  porphyriticus  100,  99,  ophiticm 
100,  99^,  Ableitungen  von  den  Steinarten  lychnites  etc.  (Hjg. 
fab.  223  lapidihis  lychni(ti}cis  Mo.  Schmidt  mit  Muncker;  über 
latinisiertes  purpureticus  s.  Arch.  XI,  302);  colonica  38,  42  subst. 
=  Meierei  (Auson.).  Über  scalonica  =  asc.  s.  S.  58  u.  Von  an- 
deren rein  griechischen  wie  parastatica  100,  85  (Vitr.)  ist  hier 
abgesehen. 

•iacus:  aetheriacus  93,  62  (Kopp:  -ins,  mlat.  aethralis  Arch. 
VI,  111). 

-eiis:  vitteum  99,  45  hinter  vitta  (verw.  mit  viteum?),  siici- 
neum  100,  2  (viell.  =  sucinum  nach  falscher  Analogie  von  cocci-- 


74  W.  Heraens: 

i^eum  u.  a.,  s.  oben  S.  58  und  C.  Gl.  III,  406,  15  sucinia:  glas;  das 
Adj.  lautet  sonst  sucinus), 

-neus:  edentaneiis  68,  3  (-atiis  Kopp),  vctcuaneum  (fingiert, 
s.  S.  65),  olmUroneus  51,  67  {opportanus  Kopp,  doch  s.  C.  Gl.  II, 
137,  33  obidtronius  —  ccv^algezog,  V,  315,  54  -onens:  voluntarius, 
also  nur  ein  verstärktes  ultroneus;  ein  Obultroniiis  Sabinus  er- 
scheint bei  Tac.  ann.  13,  28  und  h.  1,  37,  inschr.  Zeugnisse  8. 
bei  de  Vit  im  Onom.,  eine  Ableitung  Ohdtrcnianm  C.  I.  L.  VI, 
2340).  Über  crocinewm  =  crödnww  s.  S.  52**).  58,  desgl.  ianfhineam. 

-inus:  phrixinum  98,  65  (phrixiamis  Sen.  phil.),  crusiulinns 
109,  37*  hinter  crustulum  (verw.  mit  crystallinus  od.  Criistufnintis'f), 
praetoriniis  36,  70*  (wie  ce}isorinus?  doch  yermifst  man  praetc- 
riantis),  centuriniis  45,  96*  hinter  centurio,  brochinm  105,  56  unter 
Wörtern  die  auf  den  Weinbau  gehen  (vom  keltischen  Stamm 
brocC'?  vgl.  ital.  brocco  Schöfsling,  broncone  Weinpfahl;  Du  C.  s.  v. 
broccae)]  esocina  112,  96  (vom  Fisch  esox,  nach  Fleischarten  wie 
vervecinü,  gebildet),  tindrinum  80,  2  (Salbzimmer,  vgl.  unctorium 
Plin.  min.),  tonstrinum  95,  28  (aufser  bei  Petr.  auch  inschr.  in  der 
Lex  metalli  Vipasc,  s.  „Sprache  des  Petron"  S.  8  f.).  DbSb  pollina 
(so  Schm.  für  polena)  68,  29  vor  polenta  hinter  farra  farrago 
farinci  Plural  von  poUen  ist,  entsprechend  farra^  ist  wahrschein- 
licher als  eine  adjekt.  Bildung  für  pollinina  (vgl.  C.  Gl.  11,  265,  50 
yvQLtr^g  ägrog  pollina,  pollinaceus), 

-anus:  patriarctianum  94,  60*,  mbpraedamis  92,  25  (verw. 
mit  suppedanetis*^) ,  conforanus  56,  89  (in  Schriftstellern  u.  Glos- 
sarien Variante  von  amforaneuSj  das  II,  108,  24  mit  6'&inBxvogj 
IV,  44,  2  mit  unius  fori  erklärt  wird,  ebenso  cirmmforanm  und 
^-cmeus  s.  Gloss.,  foranus  Acr.  Hör.  sat.  1,  6,  85,  wie  frz.  forain, 
gegen  span.  foraneo;  poneforanus  C.  Gl.  IV,  147,  9,  assifcrana  mn^ 
nera  C.  I.  L.  II,  6278,  dagegen  superforaneus  bei  Symm.),  poMi- 
canus  110,  92  nach />on^70u^  (jedenfalls  die  „Ratte^^  gemeint,  neu- 
griech.  novrixög  =»  mus  Ponticus,  venetian.  pantegana);  über  petath 
ritanus  s.  S.  52  A.  2. 

-tus:  thoracatm  97,  27  (Plin.  mai.). 

-atictis:  apochaticus  93,  10  von  dem  eingebürgerten  apocha 
„Quittung"  {apochare  ICt.,  apocatus  in  Siebenbürgner  Wachstafeln 
C.  I.  III  p.  941.  959),  nymphaiicum  113,  53  =  lymph.  (Gl.  IV, 
261,  47  u.  ö.). 

'ivus:  tardivus  57,  94  (ital.  tardivo  etc.),  notimm  48,  2  (Gl. 


Beiträge  zu  den  Tironischen  Noten.  75 

HI,  486,  19  notivum  IdiöxQoov  =«  nativum)*);  über  indicivum  s. 
S.  57  f.  5  consüivum  57,  46  (Serv.). 

-idus:  trmiidus  94,  81  (bei  Eutyches  C.  (Jr.  L.  V,  453,  23 
olme  Beleg;  vgl.  fremidus  bei  Ovid  n.  a.  bei  Paucker  Suppl.  276), 
nimfidum  113,  54  hinter  nimfaticum  =  nymph.  (s.  S.  60;  Kopp 
Nymphidium,  doch  entspricht  es  limfidum  n.  51,  wo  Schm.  Km- 
pidum  schreibt). 

-orius:  ^ubmissorium  23,  43*,  suppressorium  24,  24,  missorium 
23,  43  („Topf"  Anthim.  34,  fehlt  irrtümlich  bei  Georges,  s.  Forc. 
und  Du  C,  femer  Gl.  IV,  75,  53  fercula:  missoria,  V  215,  8  lances: 
missoria),  substraiorium  54,  99  (Gl.  III,  418,  43  =  vnööTQCj^a,  vgl. 
Arch.  m,  505.  Vm,  387  und  Du  C),  tinctorium  50,  3  (61.  III, 
490,  24  ßccntiöTtlQia  tindoria  u.  a.,  s.  Arch.  VHI,  393  und  Eucher. 
bei  Pore). 

Ganz  abnorm  ist  die  Bildung  teUuris  95,  4  zwischen  revelat 
und  teruncius  in  einer  nicht  systematischen  Partie,  obwohl  C.  Gl. 
V,  485,  46  teUuris:  terrenus  erklärt  wird.  Dazu  weicht,  wie  Kopp 
bemerkt,  das  Notenbild,  das  blofs  T  L  is  enthält,  von  demjenigen 
von  teUtiS  37,  44  ab,  sodafs  auch  nicht  der  Genetiv  von  telhis  an- 
genommen werden  kann.  Andere  gute  Hdschr.  haben  tellaris,  was 
auf  telaris  führt:  pes  telaris  =  Fufs  des  Webstuhls  in  Glossen 
(s.  Arch.  Vin,  387);  auch  die  Schreibung  tdla  wie  tdlum  ist  in  Hdschr. 
gewöhnlich. 

"bulum,  'Culu)n,  -tilum:  captabulum  10,  84  unter  Ableitun- 
gen vom  St.  cap-  könnte  ein  Werkzeug  zum  Fangen  sein,  ist 
aber  vielleicht  blofs  eine  volksetymologische  Zustutzung  von  ccita^ 
btdum:  61.  V,  614,  10  cantahulum:  stabulum,  Papias  catab.:  clau- 
sura  animaliuniy  ubi  desuper  aliquid  iacitur;  Du  C.  citiert  eine 
mlat.  Stelle  für  captab,  =  catdb.),  fascinabulum  112,  83  hinter  fasci- 
num  (oder  von  fascina?),  petrabulum  110,  87  (?petrobolos  Kopp, 


•)  Weiterbildungen  etwa  nach  dem  Schema  festus  —  festiviLS,  wie  cm- 
divus  (Anthim.),  cras^vus  (Gl.  11,  400,  9  =  naxvvovs) ,  hoyiestitnis  (Gl.  V,  146, 16), 
sacrivus  (lex  Sal.  2,  12),  acrivus  (rumän.  acriu),  potentivxis  (Capitul.  Car. 
M.,  8.  Arch.  ni,  498),  recentivus  (Eccl.  ebd.  501),  absenticus  (Trimalchio  bei 
Petron.),  placentwus  (Gl.  V,  473,  57  placentiva:  Omnibus  place^is,  wonach 
wohl  n,  244,  24  &Q$ct6g  pincentinus  zu  ändern  ist),  iticentivus  {arbores  i. 
Lex  Burg.  28),  vacatitivus  von  überzähligen  Beamten  (gew.  vacans)  aufser 
bei  Lamprid.  Alex.  Sev.  noch  Gl.  iuris  ßaxavrtßov  6cQy6v  und  bei  Synesius 
(s.  Marquardt,  Staatsverw.  II,  447);  Fe»7/awti/ =  Vigilantivus  heifst  Ro- 
lands Bofs. 


76  W.  Heraeus: 

vgl.  Forc),  inguifiabülum  13,  50  nach  inquinaty  doch  wohl  trote 
Gl.  II,  582, 38  inquinab.:  pollutio  nichts  als  vulgare  Form  von 
incunab.f  das  02,  71*  hinter  cuna  incunabulum  mit  einem  ent- 
sprechenden Notenbilde  erscheint.  —  ostentaculuin  12, 22,  siehe 
S.  65.  Über  suericulum  s.  S.  67,  über  vermeintliches  suscipulum 
S.  60. 

-mentum:  lacunamentum  100,  68*  (wohl  im  Sinn  von  kuMnar), 
liciamentum  99,19*,  linteamentum  97,87  (gewöhnlich  linteafHen\ 
duUnamenium  oder  dulcianien  (s.  Schmitz)  75,  15'  (GL  V,  217,  31 
libum:  genas  dulciamenti;  auch  duUiamen  Gl.  s.  v.  placenta  und 
Du  C),  focimentum  82,  39*  zwischen  fo^nentum  und  focis  =  faucis 
(fingiert?  vgl.  auch  fulnietitum  fulchnentum  72,  9  f.);  über  suhU- 
niefitum,  das  schwerlich  von  sublino  stammt,  sondern  wahrschein- 
lich =  suppleinentum  ist,  s.  S.  63;  ddibamentum  109,  29*  (VaL  Max., 
verstärktes  libam.),  liguanientum  113,  70  (Veget.  =  liquamen), 
solamentum  38,  28  hinter  solum  (bei  Paul.  Nol.  =  siolamen,  C.  Gl. 
V,  333,  30  mit  pulvis  soll  \solis  ?]  erklärt,  bei  Du  C.  =  fundusX 

-men:  aucupiamen  93, 19,  gewifs  im  Sinne  von  aucupium  wie 
dulciamen  (s.  o.)  neben  dulcium  u.  ä.;  linamen  110,  32  (s.  S.  65), 
laxanien  71,  54  (Gl.  Seal.  V,  603,  44  laxamina:  Jiabenae  aus  Osbenu 
p.  329;  vgl.  frz.  laisse  Leitriemen,  x^^^^^^S  "^^n  ;i;aJlaG}?),  crassamen 
71,  60  (Col.). 

'monium:  fratrimonium  33,  43*  (fingiert?  s.  S.  65). 

-tor  und  -trix:  ientator  103,7,  magistrator  templi  6,30**, 
subpraedator  92,  23^,  über  restitor  und  gressator  =  gross,  s.  o.  S.  59; 
acuter  73,  52  (Gl.  III,  307,  17  u.  ö.  =  KxovriTilg,  dafür  acutiaior 
n,  223,  12  =  ital.  aguzzatore),  baiulator  70,  19*  (Gl.  H,  254,  25 
äx^oq)6Qog),  frictor  93,  97  (Gl.  II,  568,  34  assafor:  frixor),  rationor 
tor  42,  21  (Gl.  V,  141,  37.  387,  8,  frz.  raisonneur;  vgl.  rustikes 
sermonari  für  sermocinari  Arch.  IX,  429),  obsecundator  57,  65  (Cod. 
Theod.  =  Diener,  Du  C.  =  presbyter  assistens).  Einige  Male  ist  es 
zweifelhaft,  ob  die  Verbalendung  -afur  (Depon.)  oder  ein  Subst. 
-ator  vorliegt,  das  ja  vulgär  -atur  geschrieben  wird;  letzteres  ver- 
mutet Schmitz  bei  gestkulatur  26,  78  {gesticidator  Col.,  Gl.  V,  298, 
20),  vitällatur  70,  20  (-ator  Gl.  U,  203,  46  =  övxofpdvxrig),  con- 
fiscatur  41,  50  {-^tor  Gl.  II,  451,  28  =  raaiovxo$).  Doch  ist  gesH- 
cukiri  ganz  gewöhnlich,  das  Deponens  vacillari  steht  bei  Greg.  Tur. 
(s.  Bonnet  p.  413),  wogegen  confiscatur  als  Passiv  oder  Deponens 
Verdacht  erweckt.  Das  Notenbild  hat  überall  das  Hilfszeichen 
für  -ur,  was  natürlich   nichts  beweist.    Äratrix  68,  42*,  litigaJtrix 


Beiträge  zu  den  Tironischen  Noten.  77 

21, 53;   'baUairix  93;  32    (it.   ballatrice)   hinter   bcUlator   (dies   in 
Inschr.;  s.  Oleott  p.  92). 

-or;  resplendor,  obsqpor,  wohl  fingiert^  s.  S.  62;  raucor  118, 
39  hinter  raucus  (gew.  raucedo),  placor  22, 13  (Vulg.  und  Glossen). 

-ar:  a/rhuscuUir  72,  94  {-cula  Kopp). 

'Udo:  asperatudo  54,  77  hinter  aspritudo  (gew.  asperüudOy 
aspretudo  GL  11 ,  458,  33,  vgl.  aspratilis  und  aspraturaT),  levitudo 
21  j  88'  hinter  levis  lemtas  (viell.  fingiert  nach  der  Reihe  gravis 
gravitas  graviiudo  ebd.  79  f.;  levitudo  Lact.),  drritado  95,  60  hinter 
drrus,  cirritus  (wohl  schwerlich  von  cirruSy  sondern  =  cerritus, 
cenitudOj  letzteres  Neubildung  nach  bekannten  Analogien),  caeci- 
ÜMh  111,  26  (Opü.  Aur.  bei  Fest.,  GL  H,  215, 17). 

'itas:  avariias  40,  23%  frugitas  40,  30^,  reciprocitas  31,  38*, 
residuitas  47, 51  (Du  C);  revilUas  s.  S.  62;  dupsilitas  41,  28  (aufser 
bei  PauL  NoL  auch  SchoL  Ter.  p.  162  Elee,  Aeth.  Ist.  c.  72,  GL 
Salom.  =  daps),  soci€ditas  (Plin.  min.),  strenuitas  (aufser  bei  Varr. 
L  L  und  Ovid  bei  Prise.  C.  Gr.  III,  222  in  einem  selbstgemachten 
Beispiel,  SchoL  Lue.  2,  70,  Fulg.  anecd.  Rhein.  M.  52,  178  Z.  32, 
Gonstantinsroman  p.  21,  9).  —  odietas  46,  88*,  prapitietas  56,  5* 
(viell.  odiatus  und  propiUatus;  über  letzteres  Subst.  s.  Arch.  I,  75. 

'itia:  sanctitiae*)  55,  78,  verdächtig,  da  sanctitas  und  sancti- 
Uido  fehlen,  doch  ist  die  Vorliebe  des  Romanischen  fiir  die 
Endung  bekannt  (^aUitia,  ^granditia,  *dulcitia  u.  s.  w.,  latitia 
s=  it.  latezza  und  longitia  =  longhezza  Grom.  und  C.  L  VI, 
26259  u.  a.). 

'ia:  fecundia  75,  8  (Gl.  lat.-arab.  fecundia:  fecunditas), 

-atio:  cameratio  100,  82*  (Spart.  Carac.  für  das  gewöhnliche 
cancam.). 

'Ura:  proscriptura  7,  10*  hinter  perscriptura  (s.  S.  61  A.,  fin- 
giert?), letcitwra  =  lit,  nach  Schm.  71,  61*  (litteratura?),  arquor 
iura  100,  80  (Front,  aqu.,  aufserdem  Inschr.  aus  Constantins  Zeit 
bei  Dessau  n.  702,  GL  V,  168,  31  arquaturae:  fomices,  alte  Bibel- 
übers.  bei  Rönsch  Coli.  phil.  154,  der  betreffs  der  Form  arca" 
iura  irrt). 

-entia:  inprovidmtia  25,  48  (Tert.). 

-atus:  depeculatus  41,  3  hinter  peaüatus  (Plaut.;  Part,  in 
Glossen  IV,  50, 11  rf.;  depra^datus),  stdionatus  109,55  (ICt.  und  Gl). 


*)  Zur  Endung  vgl.   das  kurz  vorhergehende  sanctimonicie,  avaritiae 
40,  24  u.  a. 


78  W.  Heraeus: 

-iius:  sugitus  120,  28  hinter  rugii,  rugitus,  sugit  (fingiert? 
korrekt  wäre  stictiis)]  über  exhalitus  s.  S.  62. 

-astrum:  mini<istrufn  98,  89,  serpüastrum  »»  serper,  (Cic, 
Varr.  L  1.,  s.  o.  S.  60). 

-ela:  sutelae  48,  59  (Plaut.,  Fest.,  GL  II,  194,  24  =  ivsdQu, 
ööXog  und  Loewe  Prodr.  262). 

'Uta:  porcüia  103,  67  hinter  porctis  (Act.  fr.  Anr.  p.  22 
Henzen  «»  junge  Sau);  vgl.  ctedulia  108,  60  hinter  aeduSy  aedulus 
und  dazu  „Sprache  des  Petron."  S.  10  A.  5. 

'itum:  herbitum  94,  63^  hinter  herbidum  (Isid.,  «»  herbetum? 
GL  IV,  348,  37  herbitum:  locus  in  quo  herbae  smU), 

Wenden  wir  uns  zur  Nominalkomposition,  so  fallen  einige 
Bildungen  auf,  die  aus  zwei  verwandten  Begriffen  zusammenge- 
schweifst  sind,  so  caIciocaMga  99,  36  (hinter  caldus  und  caliga), 
das  Kopp  mit  Unrecht  bezweifelt,  lecticocisiunh  97,  70,  das  Schmitz 
Beitr.  269  nach  den  vergeblichen  Bemühungen  von  Kopp  imd 
Du  Gange  richtig  in  lecticocesium  erkannt  hat  und  von  mir  beim 
SchoL  Dan.  Serv.  Aenl  8,  666  in  den  verdorbenen  Worten  quidam 
pilenta  l<ieta  occisia  . . .  dida  tradunt  vermutet  worden  ist,  s.  Arch. 
XI,  70  xmd  Hermes  34,  170,  wo  auch  die  analogen  Bildungen 
iunicopalliumy  sagoddamys  u.  a.  herbeigezogen  sind.  Auch  tragum 
pisum  68,  18  hinter  iragum  und  pisum  dürfte  als  tragopisum  zu 
fassen  sein*)  nach  G.  Gl.  Y,  517,  14  tragum  ei  tragopisum  genera 
sunt  fnimenii  similia  piso  und  IV,  290,  32  (zur  hdschr.  Trennung 
vgl.  bellerum  fons  =  Bellerophon(s)  115,  38,   trqpaeumforum  46^ 


*)  Schmitz  Beitr.  267  bekämpft  mit  Recht  Kopps  tragum  pisinum,  fafst 
aber  tragum  pisum  wie  Greta  Cyrene,  das  er  84,  86  richtig  erkannt  hat, 
welche  asjndetiscbe  Verbindung  übrigens  auch  inschriftlich  bestätigt  ist: 
C.  I.  XIV,  4287  leg.  prov.  Cretae  Cyren.  (gewöhnlich  ist  ailerdiiigs  Creta  et 
Cyr.  bei  diesen  bekanntlich  gemeinsam  verwalteten  Provinzen).  Derselbe 
verteidigt  p.  266  donum  7uunus  41,  92  gegen  Kopps  gewaltsame  Ändernngen 
glücklich  durch  den  Hinweis  auf  die  'Notarum  Laterculi'  C.  Gr.  L.  R^,  wo 
z.  B.  276,  54  D.  M.  0.  donum  munus  operas.  Ich  füge  hinzu,  dafs  Lamprid. 
AI.  Sev.  26,  3  postea  iusait,  ut  semisses  acciperent,  donum  mutius  tarnen  sus^ 
tulit  überliefert  ist,  wo  Casaubonus  donum  tilgen  (so  auch  Mommsen)  oder 
mumt6ve  schreiben  wollte  (ftmne  mMnus  Gremoll!),  aber  Sfkhnasius  auf  Pan< 
dektenstellen  hinwies.  Ja,  noch  im  Edictus  liothari  §  226  findet  sich,  diese 
formelhafte  Verbindung.  Preufs,  de  bimembris  dissoluti  —  usu,  Edenkoben 
1881  p.  85  führt  nur  Pandektenstellen  an,  in  dessen  Sammlung  ich  noch 
praedes  vades  Liv.  ep.  48^  (p.  50,  le  Jahn)  vermisse,  was  schon  in  inter- 
polierten Hdschr.  durch  allerhand  nichtige  Konjekturen  entstellt  ist 


Beiträge  zu  den  Tironischen  Noten.  79 

17  u.  a.*)  und  yielleicht  auch  jjedww  cucullum  97, 18  liinter  jp^wm 
(Hirtenstab)  und  ctAcuUum,  so  schwierig  die  sachliclie  Erklärung 
ist  (pedocucuUum  geben  übrigens  mehrere  Hdschr.;  ygL  auch  Salm. 
Scr.  h.  Aug.  p.  129'  und  das  Komp.  hardocucudus).  Auch  das 
überlieferte  ranorubeta  113,  18  ist  danach  möglich,  obwohl  ge- 
wöhnlich rana  rubeta  neben  einander  gestellt  erscheinen,  s.  Georges 
s.  V.  rubeta  und  C.  Gl.  11,  475,  35  q>Qvvog  ntbeta,  rana  rubeta^^ 
168,  52  etc.  Von  dioihedrum  war  schon  oben  S.  52  die  Rede^ 
für  a/rciseUium  101,  18  (hinter  arcüy  arcarius)^  das  freilich  andere 
als  hybride  Bildung  archiseU,  fassen  und  das  aufser  bei  Petr.  75  noch 
C.  Gl.  in,  197, 19  xvß(ox6s  arcula,  kccQvai  arcisellum  (sie),  dCtpQog  seUa 
etc.  erscheint,  sei  auf  die  ausführlichen  Darlegungen  „Sprache  des 
Petron."  S.  21  verwiesen.  Sb^hocabaUns  112,  48*  ist  sachlich 
verdächtig:  struihocamelus  ist  108,  47  notiert.  —  Sonst  sind  be- 
merkenswerte Kompositionen:  prorifragium  93,  1,  bez.  prodifr, 
(vgL  ital.  proda  aus  prora^  dissimiliert,  frz.  proue?  Kopp  propaga- 
tum,  Schm.  podifragium),  gemacht  nach  naufragium,  lumbtfragium 
und  crurifragium  79,  25  (Gl.  II,  432,  57  =»  öxe^^oxonCa  u.  ö.,  Ep. 
Alex.  p.  202,  4;  bei  Plaut,  die  scherzhafte  Namensbildung  Grwn- 
frag%us)y  vareeonium  11,  57  hinter  vareza  (nach  Schm.  =:pharetra, 
phareiraeoniumy  sehx  zweifelhaft:  vorher  geht  sareza  =«  sarisay  sare- 
eaniufn***),  vestiplex  41,  85  (-icus  Inschr.,  -ica  Plaut.,  Inschr.,  GL), 
tyricapta  88,  9  hinter  TyruSj  was  nach  Ko.  und  Schm.  =  Tyntö 
capta,  eine  Marginalnote  zu  Curt.  4,  4,  19  ist,  m.  £.  entweder 
fingiert  nach  taurocapta  (j=*=  taurocathapta)  108,  32  hinter  taurtis 
oder  =  tridiapta  („härene  Gewänder^'  LXX,  vgl.  Georges  u.  Rönsch, 
It.  247);  mantis  doctor  67,  74  (hinter  ma/nMs),  wozu  Kopp  Sen. 
Troad.  10  manus  docta  sehr  unwahrscheinlich  beizieht:  es  wird 
eine  Bildung  manusdudar  gemeint  sein  „Anführer  einer  manus'' 
oder  ähnlichesf)  (vgl.  C.  GL  11,  126,  62  manidttdus  [sie!]  (Aieö- 

•)  nardipisticum  98,  78»  hinter  nardifolium  (folium  nardi  Plin.  n.  h. 
12,  42;  mälocorium  Not.  Tir.  99,  64  statt  des  gew.  malic.)  wie  nardicelticis 
m,  C.  Gl.  195,  23  (sonst  nardocdtica  u.  nardus  celt,  s.  Gl.  VI  s.  v.). 

••)  prora  mlat.  auch  =>  Vorderkopf.     Oder  phorifragiwn  —:  forifragium 
(8.  Du  C.)? 

•*•)  Vermutlich  ist  hier  parazanium  im  Spiele,  das  C.  Gl.  V,  880  mit 
cingulum  erklärt  wird  {parezonium  überl.!),  384,  33  mit  genus  teli  Mace- 
donici.  Vgl.  Boensch  coU.  phil.  216  über  naga^aviov  =  Gürtel  und  Gürtel- 
dolch. 

t)  manuductio  bei  Du  C.  ==  sauvegarde,  admanumdeductor  als  Obers, 
von  x^^Q^yo^y^S  cod.  Gant.  Act.  13,  11  bei  Roensch,  It.  216. 


80  W.  Heraeus: 

XOQog)  oder  manusdoctor  nach  Analogie  von  campidoctor  (s.  GIoss.; 
C.  I.  L.  VI,  533  neben  cohortis  doctor),  armidodor  Not.  Tir.  45, 
81*  (sonst  noch  C.  Gl.  TL,  385,  26  u.  ö.  =  öxiodi^ddöxakog);  pesti- 
nuntiae  25,  95  (GL  V,  320,  21  u.  ö.  pestinuntium:  qui  pesteni  nun- 
tiat, vgl.  Schmitz,  Festschr.  zur  Trierer  PhiL-Vers.  p.  61);  st(i)lin- 
quadrtim  45,  46,  in  seinem  ersten  Bestandteil  altertümlich 
aussehend,  aber  dunkel  (GL  11,  188,  51  sÜinqtMdruum  öxJLrjQÖv, 
ccvötfjQÖv),  —  Hocuriis  36,  94  (Varr.,  Anth.  L  ep.  296,  1,  C.  GL 
n,  207,  58/59:  viactduis:  6döv  ixiiisktitilg,  iiJupodccQxVS  ^uid  in  der 
oben  S.  60  f.  zu  cistiber  citierten  Glosse),  parenticida  48, 36  (in  Glossen, 
die  Leo  auf  Plaut.  Epid.  349  bezieht,  wo  seit  Camerarius  peren- 
ticida  gelesen  wird,  vgl.  Arch.  IV,  632.  Loewe  Prodr.  407  u.  Forc), 
altidnctiis  77,  97  (so  cod.  Cassel.  wie  bei  Phaedr.  und  in  Glossen^ 
z.  B.  n,  225,  28  a.  dve^coönivog),  spicilcgium  96,  83  (Varr.  LL),  siti- 
eines  107,  32  (Cato  bei  Gell.,  daraus  Non.  p.  54),  ciniflo  102,  15 
(Hör.,  Serv.  Aen.  12,  611  und  Glossen),  sellistemium  101,  31 
(aufser  Tac.  noch  VaL  Max.  2,  4,  5  in  Paris'  Epitome,  während 
die  Hdschr.  des  VaL  wohl  irrig  das  gewöhnliche  leetistem.  bieten. 
Fest.  p.  298^  18,  Inschr.  der  Säkularspiele  17  n.  Chr.  Z.  109,  GL 
II,  430, 33  =  ösHäöTQioöigy  V,  636, 58  =  iibi  seUae  stemuntur,  Tert 
adv.  nat.  I,  10  solistemia^  wo  Wissowa  nichts  bemerkt).  —  nepOger 
48,  78,  von  Kopp  erklärt  nach  ml.  sororiger  =  ua:oris  f rater; 
rumiger  92,  9,  das  wohl  den  Sinn  von  rumigendus  hat  (vgL 
Du  C;  anders  C.  GL  V,  387,  41  nimigerum  pecus),  huxifer  78,  34, 
spinifer  93,  6*  (Prudent.);  anders  cestifer  =  Cistiber  und  equifer  = 
wildes  Pferd,  s.  oben  S.  60  f.,  bez.  58. 

Zusammensetzungen  mit  Präpositionen*):  orfufrer 79,10 
nach  id)er  (Kopp  liest  mit  Veränderung  des  Notenbildes  aduberatf 
das  freilich  ebenso  ungewöhnlich  ist;  ich  vergleiche  die  aus  Osbem. 
p.  617  von  Scaliger  geschöpfte  Glosse,  V,  611,  54  stibtiberes:  in- 
fantes  qui  adktic  sunt  sub  ubere,  wo  sububer  Ersatz  für  älteres 
subrumus  scheint),  adteger  53,  20  (Konj.  von  Kopp  für  ifiers,  vor 
integer-^  aber  wenigstens  bei  Paul.  Fest.  s.  v.  adtegrare  wird  kein 
Adj.  adteger  mehr  gelesen),  antegradum  95,  72  =  antigradum 
„Vorstufe",  vor  antigraphum  (afi-ik.  Inschr.  per  antigrados)\  condor 
mina  38,  44*  (mlat.  =  condominium,  s.  Du  C),  cxhalitus  s.  S.  62; 
exodiatus   imd  perodiatus  46,  89^  und  91    hinter   inodiatus   (wie 

*)  Eine  grofse  Anzahl  hierher  gehöriger  Bildungen,  wie  tidmens,  con^ 
mens,  denomen,  consanus  u.  s.  w.,  ist  schon  oben  S.  61  f.  bei  den  Fiktionen 
behandelt  worden. 


Beiträge  zu  den  Tironischen  Noten.  81 

scheint^  später  Ersatz  für  exosus  und  perosus;  vgl.  S.  49  über 
inodiare)y  perinsolens  28,  43,  perdueüium  91,  56  hinter  duelUum 
(Gl.  IV,  140,  23  u.  ö.  =  rebellatio),  perfoederatm  43,  48  (hinter 
confoederatuSy  wonach  ebenda  44'  jyerscderatiis  hinter  conscderatus 
fingiert  sein  kann;  praefacilis  30,  51  mit  dem  Zeichen  für  prae- 
im  Stenogramm    (das   gewöhnliche  perfac'dis  fehlt!);  prdepudium 

45,  21'  hinter  repudium,  wo  Ko.  schwankt,  ob  praeputiuin  mit 
Anlehnung  an  pudenda  (das  Notenbild  zeigt  D)  oder  propudmm 
gemeint  sei;  prdbdlis  s.  S.  62;  profludus  73,  90  für  profliixiis 
(s.  S.  60),  das  Roensch,  It.  91  aus  cod.  Tolet.  Luc.  8,  43  in  pro- 
fluxu  sanguinis  belegt;   über   subpontium  s.  S.  56.  —  conscensiis 

46,  91  (bei  Sulp.  Sev.  als  Subst.),  inoportunus  89,  53  (Oros.,  Albin. 
C.  Gr.  L.  Vn,  303,  31),  insuhtüis  51,  23'  (ICt.),  infas  (Glossen, 
s.  oben  S.  61A.),  inviolentus  43,  43  (Cassiod.),  reburrus  93,  93 
(Augustin.,  cod.  Ashb.  Lev.  13,  41,  ebd.  42  rebiOTiion  =  ävatpa- 
XdvTC3[ia;  C.  Gl.  U,  109,  22  =  ävdöiXXog^  dvag)ciXavrog ,  III,  330, 
48  ^=  &va(pdXaxQog y  13,55  dvdd^Qi^]  V,  623,  2  rihurnis  vel  cirra- 
ins  est  crispus,  Osb.  p.  509  =  hispidus]  Cognomen:  Amm.  28,  4, 
6.  C.  I.  n,  2610.  Inschr.  des  Mainzer  Museums  n.  214  u.  ö.). 

Zusammensetzungen  mit  Zahlwörtern  u.  ä.:  oduplex 
65,  47'  (gew.  -^um,  wie  n.  42),  tripontimn  110,  96  (Lokalname  in 
rhein.  Inschr.  bei  Schmitz  und  C.  I.  X,  8650  a  Tripontio  nsque 
ad  Tarracifmm) j  hisellium  101,  32  (Varr.,  Inschr.,  Gl.  II,  30,  21 
u.  ö.),  seumetrum  90, 53  hinter  geometrum  =  semetrum  nach  Schmitz 
(Prüden t.,  =  uhstqov^  Kopp  symnietrum),  semensis  62,  36  für  se- 
menstris  (vgl.  trimensis  Is.  17,  3,  6.  10),  über  das  zweifelhafte  di- 
vium  s.  oben  S.  59,  über  hirodium  und  die  hybriden  dirodium, 
bieris  u.  a.  S.  55  f.  58. 

Den  Beschlufs  mögen  einige  dunkele,  bez.  mittellat.*) 
Wörter  z.  T.  gallischen  Ursprungs  bilden,  aula  104,45  unter  lauter 
Pflanzen  ist,  trotzdem  das  Notenbild  stimmt,  auffallend  und  viel- 
leicht =  a/a,  späte  Nbf  von  inula  (s.  Isid.  17,  11,  9,  Ihm  zu  Pela- 
gon.  §  71  und  C.  Gl.  VI  s.  v.  inidn)]  higoda  91,  32'  zwischen  leuga 
und  miliariiim  ist  wohl  nicht,  wie  Schm.  meint,  hiroda^  sondern 
identisch  mit  beguta  bei  Du  C.  (provenf.  begudo)  =  hospitium, 
deversorium;  aripennis  36,  8  ist  das  zuerst  bei  Colum.  auftauchende, 
dann  im  Mlat.  von  Isidor  ab  häufige  Landmafs;  frz.  arpent  (Georg. 
B.  V.  arepennis,  Orell.  inscr.  4350  abgekürzt  arej).,  Glossen  s.  v.  etc.); 


*)  Vgl.  auch  oben  S.  51. 

Archiv  fOr  lat.  Lexikogr.   XII.    Heft  1. 


82  W.  Heraeus: 

cäbrida  92,  52*  zw.  hibrida  und  capsa  hängt  vielleicht  mit  mlat. 
cabritus  =  haedulus  (s.  Du  C.)  zusammen  oder  mit  cabidarhis  61. 
n,  334,  23  (vgl.  Du  C);  candocus  37,  12*  unter  Ableitungen  vom 
St.  cand-  erhält  möglicherweise  Licht  durch  candosoccus  bei  Colum. 
oder  durch  Isid.  15, 15,  6,  wo  candecum  für  cand^wi  überliefert 
ist  (gallisch  =  ^spatium  centum  pedum');  dopptis  115,  67^  unter 
Eigennamen,  also  Cognomen  (Gl.  II,  102,  16  =  X(ok6g^  HI,  330,  35 
=  koQÖog'^  altfrz.  clop)-^  cohba  104,  38*  hinter  cunela  unter  Pflanzen 
ist  rätselhaft  (xoAo/Ja?);  crumelum  68,  39  (unter  Pflanzen)  findet 
sich  bei  Greg.  Tur.  p.  810,  8  (Sittl,  Archiv  III,  286  =  g^nmieUtim 
vergleicht  ital.  grumolo  ^Herz  des  Kohls  oder  Salats',  vgl.  dazu 
Schmitz  ebd.  p.  387);  drappus  99,  62'  („Tuch^^,  von  dunkler  Her- 
kunft; bei  Oribas.  fr.  Bern.,  s.  Arch.  11,  106.  XI,  130;  ital.  drappo 
u.  s.  w.);  iuctus  38,  9  ein  Ackermafs  (s.  Du  C);  perium  105,  72* 
scheint  nach  periim,  das  36*  zw.  pnmns  und  pofnum  eingeschoben 
ist,  zu  beurteilen  (die  Schreibung  jwriim  für  pirum  Anthim.  84, 
C.  Gl.  ni,  358,  51  u.  ö.;  perarins  heilst  der  Birnbaum  in  der  lex 
Salica,  sc.  arbor,  ebenso  melarius,  pom.).  Was  ist  himba  99, 
78*  hinter  cmha  (=  qfmba)*),  was  ensilia  11 ,  54  hinter  ensis 
(vgl.  Plur.  insilia  „Spulen"  bei  Lucr.?  oder  die  Endung  ist  verdorben; 
ensiculus  Ko.),  was  fostrum  65,  96  (vom  St.  fod-  wie  rostrum  von 
rod-?  doch  scheint  Verderbnis  auch  das  Notenbildes  vorzuliegen, 
s.  Schm.).  was  menfius  106,  15  hinter  maenas,  was  rq)e  57,  84 
vor  repefite  und  repentinus  (C.  Gl.  III,  270,  16  r^)e  =  acta  ^dn[iccy 
doch  fällt  das  Fehlen  von  re2)ens  auf)? 

Folgende  für  den  Romanisten  interessante  Bildungen  sind 
weiter  oben  behandelt  worden:  aneUariiis  S.  68,  bibaria  S.  69, 
biroiius  S.  56.  58,  brochinus  S.  74,  cacida  S.  70,  castibla  S.  57,  cervia 
S.  57,  clinus  S.  53,  denMiis  S.  67,  inodiosus  S.  70,  nmcellu  S.  66, 
pedo  S.  56,  ponticanus  S.  74,  pulvicida  S.  66,  pustdla  S.  66,  ratio- 
nator  S.  76,  somnictdus  S.  67,  tardimis  S.  74,  vestüia  S.  72. 


Es  erübrigt  ein  Wort  über  das  Verhältnis  der  Tironischen 
Noten  zu  den  Glossen.    Eine  zahllose  Menge  Verba  wie  Nomina 


*)  Die  originale  Reihe  unter  Schmucksachen  lautet :  unio,  crotalia  (Peta*., 
Plin.  mai.),  smaragdus,  cimba,  cimbula,  cimbiha€,  cimhilae.  Namentlich  die 
zwei  letzten  Wörter  haben  den  Erklärem  Schwierigkeiten  gemacht.  Allein 
es  liegt  hier  Ideenassociation  vor:  das  Geschmeide  crotalia  erinnert  an  cro- 
tala,  dies  an  cymbala,  bez.  cymba,  Cybele  und  Cybebe.    S.  auch  S.  54. 


Beiträge  zu  den  TironiBchen  Noten.  83 

kommen,  wie  wir  gesehen,  aufserhalb  der  Noten  nur  in  den 
Glossarien  vor  und  erhalten  z.  T.  nur  durch  sie  die  für  uns 
wünschenswerte  Erklärung.  So  drängt  sich  die  Frage  auf:  haben 
die  Glossatoren  die  Noten  benutzt  und  die  dort  ohne  Interpre- 
tament  stehenden  Wörter  erklärt,  oder  haben  umgekehrt  die  Zu- 
sammensteller der  Noten  die  Lemmata  der  Glossarien  benutzt? 
Ein  Anzeichen  dafür,  dalis  das  erstere  der  Fall  ist,  könnte  man, 
wie  schon  oben  S.  46  bemerkt,  darin  erblicken,  dafs  in  den 
Glossen  oft  seltene  Verba  in  der  den  Noten  eigentümlichen  Form 
der  3.  Sing.  Pr.  Ind.  erscheinen  und  zwar  mit  teilweise  recht 
dürftigen  Erklärungen  (disdanaty  adplectitur  u.  ä.).  Auch  bei  den 
Nominibus  spricht  ein  eklatanter  Fall  für  jene  Annahme:  wenn 
Gl.  IV,  578,49  u.  ö.  vicorus  (vidurium)  et  cistifer  tioimna  sunt 
metallorum  sich  findet,  so  liegt  der  Verdacht  nahe,  dafs  die  Glosse 
aus  den  Noten,  wo  tab.  36,  94  viocunis  und  cesHfer  (=  cistiher, 
s.  oben  S.  60)  am  Schlufs  von  römischen  Magistraturen  steht, 
geschöpft  ist,  wobei  der  Umstand  den  Verdacht  verstärkt,  dafs 
der  Glossator  jene  Namen  falsch  erklärt  hat,  vielleicht  in  Er- 
innerung  an  victoriatus  und  cistifer  =  xi6Toq)6Qog.  Ahnlich  steht 
es  um  Glossen,  wie  Gl.  IV,  423,  24  securictilarius  eo  quod  secures 
ferit  (wohl  vul^res  fert,  nicht  von  ferire),  wo  das  securicularius 
der  Noten  38,  56,  das  doch  wohl  einen  Verfertiger  von  secures 
bezeichnet,  unrichtig  erklärt  scheinen  könnte.  Dafs  bei  dieser 
Annahme  der  Wert  der  in  Betracht  kommenden  Glossen  hin- 
sichtlich der  gegebenen  Erklärung  sich  wesentlich  vermindert, 
leuchtet  ein.  Eine  eigentümliche  Art  von  Entlehnungen  aus 
den  Tiron.  Noten  zeigen  die  sog.  Glossae  Isidori,  die  nach 
Loewes  Entdeckung  von  Scaliger  aus  gröfstenteils  noch  nach- 
weisbaren Glossarien  exceri)iert  sind.  Kopp  hat  zuerst  jene  Be- 
nutzung der  Noten  in  den  Gl.  Is.  erkannt  und  damit  eine  Anzahl 
Rätsel,  welche  die  Is.- Glossen  den  älteren  Erklärem  aufgaben, 
sehr  einfach  gelöst.  Der  Glossator  hat  entweder  sich  begnügt, 
die  Wörter,  da  er  sie  nicht  erklären  konnte,  ohne  Interpretament 
auszuschreiben  in  der  Ordnung  der  Noten  oder  mit  einem  auf  die 
Reihenfolge  bezüglichen  Hinweis  (wie  V,  596,  29  drrns,  cirritiis, 
cirritudo  =  tab.  95,  58  f.,  canava,  caniea,  post  caenaculum  92,  4  f., 
worüber  S.  66),  oder  er  hat  zur  Erklärung  die  Kategorie,  in  der 
das  Wort  stand,  angegeben  (V,  618,  18  tragum  inter  legumina 
nach  tab.  68,  16).  Zu  den  von  Schmitz  Beitr.  287,  bez.  Loewe 
Prodr.  52    aufgeführten    Beispielen   sind    hinzuzufügen:  podarius 


84  W.  Heraeus: 

inter  mimos  V,  608,  28,  patercularius  a  pcUerculo  606,  61,  stüin- 
quadruum  i,  quadrum  611,  60,  monopticus  mimus  603,  57,  virgo- 
bretm  nonien  niagistratus  613,  43,  candiarium  aerarium  594,  73, 
desgleichen  die  nackten  Wörter  cdUmica  (=  scalonica),  candomina 
(=  condamina)  595,  29  f.,  nefandarius  605,35  und  tragispicum 
612,  46  (=  tragum  pisum,  bez.  tragop.y  vgl.  oben  S.  78),  das 
zwischen  zwei  anderen  augenscheinlich  den  Noten  entnommenen 
Glossen  steht.  Die  Erklänmg  der  betr.  Wörter  ist  im  Verlauf 
der  Untersuchung  bereits  zur  Sprache  gekommen  und  zwar,  um 
nicht  irre  zu  führen,  ohne  Hinweis  auf  die  Glossen  Scaligers. 
Aus  welchen  hdschr.  Quellen  dieser  geschöpft  hat,  ist  noch  un- 
erklärt. Möglicherweise  stammen  sie  aus  dem  cod.  Vossianus 
Oct.  24*  (oder  einer  verwandten  Hdschr.),  aus  dem  Loewe  Prodr. 
386  fusicius:  fusidum:  fusile,  fusura,  sowie  fusurarius:  feticUiSf 
419  nmcdla:  macid<i  gleichsam  als  regelrechte  Glossen  mit  Inter- 
pretament  citiert,  während  es  doch  nur  aneinandergereihte  Wörter 
aus  den  Tir.  Noten  sind. 


IV.   Vermischtes. 

Vulgäre  Formen  des  Verbums  sind  schon  in  Abschnitt  H 
gelegentlich  zur  Sprache  gekommen,  wie  commando  (frz.  Comman- 
der), adsallire  (wie  in  der  lex  Salica^  frz.  assaillir)  u.  a.,  s.  S.  40  f. 
Bemerkenswert  scheinen  aufserdem  die  vulgären  Perfekt-Formen 
amixit  97,  82*  {celerius  mater  amixit,  was  Diomedes  aus  Varr.  sat. 
232  Buech.  citiert,  könnte  archaische  Form  des  Fut.  ex.,  bez. 
Perf.  Conj.  nach  Art  von  faodt,  iniexit  sein),  dirempsit  27,  8  (wie 
C.  I.  L.  IX,  5036  direyYisitj  C.  Gl.  V,  287,  27  derenisi:  separavij  vgl. 
Charis.  248,  5),  nwrsit  94,  51  (jpraetnorsisset  Plaut,  bei  GeU.,  C.  Gl. 
HI,  410,  45  morserunt  =  sdaxav,  V,  223,  19  nwniordit  melius  dici- 
mus  quam  marsit,  ebd.  26  morsit  non  dwitury  sed  momordity  ah  eo 
quod  est  mordeo,  cmitero  cotUrivi  facit,  non  contetui*),  perculsit  71, 


*)  Conterui  bei  Georges  Wtf.  ans  Apul.  met.  und  alten  Bibelhandschr. : 
auf  ersteren  beziehen  sich  die  Worte  des  Charisius  p.  248,  6  terui  et  trivi 
iuxta  Apuleium.  Aufserdem  Fulgent.  p.  187,  3  Helm  (p.  143,  1  ohteruit,  aber 
Apul.  apol.  8  obterierit  codd.)  und  Anecd.  Helv.  p.  183,  33  (in  einer  Anti- 
phona).  Vel.  Long.  p.  74,  5  erklärt  terui  für  neumodisch.  Übrigens  scheint 
Apuleius  auch  aus  contrivi  ein  Präs.  contrio  gebildet  zu  haben,  wenigstens 
ist  met.  7,  17  contHham  die  Überlieferung,  wo  die  Plsqpf.  contnram  (vg.), 
bez.  contriveram  (v.  d.  Yliet  neuerdings)  ganz  aus  der  Reihe  der  Imperfecta  in 


Beiträge  zu  den  Tironischen  Noten.  85 

78  (Amm.,  C.  Gl.  IV  363,  1).  Interessant  ist  auch  die  Schreibung 
usit  102,  28  (ebd.  ad-  und  combusit)  im  Hinblick  auf  die  Glosse 
des  Placidus  V,  10,  11  cotnbusserit  geminato  s  scribimuSy  facit  enim 
comburo  combussi,  womit  man  Albinus  C.  Gr.  VII,  302,  18  per- 
ctissi  per  duo  s,  ut  wro  ussi  vergleiche  und  des  Consentius  (V,  395, 
13)  Rüge  der  Aussprache  der  Griechen  iusi  st.  iuss^i.  Beispiele 
dieser  Schreibungen  sind  in  den  Hdschr.  der  Glossen  massenhaft 
zn  finden,  z.  B.  ambusit  IV,  308,  26,  in>u>sit  V,  304,  33,  exuset  IV, 
222,  45,  excusit  V,  291,  51,  auch  sonst:  Liv.  9,  3,  13  inuserit  cod. 
A,  Diom.  p.  369,  4  uro  usi^  Prise.  C.  Gr.  II,  447,  11.  Gregor.  Tur. 
H.  F.  6,  43  coyyibtisity  6,  44  exusit.  Von  vul^ren  Participien  seien 
erwähnt  refersus*)  92,  94  (=  refertus  Ps.  Cypr.  bei  Ge.  Wtf.  und 
Lucifer  p.  310,  21  Hartel;  vgl.  farsus  bei  Ge.  Wtf.,  Neue  IP,  564, 
Roensch  coli.  phil.  93.  230,  C.  Gl.  VI  s.v.  farsa,  fartor,  roman. 
farsus  aufser  auf  span.  Boden),  fifictutn  66,  25  (vgl.  Ge.  Wtf.,  u. 
Roensch  It.  295,  C.  Gl.  VI  s.  v.  fidus  und  fictor,  Arch.  VIII,  258,  ge- 
meinromanisch: it.  fi}ita  =  Finte  etc.),  phutum  66,  12  (it.  j)?wYo, 
aber  pittore,  während  frz.  peintre  =  pinctorem,  das  nicht  nur  in 
der  gefälschten  Inschr.  bei  Neue  und  Georges,  sondern  auch  in 
echten,  wie  C.  I.  V,  6466  (christl.)  u.  ö.,  sich  findet,  s.  Oleott  p.  108, 
C.  Gl.  m,  460,  5  pindor).  Ein  bemerkenswertes  Präsens  ist  ratur 
52,  6,  vgl.  C.  Gl.  Vn  s.  V.  randum  und  reor;  advesperescit  69,  11 
hat  sein  Analogon  in  vesperescit:  sero  facit**)  C.  Gl.  V,  335,  25, 
wogegen  sich  wohl  die  Bemerkung  ebd.  Z.  49  vesperascit  lutinum 
est  wendet  (vgl.  auch  die  grammatische  Erörterung  V,  102,  26). 
Activum  st.  Deponecs:  vescit  96,  7  (s.  Ge.  Wtf.),  arbitrarunt  31, 
35^  (ebd.  Gl.  VI  s.  v.  arbiträr).  Vulgär,  wenn  auch  von  fraglicher 
Bildung  ist  zweifellos  auch  marcerat  113,  48  (hinter  marcescif), 
wofür  Schmitz  mit  Kopp  macerat  schreibt,  vgl.  C.  Gl.  11,  364,  57 
liaQa(vo(iccL  7narceror,  121  j  29  marcidat  et  marcerat  Trjxeij  Trjxsraiy 


dem  Satze  herausfallen.  Contriho  =^  conteram,  contriret  u.  a.  weist  Thiel« 
mann  Arch.  m,  642  aus  Bibelhandschr.  nach,  ohne  der  Apul.-Stelle  zu  ge- 
denken; intrio  ivd-QVTtTa  C.  Gl.  11,  299,  22  und  in  rcinlat.  Glossen  bei  Land- 
graf Arch.  IX,  387.     Vgl.  „Sprache  des  Petron."  p.  40. 

*)  Schmitz  vermutet  ref'essus,  liest  aber  mit  Kopp  re versus^  das  jedoch 
tab.  28,  11  ein  anderes  Wortbild  zeigt.  Not.  Bern.  41,  103  erscheint  das- 
selbe Stenogramm  mit  der  Erklärung  refertus  (hinter  farcit).  Brieflich  hat 
Schm.  später  alle  Änderungen  aufgegeben. 

**)  Dagegen  fit  C.  Gl.  V,  253,  15.  Vgl.  il  fait  froid  u.  ä.,  August. 
serm.  25,  3  numquam  fecit  tale  frigus. 


86  W.  Heraeuß: 

^eTtrvvsrai.,  das  nach  Loewe  Prodr.  353  för  nmrcidat  wie  soler at^ 
ntaderatus  für  solidat,  madidatus  in  Glossen.  Doch  ist  hier  vielleicht 
die  Erscheinung  im  Spiele,  welche  „Sprache  des  Petr/^  S.  5  A.  2 
berührt  ist:  puderatus  für  pudörattis,  oderatus  u.  ä.,  nach  Analogie 
von  rechtraäfsigen  Nebenformen  wie  sterceratus  neben  stercoratus, 
fiügerator  neben  fulgürator  (s.  Ge.  Wtf.,  C.  GL  VI  s.  v.,  Not.  Tir. 
72, 15  fulgerat),  wonach  man  also  an  urspr.  marcorare  denken  kann.  — 
linxit  99,  49  als  Perf.  von  lingo  (Grammat.  ohne  Beleg  und  Vulg., 
8.  Ge.  Wtf.*)),  mulxit  96,  43  als  Perf.  von  mtdgeo  (Grammat.  ohne 
Beleg),  lambuü**)  68,  61»  (Ennod.,  Vulg.). 

Archaische,  bez.  vulgäre  Nominative  der  konsonantischen 
Deklination:  suis  103,  65  und  trabis  100,  9  f.  sus  u.  trabs  (s.  Ge. 
Wtf.),  gruis  111,  31  (in  der  App.  Pr.  verworfen,  s.  Arch.  XI,  320), 
gliris  109,  7  (ebd.  S.  318),  lintris**^)  110,  62  (Sidon.  carm.,  Isid. 
19,  1,  25.  C.  Gl.  II,  373,  8  lyntrh,  IV,  535,  2  linteris  u.  ö.),  frondis 
104,85  (C.  Gr.  L.  HI,  478, 1.  C.  Gl.  II,  473,  58.  HI,  469,  27,  aufser- 

*)  Dagegen  ist  das  von  Ge.  und  Neue  angeführte  lixit  Not.  Tir.  91, 

87  wohl  Fiktion,  es  steht  vor  inlixit  und  prolixü,  die  Kopp  richtig  inlexit^ 
prolexit  erklärt,  die  in  den  Noten  sonst  fehlen. 

♦*)  Das  von  Ge.  Wtf.  aus  Cassiod.  C.  Gr.  VII,  195,  16  citierte  Perf. 
lamhivi  weist  auf  ein  vulgäres  Präsens  /am&io,  wie  auch  eine  Hdschr.  vor  lambivi 
bietet  ('fort,  camhio^  Carrio).  Es  ist  auch  thatsächlich  überliefert  bei  Aug. 
conf.  9,  4  (p.  204,  23  Knöll)  lambiunt,  ep.  Alex.  p.  195,  16  Kubier  lamhiendi, 
Schol.  Aer.  Hör.  cann.  1,  22,  7  Jambiat^  Aeth.  Ist.  c.  G2  lambiunt^  vgl.  Schol. 
luv.  y,  6  lambcat  und  die  Lesart  ambiunt  der  Klasse  «  Pers.  prol.  6. 

***)  Interessant  ist  das  vorhergehende  musculus^  das  in  der  Bedeutung 
,Schiff^^  in  den  Lezicis  fehlt:  es  steht  aufserdem  Isid.  or.  19,  1,  14.  Not. 
dign.  Or.  39,  35,  Gl.  V,  604,  06  (muscellus  i^vg  unter  Schiffen  m,  206,  28), 
entsprechend  nvöiov^  das  bei  Fest.  147,  5  nach  den  Hdschr.  herzustellen 
und  in  moedia  (PI.  >  Gell.  10,  25,  6  zu  erkennen  ist,  s.  Rh.  M.  64,  307.  Über- 
haupt bieten  die  Tir.  Noten  in  den  systematischen  Partien  viele  Wörter  in 
neuer  oder  seltener  Bedeutung.  Erwähnt  sei  corticeum  98,  92  in  dem  Ab- 
schnitt über  Kleider  und  Kleiderfarben,  entsprechend  cortwatum  Gl.  HI,  22, 
19.  93,  28;  ebd.  n.  97  persicKin  findet  seine  Erklärung  in  den  Reichenauer 
Glossen  bei  Diez,  altröm.  Gloss.  S.  23  iacinctitias:  persas^  die  auf  Vulg.  Exod. 
25,  5,  wo  ianthinas  v.  1.,  geht,  und  Ahd.  Gl.  EI,  618  persiim:  weiten  (waid- 
farben)  vel  cerulei  colaris  (vgl.  auch  C.  Gl.  L.  m,  201,  44  j)ersicariii8  Xtv6v(fog)y 
wo  persum  mlat.  Kurzform  ist,  die  Plac.  C.  Gl.  Y,  92,  10  verwirft,  vgl.  Diez 
s.  V.  perso  und  Du  C.  Auch  dafs  in  demselben  Abschnitt  mustum  und  viscum 
erscheinen,  erklärt  sich  durch  Gl.  V,  467,  15  musteum : viscidiim^  wozu  226,1 
noch  medium  rinde  (blaugrün)  gesetzt  ist,  III,  22,  20  i^osiöig  viscineum 
hinter  carticatum,  323,  1  hinter  ceruleum.  Cntulus  steht  65,  90  unter  Marter- 
werkzeugen, sonst  so  nur  bei  Lucil.  und  Paul.  Fest.  p.  45.  Über  truncus 
103,  63  imter  Schweinernem  u.  ä.  s.  „Spr.  des  Petr."  S.  10  A.  1. 


Beiträge  zu  den  Tironischen  Noten.  87 

dem  8.  Ge.  Wtf.),  inguinü  79,  26  (Plac.  C.  Gl.  V,  26, 11  f. ... .  m- 
guinis  vero  latinum  no[me]n  est;  Acc.  inguinetn  Schol.  luv.  und 
Glossen,  s.  Arch.  IX,  446),  lendis  108,  80  (C.  Gl.  IE,  431,  61  u.  ö. 
Geogr.  Gothofr.  5,  wohl  auch  wegen  Differenzierung  von  lens^ 
lentis  beliebt,  vgl.  frondis),  lovis  81,  72  (J.  optimus  m,,  s.  Spr.  des 
Petr.  S.  40),  Ditis  59,  13  (s.  Ge.  Wtf.  u.  Glossen),  lyneis  108,  81 
(C.  Gl.  IV,  534,  30  u.  ö.),  vadis  73,  41  (Ennod.  bei  Ge.).  Dagegen 
ist  rudeniis  110,  24  trotz  des  Hilfszeichens  is  wohl  Irrtum  für 
rudentes,  wie  Kopp  vermutet,  und  dasselbe  wird  von  furfuris  68, 
25  gelten  müssen  (f'urfures  PI.  tantum  nach  C.  Gr.  I,  548,  24.  Gl. 
II,  408,  24  u.  a.),  während  fortis  fortima  43,  33  wohl  aus  Mifsver- 
ständnis  der  Casus  obliqui  von  Fors  Fortuna  hervorgegangen  ist, 
welches  auch  C.  Gl.  III,  291,  14  Fortis  Fortuna^  IdxvQa  xvxt]  über- 
setzt, zeigt.  —  femus  79,  16  (vor  femor)  wie  öfter  bei  Apul.  met. 
(s.  Index  von  v.  d.Vliet)  imd  in  Glossen:  II,  371,12.  111,468,77  u.ö.; 
ntibs  68,  72  (s.  zur  App.  Prob.  Arch.  XI,  316),  (/iir(jris  93,  86  (Gl.  IV, 
523,  2.  3),  itifier  38,  6  hinter  ifer  (s.  Ge.  Wtf.,  auch  im  Nachtr.  und 
C.  Gl.  VI  s.  V.;  Isid.  15,  16,  8  unterscheidet  beide  Formen),  lasar 
104,  56  (s.  Ge.  Wtf,  Ihm  zu  Pelag.  p.  23,  C.  Gr.  L.  V,  499,  35,  C. 
Gl.  VI  8.  V.)  wie  passar  111,40  (App.  Prob.  Arch.  XI,  324),  an- 
sar  (ebd.  320)  carcar  (s.  Ge.  Wtf.,  Roensch,  coli.  phil.  21,  Immisch 
gl.  Hes.  p.  311,  C.  I.  L.  IX,  1617,  Liv.  26,  13,  15  Put.,  ahd.  kar- 
kari).  —  supelledile  92,  1  hinter  supelkx  (wohl  Nominativ  wie 
C.  Gl.  U,  533,  15.  IV,  289,  17.  571,  9.  V,  42, 12),  condavis  50,  88 
wie  Not.  Bern.  65,  95,  wo  Schmitz  fragt  Mdemne  ac  conclaveT 
(sehr  oft  condavis  in  den  Glossen,  bes.  in  der  Bedeutung  „Al)- 
tritt":  II,  106, 45  c,  et  cidina  dtpsÖQCjv,  wie  schon  bei  Martial 
condave,  s.  Arch.  XI,  534)  und  entsprechend  retis  110,27  (Fem. 
und  Masc,  s.  Ge.  Wtf  und  C.  Gl.  II,  174,  10.  36).  Acdis  81, 
58  und  vulpis  108,84,  s.  zur  App.  Probi  Arch.  XI,  316  f.,  umge- 
kehrt volles  95,  77  (s.  Ge.  Wtf.)  und  scrohes  91,  8(),  falls  dies  nicht 
Plural  ist.  Ohex  lautet  derNom.  1(K),  44%  wie  überall  aufser  in  der 
späten  Glosse  des  Aynardus  V,  622, 11  obiex  (an  der  von  Ge.  aus  Labb. 
citierten  Stelle  war  obiex  falsche  Lesart  für  obtemtus,  s.  II,  405,  43). 
Heteroklisis.  Geschlechtswechsel  in  der  2.  Deklination. 
Während  Masc.  für  Neutrum  sehr  selten  in  den  Noten  ist,  nämlich 
aufser  dem  schon  S.  65  behandelten  bustns,  nur*)  noch  meditullus 
56,  39,  canistdlus  108,  96,  sagulus  98,  17  (sagus  archaisch  und  in 

*)  Denn  mcrarius  55,  17  wird  wohl  den  Aufseher  über  sacra  bezeich- 
nen, wie  inschriftlich,  vgl.  Oleott  a.  a.  0.  166. 


88  W.  Heraeus: 

Glossen  11 ,  429,  29  u.  ö.),  ist  die  umgekehrte  Erscheinung  unge- 
heuer häufig.  Die  im  Folgenden  alphabetisch  aufgeführten  Formen 
sind  gröfstenteils  bei  Neue  und  Georges  Wtf.,  sowie  in  der  Spezial- 
Schrift  von  E.  Appel,  de  genere  neutro  intereunte  in  lingua  lat.^ 
Erl.  1883,  aus  meist  archaischen,  bez.  späten  Texten  belegt  und  be- 
handelt, sodafs  im  Folgenden  nur  Nachträge  gegeben  werden.*) 
*Äculeum  (nur  noch  Gl.  II,  490,  62),  alveum  (sehr  häufig  in  Glossen) 
und  alveolutn  (bei  Paul.  Fest.  8  Irrtum  des  Epitomators  nach 
MüUer),  * amuranthum**)  (III,  192,  31  -anhim),  * ameUiystum,  calr 
cidum  (Gl.  m,  467,52  u.  ö.,  vgl.  Arch.  IV,  180),  cakidum  (GL), 
camimim  (verworfen  C.  Gr.  L.  V,  574,  G),  capulum  (stets  so  in 
den  bilinguen  Glossen),  * catascopiim ,  *cedrHm,  *citnim,  congium 
(mit  einer  Ausnahme  konstant  in  den  bilinguen  Glossen,  verwor- 
fen von  Caper  p.  109,2.  101,  14),  cucxittum,  culleum  (bil.  GL), 
*cultrum  imd  cidiellum  (bil.  GL,  letzteres  von  Serv.  Aen.  6,  248 
verworfen;  vgl.  Ge.  Wtf.  Nachtr.),  amiculum  (GL),  discum  (GL  III, 
379,  8),  *€cidenm  (GL  II,  350,  63),  flosculum  und  floscellum  (vgL 
oben  S.  66),  *fhmnm  und-  olum,  *gyrum,  indiculum  (GL  V,  305,9, 
doch  ist  ein  Nom.  -idtis  noch  nicht  belegt,  s.  Ge.  Wtf.),  *in^icwn 
(GL  III,  360,  5  u.  ö.),  *lectkvlum,  *libanum,  nianipidum  (Glossen), 
modium  (bil.  GL,  verworfen  von  Caper  p.  101,  13),  *murnm  (Gl. 
V,  441, 13  u.  446,  20  PL  nmra\  pastülum  (Gl.  U,  142,  53),  rogutn 
(GL  II,  436,  38  neben  rogus,  oft  in  reinlat.  GL),  sarcoplwgum  (GL 

IV,  389,  11,  Gromat.  p.  361),  *scarifum,  *scopidum  (GL),  scruinir 
htm  (verworfen  von  Caper  p.  111,  10  und  Prob.  p.  212,  21),  *sfi- 
lum  (Isid.  or.  14,  4,  1,  *sextarium  (bil.  GL),  *serpicidumj  *$ibilum 
(GL),  surculum  (Gl.  11,  594,  58;  doch  ist  suericulum  in  den  Noten 
überL,  s.  oben  S.  67),  thesaurum  (s.  „Sprache  des  Petron.'^  S.  42), 
thrommiy  *umbilicu)n  (Gl.  und  vieU.  Fulgent.  p.  41,  20 H.),  umerum 
(GL),  versmdum  (GL  11,  438, 5).  —  Sonstige  Heteroklisis. 
1.  DekL  statt  2.:  adim  (Gl.  II,  429,  17  neben  acinus),  arva  (GL 

*)  Die  bei  Appel,  bez.  auch  bei  Georg,  fehlenden  Wörter  sind  mit 
einem  Sternchen  versehen. 

••)  Die  falsche  Aspirierung  in  volkstümlicher  Anlehnung  an  &v&og 
aufser  in  Hdschr.  wie  Plin.  n.  h.  21,  47  auch  inschriftlich:  Anth.  1.  ep.  492^ 
23  flore  amaranthi  (in  derselben  Clausula  richtig  ebd.  1184,  14)  und  Orelli 
5117;  ebenso  in  den  Eigennamen  C  I.  XIV,  1185  IV.  Julius  Ämaranthus  {Beme^ 
freigelassene  heifst  lunia  Anthis!),  'Andgav&og  bei  Brunn,  Gesch.  der  griech. 
Künstler  II,  600.  Die  falsche  Schreibung  hat  sich  bekanntlich  bis  heute 
erhalten   und   prangt   als  Titel    auf  einer   bekannten  Dichtung   von  Oskar 

V.  Redwitz.    Vgl.  auch  Amianthus  und  Ämaranthus  bei  De  Vit,  Onom. 


Beiträge  zu  den  Tironischen  Noten.  89 

IV,  21,  29  arvas  :  agros  n.  ö.,  Isid.  or.  14,  1,  1.  Anecd.  Helv. 
CCXCI,  13),  cinffula  (GL,  Isid.  20, 16,  4.  Beda  p.  266,  30),  laiibulae 
(nach  Analogie  von  latebrae),  retioula  (Charis.  p.  61,  19  verworfen). 
Dafs  hier  zum  Teil  Pluralia  vorliegen,  ist  unwahrscheinlich. 
Über  cichoria  s.  S.  57,  funictila  S.  67,  veltraga  S.  60.  2.  Dekl. 
statt  1.:  amygdalum  (Gl.),  cavernum  (Gl.  II,  460,  55.  III,  440,  42), 
*damtis  (Gl.  HI,  431,  30  dammiis)  und  ^damidus  (III,  513,  51 
dämm,),  praestigium  (Gl.  fast  stets).  Über  indicivum,  viciumy  scutrumy 
lacinium,  caniculus  s.  oben  S.  57.  2.  Dekl.  statt  3.:  coniallium 
(Plural  convaUia  bei  Ge.  mehrfach  belegt),  ilium  (GL,  Pelag.  83. 
Isid.  4,  7,  29.  Rose  zu  Cass.  Fei.  241),  pra^sepium  (GL),  duplamum 
i^Inschr.  bei  Ge.,  verworfen  von  Caper  p.  109,  8,  halblatinisiertes 
diplomum  in  Glossen),  ossum  (GL,  Rose  im  Ind.  zu  Cass.  Fei.,  roma- 
nisch). 2.  Dekl.  statt  4.:  comum  (GL),  tonitnim  (GL),  gefiuum 
(vgL  comuutn  und  tonitruum  bei  Ge.  Wtf.).  2.  DekL  statt  5.: 
superfiäum  (GL  11,465,6  u.  ö.,  SchoL  luv.  10,  136).  3.  DekL 
statt  1.:  brax  für  braca  (Ed.  DiocL,  GL  III,  208,  60  braces  PL, 
den  Caper  108,  10  und  Auct.  dub.  nom.  p.  572,  11  verwerfen,  GL 
Hesych.  ßQoixsg'  dval^vQCdsg).  Über  tramen  für  trama  s.  oben  S.  58. 
3.  Dekl.  statt  2.:  *calamistre,  cicendile  j^s.  Ge.  Lex.,  GL  IV,  108, 
34  PL  cicindelia),  cardonis  (auch  romanisch  cardOy  -onis  für  car- 
dus:  s.  Wölfflin  Arch.  IX,  6.  297  und  die  Glossen).  5.  DekL 
statt  1.:  maceries  (Serv.  Aen.  2,  469,  Glossen)  und  vielleicht  in- 
sanies  74,  10  (hinter  sanies). 

Von  griechischen  Wörtern  findet  sich  attagena  mit  der 
lat.  Endung  der  1.  Dekl.  versehen,  wie  der  Nom.  auch  in  den 
Glossen  lautet,  dagegen  congrus  (nicht  conger),  wie  Prise,  und  Charis. 
verlangen  und  bei  Isid.  12,  (>,  44  steht  (blofse  Konj.  von  Lach- 
mann  bei  LuciL  137),  während  die  Glossen  beide  Nom.  geben. 

Adjectiva:  sinceris  82,  98  (keine  Endung  im  Notenbild),  spät 
und  von  Charis.  verworfen,  s.  Ge.  Wtf.,  die  Glossen,  Anth.  c.  33, 
Roensch  It.  274.  inbeallis  68,  66,  zu  aUen  Zeiten  üblich,  veter 
54,  25*  hinter  vetus,  archaisch.  Der  Superl.  lautet  facdissimtis 
30,  53  wie  C.  Gl.  11,  317,  54,  getadelt  von  Beda  p.  273,  23,  zweifel- 
haft bei  Varr.  r.  r.  1,  39,  1,  desgl.  difficilissimus,  humilissimus  (Ps. 
Cypr.  bei  Ge.,  Gloss.  s.  v.  obnixius  u.  infimus),  gracilissimus  (cf. 
Beda  p.  274,  9).  Altertümlich  könnte  pidcrimus  70,  75  scheinen, 
VgL  clarimus,  purimus,  ipsimus  u.  a.  „Sprache  des  Petr."  S.  15, 
doch  machen  Schreibungen  wie  acerimus  54,  64,  asperimiis  ebd.  75 
bedenklich. 


90  W.  Heraeus: 

Lautlehre:  Kontraktion  liegt  vor  in  acrama  u.  -maticus  106, 
77  f.,  das  bei  Prudent.  durch  das  Metrum  gesichert  ist  (anderes  s 
„Spr.  des  Petron."  S.  48).  Vokaleinschub  in  arhiterium  31,  34 
(hinter  arbitrium),  worüber  s.  Ge.  Wtf.,  Anth.  lat.  ep.  245  und 
C.  Gl.  VI  s.  V.,  scerhilit4i  109,  25  =  scribliia  („Spr.  des  Petr."  S.  5), 
solistitium  68,  87  (s.  Ge.  Wtf.,  Glossen).  Unterlassung  der  Syn- 
kope: nomenculator  21,  HO  („Spr.  des  Petr."  S.  47),  aprugifieus  108, 
28  für  aprugn(e)us  {aprugineis  dentibus  Sol.  32,  30  in  2  Hdschr.; 
vgl.  ahiegineus  und  ahiegneus  in  Inschr.  und  sonst  bei  Ge.  Wtf., 
Hyg.  fab.  p.  77,  2  Schm.  aprineiis  st.  aprinus).  Sonstiges:  Saginr 
tinum  98,  20  =  Sagunt,  womit  man  die  merkwürdige  Notiz  des 
Consent,  p.  398,  5  vergleiche;  massipiarius  48,  60  nach  griech. 
liagöiTC,  (Varr.  r.  r.  3,  17,  2  ma^sipium),  murio  =  mono  62,  12 
(Glossen  und  Schol.  luv.  1,  35),  siibrius  81,  53*)  (Le  Blant  I. 
G.  471,  Hdschr.  bei  Schuch.  11,  113;  suber:  App.  Pr.  Arch.  XI, 
306)  xmd  die  bekannten  Schreibungen  nepuSy  castus ,  camptis 
u.  ä.;  cimentum  51,  37  (Glossen),  dustmm  50,  90  (Gloss.),  par- 
gamina  76,  25  =  pergamena  (pargium  in  Glossen  s.  v.  aluta,  frz. 
parchemin,  s.  Du  C).  Assimilation:  dossum  96,  32  (hinter  dor- 
sum)  nach  der  von  Vel.  Long.  79,  4  gerügten  Aussprache,  über- 
liefert auch  Varr.  r.  r.  2,  10,  5  (ebd.  dossuaria),  Chir.  mulomed. 
Arch.  X,  421,  oft  in  Glossen,  wie  11,  333,  39.  377,  45,  romanisch; 
ähnlich  massipiarius,  s.  o.  Dissimilation:  ad'tnentum  51,  35  fttr 
ammentum  (dies  bessere  Schreibung  als  amentum),  wie  oft  in 
Glossen,  s.  Loewe  Prodr.  368  und  C.  Gl.  VE  s.  v.  Eonsonanten- 
verdoppelimg:  sepellit  58,  63,  vielleicht  nach  der  von  Diomed. 
p.  371,  1  erwähnten  Ableitimg  von  pellis  (vgl.  auch  den  Namen 
des  Totengräbers  vespillio,  bez.  vespilio),  wie  C.  I.  VIII,  4373 
sepellitiis,  XI,  2089  sepelliri  (christl.),  C  Gl.  HI,  75,  33.  IV,  314, 
56  u.  ö.;  ferruncius  95,  5,  auch  in  guten  Hdschr.  xmd  afrik.  Inschr., 
s.  Buecheler  Rh.  M.  46,  236,  nach  dem  es  aus  der  alten  Form 
ters  =  ter  zu  erklären  ist,  doch  ist  es  vielleicht  eher  der  ge- 
schärften Aussprache  zur  Last  zu  legen,  da  sich  auch  Terrentius 
u.  ä.  in  Hdschr.  findet,  z.  B.  Not.  Tir.  118,  75.  C.  Gl.  V,  190,5. 
205,  42  u.  a.   terrumius  Gl.  IV,  415,  3.    V,  308,  3  u.  ö.).     Aus-  u. 


*)  Das  folgende  prope  subriiis  vor  suhrinus  hat  den  Erklärem  Schwierig- 
keiten bereitet.  So  denkt  Kopp  an  prope  sohrius  oder  plane  sobrius.  Mir 
ist  es  nicht  zweifelhaft,  dafs  hier  der  Verwandtschaftsgrad  propius  stibrino 
Fest.  p.  230**,  31,  propior  s.  Big.  38,  10,  10,  16,  propius  sobriniis  Inc.  auct. 
de  grad.  cogn.  bei  Huschke,  lorispr.  anteiust.  p.  609*  spukt. 


Beiträge  zu  den  Tironischen  Noten.  91 

Abfall  Ton  Konsonanten:  ohsetrix  24,  47  (s.  zur  App.  Prob.  Arch. 
XI,  325),  faonius  110,  69  (C.  61.  HI,  426,  51.  V,  361,  49  cod.  Ep.; 
Aeth.  Ist.  c.  83,  wie  failla  App.  Prob.  u.  ä.),  umgekehrt  hobarium 
56,  87  =  bovar.,  bez.  boar.  (hob.  Jordan  Top.  I,  2  p.  474  A.,  bov, 
Ge.  Wtf.,  Liv.  27,  37,  15.  29,  37,  2  cod.  Put.,  Prop.  4,  9,  19,  Fest. 
p.  314,  32  Thewr.  cod.  Farn.  u.  a.),  capisterium  110,  65*  =  sca- 
p(h)ist.  (Col.  2,  9,  10  codd.,  Ahd.  Gl.  III,  333  capisterium:  tnolr 
iera)y  tesina  =  tisana  68,  34  =  ptisana  (Ge.  Wtf.,  Gl.  s.  y.,  Arch. 
X,  201.  Ihm  zu  Pelagon.  p.  24  u.  a..  Gl.  V,  586,  6  tisana  scribitur 
sinep,).  Konsonanteneinschub:  grugis  111,31  (Nom.,  s.o.,  CGI. 
IV,  599, 19  gnis:  grties  vel  grugis),  trugila  101, 67  =  truella,  letzteres 
aus  den  Dig.  belegt,  frz.  triielle  (ygl.  rpvi^'A^g?).  Volksetymologische 
Umgestaltungen:  apoleterium  114,  30  =  aj^orfy^.,  an  a7tokv(o  ange- 
lehnt? C.  Gl.  IV,  207,  19  u.  ö.  apoliierium  oder  apoleterium^  gau- 
napum  97, 5  hinter  gausapum  (Schm.  unnötig  gaunaaim,  das 
Notenbild:  GNum;  es  liegt  Verquickung  der  Synonyma  gau^ia- 
cum  und  gausapum  vor,  Tgl.  Isid.  19,26,2  galnapis  und  Du  C. 
8.  V.,  „Spr.  des  Petr.^*  S.  16A.  2),  duplomum  76,  50  für  diploma 
(duploma  und  -um  tadelt  Caper  p.  109,  8;  vgl.  dupondium),  pro- 
muscis  108,  24  =  proboscis  (s.  Ge.  Wtf,  Gl.  s.  v.,  Ep.  Alex.  p.  206, 
10.  Anlehnung  an  TtQOfivxryJQ  oder  an  das  dem  ital.  musello,  franz. 
museau  „Schnauze"  zu  Grunde  liegende  Wort?),  cambarus  113,  8 
=  cam(m)arus  (Caper  p.  108,  13  verworfen;  Gl.  II,  338,  56  xapCg 
gabbarus,  Scilla,  romanisch  gambarus  (Arch.  II,  433.  VI,  390),  mora- 
tum  105,  20*  unter  Gerichten  =  moretum  (vgl.  Du  C.  und  afra- 
tum  bei  Anthim.).     Über  incaustum  u.  ä.  s.  o.  S.  59. 

Adverbia:  Von  der  Liste  Arch.  IX,  245  sind  abzusetzen: 
alode  51,  93*,  das  S.  51  als  das  german.  Wort  erklärt  ist,  und 
pixies  95,  1,  das  nach  Schm.  Plural  des  vorhergehenden  ^;ia;/5 
(pyxis)  ist;  adquin  2,  37  hinter  alioquin  natürlich  =  atquin  (s.  Ge. 
Wtf.  und  den  Tadel  Capers  p.  96,  3).  Femer  scheinen  fingiert: 
adtaxat  89,  24*  (hinter  taxat,  dumt.)  nach  dem  vorhergehenden 
temptai,  adtemptat,  dum  temptat;  desgl.  praeterim  1,  37*  hinter 
inter,  praeter,  Interim;  reinde  20,  7P,  während  praeinde  20,  71* 
vulgär  für  proinde  sein  mag.  Verdächtig  ist  auch  multisper  24, 
98*.  Merkwürdig  ist  minopere  25,  26*,  nach  magnopere  verkürzt 
aus  minifnopere?  (summopere  21,  9*  nur  bei  Cic.  inv.  26  und  C.  Gl. 
IV,  289,  16).  Zusammengezogenes  tantocius  5,  32  erscheint  sonst 
nur  in  den  Glossen  V,  156,  5  tantocius:  tanio  velocius,  vgl.  Ter. 
Eun.  ()()9    tanto^ocius]    das    dahinter  eingeschobene  quantocius  in 


92  W.  Heraeus: 

Ge.  Lex.  dreimal  spät  belegt,  dazu  Itin.  Alex.  p.  11,  6  V.,  Lucifer 
p.  319,  10,  Vulg.  Gen.  45,  19  und  die  Glossen).  Fossecus  51,  87, 
in  der  Form  postseais  aus  Isidor  belegt,  von  Caper  p.  99, 23 
getadelt  (metrisch  lautete  die  Anweisung  etwa:  pone  loci,  post 
teniporis  est,  sed  postsectis  nil  est),  ist  häufig  in  den  bilinguen 
Glossen*),  z.  B.  11,  154,  49.  306,  33.  346,  27,  mit  Smöf^ev,  i^tena^ 
XoLn6v  erklärt.  Neu  sind  zwei  Bildungen  auf  -im:  contempUüim 
82,  12  und  normatim  72,  72*  die  zu  den  Arch.  VIQ,  41  gesammel- 
ten hinzuzufügen  (auch  die  Glossen  bieten  vieles  Neue:  conflatim 
IV,  322,  9,  compendiatim  und  angustiatim  V,  351,  20  u.  a.). 
Möglicherweise  verdorben  ist  den  67,  61  samt  dem  Notenbild,  das 
nur  DN  zeigt;  man  könnte  an  Zusammenhang  mit  dem  Zahl- 
wort deni  denken  (anders  Schmitz,  Festschr.  Trierer  Phil.  S.  65). 
Das  ebd.  67,  67  hinter  ecce,  en,  eni  begegnende  enec(c)em  oder 
enecce  wird  von  Kopp,  der  die  Note  in  die  Elemente  Ec(x)em 
auflöst,  als  ecce  autem  gedeutet,  dem  Schmitz  später  zugestimmt 
hat,  während  er  früher  a.  a.  0.  en  ecce  erklärte  (E  N  (x)  C).  Viel- 
leicht liegt  aber  das  eccere  der  Komödie  vor,  wofür  in  den  Glossen 
auch  eccerem  erscheint.  Etiamum  1,  61*  ist  sicher  mit  Ruefs  a.  a.  0. 
245  etianitum  zu  lesen.  Satim  20,  80  hinter  satis,  wie  Not.  Bern. 
68,  67,  wo  Schmitz  fragt:  ^satin^?,  scheint  vulgäre  Form,  nach 
aff'atim  gemacht,  s.  Loewe  Prodr.  348,  wo  eine  Leidener  Glosse 
satim:  sufficit  vel  sati^  est  angeführt  und  die  häufigere  Glosse 
adfatim:  statim,  abundanter  danach  korrigiert  wird,  wozu  ich  be- 
merke, dafs  auch  Albin.  C.  Gr.  VII,  297,  17  affatim  per  duo  f  id 
est  statim  vel  satis  sagt.  —  Sonst  bemerkenswert  ist  u.  a.  ante- 
meridie  und  postfneridie  44,  74 f.,  was  nicht  in  ante  und  post 
meridiem  zu  ändern  war,  obwohl  bei  Charis.  p.  187,  34  pridie, 
postridi^y  antemeridiem,  postmeridiem,  aber  vielleicht  fälschlich 
überliefert  ist.  Denn  auch  bei  Fronto  p.  31  N.  hat  der  Palimpsest 
exhn  antemeridie  apriaim  und  p.  68  inde  ^wstmeridie  domum  rece- 
pimtis,  wo  Naber  ändert,  C.  Gl.  III,  295,  40  posbyteridie  deUrj^ 
Act.  fr.  Arv.  CCXXV  post  meridie,  CCIII  promeridie  (=  pom.T) 
Vulgär  für  postridie  war  postpridie:  Not.  Tir.  44,  66  wie  bei  Greg. 
Tur.  (=  cras  s.  Bonnet  p.  480),  C.  Gl.  IV,  146,  35  mit  altera  die 

*)  Diese  geben  auch  das  Gegenstück  antisecus  ^itngoad'sv  ü,  296,  51. 
ni,  489,  49,  longisecus  n6QQa}^sv  11,  414,  6,  anio&sv  243,  31,  insecus  slg 
iyyvg  86, 47.  Circutnsecus  nur  bei  Apul.,  altrinsecus  arcb.  und  spJltl.,  extrinsecus 
seit  Cic,  forhisecits  seit  Col.,  intrinsecus  seit  Augustus'  Zeit,  utrimque  secus 
Lucil.  u.  sp. ,  undique  secm  nur  bei  Solinus.  "^^ 


Beiträge  zu  den  Tironischen  Noten.  93 

erklart,  378,  39  mit  hodie  wegen  pridie,  V,  235,  8  mit  t^io  die, 
d,  i.  postridie  (wie  V,  134,  43  richtig)  fälschlich  als  pos-tri-die 
erklart;  auch  bei  Charis.  a.  a.  0.  hat  der  cod.  Neap.  die  Form. 
Vulgär  ist  auch  cuiuscetnodi  4,  11  (für  cuiusqtie  modi),  das  sich 
nicht  nur  in  den  Hdschr.  von  Apul.  met.  wiederholt  findet,  s.  v.  d. 
Vliet  Arch.  X,  386,  sondern  auch  im  Palimpsest  des  Fronto 
p.  161,  in  Glossen  V,  283,  16  cuiusceniodi:  qualicmnque  u.  a.,  bei 
Dictys  p.  36,  4  und  83,  15,  während  p.  28,  30  in  demselben  Sinne 
huiuscemodi  überliefert  ist,  wie  auch  an  einigen  Apuleius-Stellen. 
Umgekehrt  huixisque  niodi  u.  ä.  in  Inschriften,  selbst  in  republ.,  und 
in  Hdschr.  (z.  B.  Gl.  IV,  349,  55),  wie  denn  auch  die  Bemerkung 
des  Mar.  Vict.  C.  Gr.  VE  p.  16, 1  et  huiusce  et  cuiusque  rede  scri- 
buntur,  sed  suo  loco  utraque  auf  vulgäre  Verwechslung  weist,  desgL 
Cassiod.  C.  Gr.  VU,  156,  8  huiusce  per  c  litteram  scnbendum  est 
etc.,  207,  4  cuiusque  non  per  c  scrihitur  etc. 

Offenbach  a/M.  Wilhelm  Heraeus. 


Tatarehas. 

Hygin  fab.  14  (p.  49  Schm.)  erzählt,  wie  die  verschiedenen 
Schiffsämter  unter  die  Helden  der  Arge  verteilt  waren.  Tiphys  war 
gubernator,  Lynceus  proreta,  tuiarcld  autem  fuerunt  Zetes  et  Calais 
Aqtiüonis  filii  etc.  In  futarchi  erblicken  die  Erklarer  seit  Tumebus 
eine  Korruptel  aus  foecharchi  xolictqxoi^  Aufseher  über  die  Ruder- 
knechte an  den  Seiten  des  Schiffes,  welche  allerdings  wegen  der  Zwei- 
zahl der  Namen  sehr  passend  sind.  Die  Überlieferung  tutarcki  wird 
aber  durch  zwei  von  einander  unabhängige  Zeugnisse  der  Glossen  be- 
stätigt, bei  denen  obendrein  eine  Beziehung  auf  Hygin  ausgeschlossen 
ist.  In  den  Hermeneumata  Monacensia  C.  Gl.  III,  205,  38  unter  der 
Rubrik  Me  navigatione'  liest  man  hinter  nauclerus  und  gubernator: 
öhaQxog  Marcus  (v.  1.  tutartus),  C.  Gl.  V,  582,  14  tutarchus:  rcctor 
navis.  Die  letztere  Erklärung  pafst  offenbar  nicht  auf  die  Hygin- 
stelle  und  beruht  vielleicht  auf  einer  Verwechslung  mit  trierarchus, 
oder,  wie  die  Glossen  vulgär  vielfach  schreiben,  iriarchus.  Aber  auch 
die  Erklärung  clxctQypg  „Proviantmeister"  würde  zu  tutarchus,  wenn 
es  aus  ioecharctius  volkstümlich  verdorben  wäre,  nicht  stimmen.  Sie 
sieht  eher  danach  aus,  als  ob  tutarciis  als  abnorme  Komposition  von 
tutari^  bez.  ftim,  und  arca  verstanden  ist,  wie  denn  <Si,xaq%la  (von 
ctxog  und  iSi^xico)  im  Spätlatein  sitarcia  für  „Proviantkiste"  gebraucht 
wird.     Vielleicht  weifs  ein  andrer,  die  Verwirrung  zu  lösen. 

Offenbach  a/M.  W.  Heraeus. 


94  Alfred  Klotz:  Angulus. 


Angulns. 

Über  die  Etymologie  von  angulus  scheint  noch  keine  Einhellig- 
keit erzielt  worden  zu  sein.  Die  Ansichten  der  alten  Grammatiker 
sind  folgende:  Varro  ling.  6,  41  qua  agi  vix  potest,  hinc  angiportum 
(cf.  5,  145).  qua  nil  potest  agi,  hinc  angulus  <^vel^  quod  in  eo  locus  angu- 
stissimus,  cuius  loci  is  angulus.  Paul.  Fest.  p.  11  M.  angulus  a  Graeco 
ayKvXov  venit  sive  ab  eo  quod  est  iyyvg^  id  est  prope.  Die  letzte 
Erklärung  können  wir  ruhig  beiseite  lassen.  Die  erste  verrianische 
Deutung  bringt  das  Wort  mit  ccyKvlog  und  so  wohl  auch  mit  dem 
lateinischen  ancus  zusammen.  Sie  hat  neuerdings  u.  a.  an  Sabbadini 
(Rivista  di  filol.  1900,  78)  einen  Verteidiger  gefunden.  Die  Geschichte 
des  Wortes  zeigt,  dafs  diese  Etymologie  falsch  ist,  sie  giebt  Varro 
recht.  In  der  That  gehört  angulus  zu  angustus,  ango  u.  s.  w.  Die 
verrianische  Erklärung  geht  von  der  Bedeutung  angulus  =  ytovla 
„Ecke"  aus.  Dies  ist  die  jüngere  und  abgeleitete  Bedeutung.  Bei 
Plautus  und  Terenz  bezeichnet  angulus  den  Winkel  im  Hause,  f4V%6g: 
cf.  Plaut.  Aul.  437.  557.  Persa  630.  Ter.  Ad.  785  interea  in  angu- 
lum  aliquo  abeam  atque  edormiscam  hoc  villi.  Bei  Cato  agr.  98 
ist  von  fundus  arcae  atque  anguli  die  Hede:  also  liegt  dieselbe  Be- 
deutung zu  Grunde.  Übertragen  bedeutet  angulus  dann  eine  entlegene 
Gegend,  so  häufig  von  Cic.  Verr.  3,  193  an  (cf.  studiorum  angulus 
Cic.  Caecin.  84). 

In  anderer  Bedeutung  finden  wir  angulus  bei  Cato  (Char.  gramm. 
n  207)  ultra  angulum  Gallicum  ad  Bliberim  adque  Ruscinonem  de- 
ferimur.  Auch  hier  betrachtete  man  den  Winkel  von  innen,  d.  h.  vom 
Meere  aus,  cf.  Suet.  (p.  243,  4  Reiff.)  sinus  maiores  recessus  maris 
dicuntur,  ut  Caspius  Arabiens  Indiens,  minores  autem  anguli,  ut  Pae- 
stanus  Amyclanus  et  ceteri  similes. 

Die  mathematische  Bedeutung  des  Winkels  findet  sich  zuerst  bei 
Cato  agr.  14,  1,  wo  quadratisch  behauene  Steine  als  Material  fOr 
Pfeiler  empfohlen  werden:  pilas  ex  lapide  angulari  faciat.  Diese  Stelle 
lehrt  zugleich,  dafs  Cato  noch  nicht  angulus  als  /cov/a,  äufsere  Ecke, 
kannte:  dafür  ist  später  lapis  angularis  der  übliche  Ausdruck.  Nicht 
deutlich  zu  erkennen  ist  die  Bedeutung  Rhet.  Her.  3,  16,  29.  Die 
mathematische  Bedeutung  scheint  den  Übergang  gebildet  zu  haben 
vom  innem  zimi  äufsem  Winkel.  Sie  liegt  schon  bei  Cato  (agr.  14, 1) 
vor  und  findet  sich  häufig  von  Cic.  nat.  deor.  2,  125,  Tusc.  1,  40  an. 

Als  äufsere  Ecke  tritt  angulus  zuerst  bei  Varro  ling.  5,  26  auf, 
wo  jedoch  vielleicht  die  Bedeutung  sinus  noch  durchschinmiert:  hinc 
ad  villas  rotunda  stagna,  quod  rotundum  facillime  continet,  anguli 
maxume  laborant. 

Wir  sehen  also:  die  etymologische  Deutimg  des  Wortes  hat  aus- 
zugehen von  der  Bedeutimg  ^v%6q.  Daraus  ergiebt  sich,  dafs  die 
varronische  Erklänmg  das  Wort  richtig  aufgefafst  hat. 

München.  Alfred  Klotz. 


Lexikalische  Bemerkungen  zu  Apuleius. 

Ich  hebe  aus  den  Schriften  des  Apuleius  einige  Stellen  her- 
aus ^  an  denen  ich  AnlaTs  zu  Bemerkungen  finde  wie  sie  den 
Zwecken  des  Archivs  entsprechen  mögen. 

Metam.  U  15.  Lucius  hat  an  der  Mahlzeit  seiner  Wirte  teil- 
genommen und  sich  für  die  Nacht  beurlaubt:  —  cubicidiim  meum 
contendo  atque  illic  deprehendo  epidarum  dispositiones  satis  concinnas. 

grabatttdum  meum  astitit  niensula  cenae   totüis*)  honestas 

reliquias  tolerans  et  calices  boni  (bini  Lipsius)  iam  infuso  latice 
seniipleni,  solam  ieniperiem  sustinenks,  et  lagoena  iuxta  orificio 
caesim  deascento  patescens,  facilis  haiiritu:  prorsus  gladiatoriae 
veneria  antecenia.  Die  Becher  sind  halbgefüllt,  und  zwar  mit 
Wein  (denn  Fotis  giefst  nachher  Wasser  zu),  sie  ^vertragen  nur 
Mischung',  sind  nur  bestimmt,  den  gemischten  Trank  (und  zwar 
töov  töG))  zu  fassen**).  Daneben  steht  die  Weinflasche,  facilis 
hauritu,  d.  h.  der  Wein  kann  ungemischt  gleich  aus  der  Flasche 
getrunken  werden***);  die  Ingoena  ist,  Ton  Fotis  zu  diesem  Zwecke 
hergerichtet,  orificio  caesim  deascento  patescens.  Alte  Konjekturen 
sind  cessim  und  sensimy  die  gewöhnliche  Korrektur  des  Parti- 
cipiums  dehiscente.  Es  ist  natürlich  Ton  caesim  auszugehen.  Die 
lagoena  ist  enghalsigf);  um  bequem  aus  ihr  trinken  zu  können, 


*)  totius  ist  kaum  verständlich;  die  reliquiae  der  cena  concimiaiicia 
Milos  (c.  11)  sind  es  nicht,  sondern  die  axniola,  die  Byrrhaena  mit  dem 
Wein  zusammen  geschickt  hat  (c.  11  in.).     Ich  vermute  lotioris. 

^  Oudendorp  versteht  expectantes,  wie  er  auch  XI  21  caehsU  sustinere 
praeceptum  erklärt,  aber  mit  Unrecht.  —  Bei  Lukian  steht  auf  dem  Tische 
ein  Becher,  Wein,  kaltes  und  warmes  Wasser. 

••*)  In    dem  Citat   aus  Lynkeus    bei  Athen.  XI  499*'    scheint   auch   der 
Xdyvvog  als  norrigiov  zu  dienen. 

t)  A.  P.  V  134  ^ucKQOtgdxriXe  j  ifipavxriv,  atuvm  (p^eyyoiiivri  at6iutti^ 
VI  248  atuvavxriVf  vgl.  Fuchs  und  Storch  Phaedr.  27.  Columella  freilich 
(Xn  45,  2)  wählt  eine  lagoena  nova  quae  sit  patentimmi  ort»  zum  Einlegen 
von  Äpfeln. 


96  Friedrich  Leo: 

hat  man  mit  der  ascia  den  oberen  Teil  des  Halses  abgeschlagen 
und  die  Offiiimg  zum  Ansetzen  zurechtgestutzt:  orificio  caesim 
deasceato.  Ein  Terrakottagefäfs  verträgt  diese  Operation.  Pru- 
dent.  peristeph.  10,  381  deasciato  supjilicare  stipiti.  Aus  der- 
selben Bedeutung  (zurechthauen,  nicht  abhauen,  vgl.  deddlare)  ist 
schon  die  Metapher  bei  Plautus  Mil.  884  hervorgegangen:  mües 
quem  ad  modum  potis  sit  deascinri,  wie  an  anderen  Stellen  de- 
rmicinare. 

II  24;  Thelyphron  hat  sich  der  Gattin  des  Verstorbenen 
gegenüber  zur  Totenwache  verpflichtet,  sie  plcidto  consurrexit*) 
et  ad  aliud  me  cuhicidum  indudt  ihi  corpus  splendentihus  linteis 
coojyertum  introdudis  quihusdam  Septem  tesühus  manu  revelat  et 
diuiine  usti  perfleto  obtestata  fidem  praesentium  singvda  demonstrat 
anxie.  Keiner  der  Versuche,  das  korrupte  usu  perfleto  aufs  Reine 
zu  bringen  (usu  perflefa,  visu  perfleto,  diutino  nisu  prae  fletu\ 
genügt  der  Anschaulichkeit  des  Moments.  In  Thränen  und  Trauer 
safs  sie  auch  bisher  (c.  23);  der  neue  Ausbruch  muTs  zu  dem 
eben  enthüllten  Leichnam  in  Beziehung  gesetzt  werden.  Die  Kor- 
ruptel  ist  nur  durch  falsche  Worttrennung  entstanden:  diuiine 
superfleto.  Sie  wirft  sich  über  den  toten  Gatten  und  ^nach 
einem  langen  Weinen  über  ihm'  redet  sie  die  Zeugen  an.  Dieser 
unpersönliche  Ablativus  absolutus  ist  Apuleius  geläufig,  wie  im 
Anfange  si^  placito.     Columella  IV  24,  16  hat  superlacrimare. 

VIII  21  nee  tdlum  usquam  miserrimum  senem  comparere  iUum. 
Die  Handschrift  hat  miserinum,  Hildebrand  (der  tdlum — iUum 
richtig  erklart)  sagt,  er  habe  miserinum  nicht  aufgenommen,  ob- 
wohl neque  per  analogiam  nee  per  sententiam  hoc  vocahxdum  possit 
improhari.  Seitdem  ist  das  Wort  erschienen  in  der  freilich  bar- 
barisch geschriebenen  und  versificierten  Inschrift  carm.  epigr. 
lat.  1826  V.  2  mater  cdbo  (=  camim  nach  Mommsens,  Eigenname 
oder  verschrieben  für  caro  nach  Büchelers  Ansicht)  fecit  <^l^iu 
minserino  und  danach  von  Bücheier  (in  der  Anmerkung)  nach- 
gewiesen im  Verse  (540  L.)  des  Lucilius  ardum,  miserinum  (so 
F^H^Py  miserrimum  vulg.)  atque  infelix  lignum,  sahiicum  vocant 
Die  Bildung  wie  maiorinus,  caelestinm  u.  a. 

XI  18.  Die  Angehörigen  und  Sklaven  begrüfsen  den  Wieder- 
gefundenen:  repentino  laetati  gaudio  varie  quisque  munerabundi  ad 


*)  überliefert  ist  ocin  surrexity  korrigiert  ociter  und   ocius  in  Hand- 
schriften,    ocin  ist  durch  Korrektur  entstanden  (o  über  t  geschrieben). 


Lexikalische  Bemerkungen  zu  Apuleius.  97 

meum  fesHnant  üico  diumum  reducouque  ab  inferis  conspectum*) 
quorum  desperata  ipse  etiam  facie  recrecUiis  ohlationes  honestas  aequi 
honique  fado,  quippe  c  m  mihi  familiäres,  qtioad  cidtum  sumptum- 
que  Uirffiter  sticeederety  deferre  prospicue  curassent  Stewechs  Emen- 
dation  des  letzten  Zwischensatzes  qiiod  ad  —  suppeteret  giebt  den 
Sinn,  aber  die  Überlieferung  führt  mit  Sicherheit  auf  ein  anderes 
Wort:  quod  cviUim  sumptivmqm  largiter  suggereret,  um  so  sicherer, 
als  in  F  von  erster  Hand  stieeerderet  stand:  r  war  zur  Korrektur 
Ton  d  übergeschrieben  worden.  Die  Verschreibung  erklärt  sich 
aus  Kapitalschrift.  Der  Wortgebrauch  ist  nicht  selten,  erinnert 
aber  direkt  an  Ter.  Ad.  62  cur  tu  his  rebus  sumptum  suggeris?  **) 
Flor.  3.  Hyagnis  fuü,  wt  fando  a>ccepimus,  Mars^jae  tibieinis 
pater  et  magistety  rudibus  adhm  musicae  saeailis  solus  ante  alias 
cc^kis  (cantus  cod.)  ca/nere,  nondum  qiiidem  tarn  infexa  anima  sono 
nee  tarn  piuriformi  modo  nee  tarn  multiforatili  tibia:  quippe  ad- 
h%ic  ars  ista  repertu  novo  commodum  oriebatur.  Nachdem  bereits 
Lipsius  und  Scaliger  die  Stelle  richtig  behandelt  hatten,  ist 
Oudendorp  nach  Colvius'  Vorgange  dazu  zurückgekehrt,  anima 
vom  Hauch  des  Blasenden  zu  verstehen  und  demgemäfs  das  kor- 
rupte infexa  anima  als  zwei  Wörter,  wie  sie  in  der  Handschrift 
stehen,  aufzufassen  (inffexae  animae);  Krüger  ist  ihm  darin  ge- 
folgt (inflexo  animae)  und  diesem  neuerdings  van  der  Vliet.  Der 
gleichmälsige  Bau  der  Glieder  lehrt  aber  unwidersprechlich,  dafs 
zwischen  tarn  und  sono  nur  ein  Epitheton,  wie  piuriformi  und 
mulHforatUi  stehen  kann,  und  ebenso  deutlich  lehrt  die  Über- 
lieferung, dafs  es  ein  zusammengesetztes  wie  diese  war,  d.  h.  (wie 
Lipsius  hergestellt  hat)  flexanimo.  Es  ist  ein  von  Pacuvius 
(zweimal  erhalten:  v.  177.  422)  und  CatuU  (64,  330,  wo  auch 
fiexo  animo  überliefert  ist)  gebrauchtes  Wort,  das  auch  Marcianus 
Capella  wieder  aufgenommen  hat,  es  auf  die  Musik  anwendend 
wie  Apuleius:  IX  90(5  Oiphetts  AmpJiioti  Arionque  —  flexanimum 

*)  Sie  eilen,  'ihn  im  Lichte  des  Tages  zu  sehen',  den  sie  bei  den 
Toten  glaabten.  Diese  Umbiegung  der  Bedeutung  von  diurnus^  wie  durch 
eine  neue  Herleitang  vom  Grundworte  (vgl.  sub  rfm),  ist  ganz  in  der  Weise 
des  Apuleius.  Sie  wird  durch  red'kicemqne  ab  inferis  gleichsam  erläutert, 
daher  die  kühne  Verbindung  reducem  ab  inferis  conspectum  (vgl.  Rohde, 
Rhein.  Mus.  40,  107). 

**)  Lucius  fahrt  fort:  adfatis  itaque  ex  officio  singulis  narratisque  weis 
pro  et  prisiinis  aerumnis  et  praesentibus  gaudiis  me  rursum  ad  deae  —  refero 
Cfmspectum,  Weder  propere  nach  probe  scheint  der  (statt  pro)  erforderte 
Begriff  zu  sein,  sondern  ^creybro 

Archiv  für  lat.  Lexikogr.    XU.    Heft  1.  1 


98  Friedrich  Leo: 

pariter  edidere  cmcmtum.  Nur  das  in  von  infexa  bedarf  der  Er- 
klärung (damit  nicht  wieder  einer  auf  inflexanimo  verfalle):  tarn 
inflexa  anima  ist  entstanden  aus  tanieti  flexanimo]  denn  die  Hand- 
schrift bietet  auch  tarnen  plurifarmi  und  tanien  muHiforatili,  also 
dreimal  aus  einem  nicht  zu  bestimmenden  Orunde  tarnen  statt 
tarn*) 

Die  Gleichförmigkeit  der  Kola  ist  in  den  Stücken  der  Florida 
wohl  noch  strenger  durchgeführt  als  in  Metamorphosen,  Apo- 
logie und  de  deo  Socratis  (de  Piatone  und  de  mundo  kommen 
hierfür  nicht  in  Betracht);  es  genügt,  auf  c.  6  in.,  7  (p.l53, 12 sq.  V.), 
13  ext.  zu  verweisen.  Es  kann  darum  auch  in  dem  Abschnitt 
über  Philemon  (c.  16)  nicht  richtig  hergestellt  sein:  reperias  tarnen 
apud  ipsum  multos  sales,  argumenta  lepide  inflexa  ac  nodos  lucide 
expli<^toSy  persona s  rebus  conipetenteSt  sentemtias  vitae  cangnientes, 
ioca  non  infra  soccum,  seria  fion  tisque  ad  cothumum,  denn  ac 
nodos  stört  das  Gleichmafs  der  asyndetischen  Reihe.  Überliefert 
ist:  argumetita  lepide  inflexa,  adgnatos  lucide  explicatos.  In  ad- 
gnatos  mufs  ein  Nomen  liegen,  das  mit  arffumentay  personaey  senr 
teniiae  in  gleiche  Sphäre  gehört,  also  nicht  agnitus  (Casaubonus). 
nodos,  errores  wäre  an  sich  passend**),  doch  steht  der  Begriff  den 
argumenta  zu  nahe;  passender  narratioties,  Erzählungen,  ein  so 
wichtiger  Gegenstand  der  dramatischen  und  rhetorischen  Technik; 
für  Philemon  denke  man  an  Merc.  40 — 106  Trin.  149 — 186  Most. 
484 — 504.  Ich  vermute,  dafs  Apuleius  geschrieben  hat  narratus 
lucide  eocpHicatos.  Das  Wort  hat  er  (nach  Ovid)  Metam.  IX  30 
reprehendens  narratum  tneum.  Wie  passend  der  Ausdruck  ist, 
möge  die  Stelle  zeigen,  die  er  vielleicht  im  Sinne  hatte:  Cicero 
orat.  124  narrationes  credibHes  nee  historico  sed  prope  cottidiano 
sermofie  explicatae  dilucide.  Auch  den  unmittelbar  folgenden  Satz 
hat  Apuleius  schwerlich  geschrieben  wie  er  überliefert  ist:  rarae 
apud  illum  corruptdae  et,  uti  errores,  concessi  amores,  sondern  rarae 
apud  illum  corruptdae,  tuti  errores,  concessi  amores.***) 

*)  Dreifaches  tarn  Apol.  9:  quis  umquam  fando  audivit  tarn  simHem 
suspieionem,  tarn  aptam  coniecturam,  tarn  proxumum  argumefttum.  Krügers 
<^veriy  simileni.,  von  van  der  Vliet  aufgenommen,  ist  als  Doppelwort  bedenk- 
lich, similem  scheint  durch  prtfximum,  das  häufiger  absolut  gebraucht  wird, 
gestützt  zu  sein,     suasibilem  {ni^avrjvjf 

**)  Diomed.  p.  489  (c.  9,  4  p.  58  Eaibel)   argumenta   muliiplicia  gratis 
erroribus  secuti  sunt  (Menander  Diphilus  Philemon), 

***)  Die  Emendation  der  Worte  Flor.  9  meum  vero  unumquodque  dictttm 
cariter  examinutis,  sedulo  pensiculatis ,  ad  limam  et  lineam  certam  redigiüs. 


Lexikalische  Bemerkungen  zu  Apnleius.  99 

Flor.  6  ist  das  Wort  adcognofnen  überliefert  und  es  anzn- 
erkennen  von  Rohde  (Rhein.  Mus.  40,  110)  empfohlen  worden. 
Aber  in  dem  Satze:  est  apud  ülos  gentiSy  qui  nihil  amplitis  quam 
hibulcitare  novere,  idque  adcognomen  Ulis  bubulcis  inditiim  ist  idque 
nicht  verständlich;  es  lag  nahe,  ideoque,  indegue,  inde  adeo,  ideoque 
adeo  zn  vermuten;  idque  adpwmen  (so  van  der  Vliet,  der  ad- 
cognomen aus  der  über  ad  gesetzten  Variante  co  erklärt)  löst 
diese  Schwierigkeit  nicht.  Die,  wie  mir  scheint,  richtige  Lösung 
beseitigt  auch  das  schlechtgebildete  neue  Wort:  überliefert  war 
adque  cognomen,  verschrieben  idqtiey  dies  durch  übergeschriebenes 
ad  korrigiert.  Der  Vorgang  ist  im  Florentinus  häufig  zu  beob- 
achten; in  den  Florida  z.  B.  c.  9  (155,  3  V.)  nihil  \non\  quicquam, 
(159,  8)  dum  mofdojderationem;  in  den  gleichfalls  auf  eine  Hand- 
schrift zurückgehenden  philosophischen  Schriften:  de  deo  Soor, 
p.  2,  19  G.  ex[op]timas  oras,  3,  29  id  [hoc]  saltem  (richtig  van  der 
Vliet  p.  193,  20),  6, 13  pro  situ  et  flexu  et  obstituftoj  circulorum, 
denn  hier  giebt  die  gleichförmige  Wortreihe  ohstitu  an  die 
Hand,  nicht  obstito  (abstituto  die  Hdss.);  spreto  statt  spretu,  com- 
municaio  statt  communicatu  findet  sich  p.  7,  9;  8,  25.  Aus  anderem 
Anlafs  ein  ähnlicher  Vorgang  hat  Flor.  18  (184, 5  V.)  zu  der 
Schreibung  geführt:  eius  dei  hymnum  graeco  et  latino  carmine  vobis 
hfc  canam  iam  Uli  a  me  dedicatum,  entstanden  aus  vobis  etiam 
canam  Uli  a  me  dedicatum. 

L.  Havet  hat  in  dieser  Zeitschrift  XI  579  darauf  hingewiesen, 
dafs  in  der  plautinischen  Überlieferung  die  Wendungen  ^mdto 
tanta  miserioTy  multo  ianta  plus  und  amplius  aufs  sicherste  be- 
zeugt sind,  durch  Ambrosianus  und  Palatini  Rud.  521  und  Stich. 
339,  durch  die  Palatini  Men.  800  (wo  der  Ambrosianus  fehlt), 
während  Men.  680  bis  tanta  pliiris  nur  in  B^  steht  und  Bacch. 
310  mtdto  tanto  carior  und  Fers.  153  ter  tanto  peior  überliefert 
ist.  Auch  bei  Cicero  in  Verr.  3,  225  hat  Havet  aus  dem  vati- 
kanischen Palimpsest  die  Schreibung  quifiquies  tanta  amplius,  gegen 
tanto  der  übrigen  Handschriften,  nachgewiesen  und  mit  Recht  ge- 


cwn  tomo  et  cothurno  ventm  cotnparatis  wird  gleichfalls  durch  die  Äqna- 
bilität  der  Glieder  an  die  Hand  gegeben:  wie  ad  limatn  et  lineatn  certatn 
80  cum  torno  et  cothurno  vero.  Der  tonius  ist  verus  als  die  regelrechte 
Form  vorzeichnendes  Werkzeug,  der  wahre  tragische  Stil  würde  durch  die 
Yergleichung  den  falschen  nachweisen. 


100  Friedrich  Leo: 

schlössen,  dafs  das  ursprünglichere  tanta  durch  das  geläufigere 
tanto  an  diesen  und  anderen  Stellen  verdrängt  worden  ist. 

An  die  Archaisten  hat  Havet  bereits  erinnert.  Bei  Oellius 
findet  sich  IV  9,  14  muÜo  ta/nto  laudatiora*),  XU  2,  14  muUo  tanto 
magis  ohne  eine  Spur  von  tanta.  Dagegen  bei  Apuleius  ist  durch- 
weg tanta  überliefert.  Hildebrand  hat  zu  VU  15  und  X  21  dar- 
auf aufmerksam  gemacht^  aber  mit  der  Überlieferung  so  wenig 
anzufangen  gewulst  wie  ich  Plaut.  Forsch.  12  mit  der  plauti- 
nischen.  Die  Stellen  sind  folgende:  Metam.  YU  15  {quod)  multo 
ta/nta  pluribus  beneficiis  Iwnestarer,  wo  tanta  aus  F  bei  Ejisen- 
hardt  richtig  angegeben  ist;  X  21  muUo  tanta  hnpensius  [cura] 
etiam  na/res  perfundit  meas  (es  wird  nun  deutlich,  dafs  cura  w^^en 
tanta  hinzugefügt  worden  ist);  Apol.  3  muUo  tanta  ex  animo  la- 
borat^  (tanta  bezeugt  van  der  Vliet;  (ante  F  tanta  qp  hatte 
Krüger  angegeben);  42  multo  tanta  vanitis  et  nequius  excogitaium 
(auch  hier  erst  bei  van  der  Vliet  die  richtige  Angabe)***);  Flor.  18 
(p.  182,  22  V.)  cui  scüi<^  niuUo  tanta  praestat  iUa  altera  fnerces, 
quam  Thalem  menwrant  suasisse;  de  deo  Soor.  11  (p.  14^  16  G.) 
quod  si  nubes  sublime  volitant,  quibus  amnis  et  exortus  est  terrenus 
et  retro  deftuxus  in  terras,  quid  tandem  censes  daemonum  corpora, 
quae  sunt  concreta  multo  tanta  subtilior<^e  element^y?f)  Es  ist 
stets  die  Formel  multo  tanta  mit  folgendem  Komparativ  oder 
Komparativbegriff;  dagegen  z.  B.  muJto  disertius  (Apol.  p.  111,20  V.), 
tanto  cupidior  (Metam.  119,  4),  nimio  plus  (Apol.  121,  23)  u.  s.  w. 
Die  Übereinstimmung  der  Überlieferung  in  sich  und  mit  der 
plautinischen  läfst  dem  Zweifel  an  der  Richtigkeit  der  Form 
keinen  Kaum. 

Nur  um  die  Erklärung  der  Form  imd  des  Ausdrucks  kann 


*)  Gronov  zur  Stelle  und  Oudendorp  zu  den  Metamorphosen  werden 
überall  citiert,  bringen  aber  nichts  Wesentliches;  auch  Hand  Turs.  m  666 
nicht. 

**)  Hier  fehlt  magis^  wie  oft,  vgl.  Oudendorp  und  Hildebrand  zu  Flor. 
16,  de  mundo  9.  So  Apol.  48  (62,  27  V.)  id  vero  mtdto  arduum  et  dif- 
ficile  est. 

***)  Anders  ist  Apol.  89  dimidio  tanta  mettiiris,  falsa  audes  sesquialtera^ 
wo  Oudendorp  tanto  schreiben  wollte  nach  Plaut.  Amph.  943  Merc.  297; 
tanta  steht  dort  wie  mit  Kardinalzahlen  Bacch.  1034  sescenta  tanta  reddam, 
Fronto  p.  91 N.  decem  tanta  te  amo.    Vgl.  Wölfflin  zu  Bell.  Afr.  19  p.  34,  6. 

t)  Oudendorp  hat  /i/o,  Groldbacher  substantia  ergänzt,  Mercier  u.  a. 
haben  geschrieben  quae  sunt  cancretu  m.  t.  subtiliore.  Gedanke  und  Aus- 
drucksform sind  klar. 


Lexikalische  Bemerkungen  zu  Apuleius.  101 

es  sich  handeln.  Havet  betrachtet  tanta  als  ursprünglich  elliptisch, 
gewifs  mit  Recht,  tanta  kann  nicht  durch  multo  gesteigert  wer- 
den, das  jenem  parallele,  nicht  vervielfältigende  Bedeutung  hat, 
*um  vieles',  nicht  Vielmals*,  multo  tanto  oder  multo  tanta  mufs 
(wie  nimium  quantum,  mirum  quantum  u.  dgl.)  als  asyndeton  ge- 
fafst  werden.  Der  Redende  sagt  zuerst  'um  vieles',  dann  steigert 
er  dies  durch  das  lebhaftere,  mit  dem  Gestus  verbundene  'um  so 
vieles*.  In  der  bei  der  bestimmten  Zahl  naturgemäfsen  Um- 
drehung findet  sich  dies  asyndeton  Plaut.  Epid.  52,  wo  auf  die 
Frage  quot  minis?  geantwortet  wird:  tot,  quadraginta  minis,  d.  h. 
er  streckt  zuerst  zählend  die  Hände  vor,  dann  spricht  er  die  Zahl 
aus.  tanta  (wie  dextra,  media,  eadem)  stand  neben  ta^ito  wie  intra^ 
durch  die  Bedeutung  gesondert,  neben  intro,  wie  proUnus  pro- 
tinam,  rursiis  rursum  und  die  ähnlichen  neben  einander  stehen;  es 
scheint  aus  einem  Bedür&is  nach  Yariierung  in  der  Formel  multo 
tanta  bevorzugt  worden  zu  sein.  Dagegen  in  bis  tanta  pluris, 
quifiguies  tanta  amplius  ist  tatUa  durch  das  Zahladverb  gesteigert. 
Es  wird  schwer  zu  sagen  sein,  welche  von  beiden  Verwendungen 
die  ursprünglichere  ist.  Aufserhalb  dieser  Formeln  scheint  sich 
tanta  in  der  älteren  Überlieferung  nicht  zu  finden,  die  Wendungen 
anfo  melioTy  miserior,  nequioTy  die  ohne  Komparativ  wie  bis  tanto 
valeo  (s.  o.  A.)  sind  immer  mit  -o  überliefert.*) 

Ich  habe  nicht  weiter  gesucht;  aber  es  ist  wahrscheinlich, 
dafs  die  Formeln  mtdto  tanta  und  his  tanta  auch  aus  anderen 
Texten  auftauchen  werden. 

Göttingen.  Friedrich  Leo. 


*)  Eine  vielleicht  trügerische  Spur  von  multa  beim  Komparativ  findet 
eich  in  einem  Verse  des  Ennius  (tr.  41  R.):  in  den  Worten  mater  optumarum 
multo  mülier  melior  mulierum  bei  Cicero  de  div.  I  66  hat  der  Leidensis  A 
multa. 


Die  archaische  Inschrift  vom  Forum  Eomanum. 

Am  Ende  des  Tergangenen  Jahres  trat  Alexander  Enmann 
mit  einer  neuen  Ergänzung  der  Forumsinschrift  hervor,  während 
L.  Geci,  der  Interpret  der  offiziellen  Ausgabe,  in  Abhandlungen,  die 
Schlag  auf  Schlag  einander  folgten,  seine  Aufstellungen  teils 
g^en  Widersacher  zu  verteidigen,  teils  durch  weitergehende 
Untersuchungen  in  ein  helleres  Licht  zu  stellen  suchte;  daneben 
wurde  im  Laufe  der  Zeit  eine  solche  Fülle  von  Beschreibungen, 
Vermutungen  und  Behauptungen  von  allen  Seiten  geboten,  dafs 
mir  der  Oedanke  nahe  gelegt  ward,  an  Stelle  einer  Rezension 
einzelner  das  Interesse  dieser  Zeitschrift  berührender  Arbeiten 
einen  kurzen  Überblick  über  den  Stand  der  an  den  merwürdigen 
Fund  sich  knüpfenden  Forschung  überhaupt  zu  geben,  womit 
vielleicht  manchem  Leser,  dem  die  Zeit  zu  persönlicher  Prüfung 
des  Wirrwarrs  der  geäufserten  Meinungen  fehlt,  ein  Gefallen  ge- 
than  wird;  ist  doch  dieser  Fund  wie  wenige  geeignet,  das  Inter- 
esse der  weitesten  Kreise  auf  sich  zu  lenken.  Eine  Einzelbespre- 
chung sämtlicher  Erscheinungen  mit  kürzeren  kritischen  Bemer- 
kungen verdanken  wir  Tropea*);  doch  seine  Zeitschrift  ist  wohl 
nicht  jedem  Leser  in  die  Hände  gekommen,  und  vielleicht  findet 
auch  neben  dieser  ausführlichen  Zusammenstellimg  eine  kurze 
Übersicht  noch  Platz. 

Miris  modis  di  ludos  faciunt  hominibus.  Die  Ausgrabungen 
bringen  imgefähr  auf  dem  Boden  des  alten  Comitiums  Reste 
mehrerer  Baulichkeiten  und  dazu  ein  Stück  eines  in  höchst  alter- 
tümlicher Weise  beschriebenen  cippus  ans  Licht,  all  dies  unter- 
halb eines  mit  schwarzen  Steinen  gepflasterten  Vierecks.**) 
Zwischen   dem  Pflaster   und   den  Resten  der  Denkmäler  erregte 


*)  La  stcle  arcaica  nel  Foro  Romano.  Cronaca  della  scoperta  e  della 
discuseione.     Rivista  di  storia  antica  IV  469  ff.  V  101  ff. 

**)  Siehe  hierzu  jetzt  die  Zeichnungen  bei  Hülsen,  Arch.  Anz.  1900 
p.  4,  und  besonders  Comparetti,  Iscrizione  arcaica  del  Foro  Romano,  Firenze- 
Roma  1900,  p.  2. 


Die  archaische  Inschrift  vom  Forum  Romanum.  103 

besonderes  Aufsehen  eine  dicke  Schicht  von  Flufskies^  ^sedimenti 
di  Ponte  Molle',  und  darüber  gelagerte  Asche,  Knochen  von 
Opfertieren,  Yasenscherben,  Votivfiguren.  Was  hier  aus  der  Erde 
ans  Licht  trat,  traf  sich  in  merkwürdiger  Weise  mit  längst  be- 
kannten Stellen  der  schriftlichen  Überlieferung.  Das  schwarze 
Pflaster,  auf  das  man  zuerst  stiefs,  wurde  sofort  mit  der  ver- 
stümmelten Festusglosse  p.  177  M.  niger  lapis  in  Comitio  locum 
fonestum  significat,  ut  all,  Romuli  morti  destinatum,  sed  . . .  zu- 
sammengehalten und  von  der  sensationssüchtigen  Halbgelehrsam- 
keit die  Auffindung  des  echten  Romulusgrabes  der  Welt  verkündet, 
worauf  denn  auch,  wie  Comparetti  hübsch  erzählt,  englische  Rei- 
sende niclit  verfehlten,  Blumen  an  dieser  ehrwürdigsten  Stätte 
der  ewigen  Roma  niederzulegen.  Aber  auch  diejenigen,  denen 
das  Märchen  vom  Grabe  des  Stadtgründers  nicht  in  den  Kopf 
wollte,  hielten,  trotz  des  Widerspruchs  von  Hülsen*),  an  der 
Gleichsetzung  mit  dem  von  Verrius  Flaccus  genannten  lapis 
fest.  Die  Fortsetzimg  der  Grabungen  ergab  denn  auch  keine  Spur 
eines  Grabes,  sondern  die  erwähnten  Denkmälerreste,  unter  denen 
zwei  2,66  m  lange,  1,32  m  breite,  in  einem  Abstand  von  1,003  m 
von  einander  errichtete  Basen  besonders  merkwürdig  waren.  Auch 
sie  immlieh  riefen  die  Erinnerung  an  gewisse  Stellen  der  Über- 
lieferung wach,  wo  von  einem  oder  zwei  Löwen,  die  das  Grab 
des  Romulus  oder  des  Faustulus  bezeichneten,  berichtet  wurde.**) 
Ja  noch  weiter:  auch  von  einer  Säule  mit  Inschrift,  die  an  dem- 
selben Platze  gestanden  haben  soll,  wuTsten  die  Alten  zu  erzählen; 
es  war  dies  diejenige,  die  Romulus  und  Titus  Tatius  dem  wohl- 
verdienten Hostus  Hostilius  an  eben  dieser  Stelle,  wo  er  begraben 
worden  sein  soll,  setzen  liefsen.***)  TEs  scheint  nun  selir  nahe 
zu  liegen,  die  angeführten  Stellen  wirklich  auf  unsere  Trümmer- 
stätte zu  beziehen,  in  den  beiden  Basen  diejenigen  der  beiden 
Löwen,  in  der  Inschrift  des  cippus  das  Ehrendenkmal,  das  die 
Alten  mit  Hostus  Hostilius  in  Zusammenhang  brachten,  wieder- 


•)  Arch.  Anz.  1889. 

•*;  Schol.  Cruq.  zu  Hör.  epod.  16,  12  nam  et  Varro  pro  roatris  8eptd- 
crum  Romuli  dixit,  ubi  etiam  in  huius  rei  memoriam  duos  leones  erectos 
fnisse  constat.  Dion.  Hai.  1,  87  nvss  dk  xal  tbv  Xiovrcc  rbv  Xi&ivov,  hg  insito 
rfjg  &yoQ&g  tfjs  t&v  *P(ii}(ueUav  iv  reo  xQcctlßrai  ;i;6>^ta)  nocgä  roTg  ifißoXois,  iicl 

***)  Dion.  Hai.  3, 1   xal  d'änTStccL  Ttgbg  t&v  ßaöiXitov  iv  tcS    xgcctlatto 
xf^g  &yoQ&g  xontp  <jn}X?jj  iniyqatp^  xr\v  &QSxr\v  lucQtvQOvötj  ä^iiad'Blg, 


104  W.  Otto: 

zufinden.  Die  Schichte  der  Asche  mit  Knochen  etc.  könnte  dann^ 
da  die  baulichen  Überreste  den  Eindruck  planmäfsiger  Zerstörung 
machen^  von  einem  mit  der  Zerstörung  irgendwie  verbundenen 
Sühneopfer  herstammen.  Letztere  Ansicht  ist  auch  wirklich  von 
Boni  in  der  offiziellen  Publikation*),  deren  sprachlichen  Teil  ich 
seinerzeit  in  diesem  Archiv  besprochen  habe,  vertreten  worden. 
Für  die  Baureste  und  die  Inschrift  liefse  sich,  so  könnte  es  sehei- 
nen, ein  terminus  ante  quem  leicht  aus  den  ältesten  Stücken  des 
^Strato  del  sacrificio'  abnehmen.  Die  Entstehung  dieser  Schicht 
setzt  V.  Duhn**)  in  das  6.  oder  den  Anfang  des  7.  Jahrhunderts. 
Allein  in  Wahrheit  müssen  wir  auf  dieses  Datierungsmittel  ver- 
zichten. Hülsen  macht  auf  die  Schwierigkeit,  der  die  zeitliche 
Fixierung  der  Bestandteile  des  'strato  del  sacrificio'  unterliegt, 
aufmerksam  und  erinnert  daran,  dafs  gerade  das  älteste  Stück, 
eine  chalkidische  Scherbe,  nicht,  wie  man  doch  erwarten  müTste, 
zuunterst,  sondern  zuoberst  gefunden  wurde.  Er  selbst  hält 
wegen  des  Fehlens  späterer  schwarz-  und  rotfiguriger  Vasenscher- 
ben etc.  die  Möglichkeit  einer  Herabsetzung  dieser  Schicht  unter 
das  4.  Jahrhundert  für  ausgeschlossen.  Aus  ihr  können  wir  also 
über  das  Alter  der  Inschrift  etc.  nichts  lernen;  denn  dafs  der 
cippus  über  die  angegebene  Zeitgrenze  hinaufreicht,  bedarf  keines 
Beweises.  Allein  zur  Wiederlegung  einer  durch  die  Schriftsteller- 
überliefenmg  nahegelegten  Hypothese  leistet  die  genannte  Schicht, 
wie  Hülsen  sehr  richtig  bemerkt,  ihre  Dienste.  Es  hat  nämlich 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  die  varronische  Zeit  noch  jene  auf 
Hostus  Hostilius  bezogene  Inschrift  gesehen  und  aus  einem  für 
sie  zweideutigen  Worte  eine  Beziehung  teils  auf  jenen,  teils  auf 
Faustulus  herausgelesen.  Das  scheint  die  scharfsinnige  Ergänzung 
des  Festusbruchstücks  p.  177  M.,  die  wir  Detlefsen***)  verdanken, 
zu  beweisen.  Nach  dem  genannten  Gelehrten  schrieb  Festus: 
Niger  lapis  in  comitio  locum  funestum  significat,  ut  ali,  Bomuli 
morti  destinatum,  sed  non  usu  obv<^eni8se,  ut  ibi  sepeliretur,  sed 
Fau^stulum  nutri^cium  eins,  ut  ali  dicimt  Ho8)>tilium  avum  Tu<lli 
Hostilii,  Romanorum  regis,>  cuius  familia  e  '(Medullia  Romam 
venit  post  destruc>tionem    eins   und   die   doppelte  Deutung   auf 

*)  St«le   con    iBcrizione   latina    arcaica   scoperta    nel    Foro    Romano. 
EHtratto  dalle  Notizie  degli  Scavi  del  mese  di  maggio  1899. 
♦*}  Neue  Heidelberger  Jahrbücher  1899  S.  107  ff. 

***)  Ann.  deir  inst,   archeol.  18C0  p.  137  und  derselbe:  De  arte  Roma 
norum  antiquissima  III  p.  2. 


Die  archaische  Inschrift  vom  Forum  Romanum.  105 

Hostus  Hostiliiis  und  auf  Faustulus  wäre  von  dem  auf  der  In- 
achrifb  gelesenen  Namen  Hostlus  für  Fostlus  ausgegangen.  Aus 
dem,  was  der  Horazscholiast  über  das  Ilomulusgrab  und  die 
Löwen  aus  Varro  mitteilt,  kann  man  sehliefsen,  dafs  alle  unsere 
Beridbte  von  Varros  auf  eigenem  Augenschein  beruhenden  Auf- 
zeichnungen ausgegangen  sind.  Dann  müfste,  wenn  wirklich  die 
neuen  Funde  mit  dem,  was  Varro  gesehen  hat,  identisch  sind, 
die  Zerstörung  erst  am  Ende  der  Republik  erfolgt  sein.  Allein 
dieser  Annahme  steht,  wie  Hülsen  hervorhebt,  nicht  nur  die 
Roheit  der  Zertrümmenmg,  sondern  auch  das  Alter  der  über  den 
Resten  gelagerten  Schicht  entgegen.  Wollen  wir  trotzdem  wenig- 
stens die  Basen  für  die  der  varronischen  Löwen  ansehen,  so 
müssen  wir  mit  Comparetti  eine  aus  irgend  welchem  Grunde  in 
alter  Zeit  erfolgte  Zerstörung  und  einen  Xeubau  derselben  Mo- 
numente auf  dem  erhöhten  Platze  annehmen.  Das  schwarze 
Pflaster  aber  mufs  ganz  aus  dem  Spiele  bleiben;  denn  von  ihm 
hat  jetzt  Hülsen  schlagend  nachgewiesen,  dafs  es  aus  der  späten 
Eaiserzeit  stammt.  Für  die  Zerstörung  der  ganzen  Anlage  scheint 
sich  eine  treffliche  Ursache  in  der  Zerstörung  Roms  durch  die 
Ghdlier  anzubieten.  Diese  von  A.  Enmann*)  vertretene  Ansicht 
bekämpft  E.  Pais  in  seiner  lehrreichen  Abhandlung**)  aus  dem 
Grunde,  weil  die  Kiesablagerung  nach  seinem  bei  eigener  Besich- 
tigung gewonnenen  Eindruck  den  Gedanken  einer  alten  An- 
schwemmung beinahe  unumgänglich  mache.  Er  erinnert  an  Erd- 
katastrophen, wie  diejenige  war,  deren  Andenken  die  Sagen  von 
der  Entstehung  des  lacus  Curtius  bewahren,  und  hält  es  für  mög- 
lich, den  Zustand  unserer  Überreste  auf  ein  derartiges  Erdbeben 
und  eine  Anschwemmung  zurückzuführen.  Wir  befinden  uns  hier 
an  dem  schwierigsten  Punkte  der  ganzen  Frage,  und  Pais  selbst, 
der  seine  Ansicht  mit  äufserster  Vorsicht  ausspricht,  erkennt  das 
an.  Klareres  Licht  ist  höchstens  von  den  weiteren  Grabungen 
und  von  genaueren  Fundberichten,  als  die  bisherigen  es  sind,  zu 
erwarten. 

Seitdem  die  offizielle  Publikation  die  Bekanntschaft  mit  den 
Trümmern  in  weitere  Kreise  gebracht  hat,  haben  die  fortgesetzten 
Nachforschungen  ergeben,  dafs  sowohl  der  beschriebene  cippus  als 

*")  Die  neuentdeckte  archaische  Inschrift  des  römischen  Fonuns.  Se- 
parat-Abdruck  aus  dem  Bulletin  de  TAcad^mie  Imperiale  des  Sciences  de 
St.  Petersbourg.  V  Serie.  Band  XL  Nr.  5.  (Decembre  1890). 

♦♦;  Nuova  Antologia  s.  IV  vol.  «4  p.  120  ff.  85  p.  274  tf. 


106  W.  Otto: 

auch  der  daneben  gefundene  Kegelstumpf  zu  den  Stufen  eines  noch 
nicht  ganz  ausgegrabenen  Gebäudes  gehören^  also  mit  diesem  zu- 
sammen erklärt  werden  müssen.  Dieses  Gebäude  erUärt  nun  Gom- 
paretti  in  seiner  neuen  Monographie  für  die  republikanische  Redneiv 
bühne,  die  ja  bekanntlich  ein  templum  war.  Boni  hatte  dieselbe 
vermutungsweise  in  der  südlich  von  den  Basen  entdeckten  Tuff- 
konstruktion gesucht^  und  Pais  giebt  die  Möglichkeit  dieser 
Vermutung  zu.  Comparettis  Erklärung  hat  natürlich  zur  Voraus- 
setzung, dafs  es  schon  vor  dem  Jahre  338  eine  Rednerbühne  gab 
und  diese  nur  in  dem  genannten  Jahre  ihren  charakteristischen 
Schmuck  erhielt.  Sie  mufs  ferner  in  alter  Zeit  aus  irgend  welchem 
Grunde  auf  dem  erhöhten  Platze  neu  aufgebaut  worden  sein.  Ob 
sich  diese  Ansicht  mit  der  Topographie  des  Comitiums  und  Forums 
völlig  vereinigen  lälst,  bin  ich  aufser  Stande  zu  beurteilen. 

Von  nicht  geringem  Werte  für  die  Datierung  der  ganzen 
Anlage  ist  das  Mafs,  nach  dem  die  Basen  gebaut  sind.  Huelsen 
hat  sehr  glücklieh  darauf  aufmerksam  gemacht^  dafs  es  der  attische 
Fufs  von  0  295  m  ist,  und  daraus  die  Möglichkeit  eines  Schlusses 
auf  einen  temiinus  post  quem  abgeleitet,  für  den  Fall  nämlich, 
dafs  Mommsens  Vermutung,  die  Reception  dieses  Fufses  könnte 
in  der  Zeit  der  Decemvim  stattgefunden  haben,  das  Richtige  träfe. 
Pais  ist  sogar  infolge  allgemeiner  historischer  Erwägungen  ge- 
neigt, die  Aufnahme  des  attischen  Fufses  in  beträchtlich  jüngere 
Zeit,  an  das  Ende  des  fünften  oder  den  Anfang  des  vierten  Jahr- 
hunderts, zu  setzen.  Welches  Mafs  von  Richtigkeit  diesen  Be- 
rechnungen zukommt,  ist  eine  Frage,  deren  klare  Beantwortung 
wir  erst  von  der  Zukunft  erwarten  können.*) 

Diese  kurzen  Bemerkungen  schienen  einer  Besprechung  der 
Inschrift,  auf  die  es  an  dieser  Stelle  vor  allem  anderen  abgesehen 
ist,  notwendigerweise  vorausgehen  zu  müssen.  Eine  vorurteils- 
freie Erwägung  aller  der  Möglichkeiten,  die  sich  einem  Erklärungs- 
versuch imserer  Funde  anbieten,  findet  man  in  den  oben  genannten 
schönen  Abhandlungen  von  Pais,  die  denn  auch,  wie  es  gegen- 
wärtig kaum  anders  möglich  scheint,  selbst  einem  bescheiden 
formulierten  Urteile  die  Skepsis  vorziehen.  **j 

*)  Siehe  übrigens  auch  hierüber  0.  Keller  in  der  Berl.  phil.  Wochen- 
schrift 1900  Nr.  24  Sp.  766  f 

**)  Der  gelehrten  Abhandlung  von  v.  Duhn  in  der  eben  citierten  Zeit- 
schrift, die  wahrscheinlich  zu  machen  sucht,  dafs  wir  uns  auf  der  von  ihm 
auf  das  Yolcanal    gesetzten    ältesten   Leichenverbrennungsstätte    befinden. 


Die  archaische  Inschrift  vom  Forum  Romanum.  107 

Die  Inschrift  selbst  befindet  sich  in  einem  elenden  Zustand. 
Der  Stein  ist  oben  abgebrochen^  und  es  scheint^  dafs  uns  dadurch 
etwa  %  des  Ganzen  verloren  gegangen  sind.  Nehmen  wir  dazu^ 
dafs  uns  über  die  Bedeutung  des  Ortes  ^  zu  dem  der  Stein  ge- 
hörte^  so  gut  wie  nichts  Sicheres  bekannt  geworden  ist^  so  stellen 
sieb  unsere  Aussichten  auf  Entzifferung  gegenüber  der  Dvenos- 
inschrift  und  dem  Arvallied,  die  man  gerne  zum  Vergleich  heran- 
zieht,  doppelt  schlecht;  ist  doch  die  Dvenosinschrift  vollständig 
und  recht  gut  erhalten  auf  einem  Geräte  von  beschränkter  Ge- 
brauchsmöglichkeit^  imd  besitzen  wir  doch  das  Arvallied,  dessen 
Bestimmung  schon  an  und  für  sich  eine  Reihe  von  Interpreta- 
tionen ausschliefst^  in  dreimaliger  Wiederholung,  wenn  auch  aus 
sehr  später  Zeit.  Und  doch,  wer  wollte  behaupten,  dafs  für  das 
eine  und  das  andere  Denkmal  eine  durchaus  befriedigende  Er- 
klärung gefunden  wäre?*) 

unsere  Inschrift  macht  den  Eindruck  sehr  hohen  Altertums 
und  mufs  mit  den  ältesten  der  bisher  bekannten,  mit  der  fibula 
von  Praeneste  und  der  erwähnten  Dvenosinschrift,  zusammen  be- 
trachtet werden.  Zunächst  fallt  die  bustrophedische  Anlage  der 
Schrift  auf,  die  aber  auf  italischem  Boden  nichts  Neues,  ja  nicht 
einmal  ein  Zeugnis  uralter  Entstehung  ist.  Die  Buchstabenformen 
unterscheiden  sich  nicht  sehr  wesentlich  von  denen  der  genannten 
Denkmäler  und  der  übrigen  ältesten  italischen  Inschriften.  Ül)er 
dieses  Aufsere  habe  ich  in  meiner  Rezension  der  Interpretation 
Cecis  in  diesem  Archiv  das  Nötigste  gesagt;  jetzt  hat  0.  Keller 
auch  die  Buchstabenform  in  sorgfältige  Erwägung  gezogen.**) 
Die  praenestinische  Fibel  entstand  um  6(X).     Sie  l)ezeichnet   den 

stehen  die  wichtigsten,   von  Pais  und  Huelsen  an  den   angeführten  Stellen 
hervorgehobenen  Gründe  entgegen. 

*)  Neuestens  sucht  0.  Keller,  Berl.  phil.  Wochenschrift  1900  Nr.  22 
Sp.  698  ff.,  durch  „einschneidende  Konjekturen*'  das  Dunkel,  das  über  den 
beiden  Inschriften  schwebt,  zu  lichten.  Ein  so  verzweifelter  Versuch  kann 
nur  durch  sich  selbst  gerechtfertigt  werden,  wenn  nilmlich  sein  Resultat 
ein  einleuchtendes  ist;  sonst  bedeutet  seine  Forderung  nicht  \nel  mehr  als 
das  Eingeständnis,  mit  den  bisherigen  Mitteln  zu  einer  Erklärung  nicht  im 
Stande  zu  sein.  Was  das  Arvallied  betrifft,  so  müssen  wir  uns  doch  woh] 
gegenwärtig  halten,  dafs  es  vorzüglich  die  seinerzeit  nicht  mehr  verstan- 
denen Worte  sind,  die  einer  Verderbnis  leicht  anheimfallen  konnten,  dafs 
also  Änderungen,  die  zu  jedermann  verstilndlichen  Sätzen  führen,  wenig 
Wahrscheinlichkeit  besitzen. 

♦*;  Berl.  phil.  Wochenschrift  1900  Nr.  24  Sp.  763  f. 


108  W.  Otto: 

f-Laut,  der  ja  bekanntlich  den  Griechen  fremd  war  und  deswegen 
ohne  ümwertiing  durch  kein  Zeichen  des  von  ihnen  entlehnten 
Alphabets  ausgedrückt  werden  konnte,  durch  eine  auch  den  Griechen, 
wie  es  scheint,  nicht  ganz  fremde  Verbindung  yon  Digamma  und 
h,  die  wir  bei  den  Etruskem  bis  in  ziemlich  späte  Zeit  und  bei 
-den  Venetem  ausschliefslich  im  Gebrauche  finden.*)  Damit  lafst 
sich,  wie  Keller**)  mit  Recht  ausführt,  eine  Wiedergabe  von  u 
und  V  durch  denselben  Buchstaben  nicht  vereinigen.  Diese  Wieder- 
gabe aber  finden  wir  auf  unserer  Inschrift;  dieselbe  muls  also, 
sollte  auch  Comparetti  mit  Unrecht  in  der  ersten  Zeile  der  zweiten 
Seite  ein  f  lesen,  was  doch  kaum  zu  umgehen  scheint,  betracht- 
lich jünger  als  die  fibula  sein.  Andererseits  zeigt  die  Dvenos- 
inschrift,  die  ich  nicht  über  350  hinaufrücken  möchte,  zwar  noch 
c  für  g,  aber  denselben  Buchstaben  auch  schon  im  Werte  des  k. 
Allerdings  ist  damit  das  Alphabet  in  eine  spätere  Phase  der  Ent- 
Wickelung  eingetreten,  aber  es  darf  doch  nicht  übersehen  werden, 
dafs  eine  öfi*entliche  Steininschrift  —  und  dafür  dürfen  wir  doch 
wohl  unseren  cippus  halten  —  etwas  anderes  ist  als  drei  be- 
schriebene Töpfchen,  sie  mögen  nun  diese  oder  jene  Bestimmung 
gehabt  haben;  die  Inschrift  des  Steines  kann  in  derselben  Zeit 
die  ältere  Orthographie  noch  beibehalten  haben,  in  welcher  sich 
derjenige,  welcher  die  Töpfchen  beschrieb,  von  derselben  schon 
frei  zu  machen  suchte;  und  es  ist  ihm  nicht  einmal  gelungen, 
sich  ganz  von  ihr  frei  zu  machen,  wie  eine  von  ihm  selbst  ge- 
machte Verbesserung  deutlich  zeigt.  Man  könnte  ja  auch  zu 
Gunsten  eines  höheren  Alters  der  Dvenosinschrift  die  eckige  Form 
des  D  anführen,  könnten  nicht  derartige  Verschiedenheiten  ebenso 
gut  auf  Rechnung  des  Materials  gesetzt  werden.***)  Darum 
scheint  es  mir,  dafs  wir  0.  Keller  unbedingt  zustimmen  müssen, 
wenn  er  unsere  Inschrift  für  jünger  als  die  praenestinische  Fibel 
erklärt,  dagegen,  was  ihr  zeitliches  Verhältnis  zur  Dvenosinschrift 
betrifit,  soweit  es  aus  einer  Vergleichung  der  Buchstabenformen 
deutlich  wird,  ihm  das  Recht  nicht  zugestehen  können,  sie  um 
zwei  Dritteile  eines  Jahrhunderts  über  diese  hinaufzurücken,  wo- 
mit übrigens  die  Möglichkeit  eines  solchen  Alters  keineswegs 
bestritten  werden  soll.  —  Die  Richtung  der  Schrift  ist  die  bustro- 
phedische;  sie  biegt  am  Ende  einer  Zeile  nicht  nach  der  folgenden 

*)  Pauli,  Veneter  p.  96 ff. 

**)  Berl.  phil.  Wochenschr.  1900  Nr.  23  Sp.  733  f. 
**♦)  Vgl.  Pauli,  Altital.  Forsch.  I  58. 


Die  archaische  Inschrift  vom  Forum  Romanum.  109 

nm^  sondern  setzt  von  neuem  an,  um  die  Buchstaben  in  derselben 
Stellung  nach  der  entgegengesetzten  Richtung  laufen  zu  lassen. 
Doch  sind  dem  Schreiber  zweimal  beim  Übergang  auf  eine  neue 
Seite  Versehen  passiert:  er  begann  die  dritte  Seite  zwar,  wie  es 
neb  gehörte,  von  links  nach  rechts  zu  beschreiben,  stellte  aber 
in  den  beiden  ersten  Zeilen  die  Buchstaben  auf  den  Kopf;  nach- 
dem er  in  der  dritten  und  vierten  Zeile  diesen  Fehler  korrigiert 
hatte^  begann  er  auf  der  letzten  Seite  am  rechten  Ende  statt  am 
linken.  Das  letztere  Versehen  hat  nichts  Wunderbares  (siehe  die 
yierte  Zeile  der  Inschrift  vom  Fuciner  See),  und  auch  jenes  finden 
wir  hier  nicht  zum  ersten  Male.*)  Es  scheint  mir  also  kein  ge- 
nügender Grund  vorzuliegen,  um  mit  Thumeysen**)  dem  Schreiber 
das  weit  auffallendere  Versehen  zu  unterschieben,  dafs  er  die 
yierte  Seite  an  der  falschen  Kante  zu  beschreiben  begonnen  hätte 
und  dadurch  genötigt  gewesen  wäre,  die  Zeilen  über  einander  an- 
zuordnen. Allerdings  schaflFt  Thumeysens  Vorschlag  auf  diese 
Weise  das  mysteriöse  havelod,  für  das  noch  niemand  eine  be- 
achtenswerte Erklärung  vorgebracht  hat,  aus  dem  Wege,  indem 
die  veränderte  Zeilenfolge  quoi  ham  an  Stelle  des  bisherigen  quoi 
havelod  und  iovestod  velod  statt  iovestod  als  Schlufs  ergäbe; 
aber  das  von  Thumeysen  gefundene  velod  ist  doch,  trotz  indo- 
germanischer Parallelen,  nicht  so  einleuchtend,  dafs  es  uns  die 
oben  angegebenen  GFegengründe  übersehen  liefse.***) 

Suchen  wir  nun  zu  einem  auch  nur  ungefähren  BegriflPe  von 
dem  Inhalt  der  Inschrift  zu  gelangen,  so  finden  wir,  abgesehen 
von  einigen  ganz  unverständlichen  Brocken,  deutliche  Relativa 
und  ein  paar  bekannte  Worte,  die  aber  in  Wahrheit,  statt  das 
Dunkel  zu  lichten,  nur  Rätsel  aufgeben.  Von  den  letzteren  schien 
von  Anfang  an  am  meisten  das  in  der  zweiten  Zeile  der  zweiten 
Seite  stehende  regei  geeignet  zu  sein,  die  Bestimmung  des  Steines 
deutlich  zu  machen.  Aber  wie  verzweifelt  auch  in  diesem  Punkte 
die  Lage  des  Interpreten  ist,  hat  Skutsch  gezeigt;  es  kann  ihm 
niemand  widersprechen,  wenn  er  bemerkt,  dieses  regei  könne 
ebenso  gut  der  Inf.  pass.  von  regere  sein  als  der  Dativ  von  rex. 
Damit  wäre  der  erbitterte  Streit,  ob  vom  König  oder  nur  vom 

•)  Siehe  Gomparetti  p.  10. 
♦*)  Rhein.  Mus.  65  p.  484  f. 

***)  Zwischen  der  zweiten  und  dritten  Zeile  der  dritten  Seite  ist  ein 
horizontaler  Strich  gezogen,  den  Gomparetti  für  ein  Trennungszeichen  zweier 
Abschnitte  hält;  ob  mit  Recht,  weifs  ich  nicht. 


110  W.  Otto: 

rex  sacrorum  die  Rede  sei,  ob  unsere  Inschrift  eine  jener  leges 
regiae,  deren  Rettung  Ceci  in  einer  neuen  Abhandlung  mit  we- 
nigen Gründen  und  vielen  Worten  versucht  hat*j,  gegenstandslos 
geworden.  Wer  möchte  sich  unter  solchen  Umständen  die  Mühe 
machen  wollen,  einen  der  Fälle,  in  welchen  nach  Malsgabe 
unserer  Überlieferung  der  rex  sacrorum  auf  dem  Comitium  fun- 
gierte oder  allenfalls  fungieren  konnte,  in  den  Trümmern  der 
2.  und  3.  Seite  zu  suchen,  um  schliefslich  zu  einem  Resultat  zu 
kommen,  das  sich  auch  ohne  unsere  Inschrift  hätte  erreichen 
lassen?  Wir  dürfen  doch  wohl  glauben,  dafs  eine  ganz  erhaltene 
und  verstandene  öffentliche  Inschrift  aus  so  alter  Zeit  uns  man- 
ches ganz  Neue  lehren  würde.  Gomparetti,  der  als  drittletzten 
Buchstaben  der  1.  Zeile  der  2.  Seite  ein  f  zu  erkennen  glaubte 
imd  die  3.  Zeile  hauptsächlich  der  Richtung  der  m  wegen  von 
rechts  nach  links  liest,  sodafs  das  e,  wie  das  von  ihm  gelesene  f, 
die  falsche  Richtung  hätte,  ergänzt,  ohne  den  Wortlaut  selbst 
herstellen  zu  wollen:  fas  regi  lo^cum  lustrare  uti^  mave^lit  iis 
diebus^  quos  ri<^te  nefastos  edixerit  per  suu^m  calatorem  hab<en- 
dos^.  Abgesehen  davon,  dafs  Sinn  und  Fassung  dieses  Satzes 
recht  wenig  Überzeugungskraft  haben,  hat  der  Ergänzer  offenbar 
das  alte  stlocus  vergessen;  ein  s  hat  nach  regei  keinesfalls  gestanden. 

Auch  für  die  Nennung  der  iouxmenta,  deren  Schreibung 
übrigens  das  einzige  ist,  was  wir  ohne  Einrede  aus  der  Inschrift 
lernen  können,  läfst  sich  kein  plausibler  Grund  divinieren,  oder 
aber,  wie  Pais  bemerkt,  mehrere,  von  denen  keiner  bewiesen  werden 
kann;  er  selbst  erinnert  beispielsweise  an  die  Tempelordnuug  der 
Athena  Alea  von  Tegea.  Gomparetti  erklärt  Iouxmenta  kapia  dota 
als  iumenta  capistro  ducta.  Davon  ist  das  zweite  Wort  eigens  von 
ihm  erfunden,  das  dritte  sucht  er  einerseits  durch  die  Formen 
fortis  für  forctis,  quintus  für  quinctus,  Vitoria  für  Victoria, 
andererseits  durch  hone,  molta  etc.  als  altlateinisch  zu  erweisen. 
Damit  wird  er  schwerlich  jemand  überzeugen:  Vitoria  ist  prae- 
nestinisch  und  steht  vereinzelt  da,  und  die  Geschichte  des  c 
zwischen  Konsonanten  gehört  natürlich  nicht  hierher;  dafs  bei 
hone  etc.  o  der  ursprüngliche  Vokal  ist,  sollte  nicht  erst  gesagt 
werden  müssen. 

Auf  der  letzten  Seite  hat  die  Lesung  von  Gomparetti  mit 
ziemlicher  Sicherheit  iter  und  darauf  folgend  vielleicht  pe<r>  er- 


*)  Rendiconti  della  R.  Acc.  dei  Lincei  1900  vol.  IX  p.  19  ff. 


Die  archaische  Inschrift  yom  Forum  Bomanum.  Hl 

geben  y  wodurch  für  den  Sinn  des  ehemaligen  Satzes  wirklich 
etwas  gewonnen  ist,  allerdings  nur  gerade  so  viel,  als  diese  beiden 
Worte  besagen.  Denn  wenn  Comparetti  aus  diou,  das  ihm  diu 
(as  bei  Tage)  zu  sein  scheint  und  aus  havelod,  zu  dessen  Erklärung  als 
£Eunalo  (Dativ!)  er  das  plautinische  favea  und  das  glossographische  fa- 
veus:  nalg  heranzieht,  schliefst,  dafs  fiir  Sklaven  bei  Tage  der  Durch- 
gang verboten  war,  so  werden  wir  sagen,  dafs  man  diou  estod 
auch  anders  auffassen  kann  und  dafs  die  Erklärung  des  havelod 
als  verwandt  mit  faveus  recht  gesucht  imd  als  Dativ  einer  Wider- 
legung nicht  wert  ist.  In  iovestod  sah  Ceci  lovi  estod  (love 
8tod)y  wogegen  der  Umstand  spricht,  dafs  man  den  Gottesnamen 
mit  d  anlautend  erwarten  müfste;  es  bleibt  also,  um  diese  Er- 
klärung zu  stützen,  nichts  anderes  übrig,  als  das  vorausgehende 
d,  trotzdem  es  von  unserem  Worte  durch  Interpunktion  getrennt 
ist,  zu  ihm  zu  ziehen,  wie  Comparetti  auch  gethan  hat;  dieses 
d  scheint  aber  das  vorhergehende  o  zu  einer  Ablativendung  zu 
vervollständigen;  allerdings  scheint  auch  die  von  Huelsen  und 
Skutsch  vorgeschlagene  Deutung  als  iusto  nicht  einwandsfrei  zu 
sein,  da  die  Vergleichung  mit  den  verwandten  Sprachen  eine 
alÜateinische  Zweisilbigkeit  des  Wortes  ins  (ioves)  anzunehmen 
schwerlich  erlaubt.*)  Dieser  Grund  hat  denn  auch  Ceci  bewogen, 
die  genannte  Etymologie  abzulehnen.  Welche  der  gegebenen  Er- 
klärungen trotz  der  geäufserten  Einwände  die  richtige  ist,  ver- 
möchte uns  nur  der  verlorene  Zusammenhang  zu  lehren.  —  Durch 
Comparettis  Facsimile  ist  jetzt  unzweifelhaft  geworden,  dafs  auf 
der  ersten  Seite  sord  .  .  .  stand,  was  doch  wohl  nur  zu  sordes 
oder  einem  verwandten  Worte  ergänzt  werden  kann.  Halten  wir 
dies  mit  dem  darüber  stehenden  s)>akros  esed  zusammen,  so 
scheint  allerdings  die  so  oft  geäufserte  Vermutung,  es  handle 
sich  um  die  Verfluchung  dessen,  der  diesen  Ort  verunreinigt, 
nahe  genug  zu  liegen;  ähnliche  Verbote  sind  ja  schon  längst 
bekannt.  Dabei  darf  aber  nicht  übersehen  werden,  dafs  jeder 
Versuch,  dies  sordes  in  den  Satz  mit  sakros  esed  —  esed  mag 
sein,  was  es  will  —  einzubeziehen,  scheitern  mufs.  Worauf 
soll  aber  dann  die  Verfluchung  im  ersten  Teil  Bezug  nehmen, 
und  aus  welchem  Grunde  wurde  die  Bedrohung  des  Ver- 
unreinigers nicht  in  sie  miteingeschlossen?  Vielleicht,  antwortet 
man,  traf  ihn  eine  schwächere  Strafe,  und  das  ist  auch  alles,  was 


*)  Solmsen,  Stud.  p.  192  Anm.  2;  Osthoff,  Indog.  Forsch.  V  p.  288. 


112  W.  Otto: 

sich  sagen  läfst.  Uud  ferner,  was  soll  esed  sein?  Die  nächste 
Vermutung  trifft  natürlich  auf  esset,  aber  wovon  konnte  dieser 
Gonj.  impf,  abhängig  gemacht  sein?  Comparetti  glaubt  leichtes 
Spiel  zu  haben;  er  setzt  esed  =  sit  und  weist  auf  das  esed  des 
Sc.  de  Bacch.  hin,  das  er  für  Conj.  praes.  hält,  während  es 
natürlich  Conj.  impf.  ist.  Andere  erklären  es  für  Futurum;  aber 
ein  sacer  erit  als  Fluchformel,  da  man  doch  sacer  esto  oder 
mindestens  sit  erwartet,  ist  wenig  wahrscheinlich  und  durch 
Wunschsätze,  wie  ita  me  di  amabunt,  noch  lange  nicht  als 
möglich  erwiesen.  Ceci  endlich  fafst  das  Wort  als  echten  Conj. 
praes.,  der  ja  bekanntlich  später  Futurstelle  vertrat  und  seiner- 
seits vom  Optativ  siet  vertreten  wurde.  Damit  wäre  der  Form 
und  der  Bedeutimg  am  meisten  Genüge  gethan,  vorausgesetzt^ 
dafs  wir  das  Recht  haben,  in  eine  so  alte  Sprachstufe  mit  unseren 
Erklärungsversuchen  zurückzugreifen.  —  Für  die  auf  der  ab- 
geflacht-en  Kante  stehenden  Buchstaben  läfst  sich  schwerlich  ein 
Sinn  aufbringen. 

Aus  allem  Gesagten  geht  deutlich  hervor,  dafs  wir  in  Wahr- 
heit über  den  Inhalt  der  Inschrift  nichts  wissen,  als  was  der 
erste  Augenschein  lehren  konnte  und  gelehrt  hat.  Durch  das 
treuliche  Facsimile  Comparettis  ist  allerdings  die  Lesung  an 
manchen  Punkten  vollständiger  geworden,  aber  dafs  wir  dadurch 
im  Verstehen  des  Fragments  wesentlich  weiter  gekommen  wären, 
kann  man  nicht  behaupten. 

Was  Ceci*)  seit  seiner  ersten  Ergänzung  vorgebracht  hat, 
bewegt  sich  auf  dem  Boden  der  letzteren,  über  die  ich  in  meiner 
Besprechung  genug  gesagt  zu  haben  glaube.  Einige  neue  Kunst- 
stücke sind  ihm  gelungen,  wie  die  Erklärung,  dafs  sakros  esed 
bedeute  purus  oder  expiatus  sit.  Er  kommt  darauf  durch  die 
Bezeichnung  sacres  porci,  die  mit  puri  ad  sacrifieium  erläutert 
wird,  was  für  ihn  mit  puri  überhaupt  gleichbedeutend  zu  sein 
scheint.  Das  hindert  ihn  aber  nicht,  am  Schlufs  der  Inschrift 
sacer  im  gewöhnlichen  Sinne  zu  ergänzen.  Mit  weiteren  Proben 
will  ich  die  Leser  nicht  belästigen.  —  Mit  wenig  Glück  hat 
Enraaim  in  dem  angeführten  Aufsatze  eine  Erklärung  und  Er- 
gänzung der  Inschrift  versucht.  Er  denkt  an  die  Verfluchung 
desjenigen,    der   den   Terminusstein,    für    den    Enmann    unseren 

*)  Die  widerwärtigen  Invektiven  dieses  Gelehrten,  die  der  Popolo  Ro- 
mano nicht  müde  ward  abzudrucken,  werden  am  besten  der  Vergessenheit 
überliefert. 


Die  archaische  Inschrift  vom  Forum  Romanum.  113 

cippus  hält^  auspflügt;  obgleich  nicht  einzusehen  ist,  wie  jemand 
auf  dem  Forum  oder  Comitium  zu  dieser  Unthat  Gelegenheit  gehabt 
haben  sollte.  Auch  sprachlich  steht  die  Deutung  und  Vervoll- 
ständigung auf  ziemlich  schwachen  Füfsen.  Es  werden  Formen  nach 
falschen  Analogien  gebildet  unter  der  Voraussetzung,  dafs  die  alte 
Sprache  in  den  Verbalendungen  das  t  ohne  Unterschied  durch  d 
ersetzt  habe.  Ein  Satz  wie:  reum  necanto  qui  hasc  volunt  ist  fehler- 
haft. Die  falsche  Konstruktion:  qui  hunc  termin\im  exarasset  sacer 
erit  scheint  unter  dem  Einflufs  der  Festusstelle :  Numa  Pompilius 
statuit  eum  qui  terminum  exarasset  et  ipsum  et  boves  sacros  esse 
entstanden  zu  sein.  —  Von  dem  einzigen  Worte  kapia  aus,  das 
zufallig  mit  dem  von  Hesych  aus  dem  Kyprischen  in  der  Be- 
deutung von  Knoblauch  überlieferten  xobcia  übereinstimmt,  kommt 
B.  Frese  in  der  Beilage  zur  Allgem.  Zeitung  1900,  11.  Mai, 
S.  5  ff.  zu  dem  Resultat,  dafs  es  sich  um  ein  Zwiebelopfer  für 
die  Laren  handle,  denn  dafs  das  durch  Hesych  beigebrachte 
Wort  mit  dem  lat.  caepe  verwandt  sei,  ist  eine  alte  Vermutung, 
havelod  soll  femer  auf  eine  mir  unerklärliche  Weise  das  spätere 
alium  (auch  alum)  repräsentieren,  sodafs  wir,  wenn  wir  noch  in 
iouxmenta  die  Busenbänder  sehen,  die  die  Mädchen  vor  der 
Hochzeit  den  Laren  aufhängen,  eine  Opfervorschrift  für  diese, 
etwa  die  Kompitalienfeier  betreffend,  in  unserem  Denkmal  fänden. 
Die  Ausgangspunkte  dieses  Versuches  scheinen  mir  eines  Ein- 
gehens auf  denselben  nicht  wert  zu  sein.*) 

Das  Resultat  unserer  Betrachtung  ist,  wie  ja  vorauszusehen 
war,  kein  erfreuliches.  Aber  vielleicht  gelingt  es  ihr  und  ähn- 
lichen Darstellungen,  das  unfruchtbare  Grübeln  von  diesem  elenden 
Bruchstücke  abzulenken:  dafs  nicht  „auch  andere  wieder  darüber 
meinen  und  immer  So  ins  Unendliche  fort  die  schwankende  Woge 
sich  wälze". 

München.  W.  Otto. 


*)  Am  16.  Mai  wurde  in  derselben  Zeitung  von  einem  mit  M.  unter- 
zeichneten Mitarbeiter  diese  Deutung  für  vortrefflich  erklärt;  zum  Schlüsse 
heilst  es  wörtlich  so:  „louxmenta  werden  doch  wohl  Opfertiere  sein;  das 
Gespann  =>  zwei  Tiere  würde  zu  dem  Bidental  passen.  Denn  bei  Nonius 
Marcellinus  54  M.  heifst  es:  Nigidius  Figulus  dicit,  bidental  vocari  quod 
bimae  hostiae  immolentur.  Und  die  Erinnerung  an  das  alte  Bidental 
weist  ja  Frese  nicht  zurück." 


Archiv  fOr  lat.  Lexikogr.    XU.   Heft  1.  % 


Die  Nachahmung  in  der  lateinischen  Prosa. 

Seit  Jahrzehnten  werden  zahlreiche  Doktordissertationen  ge- 
schrieben^  in  welchen  der  Autor  X  als  Imitator'  des  Autors  Y 
betrachtet  wird.  So  oft  man  auch  über  diis  Ziel  hinausgeschossen 
haben  mag,  so  haben  doch  diese  Untersuchungen  im  grolsen 
Ganzen  mindestens  ebenso  viel  Nutzen  gebracht  als  die  nicht 
minder  beliebten  Arbeiten  'De  fontibus'  etc.,  in  welchen  meist 
mit  unbekannten  Gröfsen  gerechnet  werden  muTs.  Freilich  sind 
jene  auch  auf  Widerspruch  gestofsen,  indem  man  aus  der  Be- 
zeichnung 'imitatio'  ein  geistiges  Armutszeugnis  herauslesen  zu 
müssen  glaubte,  welches  der  Bedeutung  der  Klassiker  nicht  ent- 
spreche. Allein  imitatio  ist  nur  ein  kurzer,  bequemer  Ausdruck 
und  durchaus  nicht  identisch  mit  'Entlehnung',  sondern  oft  nur 
mit  'Beeinflussung';  sie  besteht  nicht  immer  in  dem  bewuTsten 
Akte  einer  Aneignung,  sondern  ist  oft  imbewufst;  ja  sie  kann  so 
selbständig  sein,  dafs  ein  fremder,  dem  Geiste  vorschwebender 
Ausdruck  zwar  benützt,  aber  in  anderem  Sinne  gebraucht  wird. 
Seitdem  die  römische  Litteratur  ihre  Klassiker  hervorgebracht 
hatte,  wurden  dieselben  in  den  Schulen  gelesen  und  erklärt  und 
privatim  studiert,  und  in  ihnen  fand  jeder  angehende  Schrift- 
steller Muster  imd  Vorbild.  Vergil  wurde  auswendig  gelernt, 
wie  ims  der  heilige  Augustin  in  seinen  Confessiones  bezeugt,  und 
daher  kommt  es  so  oft  vor,  dafs  nicht  nur  eine  Phrase  von  ihm 
bei  einem  späteren  Epiker  sich  wiederfindet,  sondern  dafs  die 
sich  entsprechenden  Wortformen  in  den  gleichen  Füfsen  des 
Hexameters  stehen.  Wem  es  schwer  fällt,  an  einen  solchen  Grad 
der  Abhängigkeit  zu  glauben,  der  lese  einfach  den  An£EUig  des 
sechsten  Buches  der  Satumalien  des  Macrobius,  wo  auseinander- 
gesetzt wird,  quid  Maro  de  antiquis  Romanis  scriptoribus  traxerit, 
und  wenn  ihm  das  Verwandtschaftsverhältnis  zwischen  Ennius, 
Lucretius  und  Vergil  klar  geworden  ist,  so  wird  er  noch  viel 
weniger  leugnen,  dafs  Lucan,  Silius  und  Statins  ihrerseits  wieder 
dem  Vergil  gefolgt  sind. 


Die  Nachahmung  in  der  lateinischen  Prosa.  115 

Wer  aber  mit  Rücksicht  auf  die  Schwierigkeiten  der  Vers- 
technik  ein  Studium  poetischer  Vorbilder  zugiebt,  in  der  Prosa 
dagegen  ein  ähnliches  Verhältnis  leugnet;  der  wird  ebenso  durch 
die  Zeugnisse  der  Alten  selbst  widerlegt.  Allerdings  ist  es 
Hyperbel  eines  Pamphletes^  wenn  Lenaeus  den  Sallust  priscorum 
Catonis  verborum  furem  nannte  (Suet.  gramm.  15.  Quintil.  8,  3^  29); 
aber  die  Thatsache  selbst,  dafs  Sallust  in  sprachlicher  Hinsicht 
viel  aus  den  Origines  Catos  schöpfte,  steht  durch  Asinius  Pollio, 
Augustus  und  Fronto  fest.  Suet.  gramm.  10.  Suet.  Aug.  86. 
Fronto  epist.  62  N.  Dafs  andrerseits  Arruntius  ein  ausgeprägter 
Nachahmer  des  Sallust  war,  bezeugt  uns  Seneca  epist.  114,  17: 
L.  Arruntius,  qui  historias  belli  Punici  scripsit,  fait  Sallustianus 
et  in  illud  genus  nitens.  Est  apud  Sallustium  'exercitum  argento 
fecit',  id  est  pecunia  paravit.  Hoc  Arruntius  amare  coepit;  posuit 
illud  Omnibus  paginis.  Quae  apud  Sallustium  rara  fuerunt,  apud 
hunc  crebra  sunt  et  paene  continua . . .  Vides  quid  sequatur,  ubi 
alicui  Vitium  pro  exemplo  est.  Auf  die  spätere  lateinische 
Historiographie  haben  Sallust  und*  Livius  am  meisten  gewirkt, 
während  Caesar  neben  ihnen  yerschwindet,  wie  auch  die  ßramma- 
tiker  seine  Eommentarien  kaum  berücksichtigen.  Bei  Curtius  ist 
der  Einflufs  des  Livius  stärker,  bei  Tacitus  der  Sallusts;  d.  h.  wie 
Tacitus  im  Agr.  10  die  Palme  dem  Livius  reicht,  in  den  Annalen 
di^egen  3,  30  den  Sallust  höher  stellt,  so  treten  die  Anklänge 
an  Livius  (Germ.  3  quae  neque  confirmare  neque  refellere  in  animo 
est  =  Liv.  praef.  6  ea  nee  adfirmare  nee  refellere  in  animo  est) 
in  den  späteren  Büchern  des  Tacitus  zurück.  Im  vierten  Jahr- 
hunderte aber  nach  Chr.  siegt  Sallust,  schon  darum,  weil  das 
weitschichtige  Werk  des  Livius  durch  die  Epitoma  verdrängt 
wird.  Vgl.  Friedr.  Vogel,  Sallustiana  in  den  Acta  Erlang.  I 
313—366.  H  406—448.  Wölfflin,  PhUologus  26,^22—127.  Wie 
viel  hier  in  den  letzten  Jahren  gewonnen  worden  ist,  zeigt  das 
Beispiel  von  Dräger;  denn  in  der  ersten  Auflage  seiner  Schrift 
^Syntax  und  Stil  des  Tacitus'  hatte  er  bei  diesem  Autor  so  gut 
wie  gar  keine  Spuren  des  Sallust  gefanden,  während  er  in  der 
zweiten  S.  116fiP.  ein  langes  Verzeichnis  von  Stellen  giebt.  Ein 
ähnliches  Verhältnis  wie  zwischen  Sallust  und  seinen  Anhängern 
werden  wir  wohl  für  die  Biographen  Sueton,  Marius  Maximus 
imd  die  Scriptores  historiae  Augustae  annehmen  dürfen.  Der 
letzte  in  der  Reihe  der  Historiker,  Ammianus  Marcellinus,  hat  die 
Sache  auf  den  Kopf  gestellt,  indem   er  zwar  als  Fortsetzer  dem. 


116  •  Ed.  Wölfflin: 

Tacitus  folgt  und  mit  ihm  die  Liebe  zu  Exkursen  teilt ,  aber 
als  Nichtrömer  seine  lateinischen  Phrasen  aus  allen  Ecken  und 
Enden  zusammensuchte  ^  unter  anderem  auch  aus  Cicero  und 
Gellius^  tüchtig  memorierte  und  so  zu  einem  buntscheckigen 
Stile  kam. 

Ein  gesteigertes  Interesse  werden  wir  der  Frage  darum  zu- 
wendeU;  weil  in  der  neuesten  Zeit  angenommen  worden  ist,  dals 
derselbe  Autor  fast  gleichzeitig  in  verschiedenen  Schriften  yer- 
schiedene  Stile  nachgebildet  habe:  Tacitus  im  Dialogus  den  von 
Cicero  (Quintilian),  im  Agricola  den  Sallusts,  in  der  (Germania 
den  des  Philosophen  Seneca.  Nachdem  Friedr.  Leo  den  in  seiner 
Festrede  (Tacitus,  ßöttingen  1896,  S.  10)  nur  kurz  hingeworfenen 
Gedanken  in  den  Göttinger  Gel.  Anz.  1898,  S.  172  fF.  näher  aus- 
geführt hat,  sei  es  auch  mir  gestattet  darzulegen,  wie  ich  mir  die 
Sache  vorgestellt  habe  (Archiv  X  458)  und  noch  vorstelle.  Dabei 
bilde  ich  mir  durchaus  nicht  ein,  die  Sache  endgültig  zu  ent- 
scheiden, sondern  nehme  blofs  das  Recht  in  Anspruch,  in  einer 
so  wichtigen  Frage  die  Argumente  des  Angriffes  und  der  Ver- 
teidigung zu  prüfen.     Der  Leser  möge  dann  selbst  wählen. 

Dabei  glaube  ich  freilich  den  Dialogus  aus  dem  Spiele  lassen 
zu  sollen,  weil  die  gleichzeitige  Abfassung  mit  dem  Agricola  noch 
nicht  allgemeine  Zustimmung  gefunden  hat.  Aber  auch  wenn 
diese  zugestanden  würde,  käme  es  für  die  Hauptfrage  nicht  in 
Betracht,  weil  die  dialogisch-räsonnierende  Behandlung  eines  litte- 
rarischen Themas  einer  ganz  anderen  Grattimg  angehört  als  die 
Darstellung  historischer  Thatsachen.  Dafs  der  Agricola  und  die 
Germania  aber  in  das  Gebiet  der  Geschichtschreibung  fallen  und 
ihren  Platz  neben  den  Historien  und  Annalen  haben,  darf  als 
zugestanden  vozausgesetzt  werden.  Da  Tacitus  zuerst  Rhetor  ge- 
wesen, erst  spater  Historiker  geworden  ist,  so  gehört  der  Dialogus 
in  den  ersten  Ereis,  wie  die  historischen  Schriften  in  den  zweiten, 
und  der  Verfasser  der  letzteren  erscheint  uns  nur  als  eine  Gröfise, 
wenn  wir  auch  eine  Entwicklung  im  Laufe  der  Jahrzehnte  gerne 
zugeben. 

Beginnen  wir  mit  der  Germania  (de  situ  etc.  Germaniae), 
über  welche  Leo  schreibt:  „Als  Muster  liegt  es  am  nächsten  an 
Senecas  Schriften  De  situ  Indiae,  De  situ  et  sacris  Aegyptiorum 
zu  denken.  In  der  That  ist  der  Stil  näher  als  der  ii^end  einer 
erhaltenen  Schrift  mit  dem  Senecas  verwandt."  Diese  auf  neuen 
Anschauungen  beruhenden  Worte  werden  wir  nachzuprüfen  haben 


Die  Nachahmung  in  der  lateinischen  Prosa.  117 

sowohl  mit  Rücksicht  auf  den  Inhalt  wie  auf  die  sprachliche 
Form  der  genannten  Schriften. 

Am  meisten  blendet  natürlich  der  gemeinsame  Titel  'de 
situ'  mit  folgenem  Genetiv  eines  Ländernamens,  und  wenn  dieser 
Ausdruck  in  der  Latinität  eine  Seltenheit  wäre  oder  wenn  es 
nicht  ähnliche  Inhaltsbezeichnungen  von  Büchern  oder  Buchteilen 
gäbe,  müfste  man  diesem  Argumente  einen  hohen  Wert  beUegen. 
Allein  der  Schein  trügt;  hatte  doch  SaUust  lug.  17  geschrieben: 
res  postulare  yidetur  Africae  situm  paucis  exponere,  und  er  hat 
damit  nicht  nur  die  Geographie,  sondern  auch  die  unzertrennlich 
mit  ihr  verbundene  Ethnographie  gemeint,  wie  die  Schlufsworte 
des  grolsen  Exkurses  19,  8  beweisen:  de  Africa  et  eins  incolis  ad 
necessitudinem  rei  satis  dictum.  Noch  viel  umfangreicher  aber 
war  im  dritten  Buche  der  Historien  der  ^situs  Ponti',  welcher 
der  Geschichte  des  mithridatischen  Krieges  vorausgeschickt  war; 
so  ausführlich,  dais  Porphyrio  zu  Hör.  carm.  1,  17,  18  eine  Stelle 
dieses  Exkurses  mit  den  Worten  De  situ  Pontico  citiert  (Serv. 
Aen.  3,  533  de  Ponto),  gerade  wie  auch  Nonius  12,  524:  Sallustius 
in  situ  Ponti.  Damach  darf  man  wohl  annehmen,  dafs  Sallust 
selbst  seine  geographisch-ethnographische  Darstellung  mit  diesen 
Worten  eingeführt  hatte.  Dafs  dem  Tacitus,  welcher  nicht  nur 
die  Feldzüge  des  Germanicus,  sondern  auch  den  Bataveraufstand 
unter  Civilis  und  den  Chattenkrieg  imter  Domitian  zu  erzählen 
hatte,  seine  Germania  nichts  anderes  war  als  ein  ausgeführterer 
Situs  Ponti,  springt  in  die  Augen.  Und  wenn  sie  auch  selbstän- 
dig herausgegeben  ist,  nachdem  Tacitus  die  Vorstudien  abge- 
schlossen hatte,  so  darf  man  doch  nicht  übersehen,  dafs  ihr  eine 
Einleitung  fehlt,  wie  sie  der  Agricola  besitzt. 

Will  man  also  ein  Vorbild  für  die  Germania  haben,  so 
scheint  uns  am  nächsten  zu  liegen,  dieses  bei  einem  Historiker 
zu  suchen,  und  zwar  bei  demjenigen,  welcher  anerkanntermafsen 
Vorbild  des  Tacitus  gewesen  ist.  Auch  Livius  kommt  uns  hier 
zu  Hilfe;  denn  die  Periocha  von  Buch  103  berichtet:  praeterea 
situm  Galliarum  continet,  und  die  von  Buch  104:  prima  pars 
(Hälfte?)  libri  situm  Germaniae  moresque  continet.  Hier 
liegt  das  Gute  so  nahe,  dafs  es  durchaus  überflüssig  erscheint,  in 
die  Weite  zu  schweifen.  Um  nichts  zu  übergehen,  mufs  noch 
erwähnt  werden,  dafs  der  ältere  Plinius  in  der  Einleitung  zu 
seinen  zwanzig  Büchern  Bella  Germaniae  wahrscheinlich  eine 
ähnliche,   vielleicht   noch   reichere   Darstellung   gab,   zu  welcher 


118  Ed.  Wölfflin: 

ihm  sein  längerer  Aufenthalt  in  Germanien  Sto£P  genug  bieten 
mufste.  Eine  ähnliche  Parallele  finden  wir  darin,  daCs  Livius  im 
16.  Buche  als  Einleitung  zu  dem  ersten  punischen  Kriege  die 
Vorgeschichte  Karthagos  gab  (Per.  16  origo  Carthaginiensium  et 
primordia  urbis  referuntur),  gerade  wie  Tacitus  ein  Gleiches  that 
vor  der  Zerstörung  Jerusalems  (bist.  5,  2  congruens  videtur  pri- 
mordia urbis  aperire). 

Vergleichen  wir  damit  den  situs  Indiae  des  Seneca.  Vor 
allem  mufs  betont  werden,  dafs  wir  uns  hier  nicht  auf  streng 
historischem  Boden  bewegen,  sondern  auf  dem  Grunde  der  roman- 
haften Berichte  der  Alexanderschriftsteller,  die  uns  aus  Gurtius 
bekannt  sind.  Was  wir  von  der  historischen  Gewissenhaftigkeit 
des  Tacitus  wissen,  berechtigt  uns  kaum  zu  der  Annahme,  der- 
selbe habe  sich  an  die  minderwertige  Litteratur  angeschlossen. 
Dazu  kommt,  dafs  Seneca,  der  Verfasser  der  Naturales  quaestio- 
nes,  Naturforscher  war,  nicht  Historiker.  Was  er  uns  in  seinen 
übrigen  Schriften  über  Indien  meldet,  bezieht  sich  auf  das  Gebiet 
der  Naturgeschichte,  nat.  quaest.  5,  18,  2  (Winde  Indiens),  epist. 
84,  4  (Honig),  und  somit  würde  Tacitus  in  dieser  Schrift  gerade 
dasjenige  nicht  gefunden  haben,  was  er  wollte  und  bei  Sallust 
wie  Livius  fand,  das  Historische.  Zudem  galt  Senecas  Darstel- 
lung nicht  als  wissenschaftlich,  wie  man  aus  den  Worten  des 
Naturforschers  Plinius  n.  h.  6,  60  schlieüsen  mufs:  Seneca  templata 
Indiae  commentatione.  Es  fehlte  ihm  ja  an  Autopsie,  und  wenn 
dasselbe  auch  ebenso  für  die  Germania  des  Tacitus  gilt,  so  würde 
doch  der  Historiker  ohne  Zweifel  die  zuverlässigen  litterarischen 
Quellen  den  unzuverlässigen  vorgezogen  haben.  Darum  schreibt 
er  am  Ende  der  Germania:  quod  ego  ut  incompertum  in  medio 
relinquam.  Endlich  aber  wissen  wir  aus  Plin.  n.  h.  6,  60,  dafs 
Seneca  60  Flüsse  Indiens  imd  118  Völkerschaften  aufführte  (LX 
amnis  prodidit,  gentes  CXVUI),  ebenso  unzählige  Berge,  wonach 
man  den  Charakter  der  Schrift  mehr  als  einen  statistischen  denn 
als  einen  historischen  bezeichnen  darf,  etwa  ähnlich  den  geogra- 
phischen Bücheni  der  Naturalis  historia  des  Plinius,  welcher 
unter  seinen  Quellen  eben  den  Seneca  genannt  hat. 

Besser  kann  Seneca  über  Ägypten  imterrichtet  gewesen  sein, 
da  der  Mann  seiner  Schwester  IG  Jahre  laug  praefectus  Aegypti 
war.  Nach  dem  Titel  De  situ  et  sacris  Aegyptiorum  möchte 
man  glauben,  die  Religionsphilosophie  habe  den  Schriftsteller  be- 
sonders interessiert;  auf  die  historische  Seite  weist   keine  Spur. 


Die  Nachahmung  in  der  lateinischen  Prosa.  119 

Es  mag  sich  mit  der  Schrift  der  Dialog  De  superstitione  berührt 
haben,  in  welchem  nach  Augustin  civ.  dei  6,  10  (p.  295,  23 
Hofim.)  von  Osiris  die  Rede  war,  wie  in  dem  Fragmente  De  situ 
bei  Serv.  Verg.  Aen.  6, 154  von  Isis,  Osiris,  Typhon  gesprochen 
wird.  Andere  gelegentliche  Anfiihrungen  des  Philosophen  be- 
ziehen sich  auf  die  Küste  und  die  Sandwüste  Ägyptens.  Alles 
dies  stimmt  indessen  nur  wenig  zu  dem  Vorbilde  der  taciteischen 
Germania. 

Das  Urteil  über  das  zweite  Problem  lautet:  „Dafs  für  den 
Agricola  Sallusts  kleine  Schriften  das  Muster  sind,  haben  viele 
gesagt  und  gezeigt;  es  tritt  hervor  in  der  Wahl  eines  kleinen 
historischen  Stoffes,  in  der  Komposition  (Gatilina:  allgemeine 
und  persönliche  Einleitung;  de  moribus  Catilinae;  die  coniuratio; 
Catilinas  Tod),  im  sprachlichen  Ausdruck.^^  Hier  erlauben  wir 
uns  zimächst  die  persönliche  Berichtigung,  dafs  wir  Philolog.  26, 
122  ff.  nicht  die  kleinen  Schriften  Sallusts  als  die  Muster  des 
Agricola  hingestellt,  sondern  die  sämtlichen  Werke  Sallusts  über- 
haupt als  stilistische  Vorbilder  für  den  Historiker  Tacitus  be- 
zeichnet haben.  Den  Agricola  speziell  mit  dem  sogen.  Catilina 
und  Jugurtha  in  Verbindung  zu  bringen,  würden  wir  uns  darum 
nicht  gestatten,  weil  Sallust  seine  beiden  Monographien  als  ^bella' 
bezeichnet  hat,  nicht  als  Biographien.  Über  den  Titel  des 
€atilina  vgl.  Archiv  I  277  ff.,  wozu  noch  Serv.  Aen.  1,  279  hinzu- 
gefügt werden  kann:  Sallustius  in  hello  Catilinae.  Die  Kriege 
gegen  Catilina  und  Jugurtha  kennt  jedermann  aus  der  Welt- 
geschichte wie  aus  Florus,  nur  dafs  wir  wegen  Ciceros  Anteil 
lieber  von  einer  'Verschwörung'  sprechen;  die  britannischen  Feld- 
züge des  Agricola  dagegen  lassen  sich  immöglich  auf  die  gleiche 
Stufe  stellen.  Oder  umgekehrt:  der  Agricola  ist  eine  Biographie 
schon  wegen  der  Anfangsworte  Kap.  4:  Onaeus  lulius  Agricola, 
vetere  et  inlustri  Foroiuliensium  colonia  ortus  utrumque  avum 
procuratorem  Caesarum  habuit,  quae  equestris  nobilitas  est.  Pater 
illi  lulius  Graecinus  . . .  mater  lulia  Procilla  fuit  etc.,  und  ähn- 
lich beginnen  die  Biographien  Suetons.  Dazu  kommen  die  er- 
^nzenden  Notizen  Agr.  44:  natus  erat  Agr.  C.  Caesare  tertium 
consule,  idibus  luniis;  excessit  sexto  et  quinquagesimo  anno  etc. 
Die  Monographien  Sallusts  sind  dies  nicht,  weil  genaue  Angaben 
über  das  genus  fehlen.  Cat.  5,  1  Lucius  Catilina,  nobili  genere 
natus,  fuit  magna  vi  et  animi  et  corporis,  sed  ingenio  malo  pra- 
voque.     lug.  5,  7    Micipsa   Adherbalem    et   Hiempsalem    ex   sese 


120  Ed.  Wölfflin: 

gennit  lugurthamqne,  filium  Mastanabalis  fratris  . . .  eodem  cultn 
quo  liberos  suos  domi  habuit.  Da  in  Wirklichkeit  Catilina  und 
Jngurtha  Ausseimitte  aus  der  römischen  Geschichte  sind,  so  haben 
sie  auch  philosophische  Einleitungen  über  das  Verhältnis  von 
Leib  zu  Seele^  welche  dem  Agricola  fehlen;  der  Catilina  enthält 
sogar  eine  zweite  historische  Einleitung  über  das  Wachstum  Roms 
bis  zum  Ausbruche  der  Katastrophe ,  deren  Gegenstück  man  im 
Agricola  wieder  nicht  findet.  Die  Verschiedenheit  wird  noch 
gröfser^  wenn  man  an  den  Nachruf  denkt;  welchen  Tacitus  Agricola 
gewidmet  hat.  Demnach  stöfst  die  versuchte  Vergleichung  auf 
grofse  Differenzen ;  und  was  an  Übereinstimmung  übrig  bleibt^ 
dafs  mit  der  Erziehung  und  Jugend  Catilinas  (Jugurthas)  be- 
gonnen wird  und  der  Tod  den  SchluTs  bildet ,  ist  doch  etwas  so 
Natürliches  und  Unvermeidliches,  dafs  man  darum  den  genannten 
Schriften  nicht  das  gleiche  sldog  beilegen  darf.  Man  wird  des- 
halb besser  thun^  den  Agricola  aus  sich  selbst  zu  erklären.  Wäre 
Tacitus  zur  Zeit  des  Todes  in  Rom  gewesen,  so  hätte  er  seinem 
Schwiegervater  die  Leichenrede  gehalten,  welche  er  später  in 
litterarischer  Form  nachgeholt  hat. 

Wenden  wir  uns  zu  der  Beurteilung  der  sprachlichen  Seite^ 
so  soll  die  Germania  den  Stil  des  Philosophen  Seneca  wieder- 
spiegeln, der  Agricola  den  des  Sallust.  Hier  wird  man  zunächst 
an  die  zahlreichen  Sentenzen  der  Germania  denken  und  an  die 
aphoristische  Darstellungsweise  des  Philosophen.  Wir  möchten 
die  Erklärung  lieber  auf  einer  anderen  Seite  suchen.  Bekannir 
lieh  ist  Tacitus  erfüllt  von  dem  Kontrast  zwischen  der  Hyper- 
kultur  Roms  und  der  mangelnden  Moral,  während  diese  bei  dem 
unkultivierten  Volke  der  Germanen  viel  höher  steht.  Darum 
schliefst  er  die  Betrachtung  der  verschiedenen  Seiten  des  Lebens 
so  oft  mit  einer  satirisch -ironischen  Bemerkung  ab.  Kap.  8 
Velaedam  et  Albrunam  venerati  sunt,  non  adulatione  nee  tam- 
quam  facerent  deas  (Hieb  auf  die  Konsekration  der  Kaiser). 
Kap.  11  honoratissimum  adsensus  genus.  est  armis  laudare,  ge- 
richtet gegen  das  unsinnige  Klatschen  im  Theater.  Kap.  20  nee 
uUa  orbitatis  prctia,  in  Beziehimg  auf  die  Erbschleicherei.  Kap.  27 
feminis  lugere  honestum  est,  im  Gegensatze  zu  den  bezahlten 
Klageweibern  in  Rom.  Kap.  19  plus  ibi  boni  mores  valent  quam 
alibi  bonae  leges  (Anspielung  auf  die  lex  Julia  de  maritandis 
ordinibus  und  die  lex  Papia  Poppaea\  Den  bekannten  Satz  Kap.  21 
victus  inter  hospites  comis  betrachten  wir  als  marginale  Inhalts- 


Die  Nachahmung  in  der  lateinischen  Prosa.  121 

angäbe,  und  zwar  beziehen  sich  die  drei  ersten  Worte  auf  V.on- 
yictibus  et  hospitiis',  das  letzte  (comis;  yerdorben  aus  comes)  auf 
monstrator  hospitii  -ei  comes. 

Wenn  aber  angenommen  wird,  die  Germania  stehe  in  einer 
engeren  Beziehung  zu  dem  Philosophen  Seneca  als  die  übrigen 
Schriften;  so  besitzen  wir  darüber  ein  unparteiisches  Zeugnis  in 
der  Abhandlung  von  Max  Zimmermann  De  Tacito  Senecae  philo- 
sophi  imitatore.  Breslauer  philolog.  Abhandlungen  Bd.  5  Heft  1, 
1889.  Derselbe  beleuchtet  den  Einflufs,  welchen  die  Lektüre 
des  Seneca  auf  die  Schriftstellerei  des  Tacitus  gehabt  hat,  worauf 
schon  Karl  Peter  in  der  Einleitung  zum  Dialogus  S.  11 — 14 
aufmerksam  machte.  Allein  Zimmermann  findet  diesen  Einflufs 
überall,  auch  in  den  Historien  und  in  den  Annalen,  und  in  der 
Germania  sogar  weniger  als  im  Agricola.  Man  vgl.  Agr.  16 
cum  adsuetus  expeditionibus  miles  otio  lasciyiret  mit  Sen.  epist. 
56,  9  cum  militem  expeditionibus  detinent  (imperatores),  num- 
quam  yacat  lascivire  .  .  .  otii  yitia,  oder  die  frappante  Stelle 
Agr.  42  proprium  humani  ingenii  est  odisse  quem  laeseris  mit 
Sen.  de  ira  2,33  quos  laeserunt,  et^oderunt,  imd  die  ähnliche 
syntaktische  Struktur  Sen.  de  ira  3,  29  turpe  est  odisse  quem 
laudes. 

Will  man  zu  der  sprachlichen  Form  auch  die  Komposition 
rechnen,  so  müssen  wir  an  dieser  Stelle  darauf  näher  eingehen, 
da  sie  wesentlich  mit  dem  ddog  (Gegensatz  ke%Lg)  zusammen- 
hängt. Beispielsweise  müfsten  wir  also  die  Komposition  der 
Germania  auf  Seneca  zurückführen.  Tacitus  hat  seine  Einteilung 
schon  in  dem  langatmigen  Titel  gegeben:  De  origine,  situ,  moribus 
ac  populis  Germanorum  (vgl.  Rhein.  Mus.  48,  312),  in  welchem 
er  ^Land  und  Leute'  zu  schildern  versprach,  mit  Trennung  von 
Geographie  und  Ethnographie.  Ob  Seneca  das  Staats-,  Kultus- 
und  Privatleben  der  Indier  so  behandelt  habe,  wie  Tacitus,  oder 
überhaupt  damals  behandeln  konnte,  mufs  zum  mindesten  zweifel- 
haft bleiben;  wir  haben  aber  auch  einen  bestimmten  Beweis,  dafs 
der  Historiker  thatsächlich  die  Komposition  nicht  dem  Philo- 
sophen entnommen  hat.  Er  beginnt  mit  der  Bestimmung  der 
Lage  und  der  Grenzen  Germaniens,  woran  die  Frage  nach  der 
autochthonen  Bevölkerung  oder  der  Einwanderung  angeschlossen 
wird;  dann  erst  werden  Kap.  5  Klima,  Vegetation,  Metalle  be- 
sprochen, die  ja  ohne  Menschen  von  keiner  Bedeutung  wären. 
Dies  kann  aber  darum  nicht   aus  Seneca  stammen,  weil  Tacitus 


122  Ed.  Wölfflin: 

selbst  schon  ein  Jahr  vorher  im  Agricola  genau  der  nämlichen 
Disposition  gefolgt  war:  Lage  und  Gestalt  von  Britannien^  Ur- 
einwohner oder  advecti,  Klima  und  Landesprodukte.  VgL  Germ.  2 
ipsos  Germanos  (um  nun  von  den  Einwohnern  zu  sprechen)  mit 
Agr.  13  ipsi  Britanni  etc.  Mehr  im  Philolog.  26,  144  f.  Die  Stoff- 
gliederung ist  also  Eigentum  des  Tacitus.  Aufserdem  teilt  Tacitus 
seine  Ethnographie  nochmals,  indem  er  zuerst  die  Sitten  aller 
Germanen  und  darauf  die  einzelnen  Völkerschaften  behandelt, 
was  wir  bei  Seneca  mit  dem  besten  Willen  nicht  Yoraussetzen 
können.  Diese  Teilung  ergab  sich  dem  Tacitus  aus  seinem  ge- 
sammelten Stoffe,  sie  kann  nicht  einem  allgemeinen  Schema  an- 
gehören, und  am  wenigsten  einem  Schriftsteller,  welcher  Natur- 
forscher, nicht  Historiker  war. 

Versuchen  wir  nun  in  der  sprachlichen  Analyse  weiter  vor- 
zudringen, so  stofsen  wir  auf  eine  Schwierigkeit.  Wir  sahen 
oben,  dafs  der  Agricola  mit  Catilina  und  Jugurtha  durch  den 
^sprachlichen  Ausdruck'  verbunden  sein  soll;  ergänzend  heifst  es 
aber  S.  175,  Note  2,  dafs  sich  dies  auf  den  *Stil'  beziehe,  nicht 
auf  den  'Sprachgebrauch'.  Diese  beiden  Faktoren  in  der  ver- 
lorenen Schrift  De  situ  Indiae  zu  trennen,  wird  kaum  möglich 
sein ;  wir  werden  vielmehr  zu  der  Annahme  gezwungen  sein,  dafs, 
wer  den  Stil  einer  Schrift  nachahme,  durchschnittlich  auch  die 
einzelnen  Redensarten  annehmen  werde.  Wir  bitten  also  uns  zu 
entschuldigen,  wenn  wir  im  Folgenden  so  hohen  Anforderungen 
nicht  entsprechen,  sondern  nur  bieten,  was  wir  bieten  können. 
Im  übrigen  müssen  wir  uns  in  die  Defensive  begeben  und  den 
genaueren  Nachweis  abwarten,  worin  denn  Seneca  de  situ  Lidiae 
(Aegypti)  mit  der  Germania,  Catilina  und  Jugurtha  mit  dem 
Agricola  übereinstimmen.  Einstweilen  beschränken  wir  uns  auf 
wenige  Randglossen. 

In  der  Schilderung  der  Schlacht  gegen  die  Caledonier  (Agr.  37) 
entsprechen  allerdings  die  Worte:  tum  vero  patentibus  locis  grande 
et  atrox  spectaculum;  sequi,  vulnerare  etc.  genau  der  Stelle  im 
lug.  101  tum  spectaculum  horribile  in  campis  patentibus;  sequi, 
fugere  etc.,  allein  in  demselben  Schlachtengemälde  sind  die  Worte 
exterriti  sine  rectoribus  equi  den  Historien  Sallusts  1,  139  Maur. 
equi  sine  rectoribus  exterriti  entnommen.  Darum  ziehen  wir  es 
vor  zu  sagen,  der  Agricola  zeige  vielfach  sallustianisches  Kolorit, 
ni(*ht  aber,  er  lehne  sich  an  Catilina  und  Jugurtha  an. 

Doch    möge   man    als   Vorbilder   des  Agricola   den   Catilina 


Die  Nachahmung  in  der  lateinischen  Prosa.  123 

und  Jugurtha  oder  den  ganzen  Sallust  nennen,  vergessen  darf  man 
doch  nicht;  dafs  Tacitus  seine  Individualität  nirgends  verleugnet^ 
wie  wir  dies  an  einem  bisher  nicht  beobachteten  Beispiele  zeigen 
möchten.  Der  Ausdruck  Agr.  39  derisui  fuisse  falsum  e  Ger- 
mania triumphum  ist,  soviel  wir  sehen,  Eigentum  des  Tacitus, 
da  der  klassische  Ausdruck  ludibrio  (Cicero  .und  Livius)  oder 
irrisui  (Caesar)  esse  war.  Daneben  sagte  Livius  risui;  Komiker 
deridiculo  und  irridiculo;  auch  ridiculo  kommt  vor.  Derisui  ist 
in  der  Prosa  neu,  aber  schon  aus  Phaedrus  1,  11,  2  belegt. 

Zufällig  berühren  sich  Seneca  de  situ  Indiae  und  der  Ver- 
fasser der  Germania  darin,  dafs  jener  von  den  Mündungen  des 
Ganges,  dieser  von  denen  der  Donau  spricht,  in  deren  Zählimg 
die  Geographen  vielfach  auseinandergehen.  Nach  Serv.  Aen.  9, 31 
gebrauchte  Seneca  die  Worte  novem  alveis  fluit,  wie  Pomp.  Mela 
3,  68  unum  alveum  facit,  während  Tacitus  bekanntlich  sagt:  donec 
Danuvius  in  Ponticum  mare  sex  meatibus  erumpat.  Natürlich 
soll  dies  nicht  gegen  die  Benützung  des  Seneca  geltend  gemacht 
werden,  so  wenig  als  wir  die  Gegen these  aufstellen  möchten, 
Tacitus  habe  seinen  Ausdruck  aus  Sallust  geschöpft.  Vielmehr 
zog  er  hier  eine  poetische  Wendung  vor  (Claud.  Get.  336  bifido 
meatu  divisus  Rhenus),  wie  er  überhaupt  das  Wort  meare  und 
Komposita  liebt  (Archiv  X  556),  und  wir  möchten  sie  deshalb 
als  sein  Eigentum  betrachten.  Nur  kann  sie  auch  nicht  zu  Gunsten 
des  PUnius  geltend  gemacht  werden. 

Dürfen  wir  das  Facit  aus  unseren  Betrachtungen  ziehen,  so 
ist  der  Beweis  von  der  sprachlichen  Verwandtschaft  von  Seneca 
de  situ  Indiae  (Aegypti)  mit  der  Germania  noch  rückständig;  was 
die  Gesamtanlage  dieser  Schriften  sowie  des  Catilina,  Jugurtha 
und  Agricola  betrifft,  so  erscheint  uns  das  Vorgebrachte  nicht  als 
beweiskräftig.  Sieht  man  sich  aber  nach  Analogien  in  der  Lit- 
teratur  um,  so  hat  wohl  Horaz  in  den  Oden  ein  anderes  Latein 
geschrieben  als  in  den  Satiren;  doch  hängt  dies  mit  der  ver- 
schiedenen Gedankenwelt  und  mit  dem  Wesen  von  Ode  und  Satire 
zusammen.  Auch  kann  man  hier  beobachten,  dafs  das  verschie- 
dene Genus  auch  den  verschiedenen  Ausdruck  bis  auf  das  Kleinste 
bestimmt.  Beispielsweise  verträgt  die  feierliche  Ode  keine  vul- 
garen Formen,  und  Horaz  hat  daher  in  den  Oden  an  27  Stellen 
nur  mihi  gebraucht,  in  den  Satiren  neunmal  nur  mi  und  ebenso 
in  den  Episteln.  Dafs  aber  ein  Historiker  in  zwei  ziemlich  gleich- 
zeitigen Schriften  einmal  einen  berühmten  Historiker,  das  andere 


124    I^d.  Wölfflin:  Die  Nachahmung  in  der  lateinischen  Prosa. 

Mal  einen  Philosophen  und  Naturforscher  zum  Vorbilde  genommen^ 
entbehrt,  soviel  wir  wissen,  jeder  Parallele.  Aber  noch  mehr. 
Seneca  hatte  nicht  nur  kein  tieferes  Interesse  fOr  Geschichte^ 
er  hatte  von  den  Germanen  nur  dilettantische  Vorstellungen.  Man 
lese  seine  rhetorischen  Phrasen  Dial.  1,  4,  14:  perpetua  illos  hiems^ 
triste  caelum  pr^mit,  maligne  solum  sterile  sustentat,  imbrem 
culmo  aut  fronde  defendunt,  super  durata  glacie  stagna  persul- 
tant,  in  alimentum  feras  captant.  Da  Tacitus  in  der  Germania 
das  genaue  Gegenteil  von  allem  dem  nachgewiesen  hat,  so  können 
wir  auch  nicht  glauben,  dafs  er  ihn  ziim  Vorbilde  nahm,  sei  es 
auch  nur,  um  eine  Disposition  zu  gewinnen,  die  er  selber  viel 
besser  allein  fand. 

München.  Ed.  Wölfflin. 


Vieatim.     Condecibilis. 

Die  im  Arch.  XI  356  von  Pokrowskij  für  seine  Konjektur  viea- 
tim angeführte  Placidusstelle  wird  kaum  richtig  sein;  es  wird  viel- 
mehr lieifseu  müssen:  vieatim]  per  vicos.  viciseim]  per  vices  aut 
per  singulos. 

Das  in  den  Glossen  tiberlieferte  Wort  conHecibilis,  welches  der- 
selbe Pokr.  im  Arch.  XI  368  richtig  gegen  die  Konjektur  conducibilis 
schützt,  ist  erhalten  bei  Greg.  Tur  p.  231,  19  Kr.  de  noverca  sua 
Fredegunde  regina  uon  condeoibilia  detractabat. 

München.  Ed.  Wölfflin. 


Proventare. 

Dieses  Frequentativ  gebrauchte  Naevius  in  seiner  Komödie  Ludus 
(der  Lydier,  was  freilich  Ribbeck  nicht  glaubt),  aus  welcher  Cicero 
Cato  mai.  20  nach  den  Ausgaben  citiert:  Proveniebant  oratores 
novi,  stulti  aduleseentuli.  Abgesehen  davon,  dafs  man  ein  Perfekt 
des  Stammverbs  erwartet,  wie  Sali.  Cat.  8  provenere  ibi  scriptorum 
magna  ingenia,  oder  ein  Plubqpf.,  hat  der  Codex  AshburuhamenBis 
proventabant,  der  ihm  verwandte  Coc).  L  nach  gefälliger  Mitteilung 
von  S.  G.  von  Vries  proveniebant,  P  und  L*  zwischen  der  Zeile 
provenient. 

Paris.  Louis  Havet. 


Miscellen. 


Znm  Thesanrns  Glossarnm. 

An^lltjui  senectus  quae  in  animis  cedi  ut  maledicta  in  viro  V 
440,  4.  Der  Gegensatz  zu  in  viro  läfst  in  fennnis  statt  in  animis  er- 
^warten.  Bern  maledicta  würde  concedifur  entsprechen.  Nach  senectus 
dürfte  ein  stärkerer  Ausdruck  ausgefallen  sein,  etwa  amentia  oder 
fatuitas  (vgl.  anilia  fatuitas,  amentia;  anilis  inanis,  nihil,  demens). 
Also:  anilitaw  senectus,  <^amentia,  fatuitas^,  quae  in  feminis  <^con]>- 
ceditur,  maledicta  in  viro. 

Beroe  nomen  orfei.  Schreibe:  Beroe  nomen  nymphae;  vgl.  Verg. 
Georg  4,  341.  Die  Korruptel  erklärt  sich  aus  der  Schreibung  noem- 
fae.     Ähnlich  Egeria  noxia  (st.  njmpha). 

Bibula.  Im  griech.  Interpretament  1.  &vaß6dkXovCa  st.  ava- 
ßdXXovCa. 

Bifores  ölvQxmoty  ölavXoi  11  30,  27  ist  vollkommen  richtig.  Es 
bezieht  sich  auf  Verg.  Aen.  9,  618  biforem  dat  tibia  cantum;  vgL 
Sery.  z.  d.  St. 

Boatar  ßovaxdaiov  U  259,  33.  bnstar  domus  ubi  boves  stant 
V  583,  13  u.  s.  w.  Trotz  Lindsay  the  Latin  lang.  S.  205.  250  ist  das 
"Wort  schwerlich  lateinischen  Ursprunges,  vielmehr  =  hebr.  bozra,  Hürde, 
Stall.  Dasselbe  Wort  als  Stadtnamen  haben  die  Griechen  mit  Boctga 
wiedergegeben.  Die  Römer  haben  es  wohl  aus  dem  Punischen  ttber- 
nonmien  und  volksetymologisch  an  bos  und  stare  angeglichen. 

Calabri  veraas  obsceni  Y  626,  32;  595,  61.  Calabrum  genus 
versuum  malorum  quasi  colobon  vel  iocularium  IV  30,  1.  —  Vgl. 
Hesych.  xaXaßQiad^elriaav'  jltvaC^UriCav,  Dieselbe  Bedeutung,  aber 
etwas  abweichende  Vokalisierung  hat  %6XaßQoq  bei  Athen.  IV  p.  165® 
imh  xfig  i(upvtov  yaöXQifiaQyiag  xal  ridvXoyiag  üokdßgovg  &vayiyv(aCKU. 
Der  Form  nach  näher  steht  wiederum  xalaßgiCfiog^  was  nach  Athen. 
XIV  p.  629*  einen  Tanz  bedeutet.  In  derselben  Bedeutxmg  bei  PoUux 
rV  100  xolaßqtafiog'  Sgamov  oQxrjfia  xal  KaQLxov;  vgl.  Hesych. 
xoXaßQl^Biv'  Ciuqxäv,  xoXaßQevofiivri'  xMoig  aXXo^iivfj,  Suid« 
xoXaß^KS^slri'  xXsvacd'eLij^  ovöevbg  Xoyov  ii^iog  vofiicd^elri.  Es  handelt 
sich  offenbar  um  Spottverse,  die  mit  mimischen  Tänzen  obscönen 
Charakters  vorgetragen  wurden.  Die  Formen  mit  o  machen  die  Ab- 
leitung von  xoXaßog  eher  verständlich.  Versus  in  V  626,  32;  595, 
61  gehört  wohl  nicht  zum  Lemma,  sondern  zum  Interpretament 


126  A.  Sonny: 

Carinantes  inludentes;  carinari  ;(a^(£VT/^£<r&ort;  oarinator  male- 
dicus,  conviciator.  Vgl.  Stowasser,  Wochenschr.  f.  kl.  Phil.  1891 
p.  1114. 

Carisa  yetus  lena  percallida,  unde  et  in  mimo  fallaces  ancillae 
cata  carisia  appellabantur  Plac.  V  15,  6  =  V  52,  20.  Man  darf  ver- 
muten, dafs  im  Mimus  oder  bereits  in  seinem  Urbilde,  der  dorischen 
Volksposse  (vgl.  Arch.  X  381),  eine  verschmitzte  Kupplerin  den  reden- 
den Namen  Xagiaia  führte,  der  dann  zum  Appellativ  wurde. 

Cerinea  nympha  aquae  V  564,  52.  cerere  nympha  V  276,  8. 
oaerine  aqua,  nympha  IV  216,  54.  Schreibe:  Oyrene  nympha  aquae. 
Vgl.  Verg.  Georg.  4,  321. 

Chroma  color  nomen  proprium  porus  V  566,  23.  Kontamina- 
tion: ohroma  color.  <^Cliaoniii8]>  nomen  proprium  portus.  Verg.  Aen. 
3,  293. 

Clatuna  vel  olaudine  furca  V  618,  19.  Vielleicht:  dlauBtra 
....  velut  Caudinae  furcae.  Die  Lücke  auszufüllen  nach  IV  434,  25 
olaustra  exitus  vel  aditus  angusti. 

EnoB  laetitiae  locus  IV  440,  24.  Die  älteste  und  beste  Hs.  der 
Glossae  Vergilianae,  der  Sangallensis,  bietet  laetiae  st.  laetitiae.  Schreibe 
also:  Aenos  Thraciae  locus.     Vgl.  Serv.  z.  Verg.  Aen.  3,  1. 

Expolita  famata  V  424,  59.     Lies  UmcUa, 

Extyraoia  insula  V  455,  15.  Vielleicht  Samothraoia  insula. 
Verg.  Aen.  7,  208. 

Faba  ririoa  id  est  platano  III  539,  11.  Doch  wohl  Faba  trita 
id  est  ptisanum. 

Faoilem  viotum  opulentam  et  divitem  IV  441,  45  bezieht  sich, 
wie  das  Femininum  des  Interpretamentes  lehrt,  nicht  auf  Georg.  2,  460, 
sondern  auf  Aen.  1,  445.     Statt  victum  ist  also  vidu  zu  schreiben. 

Fauer  asper  ravies  V  456,  6.  Vielleicht  Fauoes  asperae  ravies 
(Nebenform  vod  ravisV). 

FligUs  spiritalibus  vermis  spiritalibus  V  541,  1.  Etwa  FiatnliB 
spiritalibns  arteriis  (oder  venis)  sp.V 

Fy  licitum  IV  412,  3.     Ich  vermute  Fiat  licitum,  und   ebenso 

V  459,  54  Fiat  ita  praefatio  operis  statt  hyito  praef.  op. 

Qlauooma  offusio  oculorum,  nebula  terrae  V  298,  48.  L.  nebula, 
tenebrae. 

Qliritun  torpentem,  stupidum  V  614,  32.     GlirioB  somnolentus 

V  601,  6.  Dies  Adjektiv  dürfte  sein  Dasein  einem  Milsverst&ndnis 
verdanken.  Vgl.  Hieron.  adv.  Ruf.  HI  30  in  morem  glirium  toipentes. 
Ad  loann.  Hieros.  2  in  modum  glirium  immobilem  torpentemque. 

Hato  mendax  IV  242,  51  n.  ö.  Wohl  hlato:  vgl.  blato  fucraio- 
koyog  n  30,  47. 

Haurit  audit  vel  oret  IV  23,  37.  Vielleicht  audit  vel  videt 
(wie  V  2 29,  51  haurit  implet  aqua,  videt  oculis,  audit  auribus). 

Haurire  liberare,  erigere  V  270,  5.     Etwa  bibere,  exsiccare? 

lasitrossin  ^vel  iasytrosin)  Syriam  V  365,  17.  lasiOB  Tros, 
Samathrnoiam  <tenuit>V  Vgl.  Serv.  ad  Aen.  3,  167;  7,  207. 

Impaxare  immittere  V  305, 11.     Kein  Grund,  das  Wort  anzQ« 


Miscellen.  127 

zweifeln;  =  griech.  ifim^aceiv  (Nebenform  von  ifinrjyvvvat).  Vgl.  11 
85,  11  impingit  ifiTttjöasi.  11  296,  25  in&go  ■  ifinriöaa).  Der  Thes. 
Stephan!  führt  ans  Basüius  Magnus  die  Form  ifiniqaaovtat,  aus  den 
Homerscholien  die  Form  ifinriacofieva  an. 

Ima  sepulcri  porta  lY  445,  38  (gl.  Verg.).  Kontamination:  Ima 
sepulora  ....  (Verg.  Ecl.  8,  98)  und  <^Imae  foree^  ....  porta  (Verg. 
Aen.  2,  450). 

In  Tbraoia  mons  Chimaera  V  571,  15.  Nach  Serv.  ad  Aen. 
6,  228  ist  In  Cilioia  zu  schreiben. 

Laotea  galathea  in  496,  2.  Eine  glossa  inversa  zu  Vergil  (Aen. 
9,103;  Ecl.  1,31;  3,64;  7,37).  Schon  Duris  (argum.  ad  Theoer. 
id.  6)  leitete  den  Namen  der  Galatea  von  ydXa  ab. 

Masailia  provincia  V  554,  24.  Ich  sehe  keinen  Grund,  eine 
Verwechselung  mit  Massylia  anzunehmen.  Es  ist  Provincia  (=  Pro- 
vence) zu  schreiben. 

NaeteoB  (vel  neteos)  murus  V374,  13.  Neos  murus  TII  500, 
64.     Zu  Grunde  liegt  wohl  wog'  nurus.     Vgl.  1137 7,  34  nurus  wog. 

Nefatas  arade  aratro  V  313,  31.  Ich  vermute  Nefltis  (=Me- 
phitis;  vgl.  111562,  47  nespula;  V  468,  8  nilvus;  Archiv  IV  129; 
131;  132)  aer.  dea  putoris,  nach  Serv.  ad  Aen.  7,  84  Mephitis  pro- 
prie  est  terrae  putor  .  .  .  Alii  Mephitin  lunonem  volunt,  quam  aerem 
esse  constat.  Novimus  autem  putorem  non  nisi  ex  corruptione  aeris 
nasci  .  .  .  ut  sit  Mephitis  dea  odoris  gravissimi. 

Ninnaros  cuius  uxor  moechatur,  seit  et  tacet  V  375,  1.  mono, 
cuius  uxor  moechatur  et  tacet  IV  125,  5  u.  s.  w.  In  diesem  Ninnarus 
glaube  ich  eine  Figur  des  Mimus,  resp.  der  imteritalischen  Posse  er- 
kennen zu  dürfen.  Buecheler  hat  gut  auf  die  Hesychglosse  vavvd' 
Qiov  .  oOto  xakoviuvov  eldog  ti  aacoztoV  äfuivov  di  tov  xgv(p£Qbv  xal 
xakbv  &KOveiv  verwiesen.  Vgl.  femer  Phot.  vavagiötaC'  yivog  tt 
aötavov,  Hesych.  vavvaQCg'  TiCvatöog  und  vavvdioV  itaiiov.  Die 
für  die  meisten  Figuren  der  dorischen  Volksposse  so  charakteristische  Be- 
ziehung auf  den  Phallus  ist  in  folgender  Glosse  des  Hesych  enthalten: 
vdvog  .  inl  xcbv  (imq&v  .  mg  vdvov  Kai  aiöotov  ix^vrcc  fiiycc'  ot  yoiiv 
vuvoi  (uydXa  ijovoiv  alSota.  Über  die  Verbindung  der  Begriffe 
„phallisch^^  und  „dunmi"  {mono)  siehe  Archiv  X,  378.*)  Die  Formen 
mit  vctv-  (vai/v-)  und  mit  viv-  {yivv-)  wechseln  unter  einander.  Du- 
cange  weist  aus  byzantinischen  Schriftstellern  für  vdvog  Zwerg  die 
Nebenform  vtvdqtov^  für  vaviov  Puppe  die  Nebenform  vivlov  (vlvvIov) 
nach.  Hierher  gehören  vtvrjxog'  ccvorirog  .  ot  öe  vevCrjXogy  xal  vivi- 
atfri]^  Hesych. ;  vivriatog'  vofiog  7taiöaQi(oörjg  xal  Oqvyiov  fiiXog  idem. 
Vgl.  auch  vBvog'  svri^rig  idem. 


Zu  den  Quellennachweisungen  wäre  noch  nachgetragen  aus  Vergil: 
ab   alto   deicit    (mit  dem  cod.  Leid,  deiecit  zu  schreiben)    praeci- 


1^  Zu  dem  dort  Beigebrachten  kann  ich  eine  weitere  Parallele  aus  dem 
Italienischen  fügen:  minchione  heifst  „Dummkopf",  minchionare  „foppen", 
von  minchia  «.  mentula. 


128    A.  Sonny  —  Ben.  Dombart  —  Rieh.  Förster  —  W.  Heraeus: 

pitat  =  A.  5,  542  deiecit  ab  alto  (Umstellung  wie  amoris  pignus 
affectionis  vinculum  =»  A.  5,  538  pignus  amoris).  Acrisius  filius 
Oratiae  =  A.  7,  372.  Adlabimur  deferimur,  navigando  decurrimus 
(S.  51)  =  A.  3,  131.  569.  Bella  cient  =  A.  1,  541  (nicht  1,  48). 
Bifrons  lanus  =  A.  7,  180;  12,  198.  Berecjntia  mater  deorum 
=  A.  9,  82  (vgl.  6,  785).  Brevibus  asperis  =  A.  10,  289. 
Candida  pulchra,  sancta  =  A.  8,  138.  Cecropidae  Athenienses 
=  A.  6,  21.  coeant  couveniant  =  A.  11,  292.  Egregiam  magnam 
praeclaram  =  A.  1 ,  445  (eher  als  4,  93).  Frondentibus  =»  A.  3, 
25.  6.  4,  24.  Frondosa  ramosa  =  Ecl.  2,  70.  Gestamen  6%ipttQov 
=  A.  7,  246.  Grave  olens  =  A.  6,  201.  G.  4,  270.  öressi  in- 
cedentes  =  A.  6,  633.  Impulit  adegit,  percussit  (S.  547)  =■  A.  1,  82 
(nicht  S.  4,  349).  Improperatus  =  A.  9,  798.  Incendia  clades, 
aeruinna  =  A.  1,  566.  Ineo  bellum  =  A.  7,  647.  Ineo  somnum 
=  Ecl.  1,  56.  Infantum  vt}7tl(ov  =  A.  6,  427.  Inflicta  =*  A.  10, 
303.  Inhians  intente  aspiciens  =  A.  4,  64.  Iniussus  avTOfpvrig, 
iniussa  non  missa  =  G.  1,  55.  In  triviis  =  Ecl.  3,  26.  Irrisam 
delusam  =  A.  5,  '212.  Madens  aspersus  unguento  =»  A.  4,  216. 
Maen alias  (1.  Maenalio^)  pastorales  =  Ecl.  8,  21.  Namque  tibi 
=  A.  1,  65.  —  Aus  Mart.  3,  67,  10  stammt  Argonautes  piger 
nauta  (vgl.  Friedländer  z.  d.  St.);  aus  Mart.  11,  77  cacaturit  %«{>/- 
na  und  conclave  &(peÖQ(xtv.  —  Dux  gregis  &yeldQxtig  geht  vielleicht 
auf  Ovid  Met.  5,  327  zurück. 

Kijew.  A.  Sonny. 


Campania,  die  Ebene. 

Die  Angabe  des  Plinius  nat.  h.  18,  360  über  den  dem  Gewitter 
vorausgehenden  fragor  ist  in  den  letzten  Jahren  Gegenstand  philo- 
logischer Kontroversen  geworden.  Nach  Silligs  Ausgabe  sollte  sich 
derselbe  'in  campis'  äufsem,  was  einen  vorzüglichen  Sinn  giebt  wegen 
des  Gegensatzes,  'sonitus  montium'.  Als  wir  aber  belehrt  wurden, 
dafs  in  den  ältesten  Handschriften  campanis  oder  campanus  über- 
liefert ist,  mufste  Silligs  Lesart  an  Glaubwürdigkeit  verlieren.  Aus 
diesem  Grunde  schlug  Wöliflin  vor,  in  campanis  als  Neutr.  plur.  zu 
fassen  nach  Analogie  von  montana,  edita  u.  ä.  Doch  fehlten  Belege 
dieses  Sprachgebrauches  aus  der  Zeit  des  älteren  Plinius. 

Die  Erklärung  von  Georges,  welcher  in  campanis  auf  'Glocken' 
bezieht,  fällt  darum  dahin,  weil  campana  =  Glocke  erst  in  der  Zeit 
um  500  nach  Christus  auftaucht.  Retten  liefse  sie  sich  nur,  wenn 
man  zu  campana  ergänzen  wollte  'vasa',  wie  Samia,  und  diesen  Aus- 
weg zeigte  Wölfflin  in  seinen  Beiträgen  zur  lateinischen  Lexikographie, 
Sitz.-Ber.  d.  bayr.  Akad.  1900,  S.  4  und  30. 

Das  Richtige  ist  in  der  Hauptsache  aus  Du  Cange  zu  gewinnen. 
In  der  Überlieferung  Hn  campanus'  steckt:  in  campaniis,  womit  wir. 


Miscellen.  129 

sachlich  genommen,  auf  den  ersten  Weg  zurücklenken.  Dieser  Aus- 
druck ist  zwar  nicht  klassisch,  aber  wenigstens  durch  die  Gromatici 
bezeugt.  Yergl.  vol.  I  332,  22  Lachm.  si  in  campaniis  fuerit .  .  .  si 
autem  montuosum;  331,  19  si  in  montioso  loco  fuerit .  .  .  si  in  cam- 
paneis.  Hier  ist  es  leicht  loca  zu  ergänzen,  oder  ohne  £llipse  an 
ein  Neutr.  plur.  zu  glauben;  vgl.  310,  4  in  monte  ...  in  planis  locis. 
Man  kann  aber  auch  an  ein  Femininum  campania  (=  regio  campe- 
stris)  denken,  worauf  der  Name  der  Landschaft  Campania  hinweist. 
Jedenfalls  lebte  eine  zweite  Ableitung  campanius,  campaneus,  wenn 
auch  die  Schrift^rache  das  erste  Derivatum  campanus  beibehielt. 
Vgl.  Corp.  Gloss.  II  96  Campania:  Ttsöidg. 

Ansbach.  Ben.  Dombart. 


Znm  Oenetivas  qaalitatis. 

In  seiner  historischen  Untersuchung  (Arch.  XI  489)  hat  Edwards 
mit  Recht  auf  den  Gebrauch  bei  den  Scriptores  physiognomonici  hin- 
gewiesen, namentlich  auf  Polemo;  dabei  sind  aber  zwei  Versehen 
untergelaufen.  Denn  was  er  N.  88,  20  dem  Polemo  zuschreibt,  ist 
Übersetzung  aus  dem  Arabischen  von  Hoffmann,  und  die  Stelle  unter 
N.  98  (S.  489,  Ende)  aus  Pseudo- Polemo  Latein  des  Unterzeichneten. 
Vgl.  Prolegom.  pg.  LXXXI  und  CLXXVII. 

Breslau.  Rieh.  Förster. 


Simo  =  delpliinns. 

Bei  Hygin  fab.  134  (p.  114,  21  Schm.)  erscheint  unter  den 
Namen  der  in  Delphine  verwandelten  tyrrhenischen  Schiffer,  welche 
Ovids  Erzählung  entnommen  sind,  auch  der  Name  Simon,  den  Ovid 
nicht  kennt  imd  die  Kommentatoren  nicht  erklären.  Wie  kommt  er 
in  diese  Gesellschaft?  Loewe  Prodr.  331,  bez.  praef.  XIV,  merkt 
zu  den  Worten  des  Lucilius  (VII,  14  L.  Mr,  v.  242  Lachm.) 

si(cy  movef  ac  simat  nares,  delphinus  ut  oihn 
aufser  einer  Glosse  delfin: selo,  in  der  er  semo  korrigiert,  eine  Stelle 
aus  den  von  Mai  herausgegebenen  Statius-Scholien  Achill.  I,  56  an: 
(lelphines  quando  praeludunt  in  fluctibtis  et  undarum  sc  tnotibus  salfu 
praccipiH  ferufU,  tempestates*)  sig^nificare  videntur.  In  proprie  sc  man  es 
nomnantur.  Näher  lag  es,  auf  die  Quelle  dieses  Scholions  hinzu- 
weisen: Isid.  er.  12,  6,  11,  der  wörtlich  ausgeschrieben  ist  (auch  die 
Glosse  s'ttnones:ddphini  in  einem  Glossar  des  10.  Jahrh.  C.  Gl.  V,  526,  2 


^)  Zur  Sache  vgl.  das  Fragment  aus  Suetons  Prata  bei  Isid.  r.  n.  38. 

AnhiY  tax  Ut.  Lexikogr.    XU.    Heft  ].  ^ 


130  W.  Heraeus  —  Alfr.  Klotz  —  Ed.  Wölfflin: 

geht,  wie  vieles  andere  darin,  auf  Isidor  zurück).  Aber  auch  Isidora 
Quelle  liegt  nicht  fem:  Plin.  n.  h.  9,  23  dorsum  rejyandum,  rostrum 
simum,  qua  de  causa  nomen  Simonis  onines  miro  modo  agnoscunt 
malunfque  ita  appellari.  Also  wegen  seines  platten  rostrum  wurde 
der  Delphin  vom  Volk  simo  genannt,  das  neben  simus  (atjiog)  steht, 
wie  das  verwandte  silo  neben  silus  u.  a.,  und  in  den  Lexicis  nach- 
zutragen ist,  bei  welcher  Gelegenheit  auch  der  Irrtum  der  Wörter- 
bücher bemerkt  sein  mag,  die  den  Eigennamen  der  Komödie  Simo 
mit  langem  Vokal  der  ersten  Silbe  bezeichnen  (sowohl  durch  Horaz 
a.  p.  238  als  auch  durch  zahlreiche  Stellen  in  Terenz  Andria  steht 
die  Kürze  fest).  Man  erinnert  sich  auch  der  Worte  des  Livius  trag. 
V.  5  R.  lascivum  Kerci  simum  pecus  ludens  ad  cantum  dassem  lustra- 
tur  und  wird  auch  den  bei  Athenaeus  ^12  B  erwähnten  Nilfisch 
6L}iog  mit  dem  von  Plin.  n.  h.  8,  91  beschriebenen  delphinartigen  Nil- 
fisch identifizieren  dürfen. 

Offenbach  a/M.  W.  Heraeus. 


Thyrsa,  Neutr.  plur. 

Der  heteroklitische  Plural  thyrsa  ist  meines  Wissens  im  Lateinischen 
noch  nicht  belegt.  Im  Griechischen  findet  er  sich  z.  B.  Anth.  Pal. 
VI  158,  in  einem  Epigramm  des  Sabinus  Grammaticus:  Ilavl  Bitaiv 
'llfiagov^  Nvfiq)ai,g  Qoöa^  d'VQCa  Avaifo^  xqiöoov  vn  evnBtdXotg  öcl)QOv 
s^TjKB  q>6ßatg.  Das  Epigramm  gehört  entweder  in  den  Meleagrischen 
oder  Philippischen  Kranz,  also  auf  jeden  Fall  spätestens  in  die  Zeit 
des  Tiberius.  Auch  im  späteren  Epos  findet  sich  ^vQöa:  Nonn.  38, 
55  Avalov  ae£(ov  eijia  ^vgCa  mal  ov  nccvoTtrjtda  ddfpvtjv. 

So  werden  wir  auch  bei  Stat.  Ach.  1,  950  (2,  216)  dem  Zeug- 
nis des  trefflichen  Puteaneus  trauen  dürfen,  in  dem  überliefert  ist: 
tu  thyrsa  manu  Baccheaque  mecum  sacra,  quod  infelix  non  credet 
Troia,  tulisti;  cf.  1,  648. 

München.  Alfred  Klotz. 


Gfittweiger  Italafragmente. 

Die  Bibliothek  der  Benediktinerabtei  Göttweig  in  Niederöster- 
reich besitzt  laut  Manuskriptenkatalog  Band  I  Seite  65  zwei  Perga- 
mentblätter mit  Uncialschrift  des  VII.  Jahrhunderts,  welche  Abschnitte 
einer  lateinischen  Bibelübersetzung  enthalten,  nämlich  I  Vorderseite: 
Epist.  Rom.  5,  16—21.  6,  1—4.  Rückseite  6,  6—18.  H  Vorder- 
seite: Epist.  Gal.  4,  6—19.    Rückseite  4,  22—30.  5,  1.     Beide  Blätter 


Miscellen.  131 

dienten  ursprünglich  als  Einbanddeckel  einer  Pergamenthandschrift 
und  sind  aus  dieser  abgelöst  worden.  Die  Kenntnis  dieser  Fragmente 
verdanke  ich  dem  verstorbenen  Gynm.-Direktor  Wilhelm  Schmitz  in 
Köln.  Da  die  Lesarten  teils  mit  der  Vulgata  des  Hieronymus,  teils 
mit  der  Itala  stinmien,  so  ist  anzunehmen,  dafs  die  Übersetzung 
zwar  aus  einem  Italacodex  flofs,  dafs  aber  einzelne  Stellen  nach  der 
Vulgata  abkorrigiert  wurden.  Am  deutlichsten  beweisen  dies  vier 
Stellen,  welche  mit  Bibelcitaten  bei  Tertullian  und  Cyprian  überein- 
stimmen, nämlich:  Rom.  6,  6  conlixus  est  cruci  ==  Tert.  pud.  17 
(Vulgata  crucifixus).  G,  8  simul  convibemus  cum  illo  =  Tert.  ibid. 
(Vulgata  simul  vivemus  cum  Christo).  In  beiden  Fällen  hat  die  Itala 
das  griechische  Original  (avviöxavQa&tj  und  övjijdofuv)  genauer  wieder- 
gegeben als  die  Vulgata.  Gal.  4,  9  quomodo  revertimini  iterum  ad 
infirma  elementa  =  Tert.  Marc.  5, 4  (Vulgata  convertimini;  i7tiöTQiq>sri). 
4,  16  vobis  verum  praedicans  =  Cypr.  epist.  4,  5  cod.  Bob.  (Vulgata 
verum  dicens  vobis;  akrjd'evGiv  vfiiv). 

Aufserdem  stimmt  der  Göttweiger  Text  gegen  die  Sixto-Clemen- 
tinische  Vulgata 

1.  mit  codex  Claromontanus:  Rom.  6,  9  surgens  a  mortuis 
(Vulgata  resurgens  ex  mortuis;  iyigd^elg  in  vfx^öv).  Gal.  4,  7  ita 
(Vulg.  itaque;  ßtftc).  4,  15  quae  ergo  fuit  (Vulg.  ubi  est  ergo;  xlg  ovv 
rpf).    4,  25  huie  .  .  .  servit  enim  (Vulg.  ei  ...  et  servit;  öovXevh  ob), 

2.  mit  codex  Boernerianus:  Rom.  5,  19  oboedien tiam  (Vulgata 
obeditionem;  VTrofxo^j).  ibid.  constituuntur  (Vulg.  constituentur;  naxa- 
az€i^](5ovxcii).  6,  14  peccatum  in  vobis  non  dominabitur  (Vulg.  vobis; 
vik&v  xvquvCEi).  ihkl.  estis  sub  lege  (Vulg.  sub  lege  estis;  ioxl  vnh 
vonov).  6,  15  peccavimus  (Vulg.  peccabimus;  cciiaQTrjCOfuv).  6,  16 
oboedistis  (Vulg.  obeditis;  xmaKovexs).  Gal.  4,  23  promissionem  (Vulg. 
repromissionem;  inayyekUxg).  5,  1   State  ergo  (Vulg.  State;  axi]7uxe). 

3.  mit  cod.  Ciarom  und  Boern.:  Gal.  4,  7  si  autem  filius  (Vulg. 
quodsi  filius;  sl  öh).  4,  10  annos  et  tempora  (Vulg.  tempora  et  annos; 
TuxiQOvg  xal  ivucvxovg).  4,  12  ego  (Vulg.  et  ego;  xaycb).  4,  13  scitis 
(scitis  autem;   otÖaxe  öi).    4,  23  ille   quidem   qui   (Vulg.  qui;    6  ^ev). 

4,  26  quae  autem  (Vulg.  illa  autem  quae;  i^  ös).  4,  29  sicut  (Vulg. 
quomodo;  ZcTteg). 

4.  mit  Fuldensis:  Rom.  6,  4  quemadmodum  (Vulg.  quomodo; 
&cneQ).  Gal.  4,  27  exclama  (Vulg.  clama;  ßoriöov). 

5.  mit  Amiatinus:  Rom.  6,  16  ad  mortem  fehlt. 

Endlich  aber  bieten  die  Göttweiger  Fragmente  29  selbständige 
und  singulare  Abweichxmgen,  welche  wir  aufzählen.  Rom.  5,  16  sancti- 
ficationem  (iustificationem;  dtxa/ofior).  5,  18  omnes  zweimal  (in  omnes). 

5,  21  ita  gratia  (ita  et  gr.;  oCfrw  xai  rj  x^^^ff).  6,  3  fratres,  nach 
ignoratis  (fehlt  in  der  Vulgata  sowie  im  griechischen  Texte).  6,  9 
hoc  scientes  (scientes;  eidoxeg).  ibid.  ei  (illi;  avxav).  6,  11  itaque  (ita; 
(Aken),  ibid.  vivere  (viventes;  i&vxag).  ibid.  fehlt  in  Christo  lesu  do- 
mino  nostro.  6,  13  fehlt  deo.  6,  15.  16  quia  (quoniam;  oxi).  6,  16 
vos  exhibetis  (exhibetis  vos;  naQLaxdvexs).  ibid.  iustitiae  lidei  (obedi- 
tionis  ad  iustitiam;  vTcaxoTjg  eig  ötKaioövv)}v),   Galat.  4,  9  cog;ivo?k^^Tv\ß,^ 


132        Ed.  Wölfflin  —  Aug.  Zimmermann  —  Elia  Lattea: 

(cum  cognoveritis ;  yvovxBg),  4,  12  rursus  ut  antea  (denuo;  nahv). 
4,  12  quoniam  ego  (quia  et  ego;  ort  xayo)).  ibifl.  praecor  (obsecro; 
diofiai).  4,  13  iam  pridem  evangelizavi  vobis  (andere  Wortstellung). 
4,  IT)  quae  ergo  fuit  beatitudo  (ubi  est  ergo  b. ;  tlg  oiv  fpf).  ibid. 
testimonium  (testimonium  enim;  (Mx^VQob  yctQ)-  4,  16  factus  sum 
vobis  (vobis  factus  sum).  4,  24  quod  est  Agar  (quae  est  Agar). 
4,  25  mons  in  Arabia,  quae  coniuncta  est  (qui  coniunetus  est).  4,  27 
quoniam  (quia;  ort). 

Wichtige  Ergebnisse  lassen  sich  aus  diesen  Fragmenten  nicht 
gewinnen,  auTser  dafs,  wie  die  zuerst  angeführten  Stellen  beweisen, 
die  Schriftsprache  gegen  die  mit  con  zusammengesetzten  Verba  etwas 
zurückhaltend  war,  wie  wir  umgekehrt  wissen,  dafs  die  Volksaprache 
einen  Überschufs  besafs. 

München.  Ed.  Wölfflin. 


Zar  lateinischen  Wortbildung. 

1.  Eine  bis  jetzt  unbekannte  Bildung  eines  Substantivs  auf  o 
von   einem   Verb   ist   concresco   „Jugendgenosse"  —  cf.  C.  I.  L.  YL 

29063  D.  M.  Vitali toncresconi    —    gebildet    wie    combibo. 

Dazu  giebt  es  ein  Feminin  concresconia,  vgl.  C.  I.  L.  VI  30467  D.  M. 
(FeliciV)tati  concresconiae.  Aber  auch  ein  Substantiv  cresco  —  vom 
Verb  cresco  ebenso  gebildet  wie  bibo  von  bibo  —  wird  es  gegeben 
haben;  denn  ein  davon  abgeleitetes  cognomen  Cresconius  finden  wir 
nicht  selten,  z.  B.  C.  I.  L.  VIII  2403  (l,  21)  Sessius  Cresconius. 

2.  Wir  kennen  bu-bulcus  und  su-bnlcus;  aber  es  wird  auch 
o-bulcus  „Schafliirt"  gegeben  haben.  Denn  das  n.  g.  Obulcius  —  cf. 
C.  Obulcius  C.  f.  C.  I.  L.  I  1428  und  sonst  —  setzt  ein  cognomen 
Obulcus  voraus.  Nun  sind  auch  bubulcus  und  subulcus  zur  Namen- 
gebung  verwandt  worden.  Vgl.  C.  I.  L.  I^  F  IX  720  „C.  Salvius  Bu- 
hulciis^''  und  sonst  und  C.  I.  L.  II  5551  „Manlia  Cn.  f.  Clodia  Subul- 
chiilla.  Wenn  für  au-bubulcus,  das  Löwe  Prodr.  348  bringt,  Baehrens 
schreiben  möchte  au-bulcus  (Jen.  Lit.  1877  p.  156),  so  werden  wir 
ihm  mit  Rücksicht  auf  das  oben  erschlossene  obulcus  beistimmen  und 
werden  obulcus  gegenüber  aubulcus  als  die  vulgare  Form  betrachten 
—  vgl.  Olus  neben  Aulus  — .  Aubulcus  würde  dann  aus  avi-bülcus 
entstanden  sein  und  zu  ovis  in  demselben  Verhältnisse  stehen  wie 
o-pilio  (vgl.  [alTtokog^  ifi-noXog)  avillus.  In  vortoniger  Sübe  nämlich 
hat  sich  nach  Hirt,  der  Ablaut  §  35  a,  lat.  ov  in  av  verwandelt. 

Breslau.  Aug.  Zimmermann. 


Mater!  mater(e). 

Diese   wichtigen    vulgärlateinischen    oder    wenigstens   etruskisch- 
lateinischen  Formen,  die  ich  schon  mehrmals  nachgewiesen  habe  (zuletzt 


Miscellen.  133 

Saggi  e  Appunti  138,  wo  patvri  zu  streichen),  sind  sowohl  von  Lindsay 
(Latin  Lang.  145—147)  als  von  Stolz  (Hist.  Gr.  196—201)  über- 
sehen worden,  sodafs  der  erste  dieser  Gelehrten  immer  noch  nur  osk. 
paterei  neben  nmafrefs  (vgl.  Planta  I  261)  erwähnt;  dabei  hatte  ich 
auch  auf  sabell.  materesh  paferesh  (Pauli,  Venet.  220  mafereso  pattreso) 
nach  Bendic.  Ist.  Lomb.  1891  p.  181  (vgl.  jetzt  Pascal,  Atti  Accad. 
di  Torino  1895 — 96,  p.  33)  hingedeutet,  wozu  jetzt  als  Curiosum 
wohl  noch  phryg.  materez  maferan  nach  Pauli,  Vorgr.  Lischr.  Lemn. 
n  32,  hinzuzufügen  sein  wird.  Auffallender  scheint  mir  aber,  dafs  von 
lat.  etrusk..  materi  auch  Pauli  C.  L  E.  1573  =  C.  I.  L.  XI  2234  keine 
Notiz  genommen  hat,  da  er  es  doch  selbst  aus  seinen  Schaden  für 
CLL.  XI  3071  (Horta,  Ti.  Tuccio  patri  CcUiae  materl  u.  s.  w.)  kennen 
mufs.  In  der  That.  schreibt  er  a.  a.  0.  einfach  «lege  Thanusa  To- 
ceronia  mater,  Thania  Selia  ncUa;  de  addito  mater  cf.  paiir  supra 
no.  1145  {Lart  Marc  Ar.  f,  pafr)  et  filius  supra  no.  1062  (Q.  Tre- 
hon'ms  Q.  f.  filius):^.  Nun  erstens,  während  von  filius  in  dieser  An- 
wendung noch  mehrere  andere  Beispiele  in  den  lat.  etr.  Inschriften 
vorkommen  (CLL.  XI  2023,  2068,  2150,  zweimal  2603«)  und  wäh- 
rend schon  dadurch  die  analoge  Anwendimg  von  patcr  höchst  wahr- 
scheinlich wird,  welche  man  übrigens  wirklich  wenigstens  durch  ein 
Beispiel  auch  erwiesen  findet  (C.  I.  L.  XI  3038  C.  Turio  L.  f.  Kmn  pafri\ 
giebt  es  für  matcr  bis  jetzt,  soviel  ich  weifs,  kein  zweites  und  also 
kein  einziges  sicheres  Beispiel.  Zweitens,  es  genügt  C.  I.  L.  XI  2280 
A.  Prasna  Ar,  liav(eia)  matre,  2231  Q.  Hcrmfa]  Capito  matr(e) 
Taniisa  Atina  (nicht  Axina)^  wo  Pauli  selbst  wa^/rr/  liest  (C.LE.  1586), 
zusammen  mit  lat.  etr.  materi  zu  vergleichen,  um  die  Berechtigung 
und  den  Vorzug  meiner  alten,  von  ihm  übersehenen  Lesung  und 
Deutung  Thanusa  Toceronia,  mater (e)  Thania  Selia  tmfa  anzuerkennen 
und  dadurch  neben  materi  auch  mater (e)  zu  gewinnen.  *  Dazu  sei  noch 
gelegentlich  an  lat.  gall.  CLL.  V  6251  (Mailand)  Pateri  Celeriani  er- 
innert. 

Mailand.  Elia  Lattes. 


Litteratur  1899.  1900. 

Lexique  de  Flaute  publie  sous  la  direction  de  J.  P.  Waltzing 
professeur  a  Tuniversite  de  Liege.  A  —  ACCEPIO.  Louyain, 
Charles  Peeters,  editeur-libraire.    1900.    IV  +  99  S.     8^    3  Fr. 

Nicht  erste  Lieferung,  sondern  'un  essai  provisoire*  ist  nach  der 
Vorbemerkung  des  Herausgebers,  was  hier  geboten  wird.  Die  Kritik 
soll  abgewartet  werden,  ehe  das  Lexikon  seine  endgültige  Gestalt  er- 
halt. Diese  Probe  ist  allerdings  nicht  nur  vom  Endgültigen,  sondern 
von  dem,  was  den  bescheidensten  wissenschaftlichen  Ansprüchen  ge- 
nügen könnte,  sehr  weit  entfernt. 

Zwar  das  Letzte  der  Arbeit,  die  Ordnung  und  übersichtliche  Ein- 
teilung des  Stoffes,  ist  recht  befriedigend  ausgeführt  und  kann  schon 
jetzt  für  so  wichtige  Artikel  wie  a,  ah,  ahs  (wo  die  Arbeit  von  Rolfe 
vorlag)  und  ar,  afqur  nützlich  und  hilfreich  sein.  Überflüssig  er- 
scheint die  vollständige  Liste  der  Wörter,  vor  denen  diese  Partikeln 
im  Satze  erscheinen  (2y2  und  67,  Seiten)*),  also  z.  B.  der  je  25  mit 
a  und  p  anlautenden  Wörter,  vor  denen  ab,  a  steht,  der  kaum  zähl- 
baren mit  Vokalen  anlautenden,  vor  denen  atque  steht.  Hier  ist  Be- 
schränkung auf  das  Wesentliche  vorzuziehn:  ah  nicht  vor  hpmfvcgq 
(quo  ah  caveas  bestätigt  die  Regel,  über  ah  viro  s.  u.),  a  nicht  vor  j 
und  (nur  ah  re  und  einmal  ah  raflldhus)  r**);  sonst  vielleicht  für 
das  Seltnere  die  Belege,  für  das  Häufigere  Zahlen,  ^abaeto,  voy.  abeto*^ 
d.  h.  Lemma  Avird  die  Form  mit  dem  orthographischen  Fehler,  die 
überdies  nicht  überliefert  ist  (Bacch.  1172  ahcas,  und  richtig,  unter 
aheo  fehlend),  ^ahdifivos  enleve,  soustrait  a',  d.  h.  ein  Wort,  das  es 
wenigstens  bei  Plautus  nicht  giebt.  Unter  den  Formen  von  abeo 
wird  aufgeführt  ahi<^iyftfi  mit  4  und  abist l  mit  3  Stellen:  an  jenen 
ist  ahiisfi  metrisch  erforderlich,  an  diesen  ahisfi  nicht  metrisch  er- 
forderlich; was  soll  dasV  ahcam  soll  (S.  23)  Synizesis  erleiden  in  den 
Versen  Mil.  1083  {smifr  ahrdm  in  Anapästen)  und  1343  (quam  (ths 
tc  fiheam  trochäischen  Septenar  beginnend).  Die  Stelle  Stich.  523  ist, 
wie  sie  S.  43  ausgeschrieben  ist,  nicht  richtig  verstanden.    Zu  Afticis 


*)  Darunter  z.  B.  8.  1  Merc.  811,  wo  n  familia  für  ac  fnmiliaif  Most.  644, 
wo  (imagni.s  fiu*  magnis  verschrieben  ist,  S.  45  Poen.  1405,  wo  acmassum 
sinnlos  und  ac  ausgeschlossen  ist. 

**)  Hier  ein  paar  Fehler,  wie  ich  sie  sonst  nicht  gefunden  (freilich  auch 
nicht  gesucht;  habe:  Stich.  225  gehört  zu  a  rohis,  Men.  837  und  Trin.  983 
zu  ah  hin. 


Litteratur.  135 

Merc.  837  (S.  7.  37)  ist  nicht  rebus  zu  verstehen,  sondern  inhe,  civi- 
täte.  S.  38  s.  dbripio:  Most.  385  abripife  hunc  (sc.  pafrem)  ist  mifs- 
yerstanden. 

Aber  dergleichen  wäre  jetzt  zu  korrigieren  und  künftig  zu  ver- 
meiden. Das  Wichtigste  an  einem  für  wissenschaftlichen  Gebrauch  be- 
stimmten Speziallexikon  ist  das  Verhältnis  des  Verfassers  zum  Texte 
und  damit  die  Beurteilung  der  Überlieferung,  die  Orientierung  des 
Benutzers  über  die  Zuverlässigkeit  jedes  einzelnen  Citats.  Wo  die 
kritische  Arbeit  nicht  vor  der  lexikalischen  geleistet  ist,  da  kann 
weder  ein  brauchbares,  noch  ein  zwar  unvollkommenes,  aber  der  Ver- 
besserung fähiges  Lexikon  entstehen.  Die  Bearbeiter  dieses  Plautus- 
lexikons  haben  aber  offenbar  überhaupt  kein  Verhältnis  zum  Texte 
des  Plautus. 

Über  die  99  Seiten  ist  eine  Saat  von  Kreuzen  ausgestreut.  Nach 
der  Vorbemerkung  bedeutet  das  Kreuz  ^texte  ou  metre  corrompu'; 
dazu  Sterne  als  Lückenzeichen.  Nun  stehen  die  Kreuze  zu  mindestens 
fünf  Sechsteln  vor  heilen  Wörtern.  Wenige  Beispiele:  S.  22  sind  die 
51  Stellen  mit  abeo  hergezählt,  darunter  ^Aul.  377  fabeo^]  über  (theo 
iratus  Ulinc  mag  man  sonst  denken,  wie  man  will,  an  abeo  hat  nie- 
mand gezweifelt  und  könnt«  niemand  zweifeln.  S.  5  Trin.  885  si  anie 
lucem  fire  ovcipias  a  nwo  primo  nomine,  S.  10  Capt.  790  nwve  ups 
te  '\  moram  atque  afje  hanc  rem,  S.  14  Capt.  415  '\merlto  tibi  ea  eve- 
nerunt  a  me,  S.  16  Poen.  690  fte  (juaeritare  a  muscis^  S.  21  Truc.  541 
aceipe  hoc,  fabduce  Jiasce  hinc  e  canspectu  Suras,  S.  28  Amph.  639 
atqu^  is  repetüe  abiit  a  me  *hinc  ante  lucem,  S.  30  Pers.  855  "fabi 
intro  in  crucem  und  so  fort:  keine  dieser  Stellen  vielleicht  hat  ein 
korruptes  Wort,  sondern  entweder  einen  der  gewöhnlichen  Hiat« 
(Capt.  415,  in  in  Trin.  885)  oder  einen  Wortverlust  (Truc.  541)  oder 
sie  klären  sich  durch  richtige  Beurteilung  des  Metrums  auf  (Capt. 
790,  Amph.  639)  oder  durch  Interpretation  (Pers.  855)  oder  sie  sind 
noch  nicht  aufgeklärt  (Poen.  690);  aber  in  keinem  dieser  typischen 
Fälle  ist  es  gestattet,  das  Urteil  des  Benutzers  durch  ein  allgemeines 
Korruptelzeichen  zu  binden.  Wo  ein  wirkliches  spezifisches  Bedenken 
vorhanden  ist,  mufs  dieses  bezeichnet  werden.  Ein  Plautuslexikon,  das 
z.  B.  jeden  wirklichen  oder  vermeintlichen  Hiatus  durch  Kreuz  bezeichnet, 
führt  den  Benutzer  in  die  Lrre:  es  setzt  den  Flufs  der  Untersuchung 
in  ein  Bild  dogmatischer  Starrheit  um  und  verdunkelt  die  Thatsache, 
dafs  die  Verse  mit  Hiat  meist  heile  Sätze  geben.  Schlimmer  ist  die 
unzulängliche  Interpretation.  Auf  S.  51  findet  sich  (unter  atque); 
'Most.  869  fw/'  un^' atque  *♦*  Bacch.  1186'.  Wer  sich  damit  nicht 
begnügt,  findet  die  Sätze  (anapästisch):  ut  adhuc  fuit  müii  corium  esse 
opo)iet,  sincerum  atque  ut  votem  r erber ari  und  qu'ul  t andern?  si  dimi- 
dium  auri  rcdditur,  in  hac  mecum  intro?  atque  ut  eis  ddieta  i{fnoscaSy 
die  beide  tadellos  sind  und  beide  atque  ut  in  gleicher,  besonders  aus- 
geprägter Verwendung  zeigen;  wer  sie  nicht  für  tadellos  hält,  darf, 
wenigstens  als  Lexikograph,  dem  Urteil  des  Benutzers  nicht  still- 
schweigend vorgreifen.  Auf  S.  19  (VI  4)  findet  sich  ein  Verzeichnis 
von  'passages  corrompus'   (mit  a)\    Cist.  335.  371   (vom   einen    Verse 


136  Litteratur. 

ist,  im  Palimpsest,  nur  ibo  a — ,  vom  andern  zu  Anfang  at  e§o  n — 
erhalten,  d.  h.  beliebige  mit  a  anlautende  Wörter)  Mil.  940  (dalne  ah 
se  mulier  opcrnmY  woran  ich  nichts  auszusetzen  weifs;  überliefert  ab 
si)  1335  (lahm  ah  labellis  (^atiyfer,  wo,  wer  zweifeln  mag,  doch  nur 
am  Verbum,  nicht  an  ah  zweifeln  kann)  1383  {ah  isto  aufcrre  zweifel- 
los) Truc.  525  (hier  ist  statt  ah  nequco  in  den  Handschriften  ah  nc- 
qiiro  geschrieben)  876  (a  milife  omnis  mihi  \iwfn\  spes  atüvnam  effla- 
v(rit,  leichte  Korruptel  die  das  a  nicht  berührt)  968  (korrupter  Vers^ 
in  dem  zufällig  a  nieenrti  geschrieben  ist)  Vid.  39  {ahs  te,  dann  Lücke). 
Zu  diesem  Verzeichnis  aber  mufs  man  bedenken,  dafs  die  Stellen  dem 
Lexikon  entzogen  sind,  darunter  die  ttlr  den  Gebrauch  wichtigen 
Mil.  940,  Truc.  876.  Wie  unvollständig  das  begonnene  Lexikon  sein 
wird,  tritt  gleich  hier  und  dann  bei  allen  ähnlichen  Gelegenheiten 
hervor. 

In  der  Masse  der  Fälle,  in  denen  die  mit  "l*  bezeichneten  Stellen 
wirklich  korrupt  sind,  ist  die  Korruptel  entweder  geheilt  oder  so  weit 
geheilt,  dafs  an  dem  tUr  den  Artikel  in  Betracht  kommenden  Sinn 
kein  Zweifel  sein  kann,  oder  die  Korruptel  kommt  für  den  Artikel 
überhaupt  nicht  in  Betracht.  S.  21  wird  für  ahduco  ex  angefahrt 
Pseud.  1098  qni  illam  quidnn  iam  '[in  SictfOfinn  ex  urbe  ahduxit 
nwdo:  grade  das  Bekreuzte  giebt  gar  keinen  Anlafs  zum  Zweifel;  iür 
ififro  ahduco  Epid.  398  sed  /u  fhanc  luhcfis  iniro  (vel  iuhes:  dies 
soll  hinter  luhins  stehen)  ahduci:  dafs  hanc  iniro  ahduci  von  einer 
Form  des  Verbum  iuhco  abhängig  ist,  liegt  vor  Augen;  S.  39  für 
absolut  gebrauchtes  ahsolro  Epid.  631  agr,  age,  ahsolve  (finissons-en) 
niquc  avifinium  "[nvmna  mtmera,  nr  rmnifes  morer:  jeder  weifs  seit 
Camerarius,  dafs  me  nach  ahsolve  einzusetzen  ist;  dafs  numera  irrtümlich 
wiederholt  ist,  zeigt  zum  Übertiufs  der  Raum  im  Ambrosianus;  S.  44 
ist  für  das  Vorkommen  von  ac  vor  d  verzeichnet  f  ac  dum  Mil.  997; 
wenn  der  Herausgeber  nicht  weifs,  dafs  das  hier  überlieferte  dofnosi- 
hit  ac  dum  huc  frayisiuit  ad  bedeutet  domo  s^i  hitat  dum  huc  fransbifafy 
so  entgeht  ihm  für  sein  Lexikon  Verschiedenes,  wie  schon  sein  Artikel 
adhefo  beweist. 

Solche  Beispiele  zu  häufen,  ist  zwecklos;  sie  finden  sich  auf 
jeder  Seite,  und  eines  kann  statt  aller  dienen.  Bei  der  hier  zu  be- 
obachtenden Verachtung  des  Herausgebers  gegen  die  Emendation  ist 
man  mit  Recht  verwundert,  teils  falsche,  teils  richtige  Emendationen 
aufgenommen  zu  linden  (z.  B.  S.  7  Cist.  237,  S.  20  Poen.  65,  S.  29 
Mil.  1312,  S.  40  Bacch.  471),  teils  mit,  teils  ohne  Hiriweisung;  und 
sogar  eine  Konjektur  S.  20  s.  ahdmnen:  'cfr.  Truc.  629  oü  il  faut  peut- 
etre  lire:  ahdomcn  scco,  ni,  hcUaior  etc.',  was  ihm  wenige  glauben 
werden. 

Das  Erstaunlichste  ist,  dafs  man  hier  von  Überlieferung  über- 
haupt  nur   durch  Kreuze   und  Klammem*)   und   davon,   dafs   Plautus 


*)  S.  HG  *  atque  supprime  contrairement  aux  mauuscrits':  darunter 
Amph.  1101,  wo  mitte  ista  atque  mindesten«  so  gut  ist  wie  m.  iataeCt  Asin. 
205,    wo  atque  gar  nicht  zu  entlebren   ist,  Aul.  SIC,  wo  die  Klausel  des 


Litteratur.  137 

nicht  einheitlich,  sondern  durch  den  Text  zweier  antiker  Ausgaben 
überliefert  ist,  gar  nichts  er^hrt.  Diese  Thatsache  berührt  aber  den 
Bestand  des  Lexikons  auf  Schritt  und  Tritt,  nun  gar,  wenn  es  auch 
die  Formen  und  Schreibungen  angeben  will.  Stich.  255  ist  ahs  fr  in 
P  so  gut  überliefert,  wie  a  vobis  in  -4;  auf  S.  2  findet  sich  die  Stelle 
unter  a  vobis  (nur  aus  Versehen  unrichtig  gestellt),  aber  nicht  S.  4 
unter  abs  te.  Stich.  148  steht  a  viro  in  P,  ab  viro  in  A,  im  Lexikon 
die  Stelle  nur  S.  3  unter  ab,  während  sonst  ab  niemals  vor  v  steht 
(s.  0.).  Auf  S.  3.  4  wird  in  gesonderten  Reihen  angegeben,  vor  wel- 
chen Worten  sich  abs,  vor  welchen  aps  findet;  unter  aps  sind  aufgezählt 
2  Stellen  an  denen  abs  überliefert  ist  (Bacch.  1025,  Pseud.  486), 
Pers.  654  wo  ahsvntem  überliefert  ist  imd  Bothe  abs  te  korrigiert  hat, 
5  Stellen  an  denen  A  aps  und  P  ahs  hat  (Mil.  569.  1167,  Most.  653. 
924.  927),  3  SteUen  an  denen  A  abs  hat  (Men.  345  ahs,  Pers.  169 
abs  te  ACI),  aps  te  B,  Trin.  488  abs  te  A,  ap  te  P),  eine  an  der 
A,  eine  an  der  P  a  te  hat  (Trin.  325,  Rud.  528:  unter  a  und  ab 
fehlen  diese  Stellen).  Wer  in  der  Richtung  weiter  suchen  mag,  sehe 
die  Fälle  von  arcesso  und  accerso  durch,  die  auf  S.  88  gesondert  vor- 
gefahrt werden,  ohne  jede  Gewähr.  Der  Artikel  absto  heifst:  ^abf^io, 
se  tenir  loin  de:  nülIe  tnodis  amor  iffnorandttst,  proal  fadhibrndufit 
aique  absfatidus  Trin.  264.'  Es  ist  überliefert:  adhibendus  nitpic  ah- 
standust  in  A,  adhibemlus  est  atque  aptinendus  in  P;  abstandus  be- 
ruht also  nur  auf  A,  zu  erwägen  ist,  ob  man  transitives  abstare  hier 
anerkennen  muTs;  abhibendus  (Acidalius)  hängt  daran,  in  einem  Plau- 
tuslexikon  mufs  man  auch  abhibeo  finden,  auch  wenn  es  nicht  aner- 
kannt wird. 

Dies  reicht  vollständig  aus,  die  Arbeit  zu  charakterisieren,  und 
ich  darf  darauf  verzichten,  den  Leser  mit  weiteren  Beispielen  zu  be- 
helligen, die  ohne  Mühe  aus  jeder  Seite  herauszustechen  sind.  Wenn 
man  fragt,  wie  dergleichen  möglich  ist,  so  findet  man  die  Antwort 
in  der  Vorbemerkung  des  Herausgebers,  der  ganz  unbefangen  mitteilt: 
^nous  avons  pris  comrae  base  unique  le  texte  — '  gleichviel  von  wem; 
denn  dies  soll  keine  Kritik  einer  Ausgabe  sein.  Eine  Ausgabe  ist 
kein  Lexikon,  und  es  wäre  eine  wunderliche  Ausgabe,  deren  Text  sich 
einfach  zu  einem  Lexikon  auseinanderschneiden  liefse.  Dafs  aber 
heut«  noch  jemand  glaubt,  man  brauche  nur  einen  beliebigen  Text 
mit  der  Schere  zu  lesen,  um  ein  wissenschaftliches  Spezial Wörterbuch 
zu  gewinnen,  dafs  heute,  nachdem  11  Bände  dieses  Archivs  erschienen, 
nachdem  Meusels  Cäsar-  und  Greefs  Tacituslexikon  erschienen  sind, 
nachdem  seit  5 — 6  Jahren  über  die  Arbeiten  berichtet  worden,  die 
zur  Vorbereitung  des  Materials  für  den  Thesaurus  linguae  latinae  ge- 
dient haben,  dafs  heute  noch  jemand  daran  geht,  aus  zwei  Exemplaren 
einer  Plautusausgabe,  einem  Haufen  Papier  und  einigen  Zettelkasten 
ohne    weiteres   (in    der   That    ohne   weiteres)    den    Stofi"   herzurichten, 


folgenden  Verses  in  den  Hdschr.  irrtümlich  wiederholt  ist,  Pseud.  485,  ein 
als  527  wiederkehrender  Vers  und  darum  hier  in  den  Aufgaben  einge- 
klammert. 


138  Litteratur. 

aus  dem  ein  Plautuslexikon  hervorgehen  wird:  das  darf  man  wohl 
als  eine  schwer  glaubliche  Thatsache  bezeichnen.  Aber  die  Thatsache 
liegt  vor  Augen. 

Es  ist  klar,  dafs  man  vor  diesem  Lexikon,  wenn  es,  wie  be- 
gonnen, weitergeführt  werden  sollte,  nur  warnen  kann.  Ich  will  da- 
mit nicht  sagen,  dafs  Herr  Waltzing  oder  seine  Mitarbeiter  unfllhig 
seien,  ein  brauchbares  Plautuslexikon  herzustellen.  Aber  sie  werden 
geraume  Zeit  auf  die  subjektive  und  objektive  Vorbereitung  verwenden, 
d.  h.  sich  selbst  in  Text,  Sprache  und  Metrik  des  Plautus  hinein- 
arbeiten und  danach  ihr  Zettelmaterial  von  Grund  aus  neu  gestalten 
müssen. 

Göttingen.  F.  Leo. 


Siegfried    Reiter:    Zur   Etymologie    von    elementum.     Gymn.- 

Progr.  Weinberge  (Böhmen)  1900.      16  S.     S^. 

Man  hat  Diels  (vgl.  Arch.  XI  443)  ziemlich  allgemein  zugegeben, 
dafs  elementum  im  Lateinischen  zuerst  (l)ei  Lucr. )  die  Buchstaben 
bezeichne,  erst  später  die  Urstoffe  und  Atome,  und  somit  mufs  jede 
Etymologie  des  Wortes  von  der  ersten  Bedeutung  ausgehen.  Wie 
erstaunlich  viel  darüber  seit  Gerh.  Vossius  vermutet  worden  ist,  zeigt 
der  erste,  gröfsere  Teil  vorliegender  Al)handlung,  in  welcher  übrigens 
auch  die  Ableitung  von  Diels  elementum  =  elepantimi  von  ^etpag 
verworfen  wird.  Verf  kehrt  zu  der  Erklärung  von  Heindorf  zurück, 
welcher  das  Wort  aus  den  Buchstaljen  L^IN  erklärt  und  im  Sinne 
von  ABC  deutet.  Wie  die  jetzt  übliche  Reihenfolge  der  Buchstaben 
mit  der  Mischung  von  Vokalen  und  Konsonanten  zustande  gekommen, 
oder  was  die  Kömer  darüber  dachten,  wissen  wir  nicht,  da  uns  der 
Bericht  Varros  verloren  gegangen  ist.  A})er  so  g^t  man  die  Mediae 
der  PKT-Laute  auf  das  A  folgen  liefs,  ebensogut  konnte  man  die 
Gruppe  LMN  zusammenstellen,  bei  welcher  der  vokalische  Laut  dem 
Konsonanten  vorangeht  (el,  em,  en\  wie  er  dort  (be,  ge,  de)  folgt. 
Die  Gruppe  LMN  eröffnet  die  zweite  Hälfte  des  Alphabetes,  und  ele- 
mentarius  ist  gleichbedeutend  mit  abecedarius.  Es  hat  eine  Ver- 
schiebung stattgefunden,  etwa  wie  der  Name  Solfeggien  von  den 
Tonieilertönen  ut,  re,  mi,  fa,  sol,  la,  si  hergeleitet  ist.  —  Unser 
^Kreuzmillionenbombenelement'  geht  auf  den  Schwur  beim  heiligen 
Kreuze  und  auf  den  Schwur  bei  den  vier  Elementen  zurück,  von 
welchem  Hieronvmiis  spricht. 


Gust.  Pfeiffer:  Ein  Problem  der  romanischen  Wortforsohüng.  II. 
Stuttg.  1000.     S.  41—60.     8^ 

Verf.  setzt  seine  Betrachtungen  über  lat.  usitahilia,  üt;.  outil 
(Geräte)  fort,  zunächst  veranlafst  durch  seinen  Recensenten  in  der 
Romania  (1900,  p.  319),  Antoine  Thomas.    Vgl.  Arch.  XI  602.     Neu 


Litteratur.  139 

ist,  daXs  nun  auch  von  der  Form  uie(n)silia  die  Rede  ist;  auch 
wird  angenommen,  dafs  das  lateinische  usitabilia  (ostavera)  in  ein 
romanisches  usaveFa  (=  u  8  ah  Uta)  übergegangen  sei.  Das  Heftchen 
schliefst  mit  der  Ankündigung:  Wird  fortgesetzt. 


Herrn.  Menge:  Lateinische  Synonsrmik.     Vierte  Auflage.    Wolfen- 
büttel 1900.    IV,  238  S.    8^. 

Wenn  wir  Arch.  XI  592  das  Repetitorium  der  lateinischen 
Sprache  und  Stilistik  desselben  Verfassers  angezeigt  haben,  so  ver- 
dient auch  die  Synonymik  ein  empfehlendes  Wort,  Sie  gehört  zwar 
insofern  nicht  zu  den  sogen,  gelehrten  Büchern,  als  Klassikercitate 
mit  Angabe  der  Fundstelle  fehlen;  aber  das  ursprünglich  für  die  oberen 
Gymnasialklassen  bestimmte  Buch  giebt  sich  jetzt  als  ein  ^Hilfsbuch 
für  Lehrer  imd  Studierende'  und  ist  auch  in  der  That  wesentlich 
umgearbeitet  worden.  —  Bei  lucere,  mildes  Licht  ausströmen,  konnte 
an  lima  (=  lucna)  Mond  erinnert  werden.  Bei  contamino  war  die 
Entstehung  aus  contagmino  imd  die  Beziehung  mit  contagium  zu  er- 
"wähnen,  woraus  sich  dann  die  Bedeutung  des  ^Ansteckenden'  ergiebt. 
Bei  pugnare  durfte  auf  pugnus  (tiv^)  hingewiesen  und  als  Grund- 
bedeutung die  des  Faustkampfes  erschlossen  werden.  Wir  entnehmen 
diese  Beispiele  den  Seiten  46  und  47,  könnten  daher  ebenso  gut 
hundert  weitere  folgen  lassen. 


Joh.  Stöcklein:  Entstehung  von  Analogieformen  bei  lateinischen 
Verben.    Gymn.-Progr.  München   1900.  32  S.  8<^. 

Ein  Lehrer,  welchem  der  lateinische  Elementarunterricht  über- 
tragen ist,  wird  durch  das  Verbessern  der  zahlreichen  auftauchenden 
Fehler  nicht  ermüdet,  sondern  nimmt  sich  umgekehrt  die  Mühe,  über 
deren  Entstehen  nachzudenken.  Leider  sind  die  lateinischen  Verbal- 
Ibrmen  nicht  konsequent  gebildet,  und  wo  die  Volkssprache  eine  kon- 
sequente Form  festhielt,  stiefs  sie  die  Schriftsprache  aus,  meistens  im 
Interesse  der  Differenzierung;  oder  auch  umgekehrt.  Wer  soll  ent- 
scheiden? Nach  Horaz  spricht  der  Usus:  sie  volo,  sie  iubeo.  Wir 
schreiben  figo  fixus  (fictus  Luer.  und  Varro),  affligo  afflictus;  fingo 
fictus  (linctus  Terenz;  deutsch  die  Finte:  extinctus  neben  pictus).  Oder 
wir  finden  inlexit  von  inlicio,  intellexit  und  intellegit  von  intellego. 
Verf.  untersucht  nicht  nur,  wie  die  Analogieformen  entstehen  bei  und 
nach  der  ersten  Erlernung  einer  Sprache,  sondern  auch,  wie  sie  am 
besten  zu  bekämpfen  sind.  ü.  a.  empfiehlt  er  die  Form:  fingo,  finxi, 
aber  fictum,  während  er  andere  Mittel  bekämpft.  Die  Erlernung  der 
toten  Sprache  >vird  Leben  gewinnen,  so  lange  der  Lehrer  nicht  zur 
gedankenlosen  Maschine  herabsinkt.  Möchten  alle  so  viel  nachdenken 
wie  der  Verfasser! 


140  Litteratur. 

P.  Persson:  De   origine    ao   vi    primigenia  gemndii  et   gernn- 
divi  latini.     Upsala  1900.     138  pgg.     8*^. 

Ein  in  letzter  Zeit  vielbehandeltes  Thema.  Da  die  ftlnf  ersten 
Bogen  der  Abhandlung  schon  1892  gedruckt  wurden,  so  ist  sogar 
ein  Anhang  notwendig  geworden,  um  die  neuesten  Ansichten  nachzu- 
tragen. Aber  da  den  Spuren  des  Suffixes  — ndo —  in  den  indo- 
europäischen Sprachen  nachzugehen  eine  Aufgabe  der  vergleichenden 
Grammatik  ist,  so  dürfen  wir  über  die  erst^re  gröfsere  Hftlfte  der 
Schrift  mit  Stillschweigen  hinweggehen;  uns  könnten  höchstens  die 
Kontroversen  angehen  l)  ist  die  Passivbedeutung  des  Participes  ur- 
sprünglich? 2)  ist  die  Bedeutung  der  Notwendigkeit  primär  oder  se- 
kundär? 3)  wie  verhält  sich  das  Gerundium  zu  dem  Gerundivum? 
Indessen  schreibt  der  Verf.  selbst:  me  ad  liquidum  rem  perducturum 
minime  spero,  und  wir  wollen  nur  hinzufügen,  dafs  die  Polemik  vor- 
wiegend gegen  Weisweiler  gerichtet  ist.  Nach  der  Ansicht  des  Verf. 
schwankt  das  Particip  auf  — ndo —  der  Bedeutung  nach  zwischen 
der  sich  vollziehenden  und  der  zu  vollziehenden  Handlung.  —  Die 
Arbeiten  vorwiegend  der  deutschen  Philologen  sind  sorgfältig  benutzt. 


D.   Detlefsen:   Quam  und  seine  ZusammensetBungen«     Gymn.- 
Progr.     Glückstadt  1900.     23  S.     4^ 

Da  die  durch  ihre  Erstarrung  unkenntlich  gewordenen  Partikeln 
die  verschiedensten  Bedeutungen  annehmen,  da  beispielsweise  von  ui 
in  den  Kapiteln  der  (Lokal-),  Temporal-,  Modal-,  Final-,  Konsekutiv- 
sätze gehandelt  >vird,  so  geht  auch  dem  reiferen  Schüler  leicht  die 
Einheit  verloren,  und  sie  wird  nochmals  verdunkelt,  wenn  man  an 
Komposita  wie  sicut,  prout,  utique,  utpote  denkt.  Die  Sprache  selbst 
hat  durch  Differenzienmgsformen  diese  Schwierigkeiten  zu  heben  ver- 
sucht. Vgl.  Arch.  IX  367  ff.  Verf  glaubt  auf  Grund  seiner  Schul- 
erfahrungen, dafs  es  passend  sei,  bei  der  grammatischen  Repetition 
in  den  Oberklassen  Zusammenfassungen  zu  geben,  und  so  hat  er  in 
seiner  grammatischen  Studie  die  Partikel  quam  in  lehrreicher  Weise 
behandelt.  Dem  Gelehrten  kann  er  freilich  wenig  Neues  sagen,  aber 
seine  Gliederung  wäre  immerhin  geeignet,  einem  Thesaurusartikel  zu 
Grunde  gelegt  zu  werden.  Er  behandelt  also  die  direkte  Frage,  den 
Ausruf,  den  Relativsatz,  die  indii*ekte  Frage  und  den  indefiniten  Ge- 
brauch, einschliefslich  der  Zusammensetzungen,  wie  quamdiu,  postquam, 
perijuam,  quamquam,  quam  vis,  quamlibet,  tamquam,  numquam,  quic- 
(juam,  nequaquam,  nequicquam.  Überall  wird  von  Plautus  und  dem 
archaischen  Latein  ausgegangen;  das  Spätlatein,  welches  die  Regeln 
für  (juaniquam  und  quamvis  umstöfst  und  nach  dem  Vorgange  von 
sanequam  Neues  bildet,  ist  natürlich  nicht  mehr  berücksichtigt. 


Litteratur.  141 

E.  Reifsinger:  Über  die  Präpositionen  ob  und  propter.  II.  Gyinn.- 
Progr.     Speyer  1900.     63  S.     8". 

Nachdem  der  erste  Teil  über  die  Bedeutungsverschiedenheit  be- 
richtet und  den  Gebrauch  von  Plautus  bis  Cicero  inklusive  dargestellt 
hat,  klärt  uns  der  zweite  über  die  Anwendung  im  augusteischen 
Zeitalter,  im  ersten  und  im  zweiten  Jahrhundert  nach  Christus  auf. 
Vgl.  Arch.  XI  556  f.  Da  Verf.  durch  Benutzimg  der  Thesaurussamm- 
lungen das  Material  ziemlich  vollständig  beisammen  hat,  so  sind 
die  gezogenen  Resultate  unumstöfslich.  Ein  Fehler  ist  es  nur,  dafs 
Hygins  Schriften  (Poet  astron.  und  Fabulae)  in  die  augusteische  Zeit 
eingereiht  werden,  während  beide  viel  jüngeren  Ursprungs  sind  und 
die  Fabeln  gar  nichts  mehr  von  klassischem  Stile  an  sich  tragen. 
Wenn  Verf.  für  die  späteren  Jahrhimderte  auf  den  Thesaurus  ver- 
weist, so  glauben  wir  vorauszusehen,  dafs  diese  Erwartungen  nicht 
können  befriedigt  werden;  denn  aus  den  Excerptenzetteln,  welche  für 
das  Spätlatein  allein  zur  Verfügung  stehen,  können  Schlüsse  über  die 
Häufigkeit  des  Gebrauches  überhaupt  nicht  gezogen  werden. 

Die  Abhandlung  lehrt  uns  deutlich  den  Wert  der  statistischen 
Betrachtung,  wenn  sie  nicht  mechanisch,  sondern  mit  Sinn  und  Ver 
stand  angestellt  wird.  Denn  man  mufs  unterscheiden  zwischen  den 
Formeln  (propt^rea,  ob  id,  ob  hoc)  und  dem  freien  Gebrauche.  Wer 
könnte  erraten,  dafs  Vitruv  103 mal  propter  verwendet,  ob  nirgends, 
Tacitus  imigekehrt  149  mal  ob,  ein  einziges  Mal  propter  im  Dial.  21  V 
Denn  auch  R.  empfiehlt  an  der  abweichenden  Stelle  Hist.  1,  65  statt 
propter  Neronem  pugnare  zu  lesen  pro  Nerone  pugnare.  Gleichwohl 
hat  er  auf  S.  51  seine  Behauptimg  abgeschwächt  und  propter  damit 
verteidigt,  dafs  Tacitus  (wenigstens  in  den  Historien)  nicht  schreiben 
konnte  ob  Neronem,  weil  mit  wenigen  Ausnahmen  ob  nur  mit  Sach- 
begriffen verbunden  wird,  und  umgekehrt  Dichter  wie  Valerius  Flaccus 
und  Statins  propter  ausscbliefslich  von  Personen  gebrauchen.  —  Der 
Vermutung,  dafs  ob  noxam  alicuius  bei  Livius  aus  Verg.  Aen.  1,  41 
geflossen  sei,  stehen  chronologische  Bedenken  im  Wege;  denn  als 
Livius  sein  siebentes  und  sein  21.  Buch  schrieb,  war  die  Aeneis  noch 
nicht  veröffentlicht;  im  besten  Falle  könnte  ein  Einflufs  des  Vergil 
auf  Liv.  24,  47,  5  angenonmien  werden.  Vgl.  Arch.  X  51.  Die 
Dichter  schreiben  nicht  wie  die  Prosaiker,  und  unter  diesen  hin- 
wiederum bilden  die  Historiker  eine  eigene  Familie;  von  den  beiden 
Konstruktionen  ob  rem  agendam  imd  ob  rem  actam  hat  die  letztere 
gesiegt  u.  s.  w.;  doch  ist  es  unmöglich,  die  einzelnen  Beobachtungen 
aufzuzählen. 


H.  Sjögren:  De  particulis  oopulativis  apud  Flautum  et  Teren- 
tium.     Upsala  1900.     VIl,  160  pgg.     8^ 

Die    Schweden    haben    für    die    lateinische    Grammatik    fieifsige 
Ajrbeiten  geliefert,  welche  meistens  das  Eigentümliche  haben,  dafs  sie 


142  Litteratur. 

sämtliche  oder  fast  alle  Beispiele  vorf&hren;  dasselbe  gilt  ebenso 
von  Sjögren.  Auch  die  Disposition  verdient  Lob:  es  wird  vom  Asyn- 
deton ausgegangen  und  dann  die  Verbindung  zweier  oder  dreier 
Glieder  behandelt,  zunächst  nach  den  Redeteilen  und  dann  nach  den 
Partikeln  que,  et,  ac,  atque.  Was  in  Deutschland  tlber  Piautas  in 
neuerer  Zeit  geschrieben  worden  ist,  wird  sorgfältig  benutzt.  So  oft 
man  daher  auf  Zweifel  stöfst,  kann  man  mit  Leichtigkeit  die  ähn- 
lichsten Parallelstellen  finden,  aus  welchen  wir  ein  Urteil  ableiten 
können.  Freilich  ist  hier  auch  genaueste  Kenntnis  der  Metrik  nötig, 
in  welcher  Disciplin  Verf.  mit  Männern  wie  Leo  oder  Skutsch  nicht 
streiten  mag.  Wenn  so  manches  trotz  der  Zusammenstellungen  im- 
entschieden  bleiben  wird,  so  treten  doch  die  Unterschiede  zwischen 
Plautus  imd  Terenz  scharf  hervor,  imd  das  ist  ein  Gewinn,  für  den 
man  die  Mühe  des  Lesens  gern  einsetzen  wird. 


Rieh.  Förster:  Die  CasnsangleiehTing  des  Belativpronoxnens  im 
LateiniBChen.  (Festschrift  Mr  0.  F.  W.  Müller,  Jahrb.  f.  class. 
Philol.  Supplem.  XXVll  S.  170—194.)     Leipzig  1900. 

Ein  interessantes  Kapitel  der  historischen  Syntax,  welches  Verf. 
bereits  in  seiner  Habilitationsschrift  (Berlin  1868)  behandelt  hatte; 
da  er  aber  auf  den  Titel  setzte  apud  graecos  potissimimi  poetas,  so 
sind  wohl  die  Gräcisten  vielfach  seinen  Spuren  gefolgt,  während  die 
Latinisten  an  der  Schrift  vorübergingen.  Es  handelt  sich  um'  die 
Konstruktion,  welche  uns  aus  dem  Verse  des  Horaz  Sat.  1,  6,  16  be- 
kannt ist:  notante  iudice,  quo  nosti  populo  (==  quem).  Die  Behaup- 
tung, dafs  sie  dichterisch  sei,  schwebt  durchaus  in  der  Luft;  vielmehr 
gehört  sie  der  Sprache  des  Dialoges,  dem  sermo  familiaris  an;  sie  als 
Entlehnung  aus  dem  Griechischen  zu  betrachten,  .ist  ebenso  verfehlt^ 
wenn  man  auch  eine  Beeinflussung  von  dieser  Seite  zugeben  mag. 
Ihr  Ursprung  ist  vielmehr  die  Ellipse;  vgl.  Nepos  15,  2  natus  est 
patre,  quo  (sc,  natum  esse)  diximus,  imd  die  erste  Frage  lautet  daher, 
ob  wir  noch  Ellipse  oder  die  daraus  herausgewachsene  Gaausan- 
gleichung  anzunehmen  haben,  eine  Frage,  deren  Beantwortung  oft 
unentschieden  bleiben  mufs.  Deutlich  ergiebt  sich  aber  aus  der  Über- 
sicht der  Beispiele,  dafs  die  ursprünglichen  Grenzen  der  Konstruktion 
folgende  sind:  l)  das  Verbum  des  Relativsatzes  ist  dico  oder  ein 
Synonymuni,  2)  die  Verbalform  ist  meist  die  erste  Person  Sing,  oder 
Plural,  3)  an  die  Stelle  des  pronominalen  Akkusativs  tritt  der  Ablativ. 
Die  Entwicklung  besteht  darin,  dafs  auch  andere  Verba,  andere  Per- 
sonen, andere  Casus,  andere  Pronomina  (qualis  statt  qui  bei  Firmicus 
Mat^rnus  mathes.)  sich  eindrängen.  Zu  den  Freunden  der  Konstruk- 
tion gehören  der  altere  Plinius,  Oellius,  Firmicus,  Cassian,  Caelius 
Aurelianus.  Man  kann  von  vornherein  erwarten,  dafs  die  Überlieferung 
vieler  Stellen  verdorben  sein  werde;  denn  der  gedankenlose  Abschreiber 
assimiliert  die  Caausformen,  auch  wo  sie  der  Verf.  nicht  angeglichen 


Litteratur.  143 

hatte.  Besonders  reich  sind  die  Beispiele  in  der  Übersetzungslitteratur, 
also  zunächst  im  Neuen  Testamente.  Die  älteren  Versionen,  und 
namentlich  das  Evangelium  Cantabrigiense,  schliefsen  sich  enger  an 
das  griechische  Original  an  als  die  besseren  Patristiker.  Also  über- 
setzt Tertullian  die  Stelle  Thessal.  2,  14  raig  ^U\\}i(5iv  alg  aviita^B 
mit  pressuris  quihus  sustinetis,  wogegen  Hieronymus  und  Augustin 
quas  bieten.  Aber  von  73  Stellen  der  Angleichimg  im  Test.  Nov.  ist 
dieselbe  an  62  durch  die  Übersetzer  unterdrückt  worden.  —  Eine 
zweite  Abart  der  Casusangleichung  (Lucceius  an  Cicero  5,  14,  1  cum 
scribas  et  aliquid  agas  eorum,  quorum  consuesti)  hat  nur  wenige  Bei- 
spiele und  ist  von  Livius  nach  der  ersten  Dekade  aufgegeben  worden. 
Der  Verf.  kann  für  sein  Belegmaterial  nicht  den  Anspruch  auf 
Vollständigkeit  erheben,  da  ihm  beispielsweise  der  ältere  Seneca, 
Ajmnian,  Macrobius  fehlen;  gleichwohl  würden  die  Hauptresultate 
durch  Ausfiillung  dieser  Lücken  schwerlich  berührt,  und  jedenfalls 
finden  jüngere  Philologen  hier  ein  Muster,  wie  man  solche  Fragen 
heutzutage  behandeln  mufs,  wenn  man  der  Fahne  des  Fortschrittes 
folgen  will. 


J.  Curschmann:  Zur  Inversion  der  röm.  Eigennamen.  I.    Giefs. 
Doctor-Diss.     Büdingen  1900.     63  S.     8®. 

Da  diese  erste  Abteilung  nur  die  Litteratur  von  Cicero  bis  Livius 
behandelt,  so  wird  man  glauben,  der  Kanon  der  klassischen  Prosa  sei 
Praenomen  +  Nomen  +  Cognomen,  d.  h.  Vorname,  C4entilname,  Fami- 
lienname. Es  handelt  sich  aber  nicht  nur  um  die  Reihenfolge  (In- 
version) der  drei  Namen,  sondern  auch  imi  die  Reduktion  auf  zwei 
Namen.  Es  ergiebt  sich  für  Cicero,  dafs  der  Unterschied  der  Be- 
nennung durch  den  Stand  bedingt  ist.  Ciceros  Zeitgenossen  aristo- 
kratischen Ranges  werden  in  der  Regel  mit  Praenomen  imd  Cognomen 
bezeichnet;  Bürger  niedrigen  Standes  mit  Cognomen  und  Gentile. 
Sallust  hat  das  Praenomen  nie  weggelassen;  Livius  pflegt  seine  Römer 
mit  dem  Vornamen  einzuführen,  kann  denselben  aber  bei  wiederholter 
(schon  zweiter)  Nennimg  fallen  lassen.  Für  Libertinen  und  Pro- 
vinzialen  gelten  die  Normen:  Erotem  Turium,  Q.  Turii  libertum; 
Trypho  Caecilius,  Antiochus  Gabinius,  libertus,  accensus  Gabinii.  Die 
Untersuchung  ist  äufserst  gründlich  geführt,  und  die  Resultate  ge- 
winnen durch  tabellarische  Form  an  Überzeugungskraft. 


Heinr.  Breidenbach:  Zwei  Abhandlungen  über  die  Tironisohen 
Noten.     Darmstadt  1900.     39  S.     8®. 

Es  ist  dringend  zu  wünschen,  dafs,  nachdem  wir  in  Schmitz  den 
besten  Kenner  der  lateinischen  Stenographie  verloren,  ein  kleiner 
Kreis  von  Philologen  übrig  bleibe,  welche  uns  diese  Schrift  mit  sieben 
Siegeln  zu  entziffern  im  stände  sind.     Zu  diesen  gehört  Breidenbach, 


144  Litteratur. 

dessen  Schrift  zum  25.  Stiftungsfeste  des  philologisch-historischen 
Vereines  in  Giefsen  geschrieben  ist.  Die  erste,  deutsch  geschriebene 
Abhandlung  giebt  Beiträge  zur  Geschichte  der  Tironischen  Noten  in 
Form  einer  Erklärung  der  bekannten  Isidorstelle  Orig.  1,  21.  Verf. 
führt  dieselbe  mit  Reifferscheid  imd  Schmitz  auf  Sueton  zurück  und 
bestreitet  gegen  Traube,  dessen  Ansichten  er  auch  sonst  bekämpft, 
die  Benutzung  anderer  Quellen.  Er  erläutert  den  Ausdruck  ^notae 
vulgares',  die  Etymologie  von  'nota'  und  versteht  unter  dem  ersten 
Erfinder  Ennius  den  Dichter,  nicht  den  späteren  Grammatiker.  Die 
Lesart:  Romae  primus  Tullius  Tiro  commentatus  est  notas,  sed 
tantum  praepositionum,  glaubt  er  festhalten  zu  müssen  gegen  das  bei 
Hieronymus  überlieferte  commentus,  wesentlich  aus  sachlichen  Er- 
wägungen. Denn  dafs  das  Verbum  comminiscor  =^  ersinnen  einen 
guten  Sinn  geben  könnte,  zeigt  Sueton  Claud.  41  novas  commentus 
est  litteras  tres,  und  Sen.  epist.  90,  25,  welcher  die  Tironischen  Noten 
S-ilissimorum  mancipiorum  commenta'  nennt.  Auch  geht  ja  voraus: 
vulgares  notas  .  .  .  Ennius  invnni.  —  Die  zweite,  lateinisch  geschriebene 
Abhandlung  verbreitet  sich  über  die  Komposition  des  ^notarum  Tiro- 
nianarum  comraentarius  quintus' (tab.  114,63 — 119,10),  indem  wahr- 
scheinlich gemacht  wird,  dafs  die  Eigennamen  aus  den  Werken  des 
Cicero  geschöpft  seien.  Die  Untersuchung  fahrt  dahin,  dafs  zahl- 
reiche Namen  emendiert  werden  müssen. 


Paul  Mever:  Beiträge  zu  Cioeros  Briefen  an  Attdcus.  Gymn.- 
Progr.^  Hof  1900.  39  S.  8^. 
Das  Programm  ist  eine  Fortsetzung  des  Bayreuther  von  1887 
(de  Ciceronis  in  epistolis  ad  Atticum  sermone),  und  wenn  auch  die 
Hälfte  von  der  Komposition  der  Briefe,  von  gewissen  Formeln,  von 
dem  Schreibmaterial e  u.  ä.  handelt,  so  macht  uns  doch  den  kritisch- 
stilistischen Teil  das  Bestreben  wertvoll,  die  einzelnen  Schwierigkeiten 
von  einem  höheren,  allgemeinen  Standpunkte  zu  betrachten.  Wenn 
Verf.  reliqua,  o  di!  emendiert  in  reliqua  odi,  so  thut  er  es,  weil 
Cicero  o  di  nirgends  ohne  Attribut  gebraucht.  Wenn  er  aber  weiter 
statt  Saufeium  pete  celemus  schreibt:  S.  peto  celemus,  so  war  er  uns 
auch  schuldig,  ein  parenthetisches  peto  nachzuweisen,  welches  bisher 
nicht  nachgewiesen  ist,  da  DrUger  §  369,  15  nur  quaeso,  oro  kennt, 
und  nicht  einmal  rogo  belegt.  Aus  der  Thatsache,  dafs  Cicero  egere 
konstant  mit  dem  Ablativ  verbindet,  mit  Ausnahme  von  zwei  Brief- 
stcUen  (consilii,  medicinae:  Lambin  medicina),  folgert  er,  die  letzteren 
seien  ^fragmenta  incertorum  poetarum'.  Möglich,  weil  an  der  zweiten 
Stelle  wenigstens  ein  Hexameter  gemessen  werden  kann,  welchen 
freilich  noch  niemand  beobachtet  hat.  Aber  zugeben  mufs  man  doch, 
dafs  der  Genetiv  in  die  Prosa  drang;  so  auxilii  bei  Caesar,  consüii 
bei  Sallust,  aufserdem  fünf  Stellen  bei  Comificius.  Zu  dem  ungewöhn- 
lichen Superlativ  exoptatissimus  kommt  jetzt  noch  Epist.  fam.  16,  21,  1, 
wo  die  Form  (statt  optatissimus)  durch  Mendelssohn  aus  drei  Hand- 
schriften hergestellt  ist. 


Litteratur.  145 

Eman.  Hoffmann:  Ausaatini  de  eivitate  dei  Üb.  Xllll— XXn. 

(Corp.  scr.  eccles.  vol.  XXXX.)    Vindob.  1900.    VI,    736  pgg.    8^- 

Rasch  ist  der  ersten  Hälfte  des  Werkes  (vgl.  Archiv  XI  449) 
die  zweite  nachgefolgt  und  damit  die  Kritik  desselben  auf  eine  sichere 
Basis  gestellt.  In  der  Vorrede  verteidigt  sich  der  Hrsg.  gegen  den 
Vorwurf,  dais  er  in  der  Angabe  der  benutzten  heidnischen  Quellen 
und  in  der  Anfühnmg  von  exegetisch  wichtigen  Parallelstellen  aus 
Augustin  selbst  zu  sparsam  gewesen  sei.  Das  Programm  der  ganzen 
Sammlung  stand  der  Erf^lung  so  weit  gehender  Ansprüche  im  Wege. 
Auch  rechnet  Hsgb.  nicht  unter  den  Begriff  ^Citate',  wenn  Augustin 
etwa  eine  Wendung  Vergils  in  ganz  anderem  Zusammenhange  gebraucht. 

Wenn  man  den  Index  auctorum  graecorum  et  latinonmi  mit 
dem  von  Dombart  vergleicht,  so  wird  man  (was  von  vornherein  zu 
erwarten  ist)  bei  Hoffmann  mehr  Material  finden.  Beispielsweise 
citiert  D.  eine  Enniusstelle,  H.  zwei,  D.  zwei  Liviusst^Uen,  H.  vier, 
D.  keine  Stelle  aus  Solin,  H.  sieben.  Dazu  kommen  noch  andere 
Verbesserungen,  z.  B.  dafs  die  kleinen  Schriften  des  Apuleius  nicht 
nach  Elmenhorst  (1621),  sondern  nach  Groldbacher  citiert  sind.  Ebenso 
ist  der  Index  nominum  et  rerum,  welchen  Wilh.  Weinberger,  Gym- 
nasialprofessor aus  Iglau,  angefertigt  hat,  bedeutend  reichhaltiger. 
Freuen  wir  uns  also  der  dargebotenen  Gabe. 


Max  Bonnet:   LeB  histoires  de  SaUuste.     (=  Bevue  des   etudes 
anciennes.     Tom.  II,  Nr.  2.)    Bordeaux  1900.     16  pgg.     8®. 

Der  lesenswerte  Aufsatz  bespricht  den  Umfang  und  den  Inhalt 
der  Historien  des  Sallust.  Indem  Vf.  von  ^^^  Büchern  spricht,  be- 
trachtet er  das  fünfte  als  unvollendet;  es  hat  weder  Rede  noch  Brief, 
ähnlich  dem  achten  Buche  des  Thukjdides,  und  während  die  Grramma- 
tiker  aus  dem  1.,  2.,  3.,  4.  Buche  91,  72,  52,  49  Fragmente  citieren, 
sind  uns  nur  11  aus  Buch  5  erhalten.  Wer  dies  überlegt,  kann  die 
5  Bücher  nicht  als  ein  von  Sallust  abgeschlossenes  Ganzes  betrachten; 
denn  es  hat  in  sich  mit  der  Darstellung  der  Jahre  78 — 67  keinen 
AbschluTs,  und  die  lange  Vorrede  würde  dazu  kaum  passen.  B.  denkt 
sich  vielmehr,  dafs  das  Werk  auf  20 — 25  Bücher  (Dekadenprinzip?) 
berechnet  war  imd  bis  in  das  Jahr  40  oder  39  hinabreichen  sollte. 
Dann  erst  ist  der  Titel  Historiae  (selbsterlebte  Zeit)  berechtigt;  12  Jahre 
füllen  kein  Leben.  Der  Anfang  mit  dem  Tode  des  Sulla  war  durch 
Sisenna  gegeben,  den  Sallust  fortsetzte;  der  Punkt  war  ungünstig, 
weil  der  Geschichtschreiber  damals  erst  8  Jahre  alt  war,  jünger  als 
Tacitus  zu  der  Zeit  des  Sturzes  Neros.  Schrieb  S.  die  5  Bücher  in 
etwa  5  Jahren  (40 — 35),  so  konnte  er,  47  Jahre  alt,  wohl  noch  glauben, 
20 — 25  vor  sich  zu  haben.  Einer  Beschränkung  der  Historien  auf 
12  Jahre  widersprechen  auch  die  Worte  der  Einleitung:  res  populi 
Romani  M.  Lepido  Q.  Catulo  consulibus  ac  deinde  militiae  et  domi 
gestas  composui;  sie  eröffnen  uns  notwendig  eine  weitere,  unab- 
geschlossene Perspektive. 

Archir  für  l»t.  Lexikogr.    XH.    Heft  1.  10 


146  Litteratur. 

Fried r.  Drescher:  Beitröge  rar  LiTiasepitome.     Erlanger  Doktor- 
Dissert.    Erl.  1900.    50  S.    8^ 

Unter  den  neuen  Ansichten,  welche  in  einer  Wissenschaft  auf- 
tauchen, sind  ohne  Zweifel  diejenigen  die  angenehmsten,  welche,  kaum 
ausgesprochen,  von  rechte  und  links  bestätigt  werden.  Dahin  gehört 
ohne  Zweifel  die  Liviusepitome,  welche  etwa  seit  dem  Jahre  80 
nach  Chr.  fast  in  der  ganzen  römischen  Litteratur  sich  nachweisen 
läfst.  Wenn  Yalerius  Maximus,  Florus,  Anon.  de  viris  illustribus, 
Augustin,  Orosius  u.  ä.  Autoren  von  Livius  abweichen  und  unter  sich 
nbereinstimmen,  dann  haben  wir  den  Wortlaut  der  Epitome.  Die 
Bruchstücke  derselben  vermehrt  Dr.  in  willkommener  Weise,  indem  er 
I'Vontin,  den  Vergilkommentar  des  Servius,  die  Juvenalscholien  u.  s.  w. 
zur  Untersuchung  heranzieht;  dafs  auch  griechische  Historiker,  wie 
Plutarch,  eine  Ausbeute  versprechen,  bestätigt  er,  ohne  dieselben  frei- 
lich in  seinen  Bereich  zu  ziehen.  Das  Latein  des  Epitomators  trftgt 
entschieden  den  silbernen  Charakter  und  ist  oft  poetisch.  Beispiels- 
weise nannte  er  den  Kampf  der  Horatier  und  Curiatier  ein  compen- 
dium  oder  eine  pugna  compendiosa;  statt  Tullia  per  patris  corpus 
carpentum  egit  schrieb  er  supra  patris  corpus,  nach  dem  Vorgänge 
von  Vergil  und  Ovid.  Das  Merkwürdigste  aber  ist,  dafs,  wie  auch 
Dr.  erkannt  hat,  die  Epitome  eine  Kontamination  deö  Livius  mit  einer 
zweiten,  wohl  älteren  Quelle  darstellt;  diese  auch  nur  vermutungs- 
weise zu  bestimmen,  ist  ihm  freilich  nicht  gelungen.  Das  Programm 
dieser  Zusätze  lautete:  in  maiorem  populi  Bomani  gloriam.  Das 
zwischen  den  Römern  und  Samniten  getroffene  Übereinkommen  (sponsio 
bei  Livius  9,  5,  l)  nennt  die  Epitome  jedenfalls  absichtlich  foedus. 
Aber  mit  Recht  schliefst  der  Verf.:  ,J)ie  Erschliefsung  der  Epitome 
ist  ein  wichtiger  Schritt  zu  einem  besseren  Verständnis  der  späteren 
Überlieferung*'. 


Nekrolog, 
Karl  Schenkl. 

Die  jüngst  durch  die  Tagesblätter  gegangene  Trauerkunde,  der 
ord.  Professor  der  klassischen  Philologie  an  der  Wiener  Universität, 
Hofrat  Dr.  Karl  Schenkl,  sei  am  20.  September  in  Graz  nach 
längerem  Leiden  im  73.  Lebensjahre  gestorben,  berührt  auch  die  Leser 
des  ,yÄ.rchivs",  weil  mit  dem  vortrefflichen  Lehrer  und  tüchtigen  Ge- 
lehrten nicht  nur  ein  Mitarbeiter  dieser  Zeitschrift,  sondern  auch  ein 
wackerer  Helfer  an  den  Vorarbeiten  zum  Thesaurus*)  dahinge- 
schieden ist. 

Was  die  äufseren  Lebensumstände  des  ebenso  liebenswürdigen 
Mannes  als  gründlichen  Philologen  anlangt,  so  war  er  am  11.  Dezember 
1827  zu  Brunn  geboren  und  hatt«  in  Wien  zuerst  die  Bechte,  dann 
Philologie  studiert.  Nachdem  er  seit  1851  als  Gymnasiallehrer  in 
Prag  gewirkt  hatte,  wurde  er  als  ordentlicher  Universitätsprofessor 
1857  nach  Lmsbruck,  1863  nach  Graz  und  1875  nach  Wien  berufen. 
Hier  war  er  bis  Juli  1899  als  hochverehrter  akademischer  Lehrer  un- 
ermüdlich in  Wort  und  Schrift  thätig.  Seine  hervorragenden  Ver- 
dienste wurden  durch  die  Ernennimg  zimi  k.  k.  Hofrat,  zum  wirkl. 
Mitglied  der  Wiener  Akademie  der  Wissenschaften,  anläfslich  der 
Feier  seines  70.  Geburtstages  seitens  der  Regierung  durch  die  Ver- 
leihung des  Ritterkreuzes  des  Leopoldordens,  seitens  seiner  zahlreichen 
Schüler,  Verehrer  und  Freimde  besonders  durch  die  Überreichung 
einer  künstlerisch  vollendeten  Pallasstatuette  aus  Edelmetall  geehrt. 
Im  heurigen  Frühjahre  übersiedelte  er  nach  Graz,  ohne  aber  hier  die 
erhoffte  Erholung  und  Heilung  von  einem  mehrjährigen  Leiden  zu 
finden. 

Schenkls  gründliche  Fachkenntnisse,  seine  strenge  Methodik  und 
genaue  Kenntnis  der  österr.  Mittelschulverhältnisse  befähigten  ihn  zur 
Heranbildung  von  ganzen  Generationen  tüchtiger  philologischer  Lehr- 
kräfte. Wohlthätigen  EinfluTs  übte  er  auf  den  Betrieb  des  Griechi- 
schen an  unseren  Gymnasien  durch  die  Abfassung  seines  weitverbrei- 
teten Elementar-  und  Übungsbuches,  der  bewährten  Chrestomathie  aus 


*)  Am  20.  Febr.  1898  schrieb  er,  als  er  die  Excerption  eines  dritten 
Ambrosiusbandes  übernahm:  ,,Ich  werde  zum  Excexpieren  die  Ferienmonat« 
verwenden,  und  man  kann  ja  im  Frühling  und  Sommer  um  6  Uhr  auf- 
stehen." Die  Red. 


148  Nekrolog. 

Xeiröphon  und  des  trefflichen  griecliisch-deutschen  und  deutsch-grie- 
chiscben  Schulwörterbuches.  Weitere  direkte  Beziehungen  zur  Mittel- 
schule hatte  er  durch  seine  mehrjährige  Wirksamkeit  als  Mitglied  des 
n.-österr.  Landesschulrates,  als  Vorsitzender  bei  Maturit&tsprüfungen 
und  als  Direktor  der  Prüfungskommission  für  das  Gymnasial-  und 
Realschullehramt.  Femer  führte  er  durch  Decennien  gemeinsam  mit 
dem  gegenwärtigen  österr.  ünterrichtsminister  Dr.  W.  von  Hartel 
die  Redaktion  der  „Zeitschrift  für  die  österr.  Gymnasien"  und  der 
von  ihm  im  Jahre  1879  mitbegründeten  „Wiener  Studien".  In  dieser 
deutsch-österr.  Fachzeitschrift  für  klassische  Philologie,  in  den  Bissertatia- 
ncs  plüloloffac  Vindobonenses  und  in  zahlreichen  Progranmiabhandlungen 
ist  manche  stille  Mitarbeit  des  bescheidenen,  allezeit  zur  Hilfe  bereiten 
Gelehrten  niedergelegt.  Seine  eigenen  wissenschaftlichen  Publikationen 
sind,  abgesehen  von  vielen  kleineren,  hauptsächlich  textkritischen  Abhand- 
lungen, die  gröfseren  „Xenophontischen  Studien"  (Wien  1869 — 1875) 
und  die  „Studien  zu  den  Argonautica  des  Valerius  Flaccus"  (Wien 
1871^,  namentlich  aber  folgende  Ausgaben:  Orestis  tragoedia  (Prag 
1876),  Xenophontis  opera  (2  Bände,  Berlin  1869  und  1876),  C.  Valeri 
Flacoi  Argonauticon  l,  VIII  (Berlin  1871),  Ämonü  qpuscala  (Mon. 
Germ.  hist.  Auct.  ant.  V  2,  Berlin  1883),  Clandii  Marii  Vidoris  Ale- 
thia  et  Probae  cento  (Corp.  scr.  eccl.  Lat.  XVI,  Wien  1888),  Phüostrati 
maioris  imagincs  (mit  0.  Benndorf,  Leipzig  1893),  endlich  die  leider 
ein  Torso  gebliebene  des  heil.  Ambrosius  (Corp.  scr.  eccl.  Lat. 
XXXn,  Wien  1896  ff.).  Alle  diese  Arbeiten  zeichnen  sich  durch 
gründliche  Erschöpfung  des  handschriftlichen  Bestandes,  durch  be- 
sonnene konservative  Textkritik  und  die  gröfst«  Akribie  aus. 

So  war  denn  K.  Schenkls  arbeitsreiches  Leben  gleicherweise  der 
Schule  und  der  Forschung  geweiht,  durchaus  aber  von  dem  Geiste  echter 
Humanität  und  hellenischer  Liebenswürdigkeit  erfüllt.  Er  hat  sich 
nicht  nur  einen  in  der  pädagogischen  und  philologischen  Litteratur 
hochangeseheuen  Namen  errungen,  sondern  auch  in  den  Herzen  seiner 
Schüler  und  aller,  die  ihn  kannten,  ein  noch  schöneres  Denkmal  er- 
richtet: das  der  Hochachtung  und  Liebe. 

Wien.  Edmund  Hauler. 


Das  Defektivum  *odi'  und  sein  Ersatz. 

Es  ist  eiue  im  höchsten  Grade  befremdende,  aber  gewils 
nicht  zufällige  Thatsache,  dals  die  Körner,  die  docli  im  Hassen*) 
mindestens  ebenso  stark,  wenn  nicht  stärker  waren  wie  im  Lieben, 
den  Formenbau  des  Verbums  %)(U'  im  Vergleich  mit  dem  voll- 
standig  ausgebildeten  Verbum  'amo'  auffallend  stiefmütterlich 
behandelt  haben.  Die  Konjugation  von  ^odi'  macht  in  der  Gestalt, 
wie  sie  in  unseren  Grammatiken  zu  Tage  tritt,  auf  uns  den  Ein- 
druck eines  verkümmerten,  verkrüi)i)elten,  ja  verstümmelten  Wort- 
körpers —  imd  doch  sehen  wir  zunächst  keinen  rechten  Grund 
ein,  der  eine  solche  Verstüramehmg  des  sicherlich  von  Hause  aus 
normal  gebildeten  Körpers  hervorgerufen  hat.  Betrachten  wir 
das  Los  ähnlich  mitgenommener  und  schlielslich  untergegangener 
Wörter,  so  kommen  wir  auf  die  Vermutung,  dals  unser  Verbum 
einen  harten  Kampf  ums  Dasein  mit  einem,  ja  vielleicht  sogai' 
mit  mehreren  lebenskräitigen  Gegnern  auszufechten  gehabt  haben 
wird,  bei  dem  es  gewaltig  in  die  Enge  getrieben  wurde  und,  um 
mich  eines  vulgären,  aber  hier  bezeichnenden  Ausdruckes  zu  be- 
dienen, viele  Haare  lassen  mulste.  Und  so  ist  es  in  der  That. 
Der  gefährliche  Gegner  aber  war  kein  geringerer  als  das  Verbum 
^nudio\  Es  ist  ja  bekannt,  dais  au  im  römischen  Munde  (>-Klang 
hatte,  und  zwar  nicht  blols  im  Mimde  des  gemeinen  Mannes, 
sondern  selbst  in  dem  eines  Cicero  (vgl.  F.  Skutsch  in  Vollmöllers 
Jaliresbericht  V  S.  ()2);  ünden  wir  docli  in  seinen  Briefen  Formen 
wie  Iweolam,  polluhim,  oricula,  s.  Archiv  VI  S4.  Nun  bestätigt 
uns  speziell  die  Aussprache  von  audit  =  ödit  eine  Phicidusglosse 
(Corp.  gloss.  V,  89,  7  und  125,  2<)  =  Tlies.  gloss.  eni.  s.  v.  audio): 
odit}. audit,  ut  frodes  fraudes,  clodus  claudus.  Kein  Zweifel,  das 
ursprünglich  vr)llig  intakte  und  nach  der  sog.  vierten  Konjugation 

*)  Sagt  doch,  öelbst  ('iet*ro,  oiucr  der  edelsten  Vertreter  der  antiken 
Humanität,  ep.  Att.  13,  41),  2  Est  bellum  aliquem  Uhenier  odisse  und  ib.  9, 
12,  9  .  Odi  hominem  et  odero;  utinaui  uloiHci  poHseui!  Vgl.  überhaupt 
Schneidewin,  Die  antike  Humanitilt  8.  202  tf. 

Archiv  für  lat.  Lexikogr.    XII.    lieft  t  1  L 


loO  Gustav  Landgraf: 

abgewandelte  V^erbuni  Y>dio,  ich  hasse**  iiiulste  wegen  der  laut- 
lichen Kollision  mit  'andio,  ich  höre'  ans  dem  Hoehlatein  weichen, 
blieb  aber  in  der  Volk8S])rache  lebendig,  wie  sein  plötzliches  Auf- 
tauchen beweist  in  jener  Stelle  der  13.  Philippika  §  42,  wo  Cicero 
imt^r  anderen  Aulserungen  des  Antonius  auch  die  folgende^  fiir 
uns  so  wichtige  anführt:  ^Mihi  ({uidem  constat  nee  meani  contu- 
nieliam  nee  meorum  ferre  nee  deserere  partis,  «(uas  Pompeins 
odivit'  —  eine  Form,  die  auf  gleicher  Stufe  steht  mit  dem  im 
nächsten  Paragraphen  von  Cicero  gegeifselten  Superlativ  pü^imus 
%|Uod  verbum  omnino  nulluni  in  lingua  Latina  est,  id  propter 
tuam  divinani  pietatem  novum  inducis'.  Keine  von  beideA  Formen 
war  von  Antonius  neu  gebildet,  sondern  nur  aus  der  Volkssprache 
entlehnt,  wie  uns  die  zahlreichen  Belege  aus  der  späteren  Latinitat 
und  aus  den  Inschriften*)  beweisen,  ja  Cicero  soll  den  Superlativ 
'piissimus'  nach  dem  Zeugnis  des  Grammatikers  Caper  (cf.  Pompei 
comment.  artis  Donati  p.  154,  15  K. )  selbst  in  seinen  Briefen  an- 
gewendet haben.  Wenn  mm  sonach  das  Verbum  *odire'  im  Hoeh- 
latein uimiöglich  war,  so  blieb  nichts  anderes  übrig  als  entweder 
an  seine  Stelle  ein  anderes  treten  zu  lassen  oder  auf  Mittel  und 
Wege  zu  denken,  um  es  von  seinem  Doppelgänger  deutlich  zu 
diflFerenzieren.  Das  war  aber  nicht  so  leicht.  Denn  wenn  man 
z.  B.  das  Verbum  in  die  sog.  1.  Konjugation  versetzen  wollte,  so 
wäre  damit  zwar  <ler  Verwechslung  mit  audire  in  der  Mehrzahl 
der  Formen  vorgebeugt  gewesen,  allein  gerade  der  wichtige  Indik. 
Präs.  Akt.  und  Pass.  von  odio  lodias,  odiat,  odiatur  u.s.  W.)  wäre 
mit  dem  Konj.  Präs.  Akt.  und  Pass.  (^audias,  audiat,  audiaturn. s. w. ) 
und  der  Konj.  Präs.  Akt.  und  Pass.  von  odio  (odiem,  odies n. s. w.) 
wäre  mit  dem  Futur  Akt.  und  I^ass.  vim  audio  (audiem,  andiesa.s.w.) 
zusammengefallen.  Immerhin  mufs  im  Spätlatein  neben  odire  nach 
der  4.  Konj.  auch  ein  odiarf  nach  der  1.  Konj.  existiert  haben, 
wie  die  in  den  Tironischen  Noten  tab.  4(),  S9 — lU  vorkommenden 
Wörter  inodiat** ),  inodiatus,  exodiutus,  perodiatus  i  vgl.  Arch.  IX,  241) 

*  Zu  dou  von  (icorjros  Lexikon  der  lat.  Wortf.  s.  v.  und  Neue-Wagener 
IT"*  p.  205  pesamnielti'n  lU^lejjen  kommt  jetzt  noeh  Alex.  Mag.  Mac.  cpit.  rer. 
fjOFt.  p.  100.  17  Wapier  'o  pii.ssime'. 

**1  Das  .Vroh.  Ill  *J«>7  von  (»roeber  augesetzte  Verbum  in  -  odian.^  s=  span. 
enojar.  ital.  annoiare.  franz.  ennuyer  belegt  Heraus  Arch.  Xll  49  noch  aus 
Kxod.  :>.  21  vinodiare  ^  ßAtkAraattr)  im  cod.  Lugd.  und  aus  einer  afiikan. 
lir.ibschrit^  l.'arm.  epigr.  II  li>0(>,  14  H.  neque  aput  caro  niarito  inwhari 
■ --  in  odium  adduci    potui. 


Das  Dcfektivum  'odi'  und  sein  Krsatz.  151 

lind  das  italienische  odiare  wie  das  spanische  odiar  beweisen.*) 
Eine  Abwandlung  nach  der  sog.  2.  Konj.  ging  sowohl  aus  anderen 
Gründen  nicht  gnt  an,  als  auch  insbesondere  wegen  der  in  diesem 
Falle  eintretenden  Kollision  mit  'audere  wagen'.  So  blieb  denn 
in  der  That  nur  noch  die  Abwandlung  nach  der  sog.  «3.  Konj. 
übrig  und  zwar  nach  dem  Typus  fodio**)  födi.  Aber  auch  hier 
stiefs  man  auf  Schwierigkeiten,  indem  der  ganze  Präsensstamm 
mit  wenigen  Ausnahmen  wiederum  mit  audio  zusammenfiel.  Jetzt 
entschlofs  man  sich,  von  allen  Seiten  in  die  Enge  getrieben,  zu 
einem  radikalen  Heilmittel,  das  zwar  das  Verbum  selbst  am  Leben 
erhielt,  aber  es  au  Haupt  und  Gliedern  empfindlich  schädigte. 
Man  beraubte  es  gänzlich  des  normalen  pnisentischeu  Tempus 
und  übertrug  die  Präsensbedeutung  auf  das  Perfekt  ödi  nach 
Analogie  von  memini  und  novi,  vgl.  Charis.  p.  257,  21  'huic  verbo 
similia  sunt  memini,  novi'  imd  Priscian  XI,  19  (p.  500,  24  H.) 
^memini  tarn  praesefitis  quam  praeteriti  vim  habet  quomodo  odi'. 
Die  Ansicht,  dafs  odi  auch  das  Perfekt  vertreten  könne,  begegnet 
wiederholt  bei  den  alten  Grammatikern,  vgl.  aufser  den  unten 
angeführten  Stellen  noch  Serv.  zu  Verg.  Aen.  5,  687  und  besonders 
Cledonius  p.  58,  14  K.,  der  lehrt  'odi'  temporis  praeteriti  perfecti 
est,  sicut  'legi'.  Nam  quod  dicis  'odio  te  habeo'  (über  diese  Um- 
schreibung 8.  unten)  nomen  est,  non  verbum.  Nam  Terentius 
'Miris  modis  odisse  aiunt  a<lulescentem  Sostrata'.  Allein  an  dieser 
Stelle  (Hec.  179)  lesen  unsere  Hss.  richtiger:  'Miris  modis  odisse 
coepU  Sostratam'.  Thatsächlich  haben  die  lateinischen  Schrift- 
steller —  Dichter  wie  Prosaiker  —  streng  an  der  Präsensbedeutung 
von  odi  festgehalten,  wie  z.  B.  einer  der  ältesten  Belege  Enn.  fal). 
379  R.  beweist  'quem  metimnt  oderunt,  quem  quisque  odit  periisse 
expetit"  oder  aus  Plautus  Capt.  978  'Nam  magis  multo  paMor 
facilius  verba,  verbera  ego  odi\  Es  ist  mir  nicht  gelungen,  einen 
ToUgiltigen  Beleg  für  ein  im  perfektischen  Sinne  gebrauchtes  odi 
zu  finden,  denn  Bell.  Hisp.  c.  42,  5  'Vos  ita  pacem  semper  odistis' 
ist  zwar  'odistis'  zweifelsohne  Perfektum  (es  steht  unter  den 
übrigen  Perfektformen  attulistis — -voluistis — potuistis),  allein  der 

*}  Das  franz.  hal'r  ist  Lehnwort  aus  dem  Deutschen  (vgl.  got.  hatjan, 
alts.  het&an,  hetten,  nhd.  hetzen,  hassen). 

**)  Der  Infin.  ödere  steht  Comm.  Bemens.  zu  Lucan.  7,  869.  —  Nicht 
unerwähnt  sei,  dal's  sieh  auch  von  lodere  vereinzelte  Nebenformen  nach  der 
1.  Konj.  (fodare;,  2.  Konj.  (fodentes)  und  4.  Konj.  (fodiii  ünden,  s.  Georges 
Lex.  der  lat.  Wortf.  s.  v. 

11* 


152  Gustav  Landgraf: 

Verl*,  lies  Bell.  Hisp.  setzt  hier,  wie  er  auch  sonst  die  kontrahierten 
Formen  liebt,  offenbar  odistis  für  odivistis,  wie  ja  sogar  Antonius 
sieh  nicht  scheute,  das  vulgäre  Verbuni  zu  gebrauchen  (s.  oben).*) 
Nachdem  aber  das  ursprünglich  perfektische  ödi  samt  den 
davon  abgeleiteten  Zeiten  die  Geltung  eines  Präsens  bekommen 
hatte*,  erhoben  sich  neue  Schwierigkeiten.  Man  mufste  notwendig 
Ersatz  suchen  einerseits  für  das  nun  anderweitig  verwendete 
Perfekt,  andererseits  für  das  ganze  Passiv.  Was  zunächst  den 
Ersatz  des  Perfekts  anlangt,  so  konnte  man  ja  —  und  es  geschah 
auch  —  wenigstens  für  den  Indikativ  *oderam'  zur  Aushilfe 
heranziehen,  allein  ausreichend  war  diese  Aushilfe  in  keiner  Weise. 
Man  griff  deshidb  zu  einem  Mittel,  das  auch  in  anderen  ähnlichen 
Fällen  sich  als  probat  erwiesen  hatte.  ().  Keller  erklärt  in  seinem 
interessanten  Aufsatz  „Differenzierung^*  (Grammatische  Aufsätze 
1S95 )  S.  147  sehr  schön,  wie  die  Passivform  solihis  sum  für  solui 
^das  bei  Ennius,  Cato,  Cael.  Antipater  und  dem  archaisierenden 
Sallust  sich  ündet)  als  praktische  Ditt'erenzierungsform  sich  zu- 
nächst in  der  Umgangssprache  einbürgerte  und  von  da  auch  in 
die  Schriftsprache  ül)erging.  ,,Ahnlich  wird  wohl  auch  fistus  est 
entstanden  sein  für  das  Perfekt  Akt.  fidit  (denn  das  angebliche 
iisi  scheint  eine  Fiktion  der  späteren  Grammatiker  zu  sein**))  zur 
Differenzierung  gegenüber  dem  Präsens  von  fidere  und  dem  Per- 
fektum  von  ündere  (fidi)/'  Ich  möchte  auf  dieser  Bahn  weiter- 
gehen und  behaupten,  dafs  die  sämtlichen  sog.  Neutro- Passiva 
ihre  Entstehung  diesem  Verlangen  nach  Differenzierung  verdanken. 
Für  soleo  und  iindo  hat  es  Keller  überzeugend  nachgewiesen,  es 
bleiben  noch  audeo  mid  gaudeo.  Von  beiden  giebt  Priscian  9,  47 
(p.  4S2,  9)  an,  daJs  die  'vetustissimi"  auch  ^ausi'  für  'ausus  sum' 
und  'gavisi'  für  'gavisus  sum'  gebildet  hätten.  Er  citiert  für 
Siusi'  eine  Stelle  aus  einer  Rede  des  alten  Cato  (p.  63,  4  JonL): 
Beneficii  (Mommsen:  veneüci)  postridie  iussisti  adesse  in  diem  ex 
die:  non  utisi  recusare;  doch  schiebt  hier  der  Bambei^ensis  ^sunt' 
nach  ausi  ein  —  ob  mit  Recht,  ist  aus  dem  trümmerhafb  über- 

'^1  Nach  V.  Hart^4  Arcli.  111  3G  ffobraucht  Lucifor  C'al.  häufig  odisse  im 
Sinne  von  odivir^sc.  Doch  habe  ich  die  kontrahierte  Form  nur  de  saneto 
Atlian.  11  0.  1.')  1».  175.  24)  anj?etrotFeu  »ygl.  Index  ij.  356)  und  zwar,  wie 
mir  scheint,  mit  Präsensbedeutung:  'cum  haee  ita  sint,  necesse  est  te  id- 
rirco  CHlisac  illnm,  quia  opus  tuum  sit  malignum\ 

**)  Prise,  s,  «1  p.  420,  18);  da»  Tertekt  'iisi'  ist  bis  jetat  nirgends 
nachzuweisen,  et*.  Neue-Wagener  IIP  S.  100. 


Das  Defektivum  'odi'  und  sein  Ersatz.  153 

lieferten  Zusammenhang  nicht  zu  entscheiden.  Da  aber  Cato  an 
zwei  anderen  Stellen,  p.  41,  5  und  9  Jord.,  ^ausus  est*  und  'ausum 
esse'  sagt,  so  bleibt  es  wenigstens  f&r  Cato  fraglieh,  ob  er  die 
Perfektform  *ausi'  gebraucht  hat.*)  Doch  das  ist  noch  kein 
ausreichender  Grund,  an  dem  einstmaligen  Vorhandensein  eines 
aktiven  Perfekts  ^ausi'  überhaupt  zu  zweifeln,  da  ja  sein  Bruder 
gaudeo  (eig.  *gävi-d-eo,  Lindsay  lat.  Spr.  S.  550  und  6CK))  gleich- 
falls in  der  archaischen  Sprache  ein  aktivisches  Perfekt  'gavisi' 
bildete,  wie  durch  zwei  Belege  sicher  verbürgt  ist:  Liv.  Andron. 
Od.  (fr.  32  B.)  quoniam  audivi,  paucis  gavisi  (=  Hom.  Od.  16,  92 
fl  fuika  ^liv  Tcataddmet!  axovovtog  tpCkov  t/top)  und  Cass.  Hern.  2 
fr.  25  P.  idque  admiratum  esse  (javisi.  Nun  scheint  das  Perfekt 
'ausi'  deshalb  beseitigt  und  dafür  die  Passivform  *au8us  sum'  ein- 
geführt worden  zu  sein,  weil  gerade  die  viel  gebräuchliche  dritte 
Person  Sing.  *ausit'  mit  der  Konjunktivform  atusit  von  ausim**) 
zusammenfiel,  die  sich  z.  B.  bei  Plaut.  Mil.  11,  Bacch.  (517,  aber 
auch  bei  Catull,  Ovid,  ja  selbst  bei  Livius  findet.  Wie  nun  wohl 
nach  ^coeptus  suni'  (für  eoepi  bei  passivem  Infinitiv)  per  analo- 
giam Mesitus  sum'  weitergebildet  wurde,  so  nahm  nach  dem 
Vorgang  von  audeo  auch  dessen  Zwillingsbruder***)  gaudeo  sein 
Perfekt  aus  dem  Passiv.  Was  Wunder  endlich,  dafs  bei  der 
Zwangslage,  in  der  man  sich  dem  Verbuni  *odi'  gegenüber  be- 
fand, nach  diesen  Mustern  das  fehlende  Perfekt  aus  dem  Passiv 
entnommen  xmd  also  osus  sunt  für  das  ver]jönte  ^odivi'  geneuert 
wurde.  Man  höre  darüber  Non.  {},  148,  8M.  ^  Osa  sum  pro  odi  (!) 
PluiUus  in  Amphitryone  (v.  900):  inimicos  senrjyr  osa  sum  optu- 
erier;  Fest.  p.  201,  18  M.  ^  Osi  suvf  ab  odio  declinasse  antiquos 
testis  C.  Gracchus  in  ea,  quae  est  de  lege  Minucia,  quom  ait: 
*Mirum  si  quid  his  iniuriae  fit,  semper  eos  osi  sunt';  |Sergii] 
explan,  in  Donat.  2  j).  552,  1  ^odi  facit  praeterito  perfecto  osus 
sum\  Aufserdem  ist  iliese  Perfektform  mit  aktiver  Bedeutung 
nur  zweimal  belegt:  Sen.  suas.  1,  5,  wo  aber  die  Lesart  imsicher 
ist.   Der  neueste  Herausgeber,  H.J.Müller,  schreibt:  'et  inter  reges 

*)  Vgl.  auch  riaud.  Quadrig.  fr.  57  F.  'lictorea    non  ausi  »uht  desctMi- 
dere  iubere'. 

**)  Davon  ist  wiederum  zu  unterscheiden  das  häufig  glossierte  Adver- 
bium ausim  =  audacter,  das  nach  Analogie  von  sensim  gebildet  ist;  s.  die 
Glossen  im  Thes.  gloss.  em.  s.  v.  audeo. 

*•*;  Vgl.  Priscian  p.  482,  8:  'au'  ante  'deo'  habentia  per  i)articipium 
in  praeterito  declinantur  nunc:  'audeo  ausus  Bum\  'gaudeo  gavisus  sum'. 


lo4  GuBtav  Landgraf: 

ipsos  esse  discrimen :  quosdam  minus,  alios  magis  osos  veritatem; 
facile  (facti,  taciti  codd.)  Alexandrum  ex  iis  esse  etc.  Vielleicht 
ist  osos  veritatem  fuisse  zu  lesen  nach  GeU.  4,  8,  3  Hunc  Fabricios 
non  probabat  neque  amico  utebatur  os?^^que  eum  raoram  causa 
fiiit.  Mit  Unrecht  stellen  Neue- Wagener  III  p.  121  hieher  Porphyr. 
in  Hör.  carm.  3,  24,  30  'per  invidiam  fit,  ut  boni  viri  dum  vivant 
osi  sint%  denn  hier  steht  osus  sum  als  Pctssiv  und  im  präsentiscJieti 
Sinne  =  odiantur.  Dafs  osus  sum  im  Spätlatein  passivisch  ge- 
braucht wurde,  bezeugt  auch  (Jharis.  p.  2o7,  11  Werbum  finitiyum 
tem])oris  instantis  odi,  odisti,  odit;  imperfecti  oderam;  perfecti 
(vgl.  oben  S.  151)  odi,  eiusdem  temporis  passiro  modo  osus  sum 
et  tili  \  Allein  darin  irrt  er,  dafs  er  itlr  osus  sum  Perfektbedeutung 
annimmt.  Unklar  drückt  sich  auch  Servius  zu  Verg.  Aen.  5,  687 
*si  nondum  exostis  (sc.  es)  ad  unum  Troiimos'  aus,  wenn  er  sagt: 
Autiqui  et  'odi'  dicebant  et  %)sus  sum':  hinc  est  'eiosus',  quo 
utimur,  licet  iam  *osus  sum'  non  dicamua.  Denn  exosus  und 
perosus  sum*)  werden  nur  in  präsentiscJur  Bedeutung  gebraucht; 
man  vgl.  aufser  der  Vergilst^lle  Curt.  8.  7,  12  Persarum  te  vestis 
et  diseijJina  delectat,  patrios  mores  ejostis  es  =  odisti;  Augnstus 
bei  Suet.  Tib.  21  deos  obsecro  ut  te  nobis  conservent,  si  non 
populum  Komanum  jxrosi  smit.**)  Mehr  Stellen  geben  Neue- 
Wagener  111  S.  121,  die  ebenda  richtig  l)emerken,  dafs  exosus  und 
perosus  i Avie  osus  bei  Porpliyrio)  im  späten  und  spätesten  Latein 
auch  in  }}as$ivisch€r  Bedeutung  auftrett»n,  man  vgl.  Eutrop.  7,  23 
ob  scelera  universis  eaostts  esse  coepit.  Bei  «liesem  mannigfaltigen 
(Tel)rauche  ist  es  kein  Wunder,  wenn  die  alten  Grammatiker 
völlig  den  Kopf  verloren  und  Richtiges  mit  Unrichtigem  in  ihren 
Bemerkungen  über  die  Konjugation  von  odi  durcheinandenvarfeu. 
Einige  Proben  davon  haben  wir  schon  oben  gegeben:  hier  möge 
noch  eine  Bemerkung  «les  Diomedes  p.  387,  10  Platz  finden:  ^Est 
et  odi  corruptum.  Accipitur  enim  pro  instanti  et  perfecto  (s.  oben), 
quasi  ^tö(o  x(ci  ufii{6)]x«.     Nonnulli  distinguendi  temporis  gratia 

*  Kühiu^r,  Ausführl,  J-^at.  (Tramiu.  I  S.  53G  citiert  für  diesen  Gebrauch 
als  orstt*  Stelle  Cic.  ep.  Att.  4.  Ha,  3,  allein  hier  wird  jetzt  'cram  exorsus' 
ffelesen:  exosus  wHre  hier  auf»  dem  IJninde  unmöglich,  weil  das  Particip 
erst  von  Vergil  geschaffen  wurde  «s.  unten.  —  fycrodi  gebraucht  allein 
Manil.  A!»tron.  o,  415. 

**  Damit  stimmt,  wenn  Verrius  Flaccus,  ein  Zeitgenosse  des  Augustus, 
in  seinem  Werke  de  verl).  signif.  nach  dem  Auszug  des  Festus  ip.  201,  18  M.) 
sagt:  ^luod  nunc  quoque  cum  i>raepositione  elatuni  frequens  est,  quom  di- 
cimus.  semper  i)eroifi\ 


Das  Defektivum  'odi'  und  sein  Ersatz.  155 

peri'ecto  declinant  exosus  sum  et  perosus  sum  illum;  similiter  et 
plusqnamperf ecto. ' 

Dpch  kehren  wir  zu  osus  sum  =  odivi  zurück.  So  glücklich 
die  Neiuschöpfimg  dieser  Perfektform  zu  sein  schien,  so  konnte 
sie  sich  doch  nicht  auf  die  Dauer  halten.  Derselbe  Unstern,  der 
odio  aus  der  mustergilt  igen  Litteratur  verdrängt  hatte  ^  brachte 
auch  der  Form  'osus  sum'  den  Untergang.  £s  geriet  in  Kollision 
mit  dem  im  römischen  Munde  gleichlautenden  ^ausus  sum'  und 
—  unterlag. 

Nun  wäre  es  eigentlich  nahe  gelegen,  die  von  Vergil  an  Stelle 
des  wegen  des  Zusammentallens  mit  ausus  nicht  verwendbaren 
Particips  osus*)  neu  eingeführten  Participia  exosus  und  perosus 
durch  Zusammensetzung  mit  eram  und  fui  in  die  Lücke  treten 
zu  lassen.  Auch  hat  es  nicht  an  Versuchen  dazu  gefehlt;  so  sagt 
Livius  3,  34,  H  plebs  consulum  nomen  haud  secus  quam  regum 
perosa  erat**)  und  Gellius  15,  20,  6  mulieres  fere  omnes  in  ma- 
iorem  modum  eu'osus  fuisse  dicitur,  allein  durchgedrungen  ist  dieser 
Versuch  nicht,  so  allgemeiner  Beliebtheit  sich  auch  seit  Vergil 
die  Participia  exosus  und  perosus  bei  Dichtem  wie  Prosaikern 
zu  erfreuen  hatten.  Es  war  dies  eine  der  vielen  glücklichen  Neu- 
bildungen Vergils.  Fehlte  es  doch  bis  dahin  thatsächlich  der 
mustergiltigen  Sprache  an  einem  Participium  von  odi  und,  was 
das  Wertvollste  war,  durch  die  Zusammensetzimg  mit  ex  und  per 
waren  diese  Participia  gegen  alle  Angriffe  des  'waghalsigen'  Erb- 
ieinde&i  (audeo)  gefeit.  Übrigens  gewann  das  Kirchenlatein  durch 
Verbindung  des  Particips  cvosus  mit  habere  eine  neue  Umschrei- 
bung des  Perfekts.     Thielmann***)    im    Arch.  II  383    citiert    für 


*;  Mar.  Sacerdos  p.  431,  4  K.  stellt  als  Partizipia  Futuri  ^osurus'  {vgl. 
(tloss.  Ampi.  p.  317,  18  und  377,  33  (j.  osurus  odituruä)  und  odendus  (?), 
als  Partie.  Pert'.  'osus'  auf.  Letzteres  ist  ohne  Hilfsverb  an  keiner  Stelle 
nachzuweisen;  'osuriis^  findet  sich  an  zwei  Stelleu  in  Wiedergabe  einer 
Sentenz  des  Bias  bei  Aristot.  Rhet.  2,  13  wi;  dti  (piXttv  mg  niarjaovTct  x(xl 
fiiattv  (OS  (jptJtfJtfoiTa.  Cicero  übersetzt  Lael.  §  60  Ita  amare  oportere,  ut 
si  aliquando  esset  osurus,  (ilellius  1,  3,  30  Hac  fini  ames  tamquam  forte 
fortuna  et  ogurus,  hac  itidem  tenus  oderis  (Ersatz  des  Imperativs!)  tamquam 
fortasse  post  amaturus. 

**j|  l4ivius  gebraucht  nur  'perosus'  und  dies  dreimal  im  3.  Buch;  Klotz 
lat.  Stilistik  S.  83  rechnete  das  Wort  zur  PataWnitas  des  Livius!  Richtiger 
urteilt  Stacey  im  Arch.  X  45. 

***)  ^m.  a.  0.  giebt  Thielmann  einige  gute  Bemerkungen  über  die  im 
Vorstehenden    behandelte  Materie,    die    sich  zum  Teile   mit   meinen  Auf- 


156  Gastav  Landgraf: 

exosuni  habui  Vulg.  2  reg.  13,  15;  Prov.  1,  29;  Osee  9,  15.  Ans 
der  Bibelsprache  mag  Einhanl  diese  Verbindung  kennen,  die  er 
c.  22  der  vita  Garoli  Magni  anwendet  quos  (sc.  medicos)  paene 
exosos  habebat.  Vorangegangen  war  die  profane  Litteratürspraehe 
mit  invisum  habere y  vgl.  Sen.  contr.  9,  1,  15  invisa  habuisse  und 
Cnrt.  7,  2,  36  invisos  habuerat. 

Gröfsere  Verbreitung  fand  die  Umschreibung  des  Defektivums 
durch  odio  habere,  und  zwar  sowohl  im  Präsens  als  im  Perfekt 
Aktivi  imd  Passivi.  Schon  Plautus  kennt  sie:  Men.  111  quod 
viro  esse  odio  videas,  tute  tibi  odvi  Itabeas  und  Pers.  2^)6  odio 
haheant.  Die  klassische  Prosa  vermied  die  Wendung.  Die  Sentenz 
^Sic  diligendi  sunt  amici,  ut  nos  nobis  odio  haberi  putemus,  si 
amicos*)  (Varr.  sentent.  p.  270,  119  Riese)  geht  wohl  kaum  auf 
Varro  zurück.  Von  den  augusteischen  Dichtern  gebraucht  die 
Umschreibung  Ovid  rem.  am.  124  impatiens  animus  respuit  atqae 
odio  verba  monentis  haltet.  Häutiger  begegnet  sie  in  der  nach- 
klassischen  Latinität,  so  bei  Sen.  de  ben.  5,  5,  2  tam  diu  parentes 
odio  habemiis  quam  diu  graves  iudicamus.  Besonders  gem^  be- 
dienen sich  die  Script,  bist.  Aug.  dieser  Wendung  zum  Krsatz  des 
Perfekts:  lul.  Cap.  vit.  Pert.  14,  6  milites  eum  odio  halnfemnt] 
lul.  Cap.  V.  Maxim.  11  ut  ])roditorem  odio  hahtiit  (Ael.  Spart,  v. 
Pesc.  Nig.  3,  2  qui  magis  esset  odio  hahendus  a  senatoribus);  Ael. 
Spart.  V.  Hadr.  22,  9  ditavit  —  odio  hahnit,  ib.  14,  1  Antiochenses 
ita  odio  habuit  und  ganz  so  Ael.  Spart,  v.  Sev.  14,  5  —  gewils 
keine  zufällige  Übereinstimmung  des  Sprachgebrauchs;  Schol.  Gron. 
zu  Cic.  Rose.  Am.  §  46  odio  hahebat  (Ggs.  amabat)  und  o.  Juilmit, 
Die  Vulgata  des  Alten  und  Neuen  Testamentes  bietet  odio  habere 
an  20  Stellen;  bes.  wichtig  erscheint  ev.  lohami.  15,  IS  si  mundus 
vos  odit,  scitote  quia  me  priorem  vobis  odio  habuit  =  si  6  xodfiog 
i^ficcg  (ii6€L^  yvyvG}67cexB  ort  ifi}  Jtg&rov  vfiibv  ftsfiiö'ijxev.  Unter 
den  Ekklesiastikeni  (vgl.  z.  B.  Novat.  de  pud.  c.  5  nemo  camem 
suum  odio  habet)  fand   die  Phrase    odio   habere   den    besonderen 

ßtellungen  benihren.  —  Die  von  Th.  nicht  erwähnte  Umschreibung  pet'osum 
habere  steht  Lucif.  Cal.  p.  117,  7  perosum  halntum;  160,  12  noli  ita  te 
perosiim  habere  und  148,  14  amare — perosa  habere. 

*)  Wir  haben  hier  offenbar  dieselbe  Sentenz  vor  uns,  die  wir  bereits 
oben  S.  155*  aus  Cicero  und  Gellius  belegt  haben;  man  vgl.  noch  Publil.  Syr. 
245  K.  'Ita  amicum  habeas,  posse  ut  facile  heri  himc  inimicum  putes'. 
Nach  diesen  Stellen  wird  auch  die  varronische  Sentenz  zu  emendieren  sein: 
»Sic  diligendi  sunt  amici  ut  eos  (ut  non  eos  nos  -4)  nobis  odio  haberi  pute- 
muß  <'qua^8i  ^in^imicos  oder  sicut  inimicos. 


Das  DefektivDm  ^odi'  und  sein  Ersatz.  157 

Beifall  des  Lucifer  Gal.:  p.  54^  7  entsprechen  sieh  odio  hahitos  luid 
aniatos^  v.  9  amaverit  und  odio  habuerit*  p.  55,  i)  odio  hcdiere  di- 
gnaris;  132,  19  quos  odio  se  habere  dieit  dominus;  143,  5  quae 
odio  haheat  deus,  dagegen  327,  9  steht  in  odio  habentur  (vglr  ital. 
aver  in  odio).  Danebenher  geht  bei  ihm  eine  ausgiebige  Ver- 
wendung des  biblisch*) -vulgären  odire,  s.  die  Belege  für  odis, 
odimor,  odies,  odivi  (über  odisse  s.  oben),  odire,  odiri,  odientes 
im  Index  von  Hart«l  p.  356.  Hierher  seien  noch  gestellt  die 
Glossen  4,371,31  odiosus]  qui  oditur;  5,574,4  odibilis]  odio 
habitus;  rätselhaft  ist  5,  30(>,  24  himosus]  odio  habitus. 

Die  bekannteste  und  gebräuchlichste  Umschreibung  des  Passivs 
ist  die  durch  odio  esse,  vgl.  Diomed.  p.  387,  10  Id  verbuni  in  signi- 
ficatione  passiva  id  est  ^löovfiat  aliter  formari  non  potest,  quam 
si  dicas  odio  sum  iUi  et  ita  declinatur.  Das  Stellenmaterial  findet 
man  am  vollständigsten  in  den  Abhandlungen  von  Nieländer 
über  den  faktitiven  Dativ  I  S.  14  f.,  II  S.  8f.,  lU  S.  9.  Hier  sei 
nur  darauf  hingewiesen,  dafs  odio  esse  auch  als  Ersatz  des  Aktivs 
verwendet  wird,  so  Cic.  Rose.  Am.  vj  40  verisimile  non  est  odio 
fuisse  parenti  filium  =  dafs  der  Vater  den  Sohn  hafste,  vgl.  Plaut. 
Merc.  80  Ergo  ubi  ita  visum  { me  ubi  invisum  codd.)  meo  patri 
esse  intellego  atque  odio  me  esse  quoi  placere  aequom  fuit  und 
Sen.  contr.  7,  3,  5  dico  tam  invisttm  Uli  patrem  fiiisse  (zu  dieser 
Umschreibung  vgl.  oben  invisum  habere),  ut  occidere  voluerit: 
ipse  fatetur  tam  invisum  sibi  fui^ssc,  ut  se  occidere  voluerit.  Neben 
dem  Dativ  findet  sich  —  allerdings  viel  seltener  —  auch  der 
ÄhlatiVj  z.  B.  Cic.  Verr.  a.  pr.  42  quo  maiore  etiam  si  tieii  jiotest 
apud  vos  odio  esse  debet  passivisch  lan  Stelle  von  odiendus  est!); 
d^egen  Phil.  12,  H  non  arbitrabitur  ( legio )  se  graviore  odio  debere 
esse  in  Antonium  quam  senatum  aktivisch,  wie  ep.  fam.  12,  16,  3 
etiamsi  odio  pari  fuerit  in  eos,  quos  laedit.  Häqfig  erscheint  auch 
in  odio  esse,  mit  und  ohne  Dativ,  z.  B.  ep.  Att.  2,  21,  1  tant*)  in 
odio  est  Omnibus;  ib.  2,  13,  2  quanto  in  odio  noster  amicus!;  de 
imp.  Cn.  Pomp.  §  65  difficile  est  dictu  quanto  in  odio  simus  apud 
exteras  nationes;  Bell.  Äl.  59  tamque  omnibus  Caesariauis  quam 
Pompeianis  Longinum  esse  in  odio. 

Doch  hiermit  ist  die  Reihe  der  Umschreibungen  noch  nicht 
erschöpft,  wie  zum  Schlüsse  eine  kleine  Auswahl  darthun  möge. 

•;»  Eine  übersichtliche  ZusammenHtelluug  der  in  der  Itala  und  Vulgata 
gebrauchten  Formen  von  odio  giebt  R^nsch  It.  u.  Vulg.  S.  2^1 — 2m:{,  be- 
richtigt und  ergänzt  von  Neue -Wagener  III  S.  642 — 644. 


1Ö8       ^^-  Landgraf:    Da»  Defektivum  ^odi'  und  sein  Ersatz. 

Cic.  prov.  eons.  24  quod  mihi  odium  cum  P.  Glodio  fuit'i 

Cic.  Plane.  71  requiro  utruni  putes  (Klium  in  me  mediocre 
iiiimicoriiiii  fuisse-^  Mil.  52  odinni  fuisse  illius  in  hunc  acerbissi- 
niun\,  imllum  huius  in  illuiii. 

(Jic.  Vsitin.  3U  si  es  odium  publicum  populi,  senutus,  univer- 
soruni  hominum  rusticanorum. 

Cic.  TuU.  21  tantum  odii  crudelitatisque  licibueinint  (aktiviscli); 
e]).  Qu.  fr.  H,  9,  ;^  odii  nihil  habet  (passivisch),  Petron.  84  si  quis 
vitioruiii  omniuni  iuimicus  rectum  iter  vitae  coepit  insistere, 
propter  morum  differentiam  odium  Jtabet, 

Verr.  1,  23  faomines  scitote  esse  quosdam^  quos  tantum  odium 
iiostri  ordinis  tenet]  de  ro]).  2,  o2  tantum  odium  fenuU  populum 
llomnnuni  regalis  nominis. 

ib.  1,  62  tu  non  vides  luiius  superbia  Tarquinii  nomen  huic 
j)o])ulo  in  (jdium  venissc  regiumV 

J^etron.  105  quibus  in  odium  bona  sua  venissent, 

Cic.  off.  1,  150  in  odia  hominum  incurrunt. 

Leg.  agr.  1,  2  nomen  imperii  in  commune  odium  orbis  terrae 
vtfcabafur. 

Cic.  ej).  Att.  11,  17  a,  2  quid  mea  intersit,  ut  eorum  odium 
siiheam,  non  intellej^o. 

Nep.  Lys.  3,  1  ut  itf  maximum  odium  (iraeciae  Lacedaemonii 
pervmerint. 

Senec.  epist.  10,  2,  20  in  odium  illam  sui  adducere  soiet 
iners  otium. 

Auffallend  sagt  Plin.  bist.  nat.  28,  S,  10(3  onmibus  odio  venirr 
für  in  odium,  vgl.  Arch.  VIII  75. 

Auch  das  Adjektiv  odiosus  leistet  gute  Dienste,  wie  z.  B. 
Cic.  Cat.  m.  §4  /.eigt:  senectus  plerisque  senibus  odiosa  est  = 
wird  gehalst. 

München.  (jnstav  Landja*ftf. 


Sprachliches  zum  Bellum  Hispaniense. 

Der  letzte  Kommentar  der  Fortseizungen  Caesars  beiÜBt  seit 
Jahrhunderten  und  noch  in  der  neuesten  kritischen  Ausgabe 
(Bibl.  Teubner.  1897)  das  Bellum  Hispaniense^  ohne  dafs  eine 
Variante  angefülirt  würde.  Und  doch  bietet  die  älteste  Hand- 
schrift, der  neu  entdeckte  Codex  Ashbumhamensis^  die  Überschrift: 
Incipit  üb  XIU^  de  hello  byspanico.  Der  Redaktor  dieser  Aus- 
gabe betrachtete  also  die  verschiedenen  Bücher  als  ein  zusammen- 
hangendes Ganzes^  als  die  R^rum  suarum  (Rerum  a  se  gestarum) 
libri  Xni,  welche  Caesar  zwar  nicht  selbst  vollendet,  aber  wenig- 
stens zu  schreiben  beabsichtigt  hatte.  Er  zählte  also,  wie  die 
sogen.  Historien  des  Tacitus  in  dem  Codex  Mediceus  als  Fort- 
setzung des  Werkes  ab  exeessu  divi  Augusti  mit  fortlaufenden 
Zahlen  gezählt  werden.  Die  Rechnung  stimmt  freilich  nur,  wenn 
man  das  Bellum  Gallicum  zu  acht^  das  civile  zu  zwei,  das 
Alexandrinum  und  Africum  zu  je  einem  Buche  ansetzt.  Das 
Bellum  Africum  trägt  auch  (vgl.  die  Photographie  in  meiner  Aus- 
gabe i  über  den  einzelnen  Seiten  die  römische  Ziffer  XH.  Dazu 
kommt,  dafs  die  Bücher  1 .  H  des  Bellum  civile  nach  unserer 
heutigen  Einteilung  nur  die  Ereignisse  des  Jahres  49  umfassen, 
während  son^t  jeder  Kommentar  ein  ganzes  Jahr  umfafst.  Vgl. 
Bell.  Gall.  S,  48,  10.  Auch  ist  der  Umfang  von  üb.  I  und  U  zu- 
sammen nicht  viel  gröfser  als  der  von  HL 

Aber  wie  steht  es  denn  mit  dem  Titel  Bellum  Hispanicum? 
Die  (iewohnheit  spricht  dagegen,  die  Analogie  dafür.  Wenn  von 
Gallia  gebildet  worden  ist  Bellum  Gallicum,  warum  nicht  von 
Hispania:  Bellum  Hispanicum?  Üblicher  ist  später  geworden 
Bellum  Hispajiiense,  und  Sueton  im  Divus  lulius  50  hat  den 
Kommentar  so  genannt;  den  Krieg  schon  Cicero  imp.  Cn.  Pomp.  28, 
und  wohl  mit  gutem  Grunde;  denn  durch  das  Bellum  Gallicum 
wurde  Gallien  der  römischen  Herrschaft  imterworfen,  während  das 
Hispaniense  nur  in  Hispanien  geführt  wurde.  Es  fragt  sich  nur, 
ob   wir  dem    unbekamiten  Verfasser  mit  Recht  zumuten  dürfen. 


160  Ed.  Wölfflin: 

er  habe  diese  Unterscheidung  gemacht  und  dann  folgerichtig 
Hispaniense  geschrieben.  Seine  grammatische  Bildung  ist  be- 
kanntlich der  Art,  dafs  wir  l)ei  ihm  auch  ein  weniger  gutes 
Latein  ertragen  müssen,  und  die  Ableitung  Hispanicus  ist  ja  nicht 
nur  durch  Varro  und  Münzen  (Hisp.  exercitus),  sondern  schon  durch 
Claudius  Quadrigarius  bezeugt,  welcher  Hispanicus  gladius  neben 
Galliens  gladius  gebraucht  hat.  Gellius  9,  13.  Und  wenn  wir 
den  liber  XIII  des  Codex  Ashbumhamensis  anerkennen,  so  dürfen 
wir  konsequent  dem  Bellum  Hispanicum  nicht  schlechtweg  den 
Glauben  versagen. 

Gap.  1,  1.  cum  <^ad^  adulescentem  Cu.  Pompeium  profugissentj 
So  mufs  imbodingt  gelesen  werden  statt  der  handschriftliclien 
Überlieferimg:  cum  adulescente  Cn.  Pompeio,  zumal  der  beste 
Codex  Ashbumhamensis  den  Akkusativ  Pomiieium  erhalten  hat. 
Nachdem  ad  durch  Haplographie  ausgefallen  war,  iafste  man  das 
temporale  itim  als  Präposition,  welche  dami  den  Ablativ  adule- 
scente  nach  sich  zog.  Als  Subjekt  werden  genannt  die  Über- 
bleibsel des  afrikanischen  Feldzuges  (Knspina,  Thapsus),  womit 
Appian  civ.  2,  103  und  Dio  Cassius  43,  30,  4  stimmen:  Appian 
verweist  noch  auf  Flüchtlinge  von  Pharsalos,  und  Velleius  2,  55,  2 
sagt  gar:  undique  ad  eum  ex  toto  orbe  terrarum  auxiliis  c-onflu- 
entibus.  Mit  Cn.  Pompeius  konnten  die  bei  Thapsus  Geschlagenen, 
wie  Varus,  Labienus,  immöglieh  fliehen,  da  der  ältere  Sohn  des 
P.  Magnus  schon  vor  der  Niederlage  Afrika  verliefs,  um  .sich  der 
Pityusen  (Balearen?)  zu  bemächtigen.     B.  Afr.  23. 

Es  fragt  sich  nur,  ob  der  damals  etwa  28 jährige  und  ver- 
heiratete Pompeius  adulescens  genannt  werde,  oder  adulescen- 
tulus,  wie  Dinter  sehrieb,  da  Cod.  Vindphon.  adulescentules  hat. 
Da  aber  der  junge  Maim  auch  B.  Hisp.  3,  1 .  40,  1 .  42,  6  adulescens 
genannt  wird,  ebenso  bei  Seneca  suas.  1 ,  o  und  Eutr.  (»,  24,  so 
liegt  kein  Gnmd  vor,  von  der  besten  l^berlieferung  abzugehen. 
Caesar  spricht  bell.  civ.  3,  5,  3.  3,  40,  1  von  Pompeius  ülius,  wie 
auch  der  Veriasser  des  bell.  Afr.  22,  1,  b.  Hisp.  23,  3  und  Oro- 
sius  l),  16;  der  Verf'.  de  vir.  illustr.  78,  8  von  Pompeios  iuvenes. 
Wenn  der  junge  Mann  B.  Afr.  23,  1  als  adulescentuhis  bezeichnet 
wird,  so  geschieht  es,  weil  Cato  von  Utica  ihm  eine  Strafpredigt 
hält  und  der  Berichterstatter  ein  gewisses  Mitleid  mit  dem  Zu- 
rechtgewiesenen verrät,  sodafs  also  die  Üeminutivfonn  einen 
affectus  animi  ausdrückt.  Deutlieh  tritt  dieser  hervor  in  den 
Worten,    welche   Caesar   nach   Plut.  Caes.  5(>    bei    Munda    seinen 


SprachlicheH  zum  Bellum  Hispanieuse.  161 

Soldaten  zuruft:  fl  fir^öhv  ccldovvrai  laßüvtBg  avrbv  iyxeiQiöa^ 
Totg  xaidagCoig.  Dies  entspricht  einem  lateinischen,  gering- 
schätzigen a<lulescentulis,  von  welchem  sich  das  objektive  ol  IJofir- 
nrjiov  xatdeg  bei  Strabo  3,  2,  2  deutlich  abhebt. 

Cap.  1, 1.  Pompeius  in  fidem  uniuscuiusque  civitatis  con- 
fugere  coepitj  Wenn  Degenluirt  diese  Worte  p.  76  erklart: 
supplicem  ad  Hispanos  venisse  et  ab  iis  perüiginm  auxiliumque 
petiisse,  so  widerspricht  dies  offen})ar  den  Thatsachen.  Denn  nach- 
dem Cn.  Pompeius  Besitz  von  Hispaniu  citerior  (Tarraconensisj 
und  Hisp.  nlterior  (Baetica)  genommen,  ohne  dals  die  Legaten 
Caesars  dies  zu  hindern  vermochten,  ist  er  nicht  mehr  schutz- 
bedürftig. Der  Vf.  des  bell.  Hisp.  giebt  auch  als  Zweck  dieser 
Mafsregel  an:  quo  facilius  praesidia  compararet.  Der  Sinn  ist 
etwa:  nachdem  Pompeius  zuerst  als  Eroberer  aufgetreten  war, 
änderte  er  mich  günstigen  Erfolgen  seine  Politik  und  zeigte  sich 
den  hispanischen  Städten  als  Freund  und  Bundesgenosse,  und  be- 
kam so  starken  Zuzug  (partim  precibus  partim  vi  bene  magna 
comparata  manu).  In  diesem  Zusammenhange  kann  man  die 
Phrase  nicht  verstehen  wie  cj).  32,  8:  de  lectioa  Pompeius  eorum 
in  fidem  confugit,  wo  der  Verwundete,  V(m  den  Caesarianern 
Verfolgte  sich  den  Bewohnern  von  Carteia  anvertraut.  Zu  Anfang 
des  Krieges  dagegen  konnte  Pompeius  nur  Allianzverträge  mit 
den  hispanischen  Städten  zu  schlielsen  suchen,  wozu  das  Wort 
fides  wohl  pafst,  während  ccmfugere  nur  hyperbolisch  gefafst 
werden  kann.  Der  Sieger  liefs  sich  doch  dazu  herbei,  den  Landes- 
bewohnern gute  Worte  zu  geben,  und  zwar  in  seinem  eigenen 
Interesse;  dabei  ist  nicht  zu  vergessen,  dals  ein  Caesarianer  spricht, 
welcher  seinem  Gegner  den  Vorwurf  der  superbia  nicht  erspart. 
Bei  Klassikern  natürlich  ist  der  confugiens  nie  ein  (j leichgestellter, 
sondern  ein  Unterwürfiger.  Vgl.  Cic.  offic.  1,  35  qui  positis  armis 
ad  imperatomm  fidem  confugient.  Cic.  Quinct.  10  cum  afflictus 
in  Aquili  fidem  veritatem  misericordiam  confugerit.  Wir  können 
den  Anonymus  nicht  von  dem  Vorwurf  befreien,  dals  er  seine 
Phrase  falsch  angewendet  habe;  etwas  besser  als  .•>,  7  ut  sileat 
verbum  facere  ist  <ler  Satz  immerhin. 

Cap.  1,  2  bene  magna  comparata  manu|  In  unserem  Kom- 
mentar kommt  2;"),  2  bene  longe  vor,  l)ene  magnus  an  elf  Stellen, 
bene  multus  an  drei,  während  in  allen  anderen  Büchern  bene  nur 
mit  Verben  verbunden  wird.  Man  könnte  diese  auffallende  Eigen- 
tümlichkeit  auf    das    Vulgärlatein    zurückführen,    insofern    bene 


162  Kd.  Wölfflin: 

morij^ferus  bei  Plautus  vorkommt  Capt.  966,  bene  lubenter  bei 
Ter.  Eim.  1074,  bene  longinquus  bei  Lucilius,  und  Ahnliches 
namentlich  in  den  Briefen  (-iceros,  auch  bei  Horatius,  meist  in 
den  Satiren  (Ausnahme  Od.  2,  12,  ö  bene  üdus^  welches  Por|)hyrio 
mit  valde  üdus  erklärt).  Damit  stimmt,  dal's  sich  bene  in  dieser 
Verbindung  im  französischen  bien  erhalten  hat.  Gleichwohl  mufs 
zu  der  Erklärung  noch  ein  anderes  Moment  herangezogen  werden, 
die  Sprache  des  I^nnius,  welchen  ja  der  Verfasser  2^-^,  3  und  Bl,  7, 
wahrscheinlich  auch  5,  1  citiert  hat.  Nun  hat  Ennius  nicht 
nur  Ann.  105 M.  geschrieben:  accipe  daque  tidem  foedusque  feri 
bene  firmum,  sondern  Porphyrio  sagt  uns  geradezu  in  der  Er- 
klärung zu  Hör.  Od.  ;),  24,  50:  bene  pro  valde  positum,  ut  apud 
Ennium  frequenter.  Aus  diesem  Grunde  wird  es  sich  auch 
empfehlen,  in  dem  Enniusverse  Ann.  155  M.  cum  tonuit  laevum 
bene  tempestate  serena  das  Adverl)  nicht  mit  dem  Verbum,  son- 
dern mit  dem  folgenden  Adjektiv  zu  verbinden.  Man  sieht,  dals 
bene  gern  von  den  quantitativen  Adjektiven  (magnus,  multus)  an- 
gezogen wurde:  vgl.  auch  Carm.  Priap.  80,  1  longa  bene.  Cic. 
Att.  14,  7,  2  litterae  l)ene  longae.  Cic.  fin.  2,  U4  b.  longinquus. 
Tusc.  2,  44  bene  [plane]  magnus.  Arnob.  5,  21  bene  grandis.  Im 
Gegensatze  dazu  stehen  die  Formeln  oppido  pauci,  parvus,  pauluni, 
pusillus,  brevis,  tenuis,  wozu  man  Belege  findet  in  meiner  ^La^ 
teinischen  und  romanischen  Kom])aration',  Erlangen  1879, 
S.  22  und  2H. 

Cap.  1,  4.  Ita  paucis  commoda  <^ab>  hoaite  orta:  eo  maiores 
augebantur  copiae.J  Indem  wir  den  ersten  Satz  nach  Fteischer 
geben,  beschränken  wir  uns  auf  eine  Erklärung  des  Gedankens. 
Cn.  PompeiuB  trat  zuerst  in  Hispanien  als  Eroberer  auf,  ver- 
änderte dann  aber  seine  Politik  durch  Abschlufs  von  Allianz- 
verträgen, die  freilich  den  Städten  nur  wenig  nützten^  weil  die 
reichen  Bürger  durch  Anstrengung  falscher  Prozesse  ruiniert 
wurden.  Umsomehr  wuchs  al)er  das  Heer  des  Pompeius.  Unter 
hostis  ist  also  der  ältere  Pomjieius  zu  verstehen,  und  mit  der 
Phrase  läfst  sich  vergleichen  B.  Gall.  7,  }V^  incommoda  oriri;  Ter. 
Hec.  223  aegritudo  oritur  abs  te. 

Für  den  zweiten  Satz  ist  es  inhaltlich  einerlei,  ob  man  statt 
des  überliefeiien  hortato  mit  Fleischer  schreibe  orta  eo,  oder  unter 
Amiahmc  von  Haplographie  orta  tanto.  Vgl.  Gall.  5,  45  tanto 
crebriores  litterae  ad  Caesarem  mittebantur.  Beachtenswert  tiir 
den   Ausdruck    bleibt    nur  der  Pleonasmus:    maiores    augebantur 


Sprachliches  zum  Bellum  Hi8panien8e.  16S 

copiae;  korrekter  wäre  gewesen  tanto  magis  a.  i*.  wie  Liviüs  5, 
29,  10  in  dies  magis  augebat  iras  hominuni;  auch  in  niaius  wäre 
denkbar  nach  Liv.  29,  3,  9  omnia  in  maius  metu  äugen te.  Wenn 
es  so  schwer  hält,  den  lateinischen  Ausdruck  zu  rechtfertigen,  so 
ist  es  um  so  einfacher,  eine  Prolepsis  nach  Analogie  des  (Grie- 
chischen anzunehmen.  Denn  nicht  nur  fityag  rjv^ijd^if  kommt  bei 
Demosthenes  wiederholt  vor  (vgl.  Rehdantz-Blass  im  Index  II  zu 
Deniosthenes'  9  philippischen  Reden,  s.  v.  Prolepsis;  Plato  re\).  H, 
5I>5  C.  Tim.  p.  72  D),  sondern  auch  der  Komparativ.  Aes<'li. 
Suppl.  339.  Plato  leg.  3,  681  A.  Eur.  Iphig.  Aul.  572  ^et^io  7i6}av 
av^siv.  Es  ergiebt  sich  daraus,  dal's  das  Latein  des  VeH'assers 
darum  so  bedenklich  ist,  weil  es  nicht  seine  Muttersprache  war, 
was  man  allein  aus  dem  Genet.  absolutus  cp.  14,  1  eius  j)raeteriti 
temporis  hätte  schliefsen  dürfen.  Auch  die  Konstruktion  c[).  42,  2 
eius  pecuniae  provinciam  liberasse  (so  nach  Cod  Ashburnh.: 
ea  pecunia  die  gewöhnliche  Überliefenmg)  ist  nichts  anderes  als 
ein  starker  Gräcismus. 

Cap.  2, 1.  C.  Caesar  multis  fiterante  diebus  coniectis  cum 
celeri  festinatione  in  Hispaniam  cum  venisset  etc.]  Was  der  Kh- 
reise  Caesars  vorausging,  waren  die  öffentlichen  S])iele  in  liom 
und  die  neue  Einrichtung  der  Administration,  einschliefslich  der 
Kalenderverbessertmg.  Mit  Rücksicht  darauf  halten  wir  es  für 
nötig,  den  Ablativus  absolutus  multis  rebus  confectis  als  Gnuid- 
lage  der  Emcndation  anzunehmen.  Kine  Zeitbestimmung  wie 
multis  itineribus  confectis  pafst  nicht,  weil  es  magnis  heifsen 
mufste  ((Jall.  7,  56.  Alex.  36),  und  weil  Caesar  keine  Märsche  mit 
einem  Heere  zurücklegte,  sondenr  mit  seinem  Stal)e  gewisser- 
mafsen  Extrapost  fuhr.  Dies  zuzugeben,  bieten  sich  für  iterante 
drei  Möglichkeiten:  zunächst  ohne  Änderung  iter  ante,  oder  mit 
Umstellung  ante  iter.  Sagt  man,  der  Begriff  iter  (=  profectio) 
sei  nicht  vorbereitet,  so  liefse  sich  erwidern,  dafs  Ca]).  1  mit  den 
Worten  schliefst:  crebris  nuntiis  missis  auxilia  sibi  depostulabant, 
und  dafs  aus  dem  folgenden  cum  venisset  auf  ein  vorangehendes 
iter  geschlossen  werden  mufs:  auch  war  ja  dieses  Mter'  l)erühmt 
geworden  durch  Caesars  poetische  Schilderung.  Sueton  Caes.  56. 
Die  Nachstellung  der  Präposition  aber  ist  wenigstens  nicht  un- 
möglich. Wir  scheiden  alle  Beispiele  aus,  wo  das  Substantiv 
noch  eine  Bekleidung  (Pronomen,  Adjektiv,  Genetiv)  erhält,  weil 
es  sich  hier  eigentlich  nur  um  Zwischenstellung  handelt.  Zu- 
treffende Parallelen  bleiben  dann  noch  (vgl.  Thes.  II  136)  Tibull  2, 


IM  Eti.  Wölfflin: 

5,  66  Caput  ante,  Ov.  fast.  1,  503  puppern  ante,  H,  211  nonas 
ante,  Stat.  Teb.  12,  140  flammas  ante;  also  lauter  Beispiele  he- 
xametrischer Poesie,  sodafs  es  denkbar  ist,  Ennius  habe  iter 
ante  j^ebrancht  und  der  Verfasser  habe  diese  Phrase  sieh  an- 
j^eeignet. 

Mag  man  daran  nicht  glauben,  so  kann  man  in  iter  den 
Rest  eines  Adverbs  sehen,  und  am  ehesten  den  Rest  von  feliciter; 
denn  dieses  wird  oft  mit  celeriter  verbunden,  und  zwar  mit  Be- 
ziehung auf  Caesar.  Gall.  8,  40  ([uam  rem  celeriter  feliciterque 
confecit  (H,  31  summa  felicitas  celeritasque ).  Alex.  78  rebus  fe- 
licissime  celerrimeque  confi»ctis.  Alex.  32  re  felicissime  celerrime- 
que  gesta.  Dami  winl  ante  Adverb,  und  der  Abi.  absei,  lautet: 
miütis  <felic/>iter  ante  rebus  confectis.  Die  folgende  Präposition 
(cum  celeri  festinatione)  ist  allerdings  verdächtig,  zumal  sie  38,  6 
(celeri  festinatione )  fehlt.  Nach  dem  Geschmacke  des  Autors 
steht  die  Temporalpartikel  cum  gern  am  £nde  des  Satzes  un- . 
mittelbar  vor  dem  Verbum  (3,  2  ...  cum  adissent;  4,  2«. .  .  cum 
exissent;  29,  X  . .  .  cum  adpropinquassent),  sodafs  sie  auch  in 
unserem  Satze  vor  venisset  gehört;  vielleicht  aber  hat  der  Autor 
cum  celeri  festinatione  geschrieben,  um  den  Modalitätsablativ  von 
dem   vorausgehenden  Abi.  absolutus  zu  imterscheiden. 

Cap.  3,  4  hominem  eins  provinciae  notum  et  non  parum 
scientemj  Hier  ist  zunächst  die  Xixotrjg  non  parum  (=  multum, 
yalde;  haud  parum  bei  Livius)  durchaus  nicht  vul^r,  sondern 
umgekehrt  geziert  und  affektiert.  Quintil.  10,  1,  124  schreibt: 
scripsit  non  parum  multa,  uml  ebenso  G^  2,  3.  Weitere  Belege 
'Latein.  Kompar.'*  S.  0.  —  Diigegen  erscheint  uns  notum  ■»  pe- 
ritum  beinahe  wie  ein  grannnatikalischer  Schnitzer  mit  Ver- 
wechslung von  Aktiv  und  Passiv;  doch  wird  der  Gebrauch  eher 
dem  archaischen  Latein  zuzuweisen  sein.  Vgl.  Plautus,  Pseud,  996: 
ita  erus  mens  est  imj^eriosus.  'Novi:  notis  praedicas',  wo  Scaliger 
glaubte  ^loctis**  bessern  zu  müssen,  und  dem  Sinne  nach  kann 
man  ja  den  Satz  mit  doctos  doces  erklären.  Für  notis  aber 
müssen  wir  offenbar  aktive  Bedeutung  annehmen.  Näher  steht 
unserer  Stelle  wegen  der  (ienetivkonstruktion  Dictys  0,  7:  notus 
jideo  eins  domus,  uti  etc.  Bei  der  archaisierenden  Richtung  des 
Aut«)rs  wäre  es  leicht  denkbar,  dafs  er  diesen  Gebrauch  bei  Sallust 
gefunden  hätte.  Der  Verf.  des  bell.  Hisp.  konnte  ihn  aus  Ennius 
kennen,  da  er  bei  späteren  Epikern  wiederkehrt.  Silius  17,  148 
notusque    fugarum    vertit    terga.      Statins  Theb.  2,  274    notique 


sprachliches  zum  Bellum  HispanienHc.  1(55 

operuni  Telchiiies.  Noch  bekannter  ist  die  Vermischung  •  von 
ignotus  und  ignarus,  z.  B.  Phaedr  1,  11,  2:  ignotos  fallit,  notis 
est  derisui. 

Cap.  3,  5  lesen  wir  noch  hei  Kühler:  qui  cum  ad  Cn.  Pompei 
jiraesidia  veuisset,  incidit  idem  (id  Co<l.  Ashbunih.)  temporis,  ut 
temi>estate  a<lversa  vehementic^ue  veuto  adtlictaretur.  Es  ist  die 
Ke^le  von  2(HM)  Heitern  und  ebenso  vielen  Fufsgängem,  welche 
sich  in  die  von  Pompeius  belagerte  Stadt  Clia  werten  sollen. 
Sie  sind  um  die  zweite  Nachtwache  aus  Caesars  Lager  abmarschiert, 
vor  Tagesanbruch  sm  die  pompei  an  i  sehen  Linien  gekommen,  welche 
sie  forcieren  müssen,  während  genide  ein  Unwetter  losbricht.  Und 
das  war  ein  Glück  für  sie.  Da  nun  id  t.  bedeutet  'zu  dieser 
Tageszeit'  (Tagesstunde,  Nachtstunde),  so  palst  es  in  den  obigen 
Zusammenhang  viel  besser  und.  entspriidit  genau  den  Worten  von 
§  7:  id  t.  conari  ad  murum  accedere.  (?ic.  Hose.  J^)7.  pro  Mil.  i)4. 
fin.  ö,  l.  Livius  l,  o(),  H.  Idem  t.,  welches  eine  Weiterbildung 
unseres  Autors  zu  sein  scheint,  bezeichnet  einen  viel  gröfseren 
Zeitraum,  z.  B.  3,  1  idem  t.  Sex.  Pompeius  ciun  [»raesidio  Cordubam 
tenebat,  d.  h.  während  der  Bruder  Cn.  Ulia  belagerte.  12,  3 
idem  t.  capti  tabellarii,  d.  h.  an  dem  nämlichen  Tage,  an  welchem 
(S  2i  zwei  Flüchtlinge  getötet  worden  waren.  13,  2.  3  eo  die 
—  idem  t. 

Cap.  3,  6  heifst  es  (nachdem  3,  3  vorausgegangen  war:  sex 
cohortes  iubet  ])roticisci,  pari  equites  numero)  iubet  binos  equites 
conscendere.  Dies  kann  nnm  mit  Annahme  einer  Pndepsis  über- 
setzen: er  gab  Befehl,  dals  je  zwei  Mami  als  Keiter  aufsitzen 
sollten,  nämlich  <ler  bisherige  Heiter  und  hinter  ihm  je  ein  Fuls- 
gäuger;  denn  letzterer  wurde  <lurch  das  Besteigen  des  Pferdes 
auch  ein  Heiter. 

Da  aber  alte  (Grammatiker  (Gellius  IH,  ;>)  überliefert  haben, 
£nnius  habe  eignes  =  equus  gebraucht,  und  die  Herausgeber  des 
£nnius  dieser  Angabe  (ilauben  schenken,  so  bietet  sich  eine 
zweite  Übersetzung  dar;  er  gab  Befiehl,  dafs  je  zwei  die  Rosse 
besteigen  sollten.  Doch  genüge  einstweilen  <lie  Notiz,  dafs  Haver- 
field  in  Classical  Review,  Band  U)  (Juli  IH91),  Nr.  il)  Seite  3()of., 
diese  Theorie  bekam i)ft  hat. 

Cap.  3,  8  equites  ibi  remansere,  welrhe  Stelle  Neue  Formen- 
lehre 11*  391  tür  die  Perfektendung  -erc  anführt,  ist  nunmehr 
aus  dem  Apparatus  criticus  weggefallen  und  nach  allen  niafs- 
gebenden  Handschriften  remanserunt  in  den  Text  gesetzt.    Sollte 

Arvhir  für  lat.  Loxiko^rr.    XII.    Hoft  S.  Vi 


166  Kd.  Wölfflin: 

man'  geneigt  sein,  die  abgeschliifeue,  bei  Cato  und  Sallust  be- 
sonders häufige  Endung  der  Yulgärsprache  uild  also  auch  dem 
Verfasser  des  B.  Hisp.  zuzuweisen,  so  mufs  dagegen  Einsprache 
erhoben  werden.  Denn  bei  Plautus  wechsehi  wohl  -erunt 
und  -ere,  ohne  dal's  sicli  ein  Überwiegen  des  letzteren  behaupten 
liefse,  und  die  romanischen  Sprachen  verbürgen  uns  sogar,  dafs 
die  Volkssprache  an  -erunt  festhielt,  welches  ich  auch  im 
B.  Hisp.  an  82  Stellen  gefunden  habe.  Dagegen  verschwinden 
die  3  Zeugnisse  für  -ere,  wenn  sie  überhaupt  gelten.  Cap.  24,  1 
lesen  wir  zwar  in  den  meisten  Handschriften  convenere  copiae; 
doch  hat  der  Codex  Thuaneus  con venire,  und  im  Ashbumhamensis 
fehlt  das  Wort.  Bedenkt  man  nun,  dafs  bei  Caes.  Gall.  1,  25,  6 
eircumvenere  entfernt  ist  durch  Einsetzung  des  Infinitivs  circum- 
venire,  so  kann  der  Stelle  keine  volle  Beweiskraft  zugesprochen 
werden.  Das  zweite  Beispiel,  23,  2  nostri  e^ssere  parumper,  ver- 
schwindet von  selbst,  weil  es  ein  Halbvers  aus  Ennius  ist,  und 
das  dritte,  23,  2  complures  vulneribus  adfec^re,  steht  auf  derselben 
Zeile,  ist  also  gew isser mafsen  durch  die  Sprache  des  Ennius  be- 
einflufst.  So  tritt  unser  als  Vulgiirlateiner  verrufener  Anonymus 
durchaus  für  die  vollen  Formen  ein.  Und  in  der  Peregrinatio 
in  terram  saiictam  zählte  ich  früher  nach  der  Ausgabe  von  Oa- 
murrini  zwei  -ere  auf  oO  -erunt,  finde  aber  nun  in  der 
kritischen  Ausgabe  von  (ieyer,  dafs  p.  35  i=cap.  5,  3)  nobis 
coep erunt  ostendero  geschrieben  ist.  Somit  ist  die  Endung^ 
-ere  nicht  vulgär,  sondern  sie  wurde  von  den  Epikern  nietri  causa 
begünstigt  und  fiofs  durch  Ennius  den  Historikern  zu. 

Cap.  5,  6.  Der  Kampf  um  die  Bätisbrücke  bei  Corduba  führte 
zu  einem  grofsen  Bhitvergiefsen:  hie  f  alter  ins  non  solum  morti 
mortem  exaggerabant,  sed  tumulos  tumulis  exaequabant.  Dafs  in 
diesen  Worten  eine  Reminiscenz  aus  Ennius  stecke,  wurde  schon 
Arch.  VIII  507  bemerkt,  und  die  Stinmiung  ist  seither  so  günstig 
geworden,  dafs  man  geneigt  ist,  geradezu  ut  ait  Ennius  für  das 
sinnlose  alterius  zu  emendieren.  Vgl.  Liv.  30,  26,  9  sicut  Ennius 
ait.  Landgraf  hat  Arch.  V  181  gezeigt,  dafs  die  in  der  Verbindung 
von  Dativ  ^Ablativ)  und  Akkusativ  desselben  Substantivs  be- 
stehende Figura  etynu)logiea  in  klassischer  Prosa  sehr  selten,  bei 
den  Dirhtem  dagegen  sehr  häufig  ist.  Vgl.  B.  Hisp.  31,  7:  hie, 
ut  ait  FiUnius,  pes  ]>ede  premitur,  armis  tenintur  arma.  Wenn 
nun  hier  auch  Umstellungen  niitig  sind,  inn  zu  der  iirsprünglichen 
Hexameterform  zu  gelangen,  so  scheinen  doch  alle  Versuche  ver- 


Sprachliches  zum  Bellum  HiBpanicnse.  167 

geblich,  um  exaggerabant  oder  eiue  ähnliche  Form  in  <len  Hexa- 
meter zu  bringen,  und  auch  die  Variante  des  Cod.  Ashbumh. 
aggerabant  bessert  die  Lage  nicht.  Denn  wenn  auch  Ennius  nur 
agerare  schreiben  konnte,  so  war  doch  die  erste  Silbe  lang,  weil 
agger  aus  adger,  altlatein.  arger  (Prise.  1,  45)  entstanden  war. 
Wollte  man  aber  den  Singular  exaggerat  in  den  Vers  bringen, 
so  wäre  man  um  ein  entsprechendes  Subjekt  (niiles?  furor  belli, 
ardor  pugnae?)  sehr  verlegen.  Unter  diesen  Umständen  mufs 
man  sich  vorstellen,  nur  der  zweite  Teil  der  Phrase  gehöre  dem 
Ennius,  und  mortem  morti  exaggerare  gehöre  dem  Verf.  des  B.  Hisp. 
Das  Citat,  ut  ait  Ennius,  ist  dami  etwas  vorausgenommen,  während 
es  genau  genonmien  zu  tumulos  tumulis  exaequare*)  gehört  hätte. 
Als  Halbvers  denke  man  sich  etwa:  exaequant  tumulis  tumulos. 
Möglich  ist  freilich  auch,  dafs  exaggerare  dem  Verf.  des  Commen- 
tarius  gehört,  und  dafs  Ennius  beispielsweise  geschrieben  hatte: 
mortibu'  mortes  ||  accnmulant,  wie  nach  ihm  Lucr.  3,  71  cjiedom 
caede  accumulare;  6,  1237  funere  funus  cumulare.  Sicher  dagegen 
wird  man  non  solum,  sed  —  dem  Dichter  absprechen. 

Zu  der  abundantia  verborum,  für  welche  A.  Köhler  in 
den  Acta  semin.  Erlang.  I  445  eine  Ileihe  von  Stelleu  angeführt 
hat  (facinus  nefandum  et  scelus,  diei  solisque  serenitas,  fasces 
imperiumque,  avidi  cupidique)  liefert  Cap.  6  §  2  noch  ein  gutes 
Beispiel.  Man  liest  daselbst  nach  Kühler:  id  (den  Abzug  Caesars 
gegen  Ategua)  cum  Pompeius  ex  perfugis  rescisset,  qua  die  facul- 
tatem  <^nactus  est,  relinquens  montes)>  et  angustias  earra  (jomplura 
multosque  lanistas  retraxit  et  ad  Cordubam  se  reeepit.  Die  von 
Mommsen  empfohlene  Ergänzung  hat  zwei  Bedenken  gegen  sich: 
einmal  befanden  sich  die  Truppen  der  beiden  Pompeius  teils  in 
teils  unmittelbar  vor  Corduba,  jedenfalls  nicht  in  gebirgigem 
Terrain,  wie  die  Karte  von  Stoffel  beweist;  aber  selbst  wenn  dies 
der  Fall  gewesen  wäre,  konnte  der  Autor  nicht  das  Präsens 
relinquens  gebrauchen  statt  reiictis  montibus,  da  dieser  nach- 
lässige Tempusgebrauch  in  der  Prosa  erst  mit  Livius  beginnt. 
Endlich  sieht  man  nicht  ein,  warum  Pom])eius,  um  den  Caesar  zu 
verfolgen,  einen  günstigen  Tag  abw^arten  mufste.  Ist  nun  mit 
den  ^Engpässen'   nichts   anzufangen,   so    kann    man    nur  an   die 


*;•  Prof.  Gustav  Landgraf  niaelit  mich  auf  Plautus  Rud.  1087  aufmerk- 
ham:  aurum  aoro  expendetur,  argentum  argcuto  exaequabitur.  Der  Verf. 
de»  Bell.  Hisp.  hat  «ein  eigenes  exaggerare  dem  exaequare  angepafst. 


168  Ed.   Wölfflin: 

angnstiae  rei  frumeiitariae  denken  (b.  civ.  2,  17.  i\  3><.  41),  welche 
ja  für  beide  kriegführenden  Parteien  gleich  wichtig  war;  vgl.  5,  ••> 
Caesar  ut  cum  ab  oppido  conimeatuqne  exclnderet.  Auch  wissen 
wir  aus  Dio  Cassius,  dals  in  Ategua,  wohin  sich  Caesar  wandte, 
])edeutende  Getreidevorräte  aufgehäuft  waren.  Giebt  man  diesen 
Gedanken  zu,  so  ist  freilich  facultateni  et  angustias  eine  sinnlose 
Verbindung,  da  beide  Substantiva  sich  widersprechen,  möglich 
nur  difficultateiu*)  et  angustias,  was  in  die  facultatem  steckt. 
Von  der  difllcultas  rei  frumentariae  spricht  ja  auch  Caes.  Ghdl.  7,  17, 
und  angustus  wird  oft  mit  difficilis  verbunden,  wie  Gull.  1,  t). 
civ.  1,  ()0.  H,  41. 

Das  vor  difiicultatein  überlieferte  qua  fasse  ich  als  das  be- 
kannte Verweisungszeichen  (|  mit  Strich  =  quaere,  entsprechend 
dem  griechischen  J  =  tyrn.  In  der  That  kommt  man  ohne  eine 
Lücke  nicht  (hirch,  welche  der  Abschreiber  selbst  andeutete,  je- 
doch nicht  ausfüllte,  in<leni  er  die  am  Hände  oben  oder  unten 
nachgetragenen  Worte  nicht  fand;  dem  Gedanken  nach  ergänzen 
wir  nacli  rescisset  etwa  <^novissimos  insecutus  a<l  levandam  rei 
frumentariae^  difücultateui.  —  Die  Fechtmeister  (mit  ihren 
Banden:  multos  lanistas;  vgl.  die  gladiatorum  manus  bei  Tac.  hist. 
2,  H4)  dürft.en  auf  die  Spiele  zurückzufuhren  sein,  welche  Caesar 
im  Jahre  40  in  Honi  gab.  Falsch  ist  daher  die  Konjektur  mulos 
<mustos. 

Nachdem  wir  aber  nun  einnuil  das  vermeintliche  ^qua  die' 
zerstört  haben,  müssen  wir  noch  die  Konsequenzen  daraus  ziehen 
und  den  {{  8  mitersuchen:  cui  <le  Pompeio  cum  nimtius  esset 
adlatus,  eo  die  proficisri  (so  nach  Vahlen,  Mommsen  und 
Kühler).  Allein  .sämtliche  Handschriften  überliefern  profici- 
scitur,  was  auf  Pom peius  bezogen  allein  richtig  ist;  nur  mufs  man 
dann  auch  eodem  schreiben  statt  eo  die,  d.  h.  nach  Ategua,  wie 
schon  ein  Schreiber  einer  jüngeren  Hamlschritt  gefunden  hat. 
Vgl.  27,  i\  Caesar  eodem  est  profectus.  Und  so  war  auch  in  dem 
ArchetT]»us  am  Itande  korrigiert:  indessen  hat  sich  die  Korrektur 
an  eine  falsche  Stelle  verirrt.  Das  vor  Pompeio  (Dativ"!  über- 
schüssige tle  sollte  eben  das  falsche  eo  die  in  eode  (=  eodem) 
korrigieren.  Ändert  man  endlich  noch  cui  in  qui,  so  ist  der 
ganze  Satz  in  Onlnung:   qui   Pompeio   cum  nuntius  esset  adlatus 


"  ■  So  schrieb  schon  Dinter  nach  Forchhammer  und  Koch,  dachte  aber 
an  tanc  ditiicultas  h^conim.  wie  cap.  9,  1  in  tant«  loci  difficultate. 


Sprachliches  zum  Bellum  Hispaniense.  109 

( dafs  Caesar  Ate^a  belagere),  eodem  proficiscitur.  Daran  schlielst 
dann:  Cuiiis  in  adventum  Caesar  <^cum^  complura  castella  (oder 
(*ura  plura  castellu,  wie  b.  civ.  3,  52)  occupasset, .  .  .  ineidii  ut  etc. 

Cap.  7, 1  lesen  wir:  Pompeius  trans  flumen  Salsum  per  con- 
y alles  castra  inter  duo  oppida  Ategiiam  et  Ucubim  in  monte 
constituit,  d.  h.  Pompeius  wagte  nicht,  den  Ategua  belagernden 
Caesar  anzugreifen,  sondern  begnügte  sieb  damit,  gegenüber 
Ategua  auf  den  Anhöhen  eine  feste  Stellung  zu  beziehen,  um  den 
Belagerer  in  seinen  Arbeiten  zu  stören.  Da  an  9  Stellen  des 
Bell.  Afr.  und  Hisp.  convallis  gebraucht  ist,  vallis  nirgends,  so  er- 
giebt  sich,  dafs  das  Compositum  an  die  Stelle  des  Simplex  ge- 
treten ist.  Nun  ist  aber  die  Ortsbezeichnung  jier  convalles  auf 
das  Hauptverbum  bezogen  unvereinbar  mit  in  monte,  und  dafs 
das  letztere  richtig  ist,  bestätigt  sowohl  die  defensive  Haltung 
des  Pompeius  als  auch  die  Wiederholung  des  redseligen  Autors 
in  Paragraph  3:  e  regione  oppidi  in  montibus  castra  habuit  po- 
sita.  Um  nun  nicht  zu  convalles  ein  willkürliches  profectus  er- 
gänzen zu  müssen,  bleibt  nichts  anderes  übrig,  als  super  conv. 
zu  ändern,  dessen  erste  Silbe  in  der  zweiten  von  Salsum  (Salsü) 
unterging.  Man  vergleiche  etwa  Livius  33,  15,  8  suj)er  flumen 
instruit  aciem.  Noch  lieber  hätte  ich  freilich  super  conv  allem, 
«la  nach  Stoffels  Karte  nur  von  dem  Salsusthale  die  Rede  sein 
kann.  VieUeicht  ist  die  Verbindung  super  {con)vallem  nur  mit 
dieser  Stelle  zu  belegen. 

Cap.  8,  2  lesen  wir:  ulterioris  Hispaniae  regio  propter  terrae 
fecunditatem  inopem  difficilemque  habet  oppugnationem  et  non 
minus  copiosam  aquationem.  Hier  m'ufs  man  doch  wohl  Nipper- 
dey  zugeben,  dafs  die  Leichtigkeit  der  Verproviantierung  und  der 
Wasserreichtum  zusammengehören  sei  es,  dafs  man  das  zweite 
(Jlied  hinter  fecunditatem  einsetzt,  sei  es  dafs  mau  unter  Annahme 
einer  grofseu  Härte  des  Ausdruckes  die  Wortstellung  unangetastet 
läfst  und  das  zweite  nachhinkende  ülied  von  propter  al)liängen 
läfst.  Die  inops  oppugnatio  ist  freilich  kaum  lateinisch;  longam 
würde  nicht  nur  dem  Sinne  entsprechen,  sondern  durch  b.  civ.  2,  1 
longam  et  difficilem  habet  oppugnationem  zu  stützen  sein;  nur 
bleibt  die  Korruptel  eines  so  gewöhnlichen  Wortes  rein  unerklär- 
lich, und  auch  impeditam  oder  im[)ortunam  oder  operosam  sind 
nicht  überzeugend.  Immerhin  dürfte  durch  ^diese  Konjekturen 
wenigstens  der  Sinn  getroffen  sein.  Hätten  wir  neben  exspes  ein 
im  Akkusativ   verwendbares   inspes,   so    würde   der   Begriff  ^aus- 


170  Ed.  Wölfflin: 

sichislos'  gut  entsprechen;  da  aber  eine  solche  Form  fehlt ,  so 
könnte  ein  Stilist  als  Äquivalent  nur  sine  spe  einsetzen,  und  ich 
halte  es  darum  für  wahrscheinlich,  dafs  der  Verf.  so  geschrieben 
habe.     Vgl.  civ.  2,  31  sine  spe  castra  oppugnare. 

Ein  lästiger  Pleonasmus  steckt  in  Cap.  8,  4:  oppidorum  magna 
pars  montibus  fere  munita  et  natura  excellentibus  locis  est  con- 
stituta,  ut  simul  aditus  ascensusque  habeat  dif&ciles.  Denn  an- 
genommen, unter  loca  excellentia  seien  ^ Hügel'  zu  verstehen,  so 
könnte  doch  von  diesen  kaum  etwas  anderes  ausgesagt  werden 
als  von  den  Bergen.  Dem  Belagerten  müssen  aber  zwei  ver- 
schiedene Vorteile  zu  gute  kommen,  wie  der  Angreifer  mit  zwei 
durcli  simul  —  q«e  scharf  getrennten  Schwierigkeiten  zu  kämpfen 
hat.  Oft'enbar  bezieht  sich  der  aditus  =  accessus  auf  den  berg- 
aufgehenden Marsch  des  Belageres,  wie  ascensus  auf  das  Stürmen 
der  Mauer,  beziehungsweise  des  durch  Graben  und  Pallisadenwerk 
verstärkten  Walles.  Mumm  ascendere  heifst  es  im  B.  Hisp.  13,  4, 
und  Gall.  2,  ;^3  sagt  Caesar:  qua  minime  arduus  ad  nostras  muni- 
tiones  ascensus  videbatur,  eruptionem  fecerunt,  worauf  die  An- 
gegriifenen  ex  vallo  turribusque  Geschosse  werfen.  Wenn  nun 
der  aditus  der  bergigen  Lage  der  Stadt  entspricht,  so  muls  sich 
der  ascensus  auf  die  künstliche  Befestigimg  (im  Gegensatze  zu 
natura  loci)  beziehen.  Diesen  Gedanken  erreichen  wir  durch 
moenibus,  munitionibus  oder  manibus.  Das  letztere  lassen  wir 
fallen,  weil  es  eher  manu  heilsen  niülste  (G.  3,  23  oppidum  et 
natura  loci  et  manu  mimitum;  ebenso  G.  ö,  57).  Für  den  zweiten 
Vorschlag  spricht  Hisp.  28,  ■]:  et  natura  loci  defendebatur  et 
ipsius  oppidi  niunitione.  Lr  hat  den  Vorzug,  dafs  munitio  so- 
wohl Wall  und  Graben  als  auch  eine  Mauer  mit  Türmen,  resp. 
beides  bezeichnen  kann.  Diese  Änderung  pafst  auch  vortrefflich 
in  den  Zusammenhang:  denn  §  3  wurde  von  den  Bauernhöfen 
gesagt  Hurribiis  et  munitionibus  retinentur',  und  da  der  Vf.  fort- 
fährt mit  ^iteni  oppidorum  magna  pars',  so  mul's  von  .den  Städten 
das  Gleiche  ausgesagt  werden.  Vgl.  Gall.  (i,  37  reliquos  aditus 
locus  ipse  munitioque  defendit.  —  Moenia  bedeutet  Hisp.  3(),  2 
die  Mauern  der  Gebäude. 

Cap.  9, 1  versucht  Ponipeius  ein  KasteU  zu  stürmen,  weil  er 
sich  einbildet,  Caesar  werde  es  nicht  wagen,  bei  Nacht  aus  seinem 
weit  entfernten  Lage  zu  Hilfe  zu  kommen,  und  da  diese  Er- 
wägungen in  einem  verwickelten  Vordersatze  auseinandergesetzt 
sind,    so   knüpft   der  Verf.   den   Xachsatz   an:    ita    (unter    diesen 


Sprachliches  zum  Bellum  HispanieuBe.  171 

Umständen)  fretus  opinione  castellum  oppugnare  coepit.  Hier  ist 
die  Konjektnr  illa  abzuweisen,  weil  hac  zu  erwarten  wäre,  wie 
28,  3  ita  hac  opinione  fretus.  Vergleiche  mit  ähnlichem  Vorder- 
sätze 36,  2  quod  Caesar  cum  animadverteret ...  ita  consilio  habito 
noctu  patitur  Lusitanos  eruptionem  facere.  Somit  ist  gerade  ita 
notwendig;  hac  kann  man  auf  Grund  der  Parallelstelle  einsetzen 
oder  auch  sua  blofs  in  Gedanken  ergänzen.  —  Dies  erinnert  an 
Cap.  16,  3  virtute  freti,  worin  wir  vielleicht  einen  Anklang  an 
Ennius  erblicken  dürfen.  Denn  die  seltene  Verbindung  begegnet 
uns  bei  Ennius  ann.  526  freti  virtute  quiescunt;  an  gleicher  Vers 
stelle  bei  Lucr.  5,  966  et  manuum  mira  freti  virtute  pedumque. 
Ebenso  bei  Plaut.  Amph.  212.  Pseud.  581.  Dafs  der  Prosaiker  die 
Wortstellung  umdrehte,  um  den  hexametrischen  Tonfall  zu  ver- 
wischen, ist  durchaus  natürlich.  Vergl.  Curtius  5,  25,  10  vestra 
virtute  fretus  obviam  issem  hosti. 

Cap,  9,  3  heifst  es  von  den  Angreifern:  telorum  multitudine 
iactus  facere  coeperunt.  Quo  peracto  cum  ex  castello  repugnare 
coepissent  etc.  Dieser  Ablativus  absolutus  ist  weder  aus  dem 
Bell.  Hisp.  oder  Afr.  noch  aus  Hirtius  oder  Caesar  bekannt;  der 
Gedanke  ist  auch  durchaus  schief,  da  mit  dem  Eröffnen  des 
Kampfes  vom  Kastelle  aus  die  Angreifer  nicht  aufhörten  Ge- 
schosse zu  schleudern.  Es  kann  nur  heifsen  'quo  facto'  im 
Sinne  von  'hierauf.  Der  Abschreiber  scheint  ein  unciales  F  mit 
genmdeteni  Oberstriche,  dessen  Zunge  auf  der  Zeile  safs  (T),  als 
Minuskel -p  mit  durchbohrtem  Fufse  (=perj  angesehen  zu  haben. 

Cap.  9,  3  complures  ca-pti,  in  quibus  duo  ceniuriones,  Dafs  hier 
das  Substantiv  aus  Konjektur  ergänzt  werden  mufste,  deutet  auf 
eine  mit  f;  =  centum  in  Verbindung  stehende  Abkürzung,  viel- 
leicht ein  umgedrehtes  C  mit  Strich  darüber  (3),  hin.  Vergl. 
i.'auer,  Ephem.  epigr.  IV  355  sqq. 

München.  Eduard  Wölfflin. 


Paricida. 

Lber  die  bisher  vorgebrachten  Etymologien  dieses  Wortes  belehrt 
ims  am  besten  Brunnen  meist  er  in  seinem  Buche:  Das  Tütungsver- 
brechen  im  altrömischen  Rechte  1887.  Die  Bildimgen  matrieida  und 
fratricida  verleiten  uns  natürlich,  paricida  als  patrieida  zu  erklären 
imd  darunter  einen  Vatermörder  /u  verstehen;  da  aber  das  Wort 
thatsUchlich  auch  den   Brudemn'Jrder,  den  Schwestermörder,  den  Hoch- 


172  Kd.  Wölfflin:    Paricida. 

Verräter  bezeichnet,  so  hat  man  das  Unglaubliche  angenommen,  pater 
stehe  für  pater  patriae  oder  für  patria  selbst.  Doch  trotz  aller  sema- 
siologischen  Konzessionen  wäre  die  Erklärung  nicht  mit  der  Laut- 
lehre in  Einklang  zu  bringen,  da  der  t-Laut  vor  r  st^^  erhalten 
bleibt,  wie  noch  im  italienischen  padre.  Eine  Assimilation  parricida 
ist  also  ohne  Beispiel,  wenn  man  ja  auch  zugeben  könnte,  dafs  in 
der  Orthographie  des  Ennius  der  Doppelkonsonant  noch  nicht  möglich 
w^ar  und  ein  einfaches  r  an  dessen  Stelle  treten  mufste.  Endlich 
aber  bliebe  die  Frage  ungelöst,  warum  paricidium  bei  Plaut.  Rud. 
651,  Pseud.  362  lange  Ant'angssilbe  hat.  Diese  Bedenken  lassen  auch 
die  Erklärung  ^Mörder  eines  vir  patricius  ( =  patricicida)  oder  eines 
civis  Romanus'  im  Gegensatze  zu  dem  Mörder  eines  Sklaven  nicht 
aufkommen. 

Man  hat  deshalb  in  der  ersten  Silbe  das  Adjektiv  par  suchen 
wollen,  so  schon  Prise,  inst.  1,  33;  der  par  wäre  dann  ein  römischer 
Bürger,  (juia  omnes  cives  pan  iure  sunt.  Leider  hat  auch  dieses 
Woi-t  ein  kurzes  a. 

So  ist  Prof.  L.  Luiiak  an  der  Universität  Odessa  in  einer  1900 
gedruckten  Schrift  auf  den  Gedanken  gekommen,  die  «»rste  Silbe  berge 
in  sich  das  Verbum  parare.  Der  semasiologische  Teil  seiner  Beweis- 
führung kann  auch  befriedigen.  Der  paricida  soll  derjenige  sein  ^qui 
pai'at  caedem',  d.  h.  derjenige,  welcher  «len  Mord  plant,  im  Gegen- 
satze zu  dem  Totschläger  Avider  Willen,  eine  Unterscheidung,  welche 
auch  in   dem  modernen   Rechte  gemacht   wird  und  wesentlich  ist. 

Paulus  bei  F^estus  schreibt  ja:  si  (pii  hominem  liberum  dolo 
sciens  morti  duit,  paricidas  esto.  Das  Gegenteil  linden  wir  l>ei 
Servius  zu  Verg.  ed.  4,  13:  in  Numae  legibus  cautuni  est,  ut  si  quis 
imprudens  occidisset  hominem,  .  .  .  offerret  arietem.  Der  AuvSdruck 
parare  caedem  ist  auch  gut  lateinisch,  belegt  beispielsweise  bei  Sallust 
Cat.  52,  36,  wo  es  von  den  V^crschwörern  heifst:  convicti  caedem  se 
in  cives  patriamque  paravisse.  Das  kurze  a  in  parare  sucht  Lunak 
durch  eine  spitze  Erklänmg  unschädlich  zu  machen:  ursprünglich 
habe  das  Wort  gelautet  paricida;  «lurcb  die  Aufnahme  der  griechischen 
Tragödie  seien  die  itaxQOY.xovoi  in  Rom  bekannt  geworden,  und  beide 
Fomieu  seien  zusammengeflossen   in   ein  paricida. 

Das  Bedenklichste  aber  bleibt  die  W^)rtbildung;  denn  Composita 
von  Yerbum  trausitivum  und  Nomen,  wie  pecus  repandirostrum  oder 
A^enus  verticordia  sind  sehr  selten,  während  ])aricida  ein  allgemein 
bekanntes  imd  allgemein  gebrauchtes  Wort.  war.  Was  der  gelehrte 
Lucilius  vielleicht  nach  griechischem  Muster  einmal  bildete,  ist  noch 
lange  kein  Sprachgesetz.  Di(»  lateinische  Sprache  würde  die  umge- 
kehrte Stellung  verlangen,  also  etwa  caedipara,  wie  agricola;  und 
auch  w^enn  man  die  Umstellung  zugeben  wollte,  wäre  eher  paracida 
(paracidus)  zu  erwarten.  Hier  sehen  wir  also  ein  imübersteigliches 
Hindernis.  —  Nach  Schrader,  Reallex.  d.  indogerm.  Alt.-K.  1901  S.  227 
>>edeutet  par.  so  viel  als  ^Sippenmörder'. 

München.  Ed.  Wölfflin. 


Zu  Caelius  Aurelianus. 

Das  gröfsere  der  beiden  Hauptwerke  des  Caelius  Aureliauus, 
die  Chronia,  wurde  1529  in  Basel  von  Johann  Sichard  zum  ersten- 
mal nach  einer  seither  verloren  gef^angenen  Lorscher  Handschrift 
herausgegeben.  Sichards  Text  ging  in  die  Sammlung  der  Medici 
antiqui  von  Aldus  1 1547)  über  und  wurde  in  der  1567  zu  Leyden 
erschienenen  Gesamtausgabe  Aurelians  wiederholt.  Diese  Leydener 
Ausgabe  hat  zwar  zahlreiche  Fehler  des  Textes  verbessert,  aber 
auch  an  vielen  Stellen  die  richtige  Überlieferung  der  Editio 
princeps  willkürlich  oder  aus  Nachlässigkeit,  vor  allem  aber,  weil 
der  Gelehrte,  der  sie  besorgte,  mit  dem  Sprachgebrauch  der  spä- 
teren Latinität  nicht  genug  bekannt  war,  abgeändert  oder  auf- 
gegeben. Die  Ammansche  Ausgabe  (Amsterdam  1722),  die  neueste, 
die  wir  besitzen,  ist  vollständig  von  ilirer  Vorgängerin,  der  Leydener 
Ausgabe,  abhängig.  Sie  bietet  also  einen  vielfach  getrübten  Text. 
Unter  diesen  Umständen  sind  wir,  solange  es  nicht  gelingt,  eine 
Handschrift  aufzufinden,  auf  die  erste  Ausgabe  angewiesen  und 
müssen  bei  der  Feststellung  des  Textes  auf  sie  als  die  einzige 
Quelle .  unserer  ITberliefenmg  zurückgehen.  Bei  meiner  Mitarbeit 
an  der  Sammlimg  des  Materials  zu  dem  Thesaurus  linguae  Latinae 
habe  ich  nun  die  Wahrnehmung  gemacht,  <Iafs  die  Editio  princeps 
an  vielen  Stellen,  darunter  auch  an  solchen,  die  vielleicht  für  den 
neuen  Thesaurus  in  Betracht  kommen  können,  einen  reineren  und 
zuverlässigeren  Text  bietet  als  die  Ammansche  Ausgabe,  dies  ge- 
wöhnlich benützt  und  citiert  wird. 

Dies  im  einzelnen  nachzuweisen  ist  der  Zweck  der  folgenden 
Zeilen. 

2,  4,  83  quapropter  sicut  alias  quoque  partes  in  tumore  con- 
stitutas  non  detractione,  sed  mitigatione  curamus,  sie  etiam  dentes 
c urandos  accipimus.  Statt  curandos  bietet  die  Ed.  pr.  das  Com- 
positum concurandos.  Dasselbe  wird  bei  Forcellini  und  Georges 
nur  mit  einer  Stelle   aus  Plautus  (Bacch.  131)  belegt.     Aurelian 


174  <»•  Helmreich: 

dagegen  hat  es  3 mal:  2^3^  70  qiiibus  etiaiu  aurium  vicina  sunt 
iiiaxime  concuranda;  hier  hat  auch  Amman,  resp.  seine  Vorlage, 
die  Leydener  Ausgabe,  die  überlieferte  Lesart  imangetastet  ge- 
lassen; dagegen  hat  er  2,  12,  148  recens  incisura  sive  Tulnus  .  . . 
ex  mediciiminum  regula,  quam  Graeci  pharmacian  appellant,  diae- 
teticAe  parti  ingesta  (=  coniuncta)  upte  curatur,  quibus  etiam 
supni  dicta  passio  curutur  (Ed.  pr.  concuratur),  wie  2,4,83  das 
von  der  Ed.  pr.  bezeugte  concuratur  mit  dem  Simplex  Tertauscht, 
ohne  zu  bedenken,  dafs  der  Schriftsteller  aus  stilistischen  Grtoden 
au  beiden  Stellen  (2,  4,  83  und  2,  12,  148)  zuerst  das  einfache, 
dann  der  Abwechselung  halber  das  zusammengesetzte  Verbum 
gebraucht. 

Aurelian  scheint  überhaupt  eine  gewisse  Vorliebe  für  die 
(.'omposita  mit  con,  die  auch  sonst  oft  nur  eine  Verstärkung  des 
Begriffes  ausdrücken,  gehabt  zu  haben.  Ich  möchte  dies  daraus 
schliefsen,  dafs  er  neben  concurare  noch  mehrere  sonst  nicht  oder 
nur  selten  vorkommende  Composita  mit  con  hat,  wie  conflammare 
4,  7,98,  concrassare  4,3,  62,  convariare  1,  1,  7,  compeccare  3,  1,  12 
und  acut.  2,  12,  84. 

In  dem  Text  der  Ammanschen  Ausgabe  freilich  haben  sieh 
solrhe  seltene  Wörter  nicht  immer  erhalten.  So  steht  4,  3,  43 
tum  cum  linipidft  ulcera  senserimus,  erunt  cohibenda  (=  prohi- 
})enda)  ea,  quae  vehementius  siccare  valeant.  Die  Ei  pr.  hat 
eonsiccare.  Dieses  Compositum  ist  ebensowenig  zu  beanstanden 
als  concrassare  (4,  3,  62),  conterebrare  (2,  3,  65),  consolvere 
(4,  3,  39.    4,  7,  95.    f),  1,  10)  oder  condurare  bei  Lucretius. 

Nocli  an  einer  dritten  Stelle  ist  in  unserem  Text  ein  seltenes 
('umpositum  mit  Unrecht  vom  Simplex  verdrängt  worden,  nämlich 
2,  o,  90.  Hier  liest  Amman:  ab  apoplecticis  haec  discemitur 
]iiissio  (=  die  catalepsis),  quod  in  ipsis  parvus  atque  creber  pulsus 
iiivcniatur  et  non,  ut  in  cataleptieis,  maior  atque  percussibilis  et 
necjue  incunduni  sive  tetruni  odorem  accipiant  neque  didcia  et 
amimi  sapiant,  während  die  Ed.  pr.  das  Compositimi  consapiant 
fibcrliefert  hat.  Es  werden  hier  die  cataleptici  von  den  apoplecti 
unterschieden.  Während  von  den  ersteren  weiter  oben  (§  88)  ge- 
sagt war:  dulcia  atque  amara  ori  admota,  labiis  vel  linguae  illita 
sentinnt,  heifst  es  von  den  letzteren  hier:  Sie  riechen  weder  An- 
genehmes noch  Lnangenehnies  und  schmecken  weder  Süfses  noch 
Bitteres.  Es  stecht  also  ohne  Zweifel  das  Compositum  in  dem 
Sinne   des  Simplex.     Ks  aber   aus  dem  Texte  zu  entfernen,  liegt 


Zu  Caelius  AurelianuH.  X75 

kein  genügender  Grund  vor;  denn  die  nicht  umgelautete  Form 
eonsapio  statt  consipio  bat  ihre  Analogie  an  eoncado  und  praecado 
bei  Aurelian,  von  denen  das  eine  acut.  2,  10,  77  und  das  andere 
chron.  5^  4,  61  sich  findet.  Auch  in  die  romanischen  Sprachen 
scheint  consapere  übergegangen  zu  sein;  wenigstens  findet  sich 
im  Italienischen  consapevole,  consapevolezza  und  consaputo^  wenn 
auch  nur  in  übertragener  Bedeutung. 

Während  an  den  genannten  Stellen  die  Herausgeber  das 
seltene  Compositum  aus  dem  Texte  entfernten,  weil  es  ihnen  an- 
stöfsig  erschien,  läfst  sich  für  2,  4,  85  ein  solcher  Grund  nicht 
annehmen.  Hier  hat  die  Ed.  pr.:  item  eruca  cum  aceto  apponenda; 
seil  haec  simt  primo  concoquenda  iugi  motu  versata.  Da  von 
zwei  Substanzen,  die  mit  einander  gekocht  werden  sollen,  die 
Rede  ist,  von  eruca  und  acetum,  ist  das  Compositum  vollständig 
am  Platz,  und  nur  durch  die  Unachtsamkeit  des  Leydener  Heraus- 
gebers, dem  Amman,  wie  immer,  blindlings  gefolgt  ist,  ist  coquenda 
dafür  in  den  Text  gekommen. 

Mangel  an  gründlicher  Bekanntschaft  mit  dem  Sprachgebrauch 
des  Autors  und  seiner  Zeit  hat  auch  3,  2,  33  zur  Vernachlässigung 
iler  iTberlieferung  geführt.  Hier  bezeugt  die  Ed.  pr.:  si  plurimum 
edax  fuerit  humor  nee  tarnen  itji  superfluus,  ut  ex  sua  sponte 
per  vomituni  excludi  videatur.  iVmman  läfst  ex  weg,  weil  ihm 
wie  seinem  Vorgänger  die  Ausdrucksweise  nicht  geläufig  war. 
Sie  ist  aber  für  Aurelian  doppelt  bezeugt;  denn  sie  findet  sich 
in  der  Ed.  pr.  auch  acut.  1,  11,  S9:  at  si  virium  solutio  non 
fuerit,  sed  ex  sponte  jirofectus  in  meliorem  partem  passionis 
fuerit  «lemoustratus.  Allerdings  ist  auch  hier  das  seltenere  ex 
sponte  (hirch  das  üblichere  sponte  in  unserem  Texte  verdrängt 
worden. 

Das  Femininum  ])jiscua  die  Weide,  das  Futter  steht  4,  3,  55 
zweimal  rasch  hintereinander:  siquidem  caprae  e  salsiore  pascua 
öitienti"«  plurimum  atque  coadcervatim  bibant  et  multum  lac,  sed 
uquatuni  faciant  .  .  .  Quapropter  magis  ex  capra,  quae  lentisci 
pascua  vel  murtae  aut  mbi  aut  vitis  foliis  .  .  .  fuerit  nutrita, 
erit  lac  acripiendum.  An  <ler  ersten  Stelle  ist  es  bei  Amman 
durch  ein  Versehen  in  puscua  korruni])iert  und  am  Kand  als 
Korrektur  oder  Variante  pascuo  angegeben.  Die  Ed.  pr.  bietet 
beide  Male  die  richtige  Lesart. 

Aurelian  geluirte  wie  sein  Gewährsmann  und  Meister  Soranus, 
dessen   Schriften   er    ü])ersetzt,   bekanntlich   zu   den  Methodikei'n. 


176  G.  Helmreich: 

In  deren  Lehrsysteni  spielen  die  sogenannten  Kommunitäten 
ixoivötrftsg)  eine  grofse  Rolle.  Daher  kommt  der  Terminus 
xoivötr^g  bei  Aurelian  häufig  vor^  in  der  Anmianschen  AuBd^W 
meist  in  der  griechischen,  in  der  Ed.  |>r.  in  der  lateinischen  Fonn 
<*oenote8.  Daneben  begegnet  auch  noch  die  Form  coenoteta,  ae, 
ähnlich  wie  sich  neben  haemorrhois  und  haemorrhoides  die  Formen 
haemorrhoida  und  haenioiThoidae  finden  i3,  H,  81.  5,  4,  71.  5,  1,  2). 
Diese  bei  den  lateinischen  Medizinern  häufig  vorkommende  An- 
gleichung  griechischer  Kunstausdrilcke  an  das  lateinische  Idiom 
war  Amman  nicht  l)ekannt.  Daher  hat  er  ;i,  4,  07  die  llber- 
lieferung  der  Ed.  pr.:  quo  iit,  ut  sit  iuxta  regulam  methodicam 
explosum,  ut  qui  intentione  coenotetaruni  ducitur,  corporis 
(l.  Corpora  oder  corporis  partes)  tacilene  aut  difficile  sentiant 
curet,  sicut  latius  de  coenotetis  scribentos  docebimus  und 
2,  12^  147  solutionis  coenotetani  i])sam  nuigis  cogimur  iudieare 
geändert   in  xoLvonJTiov,    xotvon^öi    xuul    xoivorrftcc,    während    er 

2,  14,  202  subiacentibus  pas.sioiii  tenij)oralibus  coenotetis,  i\  1,  12 
erit  enim  coenoteta  consideranda,  acut.  i\,  16,  130  urgent iore 
cogente  coenoteta  die  rberlieferung  unbeanstandet  liefs.  Vergl. 
noch  2,  12,  14r>  ue  cui  i-oenoteti  (Ed.  pr.  coenotetesi,  Amm.  xot- 
vorr^tt)  sanguinis  tiuor  adscribatur.  ihid,  coeueton  lAmni.  xoivo- 
Ttßiüv)  nuitare  virtutem.  ////V/.  ut  etiam  interiorum  eruptio  huic 
coenoteti  (Amm.  xotvoriftt)  subiciatur.  2,  12,  14(5  in  adiutoriis 
adhibendis  chirurgiae  coenoteta  lAmni.  xoii/od/TC)  scribere. 

Einer  ähnlichen  kritiklosen  Willkür  Ammans  begt?gnen  wir 
4,  i\,  09  bei  dem  Wort  attagen.  Dafür  kommt  wiederholt  auch 
die  Form  attagena  vor,  und  sie  ist  1.  l.  durch  die  Ed.  pr.  bezeugt, 
welche  liest:  dandi  turdi  atcjuc  puUi  gallinacvi  vel  columbarum 
atque  volantum  quaecpie  sicci(u*a,  ut  pimsiani  pcctora  vel  perdicis 
aut  attagenae  agrcstis.  Amman  glaubte  dies  in  attagenis  ver- 
])essern  zu  müssen,  obwohl  er  die  Form  attagena  2,  13,  10(>  ut 
sunt  pectora  turdonnn  vel  pullonun  .  .  .  aut  phasiauorum  aut 
jittagenarum,  2,  13,  ISO  in  volantibus  [»erdices,  phasiaui,  attagenae, 

3,  2,  35  ut  [»asserum  pectora  vel  perdicum  aut  attagenanim  nicht 
beanstandete.  Die  IMuralform  jittag<»nes  kommt  nur  einnuil,  acut. 
2,  37,  201),  vor. 

Die  eben  erschienene  erstt»  Liefrrung  des  2.  Kandes  des 
Thesaurus  führt  unter  apertio  die  Nebenform  aperitio  aus  Aurelian 
3, 8, 1 1 1  auf;  dieselbe  verdankt  lediglich  der  Nachlässigkeit  Ammans 
ihre  Entstehung;  die  Ed.  ])r.  hat  richtig:  in  apertionibus. 


Zu  Caelius  Aurelianus.  177 

D»i8  Adjektiv  suculentus  begegnet  mehrfach  bei  Aurelian, 
so  2,  12,  1.^7:  Erasistratus  facile  curabiles  suculentos  homiues 
(lixit,  13>^  Asclepiadea  difficile  curabileB  inquit  suculentos  atque 
carnosos,  acut.  8,  3,  1(5  decoctione  fici  suculenti.  Wenn  wir  aber 
bei  Amman  1,  4,  88  lesen:  post  aequatum  corpus  accipiat  sucuni 
parvuni  »uculentum  nioUeni  leneni  caliduni  digestibileni ,  so  ist 
eine  solche  Tautologie  wie  sucus  sucidentus  selbst  bei  einem 
Stilisten  wie  Aurelian  sehr  befremdend.  Er  hat  aber  gar  nicht 
so  gesehrieben,  sondern  luculentum,  wie  die  Ed.  pr.  bestätigt, 
und  dies  scheint  für  eine  exquisite  Krankensup])e  kein  übler 
Ausdruck. 

Das  Femininum  catula  belegen  die  Lexika  mit  2  Stellen, 
einer  aus  Properz  und  einer  aus  Aurelius  Victor.  Hierzu  käme 
auch  eine  Stelle  aus  Aurelian,  1,  4,  13^-^  agninae  camis  sive  hae- 
dinae  atque  porcinae  et  catularum,  wenn  man  Amman  trauen 
dürfte.  Al>er  schlägt  man  die  Ed.  j>r.  nach,  so  stellt  sich  heraus, 
dafs  hier,  wie  im  folgenden  Paragraphen,  wo  auf  unsere  Stelle 
Bezug  genommen  wird(neque  catulorum  camibus),  das  Masculimmi 
catulonim  überliefert  ist. 

Das  Adjektiv  recorporativus  kommt,  da  in  der  Lehre  der 
Methodiker  die  reeorporatio,  die  fistaövyxQLöi^^  von  grofser  Be- 
deutung ist,  ]>ei  Aurelian  sehr  häußg  vor.  An  einer  Stelle  wäre 
das  Neutrum  plur.  substantivisch  gebraucht,  wenn  Ammans  Text 
korrekt  wäre,  l,  4,  IHö  liest  man  nämlich:  et  usui  recorporati- 
vorum  obsistnnt.  Aber  es  ist  adiutoriorum  ausgefallen,  das  die 
Ed.  pr.  Viezeugt,  cf.  ö,  4,  7(>  tum  ad  recori)orativa  at<|ue  vehementia 
redeundura  adiutoria,  ;5,  1,  12  in  impetu  vel  asperitate  passionis 
recorporativa  adiutoria  prohibenda,  1,  (I,  183  localia  adiutoria  atque 
mitigativa  sive  corporativa  [l.  recorporativa). 

Zur  Beruhigung  der  (leisteskranken  verordneten  manche  Arzte 
auch  das  tlötenspiel,  wie  wir  aus  1,  5,  175  utuntur  etiam  can- 
tionibus  tibiarum  varia  moduUitione  (nämlich  die  phrygische 
lind  dorische  Tonart)  ersehen.  Statt  cantionibus  steht  aber  in 
der  Ed.  pr.  decantionibus,  sodals  vielleicht  decantationibus  zu 
lesen  ist.  Freilich  scheint  dies(»s  Wort  in  der  Bedeutung  ,,Spiel" 
sonstnicht  vorzukommen.  Doch  vgl.  Aur.  Vict.  de  vir.  ill.  34,  1 
Appius  Claudius  e]mlandi  decantandique  ins  ti>)icinibus  in  publico 
ademit. 

Von  der  gh^ichen  chirurgischen  Manipulation  wird  2,  1,  11 
u.  12   zuerst   der   Ausdruck   circumincisio   (nisi   ex   aliqua  hoc 


178  ^.  Hclmreich: 

fuerit  circumincisione  confectum),  dann  circumcisio  (neque  in- 
cisura  neque  circunicisione  antecedentei  gebraucht.  Da  dadurch 
der  griechische  Kunstausdruck  TctQitoiiijy  der  Zirkelschnitt,  wieder- 
gegeben wird,  ist  dieser  Wechsel  auffallend.  Er  verdankt  aber 
auch  nur  der  Flüchtigkeit  des  letzten  Herausgebers  seinen  Ur- 
spriuig;  denn  die  Ed.  j>r.  hat  an  beiden  Stellen  circumincisio. 

Die  Namensfonn  aeantha  für  einen  stachlichten  Baum  in 
Ägypten,  gewöhnlich  acanthus  genannt,  scheint  sonst  im  Latei- 
nischen nicht  vorzukommen,  während  im  Griechischen  beide 
Formen  axavd-a  und  äxavd-og  gebräuchlich  sind.  Aurelian  hat  sie 
an  2  Stellen:  acut.  2,  37,  197  aeantha  Aegyptia,  quam  nos  latine 
spinam  Aegyptiam  dieere  poterimus,  und  chron.  2,  13,  1(>5  vel 
Aegyptia  spina.  quam  acantham  vocant.  So  überliefert  nämlich 
die  Ed.  pr.,  während  Amman  acaciam  dafür  eingesetzt  hat.  Man 
hätte  doch  von  einem  Herausgeber  erwarten  sollen,  daCs  er 
sich  bei  der  Behandlung  der  einen  Stelle  an  die  andere  er- 
innert hätte. 

2,  14,  2()4  liest  man  bei  Amman  sordis  mi^^itudo  .  .  .  si 
fuerit  putrosa  und  einige  Zeilen  weiter  unten  iöi  nächsten  Para- 
graphen: at  si  plurimum  putruosum  apparuerit  ulcus.  EJd.  pr. 
hat  an  beiden  Stellen  die  gleiche  Wortfomi  putruosus. 

4,  l,  9  praeterea  })otan<los  probant  aegrotantes  suco  nepetae. 
Ed.  pr.  überliefert  richtig  praepotandos;  cf.  1,  1,  20  erit  aqua 
praepotandus  aegrotans,  f),  10,  118  praepotandi  simt  aegri  de- 
eoctione  fici. 

Vulgäre  Wortfornien,  wie  sie  besonders  bei  technischen 
Schriftstellern  der  späteren  Zeit  häufig  sind,  haben  bei  den  ersten 
Herausgebern  nicht  die  Beachtung  gefunden,  die  wir  ihnen  jetzt 
schenken;  sie  sahen  in  ihnen  Schreibfehler,  die  sie  beseitigen  zu 
müssen  glaubten.  Würde  uns  ein  glücklicher  Zufall  eine  Hand- 
schrift zu  Aurelian  })08cheren,  würden  sich  in  ihr  gewifs  zahl- 
reiche Vulgiirisinen  vorfinden.  Denn  Sichard  hat,  wie  es  auch 
andere  Herausgeber  seiner  Zeit,  z.  B.  (yornarius  im  Marcellus 
l*]nipiricus,  machten,  sicherlich  an  vielen  Stellen  für  die  vulgare 
die  klassische  VVortfonn  gesetzt.  Dennoch  haben  sich  bei  ihm 
noch  manche  Sj)uren  solcher  Wortformen  erhalten,  die  erst  die 
späteren  Herausgeber,  wie  Amman,  ganz  aus  dem  Texte  verdrängten. 
So  überliefert  die  Ed.  pr.  die  Form  lasar:  2,  l,  37  hisare  (aW.), 
((uod  Graeci  6:rov  xi'(»^r«rx()r  vocant,  3^^  ipsam  quoque  linguam 
lasare  fricantes  ex  aqua  soluto,  39  dantes  etiam  lasar  cum  aceto, 


Zu  Caelius  Aurelianus.  179 

2,  7,  107  dandum  etiam  lasar,  während  108,  124  auch  in  der 
Ed.  pr.  laser  steht. 

Die  „Filzklette"  heilst  bei  Plinius  und  Coluiuella  personata, 
bei  MarceUus  Empiricns   wiederholt  personacea;   bei  Aurelian  ist 

2,  4,  72  in  der  Ed.  pr.  personatia  überliefert,  an  dessen  Stelle 
Amman  die  übliche  Form  personata  gesetzt  hat. 

Für  die  Stelle  des  menschlichen  Körpers  zwischen  den  beiden 
Schultern,  die  die  Griechen  mit  nBzdfpQhvov  bezeichnen,  hat  das 
Lateinische  kein  Wort;  man  mufste  sich  also  mit  der  Umschrei* 
bang  inter  scapulas  oder  palas  behelfen.  Später  entwickelte  sich 
in  Anlehnung  an  das  griechische  Wort  ein  lateinisches  Substantiv 
interscapulum,  das  wiederholt  bei  Aurelian  vorkommt,  wie  H,  1, 10 
Cucurbitae   reeorporativae   adhibendae   thoraci    atque    interscapulo, 

3,  2,  29  sive  pectori  et  interscapulo.  Dieses  Wort  scheint  auch 
in  einer  Korruptel  zu  stecken,  welche  die  Ed.  pr.  bewahrt  hat. 
1,  4,  90  überliefert  sie  nämlich:  ut  nunc  stomachus,  nunc  vesica, 
nunc  interscapulam  relevetur.  Amman  macht  daraus  intersca]mlae 
releventnr,  während  sowohl  die  Verschreibung  interscapulam  als 
der  Singolar  des  Verbums  auf  interscapulum  hinweisen. 

Cyclaminum  ist  der  gewöhnliche  Name  einer  Pflanze,  die 
mit  unserem  Alpenveilchen  oder  Saubrot  identisch  zu  sein  scheint. 
Eine  vulgäre  Form  dafür  ist  cyclamen,  das  sich  häufig  bei  Mar- 
ceUus findet.  Auch  bei  Aurelian  ist  es  in  der  Ed.  pr.  an  3  Stellen 
erhalten:  1,  1,  38  betae  nigrae  vel  cyclaminis  herbae  suco  (gegen 
Kopfweh),  2,  1,  37  probamus  denique  betae  nigrae  vel  cyclaminis 
herbae  sucum  .  .  .  naribus  infundenduni,  3,  2,  42  infundendus  .  .  . 
naribus  sucus  cyclaminis.  Amman  hat  dafür  die  übliche  F(»nii 
gesetzt. 

Auch  durch  willkürliche  Zusätze  haben  die  Herausgeber  den 
Text  des  Aurelian  vielfach  alteriert.  Dies  im  einzelnen  nachzu- 
weisen ist  hier  nicht  der  Ort.  Hier  sollen  nur  zwei  Stellen  be- 
handelt werden,  welclie  für  den  Lexikographen  von  Interesse  sind. 
1,  4,  102  schreibt  Amman:  praecavens  luci  (1.  lucis)  auctoritateni, 
quam  niox  discusso  somno  intueri  minime  potest,  ne  repentino 
eins  occursu  percutiatur  visus.  Die  Ed.  pr.  kennt  die  Worte» 
eins  occursu  nicht.  Der  Zusatz  ist  auch  ganz  unnötig,  denn 
repentino  ist  das  nicht  selten  vorkommende  Adverbium.  Indem 
Amman  dies  verkannte,  crlaulite  er  ein  Substantiv  einschalten  zu 
müssen. 

Ebenso   hat   er   zwei    Substantiva    ergänzt    1,  1,  7  secunduni 


180  G.  Helmreich: 

qnod  nunc  diurnas  nunc  intercapedinatas  exacerbationes  inter- 
positis  diebus  uno  vel  duobus  sicut  quos  typicos  aut  periodicoa 
circuitus  appellamus  ant  hemitritaicos  pro  responsione  temporuni 
habuerint  variantes.  Die  Ed.  pr.  hat  weder  exacerbationes  noch 
circuitns.  Dals  ein  oder  zwei  Substantiva  ausgefallen  «ind,  ist 
nicht  zu  bestreiten,  weil  sich  die  vorkommendeu  Adjeetiva  auf 
Substantiva  beziehen  müssen:  so,  wie  die  Stelle  überliefert  ist, 
giebt  sie  keinen  Sinn.  Aber  exacerbationes  ist  gewifs  falsch  und 
circnitus  zweifelhaft.  Denn  exacerbationes,  das  sich  nach  Ausweis 
der  Lexika  nur  })ei  Salvianus,  Pseudocyprian  und  Rafinus  iindet, 
kommt  bei  Anrelian  .niemals  vor:  es  pafst  überdies  nicht  in  den 
Zusammenhang,  denn  hier  ist  vom  Kopfweh  und  seinen  yer- 
schiedenen  Begleiterscheinungen  die  Rede.  Weit  wahrscheinlicher 
also  ist  es,  dafs  zu  (b'urnas  und  intercapedinatas  der  allgemeine 
Ausdruck  accessiones  oder  der  spezielle  febres  zu  ergänzen   ist. 

Ganz  überflüssig  erscheint  1,4,  80  die  Ergänzung  von  cibum. 
Hier  bietet  die  Ed.  pr.:  quae  si  n(m  fuerint,  perfecte  digestum 
iudicabimus;  Amman  schreibt  digestum  cibum.  Aber  digestus  ist 
vom  Kranken  gesagt  (es  geht  si  nauseantem  vel  ructanteni  fu- 
mosas  exhalati(mes  aegrum  viderimus  voraus)  imd  steht  im 
aktiven  Sinn  =  „einer,  der  verdaut  hat*^.  Das  (Gegenteil  ist 
iudigestus.  Beide  Adjektiva  kommen  l>ei  Anrelian  vor;  cf.  3,  t>,  85 
discere,  utrum  se  levem  ac  digestum  sentiat,  5,  2,  48  siquidem  .  . . 
indigestos  esse  non  sinat,  acut,  i),  Xj  87  denique  etiam  sanos  iu- 
digestos  atque  inutiles  et  implititos  facit  und  M[ircell.  Emp.  1(),  3. 
20,  144.   22,  17.   1,  KM).   28,  :34.  35.  54. 

Auch  die  Ergänzung  von  animi  1,  4,  80  iu  den  Wollten  erifc 
statim  adhibenda  phlebotomia,  moderata  detractione,  ex  brachio 
scilicet,  sed  cum  praecuutione  animi  defectus,  quem  Graeiü  Jiaixo- 
^v^tav  vocant,  halte  ich  nicht  für  nötig,  da  Anrelian  defectus 
absolut  im  Sinne  von  Ohnmacht  gebraucht;  cf.  acut.  2,  10,  76 
item  a  ieiunitate  vel  abstinentiae  defectu,  offenbar  identisch  mit 
dem  Ausdruck  im  vorigen  Paragraphen:  item  animi  defectio  per 
nimiam   ieiunitatem. 

Eine  genauere  Beobac'htung  des  Sprachgebrauchs  hätte  über- 
haupt die  Herausgeber  v(u*  mancher  unbesonnenen  Änderung  des 
Textes  bewahrt.     Einige   Beispiele  mögen  dies  beweisen. 

„Klystieren"  heilst  bei  Aun^lian  inicere;  es  wird  also  nicht 
IjIoI's  mit  sachlichen  (ilegenständen  verbunden,  sondern  auch  von 
JVrsoneu   gesagt.      Daher   hätte    1,  1,  13   die   Lesart  der  Ed.  pr. 


Zu  Caelius  Aurelianut«.  181 

tunc  calidae  et  oleo  rutae  admixto  melle  erit  iniciendus  B^grotaxia 
nicht  in  erit  iniciendus  clyster  abgeändert  werden  sollen;  es  ist 
nur  das  dnrch  Dittographie  entst^indene  calidae  in  calida  zu  ver- 
wandeln,  und  die  Stelle  ist  in  Ordnung.  Vgl.  4,  3,  35  ])erseverante 
incendio  etiani  calida  et  oleo  et  lacte  sunt  iniciendi,  1,  4,  89  tuni 
si  venter  non  fecerit  suuin  ofßciuui  .  .  .  erit  iniciendus  calidae 
(L  calida)  et  oleo  per  clysterem.  Dafs  hier  iniciendus  nicht  etwa 
auf  venter  zu  beziehen  ist,  sondern  dafs  der  Kranke,  aegrotaiis, 
als  Subjekt  vorschwebt,  beweisen  die  zahlreichen  vorausgehenden 
Konjunktive  der  Aufforderung  ora  foveat  —  accipiat  sucum  parvum 
—  cibiini  sumat.  Dasselbe  Verbuni  scheint  auch  vorzuliegen 
in  der  oflenbar  korrupten  Stelle  2,  1,  55  eos  vero  qui  privati 
sensibuH  peiore  strictura  vexantur  abstinendos  primo,  tum  ini- 
tiandos  probat.  Initiandos  ist  unverständlich.  Amman  vermutet 
phlebotomandos  cnler  inaniendos;  beides  ohne  äulsere  Wahrschein- 
lichkeit.  Es  ist  vielmehr  mit  einer  ganz  leichten  Änderung  ini- 
ciendoH  zu  lesen.  Initiandos  ist  wohl  nur  ein  Mifsverständuis 
Sichards;  der  ( -odex  wird  wie  die  Ed.  pr.  4,  3,  35  die  Schreibimg 
initiendos  gehabt  haben.  Daraus  hat  dann  der  erste  Herausgeber 
verkehrterweise  initiandos  gemacht. 

Nichts  ist  bei  Aurelian  häufiger  als  die  Verwendung  der 
Präposition  ex  im  Sinne  eines  instrumentalen  Ablativs;  vgl.  1, 1,50 
si  dolores  mitigati  non  fuerint  ex  calidis  rebus,  1,4,79  erunt . . . 
aliae  nutrices  exhibendae,  ex  quanim  sano  lacte  infans  nutriatur, 
3,  1,  V2  ventrem  ])urganduni  (Ed.  pr.  richtiger  depurgandum)  cre- 
didit  ex  diagridio,  2,  1,  38  lasare  ...  ex  aqua  soluto,  dagegen 
5,  H^  124  laser  aqua  solutum  vel  aceto.  4,  8,  117  ex  bis  enim  et 
animalia  interficiimtur  ...  et  ulcera  cicatricantur.  Deshalb  hätte 
die  Überlieferung  der  Ed.  pr.  2,  7,  109  ex  quibus  erit  caput  fo- 
vehdimi,  4,  3,  58  timc  ex  ipsa  ferula  circumlato  ductu  movebimus 
ci>queBtes,  4,  H,  121  cataplasma  ex  poUine  lu])ini  consperso  ex 
decoctione  absinthii  lucht  durch  Weglassung  der  Präposition  ent- 
stellt werden  sollen. 

Der  Gebrauch  von  quoniam  im  Sinne  des  griechischen  on 
ist  zwar  nicht  so  häufig  wie  der  von  quod  oder  quia,  aber  doch 
nicht  so  selten,  dafs  er  einem  Herausgeber  entgehen  konnte.  Auf 
keinen  Fall  durfte  die  Überlieferung  angetastet  werden,  wie 
2,  12,  145  von  Amman  geschehen  ist.  Hier  hat  die  Ed.  pr.:  Sed 
hiB  respondemus,  quoniam  passio  non  chirurgia,  sed  diaetetica 
traditur  curatione.   Amman  vertauscht  quoniam  mit  dem  üblicheren 

Arvhiv  für  lat.  Lcxikogr.    XII.    Heft  2.  \^ 


182  G.  Helmreich: 

quod^  mit  Unrecht,  wie  unter  anderen  folgende  Stellen  beweisen: 

3,  8,  100  non  advertit,  quoniam  proprio  nomine  celer  dicitur  passio 
(dagegen  weiter  unten  §  101  neque  advertens  qoia  omnis  species 
passionis  sua  quaeque  tempora  percurrit),  4,  3,  78  non  coniciens 
quoniam  omni  aegrotanti  digestibilium  rerum  usus  convenire  per- 
spicitur. 

5,  2,  48  steht  bei  Amman:  plurimi  vomitum  post  eibum  lau- 
daverunt  secundo  vel  tertio  per  menses  singulos  adhibendum, 
siquidem  et  materia  redarguit  et  indigestos  esse  non  sinit,  während 
die  Ed.  pr.  überliefert  siquidem  et  materiam  redarguat  et 
indigestos  esse  non  sinat,  ganz  richtig,  da  Aurelian  redarguere 
im  Sinne  von  repellere  oder  avertere  gebraucht,  wie  man  aus 
1,  4,  120  ersehen  kann:  f Omentum  .  . .  si,  ut  putant,  materiam 
redarguit  (=  ablenkt),  abactum  (1.  abactam)  tamen  cutibus  ad 
cerebrum  et  eins  membranas  revocat. 

Im  Gebrauch  des  Gerundivs  zeigt  Aurelian  manche  Eigen- 
tümlichkeiten; so  verbindet  er  es  nicht  selten  mit  iubeo,  impero, 
praecipio,  posco  an  Stelle  des  passiven  Infinitivs,  selbst  nach  caveo 
verwendet  er  es.  Die  Verkennung  dieses  Sprachgebrauchs  hat 
die  Herausgeber  an  manchen  Stellen  zu  einer  Textänderung  ver- 
anlafst,    wo    die    Lesart    der   Ed.  pr.    wiederherzustellen    ist,    so 

4,  1,  5  ventrem  inter  paucos  dies  leviter  deducendum  iubet  atque 
superficiem  corporis  constringi  \mguento  myrobalani.  Die  Ed.  pr. 
hat  richtig  constringendam.  Ahnlich  steht  es  1,  4,  78.  Hier 
ist  die  Rede  von  der  Behandlung  eines  epileptischen  Kindes,  dem 
gegenüber  auch  der  Amme  «illerlei  Vorsichtsmafsregeln  empfohlen 
werden.  Unter  anderem  heifst  es:  tunc  etiam  curationis  diligen- 
tiam  per  nutricem  aegrotanti  praestare  tentabimus,  iubentes  eam 
a  lavacro  abstinere  atque  sine  vino  atque  camis  esu  perseverare. 
Die  Ed.  pr.  bezeugt  iubentes  et  a  lavacro  abstinendum  und  läfst 
im  Folgenden  camis  weg,  was  nicht  entbehrt  werden  kann.  Die 
Herausgeber  haben  nun  camis  eingesetzt  und  abstinendum  in  abs- 
tinere geändert.  Die  letztere  Änderung  ist  nicht  berechtigt,  wie 
folgende  Stellen  beweisen:  4,  ;3,  77  Diocles  .  .  .  urinalibus  medica- 
minibus  utenduni  iubet,  4,  3,  (33  usque  eo  coquendum  iubent, 
acut.  3,  17,  IGO  praepotandos  autem  iubet  etiam  medicamentis, 
ib.  2,  21,  126  Praxagoras  .  .  .  praecavendum  iubet,  ibid,  ventrem 
emoUiendum  iubet  et  unctionibus  utendum  pavide  persuadet, 
127  deponendos  in  aquani  calidam  iubet,  ib.  2,  8,  36  ut  in  eins 
viceni   danduni    iiisserit.      Also   ist   an    unserer   Stelle   iubentes  ei 


Zu  CaeliuB  Aurelianus.  183 

fst.  et)  a  lavacro   abstinendum  zii  schreiben;  denn  Aurelian  ver- 
bindet iubeo  wiederholt  mit  dem  Dativ.   Der  Wechsel  von  Gerundiv 

» 

und  Infinitiv  (perseverare )  kommt  öfter  vor. 

Die  Phrase  sanguinem  fluere  ist  bei  Aurelian  sehr  häufig; 
auch  in  der  Ammanschen  Ausgabe  finden  sich  dafOr  zahlreiche 
Beispiele,  wie  2,  11,  126.  128.  131  (bis).  132.  133.  Gleichwohl  ist 
an  mehreren  Stellen  die  richtige  Lesart  der  Ed.  pr.  in  sanguine 
fluere  verändert,  so  2,  11,  129  üs  vero  qui  ex  arteria  sanguine 
fluunt  (Ed.  pr.  sanguinem),  130  eos  autem  qui  ex  hypozygo  san- 
guine fluunt  (Ed.  pr.  sanguinem),  133  iis  vero  qui  ex  gingivis 
vel  uva  vel  faucium  lateribus  vel  tonsilüs  sanguine  fluunt  (Ed.  pr. 
sanguinem),  2,  13,  149  oportet  igitur  ex  qualibet  parte  sanguine 
fluentes  iacere  loco  mediocriter  calido  (Ed.  pr.  sanguinem),  2,  13, 
171  at  si  quisquam  non  plurimum  sanguine  (Ed.  pr.  sanguinem) 
fluxerit,  2,  13,  183  sanguine  (Ed.  pr.  sanguinem)  inquit  fluentes 
ita  esse  locandos,  184  si  tertia  die  rursum  sanguine  (^Ed.  pr. 
sanguinem)  fluxerint  atque  plurimo  (Ed.  pr.  plurimum). 

1,  1,  40  in  iis  (sc.  corporibus)  vero  quae  minus  vexata  no- 
scuntur  vel  viribus  medicamentorum  depurgata.  Die  Ed.  pr. 
laust  medicamentorum  weg,  mit  Recht;  denn  nicht  davon  ist  die  Rede, 
dafs  die  Körper  durch  die  Wirkungen  der  Arzneimittel  gereinigt, 
sondern  davon,  dafs  sie  überhaupt  geschwächt  sind.  In  der  Bedeu- 
tung „schwächen"  wird  aber  depurgare  wiederholt  von  Aurelian  ge- 
braucht, wie  5,  10,  114  cum  vehementi  tussicula  viribus  depur- 
gatis,  5,  11,  139  nam  phlebotomia  vires  depurgatae  vexantur, 
2,  13,  190  etenim  corporis  fortitudo  necessario  depurgatur.  Wäre 
diese  Bedeutung  den  Herausgebern  geläufig  gewesen,  hätten  sie 
sich  1,  1,  40  den  Zusatz  von   medicamentorum   ersparen  können. 

Der  grölsten  Willkür  aber  haben  sich  Amman  und  sein 
Vorgänger  der  so  oft  gebrauchten  kausalen  Konjunktion  siquidem 
gegenüber  schuldig  gemacht.  Aurelian  verbindet  diese  wie  Cassius 
Felix,  dessen  Sprache  überhaupt  mit  der  seines  Landsmannes  auf- 
fallend übereinstimmt,  nach  der  uns  vorliegenden  Überlieferung 
fast  immer  mit  dem  Konjunktiv,  nicht  blofs  wenn  eine  Begründung 
aus  dem  Sinn  und  Geist  eines  andern  gegeben  wird,  sondern  auch 
wenn  der  kausale  Nebensatz  ganz  imabhängig  von  der  Anschauung 
des  Sprechenden  einen  objektiven  Grimd  einführt. 

Sowohl  die  Ed.  pr.  als  Amman  haben  den  Konjunktiv  an 
folgenden  Stellen:  1,  24.  28.  53  (videaturj.  Hl.  83  (transcendat). 
86.  96.  122.  141.  145.  177.  180.  2,  8.  14.  28.  75.  96.  111.  117.  124 

IH* 


184  <'    Helmreich: 

i^sit).  124  (videatur).  134.  138.  141.  14(3.  147.  164.  165.  183  (fu- 
erit  elociitus).  187.  191.  194  ( commoveant).  ^94  (turbent  atque 
Texeiit  et  vertaiit).  195.  196.  199.  200.  202.  211.  212.  3,  20. 
28.  60.  7H.  HO  ^üant).  124.  125.  130.  144.  4,  9.  21.  33.  55. 
60.  61.  79.  86.  88.  98.  107.  110.  112.  5,  28.  33.  37.  43.  45.  46. 
54.  JH).  92.  110.  112. 

Dazu  kommeu  nac'li  der  Ed.  j)r.  noch  folgende  Stellen^  an 
<leiie)i  Amnmii  mit  Unrecht  den  Indikativ  hergestellt  hat:  1,  46 
(Ed.  pr.  prohibeat  —  A.  prohibet),  52  (Ed.  pr.  putent  —  A.  pu- 
tant),  54  (Ed.  pr.  sentiant  —  A.  sentinnt),  54  (Ed.  pr.  praefocet 

—  A.  praefbcat),  60  (Ed.  pr.  abiindet  —  A.  abundat),  61  (Ed.  pr. 
sit  —  A.  est),  71  (Ed.  pr.  possint  —  A.  possunt),  73  (Ed.  pr. 
]>ossit  —  A.  potestX  73  (Ed.  pr.  sit  —  A.  est),  77  (Ed.  pr.  sit  — 
A.  est),  82  (Ed.  pr.  sit  —  A.  est),  83  (Ed.  pr.  veniat  —  A.  venit), 
101  (Ed.  pr.  asperetnr  —  A.  asperatur),  101  (Ed.  pr.  faciat  — 
A.  facit),  103  (Ed.  pr.  nioveat  —  A.  niovet),  117  (Ed.  pr.  faciat 

—  A.  facit j,  127  (Ed.  pr.  perniittat  —  A.  permittit),  ib,  (Ed.  pr. 
faciat  —  A.  facit),  128  (Ed.  pr.  displicere  faciat  —  A.  displ.  facit); 
ih.  (Ed.  pr.  videatur  —  A.  videtur),  134  (Ed.  pr.  tollant  —  A. 
tollunt),  ib,  (Ed.  j)r.  laxent  —  A.  laxant),  r/>.  (Ed.  pr.  vexent  — 
A.  vexant),  135  (Ed.  ])r.  impleant  —  A.  implent)^  146  (Ed.  pr. 
videatur  —  A.  videtur),  Ih.  (Ed.  pr.  discematur  —  A.  discemitur), 
171  (Ed.  pr.  videantur  —  A.  videntur),  183  (Ed.  pr.  patiatur  — 
A.  patiturY  2,  9  (Ed.  pr.  concurrat  —  A.  concurrit),  90  (Ed.  pr. 
inveniatur  —  A.  iuveniturj,  124  (Ed.  pr.  niemoraverit  —  A.  me- 
moravit),  136  (Ed.  pr.  videatur  —  A.  videtur),  144  (Ed.  pr.  sus- 
tineat  —  A.  sustinet),  163  (Ed.  pr.  solvat  —  A.  solvit),  183 
(Ed.  pr.  iubeant  —  A.  iuheut),  ih.  (Ed.  pr.  pracceperit  —  A. 
praecepit),  1S6  (Ed.  pr.  probent  -  A.  probant),  193  (Ed.  pr. 
adveniant  —  A.  adveniunt),  216  (Ed.  pr.  faciat  —  A.  facit). 
3,  1  (Ed.  ])r.  sentiant  —  A.  sentinnt,  dagegen  nachher  spirent), 
5  ( Ed.   pr.   asperetnr  —   A.   asperatur),    51    (Ed.  pr.  adducantiir 

—  A.  adducuntur),  ih.  (Ed.  pr.  afficiant  —  A.  afficiunt),  57 
(Ed.  pr.  voxetur  —  A.  vexatur  i,  96  (  Ed.  pr.  comitetur  —  A. 
comitatur),  107  (Ed.  pr.  videatur  —  A.  videtur),  ih,  (Ed.  pr.  in- 
ferat  —  A.  infert),  110  (Ed.  ])r.  afficiantur  —  A.  afßciuntur),  ib. 
(Ed.  ])r.  provocet  --  A.  [»rovocat),  ib.  (Ed.  pr.  faciat  —  A.  facit), 
123  (Ed.  pr.  ingerat  —  A.  ingeriti,  129  (Ed.  pr.  distendat  — 
A.  distendit),  138  (^Ed.  ])r.  sit  -  A.  est).  4,  21  (Ed.  pr.  fiant  — 
A.  fiunt),    l\4  (Ed.  pr.  videatur  —  A.  videtur),   52  (Ed.  pr.  pro- 


Zu  CaeliuB  Aureliauua.  185 

voctet  —  A.  provocat),  ()7  (Ed.  pr.  torqueant  —  A.  torqueut), 
ib,  (Ed.  pr.  constringat  —  A.  constringit) ,  100  (Ed.  pr.  sint  — 
A.  sunt),  110  (Ed.  pr.  abstineatiu*  —  A.  abstinetur),  ih,  lEd.  pr. 
antecedat  —  A.  antecedit),  ih.  (Ed.  pr.  iaceant  —  A.  iaceut);  ib. 
(Ed.  pr.  dormiaut  —  A.  dormiunt),  115  (Ed.  pr.  videatur  —  A. 
videtur).  5,  5  (Ed.  pr.  appreheuderit  —  A.  apprehendit),  ib.  (Ed. 
pr.  videatur  —  A.  videtur),  7  (Ed.  pr.  concurrant  —  A.  com^urrunt), 
9  (Ed.  pr.  videatur  —  A.  ridetur),  43  (Ed.  pr.  videantur  —  A. 
yidentur),  ib.  (Ed.  pr.  seqnatur  —  A.  sequitur\  4S  (Ed.  pr.  red- 
arguat  —  A.  redarguit),  ib.  (Ed.  pr.  sinat  —  A.  sinit),  52  (Ed. 
pr.  intelligamus  —  A.  intelliginius),  ib.  (Ed.  pr.  teneat  —  A.  tenet), 
72  (Ed.  pr.  faciant  —  A.  faciunt),  HO  (Ed.  pr.  perficiat  —  A.  per- 
ficit),  81  (Ed.  pr.  faciat  —  A.  facit),  S4  (Ed.  pr.  exerceant  — 
A.  eiercent),  ib,  (Ed.  pr.  vexetur  —  A.  vexatur),  111  (Ed.  pr. 
sustineant — eonsueverint — Iiabeat  —  A.  sustinent — consueverunt 
— habet ),  112  (Ed.  pr.  ingerat  ^=^  A.  ingerit),  113  (Ed.  pr.  eircuni- 
fundatur  —  A.  cireumf unditur ) ,  117  (Ed.  pr.  angustetur  —  A. 
angustatur),  129  (Ed.  pr.  faciat — afiiciat  —  A.  facit  —  afficit). 

Über  den  Gebrauch  von  siquidein  in  den  5  Büchern  der 
Chronia  ergiebt  sich  also  Folgendes:  Diese  Konjunktion  kommt 
im  ganzen  etwa  lG2mal  vor.  An  152  Stellen  hat  die  Ed.  pr. 
den  Konjunktiv  überliefert,  Amman  dagegen  hat  von  diesen 
152  Stellen  an  etwa  82  den  Indikativ  in  den  Text  gesetzt.  Der 
Indikativ  ist  nur  an  10  Stellen  bezeugt.  Von  diesen  kommen  2 
als  offenbar  korrupt  in  Abzug.  Denn  2,  14,  209  hat  die  Ed.  pr. 
siquidem  iugis  speciei  unius  oblatio  satiat  aegrotantes  et  prop- 
terea  recusetur  (A.  recusatur).  Der  zweite  Konjunktiv  beweist, 
dafs  auch  an  erster  Stelle  satiet  zu  schreiben  ist.  5,  2,  36  si- 
quidem nulla  quassatio  partium  fiet.  Das  Futur  hat  keinen  Sinn; 
es  ist  dafür  offenbar  fiat  zu  schreiben.  Es  bleiben  also  noch  8  Stellen 
mit  dem  Indikativ  übrig:  1,  2,  53  siquidem  neque  sensibus  privat 
aegrotantes  neque  spasmo  id  est  diverso  raptu  adficit,  1,  5,  153 
siquidem  Graeci  Siuxvaiv  animi  laxationem  dixerunt,  2,  1,  5(1 
siquidem  contrariis  inter  se  passionibus  haec  subiecta  monstrantur, 

2,  2,  64  siquidem   spasmus   acuta   atque   celer   passio   perspicitur, 

3,  3,  47  siquidem  potu  impleti  minus  solidos  appetimt  cibos, 
8,  98  siquidem  etiam  ex  plurimis  aliis  partibus  patientibus  hj- 
dropes  generantur.  Ich  zweifle  nicht,  dafs  an  allen  diesen  Stellen 
der  Konjunktiv  herzustellen  ist.  Schliefslich  will  ich  noch  be- 
merken, dafs  3,  8,  100  in   der  Am  manschen  Ausgabe   ein  scKovv 


186  ^^.  Helmreich:    Zu  Caelius  Aurelianus. 

durch  seine  Stellung  auffallendes  siquidem  mit  Indikativ  sich 
findet  (hoc  siquidem  communiter  etiam  aliis  specialibns  passionibus 
adscribens  non  advertit)^  dafs  aber  die  Ed.  pr.  dafilr  das  einzig 
richtige  quidem  bietet.  —  Ahnlich  ist  die  Sachlage  mit  siquidem 
in  den  3  Büchern  de  acutis  passionibus;  auch  hier  stehen  nur 
einige  wenige  Fälle  des  Indikativs  sehr  zahlreichen  des  Konjunktivs 
gegenüber;  aber  auch  hier  haben  Amman  und  sein  Vorgänger  die 
Überlieferung  der  Ed.  pr.  (Paris.  1533)  in  der  willkürlichsten 
Weise  geändert. 

Ich  glaube  durch  diese  Ausführungen  nachgewiesen  zu  habeu^ 
dafs  über  der  Überlieferung  des  Aurelianus  kein  guter  Stern  ge- 
waltet hat.  Nicht  nur  sind  die  einzigen  Handschriften^  aus  denen 
seine  zwei  uns  erhaltenen  Hauptwerke,  über  die  akuten  und  über 
die  chronischen  Krankheiten,  herausgegeben  wurden,  verloren  ge- 
gangen, sondern  in  den  auf  die  Editiones  principes  folgenden 
Ausgaben  ist  auch  der  Text  in  unverantwortlicher  Weise  entstellt 
worden,  die  Ammansche  Ausgabe  speziell  ist  nur  mit  der  gröfsten 
Vorsicht  zu  benützen. 

Wenn  nun  auch  eine  neue  Ausgabe  bei  dem  geringen  In- 
teresse für  diesen  Schriftsteller  gerade  kein  „dringendes"  Bedürfnis 
ist,  so  wäre  vielleicht  doch,  da  seit  fast  200  Jahren  von  dem 
Autor  nichts  mehr  gedruckt  worden  ist,  eine  Textrecension  auf 
Gnmd  der  Editio  princeps  mit  einem  ausführlichen  Index  verborum, 
da  der  Schriftsteller  in  sprachlicher  Hinsicht  viele  Besonderheiten 
aufweist,  keine  überflüssige  Arbeit. 

Hof  G.  Helmreieh. 

Pullus  'Hahn'. 

Eigentümlich  der  Pcregrinntio  nd  lora  Gianda  ist  der  Gebrauch 
von  pnÜHS  anstatt  des  klassischen  Wortes  gaUus,  An  etwa  zwanzig 
Stellen,  wo  vom  Hahneugeschrei  am  frühen  Morgen  die  Rede  ist,  sagt 
die  unbekannte  Verfasserin  pHÜiis,  nie  galhis;  d.  h.  doch  so  viel,  dafs 
am  Schlüsse  des  IV.  Jahrhunderts  im  Lande,  wo  sie  zu  Hause  war  — 
Gallien  war  ihr  Vaterland  — ,  das  übliche  Wort  für  Hahn  pullus 
war.  Wo  Avird  nun  im  heutigen  Frankreich  mit  pullus  der  Hahn 
bezeichnet?  Nach  Mistrals  Tresor  dou  feiihrige  im  Languedoc,  wo  er 
poul^  und  in  der  Gascogne,  wo  er  pmit  heifst.  Aber  auch  an  der 
Rhone,  im  sogenannten  franco - provenvalischen  Gebiete,  wozu  die 
französischen  Kantone  der  Schweiz  gehören,  ist  pullus  das  übliche 
Wort,  welches  hier  pu  (sprich  ;^/V)  geworden  ist. 

"P»«^cr.  J.  Cornu. 


Die  neue  Epitoma  Alexandri. 

Während  die  r()nii8che  Historiographie  bis  auf  Augustus  der 
griechisch -orientalischen  Geschichte  keinerlei  Interesse  zugewandt 
hat^  taucht  in  der  Weltmonarchie  das  Bedürfnis  auf,  sich  über 
die  Vergangenheit  des  Erdkreises  belehren  zu  lassen,  und  Trogus 
Pompeius,  dessen  Werk  wir  noch  im  Auszuge  des  lustinus  besitzen, 
ist  demselben  in  weitgehender  Weise  entgegengekommen.  Aber 
noch  mehr  als  Perikles  oder  Sokrates  mufste  die  Römer  der  Mann 
fesseln^  welcher  mit  R^cht  der  erste  Welteroberer  genannt  wird, 
Alexander  der  Grofse.  Wohl  sagt  man,  Curtius  habe  sich  diesen 
Stoff  gewählt,  weil  es  zu  seiner  Zeit  gefährlich  gewesen  sei,  rö- 
mische Geschichte  zu  schreiben;  aber  er  durfte  auch  sicher  sein, 
mit  dieser  Wahl  die  Wünsche  der  Leserwelt  zu  befriedigen,  wurde 
doch  die  Geschichte  Alexanders  sogar  in  das  Syrische  und  Ar- 
menische übersetzt.  Den  Beweis  dafür  liefert  die  spätere  Litteratur, 
welche  den  Stoff  immer  von  neuem  aufgreift,  wenn  auch  die 
Alexandergeschichte  in  einen  Alexanderroman  ausartet.  Diese 
ganze  Überlieferung,  die  griechische  wie  die  römische,  in  ihrem 
Abhängigkeitsverhältnis  zu  einander  vorzuführen,  kann  nicht  imsere 
Aufgabe  sein;  wir  werden  also  weder  auf  Arrian  oder  Pseudo- 
kaUisthenes,  noch  auf  lulius  Valerius  oder  das  sogen.  Itinerarium 
eingehen;  es  genüge  zu  sagen,  dals  von  den  6  Suasorien  Senecas 
nicht  weniger  als  zwei  dem  Alexander  gelten  (an  Oc«anum  naviget; 
an  Babylona  intret),  dafs  die  römische  Litteratur  schon  im  zweiten 
oder  dritten  Jahrhundert  nach  Christus  ein  umfängliches  Werk 
besafs,  welches  passend  den  Titel  Herum  gestarum  führte,  da  ja 
in  Alexanders  Leben  seine  Feldzüge  das  Hervorragendste  sind. 
Diesen  Titel  trägt  ja  auch  der  von  Beruh.  Kubier  herausgegebene 
luIius  Valerius.  Von  einer  anderen,  in  einem  Metzer  Codex  des 
zehnten  Jahrhunderts  erhaltenen  lateinischen  Bearbeitung  gab 
Wachsmuth  in  seiner  ^Einleitung  in  das  Studium  der  alten  Ge- 
schichte' S.  567  Kenntnis,  und  ein  junger,  aus  Metz  gebürtiger 
Philologe,  Otto  Wagner,  hat  soeben,    von   seinen   Strafsbur^^er 


188  Ed.  Wölfflin: 

Lehrern  unterstützt  ^  den  Text  im  2G.  Supplenieutbaude  der  Jalir- 
bücher  für  Philologie  herausgeben,  Leipz.  19CK).*)  Dazu  kommen 
zwei  Aufsatze  von  Gust.  Landgraf  in  der  Berl.  Worh.-Schr. 
1901,  Xr.  8  und  13. 

Die  Überschrift  lautet:  INCIPIT  ALEXANDKI  MAGNI 
MACEDONIS  EPITHOMAE  RERVM  GESTAR VM  LIBER  •  I  • 
Dafs  aber  dafür  über  •  II  •  geändert  werden  mnfs,  hat  Reitzenstein 
richtig  gesehen.  Denn  die  Erzählung  beginnt  mit  dem  Tode  des 
Darios,  fuhrt  uns  also  in  die  Mitte  des  Lebens  AU?xanders. 
Magnus  Alexander  rex  Macedoniae  postquam  omne  imf>erium 
Asiae  ad  se  redegisse  credidit^  .  .  .  neque  id  quidem  Dario  vivo 
ostendere  ausus  esset,  postea  patefecit  volnntatem.  Wenn  man 
nun  aber  bedenkt,  dafs  das  fünfte  Buch  des  Curtius  mit  dem 
Tode  des  Darius  schliefst^  wie  das  zehnte  mit  dem  Tode  Alexan- 
ders, so  wird  man  nicht  nur  an  eine  Beziehung  beider  Werke 
glauben,  sondern  auch  annehmen  dürfen,  die  Epitoma  habe  zwei 
Bücher  gebildet.  Damaeii  möchte  dann  das  Originalwerk  zwei 
Triaden  oder  zwei  Pentaden  umfafst  haben.  Die  Epitoma  selbst 
besteht  durchaus  nicht  vorwiegend  aus  Hauptsätzen,  sie  ist  viel- 
mehr in  lesbarem  Stile  geschrieben  und  giebt  uns  sogar  den  In- 
halt von  Reden  und  Briefen  in  direkter  Form;  sie  ist  ähnlich  der 
Epitoma  de  (.'aesaribus  und  von  einem  ])elesenen  und  geübten 
Stilisten  geschrieben,  für  ihre  Zeit  nicht  viel  schlechter  als  die 
verlorene  Epitoma  Livii,  welche  wir  uns  ja  einigermai'sen  rekon- 
struieren können.  Vgl.  Arch.  f.  Lexikogr.  XI  IflF.  XII  14i>.  Auch 
die  Epitome  divinarum  institutionum  von  La(*tantius  mag  ver- 
glichen werden. 

Die  erste  Frage  wird  oline  Zweifel  lauten,  in  welche  Zeit 
wir  diese  zu  setzen  haben,  und  der  Herausgeber  denkt  sich  die- 
selbe entstanden:  'quarto  fere  quintove  post  Christum  saeculo'. 
So  lange  wir  über  die  Beziehungen  zu  Inlius  Valerius  oder  dem 
Itinerarium  nichts  Sicheres  wissen,  müssen  unsere  Argumente  aus 
dem  Charakter  der  Latin) tat  gezogen  werden,  und  wir  werden 
dann  auch  zufrieden  sein  müssen,  etwa  das  Jahrhundert  zu  treffen. 

*).  Schon  einige  Jahre  früher  hatte  Dietr.  Volk  mann  das  Büchlein 
aus  der  nämlichen  Handschrift  veröffentlicht,  in  der  zu  Ehren  von  Bonitz 
von  dem  Lehrcrkolle^um  in  Schulpforte  herausgegebenen  FesUchrifl,  welche 
freilich  nicht  in  den  Buchhandel  gekommen  ist.  Eine  zweite  Handschrift 
dieser  Epitome  ist  trotz  eifriger  Nachforschungen  in  Brüssel,  Oxford, 
Florenz,  Neapel,  Rom  (Vaticana)  bisher  nicht  gefunden  worden. 


Die  neue  Epitoina  Alexaudri.  189 

DftCs  noch  manche  Stellen  des  Textes  korrupt  sind,  erschwert  die 
Losung  der  Aufgabe  bedeutend;  über  das  Vorkommen  und  erste 
Auftreten  neuer  Wörter  sind  wir  ja  zur  Zeit  nur  mangelhaft  auf- 
geklärt. Immerhin  mufs  man  versuchen,  etwa  aus  einer  gröfseren 
Anzahl  von  Beobachtungen  ein  Mittel  zu  ziehen. 

So  lesen  wir  denn  §  65:  eo  Alexander  exercitum  duxit  eum- 
que  subiugavit.  Dieses  Zeitwort  im  Sinne  von  ^unterwerfen' 
gehört  jedenfalls  der  späteren  Latinität  an;  die  ältesten  Belege 
mögen  um  das  Jahr  3CM)  oder  wenig  früher  fallen;  Lactantius 
bietet  dereu  nahezu  ein  Dutzend,  wie  man  aus  den  Indices  von 
S.  Brandt  ersehen  kann,  und  nicht  viel  weniger  lulius  Valerius, 
aus  welchem  unser  Verf.  geschöpft  haben  dürfte.  Nähere  An- 
gaben sind  zur  Zeit  nicht  möglich,  und  in  syntaktischen  Dingen 
sind  wir  eigentlich  noch  8chle(*hter  unterrichtet  als  in  der  Lexiko- 
graphie. 

So  ist  ja,  was  wir  Epit.  29  lesen:  Koxane  omnibus  formo- 
sissima  (statt  omnium  oder  richtiger  statt  formosior),  eine  bar- 
barische Licenz  des  Spätlateins,  welche  auf  die  Vermischimg  der 
Komparationsgrade  zurückgeht,  und  ich  habe  auch  in  meiner 
Komparation  S.  71  eine  vollkommen  entsprechende  Parallele  bei 
Sulp.  Sev.  chron.  2,  3,  f)  nachgewiesen:  Romanum  imperium  <mi- 
nihus  ante  regnis  validissimum.  Dafs  die  Konstruktion  im  karo- 
lingischen  Latein  üblich  war,  beweist  der  eine  Fredegar,  bei 
welchem  wir  ^  1  fidelissimi  eeteris,  1 2  fortissimus  ceteris  regibus, 
6o  fortissimus  ceteris  finden.  Aber  wer  giebt  uns  denn  Gewii's- 
heit,  wann  die  Verwildenmg  zuerst  auftritt,  da  ja  das  Buch  von 
Ziemer  dafür  nicht  ausreicht?  Vgl.  Bemhardy,  griei'h.  Syntax 
S.  438.  Wir  können  nur  hinzufügen,  dafs  der  Verf.  der  Epitome 
auch  sonst  den  Superlativ  für  den  Komparativ  gebraucht,  83 
dixit  alium  alio  deterrime  (=  deteriusj  respondisse.  Eine  er- 
schöpfende Geschichte  des  Verfalles  der  Komparationsformen  ist 
noch  nicht  geschrieben. 

Gewifs  ist  praeminister  oder  effugare  (Epit.  35.  89 j  ein 
junges  Wort,  ebenso  78  praedictus  rex  (=  supra  dietus  oder 
scriptus),  worauf  Landgraf  verweist,  doch  können  wir  eben  nur 
die  Punkte  angeben,  an  welchen  die  Untersuchimg  später  ein- 
zusetzen hat.  Auch  submittere  =  substituere  (87)  scheint  spät- 
lateinisch zu  sein. 

Noch  wichtiger  ist  es  vielleicht,  den  Grimdzug  oder  die  ein- 
zelnen  Bestandteile   der   Latinität   zu    bestimmen.     Dais   um  das 


190  Ed.  Wölfflin: 

Jahr  40()  nach  Chr.  die  römische  Historiographie  stark  sallustia- 
nisch  gefärbt  war,  hat  Friedr.  Vogel  in  den  Acta  seminarii  Er- 
langensis^  vol.  I  und  11,  nachgewiesen;  wir  müssen  daraus  schliefsen, 
dafs  Sallust  in  der  Schule  am  meisten  gelesen  worden  ist.  Allein 
es  erschöpft  die  Sa(*>he  doch  nicht  wenn  man  yon  dem  Einflüsse 
Sallusts  spricht;  man  mufs  yielmehr  von  einer  archaisierenden 
Richtung  sprechen,  in  welcher  auch  Catos  Origines  und  vielleicht 
Sisenna,  von  erhaltenen  Werken  die  Komödien  des  Plautus  und 
Terenz  zur  Geltung  kamen.  Zu  dieser  gehörte  aber  auch,  im 
Gegensatze  zu  (^aesar,  Hirtius  und  Livius,  der  Verfasser  des  Bellum 
Africum.  Die  Berührungen  imseres  Anonymus  mit  dieser  Schrift 
sind  denn  aucli  dem  Herausgeber  nicht  verborgen  geblieben^  und 
er  citiert  also  fleifsig  Parallelstellen  imd  die  sprachlichen  An- 
merkungen imserer  Ausgabe.  Nur  hat  er  über  diese  Details  die 
gröfseren  Zusammenhange  aus  den  Augen  verloren.  Das  hier 
Fehlende  mufs  man  bei  Landgraf  (^Berliner  philol.  Woch.  19Ö1. 
Spalte  253  f.)  suchen.  Er  hat  richtig  erkannt,  dafs  unter  den  prosa- 
ischen Vorbildern  unseres  Verfassers  der  Auetor  belli  Africi 
neben  Sallust  zu  stellen  ist,  eine  Nachahmung,  wie  sie  bei  keiner 
anderen  lateinischen  Sc^hrift  beobachtet  wird.  Daraus  geht  aber 
auch  hervor,  dafs  der  Verf.  des  bellum  Africum  eine  persönliche 
Bedeutung  gehabt  haben  mufs,  welche  man  ihm  sonst  zuzusprechen 
wenig  geneigt  ist,  und  dafs  er  sich  hierin  wesentlich  von  dem 
Verf.  des  bellum  Hispauiense  unterscheidet,  welcher  in  der  Litte- 
ratur  gar  keine  Spuren  hinterlassen  hat.  Der  Name  Asinius  Polio 
ist  hier  nicht  die  Hauptsache,  aber  er  zeigt  uns  doch,  wie  wir 
uns  den  Schriftsteller  zu  denken  haben,  und  selbst  wenn  der  Name 
verfehlt  ist,  so  ist  es  einer  jener  Fehler,  aus  welchen  man  mehr 
lernen  kann  als  aus  platten  Wahrheiten. 

Dieses  l)untscheckige,  aus  Phrasen  einiger  Lieblingsautoren 
zusammengestoppelte  Latein  steht  nicht  weit  ab  von  dem  des 
lulius  Valerius,  des  Ammian  oder  des  Dictvs,  weshalb  auch  der 
Verlasser  als  Zeitgenosse  solcher  Autoren  gedacht  werden  mag. 
Die  innere  Armut  spricht  sich  schon  darin  aus,  dafe  dieselben 
I'hrasen  auf  engem  Raum  wiederkehren  und  dem  Schriftsteller 
die  Kunst  der  variatio  nicht  zu  Gebote  steht.  Vgl.  64  [PoroJ 
postquam  ex  vulnerilnis  melius  factum  est  mit  7S :  Macedones  suos 
süurios  in  castra  abstulerunt.  sed  ubi  Alexandro  melius  factum 
est  (=  als  es  ihm  besser  ging),  wo  die  Phrase  an  eine  bestimmte 
Form    des    Verbums    gebunden    ist.      Wir   werden    zuerst    einige 


Die  ueue  Epitoma  Alexandri.  191 

Proben  archaischen  Lateins  vorführen^  um  dann  die  Beziehungen 
zu  Sallust  und  zum  Bellum  Africum  besonders  zu  besprechen. 

Wenn  das  archaische  Latein  den  einfachen  Verben  die  mit 
Präpositionen  zusammengesetzten  vorzogt  auch  wo  der  Gedanke 
den  Zusatz  nicht  notwendig  verlangt  hätte^  eine  Eigentümlichkeit, 
welche  auch  auf  die  spätere  Yulgärsprache  übei^ing,  so  können 
wir  als  Belege  die  Yerba  comprecari  xmd  denarrare  anführen. 
Zweimal  schreibt  der  Verfasser,  29  und  85,  deos  comprecatus, 
obwohl  der  Begriff  der  Mehrheit  schon  in  dem  Plural  ausgedrückt 
ist;  so  sagen  aber  auch  Terentius  Ad.  699.  704  und  Apuleius 
met.  4y  1,  und  das  plautinische  congratulari  bietet  eine  Parallele 
dazu.  Ebenso  ist  104:  Perdiccas  Macedonum  concursum  denar- 
ravit  zu  beurteilen;  denn  das  Verbum  gehört  nicht  der  klassischen 
Prosa,  wohl  aber  dem  Terenz.  An  Plautus  dagegen  erinnert  das 
zum  unbestimmten  Artikel  herabgesunkene  unus,  21  cum  uno 
servulo  ad  Alexandrum  devenit.  Vgl.  Plaut.  Pseud.  948  ibidem 
una  aderit  mulier  lepida,  wovon  der  Fall  zu  trennen  ist,  wenn 
ein  Superlativ  hinzugefügt  wird.  Ausnahmsweise  finden  wir  diese 
familiäre  Ausdrucksweise  auch  in  guter  Prosa;  bei  Cic.  de  orat.  1, 
132  mihi  qui  sicut  unus  pater  familias  his  de  rebus  loquor  (wo 
Piderit  pater  familias  streichen  will),  und  bei  Caes.  Gall.  2,  25 
scuto  ab  novissimis  uni  luiliti  (dem  ersten  besten)  detracto,  wo 
Dittenberger  früher  uni  einklammerte.  Den  archaischen  Gebrauch 
yerbürgt  Quadrigarius  bei  Gellius  15,  1,  7  Sulla  eduxit  copias,  ut 
Archelai  turrim  unam  incenderet,  welchem  noch  Tubero  folgte: 
Kegulum  j)n)elium  fecisse  adversus  unum  serpentem.  Und  dies 
erhielt  sich  im  Spätlatein,  z.  B.  Liv.  perioch.  72  unius  feminae 
opera  rec^ptus.  lord.  Get.  35  cum  pastor  quidam  gregis  unam 
buculam  conspexisset  claudicantem.  —  Plautinisch  ist  femer  18 
homiues  volatici  und  conquexit  (vgl.  unter  Mise). 

Epit.  22  e  matre  sua  duos  filios  et  tres  filias  produxerat 
ist  archaisches  Latein,  bekannt  aus  Plautus  Kud.  1173  und  Luci- 
lius  2G,  1,  das  Supinuni  saltatum  (28  in  convivium  alias  suas 
saltatum  introduxit)  nur  aus  Lucil.  1,  31  nachgewiesen.  So  ist 
auch  der  Sprache  der  Komiker  entlehnt  20  uxorem  quam  ma- 
gnificabat,  92  mortem  interminatus(Iul.Val. 3, 26  interminatus 
necem),  und  anderes  mehr,  was  Landgraf  nachweist,  z.  B.  52  solus 
soli  parem  se  existimans.  Acta  Erlang.  II  44.  Plaut.  CisteU.  bei 
Priscian  3,  42;  Asin.  500. 

Da  Landgraf   noch  eine  Reihe  von  Archaismen   besprochen 


11)2  Kd.  Wölfflin: 

hat;  80  können  wir  uns  nicht  enthalten,  die  Leser  mit  denselben 
bekannt  zu  machen;  sie  betreiFen  alle  den  Plautus.  Denn  Epit.  10>> 
nostra  mandata  cum  cura  curare  liefse  sich  wohl  mit  Ennius 
annal.  73 M.  vergleichen  (curantes  magna  cum  cura),  do<*/h  noch 
besser  mit  Plautus  Pers.  r)27,  weil  hier  der  Zusatz  magna  fehlt. 
Dieselbe  Vorliebe  zur  AUitteration  beobachten  wir  Epit.  29  multa 
multis  insperantibus  obtingere  solere^  was  sich  mit  Plautus 
Kud.  40()  multa  praeter  spem  scio  multis  bona  evenisse  deckte 
gerade  wie  Epit.  6()  leonem  ad  terra m  datum  (=  humi  prostra- 
tum)  mit  Plaut.  Capt.  797  ut  quemque  icero  ad  terram  dabo.  Der 
Pleonasmus  omnes  universi  ist  zwar  bei  Apuleius,  tiellius^ 
Amobius  (vgl.  Sittl,  lokale  Verschiedenh.  S.  97)  nachgewiesen, 
aber  in  letzter  Instanz  auf  Plautus  zurückzuführen,  Trin.  104G, 
und  daher  Epit.  11  als  plautiuische  Keminiscenz  zu  taxieren,  und 
so  wahrscheinlich  auch  multimodis  (Lorenz  zur  Mostell.  785), 
obschon  der  Ausdruck  auch  s<mst  vorkommt.  Das  in  der  Epit. 
viermal  (12.  45.  48.  (i9)  auftretende  reversionem  facere  ist 
auch  dem  Plautus  geläufig  Bacch.  29().  Truc.  39(1  und  berührt  sich 
mit  dem  weiter  unten  zu  besprechenden  impressionem  facere. 

Speziell  sallustianisch  ist  ohne  Zweifel  90:  par.s  superior 
inguinum  fine  puerilis  =  Sali.  hist.  3,  52  Maur.  line  inguinum 
ingrediuntur  mare\  welcher  sich  selbst  berührt  mit  Cato  r.  rust. 
113,  2  ansanim  infimarum  fini  und  B.  Afr.  85  per  mare  umbilici 
fine  im/ressi. 

In  der  Geschichte  der  Konstruktion  o  rat  um  mitter  e,  welche 
von  Plautus  bis  Dictys  vorkommt^  ist  ein  streitiger  Punkt,  ob 
man  mit  derselben  ein  Objekt  verbinden  könne.  Der  Oodex  Va- 
ticanus  überliefert  nämlich  Sali.  lug.  24,  2:  iion  mea  culpa  vos 
oratum  mitto,  was  sich  mit  l^haedr.  4,  19,  2 

canes  legatos  oüm  misere  ad  lovem 
meliora  vitae  tem[)ora  omtum  suae 
verteidigen  Heise,  obschon  das  sachliche  Objekt  mit  dem  persön- 
lichen nicht  identisch  ist.  Da  indessen  in  allen  Sallust- Hand- 
schriften steht:  ad  vos  oratimi  mitto,  so  erhalten  die  beiden 
Stellen  der  Epitome  einen  gewissen  Wert,  42  legatos  ad  Alexandrum 
niittit  oratum,  uti  ignosceret  ipsis,  43  ad  Alexandrum  legatos 
miserunt  oratum,  uti  ...  liceret. 

Epit.  20  virum  multis  precibus  orare  coepit  stimmt  zwar 
zunächst  mit  Livius  2,  2,  8  eadem  multis  precibus  orant;  da  wir 
aber  bei  Dictys  2,  G  lesen  multis  precibus  orat  und  multis  precibus 


I>ie  neue  Epitoma  Alexandri.  193 

Ulixen  deprectitur,  so  dürften  weitere  Vorbilder  in  den  Historien 
Sallusts  gestanden  haben,  was  nun  die  Fragmente  von  Orleans 
bestätigen,  bist.  3,  1>8  ('  multis  precibns  cum  oraret.  B.  Afr.  91,  3 
schreibt  nnr  diu  inultum(|ue  cum  precibus  orasset,  uti  .  .  .  ad- 
mitterent.    Vgl.  Landgrat!.  Acta  Erlang.  II  2><. 

Die  Konsequenzen  dieser  Interpretationsweise  hat  schon  Land- 
graf gezogen.  Man  wird  also  Epit.  77  stomachum  ac  (*aput 
Tehementer  ictus  est  nicht  aus  Livius  21,  7,  10  tulyersum  femur 
tragnla  graviter  ictus  cecidit  herleiten,  da  diese  Konstruktion  bei 
Livius  ttxal^  f  tp)//i.  ist  (vgl.  meine  Anmerkung  z.  St.),  sondern  viel- 
mehr ans  Dictys  2,  4()  ictus  femur,  4,  7  inguina  schliefsen,  ähn- 
licher Phrasen  habe  sich  schon  Sallust  in  den  Historien  bedient. 
Noch  naher  liegt  aber  B.  Afr.  7H  caput  ictus. 

Anderes  mag  unsicher  bleiben.  So  ist  die  Konstruktion  von 
intendere  mit  Infinitiv  besonders  beliebt  bei  Sallust  (lug.  92, 
H  capere,  107,  7  ire)  und  Tacitus,  und  noch  viel  häufiger  in 
unserer  Epitome  (3  ducere,  13  iter  facere,  27  iter  perseverare, 
HO  proclium  committere,  7;")  exercitum  ducere);  da  sie  aber  auch 
B.  Afr.  87,  S  in  regnum  ire  intendit  (sonst  konsequent  ire  contenditj 
herzustellen  sein  wird,  so  ist  es  bedenklich,  die  Vorliebe  auf  einen 
bestimmten  Autor  zurückzuführen. 

Von  den  Iteminiscenzen  aus  dem  Bellum  Africum  hat 
Landgraf  das  Beste  vonveggenommen;  doch  bleibt  uns  wenigstens 
Gelegenheit  ihn  zu  unterstützen.  Den  ungewöhnlichen  Ausdruck 
Bell.  Afr.  70,  o  Caesar  omnes  suos  ad  unum  in  castra  incolumes 
sauciis  decem  f actis  reduxit  habe  ich  bereits  in  meiner  An- 
merkimg  zu  der  Stelle  gewürdigt.  Dafs  in  der  näi*,hsteii  Zeile 
folgt  trec^ntis  amissis,  multis  rnlncratis  kann  nicht  beweisen,  dafs 
der  Autor  nur  um  abzuwechseln,  jedoch  imgem  ho  geschrieben 
habe,  vielmehr  hat  er  sich  an  Sisenna  frgm.  3()  Peter  angelehnt: 
ad  binum  milium  numero  sauciis  utrimque  factis.  Weim  wir  nun 
in  der  Epitome  finden  Ol:  saucii  multi  facti:  77:  saucius  fit 
femore  dextro,  so  können  wir  zwar  nicht  l)eweisen,  dal's  dies  aus 
dem  Bell.  Afr.  stamme;  aber  immerhin  liegt,  wenn  man  die  Wahl 
hat,  ein  Vorbild  ans  der  historisclien  Litteratur,  möglicherweise 
Cato  orig.  bei  Gellius  3,  7,  19  (cum  saucius  factus  esset),  näher 
als  Plautu.«;. 

Nicht  anders  steht  es  mit  S3  enni  missum  faciani,  S4  missos 
fieri  iussit  im  Zusammenhalte  mit  B.  Afr.  54,  n  vos  .  .  .  missos 
facio.    Sicher  ist  nur,  dafs  dieser  Ausdruck  im  Sinne  von  dimitto 


194  Ed.  Wölfflin: 

der  gaten  Prosa  iremd  ist^  weshalb  ihn  Caesar  yermeidet^  Cicera 
ihn  nur  in  den  Briefen  an  Atticus  anwendet,  wogegen  er  bei 
Terentius  und  im  B.  Hisp.  wiederkehrt. 

Schlagend  ist  das  69  und  70  auftretende  re  diyina  facta, 
welches  Landgraf  mit  B.  Afr.  86,  3  divina  re  facta  belegt,  schlagend, 
so  lange  man  nicht  nähere  Parallelen  in  der  Form  des  Ablativus 
absolutus  nachzuweisen  im  stände  ist.  Die  im  Kommentare  meiner 
Ausgabe  angeführten  Parallelen  liegen  mehr  abseits.  Auch  ist 
minutatim  cedere  als  Äquivalent  von  paulatim  wahrscheinlich 
aus  B.  Air.  78,  7  oder  31,  1  in  die  Epitome  übei^egangen  16: 
minutatim  aditum  scandentium.  TertuUian  de  anima  53  schreibt 
paulatim  ac  minutatim,  und  ähnlich  der  von  Schlee  herausgegebene 
Commentarius  antiquior  zu  Ter.  Phorm.  1,  1,  9  unciatim]  minu- 
tatim et  paulatim.    (rloss.  IV  365, «22  minutatim:  paulatim,  sensim. 

Epit.  17  cum  primo  mane  mittit  quendam  läfst  sich  am 
besten  mit  B.  Afr.  62,  5  vergleichen:  egressus  cum  primo  mane, 
wenn  auch  bei  Varro  1.  lat.  9,  73  die  nämliche  Verbindung  vor- 
kommt. —  Cum  copia  magna  (statt  Plural)  8,  Graiorum  copia 
9,  cum  reliqua  copia  35  berühren  sich  mit  B.  Afr.  10,  3  parva  cum 
copia.     Vergl.  meine  Anm. 

Epit.  86  vim  fluminis  citatim  supprimi  senserunt  hat  schon 
der  Herausgeber  Wagner  mit  B.  Afr.  80,  4  in  eum  locum  citatim 
ccmtendit  in  Verbindung  gebracht.  Nach  Archiv  VII  496  kennt 
man  keine  weiteren  Belege  aus  Autoren,  wohl  aber  aus  Glossen, 
womit  die  Seltenheit  nur  bestätigt  wird.  Vgl.  Thes.  gloss.  emend. 
I  217.  Wahrscheinlich  ist  auch  Corp.  gloss.  IV  421,  34  raptim 
rescitatim  hieher  zu  ziehen. 

Sogar  einen  syntaktischen  Zug  können  wir  beobachten, 
welcher  speziell  dem  Bellum  Afr.  und  unserer  Epitome  gemeinsam 
ist,  das  im  Relativsatze  durch  Tempusverschiebung  an  die  Stelle 
des  Imperfekts  tretende  P 1  u  s  q  u  a  ni  p  e  r f  e  k  t.  Vgl.  Blase,  Geschichte 
des  Plusquamperfekts  S.  45.  Begegnen  wir  diesem  Gebrauche  öfters 
bei  fuerat,  so  doch  nur  in  vereinzelten  Stellen  bei  habere,  und  es 
entsprechen  sich  also  geradezu  B.  Afr.  43  frumento,  cuius  in  ca- 
stris  copiam  habuerat  =  (^habebat)  und  Epit. 49  navibus,  quarum 
copiam  habuerat.  Ein  Analogon  aus  der  besten  Prosa  liefert  das 
B.  Gall.  2,  (),  4  qui  tunt  oppido  praefuerat  =  praeerat.  Die  Ent- 
stehung dieses  Fehlers  wird  man  sich  so  denken  müssen,  dals  die 
beiden  möglichen  Formen  praeerat  und  praefuit  in  die  neue  prae- 
fuerat zusammenflössen. 


Die  neue  Epitoma  Alexandri.  195 

Landgraf  macht  auch  aut  das  koordinierende  et  ita  und 
atque  ita  aufmerksam,  wofdr  man  eine  subordinierende  Kon- 
struktion erwartet.  Beides  findet  sich  sehr  oft  im  B.  Afr.  wie  in 
der  Epitome,  nicht  aber  ])ei  Sallust.  So  darf  man  wohl  sagen, 
dafs  in  Berücksichtigung  des  geringen  Umfanges  des  Bellum 
Africum  unser  Autor  aus  demselben  mehr  gezogen  hat  als  aus  den 
sieben  Büchern  Sallusts. 

Keinen  so  grofsen  Wert  dürfen  wir  yieUeicht  auf  Epit.  45 
impressione  facta  legen.  Wohl  finden  wir  den  Ablativ us  ab- 
solutus  nochmals  B.  Air.  78,  8  impressione  facta  in  fugam  adyer- 
sarios  dederunt,  und  78,  3  facere  impressionem;  allein  die  Phrase 
kann  doch  nicht  als  selten  bezeichnet  werden,  da  sie  aus  Yarro 
rust.  2,  4,  1,  Hirtius  Gall.  8,  6,  Livius  3,  62,  7.  40,  40,  2  und  Dares 
(achtmal,  aber  nicht  im  ablat.  absol.)  belegt  ist.  Die  Annahme 
der  direkten  Nachahmung  stützt  sich  also  wesentlich  auf  die  Form 
des  Ablatiyus  absolutus.  Im  Perfekt  indicat.  act.  begegnen  wir 
der  Phrase  Epit.  12  zweimal.  Zweifelhaft  ist  wegen  Unsicherheit 
der  Lesart  die  Berührung  von  Epit.  11  mentibus  destinatis 
(SO  Landgraf;  coiL  destinati)  non  pati  eos  in  terram  descensioneni 
facere  mit  B.  Afr.  88  mentem  in  fugam  destinatam. 

Übereinstimmend  finden  wir  noch  B.  Afj-,  und  die  Epitome 
in  dem  phraseologischen  Gebrauche  Yon  coepi  mit  folgendem 
Infinitiv,  wofür  man  sich  nicht  auf  Sallust  berufen  kann.  Indessen 
wollen  wir  dem  Leser  ersparen,  Kenntnis  von  den  einzehien  Stellen 
zu  nehmen,  weil  sich  ein  strikter  Beweis  der  Abhängigkeit  doch 
nicht  führen  läfst.  —  Zu  65  omnia  facturum  quae  imperasset 
vgl.  meine  Note  zu  B.  Afr.  6,  7. 

Diese  Zusammenstellungen  belehren  ims,  dafs  der  Anonymus, 
auch  wo  er  einer  griechischen  Vorlage  sich  anschliefst,  wie  gegen 
das  Ende  dem  Pseudokallisthenes,  doch  nicht  die  einzelnen  grie- 
chischen Worte  übersetzt,  sondern  seine  lateinischen  Phrasen  be- 
nützt, welche  er  auswendig  gelernt  oder  aus  der  Lektüre  im 
Kopfe  hatte. 

Zwar  sind  noch  zahlreiche  korrupte  Stellen  durch  Konjektur 
zu  heilen;  da  sie  aber  zum  grofsen  Teile  Eigennamen  betreifen, 
so  wird  von  dieser  Seite  kaum  neues  Licht  auf  den  sprachlichen 
Charakter  und  die  Entstehungszeit  dieser  Schrift  fallen.  Zur 
Orientierung  über  die  Sachlage  mögen  diese  Zeil(»n  genügen. 

In  Nr.  13  der  Berl.  philol.  Wochenschrift  1?)01  Sp.  410—414 
legt  Landgraf  eine  Vermutung   über   die  Vorlage   der  Epitome 


196  K<1.  Wölfflin:    Die  noue  Kpitoma  Alexandri. 

Alexaiidri  vor,  welche  jedenfalls  verdient  näher  geprüft  zu  wer- 
den. Sie  gründet  sich  zunächst  auf  die  enge  Verwandtachaft,  in 
welcher  die  Sprache  der  Epitome  zu  der  des  Sisenna,  des  Sallust 
und  des  Bellum  Afr.  steht.  Dafs  man  um  das  Jahr  400  die 
sallustianisch- archaische  Latinität  nachgeahmt  habe,  imterliegt 
keinem  Zweifel;  ob  damals  auch  das  Latein  des  Bell.  Afr.,  bleibt 
ungewifs,  so  lange  ein  zweites  Beispiel  fehlt.  Es  l>esteht  daher 
die  Möglichkeit,  dafs  die  Sallustianismen  und  Anklänge  an  Sisenna 
sowie  an  das  B.  Afr.  nicht  oder  nicht  allein  dem  Epitomator 
gehören,  scmdem  dem  älteren  epitomierten  Werke,  welches  wir 
uns  in  lateinischer  Sprache  geschrieben  denken  müssen.  Das 
Interesse  iiir  griechische  Uomane  und  Novellen  ist  schon  in  der 
Zeit  des  Sisenna  vorhanden  (fab.  Miles.);  nach  (^ic.  leg.  1,  7  hatte 
ja  Sisenna  den  romanhaften  Clitarch  mehr  gelesen  als  irgend 
einen  andern  Autor.  Landgraf  wäre  daher  geneigt,  das  Original 
dem  Kreise  des  Pollio-Timagenes  zuzuschreiben,  was  vom  Stand- 
punkte der  Stilistik  gut  passen  würde. 

Sachlich  ist  zu  bemerken,  dafs  unsere  Epitome  in  zwei 
Teile  zerfallt,  indem  §  1 — 87  «ich  an  ( ■litarch-Curtius  etc.  an- 
lehnt, der  Schluf«  von  dem  Tode  Alexanders  an  Pseudo-Calli- 
sthenes.  Da  aber  das  Werk  des  letzteren  nicht  vor  200  n.  Chr. 
geschrieben  ist,  so  konnte  ein  Zeitgenosse  des  Pollio  dasselbe 
nicht  benützen.  Allein  es  steht  auch  ni(*hts  der  Annahme  im 
Wege,  erst  der  Epitomator  habe  die  Kontamination  vorgenommen. 
Wer  dächte  nicht  an  die  Dramen  mit  abgeändertem  Schlüsse? 
Unbe<|uem  wird  diese  handgreifliche  Kontamination  nur  den  An- 
hängern der  Einquellenhypothese  sein.  Aber  die  alten  Historiker 
und  selbst  die  Epitomatoren  sind  nun  einmal  viel  selbständiger, 
als  man  glaubt;  denn  in  den  Periochae  findet  sich  manches,  was 
bei  Livius  fehlt,  und  ebenso  steht  es  mit  der  Epitoma  Flori,  der 
Ep.  de  (^aesaribus,  der  Ej).  lul.  Valerii,  wohl  auch  mit  der  Ep, 
Justins.  Sogar  die  Ej).  divinarum  institutionum,  welche  Lactanz 
seihst  schrieb,  enthält  Umstellungen,  Verbesserungen  und  Zusätze; 
und  das  Werk  Novatians  De  trinitate  nannte  Hieron.  v.  ill.  80 
(juasi  tTTiTo^yv  operis  Tertulliani,  womit  er  ihr  doch  eine  gewisse 
Selbständigkeit  zuerkannte.  Mit  der  obligaten  ^Abschreiberei* 
wird  man  doch  einmal  brechen  müssen. 

Münc  heil.  Ed.  WSlfflin. 


Grammatisch-lexikalische  Notizen. 

Necesse. 

Brugmann  bat  soeben  (Bericbte  der  säcbs.  Gesellsch.  d.  Wiss. 
19<X)  S.  400)  neresstis  in  seblagend  ricbtiger  Weise  erklärt.  Er 
geht  aus  von  der  Verbindung  necessus  est  und  zerlegt  dies  in  ne 
cessu^  est  d.  h.  Negation,  Abstraktuni  von  cederp  mittelst  des 
Suffixes  'tu-  gebildet,  und  Kopula.  Die  Abstrakta  auf  -tti-  drücken 
nicht  blofs  einfach  die  Handhmg  aus,  sondern  vielfach  auch  die 
Möglichkeit  derselben:  nuUus  (ulitiis  est  =  es  ist  keine  Möglich- 
keit heranzukommen  u.  ä.  Ne  cessus  est  heifst  also:  ^^es  ist  keine 
Möglichkeit  auszuweichen'^.*)  Das  ne  steht  hier  als  Hatznegation, 
der  gcwissermafsen  ein  Wort  bildenden  Verbindung  von  Substan- 
tiv und  enklitischer  Kopula  vorgeschoben;  genau  so  sagte  man 
ne  fas  est,  und  erst  infolge  falscher  Zerl^^uug  dieser  Gruppe 
durch  die  Sprechenden  konnte  sich  ein  (scheinbar  aus  ne  luid  fas 
direkt  komponiertes)  Substantiv  nef'ns  ergeben.**) 

Brugmann  sucht  im  iViischlufs  hieran  auch  die  Formen  ne- 
cessnm  und  fiecesse  zu  deuten,  wie  mir  scheinen  will  nicht  ganz 
so  glücklich.  Er  erklärt  cessuni  und  cesse  für  neutrale  Adjektiv- 
formen. Aber  ein  Adjektiv  cessis  wäre  doch  wohl  von  ganz  ab- 
normer Bildung.     Ein  gleiches  läfst  sich   zwar   von  cessxim  nicht 

*i  Herr  Kollej^e  Fränkel  weist  mich  freundlichst  auf  eine  merkwürdige 
Analogie  hin.  ,.Im  älteren  Schriftarabisch  und  auch  in  modernen  arabi- 
tjchen  Dialekten  wird  zur  Bezeichnung  einer  absoluten  Notwendigkeit  wohl 
mit  am  häufigsten  die  Konstruktion  Ui  fmdila  i  modern  Id  hudd)  d.  h.  'es 
ist  kein  Ausweichen'  verwendet."  Dazu  bemerkt  Herr  Kollege  ßrockelmann 
noch,  daJ's  ein  i marokkanischer»  Dialekt  jene  Konstruktion  weiter  zu  einem 
einheitlichen  n«'uen  Worte  umgeschaifen  hat  lahthl  'notwendig'  /'mit  d 
sonans). 

**)  Diese  zweifellose  Erklärung  hat  Delbrück  Grimdrifs  IV  f)jJ4  gegeben; 
ich  hatte  sie  ebenfalls  gefunden  und  auch  schon  im  Kolleg  vorgetragen. 
Ähnlich  wird  nun  wohl  auch  m/'wjo  =--  nv  hhvo  und  nihil(um)  =  ne  hifum 
zu  l>eurteilen  sein. 

Art-hiv  für  lat.   la'xikogr.    XII.     H.-ft  i.  14 


198  t\   SkutHch: 

sagen;  wie  im  (irriechischen^  so  hat  bekanntlich  noch  wiederholt 
im  Lateinischen  das  Particip  auf  -to-  die  Bedeutung  eines  Adjek- 
tivs der  Möglichkeit  (cessum  =  ausweichbar).*)  Aber  gewifs  ist 
sehr  unwahrscheinlich,  dafs  der  Lateiner  zu  den  drei  sich  inhalt- 
lich völlig  deckenden  Ausdrücken  necessiASy  necessum  und  necesse 
drei  ganz  verschiedene  Bildungstypen  gewählt  haben  sollte.  Mit 
zwei  verschiedenen  rechnet  meine  Erklärung  allerdings  auch,  aber 
doch  mit  solchen,  die  auch  sonst  im  Latein  in  ähnlichen  Doub- 
letten  neben  einander  liegen. 

Wenn  Brogmann  mit  seiner  Erklärung  von  necessus  recht 
hat  —  und  das  wird  man,  wie  gesagt,  nicht  bezweifeln  können  — , 
dann  ist  eigentlich  ein  grammatischer  Fehler,  was  wir  im  Senatus- 
consultum  de  Bacchanalibus  lesen:  quei  sihei  deicerent  necest^s  ese 
liacanal  habere'^  es  müfste  n&esiim  heifsen.  Thatsächlich  schreibt 
denn  auch  Plautus  Mil.  1118  dican  tixorew  tibi  tiecessuni  [esse] 
ducere.  Trotzdem  kann  unsere  fortgeschrittene  grammatische  An- 
schauung Lachmann  nicht  mehr  recht  geben,  der  ans  dem  Sena- 
tuskonsult  schlofs,  necessus  könne  kein  Nominativ  sein  (^zu  Lncrez 
VI  815);  solche  Erstarrungen,  solchen  Verlust  der  Flexion  kennen 
wir  ja  gerade  beim  Nominativ  Singularis  auf  -us  heute  mehrfach 
(rurstis,  mordims  etc.,  Bücheier  Archiv  I  105,  meine  Forschungen 
I  16;  zum  Teil  irrig  Delbrück  Grundrifs  III  627").  Nur  aber 
was  wird  jetzt  hindern  anzunehmen,  dafs  ebenso  gut  wie  der 
Nominativ  necesstis  in  necessus  est,  sit,  erat,  ebenso  gut  auch  der 
Akkusativ  necessum  in  iiecessum  esse,  fuisse,  fore  erstarren  konnte 
und  dafs  also  z.  B.  necessum  sit  Plaut.  Asin.  895  streng  gramma- 
tisch ebenso  falsch  ist  wie  necesus  e.se  des  Senatuskonsults? 

Für  die  dritte  Form  yiecesse  komme,  wie  gesagt,  auch  ich 
ohne  die  Annahme  anderer  Bildtmg  nicht  aus.  Aber  diese  An- 
nahme ist  darum  unbedenklich,  weil  auch  sonst  neben  Abstrakt- 
bildungen auf  'tu-  wie  unser  cessu-  solche  auf  -ti-  stehen,  wie  ich 
deren  eine  in  ca^sc  suche.  Z.  B.  neben  gratcs  St.  gräti-,  f'ors  St. 
farfi'  stehen  gratultus  fortultuSy  die  doch  auf  r/ratur  forfu-  (cf.  f'or- 
tüna)  zurückgehen  müssen;  neben  dös  St.  döti-  liegt,  mit  anderer 
Wurzelstufe  gebildet,  St.  datu-  Mas  Geben',  neben  dem  Substantiv 
stafu-s  das  ehemalige  Substantiv  *,stfiti'S  in  stathn,  neben  nocti- 
auch  }wctu-  Tcf.  Adverbium  noctü  u.  a.).    Es  ist  also  jedenfalls  gegen 


*)  Vorgl.  z.  H.    nil  pur  vi  ac  pensi  Lucil.  570  B.,   d.  i.  ov   iukqöp   ovdt 
/lia^wrov,  Bücheier  Rhein.  Mus.  43,  292. 


Grammatisch-lexikalische  Notizen.  199 

die  Ansetzung  eines  Abstraktums  cessis  ^das  Ausweichen';  St.  cesst- 
=  ced-ii',  neben  cessu-  nicht  das  Mindeste  einzuwenden  ^  ja  sie 
wird  direkt  erfordert  durch  das  Adverbium  cessim,  das  wie  alle 
älteren  Adverbien  solcher  Bildung  (partim  etc.)  der  erstarrte  Akku- 
sativ des  -^i-Abstraktums  ist.  Es  steht  also  auch  weiter  nichts 
im  Wege,  neben  n^cessus  est  oder  sit  ein  necessis  est  oder  sit  im 
ganz  gleichen  Sinne  für  alte  Zeit  anzusetzen.  Nun  hat  sich  be- 
kanntlich auslautendes  -26*  damals  vielfach  zu  -i  abgestumpft 
Für  die  durch  Leo  Plaut.  Forsch.  Kap.  5  über  jeden  Zweifel  er- 
hobene Thatsache  habe  ich  in  VollmöUers  Jahresber.  über  roman. 
Philol.  rV  81,  wo  ich  übrigens  auch  iure  peritus  und  consuUuSy 
wie  ich  glaube  sicher  richtig,  aus  iuris  p.  und  c,  hergeleitet  habe, 
die  spezielleren  Gesetze  aufzufinden  gesucht.  Besteht  zu  Recht, 
was  ich  dort  vermutet  habe,  dafs  die  Abstumpfung  lautgesetzlich 
nur  vor  folgendem  konsonantischen  Anlaut  eingetreten  ist  —  und 
einen  Einwand  weiDs  ich  weder  selbst,  noch  haben  andere  einen 
gemacht  — ,  dann  hat  also  zunächst  neben  einander  gestanden 
necessis  est,  esset  und  nccesse  sit,  foret,  fuit  etc.;  später  hat  sich 
das  necesse  aus  der  letzteren  Reihe  auch  auf  die  vordere,  vor 
▼okalischen  Anlaut  verpflanzt,  womit  man  die  andern  ähnlichen 
von  mir  a.  a.  0.  beigebrachten  Fälle  vergleichen  möge. 

Caepetum. 

Dies  Wort  wird,  wie  es  bei  Forcellini  steht,  so  auch  im 
Thesaurus  ein  Plätzchen  erhalten  müssen.  Die  neueren  Gellius- 
ausgaben  schreiben  XX  8,  7  apiul  Plutar^hum  in  qtiarto  in  Hesio- 
dum  rommentario  legi:  ^Caepe  tum,  revirescH  et  congenninat  decedente 
luna,  contra  autem  ifiarescit  adolescente,  Eam  causam  esse  dicunf 
sacerdotes  Äegyptiiy  cur  Pelusiotae  caepe  non  edint"  Tum  leitet 
wohl  den  Nachsatz  nach  einem  Vordersatz  mit  5?'  ein  (Madvig 
Emendat.  Livian.  *  S.  291),  nach  dem  Ablativus  absolutus  (oder 
gar  davor)  dürfte  es  aber  nicht  blofs  überflüssig,  sondern  geradezu 
falsch  sein.  Es  liegt  ein  Wort  vor,  gebildet  wie  ficetum  nucetum 
oüvetum  arundinetum  viminetum,  über  die  zuletzt  Niedermann 
Idg.  Forschgn.  X  256  ff.,  freilich,  wie  ich  meine,  nicht  ganz  zu- 
treffend, gesprochen  hat. 

luhatas. 

Hoffentlich  wird  für  das  Wort  im  Thesaurus  nicht  der 
eigentümliche  Beleg  Stat.  silv.  V  1,  H3  fehlen,   obwohl   von   allen 

14* 


200  F.  Skutach: 

neueren  Herausgebern  nur  Vollmer  das  Wort   im   Text  belassen 
und  dieser  es  falsch  erklärt  hat.     Der  Kaiser   hnposuit  Ahaacatüi 

molem  immensam  nmetis  et  vix  tradabile  patidus, 

Vollmer  erklärt  mit  Polizian  Mie  lockenumwallten  d.  h.  knaben- 
haften jugendlichen  Schultern'  und  vergleicht  12,2  Faean  umero 
conianti  facuiidum  »usfmuiit  ebiir.  Aber  was  sich  ftlr  den  Gott 
schickt,  ist  für  den  erwachsenen  Römer  selbstyerständlich  un- 
möglich. Inhatus  heifst  denn  auch  hier  gerade  das  Gegenteil  von 
pucrilis:  die  gemahnten  d.  h.  die  männlich  kräftigen.  Vergl.  Juyenal 
XIV  193 

viteni  posce  libelh, 
sed  Caput  iniadum  buxo  naresque  pilosas 
adnotet  et  ffrandes  miretur  Ladius  alas. 

Uns  mag  der  Ausdruck  ])ei  Statins  geschmacklos  vorkommen, 
aber  der  Dichter  gehört  zu  den  Kindern  seiner  Zeit,  die  oft  im- 
jjrobi  werden,  wo  sie  nur  aurfentes  sein  wollen,  um  mit  Plinius 
ep.  IX  2H  zu  reden. 

Ein  Plfttocitat? 

Apuleius  de  dogm.  Piaton.  II  15:  hunc  tcdeni  (ich  brauche 
das  Vorausgehende  nicht  auszuschreiben,  die  Stelle  ist  auch  so 
völlig  verständlich)  Plato  luaricupidineni  atque  (wcipitretn  pecuniae 
ntyfninavit.  So  die  Handschriften  übereinstimmend;  nur  tal^m  ist 
in  einzelnen  verschrieben  und  verstellt.  Aber  wo  steht  bei  Plato 
dergleichen?  \md  wie  ist  es  überhaupt  möglich,  dafs  ein  so 
sonderbares  Wort  wie  lutrlcupidhiem  aus  einem  Griechen  citiert 
wird?  Die  Herjiusgeber  haben  sich  diese  Fragen  schwerlich  vor- 
gelegt, sonst  würden  sie  wohl  auch  die  einfache  Lösung  gefunden 
haben.  Die  betr.  Worte  stehen  im  Plautus:  turpilucricupüium  Trin. 
100,  pecuniae  accipiter  Persa  409.  Das  kann  selbstverständlich 
nicht  etwa  ein  neckischer  Zufall  sein,  und  also  ist  zu  schreiben: 
Inmc  talem  Plautus  lucricujnduni  etc.  (was  wäre  auch  lucricupidi" 
tiem  für  eine  Personenbezeichnimg?).  Dafs  Plato  hier  eindrang, 
wo  ständig  von  ihm  die  R^de  ist,  kann  nicht  wunder  nehmen; 
lucricupidum  mufs  Apuleius  juis  dem  plautinischen  Wort  gekürzt 
liiiben,  wofern  man  nicht  etwa  das  turpi  erst  in  der  Überlieferung 
ausgefallen  sein  läfst.  Die  Plautusherausgeber  werden  künftig 
das  Testinumium  des  Apuleius  zu  beiden  Stellen  anzuführen 
haben. 


(Tramniatisch-loxikalische  Notizen.  201 

Accipetrina, 

Diese  bei  Plautus  Bacch.  274  einstimmig  überlieferte  Form 
anrlem  merkwünligerweise  die  Herausgeber  ebenso  einstimmig  in 
€iccipitrina.  Offenbar  verhält  sich  doch  nccipeirina  zu  aaipiter 
wie  genetrix  zu  genitoTy  wie  moletrUm  zu  molitor  u.  s.  w. ;  e.  sinkt  zu 
I  vor  einfachem  Konsonanten,  hält  sich  vor  doppeltem.  Und  wir 
gewinnen  hier  also  eine  Bestätigung  fQr  die  bekannte  schöne 
Etymologie,  die  im  zweiten  Teile  von  accipiter  pefer  Teder'  sieht 
(J.  Schmidt,  Pluralbildungen  der  Neutra  S.  174). 

Älienus  laniena  noch  einmal. 

In  Vollmöllers  Jahresbericht  V  S.  &)  habe  ich  gegen  Brug- 
mann  u.  A.  meine  früher  gegebene  Erklärung  von  alieiitts  lanienn 
aus  ali'lmui  lani-ina  verteidigt  und  damit  wenigstens  den  Erfolg 
erzielt,  daJ's  Brugmann  jetzt  zum  erstenmal  (in  den  Sitzungs- 
berichten der  sächs.  Gesellsch.  d.  Wiss.  190()  S.  40Sf.)  die  <lründe 
seines  Widerspruchs  darlegt.  Dabei  bekomme  ich  zu  hören,  dals 
ich  auch  heute  noch  nicht  wisse,  worauf  es  bei  jenen  Worten 
eigentlich  ankomme.  Und  ich  mufs  allerdings  ehrlich  bekennen: 
worauf  es  Brugmann  ankommt,  das  weii's  ich  jetzt  sogar  noch 
weniger  als  vorher.  Denn  Brugmann  giebt  jetzt  für  alienas  zwei 
Erklärungen,  die  mit  einander  unverträglich  sind.  Nämlich  S.  408 
Z.  2  V.  u.  wird  vermutet,  dafs  -eno-  in  jenen  Worten  =  idg.  -n^ino'*) 
sei.  Dagegen  wird  S.  409  Z.  8  v.  u.  ^die  vermutete  uritalische 
Form  alieinos  oder  alioinos^  coniecturaliter  aus  einem  Tiokativ- 
Genetiv  aliei  nlioi  -\-  Suffix  -no-  hergeleitet.  D.  h.  also  einmal 
giebt  Brugmann  -eno-  als  fertiges  idg.  Suffix,  das  andere  Mal 
läfst  er  es  erst  im  Uritalischen  durch  Ableitung  aus  dem  Lokativ 
sich  bilden.**) 

Indes  ich  will  diesen  Widerspruch  nicht  weiter  urgieren. 
Die    Frage    ist    dann    einfach:     -eno-   =   -a^iruh    oder  =  -ivo-^^ 

*)  Der  freundliehe  philologische  Leser  wolle  nicht  erschrecken:  n^  soll 
einfach  ausdrücken,  dafs  die  Farbe  des  Vokals  \a,  c,  ö)  dich  nicht  sicher 
angeben  läfst. 

*•)  Wenn  hier  mit  dem  Ausdruck  ^Kenner  der  weiteren  indogermani- 
schen Sprachgeschichte'  u  s.  w.  würden  gesehen  haben,  was  von  Brugmann 
gemeint  sei,  angedeutet  werden  soll,  dafs  ich  als  Philologe  natürlich  von 
solchen  Ableitungen  aus  Kasus  nichts  wisse,  ho  kann  ich  <lemgegenüber 
auf  meinen  Aufsatz  ^Zur  lat.  Wortzusammensetzung'  (Jahrb.  für  Philo). 
Supplem.  XXVn)  verweiseu,  der,  wie  Brugmann  nicht  unbekannt  sein  konnte, 
selbst  dergleichen  Bildungen  nachweist.         ..i 


202  F.  Skutflch: 

Prüfen  wir  zunächst  die  erstere  Antwort.  Binigniann  sagt  darüber: 
.«dafs  die  Form  -a'ino'  auf  ital.  und  speziell  römischem  Boden 
unvertreten  sei,  hat  weder  Skutsch  noch  sonst  jemand  bis  jetzt 
wahrscheinlich  gemacht.  In  terrenus  u.  dgl.  (?)*")  steckt  -a'ino- 
freilich  nicht,  wie  die  neuere  lautgeschichtliche  Forschung  er- 
geben hat/'**)  Dazu  vergleiche  man  nun  Brugmanns  Grundrüjs  II 
S.  150.  Dort  steht  wortwörtlich  zu  lesen:  ,fa'ino-  nur  im 
Arischen  und  Baltischen  mit  Sicherheit  nachweisbar^. 
Also  eine  nach  Brugmann  selbst  nur  in  einem  kleinen  Aus- 
schnitt der  idg.  Sprachen  vorhandene  Suffixform  soll  dem  Latei- 
nischen vindiciert  werden,  in  dem  bestenfalls  das  Suffix  den 
charakteristischen  Diphthong  durch  Lautwandel  verloren  haben, 
völlig  mit  andern  bekannten  Suffixformen  (-7m>-  und  allenfalls 
-eno-)  zusammengefallen  sein  müfste.  Was  bedarf  hier  des  Be- 
weises? dafs  das  Suffix  nicht  vorhanden  ist,  oder  daüs  es  vor- 
handen ist?  und  an  wem  ist  es  also  zu  beweisen?  an  Brugmann 
oder  an   mir?    Selbst  Stolz,   der  sich   doch  nicht  leicht  zu  einer 


*)  Ed  müssen  hier  wohl  die  Fälle  venenum  catetm  u.  s.  w.  gemeint  sein, 
in  denen  -es-  +  -wo-  steckt;  vgl.  meine  AusfOhrungen  Do  nomin.  snff.  -»m>- 
ope  formatis  S.  1  ff. 

**)  Hier  stimme  ich  völlig  bei,  kann  es  aber  doch  nicht  ganz  unnütz 
finden,  etwas  schon  einmal  Gesagtes  zu  wiederholen.  Stolz  schreibt  in  der 
„Histor.  Grammatik'^  1  48G,  er  halte  meine  Ansicht  über  cdienus  etc.  auch 
jetzt  nicht  für  berechtigt.  „Besonders  spricht  dagegen  das  sicher  alte  ter- 
renus^ das  offenbar  eine  gleich  geartete  Bildung  ist.^'  Ich  würde  glauben, 
dafs  Stolz  meine  eben  genannte  Schrift  nie  gelesen  habe,  wenn  er  sie  nicht 
auf  derselben  Seite  dreimal  citierte.  In  dieser  Schrift  ist  S.  17  nach- 
gewiesen, dafs  terrefiiis  zuerst  bei  Caesar  und  Cicero  belegt  ist.  Aber  nicht 
nur  das  ist  nachgewiesen  —  denn  das  könnte  ja  allenfalls,  so  unwahrschein- 
lich das  ist,  ein  Zufall  sein  — ,  sondern  weiter  ist  auch  dargethan,  dafs  die 
älteren  Schriftsteller  für  das,  was  seit  Caesar  und  Cicero  terrenus  heifst,  in 
genau  entsprechenden  Verbindungen  allemal  terrestris  oder  terreus  sagen. 
Wenn  also  eine  Thatsache  der  lateinischen  Sprachgeschichte  sicher  steht, 
dann  ist  es  die,  dai's  terrenus  eine  junge  Neubildung  ist.  Ich  habe 
gleichzeitig  a.  a.  0.  diese  Neubildung  erklärt,  aber  diese  Erklärung  ignoriert 
man  vollends,  obwohl  auch  für  sie  der  strikte  Beweis  von  mir  geliefert 
ist.  Terrenus  als  Schöpfung  der  caesarisch-ciceronischen  Zeit  kann  nur 
Analogiebildung  nacli  einem  bereits  vorhandenen  Adjektivum  auf  -enus  sein; 
unter  all  diesen  Adjektiven  ist  nur  eins,  das  seiner  Bedeutung  nach  sich 
dazu  eignet,  nämlich  aenus.  Verlangt  mau  noch  mehr  Beweis?  So  schlage 
mau  CIL  IX  516  und  597  auf;  vielleicht  gelingt  es  dem  T.  Ferrenus  und 
seiner  Freigelassenen  Ferrena^  mir  für  die  Zukunft  wenigstens  die  Ehre 
einer  Widerlegung  statt  blofser  Verschweigung  zu  sichern. 


Grammatisch-lexikalische  Notizen.  203 

4^bweichung  von  Bmgmaim  entschlielBt,  sagt  a.  a.  0.  von  cUi^nus 
laniena:  ^allerdings  yermag  ich  den  Ursprung  dieser  Adjektive 
auf  -enus^  über  die  auch  Brugmann  Grundrifs  U  151 
nichts  Sicheres  vorbringt,  nicht  zu  ergründen". 

Aber  Brugmann  legt  freilich  jetzt  Gewicht  auf  eine  spezielle 
Tibereinstimmung  zwischen  dem  Litauischen  und  dem  Lateinischen, 
die  vielleicht  manchem  sehr  frappant  scheinen  wird;  er  stellt  lat. 
agnina  pardnn  vitulina  (Lamm-,  Schweine-,  Kalbfleisch)  in  Pa- 
rallele mit  lit.  jxirszenä  meszkenä  ^Ferkel-,  Bärenfleisch',  und  lat. 
rapitui  caepina  'Rüben-,  Zwiebelfeld',  „denen  salina^  lapicidinac 
nioletrifia  nahe  genug  liegen",  in  Parallele  mit  lit.  ropena  rügend 
'Rüben-,  Roggenfeld'. 

Hier  begrüfse  ich  es  als  einen  ersten  Schritt  zur  Verständi- 
gung, dafs  endlich  auch  einmal  von  der  Gegenseite  klipp  und  klar 
ausgesprochen  wird,  dafs  das  -itui  von  laniena  und  das  -ina  von 
moletrina  sutrina  tonsirina  etc.  identisch  sein  müssen.  Im  übrigen 
aber  bedauere  ich,  da  lit.  t  nicht  auf  idg.  l  zurückgehen  kann, 
jene  anscheinend  so  frappante  Übereinstimmung  für  einen  baren 
Zufall  erklären  zu  müssen,  einen  Zufall,  dessen  Möglichkeit 
wohl  schwerlich  jemand  ableugnen  wird.  Ich  mufs  das  aber 
darum,  weil  ich  einfach  ganz  ruhig  den  mir  von  Brugmann  zu- 
geschobenen Beweis  antreten  kann,  „dafs  Suffix  n'ino  im  Italischen 
überhaupt  nicht  oder  wenigstens  nicht"  (ich  setze  dafür:  'und  schon 
gar  nicht')  „im  Kreise  derjenigen  Formationen  gesucht  werden  dart^ 
auf  die  es  hier  ankommt".     Hier  ist  der  Beweis. 

Brugmann  sagt  selbst,  z.  B.  in  divinus  stecke  allerdings  -aHno- 
nicht,  da  das  Oskische,  das  die  Diphthonge  wahrt,  eben  auch  nur 
deivinais  hat.  Wir  wollen  aber  doch  etwas  energischer  formu- 
lieren. Im  Osk.  liegt  eine  ganze  Zahl  von  Bildungen  vor,  die  im 
Lat.  auf  'Inus  schliefsen  würden  (Planta  O.-U.  Gramm.  II  34), 
und  nicht  eine  zeigt  eine  andere  Suftixform  als  -mö-.  Ich  lege 
ganz  besonderes  Gewicht  auf  die  durchaus  nicht  unbeträchtliche 
Reihe  von  Eigennamen  (man  wird  gleich  sehen,  weshalb):  Kens- 
surineis  lat.  Censarinus,  Aifineis,  Atiniis,  Kcckivigj  Tafidins, 
Veltineis,  fiQLvsLg.*)  Planta  macht  dazu  freilich  die  Bemerkung: 
„es  sind  unter  diesen  wohl  jedenfalls  auch  solche  mit  kurzem  t", 
aber  das  wird  erst  dann  glaublich  sein,  wenn  lateinische  Namen 
auf  Hnus  nachgewiesen   werden.     Ich   will   Plantas   sonstige  Bei- 

♦)  Aphinis?  cf.  ThcHaur.  lingu.  lat.  11  '2'iiK  09;  Planta  II  612. 


204  y    Skutsch: 

Spiele  (es  sind  noch  eine  ganz  leidliche  Zahl)  nicht  auch  aus- 
schreiben. Die  Thatsache  steht  ohnehin  fest:  von  jenem  bis  jetzt 
nur  für  das  Arische  und  Baltische  nachgewiesenen  Suffix  hat  das 
Oskisehe  trotz  zahlreicher  Bildungen  auf  -l;^//.s-  nicht  die  leiseste 
Spur. 

Wir  können  aber  noch  eine  ähnliche  Beobachtung  liir  das 
Latein  anfügen.  Noch  das  Senatusconsultum  de  Bacchanalibus 
scheidet  bekanntlich  streng  zwischen  altem  diphthongischen  ei 
und  dem  Monophthong  i .*)  Und  so  ist  nur  das  eine  bedauerlich, 
dafs  das  SC  selbst  keine  Form  auf  -UHt-  enthält.  Aber  die  zum 
Teil  noch  beträchtlich  älteren  Münzen  mit  lateinischer  Legende 
haben  Aisoitino  Aqulno  Caiathw  lAidinod;  auf  der  einen  Inschrift 
aus  dem  Pisaureser  Hain  ("IL  1  171  steht  Inno  I^urina,  Auf 
CIL  I  182  mit  Erinie  et  Erine  jx^trr  will  ich  aus  mehreren  Gründen 
kein  Gewicht  legen.  Dagegen  ist  <lurchaus  verwendbar  wieder 
CIL  IX  3S13;  hier  sind  die  Diphthonge  zwar  schon  bis  zu  e  ge- 
sunken, aber  noch  nicht  weiter  (vecus),  und  also  enthält  Auinus 
zweifellos  altes  ?. 

Damit  ist  -7nti.s  mit  indogerm.  l  nicht  nur  als  einzige  Form 
dargethan,  die  für  das  Altlatein  zu  erweisen  ist,  sondern  es  ist 
auch  gerade  ,,im  Kreise  derjenigen  Foniiationen,  auf  die  es  hier 
ankommt^',  nachgewiesen.  Denn  ich  habe  der  wichtigen  Rolle, 
die  die  Eigennamen  auf  -iemis  in  unserer  Frage  spielen,  zwar 
leider  nicht  mehr  an  der  Eingangs  angeführten  Stelle,  wohl  aber 
sch(m  zehn  Jahre  früher  an  der  Stelle  gedacht,  gegen  die  sich 
eigentlich  ein  ausführlicher  Widerlegungsversuch  meiner  Gegner 
hätte  richten  sollen,  in  der  Schrift  de  nomin.  suflF.  -no-  ope  for- 
matis  S.  13.  Ich  hoffe,  sie  entschliefsen  sich  jetzt,  einmal  das 
dort  beigebrachte  Material  anzusehen  (einiges  weitere  bei  Corlsen 
Ausspr.  IP  393 ).  Und  wenn  sie  sich  dann  doch  kaum  werden 
unterfangen  können  zu  leugnen,  dafs  Fttdienus  von  Fadiw^iy  Aientis 
von  Aitufj  AviUlenus  von  Avil! ins  kommt  und  so  fort  in  infinitum, 
und  bedenken,  dafs  wir  gerade  für  das  -inus  der  Eigennamen  un- 
bedingt ursprüngliches  einfaches  nicht  diphthongisches  langes  f 
nachgewiesen  haben,  dann  wird,  denke  ich,  die  Wagschale,  in  der 
die   litauischen  Formen  liegen,  federleicht  in  die  Höhe  schnellen 

*i  Ebenso  war  es  bei  Plautus  («>«,  aber  mendictisjt  wie  ja  bekannter- 
malsen  die  Scherze  Truc.  2G2flF.  Rud.  1305  f.  beweisen.  Von  den  beiden 
Stellen  abgesehen  ist  natürlich  der  alt«  Unterschied  in  unserer  Überlieferung 
nicht  mehr  zu  linden. 


GrammatiBch-lcxikalische  Notizen.  205 

lind  die  Annahme  einer  Dissimilation  von  1%  zu  ie  jedem  unum- 
gänglich erscheinen. 

Doch  nein!  so  leichten  Kaufs  komme  ich  nicht  weg.  Gerade 
gegen  die  Annahme  einer  solchen  Dissimilation  richtet  sich  ja 
Brugmanns  Eifer  ganz  besonders.  Ich  kann  nur  nicht  finden^ 
dafs  der  Eifer  durch  genügende  Gründe  gerechtfertigt  ist.  Brug- 
mann  sagt  einfach^  jene  Annahme  sei  nach  allem^  was  wir  heute 
über  Lautwandlungen  wissen,  höchst  unwahrscheinlich.  ,,\Vo  findet 
sich  derlei?  Im  idg.  Sprachgebiet  sehen  wir  ii  wie  li  durch 
Kontraktion  zu  l  werden,  wohl  auch  zu  ji  wie  li  zu  ji,  aber  weder 
ii  zu  ie  noch  ii  zu  ie"*)  Dieses  Beweisy erfahren  zeichnet  sich 
mehr  durch  Neuheit  als  durch  Stringenz  aus  und  wird,  glaube 
ich,  auch  bei  indogermau istischen  Kollegen  weder  Beifall  noch 
Nachahmung  finden.  Denn  wenn  ich  Brugmanns  Bedenken  wirk- 
lich recht  erfafst  habe,  so  versucht  er  hier  einen  Induktionsschlufs : 
dieser  Lautwandel  ist  sonst  für  das  indogermanische  Gebiet  nicht 
belegt,  folglich  ist  er  überhaupt  unmöglich.  Oder  mit  anderen 
Worten:  wer  künftig  ein  Lautgesetz  für  eine  Einzelsprache  nach- 
weist, wird  dasselbe  gleichzeitig  mindestens  für  noch  eine  andere 
Sprache  nachweisen  müssen.  Ich  finde  nur,  dafs  Brugmanns 
eigene  Praxis  —  und  mit  Recht  —  sich  um  jene  Theorie  bisher 
nicht  bekümmert  hat.  Es  wäre  lächerlich,  wenn  ich  erst  an 
einzelnen  Beispielen  darlegen  wollte,  an  wieviel  einzelsprachliche 
Lautwandlungen  Brugmann  selbst  glaubt,  die  sich  in  den  anderen 
indogermanischen  Sprachzweigen  nicht  wiederholen. 

Also  das  prinzipielle  Bedenken  Brugmanns  ist  kaum  enist 
zu  nehmen.  Damit  ist  aber  dami  die  Sache  zu  meinen  Gunsten 
erledigt.  Denn  Fadienus :  Fadius  mid  diese  ganze  Reihe  hat 
nun  in  ihrer  Beweiskraft  für  die  Dissimilation  n  ;  ie  nicht  ein- 
mal den  Schatten  eines  Arguments  gegen  sich;  dal's  im  Latei- 
nischen keine  Gegeninstanzen  existieren,  ist  schon  in  \'olhiK)llers 
Jahresbericht  a.  a.  ().  gezeigt  worden.  Und  so  könnte  ich  den 
Gegenstand  verlassen,  wenn  mir  nicht  noch  zwei  Bemerkungen 
über  Kontraktion  und  Dissimilation  von  /«,  die  zwar  auch  in  der 


*)  „Vielleicht",  fahrt  Brugmann  fort,  „zeigt  z.  B.  tibi  uns  von  tibia,  mit 
uridg.  'hiO'  gebildet,  das  zu  erwartende  Kontraktionsprodukt.**  Unglück- 
licher konnte  das  Beispiel  nicht  gewählt  werden,  denn,  wie  ich  schon  Berl. 
phil.  Wochenschr.  1895,  367  (vgl.  Stolz,  Hist.  Oramm.  I  624 1  bemerkt  ha!>e, 
(»xietiert  die«  Wort  gar  nicht. 


206  F.  SkutBch: 

Schrift  über  das  Suffix  -wo-  schon  gemacht^  aber  gleichfalls  unbe- 
achtet geblieben  sind,  hier  eine  Auffrischung  zu  verdienen  schienen. 

Erstens.  Giebt  es  wirklich  keine  Spuren  der  Dissimilation 
von  ti  zu  le  im  Latein?  Brugmann  u.  a.  können  nur  darum  ver- 
neinend antworten,  weil  sie  pietas  societas  u.  dgl.  direkt  aus  ^piot<is 
^sonoUis  entstanden  glauben,  in  denen  infolge  der  Nachbarschaft  des 
i  das  u  überhaupt  nicht  erst  (wie  in  bofiitas  caecitas  etc.)  bis  zum 
i  gesunken  sei.  Vielleicht  hätte  eine  chronologische  Bemerkung, 
die  ich  a.  0.  S.  14  Anra.  3  gemacht  habe,  etwas  mehr  Aufmerk- 
samkeit verdient,  als  dergleichen  von  den  meisten  Indogermanisten 
geschenkt,  zu  werden  pflegt.  Ich  habe  dort  nachgewiesen,  dafs 
von  allen  Abstrakten  auf  -ietüfi  nur  vier  im  Beginn  unserer  Über- 
lieferung vorhanden  sind:  pietas  satietas  hisatietas  (Tlaut.),  societas 
(Cato  Ennius).  Alles  andere  tritt  nicht  vor  der  ciceronischen 
Zeit  (ÄppietaSf  elmetas  und  sohrietas,  mcdietas  proprietas  varietus), 
das  meiste  erst  weit  später  auf.  Wer  da  behauptet,  dalis  das 
alles  Nachbildungen  nach  jenen  vier  ältesten  mit  ie  aus  io  sind, 
der  wird  sich  wohl  nicht  strikt  widerlegen  lassen.  Aber  ebenso 
wenig  der  andere,  der  so  sagt:  „Ich  zweifle  selbst  für  pietas  und 
die  drei  anderen,  ob  sie  so  alt  sind,  dafs  man  sie  noch  mit  un- 
geschwächtem -otas  gebildet  hat.  Aber  wenn  das  auch  der  Fall 
sein  sollte,  so  scheint  mir  von  jenen  vieren,  da  pietas  durch  seine 
Betonung»;  eine  Sonderstellung  einnimmt  und  satietas  wie  insatietas 
selten  sind,  höchstens  societas  ein  mögliches  Vorbild  für  Weiter- 
bildungen. Es  ist  mir  aber  viel  wahrscheinlicher,  dafs  die  cicero- 
nische  Zeit,  wenn  sie  aus  einem  Worte  auf  -ins  ein  Abstrakt 
bilden  wollte,  sich  nicht  erst  immer  erinnert  hat:  halt!  wir  haben 
ja  von  soüius  soriftas  gemacht,  nun  machen  wir  nur  fein  säuber- 
lich auch  von  propriiis  propHetas.  Sondern  ich  glaube,  dafs  die 
cic^ronisclie  Zeit  einfach  des  regulären  Abstraktsuffixes  -itas  sich 
bedienen  wollte  und  nur  regelmäfsig,  wo  dies  nun  wirklich  hinter 
ein  anderes  /  zu  stehen  kam,  beim  zweiten  der  aufeinanderstofsen- 
den  /  ausglitt  und  also  -ietas  sprach."  In  summa,  die  Wahr- 
scheinlichkeit, dafs  wir  hier  die  gesuchte  Dissimilationserächei- 
nung  vor   uns  ha])en,    bezifi'ert  sich  schlecht  gerechnet  auf  50 ^/q. 

Zweitens.  Ein  weiterer  Punkt,  den  Brugmann  einmal  kurz 
andeutend  berührt,  ich  schon  Suffix  -no-  S.  26 f.  ausführlich  be- 
handelt hatte,  betrifft  die  Adjektiva  wie  umbr.  Fisovino-  von 
Fisovio-,  lat.  Ijonuinnus  Latinus  von  Laniwimn  Latium  (viel  Bei- 
spiele a.  a.  ().).    Ich  habe  dort  schon  gesagt,  dafs  deren  Bildungs- 


(Trammatisch-lexikalische  Notizen.  207 

weise  sich  zu  der  der  Adjektiya  auf  -iemis  verhalt  wie  der  Stamm 
cUi'  {aliqtii^*)  alis)  zu  alio-  (alius),  wie  anxitudo  zu  anxietudo  u.  a.  der 
Art.  Aus  der  auf  /  schliefsenden  kürzeren  Stammform  Fisovi- 
Laii'  ist  Fisovinus  Lafinus  abgeleitet^  wie  tnarinus  piscitia  aus 
nuiri'  pisci'.  AUeniis  aber  ist  nicht  aus  dieser  kurzen  Stamm- 
form rt/t-,  sondern  der  volleren  alio-  geflossen;  niedico-  :  medieino-, 
Wterto-  :  libefUno-  =  alio-  :  aUhw-  d.  i.  alieno-. 

Meridie. 

Usener  hat  (Jahrb.  f.  Phil.  117,  79)  die  Entstehung  von  nieri- 
dies  ans  meridie  und  das  alleinige  Vorkommen  des  letzteren  bei 
Plautus  erwiesen:  ich  hoffe  die  letzten  Bedenken  gegen  seine  aus- 
gezeichneten Darlegungen  kürzlich  in  der  Festschrift  für  C.  F.  W. 
Müller  (Jahr)),  f.  Phil.  Suppl.  XXVII  95)  zerstreut  zu  haben.  Leider 
ist  mir  auch  da  noch  die  schlagende  Bestätigung  durch  die  Cato- 
Überlieferung  entgangen.  Bei  diesem  steht  agr.  31,  2  in  den 
mafsgebenden  Handschriften  eidmito  post  meridies  in  vento  ausiro 
d.  i.,  wie  ich  denke,  posf  meridie  sine  vento  ausiro.  Damach  ist 
40,  1  herzustellen,  wo  überliefert  ist  post  nheridietn  sine  vento  austro, 
sowie  1,  2  in  meridie  speciei.  Aufserdeni  hat  Cato  nur  noch  89 
meridie  hihere  dato. 

Emere  ^nehmen'. 

Als  ich  kürzlich  im  Philologus  59,  498  eme  als  plautinische 
Nebenform  der  Partikel  em  erwies  und  damit  für  Plautus  noch 
einen  Rest  der  alten  Bedeutung  'uehmen'  sicherte,  zog  ich  zum 
Vergleich  juristischen  Sprachgebrauch  an  —  nur  leider  einen  un- 
sicheren Fall  statt  des  sicheren.  Ob  nämlich  im  prätorischen 
Edikt  wirklich  emere  jenen  Sinn  noch  liat,  ist,  wie  ich  damals 
schon  hervorhob,  zweifelhaft.  Ganz  anders  liegt  die  Sache  in 
dem  andern  Fall,  dem  der  berühmten  pompejanischen  Wachstafel 
Bruns  fontes«  S.  292  =  CIL  IV  Suppl.  Nr.  CLV.  Dafs  wir  es  hier 
mit  keiner  Verkaufsurkunde  zu  thun  haben,  sondern  mit  einer 
fiducia,  hat  Gradenwitz  erkannt.  Eck  eingehend  bewiesen  (Litteratur- 
angaben  bei  Bruns).     Und  wenn  es  nun  hier  heifst:  ea  man<^ipia 

•)  Was  zuletzt  Sommer,  Die  Komparationssuftixe  im  Lat.  (Indog. 
Forsch.  XIj  S.  6  des  Sonderabdrucka  über  dies  Wort  bemerkt  hat,  scheint  mir 
korrekturbedürftig.  Ich  bemerke  hier  nur,  dafs  das  Verdikt  „aliquis  heifst 
nicht  anderswer"  unzutreiFend  ist.  Siehe  z.  H.  Sonnenschein  zu  Plaut.  Hud. 
13.-)  und  760. 


208  I*'.   SkutriCh: 

singidu  sestertis  nnm\tnis  sin]guh's  JHridia  Margaris  eniit  oh 
sest€[rtios  x,  so  weist  trotz  der  Form  des  Scheinkaufs  das  bei 
Verpfandungen,  nicht  aber  bei  entere  ^kaufen*  übliche  ob*)  sowie 
der  ganze  Zusammenhang  noch  deutlich  auf  den  alten  Gebrauch 
von  entere  hin.  Weitere  Zeugnisse  und  Belege  Itir  diesen  bei 
Mommsen,  Zeitschr.  d.  Savigny-Stiftung  Rom.  Abteilung  VI  26o. 
Eck  ebenda  IX  75. 

Die  Monatsnamen  Septemhri-  bis  Derembri-, 

Diese  vier  Monatsnamen  hal)en  eingestandenermafsen  noch 
keine  befriedigende  Erklärung  gefunden.  Ich  lege  hier  eine 
Deutung  vor,  die  sich  zwar  natürlich  nicht  beweisen  läfst,  aber 
ganz  einwandfrei  und  unter  den  möglichen  gewifs  die  weitaus  ein- 
fachste imd  natürlichste  ist.  Das  Suffix  -ris  bildet  Adjektiva  von 
Nominalstämmen  wie  fumbris  für  fufies-ris  von  fumis^  (Jenetiv 
*fimeS'is,  fenehris  für  fe^tes-ris  u.  a.  Es  steht  also  nichts  im  Wege, 
sich  als  Urform  jener  Namen  vorzustellen  aeptew^-is,  octo-riSy 
n^vem-ris,  decem-ris.  Drei  davon  mulsten  sich  lautgesetzlich  wan- 
deln; inlautend  mr  wird  ?;r,  und  so  entstanden  zunächst  septeJms, 
novebris,  deceln-is.  Von  hier  ward  -Ms  natürlich  auf  den  vierten 
der  Reihe  übertragen:  ociobris,  und  diese  Form  bewirkte  nun  ihrer- 
seits wieder,  dal's  die  drei  anderen,  was  sich  um  der  etymologischen 
Deutlichkeit  willen  empfahl,  sich  zu  ihrem  Cardinale  so  stellten, 
wie  ocfobris  zu  dem  seinigen  stand,  d.  h.  statt  des  anscheinend 
verstümmelten  sei>te  nove  dece  wieder  die  volle  Form  des  Zahl- 
worts einführten. 

May  n an  im  US. 

Die  Geschichte  dieses  Wortes  ist  an  sich  merkwürdig,  gleich- 
zeitig aber  auch  in  manchem  Stücke  typisch  für  eine  grofse  Reihe 
anderer  lateinischer  Nominalkomposita.     Die  Thatsachen,  die  es 
zu    erklären    gilt,    sind  folgende.      Magnanimus    tritt    zuerst    bei 
Plautus  auf  in  der  hoehpathetischen  Schlachtschildenmg  Amph.  212 
haev  id)i  Telobois  ordine  iferarunt  quos  ptwfecerat 
AmpftitruOf  magtianimi  viri  freti  rirtide  et  virUms 
süperbe  nrmis  f'erociter  fegatos  mtstros  Imrepaid. 
Der   erste,    der  nach  Plautus   das   Wort   wieder  braucht,   ist 
Cicero:  offi(».  I  65  f'ortes  igitur  et  magvanimi  sunt  Imhendi  ntm  (jui 

*)  Zu  den  von  Eck  a.  a.  0.  S.  73  {gebrachten  Beispielen  füge  u.  a.  noch 
hinzu  Plaut.  Truc.  144.  214. 


Grammatisch-lexikalische  Notizen.  209 

fiiciuntf  se(i  (jui  pyopuUmit  inhiriam,  in  derselben  Verbindung  auch 
63  viros  fortes  et  magnanhnos.  Dann  steht  es  bei  Vergil  als  Bei- 
wort von  Helden  (A.  VI  649  mugnummi  lieroes),  aber  auch  von 
Tieren  (III  704  mofffuinimum  equorum).  Von  Vergil  ist  es  zu 
Ovid,  von  ihm  oder  Cicero  zu  Gellius  gegangen. 

Dieser  Thatbestand  zwingt  ohne  weiteres  zu  der  Annahme^ 
dai's  wir  es  mit  einem  Kunstwort  zu  thun  haben.  Es  läTst  sich 
aber  auch  noch  mit  Sicherheit  sagen,  was  zu  der  Verfertigung 
und  eigentifmiichen  Verwendung  dieses  Homuuculus  den  Ansiois 
gab.  Am  klarsten  liegt  die  Sache  bei  Cicero.  Gewife  ist  es  doch 
kein  Zufall,  dafs,  wie  er  an  beiden  Stellen  fart4?s  und  magfianimi 
verbindet,  so  bei  Plato  uayak6q>Qow  und  avdQstog  verknüpft  er- 
scheint (rep.  r)()7B);  man  würde  das  selbst  dann  nicht  als  Zufall 
ansehen  können,  wenn  man  nicht  wüfste,  wie  Panaetius  zu  Plato 
hinneigte.*)  Mir  scheint  es  klar:  Cicero  versuchte  mit  nKUfv- 
animus  (leyako-fpQiov  seines  Originals  Glied  für  Glied  wiederzugeben. 
Es  läfst  sich  aber  sogar  noch  zeigen,  wie  er  an  diesem  Versuch 
allmählich  Geschmack  gewinnt.  Nämlich  wo  es  sich  an  der  citierten 
Stelle  der  ( )fficien  darum  handelt,  die  Eigenschaft  des  moffiianimtis  zu 
bezeichnen,  setzt  Cicero  dreimal  animi  niaymtiuh  oder  magnitudo 
animi:  mit  anderen  Worten,  er  traut  sich  noch  nicht  recht,  aus 
dem  fremdartigen  mcufnmihnus  ein  Substantiv  abzuleiten.  Erst 
S  152  erscheint  unter  den  vier  Kardinaltugenden  die  mugnanimitcui; 
der  lateinische  Ausdruck  für  iuyukoq)QOöx'}vrf  ist  geprägt,  und  mag 
Plato  in  diesem  Zusammenhang  auch  sonst  von  avögeia  sprechen, 
so  verbindet  er  doch  au<'h  ävdgsuc  xcd  ^eyako(pQo6vv>j  sympos. 
194  B. 

Man  kann  nun,  so  zweifellos  Cicero  hier  unter  dem  Druck 
von  fisyaXoipgiov  steht,  doch  andererseits  natürlich  nicht  annehmen, 
dafs  er  von  dem  alten,  in  der  Litteratur  bereits  vorhandenen 
7na(fiianimus  nichts  gewufst  haben  sollte.  Blofs  das  wird  sich  be- 
zweifeln lassen,  ob  gerade  Plautus  ihm  das  Wort  geliefert  hat, 
das  er  zur  Wiedergabe  von  iLtyako^pQiov  benötigte.  Hohe  Worte 
entlehnt  man  schwerli<*h  aus  einem  Komiker,  selbst  wenn  er  hier 
und  da  pathetische  Stellen  hat.  Ich  möchte  also  vielmehr  glauben, 
dafs  auch  andere  archaische  Dichter  von  nuiftnwiimns  Gebrauch 
gemacht  haben,  und  denke  bei  der  fiir  den  Hexameter  so  vor- 
trefflich   sich    schi(»kenden    Wortform    vorzugsweise    an    Ennius' 

*;  (»erade  au  unserer  Stelle  <§§  63 f.;  wird  Plato  zweimal  citiert. 


210  y^-  Skutsch: 

Annalen^  sodafs  also  magnanimus  zu  jeneu  finnianismen  bei  Cicero 
(wie  suauiloquens  u.  a.)  gehören  würde,  über  die  Seneca  im  22.  Buch 
der  Briefe  seinen  Spott  ergofs.  In  dieser  Vermutong  fQhle  ich 
mich  bestärkt  einmal  durch  die  Wiederverwendung  des  Wortes 
bei  Vergil,  der  es  wohl  sicher  aus  Cicero  nicht  hat,  sodauu  aber 
durch  eine  Überlegung  über  das  griechische  Muster,  das  dem 
Schöpfer  des  Wortes  maff^nanimus  vorgeschwebt  haben  muls.  Der 
Schöpfer  war  ein  Dichter,  und  also  war  sein  Muster  nicht  naya- 
^6q)Q(0Vy  das  durchaus  der  Prosa  angehört,  angehören  mufs  wegen 
seiner  prosodischen  Form.  So  sicher  vielmehr  wie  Cicero  (isya- 
k6q)QOv  hat  ihm  vorgeschwebt  fieyd^fio^y  das  alte  Wort  des 
Epos,  das  bei  Homer  nicht  nur  unzähligemal  als  Beiwort  von 
Helden  sich  wiederholt,  sondern  77  488  auch  vom  Stiere  steht  — 
wie  magnanimus  bei  Vergil  vom  Uosse. 

Ich  rekapituliere:  magfianimus  ist  von  einem  archais(*.hen 
Dichter  nach  ^eyäd'Vfiog  geschaffen  imd  späterhin  zweimal  wieder 
aufgegriffen.  Einmal  von  Cicero,  als  er  nach  einem  Äquivalent 
für  ii€yak6q)Q(ov  sucht,  dann  wieder  von  Vergil,  als  er,  wie  jener 
alte  Dichter,  das  epische  Beiwort  fieyä^vfiog  wiedergeben  will. 
Cicero  und  Vergil  haben  dann  dem  Wort  bei  den  weiteren  Schrift- 
stellern Kurs  verschafft. 

Die  -/o-Präsentia. 

Lat.  fugio  capio  fmlio  einer-,  farcio  fulcio  ferio  andererseits 
zeigen  auch  bei  näherer  Betrachtung  so  wenig  Bildungsverschie- 
denheit, dafs  ihr  Auseinandergehen  im  weiteren  Verlauf  des  Prä- 
sens {fuo^^  capis  fodis  fugimus  capimus  fbintis  gegenüber  farcis 
fulcls  feris  farclmus  fnhimus  f'erimus)  aufs  liöchste  befi-emden 
mufs.  Gewifs  stuft  das  präsensbildende  -io-  auch  in  andern  indo- 
germanischen Sprachen  sich  teils  mit  V  teils  mit  I  ab,  aber  jede 
Einzelsprache  repräsentiert  entweder  den  einen  oder  den  andern 
Typus,  keine  läfst  in  solch  anscheinend  völlig  willkürlicher  Weise 
wie  das  Latein  bald  e  bald  i  zu  (Brugmann  Grundrifs  II  1055ff.\ 

Nur  ein  Versuch  ist  gemacht  worden,  in  dieser  anscheinen- 
den Unordnung  eine  Regel  zu  erkemien.  Bemeker  (Indogerm. 
Forsch.  VIII  197  ff.)  und  mit  geringer  Modifikation  sich  ihm  an- 
schliefsend  Mcillet  (Bullet,  de  la  soc.  de  lingu.  X,  LXXVII)  haben 
zu  erkennen  geglaubt,  dafs  nach  kurzem  Stammvokal  >',  nach 
langem  (auch  positionslangem)  i  erscheine.  Sie  bringen  das  in 
Zusammenhang  mit  dem  bekannten  Sieversschen  Gesetz,  wonach 


Grammatiäch-lexikalische  Notizen.  211 

z.  B.  im  Germanischen  ,//  und  l  nach  kurzen  und  langen  Stamm- 
silben alternieren:  got.  Genetiv  JiarjiSj  aber  hairdeis]  3.  Sing,  nasjiß, 
aber  frc^wardeiß  (Brugmann  Grundrifs  P  253).  Ähnlich  schon 
Thumeysen,  über  Herkunft  und  Bildung  der  lat.  Verba  auf  -io-, 
Leipzig  1879,  S.  47.  Ich  kann  die  Beobachtung  nur  teilweise,  die 
Erklärung  gar  nicht  gutheifsen. 

Wie  Bemeker  selbst  zugiebt,  hat  seine  Regel  nicht  wenig 
Ausnahmen;  er  führt  nicht  nur  rufflre  müglre  sällre  särtre  ape- 
rlre  reperire  venire  ferlre  sepellre,  amtcire  an,  sondern  auch  das 
Schwanken  zwischen  tnorimur  und  fnorlmur,  oritur  und  adüritur, 
graditur  und  adgreditur  imd  weiterhin  ganz  beiläufig  noch  parire. 
Die  Mittel,  die  er  wie  Meillet  anwenden,  um  der  Ausnahmen 
Herr  zu  werden,  sind  so  vielartig,  dafs  sie  sich  schon  dadurch 
diskreditieren  und  kaum  noch  eine  Widerlegung  brauchen;  einer 
einheitlichen  Erklärung,  wenn  eine  solche  möglich  ist,  wilrde  ganz 
ohne  weiteres  der  Vorzug  zu  geben  sein. 

Zu  einer  solchen  Erklärung  verhilft  ims  nun,  wie  ich  dente, 
eine  schärfere  (ich  möchte  sagen:  mehr  philologische)  Betrachtung 
der  Ausnahmen.  Sie  hat  erstens  noch  manches  zuzufügen,  vor 
allem  fodlre^  sodann  eine  Anzahl  unten  zu  erwähnender  plautini- 
scher  Stellen.  Zweitens  kann  ihr  nicht  entgehen,  dafs  beim 
Schwanken  zwischen  -Ire  imd  ere  im  allgemeinen  das  erstere  das 
ältere  ist  (siehe  das  von  Neue -Wagener  Formenl.  IH^  242  ff. 
zusammengebrachte  Material).  Exfodlri  ynorlri  gradiri  (Langen, 
Beitr.  z.  Krit.  u.  Erklärung  des  Plautus  S.  82  ff.),  sind  plautinisch, 
parire  ennianisch.  Aber  nicht  nur  diese  Thatsache  gilt  es  zu 
erklären,  sondern  auch  die  andere,  auf  die  Bemeker  und  Meillet 
gar  nicht  zu  sprechen  kommen,  dafs,  so  gewöhnlich  Ausnahmen 
von  ihrer  Regel  bei  kurzem  Stammvokal  sind,  bei  langem  nicht 
eine  vorkommt:  *f'arcimus  ^f'ulcimus  etc.  sind  unerhört.  Wen» 
wirklich,  wie  Berneker  denkt,  fenmus  amiclmuSy  ferls  amicis  ein- 
fach Analogiebildungen  nach  farcimus  f'idclmus,  farcls  fulcis  wären, 
durch  die  Endungsgleichheit  der  1.  Sing,  und  3.  Plur.  veranlafst, 
dann  würde  es  geradezu  ans  Wunder  grenzen,  dafs  die  Analogie 
nicht  auch  gelegentlich,  umgekehrt  wirkend,  ein  farcimus  fulcimun 
zu  Wege  gebracht  hat. 

Wir  sprechen  jetzt  noch  einmal  ganz  scharf  aus,  was  es  zu 
erklären  gilt:  nach  langem  Stammvokal  erscheint  nur  i,  nach  kurzem 
entweder  i  oder  7.  Oder  allgemeiner:  nach  langer  Silbe  lange, 
nach  kurzer  kurze  oder  lange.     Und  sofort  drangt  sich  nun  eine 


212  *^.  Skutsch: 

schlagende  Parallele  auf.  ßeuau  dieselben  proBodischeu  Erschei- 
nungen zeigen  die  Verben  vom  Typus  calef'acere.  Was  einst 
liitschl  über  ihre  Messung  gefunden  zu  haben  glaubte  (üpusc.  II 
()li>),  ist  heute  Avohl  durch  meine  Gegenbemerkungen  (Satura 
Viadrina  S.  133 f.;  Philologus  59,  o03)  definitiv  erledigt  und  die 
Frage  dahin  entschieden,  dafs  urs])rünglich  cälefacio  stüpefacio  so 
gut  langes  c  hatten,  wie  die  Fälle,  wo  dem  e  eine  lange  Silbe 
vorausgeht  tähefa<-io  fervefaeio  etc.*)  Ich  habe  an  beiden  Stellen 
Reste  der  alten  Messung  stüpefacio  olefacio  ohsolefieri  nachgewiesen^ 
die  neben  den  üblichen  cälefacio  stüpefacio  etc.  stehen;  dagegen 
fehlt  es  völlig  an  einem  ^'fäbefacio  ^''fervefaeio  u.  dgl. 

Die  Erscheinungen  sind  hier  so  völlig  gleichartig^  wie  bei 
den  /V>-Präsentien  -  -  nach  langer  Silbe  nur  lange,  nach  kurzer 
kurze  oder  lange  --,  dafs  zweifellos  die  gleiche  Erklärung  für 
beide  Fälle  angewendet  werden  mufs.  CaUfaeio  u.  s.  w.  habe  ich 
mm,  ohne  irgendwelchen  Widersprucli  zu  finden,  a.  a.  0.  aus  dem 
Lautgesetz  erklärt,  das  mam  sich  nach  meinem  Vorgang  das  lam- 
benküjzungsgesetz  zu  nennen  gewöhnt  hat.  Demnach  steht  capts 
cnpit  einfach  für  *capüs  CAipit,  cupis  cupit  für  cup%s  ^cupU,  facis 
facti  für  facis  "^fa^rit,**)  Das  sieht  vielleicht  sehr  hypothetisch 
aus.  Aber  ich  konstruiere  diese  Formen  nicht  etwa,  sondern  sie 
stehen  noch  in  unserem  Plautus: 

Mem.  921   potionis  illiquid  priusquam  percipit  insania 

Cure.  3(>4  laüdo  ||  laudatö   quando  illud  quod  <*upis  effecero***) 

Amph.  555  facis  iit  tuis  nülla  apiid  te  fides  sit. 

Damit  ist  der  nötige  Beweis  wohl  geliefert,  und  es  bleibt 
nur  noch  übrig,  die  Folgenmg  zu  ziehen,  dafs  fc^cimas  facMs^ 
capimtis  capitis,  cufumtis  cupttis,  die  nicht  wohl  Wirkungen  des 
lambenkürzungsgesetzes     sein     können f^     für    -ImiiS    -Vis    ein- 

*)  Dii'Hor  ohnehin  zweifellose  Ansatz  hat  jetzt  seine  Erklärung  und 
zugleich  noch  eine  weitere  Stütze  -  die  featc»8t-e  —  erhalten  durch  Sto- 
wassers  und  meine  Entdeckung,  dafs  cälefacio  einfach  =  calens  facio  ist, 
Zeitschr   für  österr.  Gymnasien  19(H,  Märzheft. 

**;  So    hat  Plautus   auch   neben   der    für  ihn   noch   normalen  Messung 
rcnit  bereits  venit  Truc.  MU. 

*•*)  Sogar  C.  F.  W.  Müller,  der  solche  Sj)uren  alt^r  Messung  der 
schärfst^^n  Musterung  unterworfen  hat,  erteilt  dieser  Überlieferung  das  Prä- 
dikat „an  sich  gar  nicht  unw^ahrscheinlich"  (Prosodie  S.  52 >. 

t)  Für  die  Wirkung  des  lambenkürzungsgesetzes  ist  Unbetontheit  der 
Länge  Voraussetzung.  Diese  konnte  freilich  auch  in  *caplmns  cupimus 
''"'facmus    eintreten,   wenn   ein   enklitisches   Wort  folgte,   und  so  mufs  sich 


(irammatiscli-lexikalisrhe  Notizen.  213 

getreteii  sind,  indem  man  facts  facit,  ciqns  cupit,  capis  capit  durch- 
konjugierte  wie  legis  legit  legimus  legitis.  Es  mufste  zur  Er- 
reichung dieses  Zieles  mitwirken,  dafs  auch  die  Imperative  ^cüjn 
^capi  *fäct  über  '^rupi  '^rnpi  ^'fdci  zu  eupe  cape  f(U^  imd  also  den 
Imperativen  lege  dice  etc.  endungsgleich  geworden  waren.  Schliefs- 
lich  sind  natürlich  auch  die  Infinitive  (V})€re  facerv  etc.,  die  Im- 
perfekte eaperem  facereni  etc.  wie  leffere  legerem  behandelt  wor- 
den. Bei  den  Verben  venire  ferire  salire  mit  festem  /  hat  sich 
die  Ausgleichung  in  umgekehrter  Richtung  vollzogen;  venimus 
venitis,  ferimtis  ferlHsy  venire  venlrem  etc.  haben  venls  feris  etc. 
verhindert,  zu  venia  feris  zu  werden,  oder  wenigstens  ihren  schliels- 
lichen  definitiven  Sieg  über  die  letzteren  gesichert. 

Apprimus  und  Verwandtes. 

Dies  Adjektiv,  das  nur  bei  Livius  Andronicus  Od.  IIB.  als 
Übersetzang  von  Wb6q)iv  fitjöxiOQ  uTtckainog  (y  110)  erscheint, 
sieht  wie  eine  Zusammensetzung  aus  ad  und  prinms  aus,  gerade 
wie  man  adsimilis  (idprolnis  in  ad  -f-  similis  oder  prohas  zu  zerlegen 
geneigt  sein  wird,  namentlich  wenn  man  sich  erinnert,  dafs  auch 
im  Sanskrit  atl  zur  Verstärkung  von  Adjektiven  dient  {ati-düra 
'sehr  lang'  u.  dgl.,  Whitney  Ai.  Gramm.  §  12H!)ai.  Wer  genauer 
untersucht,  kann  an  der  Unrichtigkeit  dieser  Auffassung  nicht 
zweifeln.  Xeben  dem  nur  einmal  belegten  Adjektiv  ist  sehr  häufig 
und  ebenfalls  schon  sehr  früh  das  Adverb  apprinie  belegt  (dreimal 
bei  Plautus,  ebenso  oft  bei  Terenz;  siehe  die  Belege  im  Thesau- 
rus); adprnbc  findet  sich  früher  (Plaut.  Trin.  7o7)  als  sein  Adjek- 
tivum  (Caecil.  22Hi.  Ein  ganz  ähnliches  Verhältnis  scheint  ob- 
zuwalten zwischen  aff'alnr  (^seit  Ci(*ero)  und  äff  aber  [f'ahref'a^ftun 
Paul.  F.  28,  tvT^x^yj^  'Philox.'  i\  CA.  L.  II  HOO,  m,  andere  Glossen 
ebenda  VI  :;j)),  jii  neben  adaaiHr  (Plaut,  (/as.  i}Xih  Sr>7.  ('apt.  H2S. 
QS^\K  ('ist.  of).  Most.  ;Mh  gie})t  es  ein  Adjektivum  so  wenig  wie 
neben  dem  spätl.  npplrnc  (siehe  den  Thesaurus  s.  v.).  Was  end- 
lich adsiMills  angeht,  so  hat   Plautus  nur  folgende   Formen: 

x:#i/>i-  f:upi'  f'aci'  auch  in  Verbindungen  wie  capiiHtir  quidew,  cujtitür  quoqiu', 
fiicitis  tanien  u.  a.  «.»rgeben  haben,  wie  etwa  bei  Plautus  steht  uteri  dolorex 
mihi  oboriunUtr  atitidie  (Satura  N'iadrina  S.  1,'}*2)  oder  l)ei  Terenz,  in  anderer 
Weiue  vergleichbar,  trrebdmini  (ebd.  S.  131).  An  solche  Möglichkeit  wird 
man  nameutlich  für  die  Deponentien  nriri  mann  grndlri  zu  denken  haben. 
Doch  hat  auf  sie  gewifs  auch  die  Analogie  von  parior  ptirinntur,  foilior 
f'atliuniur  etc.  gewirkt,  die  ihr  kurzes  /  ijMH'itur  pdriinun^  wie  oben  gezeigt, 
vom  Aktiv  her  bezogen. 

Archiv  Cnr  lat.  Loxtkotrr.    Xll.    Hoft  2.  \v> 


214  ^'  Skutsch:   Grammatisch-lexikalische  Notizen. 

Merc.  957    quasi   tu  numquam   quic(|iiam   adsimüe    huins 

facti  feceris; 

Tmc.  563  nam  hoc  adsimüe  est  quasi  de  fluyio  qui  aquam 

derivat  sibi: 

Bacch.  951  ....  adsimiliter  mi  hodie  optigit.*) 
Die  Verhältnisse  sind  sich  in  allen  diesen  Fällen  so  ähnlich, 
dais  der  SchluTs  sicher  ist:  die  Adjektiva  sind  sämtlich  erst  durch 
Hypostase  aus  Verbindungen  der  Präposition  a<l  mit  Adrerbien 
resp.  dem  Akkusativ  simile  hervorgegangen  wie  sedulus  aas  se  (M/k 
u.  dgl.  (s.  Useners  S.  207  citierten  Aufsatz).  Es  bleibt  blofs  noch 
zu  fragen,  wie  diese  Verbindungen  zustande  gekommen  sind  und 
was  sie  bedeutet  haben.  Am  klarsten  scheint  mir  ad  simile  zu 
liegen;  man  hat  Fälle  zu  vergleichen  wie  Cic.  Lael.  18  orf  istorum 
normam  fuisse  sapientes,  insbesondere  aber  Caesar  b.  c.  III  48  id 
efficiebant  ad  similiiudinem  pani^.  Genau  so  ist  adsimiliter  zu 
erklären;  nur  hat  man  sich  zu  erinnern,  dafs  ad  wie  alle  Pra- 
positionen  auch  starre  Kasus  und  Adverbia  regieren  kann,  worüber 
ich  in  den  Jahrb.  f.  Philol.  Suppl.  XXVII  95  If.  ausführlich  ge- 
sprochen habe.**)  Die  Konstruktion  von  ad  ist  dieselbe,  die  Be- 
deutung eine  andere  in  adprime  adprohe  a^i fahre  adaeqiie-^  ad  kann 
hier  wohl  nur  die  Annäherung  bezeichnen  wie  in  dem  angeführten 
Beispiel  aus  bell.  Gall.  und  auch  sonst  bei  Mafs-  und  Zahlbestim- 
mungen. Adacque  ist  Mem  aeqife  sich  nähernd',  ^annähernd  gleich"; 
daraus  wird  es  sich  wobl  auch  erklären,  dafs  Plautus  das  Wort 
nur  in  negativen  Sätzen  hat  imd  erst  Apuleius  Metam.  X  2  sich 
erlaubt,  es  im  affirmativen  Satze  zu  mifsbrauchen.  In  adpritne 
ist  offenbar  ebenfalls  ursprünglich  die  Bedeutung  des  ad  nicht 
eine  eigentlich  verstärkende  gewesen;  'dem  prime  nahe  kommemr 
kann  aber  auch  schon  ein  Lob  sehr  erheblich  steigern.  Naevius 
schrieb  (com.  1)  Acontizomenos  fabulast  prime  proha,  aber  apprimr 
praba  hätte  ziemlich  genau  dasselbe  gesagt. 

*)  Cato  p.  85,  2J.  steht  freilich  forma  enim  eiim  ettt  .  .  .  adsimiliji  fV/i, 
aber  man  kann  nicht  blofH  zweifeln .  ob  das  echte  c-atonische  Form  ist, 
sondern  hat  sogar  gezweifelt,  ob  es  sich  überhaupt  um  eine  »Schrift  des 
alten  ('ato  handelt. 

**i  Es  wird  gerade  hier  von  Int<>resse  sein,  einen  dort  übergrangenen 
Fall  aus  Caesar  b.  <l.  II  33,  der  nicht  wesentlich  abweicht,  zu  vergleichen: 
occibus  ad  hominum  miHbus  quattuor. 

Breslau.  F.  Skntsch. 


Zur  Phraseologie  der  lateinischen  Grabinschriften. 

Prof.  James  Church  aus  Reno  (Nevada),  welcher  in  den 
letzten  drei  Semestern  den  Stoff  zn  einem  Buche  über  die  latei- 
nischen Grabinschriften  gesammelt  hat,  yeröffentlicht  soeben  die 
enrsten  6  Druckbogen  als  Münchener  Doktordissertation.  Gerade 
diese  drei  Kapitel  fallen  in  den  Studienkreis  des  Archives,  weil 
sie  eine  Geschichte  der  Situsformel  und  der  Quiescoformel  nebst 
eitaer  Untersuchung  über  die  Bezeichnimg  des  Begräbnisortes 
enthalten.  Die  poetischen  Grabinschriften,  vor  allen  die  Carmina 
epigraphica  von  Bücheier,  sind  so  vollständig  ausgebeutet,  dafs 
Verf.  glaubt,  keine  Stelle  übersehen  zu  haben;  die  prosaischen 
(Corpus  inscr.  und  die  Sammlung  von  Rossi)  so  weit  excerpiert, 
dafs  nichts  Wesentliches  fehlen  sollte.  Dieses  reiche  Material  hat 
es  dem  Verf.  beinahe  zur  Pflicht  gemacht,  statistische  Resultate 
zu  ziehen,  wie  sich  die  poetische  Sprache  von  der  prosaischen 
unterscheidet,  wie  die  Sprache  der  Christen  von  der  heidnischen, 
wie  häufig  oder  wie  selten,  wie  alt  oder  wie  jung  die  einzelnen 
Ausdrücke  sind,  wie  sie  sich  auf  die  verschiedenen  Länder  des 
römischen  Reiches,  und,  was  besonders  schwierig,  wie  sie  sich 
auf  Beerdigung  und  Verbrennung  verteilen  u.  s.  w.  Und  da  die 
amerikanische  Philologie  überhaupt  eine  Neigung  zu  dieser  Art 
von  Forschung  hat,  so  ist  auch  hier  geleistet,  was  sich  überhaupt 
leisten  läfst.  Unberührt  davon  bleibt  die  Frage,  welchen  Wert 
man  solchen  rechnerischen  Ergebnissen  beilegen,  und  wie  viel 
man  auf  Rechnung  des  Zufalles  setzen  wolle.  Dies,  worüber  sich 
der  Verf.  nicht  täuscht,  wird  immer  Geschmackssache  bleiben,  imd 
nach  dem  Spruche  *Sint  ut  sunt'  soll  auch  nichts  gestrichen 
werden.  Wir  dürfen  unter  allen  Umständen  dem  Verf.  unsere 
Anerkennimg  für  seine  Zahlen  nicht  versagen,  weil  sie  oft  ein 
unerwartetes  Licht  verbreiten,  in  anderen  Fällen  wenigstens  zum 
Nachdenken  anregen.  Ein  kurzes  Referat  über  die  gewonnenen 
Ergebnisse  dürfte  daher   unseren  Lesern  nicht  unerwünscht  sein; 


216  J-  E.  Church  jun.: 

der  Kefereut  hat  diesmal  nur  zu  bemerken ,  dafs  er  so  gut  wie 
nichts  hinzuzufügen  gefunden  hat^  und  dafs  also  die  Mitteilungen 
als  Eigentum  des  Verfassers  zu  betrachten  sind.  E.  W. 

1.  Die  Sitnsformel, 

bestehend  aus  der  Bezeichnung  des  Toten  im  Nominativ  und  dem 
Verb  um  situs  est  =  positus  est,  ist  ohne  Zweifel  der  älteste  Aus- 
druck der  bei  den  Uömem  üblichen  Grabinschriften  gewesen. 
Passend  wird  man  sie  mit  dem  griechischen  xstöd'ai  yergleichen. 
Der  Begriff  ^liegen'  ist  der  sich  von  selbst  darbietende,  weil  der 
Tote  in  der  P]rde  wie  auf  der  Bahre  gebettet  ist.  Erst  die 
Quiescofomiel  fügt  4azu  den  weiteren  Begriff  der  ^Ruhe'  nac*.h 
gethaner  Arbeit,  und  darum  muls  sie  die  jüngere  sein  und  be- 
zeichnet zugleich  den  H()hepunkt  des  antiken  Ausdruckes,  des 
lieidnischen  wie  des  christlichen.  Selten,  und  fast  nur  bei  den 
Christen,  begegnen  wir  dem  Ausdrucke  dormio,  so  alt  auch  bei 
den  ftriechen  die  Vergleichung  von  Tod  luid  Schlaf  ist.  Daneben 
giebt  es  indessen  nocli  eine  Reihe  sinnverwandter  Verba,  welche 
gelegentlich  Verwendung  gefunden  haben:  pono,  loco,  sepnlcro 
^tumulo'  condo,  mando;  iaceo,  cubo.  Nebeneinander  haben 
sich  die  Situs-  und  die  Qu iesco formein  bis  zum  siebenten  imd 
achten  Jahrhundert  nach  Christus  erhalten,  nur  hat  die  letztere 
mit  der  Erhebung  des  Christentums  zur  Staatsreligion  eine  starke 
Zunahme  erfahren.  Der  Unterschied  tritt  namentlich  in  den 
prosaischen  Grabschriften  hervor,  in  welchen  der  Gebrauch  von 
situs  fast  ausschliefslich  heidnisch,  der  von  quiesco  vorwiegend 
christlich  ist. 

Historische  Entwicklung.  Den  frühesten  Beleg  bietet 
uns  das  Epigramm  auf  den  im  Jahre  183  verstorbenen  Scipio 
Africanus: 

Hie  est  ille  situs,  cui  nemo  civi'  neque  hostis 
Quivit  pro  factis  reddere  opis  pretium. 
wozu  Cic.  leg.  2,  57:  vere;  nam  siti   dicuntur  ei  qni  conditi  (be- 
graben, nicht  verbrannt)  sunt.    Dann  erscheint  die  Formel  wieder 
in  der  satumischen  Grabschrift  auf  einen  jüngeren  Scipio: 

Is  hie  situs,  quei  numciuam  victus  est  virtutei. 
und  nochmals  bei  Lucilius  sat.  22,  2  M. 

Lucili  columella  hie  situ'  Metrophanes. 

Aul'serdem  liefern  die  bis  zum  Tode  Caesars  herabreichenden 
Inschriften  noch  22  Beispiele.     Die  Formel  findet  sich  nicht  nur 


Znr  Phraseologie  der  lateinischen  Grabinschriften.      217 

in  Rom  und  Formiae^  sondern  auch  in  Capua  und  Xeapel;  das 
Hilfsverb  kann,  wie  hei  Lucilius,  weghleihen.  Nach  Caesar  über- 
wog sie  in  den  Inschriften  wie  bei  den  Autoren;  beispielsweise 
fand  sie  sich  im  Mausoleum  des  Augustus.  Unter  etwa  ()S5()  Bei- 
spielen von  Situs  in  Prosainschriften  sind  nur  ungefähr  12  christ- 
lichen Ursprunges,  wogegen  unter  119  Beispielen  von  situs  in 
metrischen  Grabschriften  15  als  christlich  bezeichnet  werden.  Die 
Formel  ist  also  in  der  christlichen  Poesie  70 mal  häufiger  als  in 
der  Prosa. 

Geographische  Verbreitung,  Bin  Beweis  für  die  Volks- 
tümlichkeit der  Situsformel  ist  das  Vorkommen  derselben  in  den 
meisten  zum  römischen  Reiche  gehörigen  Provinzen  Euroj)as  und 
Afrikas.  Am  beliebtesten  scheint  sie  in  Hispanien  gewesen  zu 
sein,  da  sie  unter  2387  Beispielen  1171  mal  vorkommt.  Dann 
folgen  der  K^^ihe  nach  Afrika  mit  39  Procent;  Kleinasien,  Syrien 
und  Arabien  mit  ^oProc:  Nordost- Europa  mit  17  Proc;  Raetien 
mit  11  Yj  Proc;  Britannien  mit  9  Proc;  (rallia  Narb.  Lugd.  Aquit. 
mit  4  Proc;  das  aufserrömische  Italien  mit  Sardinien  mit  2  Proc: 
Rom  mit  ly^  Procent. 

Bedeutung  und  Gehrauch  im  allgemeinen.  Situs  im 
Sinne  von  positus,  mit  sächlichen  Begriffen  verbunden,  kommt 
noch  bei  Plautus  vor;  fortgepflanzt  hat  sich  der  Gebrauch  des 
I^articips  in  Verbindung  mit  Städtenamen  im  Sinne  von  ^gegründet, 
gelegen'.  Vgl.  Plautus  Aul.  615  aurum  in  tuo  fano  est  situm, 
woran  noch  die  Bedeutung  von  situs,  sitüs  =  Rost  anknüpft. 

Die  Composita  con  situs  und  in  situs  sind  sehr  selten,  teil- 
weise sogar  bestritten.  So  nahm  Bürheler  488  (Tibur)  eine  Kon- 
jektur Gruters  auf: 

hie  in  flore  cubat  longum  securus  in  aevom 
post  ter  vicenos  et  tres  bene  conditus  annos. 
obschon  der  Stein  S'onsitus'  giebt;    Bücheier  hat   denn   auch   in 
einer  Anmerkung    zu   973  V.  2   die  Konjektur  zurückgenommen 
und   schon  in   der  Note   zu  488,  5   Zweifel    geäufsert:    an    floris 
omatu  inductus  hoc  fconsitus)  scripter  uovavit  pro  ^situs'V 

Er  leitet  also  consitus  von  consero,  consevi  =  anpflanzen  ab 
und  bringt  es  damit  in  Verbindung,  dal's  Blumen  auf  dem  Grabe 
blühen.     Allein  den  richtigeren  Weg  zeigt  uns  N.  973,  2 

ossua  dum  cemis  consita  maesta  mihi, 
weil  die  Prosainschrift  des  Steines  lautet:  Lezbiae   ossa  hie  sita 
sunt.     Damach  ist  das  Compositum  blofs   metri   causa  im  Sinne 


218  J.  E.  Church  jun.: 

des  Simplex  gesetzt,  was  denn  auch  für  N.  488  gilt.  Diese  Ver- 
mutung, daCs  consitus  =  situs  beerdigt  zu  fassen  sei,  ist  durch 
die  Auffindung  des  Testamentum  Basileeuse  (Wilmanns,  Ezempla 
N.  315)  im  Jahre  1863  bestätigt  worden;  in  demselben  wird  der 
Tote  Zeile  26  bezeichnet  mit:  combustus  sepultusve  confossusTe 
{^=z  contbdiendo  terram  in  fossa  oder  fovea  locatus)  conditusTe 
<M>nsitu8Ye  bezeichnet,  wobei  die  Liebe  zur  Allitteration  die  Wahl 
iles  Ausdruckes  beeinfluTst  haben  mag.  Um  so  weniger  ist  es  zu 
begreifen,  daTs  Henzen  imd  Kellennann  consitusve  verwerfen 
konnten. 

Viel  auffallender  ist  Corp.  inscr.  VI  (Rom)  6421 

Ghryseros  ...  hie  insitus  est. 
Die  Beziehung  auf  den  Gärtner  wäre  hier  zwar  besonders  leicht, 
da  insero  =  einpfropfen  terminus  technicus  geworden  ist.  Allein 
wir  werden  auch  hier  die  Grundbedeutung  nou  situs  anerkennen 
und  in  der  Präposition  nur  einen  Hinweis  auf  den  Ort  der  Be- 
stattung finden,  im  Sinne  von  inlatus.  Corp.  VI  1579  (in  colum- 
bario)  hie  ego  sum  inlata.  XIV  3328  (Latium)  ossa  inlata.  Die 
Grabsehrift  auf  Chryseros  bezieht  sich  gleichfalls  auf  ein  Colum- 
barium. 

TJic  Sititsf'ormcl  in  ihrer  Beziehung/  zur  Vcrhrennumj. 
Die  Frage,  seit  wann  situs  auf  die  Beisetzimg  der  Asche  bezogen 
worden  sei,  ist  kontrovers  und  äufserst  schwierig.  Cicero  be- 
hauptet, dais  Ennius  richtig  situs  auf  das  Begräbnis  beziehe,  ob- 
wohl er  hinzufügt,  dal's  man  zu  seiner  Zeit  allgemein  angefangen 
habe,  humare  von  jeder  Art  der  Bestattung  zu  gebrauchen,  so- 
gar v<m  dem  Versenken  des  Köri)ers  in  das  Wasser.  Die  bekannte 
Stelle  de  legibus  2,56  lautet:  C.  Mari  sitas  reliquias  apud  Anienem 
dissipari  inssit  Sulla  victor  .  .  .  (juod  liaud  scio  an.  timens  ne  suo 
corpori  possit  accidere,  primus  e  patriciis  Conieliis  igni  voluit 
cremari.  Declarat  enim  Kimius  de  Africano:  hie  est  ille  situs. 
Vere;  uam  siti  dicuntur  ii,  qui  conditi  simt  ...  Et  quod  nunc 
communiter  in  omnibus  sepultis  usu  venit,  ut  humati  dicantur, 
id  erat  proj)rium  tum  in  iis,  quos  huums  iniecta  contexerat.  Soll 
die  Definition  nur  für  die  Enuiusstelle  gelten,  oder  auch  für  den 
Sprachgebrauch  der  Zeit  CicerosV  Man  sollte  doch  glauben,  dafs, 
wenn  humare  trotz  seiner  Ableitung  von  humus  auf  jede  Bei- 
setzung ü])ertragen  wurde,  dies  noch  viel  leichter  bei  situs  mög- 
licli  war,  welches  von  Haus  aus  keine  Beziehung  zur  Erde  hatte. 
Darum    iiukthten   wir    das  Präsens    dicuntur  nicht  interpretieren: 


Zur  Phraseologie  der  lateinischen  GrabinBchriften.      219 

heutzutage  gebrauchen  wir  situs  (ausschließlich)  von  der  Be- 
stattung, sondern  yielmehr:  situs  bedeutet,  etymologisch  genommen, 
so  Tiel  als  (positus  oder)  conditus.  Wollte  wirklich  Cicero  von 
dem  Sprachgebrauch  seiner  Zeit  sprechen,  dann  ist  seine  Definition 
ungenau,  da  sie  die  schon  durch  Pacuvius  bezeugte  Bedeutungs- 
entwicklung der  Situsfonnel  ignoriert.  Die  Grabschrift  des  Pacu- 
yius  lautet  bei  Gellius  1,  24,  4: 

Adulescens,  tametsi  properas,  hoc  te  saxulum*) 
rogat  ut  se  adspicias,  deinde  quod  scriptumst  legas. 
hie  sunt  poetae  Paeuvi  Marci  sita 
ossa.  hoc  Yolebam  nescius  ne  esses.  vale. 

In  diesen  Versen  ist  ein  bestimmter  Fortschritt  über  die  von 
Ennius  festgelegten  Grenzen  wahrnehmbar;  denn  nicht  nur  werden 
die  sterblichen  Überreste  des  Toten  als  Subjekt  gedacht,  im  Gegen- 
satze zur  Person,  sondern  der  Ausdruck  ossa  deutet  auch,  wie  wir 
später  nachzuweisen  versuchen  werden,  auf  eine  vorhergegangene 
Verbrennung  hin. 

Wenn  man  auch  die  Grabschrifiien  des  Naevius,  Ennius  und 
Plan  tu  8  als  unecht  erklärt  und  dem  Grammatiker  Varro  zugewiesen 
hat,  so  dürfen  doch  diese  Zweifel,  wie  Bücheier  im  Rhein.  Mus.  37, 
521  nachweist,  schwerlich  auf  Pacuvius  ausgedehnt  werden,  da 
dessen  Epitaphium  durch  eine  Steininschrift,  welche  sich  auf  den 
von  Lucüius  besungenen  Granius  bezieht  und  welche  wir  als 
Nachahmung  betrachten,  als  alt  imd  echt  sich  herausstellt,  äie 
steht  bei  Bücheier  Carm.  epigraph.  53  (Rom)  und  hat  folgenden 
Wortlaut: 

ALulus|  Granius  M.  1.  Stabilio  praeco. 

Rogat  ut  resistas,  hospes,  te  hie  tacitus  lapis, 

dum  ostendit,  quod  mandavit,  quoius  umbram  te|git]. 

pudentis  hominis  frugi  cum  magna  flde, 

praeconis  Auli  Grani  sunt  ossa  heic  sita. 

tantum  est.  hoc  voluit  nescius  ne  esses.   vale. 

Da  hier  der  Ausdruck  *  Nachbildung'  zu  schwach  ist  und 
geradezu  von  Entlehnuug  gesprochen  werden  niufs,  so  ist  es  wahr- 
scheinlicher, dafs,  wie  Pacuvius  älter  ist  als  Granius,  so  auch  die 
Grabschrift  auf  den  poeta  Original,  die  auf  den  praeco  Kopie  sei. 
Dazu   kommt,   dafs   rogat  ut,   ohne   dafs   man  von   dem  Subjekte 

*;  saxulum  X'erbesseniiig  von  IJücheler  statt  saxum,  nach  Carm.  epigr. 
lat.  84». 


220  J.  K.  Chiirch  juii.: 

oder  dem  angeredeten  liospes  etwas  weil's,  einen  abrupten  Anfang 
bildet,  während  es  an  der  S])itze  des  zweiten  Verses  genügend 
vorbereitet  ist  und  daher  auch  nicht  verletzt;  femer  ist  saxulum 
(der  unansehnliche  Stein)  signifikanter  als  das  triviale  lapis,  und 
endlich  enthalten  die  Worte  tametsi  properas,  welche  dem  Horaz 
od.  1,  28^  35  (quamquam  festinas,  uon  est  mora  longa:  lic^bit 
iniecto  ter  pulvere  curras)  vorgeschwebt  zu  haben  scheinen,  einen 
so  feinen  Gedanken,  dafs  wir  ihn  nur  dem  ()riginaldi<'hter,  nicht 
einem  Nachahmer  zusprechen  können.  Bei  der  engen  Beziehung 
beider  Gedichte  ist  aber  unbestreitbar,  dafs,  wenn  die  eine  Grab- 
inschrift sich  auf  Verbrennung  bezieht,  dies  notwendig  auch  von 
der  anderen  gelten  mufs,  da  die  betreffende  Phrase  (ossa  mit 
folgendem  Genetiv  hie  sita  sunt)  dieselbe  ist.  Wenn  Cicero  die 
beiden  Inschriften  nicht  kannte,  so  soll  ihm  dies  darum  nicht  zum 
Vorwurfe  gema(»ht  werden. 

Dafs  aber  Cicero  selbst  die  Übertragung  von  situs  auf  die 
Verbrennung*)  für  zulässig  hielt,  beweist  er  uns  in  einem  Frag- 
mente seiner  Schrift  de  gloria  (bei  Gellius  15,  6),  wo  er  die 
bekannten  homerischen  Verse  ( Ilias  7,  89  f)  folgendermafsen 
übersetzt: 

Hie  situs  est  vitae  iam  pridem  lumina  linquens, 
qui  quondam  Hectoreo  perculsus  concidit  ense: 
fabitur  haec  aliquis,  mea  semper  gloria  vivet. 

Denn  da  Homer  nur  an  den  Scheiterhaufen  imd  au  die  in 
<ler  Urne  aufzubewahrenden  Aschenreste  denkt,  und  Cicero  sich  un- 
möglich in  Gegensatz  zu  seinem  Vorbilde  stellen  kann,  so  kann 
bei  ihm  situs  nicht  mehr  eine  Beziehung  auf  die  Beerdigung 
haben.  Nachdem  aber  einmal  die  für  den  Anfang  des  Hexameters 
passende  Situsformel  gefunden  war  imd  sich  eingebürgert  hatte, 
war  es  einfacher,  sie  mit  übertragener  Bedeutung  beizubehalten, 
als  eine  neue  für  die  Verbrennung  zu  erfinden.  Die  Ansicht,  dafs 
situs  stationär  blieb  imd  in  der  ihm  von  Ennius  zugewiesenen 
KoUe  beharrte,  hat  daher  von  dem  Standpunkte  der  S])rachen- 
entwickelung  aus  nur  geringe  Wahrscheinlichkeit. 

Glücklicherweise  brauchen  wir  uns  dafür  nicht  blofs  auf  die 
zwei  poetischen  Grabinschriften  zu  berufen,  sondern  es  kommen 
uns   noch    7  prosaische  zu  Hilfe,    welche  in  die  Zeit  vor  Caesars 

*;  Über  die  Fiktion  des  ob  reBectuin  vgl.  Varro  ling.  lat.  5,  23.  Oic. 
leg.  2,  57. 


Zur  Phraseologie  der  lateiniHchen  Grabinschriften.      221 

Tod  fallen.     Corp.  inscr.  1  1202.   1204.   1205.   120(>.   1212.   1241. 
1243.     Sie  zeigen  alle  die  nämliche  Formel:   ossa  heic  sita  sunt. 

Nun  könnte  gegen  unsere  Erklärung  eingewendet  wenlen, 
ossa  brauche  nicht  auf  die  Feuerbestattung  bezogen  zu  werden, 
sondern  es  sei  eine  poetische  Bezeichnung  für  den  Körper.  Das 
gesamte  uns  vorliegende  Beweismaterial,  mit  Ausnahme  etwa  einer 
Stelle  bei  Vergil  und  einer  bei  Horaz,  weist  auf  das  Gegenteil 
hin.  Wahrscheinlich  leitet  der  Ausdruck  seinen  Ursprung  von 
dem  nach  der  Verbrennung  stattfindenden  Sammeln  der  Knochen 
her,  wobei  das  Wort  ossa  oder  ossa  et  cineres  die  natürlichste 
Bezeichnimg  für  die  Überreste  des  Toten  war.  Vgl.  (^^orp.  inscr.  VI 
4060:  hie  est  crematus:  ossa  relata  domi.  Die  Knochen  werden 
eingewickelt,  während  trineres  sich  auf  die  Überreste  der  Fleisch- 
teile bezieht.  Den  entsprechenden  Ausdruck  ocfraa  in  Verbindung 
mit  der  Aschenume  linden  wir  schon  bei  Homer  in  der  Schilde- 
rung der  Bestattung  des  Patroklos  und  Hektor,  llias  23.  70. 
2n(^{.  24,  782f 

Dafs  der  Ausdruck  ossa  auf  den  altrömischen  Grabumen 
nirgends  zu  finden  ist  (vgl.  Corp.  I  822—1005.  I  S.  28,  N.  74 
— 165),  bildet  keinen  Beweis  gegen  die  Richtigkeit  der  hier  ent 
wickelten  Ansicht,  da  diese  Urnen  aufser  dem  Namen  des  Ver- 
storbenen und  der  Angabe  des  Todestages  (wobei  indessen  das 
Jahr  nicht  erwähnt  wirdj  keinerlei  Formeln  enthalten.  Dagegen 
spricht  das  Zeugnis  der  Columbarien,  welche  der  Periode  nach 
Caesars  Tod  angehören,  also  einer  Zeit,  in  welelier  die  Grabschrift- 
formeln schon  sehr  ausgebildet  waren,  durchaus  zu  Gunsten  unserer 
Theorie.  Unter  etwa  3800  Inschriften  ( Corp.  VI  4r)03— 8040 ) 
kommt  das  Wort  ossa  öOmal,  und  in  Verbindung  mit  sita  58  mal 
vor,  während  das  persönliche  Subjekt  ölJmal  auftritt.  Diese  That- 
sache  macht  es  wahrscheinlich,  dafs  ein  beträchtlicher  Teil  der 
unbestimmbaren  Inschriften,  welche  nur  das  persönliclie  Subjekt 
zeigen,  sich  auf  Verbrennung  bezogen. 

In  den  Grabinschriften  der  Scipionen,  welche  l)ekanntlich  be- 
erdigt worden  sind  (^der  Diktator  Sulla  war  der  erste,  welcher 
sich  verbrennen  liefs),  kommt  ossa  nirgends  vor,  sondern  nur  das 
persönliche  Subjekt;  im  Gegensatze  dazu  finden  wir  in  den  Grab- 
schriften des  Mausoleums  ininciesteus  viermal  die  Formel  ossa 
illius,  und  drei  von  diesen  Fällen  beziehen  sich  sicher,  einer 
wahrscheinlich  auf  Verbrennung.  Dahin  gehört  die  Grabschrift 
auf  den  Kaiser    Tiberius,    welcher    nach   Sueton  Til).  75  Ccorims 


222  J.  E.  Church  jun.: 

Komani  per  milites  deportatum  ent  crematumque  publico  ftmere) 
verbrannt  worden  ist.  Sie  lautet:  Ossa  Ti.  Caesaris  Divi  Aug. 
F.  Augusti  pontificis  maximi  trib.  pot.  TTXXIIX  imp.  VIII  cos.  V. 
Aus  dem  Corp.  inscr.  reihen  sich  an  VI  886  ossa  Agrippinae  M. 
Agrippae  [f.],  womit  zu  verbinden  ist  Tac.  ann.  6,  25  und  Sueton 
Calig.  15;  ossa  Neronis  Caesaris  Germanici  Caesaris  f.  (vgl.  Suet. 
Tib.  54.  Cal.  15)  und  Corp.  VI  884  ossa  C.  Caesaris  Augusti  f. 
principis  iuventutis. 

Seine  erste  Anwendung  dürfte  der  Ausdruck  ossa  in  den  In- 
schriften gefimden  haben,  welche  man  an  den  zur  Aufnahme  der 
Asche  und  Knochen  bestimmten  Grabgewölben  anbrachte ,  so  in 
der  Inschrift  auf  Aulus  Granius  und  in  7  Inschriften  (vgl.  oben 
S.  220)  Campaniens,  welchen  man  dann  auch  wegen  der  Ähnlich- 
keit mit  der  Graniusinschrift  die  auf  Pacuvius  wird  hinzufügen 
dürieu. 

Ohne  hier  auf  die  Sepulkralaltertünier  näher  einzugehen,  er- 
wähnen wir  nur,  dafs  man  zweierlei  Arten  von  Gräbern  unter- 
scheidet, das  bustum  und  das  sepulcrum.  In  dem  bustum  (Brand- 
grab) wurde  der  Verstorbene  sowohl  verbrannt  als  bestattet. 
Aufschlufs  geben  uns  darüber  ("ic.  leg.  2,  57.  Fest  Paul.  s.  v. 
bustum.  (B.  dicitur  locus,  in  quo  mortuus  est  combustus  et 
sepultus)  Serv.  Aen.  11,  201.  Eine  anschauliche  Schilaerung  ver- 
danken wir  dem  Prop.  3,  5,  15  M. 

Deinde,  ul)i  suppositus  cinerem  me  feeerit  urdor, 

accipiat  Manes  parvola  testa  meos. 
Et  sit  in  exiguo  laurus  super  addita  busto, 

quae  tegat  extincti  funeris  umbra  locum. 
Et  duo  sint  versus,  'qui  nunc  iacet  horrida  pulvis, 

unius  hie  quondam  servus  amoris  erat'. 

Vgl.  auch  Verg.  Aen.  6,  226.    3,  63.  Luc.  Phars.  8,  392.  791  ö. 

Das  Sepulcrum  (die  Gruft)  fällt  räumlich  nicht  mit  dem 
Verbrennungsplatze  zusammen  und  dient  zur  Aufnahme  der  Aschen- 
reste (ossa  et  cineres).     Auf  dieses  bezieht  sich  Lygd.  3,  2,  17  ff. 

Pars  quae  sola  mei  superabit  corporis,  ossa 
incinctae  nigra  Candida  veste  legent 


atque  in  marmorea  ponere  sicca  domo. 

Die  Thatsache,  dafs  die  Urne  aus  Marmor  ist,  darf  wohl  als  Be- 
w«^is  gelten,  dafs  sie  nicht  in  der  Erde,  wie  die  testa  des  Properz, 


Zar  Phraseologie  der  lateinischen  Grabinschriften.      223 

sondern  in  einer  Grruft  aufbewahrt  werden  sollte.     Tibull  1,  3,  5 
änfsert  sich  folgendermafsen: 

Abstineas,  Mors  atra^  precor:  non  hie  mihi  mater, 

quae  legat  in  maestos  ossa  pemsta  sinus, 
Non  sbror,  Assyrios  cineri  quae  dedat  odores 
et  fleat  effusis  ante  sepulcra  comis. 
Keine  Anhaltspunkte  f&r  die  Bestattungsart  liefern  uns  Catull  101 
und  Ovid  am.  3,  9^  ()7.  metam.  4^  166.  trist.  3^  3,  66. 

In  der  von  uns  vertretenen  Ansicht  dürfte  auch  der  Schlüssel 
zur  Erklänmg  der  Gröfse  (oder  Kleinheit)  vieler  römischer  Grab- 
gewölbe liegen,  in  welchen  imerwartet  viele  Tote  Platz  finden 
müssen.  So  wird  (Wilmanns  N.  283)  ein  acht  Quadratfufs  mes- 
sendes Gral)  (pro  portionibus^  qua  quis  testamento  eins  scriptus 
est)  für  den  Eigentümer,  dessen  Erben  und  Freigelassene  männ- 
lichen wie  weiblichen  Geschlechtes  nebst  deren  Nachkommen 
reserviert;  es  handelte  sich  also  wohl  um  ein  Gewölbe  mit  Nischen 
zur  Einstellung  der  Urnen. 

Wahrscheinlich  ist  also  der  Aasdruck   ossa  auf  diese  beiden 
Arten  von  Gräbern  zurückzuführen;  es  entspricht  dann  unserem  'die 
Gebeine*.    Signifikante  Beispiele  liefert  Bücheier  1075  (Campanien ) : 
Sta  lapis  in  longum  et  luctu  defletu  parentuni 

ne  preme^  nam  teneri  corporis  ossa  tegis. 
ossa  parens  maculat  lacrumis  cinereiuq.  fatigtit 
fletibus  :  heu  Bebryx  sie  miserande  iaces. 
Buch.  1234  (Caesarea  Mauret.; 

Hie  lapis  ossa  tegit  miseri  collecta  Philonis. 
Ausnahmsweise  wird  freilich  ossa  auch  in  einem  anderen  Sinne 
gebraucht,  doch  lassen  sich  dafür  nur  zwei  Stellen  aus  Vergil  und 
Horaz  anführen,  welche  sich  beide  auf  den  ungew()hnlichen  Tod 
durch  Schiffbruch  beziehen.  Bekannt  ist  das  Beispiel  aus  der 
Archytasode  des  Horaz  1,  ^JH,  23 

At  tu,  nauta,  vagae  ne  j)arce  nialignus  harenae 

ossibus  et  capiti  inhumato 
particulam  dare  etc. 
Das  andere  steht  im  sechsten  Buche  der  Aeneide,  V.  379 ff.   Paliu- 
urus    ersucht    den   Aeneas    um    eine    Überfahrt    über    den   Stvx, 
worauf  die  Sibylle  folgende  iVntwort  giebt: 
Prodigiis  acti  caelestibus,  ossa  piabunt 

et  statuent  tumiüum  et  tumulo  sollemnia  niittent 
aeternumque  locus  Palinuri  iiomeu  habebit. 


224  J-  K«  Church  jun.: 

lu  diesem  Falle  ist  wohl  ossa  nichts  anderes  als  ein  dichterischer 
Ausdruck  für  den  zum  Skelett  abgemagerten  Körper:  namentlich 
pafst  dies  für  Horaz.  Yergil^  dessen  Anschauungen  sich  so  oft 
mit  Homer  berühren,  wird  eher  an  das  Verbrennen  des  Leichnams 
und  die  damit  verbundene  Errichtung  eines  (ifrabhügels  gedacht 
haben.  Dafs  in  der  christlichen  Zeit,  wo  die  Verbrennung  über- 
haupt zurückging,  ossa  den  der  Erde  übergebenen  Leichnam  be- 
zeichnen konnte,  ist  nach  den  Gesetzen  der  Bedeutungsentwicklnng 
an  sieh  anzunehmen,  und  in  diesem  Sinne  wird  man  die  ver- 
breitete Formel 

Te,  lapis,  obtestor,  leviter  super  ossa  quiescas. 
verstehen  dürfen. 

Um  also  zu  der  Cicerostelle  de  leg.  2,  57  zurückzukehren,  so 
müssen  wir  bekennen,  dafs  die  Einschränkung  der  Situsformel  auf 
die  Beerdigung   für   die  Zeit   des   Ennius  richtig  sein  wird   und 
auch   noch    für   die  Periode   Ciceros    dem  vorwiegenden   Sprach- 
gebrauche entsprach,  dafs  aber  schon  vor  Cicero  dieselbe  in  Ver- 
bindung mit  ossa  und  sogar  früher  als  humare  auf  die  Verbrennung 
übertragen   worden   war,   ein    Gebrauch,    welcher  in   dem  halben 
Jahrhundert  vor  Christi  (ieburt  zu  mächtiger  Entfaltung  gelaugte. 
Sogar  conditus,   welches  Cicero  als  gleichwertig  mit  situs  fafste, 
ist  auf  die  Verbrennung  übertragen  worden  nach  Plin.  nat.  bist.  7» 
1H7:    ipsum    cremare    apud    Romanos    non    fuit   veteris    instituti; 
terra    eondebantur  .  .  .  sepultus    vero    intellegitur    quoquo    modo 
ccmditus,  humatus  vero  humo  contectus.     So  schon  Lygd.  }\,  2,  0. 
Ergo  cum  tenuem  fuero  mutatus  in  umbram 
candidaque  ossa  super  nigra  favilla  teget, 
ante  meum  veniat  hmgos  ineompta  capillos 
et  ileat  ante  meum  maesta  Neaera  rogum  . .  . 
sie  ego  componi  versus  in  ossa  velim  .  .  . 
Lygdamus  hie  situs  est:  dolor  huic  et  cura  Neaerae 
coniugis  ereptae  causa  perire  fuit. 
Zahlreiche  Bestätigungen  ergeben  sich  auch  aus  den  Columbarien,. 
so  Bücheier  099  (Rom.  in  columbario  familiae  Statiliae) 
Hie  est  ille  situs,  qui  qualis  amicus  »amico 
(plaque  lide  fuerit,  mors  fuit  indicio. 
Der  Unterschied,   welchen   ("icero   aus   der  Formel  herausgefühlt 
hatte  als   dem  auf  die  Beerdigung  bezüglichen   Ausdrucke,    war 
also  damals  verwischt. 

Unter    den    verschiedenen    lateinischen    Formeln    von    Grab- 


Zur  Phri^8eologie  der  lateinischen  Grabinschriften.      225 

Schriften  ist  die  Situsformel  eine  der  kältesten  und  düstersten^  da 
sie  selten  einen  yersöhnenden  Zusatz  bei  sich  hat,  wie  dies  bei 
der  Qiiiescoformel  der  Fall  ist.  Von  den  zwei  Ausnahmen  ist  die 
eine:  bene  consitas  schon  oben  S.  217  besprochen;  die  andere, 
christliche,  stammt  aus  Latium  und  lautet  Corp.  XIV  1896 

hie  s[ita]  in  pace. 
Beide  in  ilieser  Verbindung  ungewöhnlichen  Ausdrücke,  bene  wie 
in  pace,  sind  als  Übertragungen  aus  der  Quiescoformel  aufzufassen. 

Betrachten  wir  die  Situsformel  von  dem  yrammaiischen 
StandpnnJcte^  so  sind  das  Subjekt  und  die  verbalen  Bestandteile 
auseinanderzuhalten. 

Das   Subjekt  ist   meistenteils   ein  persönliches,     unter  119 
poetischen  Beispielen  trifft  dies  fÖr  108  zu;  unter  756  prosaischen 
öölmal,  wogegen  203  das  Subjekt  ossu  bieten.   Selbstverständlich 
hat  die  Dichtersprache  mehr  synonyme  Ausdrücke  entw^ickelt,  wie 
corpus,  Corpora,   corpusculum  (hinfälliger  Leib),  membra,  funus, 
während  die  Prosa  sich  auf  corpus  und  reliquiae  beschränkt.     In 
der  Grabschrift  bei  Buch.  i:U6  (Rom?  a.  H93  post  Chr.) 
Hie  funus  crudele  situm  primaque  iubenta 
ereptus  iubenis  limina  mortis  adiit. 
ist  wohl  ein  Anklang  au  Verg.  Aen.  11,  53  zu  erkennen. 

infelix  nati  fimns  crudele  videbisl 

[Vgl.  Aen.  4,  30H  crudeli  funere  =  cruda  morte,  id  est  ante 
diem  nach  (.'orp.  gloss.  IV  43r),  21     Die  Red.| 

Die  Verbal  formen  sind  wenig  über  das  Perfekt  mit  Pnisens- 
bedeutuug  situs  est  hinausgeg*angen.  Ausnahmsweise  treffen  wir 
das  Plusquamperfekt  Konjunktiv,  den  Inün.  perf.;  einigemal  auch 
das  blofse  Parti(*ip  situs.  Aufserdem  kann  das  Hilfsverbum  esse 
ausgelassen  werden,  namentlich  im  Indikativ,  wofür  eine  Scipionen- 
inschrift  das  älteste  Beispiel  liefert: 

Is  hir  situs  quei  numquam  victus  est  vii*tutei. 
Noch  häutiger  ist  dies  in  der  Prosa  der  Fall,  und  durchaus  nicht 
etwa   blofs   in   llom    und   Umgebung.     An   der   Spitze   steht   hier 
Lucilius  sat.  22,  2  .M. 

Lucili  columella  hie  situ'  Metrophanes. 
Unter    260   solchen  Beispielen    ist    die    Ortsbestimmung    (hie) 
122  mal  weggelassen.     Wie  sehr  diese  Grrabschriften   zu  Formeln 
herabsanken,    beweisen    Abkürzungen    wie   0.  S.   (ossa    sita),    in 
Hispanien  Hie  S. 

Die  normale    War f Stillung  ist:    hie   situs   est.      Unter  den 


226  J.  K.  Church  jun.: 

Abweichimgeii  ragt  hervor:  hie  est  situn^  auch  iu  Prosa;  be- 
ziehungsweise: hie  sum  situS;  z.  B.  Büeh.  484^  15  (Pisaurum). 
Ennius  begann  den  Hexameter  bekanntlich  mit:  hie  est  ille  situs, 
und  mit  ihm  stimmen  manche  Inschriften  bei  Bücheler,  z.  B.  368 
(Rom).  1025  (Tibur).  Eine  weitere  Variation  bildet  Buch.  1170 
(Rom): 

EUc  iacet  ille  situs  Marcus^  formonsior  ullo. 
Oft  begegnet  abgekürzt  H.  E.  8.  =  hie  est   situs.     Auch   andere 
Umstellungen  kommen  vor^  wie:  situs  est  hie,  est  hi(*,  situs,  situs 
hie  est,  wozu  der  Leser  die  Belege,  falls  er  ihrer  bedarf,  bei  dem 
Verfasser  nachschlagen  möge. 

2.  Die  Quiescoformel. 

Das  älteste  Beispiel  des  Verbalgebrauehes  bietet  ein  Vers  bei 
Ennius,  in  welchem  Thyestes  den  Atreus  verwünscht  (Ml  MüU. 
=  Cic.  Tusc.  1,  107) 

neque  sepulerum  quod  recipiat  habeat,  portum  corporis, 
ubi  remissa  humana  vita  corpus  requiesrat  malis. 
Als  technischer  Ausdruck  begegnet  uns  das  Wort  1 V4  Jahrhunderte 
später  bei  den  augusteischen  Dichtem.    Vgl.  Verg.  bucol.  10  3--> 

o  mihi  tum  quam  molliter  ossa  quiescant. 
TibuU  2,  4,  49 

Et  ^bene'  discedens  dicet  'placideque  quiescas, 
Terraque  securae  sit  super  ossa  levis'. 
Ovid  amor.  3,  9,  67 

ossa  quieta,  precor,  tuta  requiescite  in  uma, 
Et  sit  humus  cineri  nononerosa  tuo! 
Dazu  kommen  noch  Ov.  met.  4,  166.  Martial  1,  98  1.  10,  61,  1. 
Hiermit  vergleiche  man  die  nachstehenden  Inschriften  auf  Stein 
und  den  Einflul's  Ovids. 
Buch.  Epigr.  479  (Afrika)  V.  9 

sit  t[ibij  t[erra]  levis  et  molliter  ossa  quiescant. 
ibid.  IHO  (Rom)  V.  3 

ut  ossa  eius  quae  hie  sita  sunt,  bene  (|uiescant. 
ibid.  1242  (Afrika)  1,  2 

Ossa  quieta  precor  Zopyri  requiescite  in  uma 

Et  sit  humus  cineri  non  onerosa  [levij. 

Auch   in  prosaischen  Inschriften  finden   wir  poetische   Anklänge, 

so  in  Corp.  inscr.  VI  7398  an  Buch.  N.  ISO.     Da  uns  das  seltene 

Compositum  adquiesco  schon  im   ersten  Jahrhundert  nach  Ohr. 


Zur  Phraseologie  der  lateinischen  G-rabinschriften.      227 

begegnet^  so  kann  man  daraus  nur  schliefsen^  dafs  quiesco  und 
requiesco  bedeutend  älter  sein  mufsten.  Vorchristliche  Belege 
haben  wir  im  Corp.  I,  1064  (Rom),  1489  (Narbo)  und  bei  Bücheier 
536  (Sardinien);  in  der  Litteratur  vor  Caesars  Tod  unseres  Wissens 
keinen.  Ja  da  Lucr.  3,  211.  939  nur  von  der  secura  quies  spricht, 
Cic.  Catil.  4,  7  in  einer  poetisch  gehobenen  Stelle  nur  von  dem 
Tode  als  laborum  quies,  so  dürfen  wir  darauf  die  Vermutung 
gründen,  dafs  die  Entstehung  der  Quiescoformel  etwa  in  das 
zweite  Viertel  des  ersten  Jahrhunderts  vor  Chr.  zu  setzen  sei. 
Wie  weit  dem  Ausdrucke  ein  griechischer  Tropus  entspricht,  ist 
nicht  genauer  untersucht;  doch  findet  man  im  Corp.  inscr.  gr. 
genau  entsprechende  Beispiele  von  avanavBö^ai:  1973  Macedonien; 
4623  Syrien;  824  Neapel.  Vgl.  auch  Ep.  Hebr.  4,  3  xataTtavtSig. 
Doch  sind  diese  Beispiele  wahrscheinlich  so  jung,  dafs  sie  eher 
als  Nachbildungen  des  Lateinischen  zu  betrachten  sind. 

Ob  aber  quiesco  oder  requiesco  die  PrioriiÄt  zu  bean- 
spruchen habe,  ist  schwer  zu  sagen.  Der  oben  citicrte  Vers  des 
Ennius  beweist  darum  nicht  viel,  weil  die  Allitteration  mit  re- 
cipere  und  remittere  die  Wahl  des  Compositums  bestimmt  haben 
wird.  Im  ganzen  kommt  quiesco  etwas  häufiger  vor  (288  mal), 
requiesco  weniger  häufig  (236 mal);  die  Blütezeit  von  beiden  fallt 
in  die  christliche  Periode,  die  von  requiesco  in  die  christliche.  In 
der  Poesie  spielt  die  Rücksicht  auf  das  Metrum  eine  Rolle,  z.  B. 
in  dem  Hexameterschlusse:  in  pace  quiescit  (quiescat).  Buch. 
r)84,  10.  689.  690.  724,  8.  732,  2.  737,  10.  765,  3.  1837,  7. 

Die  Substantiva  quies  und  requies  haben  keinen  festen  Be- 
standteil einer  Formel  gebildet:  beide  sind  in  den  lieidnischen 
Inschriften  nahezu  gleich  häufig  (15  :  14),  bei  den  Christen  über- 
wiegt requies  um  das  Doppelte. 

Adquiesco  und  conquiesco  gehören  schon  der  heidnischen 
Periode  an,  wahrscheinlich  dem  Ende  des  letzten  vorchristlichen 
Jahrhunderts;  sie  sind  jedoch  sehr  selten.  Adquiesco  tritt  blofs 
in  Jamben  auf  (Buch.  90.  94.  179.  1538),  da  es  für  das  daktylische 
Versmafs  unbrauchbar  ist.  In  Prosa  ist  es  wenig  über  Rom  und 
die  angrenzenden  Landschaften  (Corp.  VI  7398.  22735.  24227. 
25022.  25538  etc.  X  2,-]54)  hinausgekommen;  doch  haben  das 
cisalpinische  und  narbonensiscrhe  (xallien  noch  einige  Beispiele  er- 
halten, Corp.  V  7386.  7392.  XII  H45.  855«.  3325.  Aus  der  Litte- 
ratur können  wir  Nepos  Hann.  13  anführen  (perfunctus  laboribus 
acquievit)  und  Tac.  aim.  14,  64  (nondum  morte  adquiescebat),  wo 


228  J-  K.  Church  jun.: 

man  das  Yerbum  mit  ^entschlafen'  übersetzen  kann^  während 
Valerius  Maximus  2,  7,  15  (cineres  eins  adguiescunfi  das  Präsens 
durchaus  nach  dem  Stile  der  Inschriften  gebraucht. 

Conquiesco  kommt  nur  in  einer  einzigen  metrischen  und 
in  zwei  prosaischen  Inschriften  vor:  man  kann  es  mit  dem  oben 
besprochenen  consitun  =  situs  zusammenhalten.  Ganz  überflüssig 
ist  vielleicht  die  Präposition  freilich  auch  ni(*ht;  denn  das  Yerbum 
bedeutet  dann  ^S(*hlafen^^  während  quiesco  unter  Umständen  nur 
bedeutet:  ^ausgestreckt  liegen',  wie  wir  auch  'ruhen'  gebrauchen. 
Von  einem  Kinde  lesen  wir  (Buch.  98,  4  [Parma]): 

hie  conquiescit  cunis  terrae  moUibus. 
womit  man  vergleiche  Cic.  ün.  O;  55  videmus,  ut  conquiescere  ne 
infantes  quidem  possint. 

Zweifelhaft  ist  Corp.  II  3015  (Colouia  lulia   Hispan.) 

ooN^ .  viES  II  (  ;entes. 

Mommsen  glaubt,  dafs  es  vielleicht  heilsen  müsse:  coniuges  Cel- 
senses;  doch  werden  wir  besser  an  dem  Ptirticipe  festhalten  und 
uns  dafür  auf  Corp.  VI  (Rom)  25433  berufen: 

LOOVM  IN  QVO  CO[NQVIESrVNT|. 

Um  annährend  einige  zeitliche  Grenzen  zu  bestimmen,  müssen 
wir  die  Litteratur  beiziehen,  so  Cic.  Rose.  Am.  72,  wo  es  von  den 
Vatermördern  heifst:  ut  ne  ad  saxa  quidem  mortui  conquiescant. 
Liv.  21,  10,  3  non  manes,  non  stirpem  eins  conquiescere  viri 
(Hamilcar).  Doch  wird  das  Wort,  wie  es  scheint,  auch  von  der 
^siesta'  gebraucht  bei  (-aes.  Gall .  7,  46  in  tabemac^ulo  oppressus, 
ut  meridie  conquieverat.  Suet.  Aug.  78  ronquiescere  paulisper 
})Ost  cibum  meridianum. 

Die  geographische  Verbreitung,  Wie  die  Beispiele  der 
Quiescoformel  bis  zum  Ende  des  G.  Jahrhunderts  nur  ein  Fünftel 
<ler  Situsfomiel  ausmachen  (1373  :  61K)6),  so  ist  sie  auch  örtlich 
viel  mehr  beschränkt,  indem  aus  Ägypten  gar  kein  Beispiel  vor- 
liegt, aus  Kleinasien  ( (lalatien.  Corp.  III  276 )  ein  einziges.  Auch 
in  Nordosteuropa  ist  sie  selten,  dagegen  in  Afrika  nicht  weit 
hinter  der  Quiescofomiel  zurückstehend.  Am  beliebtesten  .scheint 
sie  in  Gallia  Narbon.  Lugdun.  und  Aquitanien  gewesen  zu  sein; 
darauf  folgen  Afrika,  dai's  aufserrömische  Italien,  Hispanien  u.  s.  w. 

Die  Bedeutung.  Dal's  schon  im  klassischen  Latein  zwischen 
quies  imd  requios  kein  Unterschied  bestand,  lehrt  eine  Vergleichung 
von  i'icero  mit  Sallust.  In  der  Senatsdebatte  über  die  Bestrafung 
der    Catiliuarier  sagte  Caesar    nach  <-ic.  Cat.  4,  7   mortem    (esse) 


Zur  Phraseologie  der  lateinischen  Grabinschriften.       229 

laborum  ac  miäeriarnni  quietem^  nach  Sali.  Cat.  51^  20  mortem 
aemmnarum  (dieses  Wort  entspricht  dem  Geschmacke  des  SaUast) 
requiem  esse.  So  wechseln  denn  auch  in  den  Inschriften  quiesco 
und  requiesco,  ohiu»  dais  sich  ein  durchgreifender  Unterschied  fest- 
stellen liefse.  Das  beweisen  auch  die  romanischen  Sprachen^  indem 
das  neufranzösische  remplir  nicht  mehr  bedeutet  als  das  lateinische 
implere^  recommander  nicht  mehr  als  commendare. 

Bezeichnet  quiesco  oder  requiesco  die  Ruhe  des  Körpers  im 
Grabe,  so  steht  es  meist  im  Präsens^  selten  im  Futurum;  tritt  es 
dagegen  in  der  Perfektform  auf,  so  bezeichnet  es  als  Inchoativum 
das  Anfangen  der  Ruhe,  das  ^Entschlafen'.  Im  Änsclilufs  daran 
steht  bei  Dichtem  quies  geradezu  für  den  Tod.  Prop.  2, 21^7  si  forte 
tibi  properarint  fata  quietem.   Sen.  Oed.  7^4.  Buch.  12H2,  1  (Rom): 

immatura  quies  quos  apstulit,  hie  siti  sunt  tres. 
Martial  10,  Ol,  1  Hie  festinata  requiescit  Erotion  umbra. 

Dir  Vcrhrrntninf/,  Schon  in  den  iUtesten  uns  bekannten 
Beispielen  kommt  quiesco  ebenso  mit  persönlichem  Subjekte  wie 
mit  dem  Subjekte  ossa  vor:  das  letztere  kann  nach  unserer  An- 
sicht nur  auf  Verbrennung  gedeutet  werden,  und  diese  Verbindung 
finden  wir  bei  Verg.  Aen.  0,  :'>27.  Tib,  2,  4,  41).  2,  f),  29.  Ov.  met.4, 
1H6.  Ibis  i\Ol.   Lukan  nimmt  als  Subjekt  cineres,  S,  <>9H 

Et  regum  cineres  extructo  monte  quiescant. 
^,  76^<       non  hac  in  sede  quiescent  |  tam  sacri  cineres. 
Dafs  aber  in  *ossa'  der  perscJnliche  Begriif  mit  enthalten  ist,  er- 
kennen  wir   namentlich   aus    der    Grabschrift   bei   Bücheier  1191 
(Arelate),  V.  9 

ossa  tuis  urnis  optamus  (hthr  quiescant. 
Beide  Substantive  sind  verbimden  bei  Buch.  884  (Rom.  in  umula 
marmorea) 

ossa  piia  cineresque  sacri  hie  ecce  quiescunt. 

J)as  (iefiihl  des  hcfrirdiyttv  Wunsches.  Von  den  metrischen 
Grabschriften  der  heidnischen  Zeit  läfat  sich  sagen,  dafs  etwa  ein 
Drittel  die   Ruhe  weder  als   etwas  Erwünschtes,  noch  als  etwas 
nicht  Erwünschtes   bezeichnet;    in    einigen  wenigen   spricht   sich 
sogar  eine  Unzufriedenheit  aus,  so  Buch.  I0o5,  9  (Beneventum) 
Nunc  ita  in  aeterna  requiesco  se[de  sepulta] 
et  üneni  fati  conqueror  ipsa  mei. 
Buch.  1170,  IH  (Ariminumi 

Fortuna  invisa  est,  spes  est  frustrata  parentes, 
mors  cuncta  eripuit,  dira  quies  hominum. 

ArcbiT  für  l»t.  Lexikogr.    XII.    Heft  2.  16 


230  J.  K.  Church  jun.: 

In  den  anderen  zwei  Dritteln  gelangt  das  OefÜhl  der  Befriedigung 
zum  Ausdrucke;  besonders  in  den  christlichen  Inschriften. 

Die  Untersuchung  der  prosaischen  Inschriften  führt  zu  fol- 
genden Ergebnissen.  In  den  heidnischen  wird  quiesco  in  bonam 
partem  gebraucht  oder  auch  durch  bene  naher  bestimmt^  z.  B.  in 
der  Wunschformel  Arcadi  ossa  bene  quiescant.  Dem  entspricht 
das  zu  quies  hinzutretende  Adjektiv  bonus^  z.  B.  Corp.  VIII  3200 
dis  Manibus  sacrum  et  bonae  quieti  Ameliae.  Selten  sind  andere 
Verbindungen,  wie  Corp.  III  ^76  TAncyra):  D.  M.  Repentina  hoc 
tumnlo  requiescit  ab  umanis  soUicitudinibus.  Der  christliche  Aus- 
druck für  die  selige  Buhe  ist  ^in  pace';  aber  auch  wo  dieser 
Zusatz  fehlt,  wird  das  einfache  Verbum  quiesco  in  diesem  präg- 
nanten Sinne  verstanden.  Erweiterungen  der  Formel  sind:  semper 
in  pace,  in  Christi  pace,  cum  bona  pace,  cum  pac«  perenni. 

Unserer  Formel  'ruhe  sanft'  entsprechen  folgende  Ausdrücke: 
securus  (Bücheier  375.  513.  ()(>2.  1121):  leviter  (1192A.  1470. 
1472);  placidus  (541.  (;84);  gratus  (492.  706);  molliter  (479i; 
dulce  (1191  V.  9.  1247  ;  [inlfloribus  (492.  1636  V.  26);  recubans 
(1106);  manibus  placidis  (559);  in  gloria  (!>19);  alma  (1407); 
mitissima  (1416  V.  7).  Von  diesen  sind  securus,  placidus  und 
gratus  sowohl  heidnisch  wie  christlieh.  In  floribus  ist  buchstäb- 
lich auf  die  Blumen  zu  beziehen,  mit  welchen  das  Grab  bepflanzt 
ist,  während  es  heutzutage  auch  bildlich  von  einem  genufsreichen 
Leben  gebraucht  wird.  Die  poetischen  (Trabinschriften  enthalten 
eine  viel  reichere  Phraseologie  als  die  prosaischen. 

Die  Teilr  der  Formel,  Das  Verbum.  Neben  quiesco 
kommt  noch  requiesco  in  Betracht,  selten  adquiesco  und 
conquiesco. 

In  der  Wunschformol  tritt  das  Verbum  meist  im  Konjunktiv 
auf,  zuweilen  aucli  im  Imperativ;  das  Subjekt  ist  dann  gewöhnlich 
ossa,  seltener  cineres  oder  membra,  oder  auch  ein  persönliches, 
und  als  Adver)>  gesellt  sich  dazu  bene,  welches  die  Dichter  vari- 
ieren, z.  B.  Ovid  Ib.  l\i)l  felicius  ossa  quiescant;  am.  3,  9,  67  ossa 
<(uieta,  preror,  tuta  re({uies(»ite  in  urna.  Buch.  492,  1  floribus  ut 
saltem  requiescant  membra  iucundis:  7)^2,  2  semper  in  pace 
quiescat;  737,  10  jam  vale  perpetuo  dulcis  et  in  pace  quiesce. 
Die  VVunschformel  ist  fast  so  alt  als  die  Affirmativformel,  da 
sie  schon  bei  Vergil,  TibuU  und  Ovid  vorkommt,  doch  ist  sie  im 
grofsen  (janzen  auf  die  heidnischen  Inschriften  beschränkt.  Die 
meisten  Beispiele  treffen  auf  Italien  und  Afrika,  imd  in  letzterem 


Zur  Phraseologie  der  lateinischen  Grabinschriften.      231 

Lande  ist  sie  so  einheimisch,  dafs  sie  häufiger  abgekürzt  wird 
als  in  Italien.  DaTs  die  Christen  die  Affirmativformel  vorzogen, 
ist  ein  Ausflufs  ihres  Glaubens;  sie  brauchten  nicht  zu  wünschen, 
weil  sie  eine  feste  Zuversicht  hatten.  Gleichwohl  gebrauchten  sie 
auch  den  Konjunktiv,  weil  sie  sich  durch  die  heidnischen  Vorbilder 
beeinflussen  liefseu.  Viel  später,  wahrscheinlich  erst  zwischen  dem 
achten  und  zwölften  Jahrhundert,  bürgerten  sieh  in  Spanien  und 
den  Rheinlanden  zwei  christliche  Formeln  ein:  requiescat  in  pace 
imd  tibi  sit  requies.  —  Adquiesco  empfahl  sich  für  das  jambische 
Metrum:  bene  adquiescas  etc.  —  Bene  requiescat  ist  im  Verse 
unmöglich  und  in  Prosa  selten;  daher  pflegt  der  AdverbialbegriflP 
eine  andere  Form  anzunehmen.  —  Quiesc/>  wird  auch  auf  den 
Stein  bezogen: 

Te,  lapis,  obtestor,  leviter  super  ossa  quiescas. 
Die  Variation  Buch.  1470 

Te,  terra,  optestor,  leviter  super  ossa  quiescas. 

ist   wahrscheinlich   aus   dem   Einflüsse  der  Formel  'sit   tibi   terra 

levis'  zu  erklären. 

Mit    der    Affirmationsformel    verbindet    sieh    gern     das 

Ortsadverb   hie.     Das  Verbum   steht  in  der  Regel   (78  mal   unter 

96  metrischen  Beispielen)  im  Indikativ  Präsens,  und  das  Subjekt 

ist  meistenteils  das  persönliche.    Ausnahme  ist  das  Futurum;  das 

Perfekt  requievit  bedeutet:  ist  entschlafen,  ist  zur  Ruhe  eingegangen. 

Vgl.  Verg.  Aen.  H,  328 

priusquam  sedibus  ossa  quierunt. 

Die  Infinitivform  steht  im  fünften  Fufse  des  Hexameters: 

faciant  me  quiescere  tecum. 

Hoc  locü  ergo  meos  elegi  quiescere  proles. 

Das  Particip  lautet  bald  requiens,  bald  requiescens. 

Das  Vorwiegen   des  persönlichen  Subjektes   gilt   ebenso   für 

die  metrischen  wie  für  die  prosaischen  Inschriften,  und  für  die 

heidnischen  Gedichte  mehr  als  für  die  christlichen.    Die  sächlichen 

Subjekte  sind   der  Häufigkeit  nach  geordnet:   ossa,   ossa  et  cinis, 

cinis   und  reliquiae,   honor;   in  den  christlichen  raembra,   corpus, 

ossa,   aetas   matura.      In    Prosaiuschriften   sind   ossa   und   corpus 

namentlich    heidnisch.      Mit   AUitteration    sind    verbunden    Buch. 

1354,  2  (Christi.) 

sedibus  en  propriis  mens  pura  et  membra  quieacunt. 

Das  Substantiv.    Hier  himdclt  es  sich  zunächst  um  quies 

und  requies.     In  heidnischen  Inschriften  ist  requies  sehr  selten. 

10* 


232  .T.  K.  Church  jun.: 

Quiea  ist  die  Ruhe  im  (jrab<;,  aber  auch  die  Rulie  im  Elysium 
oder  im  Paradiese,  ja  sogar  das  Grab  selbst;  von  Adjektiven  ver- 
binden sich  damit  bonus  (^entsprechend  bene  quiescere),  perpetuus^ 
perennis  und  aeternus.     Bei  Buch.  1170,  14 

mors  cuncta  eripuit,  dira  quies  hominum 
ist  es  wohl  synonym  mit  Tod,  und  schon  Lucr.  3,  211  verbindet 
leti  secura  quies.    Das  Neue  Testament  liefert  uns  den  griechischen 
Parallelausdnick  tiebr.  4,  3 

aiöeQxofisd'K  aig  ri^v  xara:idv(Siv  oi  ntötsvovtsg.. 
Die  S])ra('he  der  Dichter  hat  die  Zahl  der  Epitheta  erweitert 
durch:  placida,  grata,  alma,  alta,  mitissima.  —  Xur  die  prosaischen 
Inschriften  zeigen  uns  die  zwei  Neubildungen  requietio  und 
requietorium.  Corp.  inscr.  V  1014  locum  requietionis  corporis, 
und  Orelli  4533  requietorium. 

Das  Adjektiv.  Quietus  findet  sich  nur  auf  poetischen 
(irabschriften.     Buch.  149(;  (in  Sabinis).  1237  (Afrika) 

cum  moriar,  maneant  ossa  quieta  mihi, 
nach  dem  Vorbilde  von  Ovid  am.  3,  J),  (57 

ossa  quieta,  ])reeor,  tuta  requiescite  in  uma. 
Buch.  1418,  4  (Rom) 

in  tu]mulo  ])Osita  pace  quieta  iacet. 
Huebner,  inscr.  Hisp.  234  (tituli  recentiores). 

3.  Der  Ortsbezeichniing  dient  in  der  Regel  das  Adverb  hie, 
wie  in  den  moderen  Grabschriften  Miier'  oder  ci  =  ici;  besonders 
häufig  verbindet  sich  dieser  Ausdruck  mit  der  Situsformel:  nomi- 
nale Ortsbezeichnungen  im  Ablativ  oder  Lokativ  sind  viel  seltener, 
ünt^r  119  metrischen  Beis])ielen  erscheint  hie  104mal,  der  Kasus 
nur  13 mal.  unter  7i>0  prosaischen  Grabschriften  finden  wir  hie 
()24mal,  synonvme  Ausdrücke  47 mal.  sodafs  129  ohne  Ortsbe- 
zeichnimg  übrig  bleiben,  z.  II  die  Verbindung  ossa  sita.  In  der 
Quiescoformel  ist  die  Ortsbezeichnung  viel  wenigier  häufig;  wir 
treften  sie  unter  9G  metrischen  Beispielen  nur  30 mal,  den  Ablativ 
dagegen  24mal,  keines  von  beiden  an  42  Stellen. 

Der  Ablativ.  Die  Poesie  zeigt  mis  in  der  Situsformel 
namentlich  tumulus,  se]>ulcruni,  sedes;  auch  ager  (von  einem  be- 
grabenen Pferde),  olla,  vas.  Die  prosaischen  Inschriften  liefern 
zunächst  zu  agi'O  das  Analogon  in  hoc  prato;  dami  in  monumento, 
in  hoc  loco.  In  Verbindung  mit  quiesco  sind  gebräuchlich 
sepulcruni,   tumulus,   sedes,  uma,  locus;   seltener  solum,  humus, 


Zur  Phraseologie  der  lateinischen  Grabinschriften.      233 

moleSy  siuuS;  gremium^  cuuae;  spezifisch  christlich  sind  aula.  donius 
und  porticQS.  Die  Prosa  verfügt  nur  über  eine  mäfsige  Auswahl 
aus  diesem  Schutze,  während  sie  als  neu  hinzufügt:  in  hoc  lapide 
quiescit. 

Viele  Formeln  erscheinen  sowohl  im  blofsen  Ablativ  als  auch 
mit  der  Präposition  in,  seltener  sub;  die  erstere  Konstruktion 
trifft  etwa  zwei  Drittel  sämtlicher  Fälle.  Die  Erkläi-ung  wird 
man  für  die  meisten  Beispiele  aus  dem  Versbedürfiiisse  herleiten 
müssen,  nach  dem  Vorgange  von  Köne:  nur  liaben  wir  in  der 
Gräberpoesie  nicht  blofs  mit  dem  Hexameter,  sondern  auch  mit 
Jamben  und  Trochäen  zu  rechnen.  In  tumulo  fügt  sich  leicht 
in  die  Daktylen,  nicht  aber  in  sepulcro,  sondern  nur  clor  Ablativ 
sepulcro.     Man  vgl.  Bücheier  iM)9  (^Dalmatieu): 

Non  clausa  in  tumulo  requiescunt  ossa  sepulcro. 
Die  Lage  ändert  sich  jedoch  durch  das  Hinzutreten  eines  Prono- 
mens, wie  Buch.  1399 

Hoc  situs  est  tumulo  castus  de  semine  casto. 
und  nochmals,  wenn  das  Pronomen  nicht  auf  das  Substantiv  l)e- 
zogen  ist,  sondern  Adverbial  form  annimmt  Bücheier  64f)  (Sardinien): 

Hie  situs  in  tumulo  genitus  nomeuque  Valerius. 
So  bildeten   sich   gewisse  Formeln  aus,   wie  hoc  iacet  in  tumulo, 
oder   hie   iacet  in   tumulo;   oder  Buch.  \2(}C)  heu   tumulo  Donata 
iaces,  verglichen  mit  Buch.  499  hoc  tumulo  Pontiane  iaces.    Buch. 
1318  (Ostia) 

Hoc  ego  SU  in  tumulo  Primus  notissimus  ille. 
wird    vermutet,    statt  su   in    sei  zu   lesen  ^sum',   und   zur  Unter- 
stützung verwiesen  auf  Buch.  103G,  3 
Hoc  tumulo  mmc  sum  etc. 
So  werden  floribus,  lapide,  loculo,  marmore,  sarcophago,  saxo, 
solo,  humo,  tellure,  titulo,  urna,  vaso  belegt  und  besprochen  von 
dem  Gesichtspunkte  aus,  ob  die  Hinzufügung  der  Präposition  dem 
Dichter  palste  oder  nicht,  auch  mit  Kücksicht  auf  die  damit  ver- 
bundenen Verba,  iaceo,  condo,  tego  u.  s.  w.   Die  Schlufsfolgerungen 
ergeben  sich  von  selbst,  und  wo  zahlreiche  Belege  vorliegen,  sind 
sie  auch  geradezu  zwingend. 

Aufserdem  hat  Verf.  noch  auf  einen  anderen  Punkt  sein 
Augenmerk  gerichtet,  ob  die  der  Ortsbezeichnung  dienenden  Sul)- 
stantiva  die  logisch  natürliche  Singularform  beibehalten,  oder, 
was  ja  den  Dichtem  erlaubt  ist,  die  Pluralform  annehmen.  Es 
trifft  dies  namentlich  die  Wörter:  bustum,  monumentuni,  sf»pulcrum, 


234  J.  K.  Church  jun.: 

templum,  locus  und  tumulus.  Mau  sagt  wohl,  tomuli  bezeichne 
nicht  den  einzehien  Grrabhügel  im  speziellen  Falle^  sondern  die 
Grabhügel  im  allgemeinen^  und  eine  grofse  Reihe  von  Beispielen 
lälst  sich  so  interpretieren,  z.B.  Buch.  133S  (Rom): 

Suscipe  me  sociam  tumulis  dulcissime  coniux. 
Buch.  424,  2  (Sassina): 

Condite  perpetuis  tumulis  sine  lucis  hiatu. 
Buch.  1413,  13  (Mediolanum): 

Domnica  sed  coniunx  retinet  commune  sepulcnuu, 
iuncta  toris  quondam  iungitur  et  tumulis. 
Buch.  1002,  1  (Rom)  monunienta  eitrema.   1375  sepulcra. 

Wie  genau   die   Sprache   der   Inschriften  mit  der  Litteratur 
stimmt,  bezeugen  folgende  Stellen: 
Ovid  met.  11,  429 

et  saepe  in  tumulis  sine  corpore  nomina  legi. 
Ovid  ex  Ponto  3,  4,  TG 

et  desunt  fatis  sola  sepulcra  meis. 
(^onsolatio  ad  Liviam  73 

claudite  iam,  Parcae,  nimium  reserata  sepulcra. 
()7id  met.  S^  TOD 

busta  meae  videam  neu  sini  tumulandus  ab  illa. 
Martial  epigr.  9,  3(j,  5 

cumque  daret  sanctam  tumulis,  quibus  invidet,  umam. 
Die  Erklärung  aber  suchen  wir  in  der  Hauptsache  lieber  in  der 
nietrisclien  Technik  als  in  der  Theorie  der  sogen,  'allgemeinen 
Bozeiclmungen'.  Allerdings  mufs  zugegeben  werden,  dal's  Stellen 
übrig  bleiben,  welche  sich  nicht  fiigen  wollen,  z.  B.  Bilch.  105T,  3 
(Rom) 

Pompeia  his  tumulis  cognomine  Eleutheris  haeret. 
Allein  wenn  der  Versbau  unter  gewissen  Umständen  die  J Mural- 
form verlangt  hatte,  so  gewöhnte  man  sich  gedankenlos  daran, 
wie  ja  die  silberne  Prosa  solche  Plurale  sich  angeeignet  hat,  ob- 
wohl kein  Grund  dazu  vorlag.  Lehrreich  ist  eine  Stelle  des 
Propertius  3,  o,  33iF.  M.,  wo  zuerst  der  Singular  dem  Sinne  ent- 
sprechend gesetzt  ist  und  kurz  darauf  der  durch  den  Vers  erprefste 
Plural  desselben  Wortes  nachfolgt, 

Et  sit  in  exiguo  laurus  superaddita  busto, 

quae  tegat  extincti  funeris  umbra  locum  .  .  . 
nee  minus  haec  nostri  notescet  fama  sepulcri, 
quam  florent  Phthii  busta  cruenta  viri. 


Zur  Phraseologie  der  lateinischen  Grabinschriften.      235 

Da  efB  sich  um  ein  wirkliches  Grab  handelt^  so  war  ja  eigentlich 
der  Singular  geboten,  was  ja  auch  die  Form  sepulcri  beweist. 
Dasselbe  ist  der  Fall  bei  Lucan  b,  6G9 

Est  opus^  o  superi;  lacerum  retiuete  cadaver 
fluctibus  in  mediis^  desint  mihi  busta  rogusque. 
Vgl.  noch  Seneca  Troad.  370.  950.  IIGO.  1174.  Am  Versschlusse 
hat  man  lieber  eine  Länge  als  eine  Kürze^  z.  B.  Prop.  5,  7,  2 
Sunt  aliquid  Manes;  letum  non  omnia  finit, 
luridaque  eyictos  effugit  umbra  rogos. 
obschon  hier  auTserdem  evictum  Elision  nach  sich  gezogen  hätte. 
Ist   auch  Eöne   manchmal   zu  weit    gegangen,   so   ist  doch   sein 
Grundgedanke  immer  noch  fruchtbar.    So  glaul)en  wir  denn,  dals 
hei  Ovid  trist.  3,  11,  25 

Non  sum  ego,  quod  fueram:  quid  inaneni  proteris  umbramV 
quid  cinerem  saxis  bustaque  nostra  petisV 
der  Plural   busta  neben   cinerem  als   Konzession  aufzufassen   sei, 
wie  nostra  gegenüber  ego   statt  mea.     Weitere  Belege  zu  busta 
bieten  Ovid  Ibis  331  metam.  4,  88.    Statins  silv.  ;">,  5,  of).   Meyer 
Anthol.  <>39. 

Noch  häufiger  ist  der  Plural  monumenta.    N'^gl.  Martial  11,  48 
Silius  haec  magni  celebrat  monumenta  Maronis. 
Bücheier  1102  (Umbrien): 

Parva  quidem  monumenta  tibi  pro  munere  vitae 
fecimus  et  tumulo  teximus  ossa  levi. 
Buch.  r)17.  2  (Afrika) 

hunc  tumulum  vobis,  Manes,  monimeiitaque  sacra 
obsequiumiiue  mei  Yictoriiius  vovi  doloris. 
Damit  haben  wir  (Umi  Weg  geebnet,  um  an  die  Betrachtung 
der  Plural  formen  von  lonis  heranzutreten.    Schon  der  Singular 
ist  gewissermafseu    termiiius   t^H^hnicus   zur  Bezeichnung   des   Be- 
gnibnisplatzes  oder  des  (irabes  geworden.     Corp.  V  2915: 
Hie  locus  ))atet  in  front,  p.  XX  et  a  media  fos 
intro  vers.  p.  XXV  hunc  locum  monimentumque 
diis  Manibus  do  legoque. 
Buch.  1(M>7.  2  (Rom) 

immatura  meo  porlege  fata  loco. 
wie  auch  in  griechischen  Grabschriften  rönog  im  Simie  von  ^Trab' 
gebraucht  wird.*)     Wichtig  wird  aber  die  Frage  für  die  Interpre- 


J 


Mit    Rücksicht    auf    die   Wichtigkeit    der   Frage    geben    wir    noch 
folgende  Beispiele.     Coq).  in«cr.  ÜI  3061  LOCVS  SEPYLTVR  .  .  .,  IH  Ö00(» 


23G  J.  K.  Church  jnn.: 

tation  des  bekannten  Verses  einer  satumischen  Scipioneninschrift: 

is  hie  situs  quei  nnmquani  victns  est  virtutei. 

aunos  gnatus  XX  is  l|oc|eis  mandatus. 
Auf  Grund  der  Angabe,  dal's  der  erste  erhaltene  Buchstabe  des 
Dativs  auch  für  die  hasta  von  D  gehalten  werden  könne,  sind 
verschiedene  Konjekturen  aufgestellt  worden,  wie  Diteist  oder 
diveis,  worunter  Bücheier  die  Manen  versteht.  Da  indessen  die 
Mehrzahl  der  Zeugen,  welche  den  Stein  geprüft  haben,  an  L  fest- 
hält, so  verdient  die  Konjektur  Mommsens  loceis  mehr  in  Betracht 
gezogen  zu  werden.  Sie  empfiehlt  sich  durch  die  Vergleichung 
von  Buch.  1085  (Rom) 

Si  quis  forte  legit  titulum  nomenque  requirit. 
Dorchadis  inveniet  ossa  sepulta  loco. 
Buch.  3()7,  8  (Rom)  condere  ossa  loco,  an  welchen  Stellen   locus 
geradezu  für  ^Grab'  gesetzt  ist.     Was   aber  die  Verbindung  mit 
mandatus  anbelangt,  so  haben  wir  eine  Parallele  bei  Buch.  1189 
(Pandateria) 

Reliquiae  cineris  tumulo  mandata  quiescunt. 
Dazu  kommen  Buch.  473,  3  (Mailand) 

His  requiesco  locis,  vi  tarn  cui  fata  negarunt 

ac  tumulo  clusere  gravi. 
Bücheier  501  (Afiika) 

Hisce  locis  Flori  requiescunt  ossa  sepulta. 
Der  Plural  niui's  der  Bedeutung  nach  als  identisch  mit  dem  Sin- 
gular locus  gefaist  werden,  da  ja  auch  tunmli  nur  eine  metrische 
Variation  zu  tumulus  ist;  so  bei  Statins  silv.  4,  4,  53 

.  . .  magi  tumulis  adcanto  magistri. 
wo    der    Singular  Hiatus    oder    Elision    ergeben    hätte.      Statins 
silv.  5,  3,  106 

Pone  super  tumulos  et  magni  funus  alumni. 
Bücheier  1181,  5  (Mutina) 

ne  patiare  meis  tumulis  increscere  silvas. 
Bncheler  1370,  4  (Rom.  525  nach  Chr.) 

ne  mala  sit  tumulis  extera  lingua  tuis. 

LOCVS  M  (=  monumentimi?  .  V  90  LOC  M.  POSTVMI  L.  F.  V  109G  Loc. 
primufi  et  loc.  sccun.  et  loc.  tert.  H.  S.  T.  (=  dodit  tres  Iocor  in  sepnlcro 
et-c.).  VI  2183  libcrtis  iitriusque  Hexiis  loca  sinjfiila  sepulturae  causa  .  .  . 
M  9167  locus  Antonini  etc.  VI  9919  Bücheier  Carm.  epigr.  1286  loc.  L. 
Oemini;  1821  loc(n8)  faniil(iae)  mit  folgendem  (renetiv;  1322  L.  M.  (locus 
monumentnni?}  Pelagiae  etc. 


Zur  Phraseologie  der  latciniHchen  GrabiiiBcliriften.      237 

Und  dadurch  wurde  der  Plural  zur  Gewohnheit.  Buch.  4())^,  1.  4 
(Afrika) 

saepe  meis  tuniulis  avis  Attica  parvnila  venit. 

hie  viridat  tumulis  taurus  prope  Delia  iiostris. 

Bei  Büeheler  1170,  2  (' Ariminum ) 

marmoreisque  meis  his  iaceo  tumuliK 

hätte  das  Verbum  durch  den  Singular  drei  reimende  Nomina 
neben  sich  bekommen.  Die  Freiheit  der  Nachbildung  wird  er- 
kannt^ wenn  man  das  ältere  Original  liei  Buch.  141.'>  (Mailand) 

mundo  flente  iacens  conditur  hoc  tumulo 
vergleicht  mit  dem  Nachahmer  Blich.  1412  (Mailand) 

mortis  sorte  iacens  ccmditur  his  tumulis. 
Aus  metrischen   (Tründen  jedenfalls   erklärt   sich    der  Plural 
bei  Buch.  1191,  9  (Arelate) 

ossa  tuis  urnis  optamus  dulce  quiescant. 
Somit   hoffen    wir  der  Konjektur  Mommsens   loceis   eine  kräftige 
Unterstützung  geliehen  zu  haben. 

Der  Lokativ  findet  sich  in  Verbindung  mit  der  Quiesco- 
formel  an  einer  einzigen  Stelle,  welche  aber  zugleich  die  Gram- 
matik um  ein  neues  Beispiel  bereichert,  wir  meinen  Buch.  SOG 
TLambaesis) 

D.  M.  M.  lulius  Alexander  veteranus  leg. .  .  . 
hie  Situs  est  patriae. 

Dazu  bemerkt  Wilmanns  (Oorp.  VIII  2885):  verba  Hiic  patriae^ 
ad  similitndinem  locutionis  ^hic  loci'  dictum  esse  puto.  Die  Kon- 
struktion liefse  sich  dann  zusammenstellen  mit  Apul.  niet.  7,  2<i: 
nee  uspiam  ruris  reperitur  ille.  Aber  dann  wäre  auch  der  Gedanke: 
in  hac  patria  oder  in  hac  parte  ])atriae,  was  der  Verf.  sicher  nicht 
gewollt  hat;  er  wollte  vielmehr  sagen:  hier  ist  er  begraben,  und 
zwar  in  seinem  Heimatland.  Viele  Soldaten  wurden  ja  in  frem- 
der  Erde  begraben.  Ahnliche  Bestimmungen  des  Ortsadverbiuni.< 
hie  finden  wir  (ifters,  z.  B.  Buch.  7t),  4  (Benevent) 

hie  osfsa  in  terra  cubant. 
Buch.  646  (Sardinien) 

hie  situs  in  tunmlo. 
Buch.  98,  4  (Parma^ 

hie  eonquiescit  cunis  teiTae  mollibus. 

Ans  dem  Bereiche  der  Litteratur  kann  man  dem  Lokativ  terrae 
zur  Seite  stellen  den  Vers  Vergils  Aen.  11,  598 


238    J.  K.  Church  jun,:  Zur  Phranrologio  <1.  lat.  GrabinBchriften. 

Post  ego  nube  (rava  miserandae  corpus  et  arma 
inspoliata  feram  tumulo  patriaeque  reponani. 
Darüber  äufsei-t  sich  Drager  ihistor.  Syntax  I  574)  dahin,  dals 
patriae  Vohl  Dativ'  sei.  Der  Hexameter  und  die  afrikanische 
Inschrift  berühren  sich  indessen  darin,  dafs  an  beiden  Stellen  von 
einem  Begräbnisse  die  Hede  ist,  und  weil  ja  auch  die  beiden 
Verben  (sino — posino — pono  —  repono ,  wie  quiesco  —  requiese< >  i 
zusammengehören.  Somit  bedeutet  repono  im  technischen  Sinne 
^begraben',  wie  bei  Prop.  1,  17,  11: 

An  poteris  siccis  mea  fata  reponere  oceUis 
ossaque  nuUa  tuo  nostra  teuere  sinuV 
Dieses    reponere    kcmstruiert    aber    Vergil  Aen.  (>,  (JöH    mit    dem 
Abhitiv,  niflit  mit  dem  Dativ: 

.  .  .  quae  gratia  currum 
armorumque  fuit  vivis,  quae  cura  nitentis 
pascere  equos,  eadem  sequitur  telhire  repostos. 
Da  der  Erklärer  verpflichtet  ist,  den  Begriff  von  ponere  möglichst 
festznhalteu,    und    da   er    nur    im   Notfälle   reponere   mit   reddere 
identifizieren  dari\  so  gewinnt  die  Annahme  des  Lokativs  an  Wahr- 
scheinlichkeit.    Bildete   terra   einen  Lokativ   terrae,   warum  nicht 
patria  (=  t^^rra  patria)  einen  Lokativ  patriae?   Gerade  in  den  (irab- 
schriften  'kommt   der  aus   der  Litteratur  bekannte  Lokativ  terrae 
wiedcrholentlich  vor.     Buch.  607,  o  (Rom) 

(■(mdidimus  terrae  arisque  saerabimus  ipsum. 
Buch.  4X1 ;  (Ostia,  drittes  Jahrh.) 

hunc  coniunx  posuit  terrae  etc. 
AVenn  man  auch  den  Dativ  bei  reponere  eher  verteidigen  kann, 
so  ist   er   doch   für  ponere   imd  condere  sicher  nicht  haltbar,   da 
die   Praxis  den  Ablativ  zeigt. 

Bücli.  TO-j  (V'ercellae)  hoc  positus  tumulo  ...  quiescit. 
Buch.  liM)X  (Ticini)  hoc  posuit  tumulo  corporis  excubias. 
Buch.  1108  (Mauret.)  hoc  tumulo  positum  est. 
Buch.  1209  (Pannonien)  hoc  posita  in  tumulo  .  .  .  sunt  ossa. 
Buch.  InX  (Rom)  hoc  tumulo   Baioli  <*onduntur  membra. 
Buch.  141;>  (Mailand)  iacens  <onditur  lioc  tumulo. 

München.  .1.  K.  (-hiii'di  jnii. 


Zur  Geschichte  der  Pronomina  demonstrativa.  II. 

(Fortsetzung  von  Arch.  XI  369  ff.» 

I.  Hic,  ille.  Es  ist  eine  alte  und  im  grofsen  Ganzen  auch 
richtige  Regel  der  Grammatiker,  dafs  sieh  hie  auf  das  Nähere 
bezieht^  wie  ille  auf  das  Entferntere.  Dies  gilt  in  erster  Linie 
von  der  äufseren  Reihenfolge  in  dem  Sinne,  dafs  der  im  Vorher- 
gehenden zunächst  genannte  Gegenstand  oder  Begriif  mit  hie 
bezeichnet  wird,  wie  der  weiter  vorausliegende  mit  ille.  Dafs 
dies  wenigstens  der  Natur  entspreche,  ersehen  wir  deutlieh  aus 
t'omiüeius,  welcher  4,  19,  2i\  nach  der  Definition  von  membruni 
orationis  und  articulus  also  fortfährt:  inter  huius  generis  (arti- 
culi)  et  illius  siiperioris  vehementiam  hoc  interest;  illud  tardius 
et  rarius  venit,  hoc  crebrius  et  celerius  pervenit.  Itaque  in  illo 
genere  .  .  in  hoc  ete.  Cic.  Lael.  20  hoc  extremum  .  .  illa  superiora. 
Daraus  lernen  wir  aber  noch  ein  Zweites,  dafs  der  Stilist  nicht 
verpflichtet  ist,  das  vorher  Gesagte  von  hinten  rückwärts  auf- 
zurollen, sondern  man  kann  auch  von  vorne  anfangen  mit  der 
umgekehrten  Formel  ille,  hie,  wie  ('ornifieius  gethan.  Durch- 
schnittlieh dürfte  die  Stellung  hie  .  .  ille  mehr  dem  klassischen 
Latein  entsprechen,  während  für  ille  .  .  hie  (aufser  Curtiusi  Taeitus 
eine  ausgesprochene  Vorliebe  besitzt.  Hist.  1,  i\  interfeetis  Cin- 
gonio  Varrone  et  Petronio  Turpiliano;  ille  ut  Nymphidii  »ocius, 
hie  ut  dux  Xeronis,  inauditi  perierant.  2,  TS  Antioehiam  .  .  <,'ae- 
saream;  illa  Suriae,  bot-  ludaeae  eaput  est.  4,  <)8  Domitianus 
Mucianusque  .  .  ille  8))e  properus,  hie  moras  neetens,  und  zahl- 
reiche weitere  Stellen  im  Lexicon  Taeiteum  von  (ierber-(jreef^ 
p.  52;).  Die  Leichtigkeit,  ja  die  Notwendigkeit  des  Fonnen- 
weehsels  ergiebt  sieh  manelinial  aus  dem  Gedankenzusammen- 
hange, wie  Ter.  Phorm.  I^ßO  hie  in  noxiast,  ille  ad  dieendam  cau- 
sam adest:  quoni  illest  (uoxius),  liie  praestost.  Dieser  (liiasmus, 
in  der  guten  Zeit  des  symmetrischen  Satzbaues  noch  Ausnahme, 
macht   sieb    in   der   silberneii    IVosa   immer  breiter   und  wird  als 


240  K(l.  Wölfflin: 

Mittel  der  variatio  ausgenutzt,  so  schon  von  Livius  22,  *M\  o,  wo 
Fabius  Cunctator  zu  Aemilius  Paulus  spricht:  nescio  an  infestior 
hie  adversarius  (der  Römer  Terentius  Varro)  quam  ille  hostis 
(Hannibal)  maneat  te,  et  cum  illo  in  acie  tantum,  cum  hoc  Omni- 
bus locis  et  temporibus  sis  certaturus.  30,  53,  3  Demetrius  etsi 
minor  aetate  quam  Perseus  esset,  hunc  iusta  matre  familiae,  illum 
paelice  ortum  esse;  illum  ut  ex  vulgato  corpore  genitum  nullam 
certi  patris  notam  habere,  hunc  insiguem  Philippi  similitudinem 
prae  se  ferre.  Man  vergleiche  damit,  wie  streng  den  Parallelis- 
mus Cicero  dur(!hfiihrt  Catil.  2,  25:  ex  hac  parte  (Senat,  Kitter- 
schaft, Rom,  Italien,  Provinzen)  pudor  pugnat,  illinc  (Partei  des 
Catilina)  petulantia;  hinc  pudicitia,  illinc  stuprum;  hiuc  lides^ 
illinc  fraudatio;  hinc  pietas,  illinc  scelus:  hinc  constantia,  illinc 
furor;  hinc  honestas,  illinc  turpitudo;  hinc  continentia,  illinc 
libido.  Bemerkenswert  ist,  dals  der  sonst  von  dem  Geiste  der 
silbernen  Latinität  erfüllte  Velleius  Paterculus  2,  84,  1  noch  ganz 
auf  der  Seite  von  Cicero  steht:  in  hac  parte  miles  atque  impera- 
tor,  in  illa  marcebant  omnia:  hinc  remiges  fortissimi,  illinc  inopia 
adfectissimi;  navium  haec  magnitudo  modica  nee  celeritati  ad- 
versa,  illa  specie  terribilior;  hinc  ad  Antonium  nemo,  illinc  ad 
Caesarem  <H)tidie  aliquis  transfugiebat.  Bei  dem,  nicht  gerade 
imklassischen,  jüngeren  Plinius  hat  die  Vorliebe  zur  Variation 
bereits  gesiegt,  wie  Epist.  9,  7,  3  beweisen  mag:  iÜam  (villam) 
tragoediam,  hanc  appellare  (*omoediam  soleo:  illani,  quod  quasi 
soeculis  sustinetur  .  .  haec  lacu  propius,  illa  latius  utitur;  haec 
unum  sinum  moUi  curvamine  amplectitur,  illa  editissimo  dorso 
duos  dirimit;  illic  recta  gestatio  lougo  limite  super  litus  eiten- 
ditur,  hie  spatiosissimo  xysto  leviter  inWectitur;  illa  fluctus  non 
sentit,  haec  frangit;  ex  illa  possis  dispicere  piscantes,  ex  hac  ipse 
piscari  hamumque  de  cubiculo  .  .  iacere.  Dafs  man  den  Pro- 
nominalformen die  Ortsadverb ia  auf  die  Krage  wo?  woher?  (^^wo- 
hiu?)  beimischt,  darf  kaum  befremden,  weil  der  Wechsel  sich 
v(m  selbst  einstellt,  ohne  einen  Beigeschmack  der  Rhetorschule 
zu  haben;  beispielsweise  geht  (Vprian  de  cath.  eccl.  unit.  19  nach 
vier  regulären  Paaren  hie  .  .  illie  über  in  die  persönliche  Form 
hie  .  .  ille. 

Begreiflich  aber  ist  es,  dai's  der  Chiasmus  einen  streng 
klassisch  geschulten  Abschreiber  in  Verwirrung  brachte,  nament- 
lich wenn  ilm  der  Schriftsteller  nur  in  einem  einzelnen  öliede 
anwendet.      Einen    Fall    dieser    Art    haben    wir    bei    Quintilian 


Zur  Geschichte  der  Pronomina  denionstrativa.  IL         241 

10,  1,  106:  densior  ille  ( Demostheues),  hie  (Cicero)  copiosior;  ille 
concludit  adstrictius,  hie  latius;  pugnat  ille  aeumine,  hie  pondere; 
illi  nihil  detnihi  potest,  huie  nihil  adici;  curae  plus  in  hoe 
(<,'icerone),  in  illo  (Demosthene )  uaturae.  Denn  so  mufs  man 
emendieren  statt  der  handsehriftliehen  Überlieferung:  plus  in  illo, 
in  hoc.  Da  von  den  zwei  durch  Reime  verbundenen  Substantiven 
enrae  und  naturae  das  dreisilbige  an  das  Satzende  gestellt  wer- 
den mufste,  so  wurde  die  Umstellung  der  Pronomina  zur  Not- 
wendigkeit; allein  der  Schreiber  des  Codex  arehetypus  begriff 
dies  nicht,  und  indem  er  eine  scheinbar  korrektere  Wortstellung 
herstellte,  verdarb  er  den  Gedanken,  welchen  merkwürdigerweise 
alle  Philologen  verdaut  haben.  Vergl.  W()lfflin  im  Rhein.  Mus. 
47,  r>40. 

Indessen  ist  es  doch  nur  eine  Durchschnittsregel,  welche 
Terlangt  hie  auf  das  räumlieh  Nähere  zu  beziehen;  denn  mehr 
als  auf  die  äufsere  Reihenfolge  kommt  es  auf  den  (bedanken  an, 
und  für  jeden  Sprecher  oder  Schriftsteller  ist  eben  dasjenige  das 
Nähere,  was  ihm  das  Sympathischere  ist,  das  Fernere,  was  er 
verwirft.  Dafs  Sallust  seine  I*ronomina  von  diesem  Gesichts- 
punkte aus  wählt,  zeigt  seine  Selbständigkeit,  welche  er  sich  gegen 
die  Formen  der  ciceronianischen  Xunstprosa  überall  zu  wahren 
verstanden  hat;  zugleich  zeigt  er  ims  seine  Unabhängigkeit  in 
der  Neuerung,  die  beiden  Pronomina  zusammenstofsen  zu  lassen, 
indem  er  des  eine  an  das  Satzende,  das  andere  an  den  Satzanfang 
stellt.  lug.  94,  5:  Romanis  hostibusque  proelio  intentis,  magna 
utrimque  vi  pro  gloria  atque  imperio  his  (Romanis),  illis  (Nu- 
midis)  pro  salute  certantibus.  Cat.  58,  14  sagt  Catilina  zu  seinen 
Leuten:  licuit  vobis  cum  summa  turj)itudine  in  exilio  aetatem 
agere;  quia  illa  foeda  viris  videbantur,  haec  (die  von  mir  ver- 
tretene Sache)  sequi  deerevistis.  lug.  85,  22  sagt  Marius:  maiores 
Buos  extoll unt;  quanto  vita  illorum  (welche  nicht  mehr  leben) 
praeelarior,  tanto  honim  (der  Lebenden)  socordia  tlagitiosior. 
Die  kühne  Wortstellimg  liängt  mit  der  Inkonzimiität  des  Sallust 
überhaupt  zusammen,  und  es  verdient  bemerkt  zu  werden,  dals 
sowohl  Curtius  als  der  sonst  dem  Sallust  stilverwandte  Taeitus 
darauf  nicht  eingegangen  sind.  Vgl.  (^urt.  3,  1,  17  circa  Alexan- 
drum erat  et  Phrygum  turba  et  Macedonum,  illa  expeetatione 
snspensa,  haec  sollicita.  ;i,  11,  24  niater  coniunxque  Darei;  illa 
non  maiestate  solum,  sed  etiam  aetate  vonerabilis,  haec  formue 
pulchritudine.     (>,  1,  8  LacedaenKmii  vetera,  Macedones  praeseutia  ., 


242  Ed.  Wölfflin: 

decora  intuebantur;  illi  pro  übertäte,  bi  pro  domiuatione  pugna- 
bant,  welche  Stelle  dem  sallustianischen  Beispiel  von  Chiasmus 
inhaltlich  sehr  nahe  steht. 

So  jj^ofse  Freiheit  nun  auch  in  dem  Gebrauche  von  hie 
herrscht,  so  selten  führt  sie  doch  zur  Zweideutigkeit,  weil  der 
(Tedankenzusammenhang  der  beste  Interpret  ist.  Ter.  Andr.  233 
(di,  date  facultatem,  obsecro,  huic  pariundi  atque  illi  in  aliis 
potius  peccandi  locum)  ist  die  obstetrix  zwar  in  den  zwei  vor- 
hergehenden Versen  genannt,  aber  doch  nur  Nebenperson  und 
daher  mit  illa  bezeichnet.  Wenn  man  glauben  wollte,  dafs  für 
Florus  in  der  Darstellung  des  zweiten  Bürgerkrieges  (4,  2)  hie 
sich  auf  Caesar  beziehe,  auf  dessen  Seite  der  Verfasser  steht,  so 
lassen  sich  zwar  eine  Reihe  Stellen  dafür  geltend  machen,  und 
doch  ist  §  15  mit:  nee  ille  abnuebat,  si  ratio  sui  proximis  comi- 
tiis  haberetur  der  in  Gallien  abwesende  Caesar  gemeint,  und  das 
Verständnis  von  §  14  nee  ille  ferebat  parem,  uec  hie  superiorem 
kann  nur  aus  dem  Zusammenhange  erschlossen  werden.  Bei 
Vergil  aber  Ecl.  7,  21  altemis  versibus  .  .  hos  Corydon,  illos 
referebat  in  ordine  Tliyrsis  kann  man  nur  sagen,  dal's  bei  dem 
Wechselgesange  mit  lios  die  ungeraden  Verse  oder  Systeme,  mit 
illos  die  geraden  gemeint  sind.  Wie  rasch  sich  aber  vor  den 
Augen  des  Sprechenden  oder  Schreibenden  die  Dinge  verschieben 
können,  erhellt  aus  einer  Stelle  der  Myrmidonen  des  Attius,  v.  5  Rib. 
Tu  pertinaciam  esse,  Antiloche,  hanc  praedicas, 
ego  pervivaciam  aio  et  ea  me  uti  volo; 
haec  fortis  sequitur,  illam  indocti  ])ossident. 
Zuerst  scheint  ein  Fall  von  pertinacia  vorzuliegen,  welche  er  mit 
hanc  bezeichnet,  doch  giebt  er  der  pervicacia  den  Vorzug,  und 
darum  heifst  sie  nunmehr  haec  {=  haec  mea  virtus),  während 
die  aufgegebene  pertinacia  in  die  Feme  rückt  und  daher  als  illa 
erscheint. 

Das  Gemeinschaftliche  aller  bisher  erläuterten  Beispiele  be- 
steht darin,  dal's  sich  die  beiden  Pronomina  auf  zwei  im  Vorher- 
gehenden genannte  und  von  einander  verschiedene  Nominalbegriffe 
beziehen,  sodals  man  sie  mit  %ler  (die,  das)  erstere  .  .  letztere' 
oder  griechisch  mit  6  ^ihv  .  .  6  Öf-  übersetzen  könnte;  sie  kommen 
einem  alter  .  .  alter  gleich,  da  für  ein  Drittes  neben  ihnen  kein 
Raum  übrig  l»leibt.  Einer  Partikel  des  Gegensatzes  (fihv  .  .  Öh)  be- 
dürfen sie  nicht,  da  die  Pronomina  an  sich  schon  Gegensätze 
bilden. 


Zur  Geschiebte  der  Pronomina  demonstrativa.  11.        24H 

Und  doch  hat  »ioh  der  Sprachgebrauch  nach  dieser  Richtung 
entwickelt,  wenn  die  beiden  Handlungen  nicht  gleichzeitig  sind. 
Livius  spricht  5, 40,  3  bei  dem  Einzüge  des  Brennus  von  den 
alten  Römern,  welche  auf  dem  Forum  zu  bleiben  entschlossen 
sind,  und  den  Waifenf ähigen ,  welche  das  Kapitol  verteidigen 
wollen,  endlich  von  den  Wehklagen  der  Frauen  nimr  hos  nnur 
illos  sequentium.  Die  Anwendung  der  Pronomina  bleibt  sich 
völlig  gleich,  da  sie  sich  auf  zwei  im  Vorhergehenden  genaimte 
Parteien  beziehen,  das  Handeln  der  Frauen  wird  nur  durch  nun<* 
.  .  nunc  auf  verschiedene  Zeitpunkte  verwiesen.  Denselben  (^e- 
danken  drückt  Livius  2,  51,  9  nur  in  anderer  Form  aus:  inter 
duas  acies  (Romanorum  et  Veientium)  Etrusci  cum  invicem  his 
atque  Ulis  terga  darent  =  nunc  his,  nunc  illis:  denn  das  Adverb 
verbietet  ims,  die  durch  atque  verbundenen  hi  und  illi  zusammen- 
zufassen. Wieder  eine  andere  Ausdrucksweise  begegnet  uns 
10,14,2:  consules  cum  inter  se  agitarent,  uti  alter  Samnites  hostes, 
alter  Etruscos  deligeret,  quantaeque  in  hanc  auf  in  illam  provin- 
ciam  copiae  satis  (essent);  denn  die  beiden  Begriffe  sind  an- 
gekündigt, werden  jedoch  disjunktiv  auseinandergehalten.  Anio- 
bius  1,  59  schreibt  in  einer  Betrachtung  über  das  grammatische 
Geschlecht:  neque  ^adem  (nomina)  possunt  huius  (masculini)  esse 
generis  et  illius  (ferainini),  d.  h.  die  Substantiva  krmnen  nicht 
gleichzeitig  beide  Geschlechter  annehmen,  wobei  er  von  dem 
richtigen  Grundgedanken  ausgelit,  dafs  das  Neutrum  kein  drittes 
Geschlecht  ist,  sondern  der  Zustand  der  Geschlechtslosigkeit. 

Wir  mui'sten  dieses  wenig  interessante  Mittelstück  einfügen, 
weil  wir  von  hier  ans  zu  einer  vollkommen  neuen  Sprachentwick- 
lung gelangen.  Denn  wenn  Cicero  schreibt  de  nat.  d.  1,  47  nani 
Cotta  mens  ))W(1o  lioc  nuxh  illud,  so  scheint  dies  grammatisch 
nur  das  Bekannte  einzusc  hl  leisen;  von  Seiten  des  (redankens 
jedoch  hat  sich  die  Lage  dadurch  verändert,  dafs  einmal  nicht 
von  der  Alternative  zweier  Anschauungen  die  Rede  ist,  sondern 
möglicherweise  auch  von  einer  dritten,  imd  dann  weiter,  dais 
diese  philosophischen  Ansichten  vorher  weder  entwickelt  noch 
bestimmt  angedeutet  worden  sind.  Vielmehr  wird  dem  Leser 
überlassen,  nach  freier  Phantasie  zu  erraten,  was  für  verschiedene 
Gedanken  der  unschlüssige  Cotta  könnte  gehabt  haben.  Hier  sind 
also  entweder  hie  und  ille  keine  Demonstrativpronomina  mehr, 
weil  sie  nicht  auf  das  znnickweisen,  was  nie  ausgesprochen  wor- 
den ist,  oder  sie  sind  zwar  noch  demonstrativa,   deuten  aber  auf 


244  Ed.  Wölfflin: 

etwas^  was  der  Leser  erst  aus  dem  Zusammenhange  suchen  mufs. 
Diese  beiden  Dinge  müssen  zwar  unter  sich  verschieden  sein,  ein 
aliud  und  ein  aliud,  nicht  ein  alterum  und  alterum,  da  sie  nicht 
den  Kreis  der  Möglichkeiten  ausfüllen  sollen.  Die  gleiche  Rede- 
wendung, nur  mit  tum  .  .  tum  geglie<lert,  begegnet  uns  im  Lae- 
lius  66:  Socrates,  cui  noii  tum  hoc  tuw  ilhid,  uti  plerisque^  sed 
idem  semper;  sie  scheint  mehr  der  familiären  Sprache  eigentüm- 
lich gewesen  zu  sein.  Bei  Sallust  or.  Phil.  11  steht  sogar  atque 
in  disjunktivem  Sinne:  expers  consilii^  inquies,  haec  afque  illa 
temptans,  was  wir  nicht  im  Simn»  der  (lleichzeitigkeit  verstehen 
dürfen,  sondern  im  Sinn  von  ^modo  haec,  modo  illa',  wie  auch 
wir  namentlich  im  Gesprächston  sagen  ^dies  und  jenes\  als 
gleichbedeutend  mit  ^bald  dies,  bald  jenes'.  Genauer  wäre  hier 
die  Disjunktivpartikel  gewesen,  wie  sie  Cicero  benützte  de  invent. 
2,  99  provideri  potuisse,  si  hoc  üftt  illud  fecisset;  denn  hier  soll 
der  Leser  statt  der  Pnmomiiia  aus  dem  Kreise  zahlreicher  Mög- 
lichkeiten zwei  beliebige  Beispiele  einsetzen,  von  welchen  indessen 
nur  eines  als  Thatsache  angenommen  werden  soll. 

Bei  den  augusteischen  Dichtern  steht  hi  .  .  illi  oder  mit 
kollektivem  Singular  hie  .  .  ille  geradezu  für  alii  .  .  alii,  neben 
welchen  auch  noch  eine  dritte  (]rrup])e  gedacht  werden  kann. 
Verg.  Aen.  7,  637 : 

classica  iamque  sonant;  it  hello  tessera  signuni. 

.  .  omnea  arma  requirunt  .  .  imn;  clipeos  tergent  .  . 

hie  galeam  tectis  trepidus  rapit,  ille  frementis 

ad  iuga  cogit  e(|uos  etc. 
Aen.  4,  lo7.  5,441.  Manil.  1,  191.  Sü.  lt.  o,  150.  Stat.  Theb.  2,589. 
Orest.  trag.  352.     Bei  Lucan  <>,  277   ist   die  Stellung  umgedreht: 
illos  terra  fugit  dominos^  his  rura  colonis 
accedunt  douante  Pado. 
So  schon  Horaz  in  den  Oden    1,  1,  7:  sunt  quos  .  .  hunc  .  .  illum 
.  .  est  qui  .  .  nniltos,    was    erst    die    silberne    Prosa    nachgebildet 
hat.     Plin.  epist.  6,  20,  14  hi  .  .  illi  .  .  alii.   Flor.  1,  18  (2,  2),  35 
in  hos  vel  in  illos.     Mit  zeitlicher  Trennung  Verg.  Aen.  6,  315 
navita  sed  tristis  nunc  hos  nunc  accipit  illos, 
ast  alias  longe  summotos  arcet  harena. 
4,  157   iamque  hos  cursu,  iani  })raeterit  illos. 

Wo  die  Form  in  der  Prosa  begegnet,  hat  sie  immer  einen 
j)oetischen  Anstrich,  z.  B.  Macrob.  Sat.  1,  24,  1  laudare  hie  niemo- 
riam,  ille  doctrinam,  cuuctl  religionem. 


Zur  Geschichte  der  Pronomina  demonstrativa.  II.        245 

luven.  10,  196 

plurima  sunt  iuvenum  discrimina:  pulchrior  ille 
hoc,  atque  ille  alio,  multum  hie  robustior  illo. 

Mit  drei  Gliedern  Lucr.  3,  311 

quin  proclivius  hie  iras  decurrat  ad  acris, 
ille  metu  eitius  paulo  temptetur,  at  ille 
tertitts  accipiat  quaedam  elementius  aequo. 

Die  Mischung  der  Pronomina  ist  bei  den  Dichtem  sehr  willkür- 
lich, z.  B.  Hör.  sat.  1,  2,  41  ff.  hie  .  .  ille  .  .  hie  .  .  hie  .  .  hunc; 
od.  3,  1,  10  hie  .  .  hie  .  .  illi.  Lucan  7,  774  ille  .  .  ille  .  .  hunc  .  . 
in  hoc.  Stat.  silv.  2,  1,  213  hos  .  .  hos  .  .  bis  .  .  bis  .  .  hos  .  .  illos 
.  .  hos.  luven.  3,  09  hie  .  .  hie  .  .  hie  .  .  ille  .  .  hie.  10,  227  ille 
.  .  hie  .  .  hie  .  .  ille  .  .  huius.  Claudian  in  Ruf.  2,  410  bi  ,  .  alii 
.  .  ille  .  .  ille  .  .  hie  .  .  hie  . .  hie  .  .  hie  u.  s.  w.  Die  Dichter  legen 
eben  gröfseren  Wert  auf  die  Variation  als  die  klassischen  Pro- 
saiker, welche  die  Symmetrie  vorziehen;  sie  erlauben  sich  auch 
aul'ser  alii  Ausdrücke  wie  alter,  pars  den  Reihen  einzufügen. 
Lucan  2,  183  hie  .  .  alius  .  .  ille.  Calp.  ecl.  10,  48  hie  .  .  alter  .  . 
ille.  Stat.  silv.  5,  3,  18o  alter  .  .  alter  .  .  alter  .  .  bi  .  .  bi  .  .  hi  .  . 
illi.  Ovid  met.  11,  29  hae  .  .  illae  .  .  pars.  11,  480  alii  .  .  pars 
.  .  pars.  Stat.  silv.  3,  1,  118  bis  .  .  illis  .  .  pars.  Theb.  2,  551  hos 
.  .  illos  .  .  nee  paueos. 

Da  aus  den  Anfängen  der  silbernen  Prosa  keine  Beispiele 
notiert  sind,  beginnen  wir  mit  Plin.  nat.  h.  13,  40  aliis  .  .  aliis  .  . 
bis  .  .  illis  .  .  quibusdam.  Plin.  epist.  4,  24,  3  quidam  .  .  alii  .  . 
buie  .  .  hie  .  .  alius  .  .  illum.  Paneg.  25  aliquis  .  .  hie  .  .  ille. 
Gell.  1,  9,  9  alius  .  .  item  alius  .  .  hie  .  .  ille.  Apul.  met.  2,  29  hi 
.  .  alii.  Gellius  praef.  0  alii  .  .  alii  .  .  ille  .  .  hie  .  .  alius  .  .  par- 
tim .  .  quidam  .  .  alius  .  .  atque  alius  .  .  et  item  alius  .  .  simt 
etiam  .  .  sunt  item  qui  .  .  sunt  adeo  qui  .  .  est  ({ui  .  .  est  qui  .  . 
est  item  qui  .  .  est  praeterea  qui  .  .  est  itidem  qui  .  .  sunt  item 
multi.  Einsebiebung  von  Eigennamen  findet  sich,  nach  dem  Yor- 
gange  von  Horaz  bei  Lucan  7,  770  in  (.'acsare,  bei  Silius  17,  482 ff. 
hie  .  .  hie  .  .  hos  .  .  horum  .  .  ijhse  ductor  Rhoeteius.     Plin.  epist. 

4,  24,  3  quidam  .  .  alii  .  .  buie  .  .  hie  .  .  alius  .  .  illum  .  .  circa  ifos 
ipsos.     Hör.  epist.  2,  2,  59  tu  .  .  hie  .  .  ille  .  .  mihi.     Stat.  silv. 

5,  3,  185  alter  (dreimal)  .  .  hi  (dreimal)  .  .  Uli .  .  tu.  Silv.  3,  1,  118 
bis  .  .  illis  .  .  .  125  pater  ipse.  Der  aufmerksame  Leser  wird  be- 
merken, dafs   bei  Prosaikern  hie  .  .  ille  nicht  allein  vorkommen, 

Archiv  für  lat.  Lexikogr.    XII.    Heft  2.  17 


246  Meader-Wölfflin: 

sondern  nur  in  Verbindung  mit  andern  unbestimmten  Pronomina  oder 
gleichwertigen  Ausdrücken;  der  ganze  Reichtum  der  Phraseologie, 
welcher  sich  allmählich  entwickelt  hat,  ist  aber  aus  dem  ein- 
fachen hie  —  ille,  nunc  hos  .  .  nunc*,  illos  u.  s.  w.  herausgewachsen. 
Wenn  wir  nun  die  Besprechung  der  Pronominaladverbia 
folgen  lassen,  so  ist  dies  eigentlich  unhistorisch,  da  diese  Reihen 
schon  mit  PI  au  tu  s  beginnen  und  sich  dann  bis  in  das  Spätlatein 
fortpflanzen.  Es  sind  1)  hie  .  .  illic.  2)  hinc  .  .  illinc.  3)  huc 
.«.  illuc.  4)  hac  .  .  illac.  Der  Häufigkeit  nach  sind  sie  sehr  ver- 
schieden; die  zweite  und  dritte  sehr  häufig,  die  vierte  sehr  selten. 

1)  hie. .illic  taucht  schon  bei  Plautus  Most.  605  auf,  kehrt 
bei  Catull  6,  9  wieder,  wenn  man  hie  et  illic  attritus  liest  (hec 
et  illo  Cod.  Veron.),  wie  10,  21  nee  hie  neque  illic  ohne  Variante 
überliefert  ist.  Auch  bei  Verg.  georg.  1,  54  tritt  die  Überliefe- 
rung für  hie  segetes,  illic  veniunt  felicius  uvae  ein;  umgestellt 
ist  georg.  1,  69  illic  .  .  hie.  Ovid  met.  7,  581  hat  hie  illic,  ubi 
mors  deprenderat,  exhalantes.  epist.  Pont.  1,  7,  58.  In  negativen 
Gliedern  Livius  8,  37,  (i  hostes  nee  hie  nee  illic  inventi.  Plaut. 
Truc.  153  et  illic  et  hie.  Varr.  rust.  3,  5,  6  aut.  Lucr.  2,  575 
nunc  .  .  nunc. 

2)  hinc  .  .  illinc.  Lucr.  2,  521  getrennt:  hinc  flammis  illinc 
rigidis  infesta  pruinis.  Verg.  georg.  1,  509  hinc  movet  Euphra- 
tes,  illinc  Germania  bellum.  Curt.  6,  11, 16  hinc  ignis  illinc  ver- 
bera  ingerebantur  (Philotae).  8,  14,  32.  Petr.  83.  108.  luven. 
10,  44  mit  umgekehrter  Stellung:  illinc  comicines,  hinc  praece- 
dentia  longi  agminis  officia  etc. 

Neben  einander  Catull  68,  133  circumcursans  hinc  illinc  saepe 
Cupido.  Zweigliedrig  mit  Chiasmus  Ov.  met.  1,  618  pudor  est 
qui  suadeat  illinc,  hinc  dissuadet  amor.  Sen.  Med.  108  hinc  illinc 
.  .  mittite  carmina. 

Mit  Kopula  Plaut.  Amph.  229  imperator  utrimque,  hinc  et 
illinc,  lovi  vota  suscipere.  Most.  565  ita  et  hinc  et  illinc  mi  ex- 
hibent  negotium.  Sen.  Med.  516  hinc  rex  et  illinc.  —  Cic.  Tim. 
14,  49  cum  speculorum  levitas  hinc  illincque  (Cod.  A  illinc)  alti- 
tudinem  adsumpsit.  Livius  3,  5,  1  multi  impetus  hinc  atque  illinc 
facti.  2(),  39,  19  ad  inccrtos  ventos  hinc  atque  illinc  obliqua 
transferentes  vela.  32,  10,  12  multis  hinc  atque  illinc  acceptis 
vulneribus.     Petr.  32  fimbriis  hinc  atque  illinc  pendentibus.  49. 

Disjunktiv.  Tac.  Germ.  44  mutabile  hinc  vel  illinc  remigium. 
Ann.  2,  6  converso  ut  repente  remigio  hinc  vel  illinc  adpellerent; 


Zur  Geschichte  der  Pronomina  demonstrativa.  IL        247 

Hist.  3,  47  hinc  vel  illinc  adpellere  indiscretnm  est.  —  Livius 
7,  8,  1  qüidquid  hinc  aut  illinc  communis  Mars  belli  aufert. 
9;  32,  6  prius  quam  telum  hinc  ant  illinc  emissnm  est. 

Lncr.  2,  214  nunc  hinc  nunc  illinc  abnipti  nubibus  ignes  con- 
cnrsant.  6,  199  nunc  hinc  nunc  illinc  fremitus  per  nubila  mittunt. 
Verg.  Aen.  4,  442  Alpini  boreae  nunc  hinc  nunc  flatibus  illinc 
eruere  inter  se  certant.  Vielleicht  ist  in  gleichem  Sinne  zu  inter- 
pretieren Verg.  georg.  3,  257  atf/ue  hinc  atque  illinc  umeros  ad 
volnera  durat. 

3.  huc  .  .  illuc  kommt  schon  bei  Plautus  polysyndetisch 
und  disjunktiv  vor:  Aul.  607  hinc  ego  et  huc  et  illuc  potero 
quid  agant  arbitrarier.  Capt.  370  vel  ego  huc  vel  illuc  vortar, 
quo  imperabitis;  asyndetisch  nicht,  was  Zufall  sein  dürfte,  da 
wir  uns  diese  Form  als  die  älteste  vorzustellen  haben.     Cic.  Att. 

9,  9,  2  ne  cursem  huc  illuc  via  deterrima  (teterrima).  Liv.  7,  34,  9 
dum  huc  illuc  signa  vertunt.  Verg.  georg.  2,  297  bracchia  pan- 
dens  huc  illuc.  Aen.  4,  363  huc  illuc  volvens  oculos.  5,  408  huc 
illuc  vinclorum  immensa  volumina  vei"sat.  Tib.  1,  3,  70  fagit. 
Ovid.  Manil.  Lucan.  Statins  oft.  Silius  und  Ilias  lat.  In  Prosa 
bei  Sen.  ben.  5,  25,  4  h.  i.  frenis  motis;  epist.  28,  3  vadis  h.  i.  Plin. 
nat.  h.    Petr.  114  convertebat  huc  illuc  obnoxiam  ratem.     Quintil. 

10,  7,  6  salientes  huc  illuc,  und  oft  bei  Tac.  Plin.  epist.  2,  17,  9 
vaporem  huc  illuc  digerit.     Vgl.  Seyifert  zu  Cic.  Lael.  ^5. 

Mit  Koj)uln.  Comif.  4,  11  (genus  dissolutum)  fluctuat  huc 
et  illuc.  Cic.  Cael.  13  versare  suam  naturam  atque  huc  et  illuc 
torquere  ac  flectere.  Nat.  deor.  2,  115  corporibus  huc  et  illuc 
casu  et  temere  cursitantibus;  2,  101  aer  effluens  huc  et  illuc 
ventos  efficit;  3,  68  versat  huc  et  illuc  cogitatione  rationem.  Offic. 
1,  101  bQiii]  hominem  huc  et  illuc  rapit.  Divin.  2,  80  volucris 
huc  et  illuc  vagantis.  Fin.  2,  99  huc  et  illuc  vos  versetis  licet. 
Acad.  2,  116  rationes  huc  et  illuc  trahuntur.  Hör.  od.  4,  11,  9  huc 
et  illuc  cursitant  mixtae  pueris  puellae.  Sali.  lug.  60,  4  corpora 
huc  et  illuc  agitare.  Cels.  2,  15,  8  lectus  manu  impellendus; 
><,  1,  35  se  inclinans.  Sen.  ben.  5,  6,  2  hoc  et  illo  (sie!)  diducit. 
Sen.  Med.  862  huc  fert  pedes  et  illuc.  Stat.  Theb.  4,  380  huc 
tristis  et  illuc  .  .  pinum  deiectat;  9,  849  huc  iam  fessus  et  illuc 
mutabat  turmas;  10,  168  acies  huc  errat  et  illuc. 

Mit  atque.     Cic.  Rose.  com.  37   huc   atque  illuc  tergiversan- 

tem.      De    orat.  184    intuentem.      Fin.  5,  8()    in    quo    versos    te. 

B.  Afr.  73  legiones  per  causam  frumentandi  —  raptare.     Sali.  hist. 

11* 


248  Meader-Wölfflin: 

(or.  Macri)  3,  26  M.  huc  ire  licet  atque  illuc.  Liv.  5,  8,  8  sigua 
transferre;  7,  34,  23  signa  moveri.  Val.  Max.  G,  8,  7  vestigia  — 
errautia.  Petr.  33  discurrere;  101  vectatur.  Celsus  4,  1  (p.  122,9 
Dar.)  yolutum.  Stat.  Theb.  2,  545  animum  ferens.  (^apitol.  Maxim. 
5,  1  discurrens.  Dietys  3,  3  oberrans.  lord.  Get.  35,  182  circum- 
fereiis  oculus.  —  Mit  qt^e.  Celsus  5,  20  (?uach  Targa)  oculi  quasi 
resoluti  huc  illueque  moventur.  Mehr  bei  Sigm.  Preufs,  De  bi- 
membris  dissoluti  usu  solemni,  1881,  p.  23 — 20. 

Disjunktiv.  Ter.  Andr.  266  animus  huc  vel  illuc  inpellitur. 
Celsus  7,  7,  3  digito  vel  huc  vel  illuc  impelluntur.  —  Gels.  7,  3 
haec  fortuna  huc  illucre  discemit;  8,  16  prout  ossa  huc  illucve 
se  dederunt,  und  so  noch  mehrmals. 

Mit  doppelten  Icorrelativen  Partikeln.  Die  einfachste  Form 
liefert  das  polysvndetische  et,  doch  ist  sie  sehr  selten,  und  bei 
l^etron.  39  treten  zugleich  die  Vulgärformen  hoc  und  illoc  an  die 
Stelle  von  huc  und  illuc:  Cancer  et  hoc  et  illoc  quadrat.  Vgl. 
Arch.  VII  332.  458.  Häufiger  ist  nunc  .  .  nunc,  und  zwar  schon 
bei  Lucr.  2,  131  reverti,  nimc  huc  nimc  illuc,  in  cunctas  undique 
partis.  Verg.  Aen.  4,  285  atque  animum  nunc  huc  celerem,  nunc 
dividit  illuc.  5,  701  nunc  huc  ingentis,  nunc  illuc  pectore  curas 
mutabat  versans.  Manil.  2,  904  nunc  huc  nunc  illuc  sortem  mu- 
tantis  utraque:  ebenso  3,  167  am  Anfange  des  Hexameters.  Sen. 
Med.  938  variamque  nunc  huc  ira,  nunc  illuc  amor  diducit.  Si- 
lius  4,  323  molemque  profundi  (venti)  nunc  huc  alterno,  nunc 
illuc  ilamine  gestaut. 

tum  .  .  tum,  Cic.  div.  1,  120  ut  tum  huc,  tum  illuc  volitent 
alites,  timi  in  hac,  tum  in  illa  parte  (=  hie,  illic)  se  occultent, 
wie  Laelius  13  tum  hoc  tum  illud.  iam  .  .  iam.  Flor.  1,  33 
(2,  17),  8  per  partes  iam  huc,  iam  illuc  missi  duces.  Modo  ,  . 
modo  beginnt  mit  Catiül  3,  9  (passer)  circumsiliens  modo  huc 
modo  illuc;  15,7.  Cic.  div.  2,  145  coniecturam  modo  huc,  modo^ 
illuc  ducentium.  Das  älteste  Latein  jedoch  finden  wir  bei  Plau- 
tus  Tnic.  38  dum  huc  dum  illuc  (==  interdum,  interdum)  rete 
circuravortit.     Vgl.  Arch.  II  234 ff. 

4.  hac  .  .  illac.  Plaut.  Rud.  213  hac  an  illac  eam,  incerta 
sum  consili.  Ter.  Heaut.  512  hac  illac  circumcursa;  Eun.  105 
plenus  rimarum  sum,  hac  atque  illac  perfluo.  Also  ursprünglich 
archaisch,  und  im  Vulgärlatein  bei  Petron  57  erhalten:  habebam 
in  domo,  qui  mihi  pedem  opponerent  hac  illac.  Apul.  met.  8,  4 
genis  hac  illac   iactatis.     Die  Tacitusstelle  (Agr.  28)   müssen  wir 


Zur  Geschichte  der  Pronomina  demonstrativa.  II.        249 

darchaus  beiseite  lassen^  da  sie  auf  Konjektur  beraht,  imd  zwar 
einer  sehr  unwahrscheinlichen:  hac  atque  illac  rapti. 

Kopulativ  und  (U^junliiv.  Ter.  Eun.  105  hac  atque  illac 
perfluo.  Cels.  7,  7,  14  hac  atque  illac  movetur.  —  Tib.  4,  1,96 
sive  hac  sive  illac  veniat  gravis  impetus  hastae.  —  Plin.  epist. 
2,  17,  18  dies  modo  brevior  modo  longior  hac  vel  illa  (illac 
jüngere  Handschriften)  cadit. 

Natürlich  sind  diese  Ausdrücke  nicht  an  Doppelglieder  ge- 
bunden, sondern  sie  entwickeln  sich  öfters  zu  gröfseren  Reihen, 
namentlich  in  der  Kaiserzeit.  Vgl.  Silius  10,  312  hie  .  .  hie  .  . 
illic  .  .  hie  .  .  passim;  10,  403  hie  .  .  hie  .  .  illic  .  .  passim.  Sta- 
tins silv.  1,  6,  67  huc  .  .  hie  .  .  hoc  .  .  illo  .  .  illic  .  .  hie. 

II.  Hie  .  .  hie.  Man  liest  zwar  bei  Raph.  Kühner,  ausführl. 
Grammni.  der  lat.  Spr.  11  679  in  dem  Kapitel  über  die  'Ein- 
teilungssätze', erst  seit  Livius  finde  man  hinc  .  .  hinc,  von  der 
einen,  von  der  anderen  Seite,  nicht  aber  hie  .  .  hie,  sondem  nur 
hie  .  .  illic.  Dies  ist  als  Endergebnis  einer  zwei  tausend  jährigen 
Beschäftigung  mit  der  lateinischen  Grammatik  recht  wenig.  Denn 
man  kann  doch  die  Adverbia  von  den  andern  Pronominalformen 
nicht  abtrennen,  und  dann  wird  man  auch  über  Livius  hinaus- 
kommen. Beispielsweise  war  Servius  ein  so  gründlicher  Plautus- 
kenner,  dafs  er  nach  Cic.  epist.  9,  16,  4  sagen  konnte:  hie  versus 
Plauti  non  est,  hie  est.  Dies  ist  nun  freilich  kein  Einteilungs- 
satz,  sondem  mit  hie  und  hie  werden  nur  zwei  beliebige  Bei- 
spiele herausgegriffen,  aber  die  Mitteilung  in  einem  Briefe  zeigt 
uns  auch,  dafs  man  so  im  Konversationsstile  sich  ausdrückte, 
gerade  wie  Hör.  a.  poet.  139  den  Ton  der  Umgangssprache  nach- 
bildet in  den  Worten:  corrige,  sodes,  hoc  (aiebat)  et  hoc,  und 
Lucian  Müller  bemerkt  dazu,  das  klassische  Latein  würde  hoc  .  . 
illud  verlangen.  Ebenso  beurteilt  er  Hör.  sat.  1,  1,  112  ut  .  .  hunc 
atque  hunc  superare  laboret,  und  gerade  Horaz  hat  eine  Vorliebe 
für  diese  Ausdrucks  weise.  Vgl.  a.  poet.  45  hoc  amet,  hoc  sper- 
nat  promissi  camiinis  auctor;  363  haec  (pictura)  amat  obscurum, 
volet  haec  sub  luce  videri;  365  haec  placuit  semel,  haec  decies 
repetita  placebit.  Vgl.  Wölfflin,  Gemination,  Münchn.  Sitz.-Ber. 
6.  Mai  1882,  S.  434  Note.  Die  geschichtliche  Betrachtung  mul's 
sogar  bis  auf  Plautus  zurückgehen,  Capt.  1011  pater  liic  est,  hie 
servos;  1018  tibi  pater  hie  est,  hie  für  est  tuos.  Dann  kommt 
man  zu  Vergil  ecl.  4,  56  huic  mater  quamvis  atque  huic  pater 
adsit.     Aen.  8,  357    hanc   lanus   pater,   hanc    Satumus    condidit 


250  Meader-Wölfflin: 

arceiii.  Durch  Vergil  aber  ist  wieder  Tacitus  beeinflufst,  bist. 
4,  55  lulius  Tutor  et  lulius  Sabinus,  hie  Trevir,  hie  Lingouus; 
ann.  14,  8  hi  molium  obiectus,  hi  proximas  scaphas  scandere.  lu 
seiner  Erklärung  der  Historienstelle  hat  Heraeus  den  Zusammen- 
hang richtig  erkannt,  wenn  ihm  auch  die  Stellung  des  Horaz 
verborgen  geblieben  ist.  Min.  Fei.  40  gaudere,  quod  hie  credi- 
derit  et  hie  vicerit,  wo  es  sich  nur  um  einen  Heiden  und  einen 
Christen  handelt.  Scr.  h.  A.  Avid.  Cass.  2,  8  haec  de  Cassio  Verus, 
haec  Marcus. 

Die  Beziehung  von  hie  .  .  auf  beliebige  Beispiele  begegnet 
uns  auch  bei  Terent.  Ad.  410  hoc  facito  .  .  hoc  fugito  .  .  hoc 
laudist  .  .  hoc  vitio  datur.  Ad.  425  hoc  salsumst,  hoc  adustumst, 
hoc  lautumst  parum;  illud  recte.  Damit  ist  nicht  gleich  Hör. 
aat.  1,  4,  134  rectius  hoc  est.  Hoc  faciens  vivam  melius,  da  in 
diesem  Selbstgespräche  in  beiden  Sätzen  hoc  dasselbe  bedeuten 
könnte  (wogegen  freilich  das  folgende  hoc  quidem  non  belle 
spricht),  und  im  ersten  quam  illud  in  Gedanken  zu  ergänzen  ist. 
Die  genauere  Interpretation  solcher  Stellen  glauben  wir  übrigens 
ersparen  zu  können,  da  die  meisten  dem  Leser  bekannt  sind  und 
der  Leser  aus  dem  Belegmateriale  mehr  lernt  als  aus  dem  gram- 
matischen Raisonnement  ohne  zahlreiche  Citate.  Li  der  Prosa 
beginnt  der  (xebrauch  mit  Coniif.  2,  40  hoc  out  hoc  fecissem, 
und  Cicero  übernahm  ihn  daher  De  invent.  1,  99  cum  vobis  hoc 
i't  hoc  sit  demonstratum,  ohne  jedoch  denselben  weiter  sich  an- 
zueignen. Vgl.  Schmalz,  Autib.  T'  593.  Es  bleibt  nur  hinzuzu- 
fügen, dafs  im  silbernen  Latein  namentlich  Quiutilian  diese  Aus- 
drucks weise  anerkannt  hat:  0,  1,  4  ad  preces  confugit,  cum  sciret 
haec  et  haec:  <>,  1,  3  quid  responsunis  sit  adversarius  his  et  his: 
9,  4,  12S  historia,  quoniam  lubrica  est,  hac  et  hac  (illac  Konjek- 
tur) fluit;  4,4,8  ego  hoc  dico,  adversarius  hoc.  Hör.  sat.  1,  112 
ut  .  .  hunc  af/iiic  hunc  superare  laboret.  Mit  doppelter  Disjunk- 
tion Verg.  Aen.  10,  9  quis  metus  aut  hos  aut  hos  anna  sequi  .  . 
siiasitV  (Rutuler,  Troianer).  Pers.  5,  155  huncine  an  hunc  sequcris. 

Dieser  Sprachgebrauch  hängt  damit  zusammen,  dufs  in  Doppel- 
glied orn  auch  hie  .  .  hie  im  Sinne  von  hie  .  .  ille  verwendet  wurde. 
Verg.  Aen.  (),  773  hi  tibi  Nomentum  et  Gabios  urbemque  Fide- 
nani,  hi  Collatiuas  imponent  montibus  arces;  7,  506  inprovisi 
udsunt,  hie  torre  armatus  obusto,  stipitis  hie  gravidi  nodis;  1,  106 
hi  .  .  his;  und  schon  georg.  4,  84  dum  gravis  aut  hos  aut  hos 
versa  fuga  victor    dare    terga  subegit.     Hör.  epist.  1,  17,  39  hie 


Zur  Geschichte  der  Pronomina  demonstrativa.  II.        251 

onus  horret  —  hie  subit  et  perfert.  Oft  bei  Lucan  2,  30  hae 
lacrimis  sparsere  deos,  hae  pectora  duro  adflixere  solo;  2,  252 
hos  .  .  hos;  3,  687  hie  .  .  hie;  6,  198  hunc  .  .  hunc;  7,  375  haec 
.  .  haec;  8,  196  hos  .  .  hos;  10,  489  hos  .  .  hos.  Statins  Theb. 
2,  246  hi  .  .  hi;  2,  710  huie  .  .  huic. 

Die  Kunst  der  Dichter  und  die  Nachahmung  der  silbernen 
Latinität  hat  sogar  zu  dreifachen  und  vierfachen  Gliedern  geführt. 
Verg.  georg.  2,  505  hie  .  .  hie  .  .  hunc;  Aen.  7,  473  hunc  .  .  hunc 
.  .  hunc.  Hör.  sat.  1,  3,  49  parcius  hie  vivit:  frugi  dicatur.  In- 
eptus  et  iactantior  hie  paulo  est.  Hör.  epist.  2,  2,  67  hie  viermal. 
Lucan.  2,  154  hie  dreimal.  Statins  silv.  2,  2,  50  haec  .  .  haec;  his 
.  .  his.  4,  3,  50  hi  .  .  hi  (illi  .  .  hi).  Silius  17,  482  hie  .  .  hie  .  . 
hos  .  .  homm.  Dieses  poetische  Kolorit  gefiel  dem  Florus  2,  33 
(4,  12),  53  mox  ipse  praesens  hos  deduxit  montibus,  hos  obsidi- 
bus  adstrinxit,  hos  sub  Corona  iure  belli  venundedit.  Auffallen- 
der dagegen  ist  eine  Stelle  der  lateinischen  Bibelübersetzung 
3Jatth.  13,  23  x«i  :toiel  6  ^hv  ixaröv^  ö  dh  £|r/xovT«,  ö  di  tqlcc- 
xovta,  was  die  Vulgata  mit  aliud  .  .  aliud  .  .  aliud  übersetzt,  der 
C  odex  Bobbiensis  dagegen  mit  hoc  .  .  hoc  autem  .  .  hoc  autem, 
doch  wohl  um  das  griechische  de  nicht  verloren  gehen  zu  lassen. 
Vgl.  auch  die  ITbersetzungen  der  Parallelstelle  Matth.  13,  8. 

Die  längeren  Reihen  können  indessen  auch,  wie  wir  bereits 
oben  S.  245  gesehen  haben,  gemischt  sein,  namentlich  durch  das 
IVonomen  alius  oder  das  Substantiv  pars.  Die  Epiker  des  ersten 
Jahrhunderts  erlauben  sich  dies,  und  Historiker  wie  Curtius  und 
namentlich  Tacitus  als  Freund  der  variatio  sind  ihnen  nachgefolgt. 
Vgl.  Lucan  10,  12H  hos  .  .  alios  .  .  haec  .  .  pars  .  .  pars  .  .  iuven- 
tus.  Stat.  Theb.  3,  129  hae  .  .  hae  .  .  pars  .  .  pars.  (^urt.  9,  9,  12 
hi  .  .  hi  .  .  quidam  .  .  aliae  navium.  Tac.  bist.  3,  55  his  .  .  alios; 
ami.  1,  18  hi  .  .  illi  .  .  plurimi;  2,  13  hie  .  .  alius  .  .  plurimi;  4,  50 
his  .  .  aliis  .  .  erant  qui;  13,  39  hos  .  .  alios  .  .  multos;  14,  8  hi 
.  .  hi  .  .  alii  .  .  quidaiu.     luven.  1,  46  hie  .  .  hie  .  .  Marius. 

Diese  Geschmacksriehtimg  oder  dieses  Stilgefühl  mufsten 
notwendig  ihren  Reflex  in  dem  Adverbial  gebrauche  finden,  sodaTs 
hie  ..  hie  für  hie*  . .  illic,  alibi  . .  alibi,  Ivd^a ^liv  . .  tv^ic  06  gebraucht 
wurde.  Doch  ist  dies  in  dieser  Form  nur  selten  geschehen,  wie 
Silius  3,  547  hie  sanguine  niulto  infectae  rubuere  nives,  hie  nescia 
vinci  paulatim  glacies  cedit  tepefacta  cruore;  8,  395  hie  Seaptia 
pubes,  hie  Fabrateriae  vulgus.  Dafs  die  Form  nicht  vorkomme, 
wie  Külmer  angiebt,  beruht  demnach  auf  Irrtum. 


2o2  Meader-Wölfflin: 

Viel  häufiger  und  älter  ist  hinc  .  .  hinc,  besonders  beliebt 
in  asyndetischen  Doppelgliedem  bei  Livius.  Wenn  man  jedoch 
das  Vorbild  in  dieser  Form  bei  Vergil  sucht,  so  findet  man  es 
da  nicht,  sondern  nur  syndetisch  hinc  atque  hinc,  und  Moritz 
Müller  im  Anhange  zu  Liv.  1,  18,  2  schlägt  daher  hier  die  Brücke: 
indessen  werden  wir  weiter  unten  dreifaches  hinc  bei  Lucretius 
nachweisen.  Die  citierte  Liviusstelle :  Sabinae  mulieres  hinc 
patres,  hinc  viros  orantes  ist  dadurch  bemerkenswert,  dafs  die 
Worte  von  dem  Anon.  de  vir.  ill.  2,  9  abgeändert  sind  in:  hinc 
patres,  inde  coniuges  deprecatae  pacem  conciliarunt,  sei  es  nach 
persönlichem  Cxeschmacke,  sei  es  nach  dem  Vorgange  der  Epitoma 
Livii.  Es  folgen  3,  23,  7  hinc  Volscos,  hinc  Aequos  populantes: 
1),  15,  3  hinc  senatus,  hinc  plebs;  8,  35,  8  hinc  magistro  equitum, 
hinc  dictatori  gratulantes.  10,  39,  U);  und  noch  häufiger  in  der 
dritten  Dekade.  Zunächst  schliefst  sich  Curtius  an;  Sen.  dial. 
2,  2  hinc  Clodius,  hinc  Vatinius;  Tacitus  nur  Agr.  25  hinc  terra, 
hinc  öceanus,  weil  er  später  hinc  .  .  inde  vorzieht.  Von  den 
Epikern  beteiligen  sich  Lucan,  Statius  und  Silius,  letzterer  mit 
sehr  zahlreichen  Beispielen. 

Kopulativ  verbunden  gebraucht  schon  Lucr.  hinc  et  hinc 
(),  89;  dann  Hör.  epod.  2,  31  aut  trudit  acres  hinc  et  hinc  multa 
CÄue  apros;  5,  97  vos  turba  vic4itim  hinc  et  hinc  saxis  petens. 
Petr.  79  (vers.)  et  transfudimus  hinc  et  hinc  labellis  errantes  ani- 
mas.     Stat.  silv.  4,  3,  47. 

Mit  atqtie.  Verg.  Aen.  1,  102  hinc  atque  hinc  vastae  rupes 
.  .  minantur;  4,  447  adsiduis  h.  a.  h.  vocibus  heros  tunditur: 
12,431  Germ.  Arat.  50  serpens  sinuosa  volumina  torquet  h.  a.  h. 
Stat.  silv.  2y2j  14  und  Theb.  7,479  im  Anfang  des  Hexameters; 
ebenso  Silius  1,  375.  4,  274.  Dracontius.  (Stat.  silv.  3,  5,  74  hinc 
.  .  at  hinc.     Silius  17,  251  hinc  .  .  atque  hinc.) 

Huc  .  .  huc.  Gatull  f)l,  34  ut  tenax  hedera  huc  et  huc  arbo- 
rem  implicat  errans.  Hör.  epod.  4,  9  ut  ora  vertat  huc  et  hu(*> 
euntium  liberrima  indignatio.  Sen.  Med.  385  talis  recursat  huc  et 
huc  motu  effero.  —  Stat.  silv.  1,  3,  38  huc  oculis,  huc  mente  tra- 
lior.  Silius  9,  3(50  huc  atque  huc  it  summa  seges  nutansque 
vicissim;  8,614  huc  atque  huc  iactas  accendit  belua  flammas. 

Hac  .  .  hac  kommt  nur  bei  Dichtern  imd  selten  vor.  Verg. 
Aen.  1,  407  hac  fugerent  Grai .  .  hac  Phryges.  Hör.  epist.  2,  2,  75 
hac  rabiosa  fugit  canis,  hac  lutulenta  mit  sus.  Prop.  1,  3,  14 
quamvis  duplici  correptum  ardore  iuberent  hac  Amor,  hac  Liber. 


Znr  Geschichte  der  Pronomina  demonstrativa.  IL         253 

Ov.  am.  3,  11,  34  hac  amor,  hac  odium.  Stat.  Theb.  9,  762  exsilit 
hac  ferrum,  velox  hac  pinna  remansit.  Pomp.  comm.  Don.  (Gramm. 
V  105,  31)  Mala,  hac  ha})et  a  et  hac  habet  a,  inter  duas  vocales 
invenitur  i. 

Als  Beispiel  einer  längeren  adverbialen  Reihe  eitleren  wir 
noch  Silius  Italiens  5,  198  hinc  pariter  rupes,  lacus  hinc,  hinc 
arma  simulque  eonsona  vox  nrget. 

in.  nie  .  .  nie.  Wenn  man  die  Formel  hie  .  .  ille  in  hie 
.  .  hie  umbilden  konnte,  so  bedurfte  es  nur  eines  einzigen  Schrittes, 
um  zu  ille  .  .  ille  zu  gelangen.  Der  erste  Beleg  findet  sich  sogar 
bereits  bei  Ter.  Phorm.  332  in  illis  fructus  est,  in  illis*)  opera 
luditur.  Die  Parallelen  aber,  welche  Madyig  Advers.  crit.  II  5()5 
aus  Quintilian  beigebracht  hat,  passen  nur  zum  Teile.  Der  Um- 
stand, dafs  Cicero  die  Ausdrucksweise  in  seiner  Jugendschrift  de 
invent.  1,  98  zuläfst  (illud  docuimus,  illud  planum  fecimus),  später 
jedoch  vermeidet,  weist  darauf  hin,  dafs  sie  gerade  so  familiär 
war  wie  das  oben  besprochene  hie  et  hie.  Die  Bedeutung  bei. 
Terenz  deckt  sich  mit  alii  .  .  alii,  ol  iihv  .  .  oi  öi.  In  anderem 
Sinne  schreibt  Sueton  div.  lul.  41,  Caesar  habe  oft  an  die  Wahl- 
körper Billets  gesandt  des  Inhaltes:  commendo  vobis  illum  et 
illum,  wie  wir  sagen  'den  und  den'  (den  Herrn  so  und  so),  weil 
der  Name  zwar  in  dem  einzelnen  Falle  ein  bestimmter,  mit  Hin- 
sieht  auf  die  vielen  Fälle  jedoch  jedesmal  ein  anderer,  also  un- 
bestimmter war.  Es  verlohnt  sich,  was  wir  über  die  Entwicke- 
lung  wissen,  zusammenzustellen. 

Den  Gebrauch,  dafs  ille,  ille  in  zwei  Teile  zerlegt,  finden 
wir  auch  bei  Manilius  2,  185  (sentit  iiterque  calorem)  ille  sene- 
scentis  veris,  subeuntis  et  ille  aestatis;  mehrmals  bei  Lucan.  4,  f)3() 
conflixere  pares,  telluris  viribus  ille,  ille  suis  (Antaeus,  Hercules),  mit* 
chiastischer  Stellung;  vgl.  V.  012.  015.  Unzweifelhaft  gehört  auch 
Quintilian  hierher,  2,  9,  12  in  illo  lentiore  tarditatem  aut  in  illo 
praecipiti  (vorher  alteri  .  .  alteri,  Ephorus,  Theopomp)  concita- 
tionem  adiuvandam,  wo  man  freilich  das  Pronomen  als  bestimm- 
ten Artikel  interpretieren  könnte;  3,  (3,  93  ille  .  .  ille  (Cicero, 
Brutus);  11,  3,  1(38  neque  ille  .  .  nee  ille  (Demosthenes,  Aeschines). 
Plin.  epist.  1,  23,  3  vel  ille  cui  adessem  vel  ille  quem  contra; 
G,  20,  15  illud  ruisse,  illud  ardere  nuntiabant,     Sen.  epist.  39,  1 


*)  Auf  Grund  der  Variante  his  verbessert  L.  Havel  hibus.     Vgl.  unten 
S.  282.  DieKed. 


254     Meader-Wölfflin:  Zur  Gesch.  d.  Pronomina  demonstr.  IL 

illum  auf  illum.  luven.  10,  91  Uli  summas  donare  curules,  iilnm 
exercitibus  praeponere.  Besonders  lehrreich  ist  die  Stelle  bei 
Manilius  2,  518 

audire  ut  cupiant  alios,  aliosque  videre, 
horum  odio,  nunc  horuni,  idem  dueantur  amore, 
Ulis  insidias  tendant,  captentur  ab  illis. 
Lehrreich  nicht  nur,  weil  sich  in  gleicher  Bedeutung  alii  alii,  lii 
hi,    illi   illi  entsprechen,    sondern   weil  der  des  Lateinischen  be- 
kanntlich nicht  vollkommen  kundige  Dichter  ein  pluralisches  Paar 
illi  .  .  illi  gebraucht  hat,  während  der  gute  Sprachgebrauch  nicht 
über  den  Singular  hinausgegangen   ist.     Sogar  Petron    hat    sich 
diesem  Kanon  unterworfen  115  illum   beUantem  arma  decipiunt, 
illum  dis  vota  reddentem  penatium  suorum  ruina  sepelit;  124,  22i> 
(vers.)  ille  manu  pavida  natos  tenet,  ille  penates  occultat  greniio. 
Pomp.  comm.  Don.  (Gramm.  V  205,  Irt)  et  illud  lectum  et  illud  .  . 
ad  illud  debes  consentire  et  illud  in  usu  habere.     Für  den  Plural- 
gebrauch vgl.    noch    Silius    4,  317   (Itali,    Tyrii)   aut   illi  .  .   aut 
illi.  —  Dreifaches  ille  giebt  luven.  2,  95  S. 

An    den    aus    Sueton    belegten    Gebrauch    nähert    sich    eine 
Parallele  aus  Martial  7,  10,  1 : 

quid  ad  te, 
de  cute  quid  faciant  ille  vel  ille  suaV 
Wir  sagen:  der  X  oder  Y.  Noch  genauer  stimmt  der  An- 
fang eines  Ediktes  bei  Lamprid.  Alex.  Sev.  45,  2:  illa  die,  illa  hora 
ab  urbe  sum  exiturus,  weil  im  einzelnen  Edikte  Zahl  und  Datum 
bestimmt  war,  der  Scliriftsteller  aber  dafür  nur  ein  hinweisendes 
Pronomen  einsetzte.     [Fortsetzung  folgt.] 

Die  Origiiialabhandlung    des   H.   Dr.  Meader    wird    in   eng- 
lischer Sprache  veröffentlicht  werdeD. 

München.  Meader-Wölfflin. 


Die  römische  Soldatensprache. 

Die  Eigensprache  bestimmter  Stände  und  Berufszweige,  das, 
was  man  ihren  „Jargon"  nennt,  zum  Gegenstand  systematischer 
Erforschung  und  wissenschaftlicher  Betrachtung  zu  machen,  ist 
eine  Aufgabe,  die  sich  erst  die  vorgeschrittene  Wissenschaft 
unserer  Tage  stellen  konnte.  Zwei  mustergültige  Monographien 
dieser  Art  hat  im  vergangenen  Jahrzehnt  die  Germanistik  hervor- 
gebracht: 1895  veröffentlichte  Fr.  Kluge  seine  „Deutsche  Studenten- 
sprache", 1899  P.  Hom  seine  „Deutsche  Soldatensprache".  Auch 
die  Latinistik  hat,  nachdem  das  Interesse  für  die  Untersuchung 
der  Sprache  der  einzelnen  Autoren  allmählich  erlahmt  ist,  der 
Trieb  ergriffen,  die  Sondersprache  der  einzelnen  Klassen  von 
Menschen  zu  erforschen,  ihren  Anteil  an  der  Wortschöpfung  fest- 
zustellen. Den  Anfang  machte  W.  Kalb  mit  der  Juristeusprache 
(Roms  .luristen  nach  ihrer  Sprache  dargestellt,  1890;  vgl.  Archiv 
VIII,  190).  Ihm  ist  jetzt  ein  junger  Giefsener  Philologe  J.  G. 
Kempf  gefolgt  mit  der  Darstellung  der  römischen  Lagersprache, 
einem  latinistischen  Seitenstiick  zu  Homs  deutscher  Soldaten- 
sprache, in  der  soeben  erschienenen  Abhandlung  'Komanoruui 
sermonis  castrensis  reliquiae  coUectae  et  Ulustratae'  («lalirb.  f. 
klass.  Phil.  Suppl.  XXVI,  340—400)*).  Die  Bedeutung  dieses 
Unternehmens  und  das  vom  Stoff*  gebotene  Interesse  rechtfertigen 
es  wohl,  w^enn  wir  die  Leser  des  Archivs  mit  der  A])handlung 
etwas  näher  bekannt  machen,  als  es  in  einer  Besprechung  im 
Anzeigenteil  der  Zeitschrift  geschehen  könnte. 

Schon  ein  Vergleich  des  äufseren  Unifangs  des  S]>rach- 
materials,  das  die  Germanisten  einerseits,  die  Latinisten  anderer- 
seits gesammelt  haben,  ist  freilich  geeignet,  die  alte  Klage  über 
die  Trümmerhaftigkeit  der  römischen  Litt(*ratur  heiTorzurufen. 
Wo  stehen  auch  dem  Latinistt»n  so  reichhaltige  und  vielseitige 
(Quellen  zur  Verfügung,  wie  sie  Kluge  ])eis])ielswei8e  in  der  burschi- 

*;  Auch  »eparat  erschienen. 


256  W.  Heraeus: 

kosen  Scliriftstellerei  des  Fr.  (?hr.  Lankhard  (vom  grofsen  Griiiim- 
schen  Wörterbuch  ganz  übersehen!),  Hom  im  Simplicissimus,  in 
Fronspergers  Kriegsbuch,  in  Moscheroschs  Soldatenleben,  um  aus 
der  Fülle  nur  einiges  zu  nennen,  benutzen  konnte?  Schon  da- 
durch hatten  die  Germanisten,  die  überdies  eine  lebende,  in  der 
Entwicklung  begriflfene  Sprache  vor  sich  haben,  einen  bedeutenden 
Vorspnmg,  nicht  minder  dadurch,  dafs  sie  nicht  ganz  ohne  Vor- 
gänger waren,  so  unwissenschaftlich  auch  die  Vorarbeiten  früherer 
Jahrhunderte  waren.  Aber  wo  fliefsen  Quellen  für  die  römische 
Soldatensprache?  Hätte  uns  ein  günstiges  Geschick  den  satirischen 
Roman  des  Petronius  vollständig  erhalten,  wer  weifs,  ob  wir  nicht 
den  Jargon  des  miles  gregarius  uns  so  lebhaft  vorstellen  könnten, 
wie  die  Mischsprache  der  Libertinen  in  den  Trümmern  des  15. 
\md  16.  Buches?  So  mufsten  die  spärlichen  Reste  der  römischen 
Lagersprache  zusammengesucht  werden  aus  den  Kriegsschrift- 
stellem,  Historikern*),  Scholien,  Grammatikern,  Inschriften,  Glossen, 
ein  mühseliges  Werk  voll  schmerzlicher  Resignation,  die  auch 
durch  die  Arbeit  gelegentlich  durchklingt,  so  oft  auch  die  Freude 
des  Findens  nach  langem,  vergeblichem  Durchsuchen  den  Ver- 
fasser belohnt  haben  mag.  Und  mit  Bienenfleifs  hat  Kempf  ge- 
sammelt, hat  manchen  Beitrag  zur  Aufhellung  der  bei  dem  Völker- 
gemisch des  römischen  Heeres  und  bei  ihrer  steten  Berührung 
mit  fremden  Nationen  nicht  verwunderlichen  Dunkelheit  der 
Soldatensprache  gebracht,  auch  eine  allgemeine  Charakteristik 
derselben  zu  geben  versucht  (p.  394  fif.).  Freilich  wäre  der  Um- 
fang des  sprachlichen  Materials  ein  wesentlich  ansehnlicherer  ge- 
worden, wenn  das  Thema  weiter  gesteckt  w^orden  wäre.  Aber 
mit  Recht  hat  K.  die  Untersuchung  beschränkt  auf  die  Soldaten- 
sprache im  engeren  Sinne,  die  Lagersprache,  dagegen  die  Militär- 
oder Heeressprache  abseits  gelassen.  Man  suche  also  in  der  Ar- 
beit nicht  auch  eine  Zusammenstellung  der  offiziellen  und  so  in 
der  Litteratursprache   gebräuchlichen   termini  technici    der   römi- 

*)  Diese  siud  verhältnismäl'sig  die  ergiebi^teii ,  besonderH  Suetou,  die 
Scriptores  hißt.  Aug.,  Ammian,  Aur.  Vict.  epit. ,  Caesar,  der  Verfasser  des 
Ijclluin  Hispanieiise,  aus  dem  schon  Albr.  Koehler,  Act.  sem.  Erl.  I,  367  if. 
verschiedene  Ausdrücke  der  Lagersprache  vindicierte,  wie  aquilae  =  le- 
giones  (s.  S.  262),  den  Gebrauch  von  vigiles  für  vigiliae  (sonst  nur  bei 
Hirtius),  von  bracchium  für  einen  Teil  einer  Befestigungslinie  =  munitio 
oder  niui-us,  wie  Caesar  sagt,  während  Livius  und  spätere  den  Soldaten- 
ausdruck bereits  als  terminus  technicus  der  Kriegskunst  anwenden. 


Die  römische  Soldatensprache.  257 

sehen  Kriegskunst,  Soldatenchargen,  Kommandoworte  und  ähn- 
liche auch  interessante  Dinge.*)  So  ist,  um  nnr  ein  Beispiel 
anzuführen,  wohl  campum  colligere,  was  Vegetius  r.  m.  III,  2b 
als  Soldat^nausdruck  für  spolia  Ugere  oder  capfre  bezeichnet,  auf- 
genommen, nicht  aber  rasa  colli  ff (re  o.  ä.*  Dafs  freilich  eine  strenge 
Scheidung  zwischen  Soldatensi)raclie  und  Heeressprache  nicht  immer 
möglich  ist,  ist  Kempf  nicht  entgangen:  gar  oft  mögen  ja  ur- 
sprünglich von  Soldaten  geprägte  Wörter  oder  Phrasen  zum  offi- 
ziellen terminus  technicus  geworden  sein.  Aber  alles  irgendwie 
Unsichere  hat  K.  unberücksichtigt  gelassen  gemäls  seiner  Defini- 
tion (p.  343)  ^sermonem  castrensem  eum  intellectum  velim,  quem 
comprobari  aut  saltem  fide  quadam  conici  potest  gregarius  niiles 
ipse  sibi  formasse  Tel  usurpasse,  ita  ut  ab  iis,  qui  communi  ser- 
moni  studebant,  alienus  ac  militum  modo  proprius  esse  sentiretur 
ideoque  evitandus  putaretur'.  Also  Merkmale:  durch  ausdrück- 
liche Zeugnisse  erwiesener  oder  aus  Anzeichen  wahrscheinlicher 
Ursprung  vom  gemeinen  Soldaten  und  Meidung  des  von  der  ge- 
wöhnlichen Sprache  abweichenden  Ausdrucks  seitens  der  Schrift- 
steller. Einfach  liegt  die  Sache,  wo  geradezu  ein  Ausdruck 
Vastrense  verbum'  genannt  wird,  wie  conterraneus  von  Plinius 
im  Eingang  der  Vorrede  seiner  Naturgeschichte;  aber  oft  läfst 
sich  nur  ein  hoher  Grad  von  Wahrscheinlichkeit  erreichen.  Dal's 
Vorarbeiten  dem  Verf.  nicht  vorlagen,  ist  schon  bemerkt;  die 
römischen  Altertumsforscher  haben  wohl  Vocabula  militaria'  zu- 
sammengestellt in  Büchern  Me  militari  disciplina'  nach  dem  Zeugnis 
von  Qellius  n.  A.  X,  \\  allein  diese  beziehen  sich  wesentlich  auf 
die  „Heeressprache",  wie  die  von  Gellius  angeführten  Austlrücke 
'frons,  subsidia,  cuneus,  orbis,  globus,  forfices,  serra,  alae,  turres'**) 


*)  UiiHrer  dienstlichen  Meldung  „Befehl  ausgeführt'*  ent^^pricht  genau 
factum  est  quod  imperncisti,  welche  Form  zu  erbchliefsen  ist  aus  der  in- 
direkten Redeweise  Tac.  ann.  I,  6  nuatianti  centurioni,  ut  mos  miUtiae,  fac- 
tum esse  qwjd  imperassft  ivgl.  Suet,  Tib.  22.  Claud.  2',)). 

•*)  Die  drei  selteneren  Arten  von  Schlachtordnungen:  forfe.c,  serra  und 
turris  finden  sich  merkwürdigerweise  auch  in  dem  Fragment  zusammen- 
gestellt, das  Fest.  p.  344'\  11  s.  v.  serra  proeliari  aus  Catos  Schrift  erhalten 
hat  ^'sive  forte  opus  sit  cuneo  aut  gloho  aut  forcipe  aut  turrihils  aut  serra, 
nti  adoriare',  forf'e.r,  bez.  forceps,  kommt  aucli  bei  Vegetius  und  Ammianus. 
serra  nur  noch  bei  Vegetius  vor.  während  das  von  Serv.  zu  Aen.  X,  428 
besprochene  vodus  (nodus  proprie  est  densa  peditum  multitudo,  sicut  turma 
equitum,  ut  lectum  est  in  disciplina  militari,  wörtlich  ausgeschrieben  von 
Ifiid.  or.  IX,  3,  60)  überhaupt  nicht   weiter  nachgewiesen  scheint  und  viel- 


258  W.  Heraeuß: 

zeigen,  und  sind  nicht  philologisch,  sondern  fach  wissenschaftlich, 
wie  des  älteren  Cato  noch  von  Vegetius  im  Anfang  des  5.  Jahr- 
hunderts n.  Chr.  benutzte  Schrift  'de  re  militari'  (Fragmente  bei 
Jordan,  rel.  Cat.  p.  80).  Natürlich  haben  auch  die  obigen  Schlaeht- 
ordnungsarten  keine  Stella  bei  K.,  wohl  aber  vaput  porci,  bezw. 
c.  porcinura,  nach  Animian  XVII,  13,  9  von  der  ^simplicitas  niili- 
taris'  so  genannt  und  auch  von  Veget.  ÜI,  10  mit  *milites  nonii- 
nant'  eingeführt.  Hier  haben  wir  echtes  Sprachgut  des  senno 
castrensis  vorliegen,  selbst  wenn,  wie  K.  p.  369  A.  vermutet,  der 
Ausdruck  blofse  Übersetzung  eines  germanischen  wäre  (vgl.  die 
Erklärer  zu  Tac.  G.  C,  bes.  MüllenhoflF,  Deutsche  Altertumskunde 
IV,  180).  Andererseits  stellt  sich  drun/jus  =  globus  bei  Veget.  1.  c. 
und  Vop.  Prob.  19,  2  als  eins  der  zahlreichen  ins  Lager  einge- 
drungenen Fremdw()rter  dar,  nach  K.  keltischen  Ursprungs. 

Die  Anordnimg  der  Sammlimg  selbst  (p.  347 — 363)  hat  K. 
zweckmäfsig  so  gestaltet:  Die  reliquiae  minores  (A)  umfassen 
I.  nomina  rerum,  II.  nomina  locorum,  III.  interiectiones,  IV.  locu- 
tiones,  V.  nomina  hominum;  die  reliquiae  maiores  (B):  I.  canti- 
lenae,  II.  dicta  collectanea,  III.  inscriptiones  glandibus  plumbeis 
impressae.  Daran  schliefst  sich  ein  ausführlicher  Kommentar 
p.  ;)63 — 393.  In  der  1.  Abteilung  nehmen  die  Sach-  und  Personen- 
bezeichnungen den  breitesten  Raum  ein,  wie  zu  erwarten.  Hier 
erweist  sich  der  Soldatenwitz  besonders  schöpferisch,  so  in  dem 
schon  erwähnten  Ausdrucke  vaput  porci,  in  der  Anwendung  von 
noi'crca  von  Unebenheiten  des  Bodens  im  Lager  (Hyg.  m.  castr. 
57.  58),  in  der  Bezeichnung  der  zum  Tragen  der  sarcinae  dienenden 
gabelförmigen  Stöcke  als  mHli  Mariani  (Paul.  Fest.;  es  erinnert 
von  fern  an  den  „Affen"  unseres  Soldaten),  was  später  mifsver- 
ständlich  auf  Leute,  die  geduldig  die  schwersten  Lasten  tragen, 
angewendet  wurde  (Plut.  Mar.  13  und  Front,  strat.  IV,  1,  7).  In 
dieses  Gebiet  schlagen  auch  die  zahlreichen  von  Tiemamen  ent- 
lehnten Bezeichnungen  besonders  für  Belagerungsvorrichtimgen, 
wie  aries,  musculus,  testudo,  scorpius,  cuniculus,  papilio  u.  a. 
(Kempf  S.  394),  von  denen  sich  nur  vermuten  läfst,  dafs  sie  vom 
gemeinen  Manne  aufgebracht  sind;  da  sie  aber  durchaus  als  adop- 
tierte  Kunstousdrücke   in   der  Litteratur  erscheinen,    so    sind   sie 


leicht  doch  blofs  ein  Soldatenausdruck  ist.  Die  ganze  Notiz  des  GelliuB 
macht  mir  den  Eindruck,  als  hätte  er  sie  aus  eben  dieser  Catostelle,  die  er 
in  dem  Originalwerk  dos  Verrius  fand,  zusammengestellt. 


Die  römische  Soldatensprache.  259 

Ton  der  Betrachtung  ausgeschlossen.  Doch  dürfte  wohl  pnpilio 
=  Zelt  in  die  Reihe  der  Soldatenansdrücke  unbedenklich  aufge- 
nommen werden.  Kempf  hat  an  das  Wort  wenigstens  in  einer 
Anmerkung  a.  a.  0.  einige  Bemerkungen  geknüpft,  die  darin  gipfeln, 
dafs  papilio  eine  bestimmte  Art  von  Zelten  bezeichne:  auffallend 
sei  wenigstens,  dafs  Hygin  in  der  Lagerbeschreibung  die  Zelte 
<ler  praetoriani  und  statores  tentorüi  nenne,  nicht  jHtpiliones*), 
die  auch  in  einem  Glossar  mit  tentoria  modica  erklärt  würden. 
Auf  letzteren  Umstand  möchte  kein  zu  grofses  Gewicht  gelegt 
werden  dürfen,  da  andere  Glossare  blofs  tentoria  bieten**),  die 
bilinguen  öxr^vi]  oder  öx^jvcjiia  geben  und  beschränkende  Zusätze, 
wie  modica,  sich  öfters  in  den  Glossen  nachweisen  lassen.  Doch 
könnte,  wie  Blümner  zum  Ed.  Diocl.  p.  149  vermutet,  noch  der 
Name  papilio  darauf  hindeuten,  dals  diese  Zelte  bunter  waren  als 
die  gewöhnlichen  tentoria.  Dafs  es  aber  ursprünglich  recht  eigent- 
lich ein  Soldaten  wort  ist  und  ein  Soldatenzelt  bezeichnet,  wenn- 
gleich es  später  allgemeiner  vom  Volk  angewendet  wurde  und 
80  in  die  romanischen  Sprachen  (it.  padiglione,  frz.  pavillon  etc.) 
unter  Verdrängung  von  tentorium  und  tabemaculum  überging, 
dafür  bieten  die  Fragmente  der  alten  Werdener  Glossen  ein  aus- 
drückliches Zeugnis  (J.  H.  Gallee,  altsächs.  Sprachdenkmäler,  1894, 
S.  354):  tenforiuni:  rasa  militarh  rel  taf)er}m/>ulum ,  qtiod  dirunt 
milites  papiliones.  Das  älteste***)  litterarische  Zeugnis  scheint 
Tertull.  martyr.  3  zu  sein:  nemo  miles  de  cubiculo  ad  aciem  pro- 
cedit,  sed  de  papilionibus  expeditis  et  substrictis,  wo  es  also  vom 
Soldatenzelt  steht,  während  schon  zur  Zeit  desselben  Schriftstellers 
in  den  Acta  fr.  Arval.  zum  Jahre  218  ein  jHipillio  (sie)  des  Arval- 
Magisters  erwähnt  wird.  Häufiger  wird  das  Wort  erst  seit  dem 
Anfang  des  4.  Jhdts.  Im  Maximaltarif  des  Diocletian  vom  J.  301 
wird  aufgeführt  eine  gefärbte  Decke  (ßccjtti]  iväQOfiig)  in  der  Breite 
und  Länge  von  16  Fufs  lg  (=  eig)  Ttanvkiibva   (der  latein.  Text 

*")  Einen  Unterschied  könnte  auch  Capitol.  tr.  tyr.  16  sigillata  tentoria 
et  aurati  papiliones  andeuten. 

*•;  Auch  Augustin  locut.  114  d.  Genes,  sagt  blofs   tentoria,  quos  etiam 
papili(/nes  cocant. 

***)  Schon  in  die  Zeit  Domitians  würde  dagegen  diese  Anwendung  des 
Wortes  hinaufgehen,  wenn  die  Genfer  Herausgeber  eines  hochinteressanten, 
Militärakten  enthaltenden  Papyrus  (Nicole  et  Morel,  archives  militaires  au 
1  si^cle,  Genf  1900 1,  worauf  Kempf  a.  a.  O.  hinweist,  richtig  gelesen  haben. 
Eine  Partie  dieser  Akten  hat  kürzlich  Mommsen  behandelt:  „Ägyptische 
Legionare",  Hermes  1900  S.  44H  tf. 


260  W.  Heraeus: 

ist  nicht  erhalten).  Dann  je  dreimal  in  den  Scr.  hist.  Aug. 
(Soldatenzelt)  und  der  Vulgata  A.  T.  (allgemein),  sehr  oft  bei 
Vegetius  r.  mil.  und  Hyg.  castr.  mun.,  um  von  Späteren  zu 
schweigen;  vgl.  Itoensch,  Itala  p.  319  f.  Dagegen  lieferte  dem 
Verf.  Caesar  b.  g.  VII,  73  bei  der  Schilderung  der  Belagerung 
von  Alesia  drei  Ausdrücke  für  Palissadierungen:  ('ip2)iis,  lUiuw, 
stitnidus,  die,  wie  schon  die  Art  der  Einführung  durch  'hos 
cippos  appellabant'  u.  ä.  zeigen,  keine  festen  termini  technici 
waren,  es  übrigens  auch  nicht  geworden  sind,  sondern  von  den 
Soldaten  ad  hoc  erfunden  wurden.  Lil'mm  erinnert  übrigens  an 
die  Art  Wolfsgruben,  die  calkfili  fecfi  in  der  sog.  allocutio  Ha- 
driani  C.  I.  L.  VIII,  2532  genaimt  werden.  Was  ri2)pas  betrifft,  so 
nimmt  Kenipf  mit  anderen  an,  dafs  die  Soldaten  bei  dieser  Namen- 
gebung  an  den  Gebrauch  von  cip])i  als  'Leichensteine'  dachten 
und  damit  auf  die  tötliche  Wirkung  des  Apparats  anspielten. 
Wir  möchten  das  allenfalls  als  Nebengedanken  gelten  lassen,  im 
übrigen  hinweisen  auf  einen  Gebrauch  von  ripjmSy  den  uns  eine 
bilingue  Glosse  lehrt  (in  den  reinlat.  Gl.*)  wird  das  Wort  über- 
haupt nicht  erklärt).  Während  nämlich  die  übrigen  bilinguen 
Glossen  nur  die  gewÖlmlichen  Bedeutungen  öTr/At/,  (Jti/'A?;  aTcb  Jt»- 
Aoi',  6x7\h]  xCyv  fivjjficcTiüVj  xoQfioi;  geben,  wird  in  dem  sog.  Phi- 
loxenus- Glossar  C.  Gl.  L.  II,  1(K),  53  (i])]nui  aul'ser  durch  fvf6g**\ 
kCd-tvoi;  xoQfLoc;  noch  durch  :Tüdoxäxi]  erklärt,  d.  h.  Fufsblock 
(Suidas  s.  v.  tb  ^rAoi'  ev  tc5  de6^wx)]Qi(p  orrcjs'  ixakilroX  Hält 
man  mit  dieser  Glosse  die  Worte  ("aesars  'quo  qui  intraverant, 
se  ipsi  acutissimis  vallis  induebant'  zusammen,  so  wird  der 
Soldatenwitz  erst   verständlich,    und    es    erledigen    sich   Verdäch- 


*)  Doch  will  Salmasius  zu  Tertull.  pall.  o  in  einem  Glossar  cippus  mit 
soUa  lig'n^a  erklärt  gefunden  haben.  Solea  ist  bei  Cicero  eine  Art  Fufs- 
fe8sol.  ZwangHHchuh. 

**)  Vnloanius  wollte  arvXog  cmondieren,  schcm  an  sich  kühn.  Wir 
wollen  lieber  aus  dieser  Glosse  ein  zweites  lernen,  dafs  nümlich  cijypus  auch 
für  einen  dummen,  albernen  Menschen  (tvto^  hat  ja  so  in  RpiVt<»rer  Zeit  seine 
urspninglicho  Bedeutung  „stumm,  taubstunmi*'  verallgemeinert),  einen  „Klotz** 
gebraucht  wurde,  wie  die  siimverwandten  siipcs,  tniticiis,  caudex  (s.  Otto, 
Sprichw.  der  Römer  h.  v.  stipes,  Friedländer  zu  Petr.  43».  tbrigens  galt 
das  Wort  cippus  überhaupt  nicht  als  fein,  wie  man  aus  Gell.  X\T,  7,  9  8icht, 
der  es  nicht  einmal  in  einem  Mimus  des  Laberius  gelten  lassen  will;  die 
betr.  Stelle  hat  er  leider  nicht  ausgeschrieben.  In  der  That  findet  sich  das 
VV^ort  nur  bei  Komikern  und  Satirikern  und  inschriftlich  ==  Leicheustein, 
.sonst  nur  bei  Technikern  =  Grenzstein. 


Die  römische  Soldatensprache.  2G1 

tigrmgen  der  überlieferten  Lesart  (Kraner  yermutete  cirros).  Diese 
Anwendung  von  cippus,  mit  der  man  die  von  candex^  codex  ver- 
gleichen kann^  muTs  nicht  ungewöhnlich  gewesen  sein^  man  sehe 
Alihochd.  Glossen  (ed.  Sievers  und  Steinmeyer)  III,  1,  4  cipims: 
stochy  Aldhelm  de  laud.  virg.  25  et  suras  iterum  cijyporum  vincula 
laedunt,  Osbem  Panorm.  p.  125  ed.  Mai:  cippus  ilhid,  in  quo  pedes 
reorum  constringuntiir,  Reichenauer  61.  n.  463  (Foerster-Roschwitz, 
altfrz.  Übgsb.  p.  12)  in  nervo:  in  eiiypo  (zu  Vulg.  lob  13,  27).  Auch 
ini  Romanischen  so:  ^ceppos  (=  ital.  ceppo)  hodie  vocamus,  quid- 
quid  pedes  vincire  potest'  sagt  Salmasius  zu  Tertull.  de  pall.  c.  5 
(wo  cipjw  nur  Konjektur  für  das  überlieferte  cnio).  Endlich 
kennen  die  Glossen  noch  ein  Verbum  incippare:  unter  den  sog. 
Isidor-Glossen,  die  Loewe  als  eine  Kompilation  Scaligers  aus  ver- 
schiedenen, meist  noch  erhaltenen  Glossarien  erkannt  hat  (C.  Gl. 
V,  601,  40),  findet  sich  itmpjmt  mit  indudit  erklärt,  wofür  schon 
de  la  Cerda  richtig  indiulit  vermutete,  was  dadurch  bestätigt  wird, 
dafs  in  dem  Glossar  'Abavus'  IV,  351,  47,  der  Quelle  Scaligers 
für  jene  Glosse,  zwei  Handschriften  in  der  That  indudit  bieten.*) 
Ein  Seitenstück  zu  diesem  ificippare  bietet  imboio:  xko^bv  tcbql- 
rC^fii  C.  Gl.  II,  350,  64,  was  m.  E.  auch  in  der  Gl.  Loiselii  III, 
483,  10  inobciti:  deöfitoi  sich  verbirgt,  was  man  allgemein  als  in- 
nodafi  fafst.  Auch  Imia,  Halseisen  für  Sklaven  und  Verbrecher, 
ist  übrigens  im  Romanischen  erhalten  (prov.  boia  Kette,  frz. 
buie  u.  s.  w.,  s.  Groeber,  Archiv  I,  251);  zu  den  wenigen  Belegen 
bei  Georges  kommt  noch  Prudent.  psych,  praef.  34  attt'ita  boiis 
colla  und  das  Glossenmaterial,  jetzt  zusammengestellt  C.  Gl.  VU,  147. 
Unter  den  Sachbezeichnungen  sind  reinlateinische  bei  Kempf 
nur  noch  clav avium  (Geld  für  die  Nägel  der  caligae)  und  aquila. 
Ersteres,  nur  Tac.  h.  III,  50  erwähnt:  davarium  flagitantes  mit  der 
vielfach  als  Glossem  angesehenen  Erläuterung  donativi  nomen  est, 
fafst  K.  als  Soldatenausdruck  für  donativum  überhaupt,  wodurch 
sich  dann  die  beigefügte  Erklärung  für  den  römischen  Leser  recht- 
fertigen würde,   und  vei-weist  auf  die  Verallgemeinerung  der  Be- 

*)  Man  lasse  sich  nicht  beirren  durch  die  Artikel  desselben  Glossars 
IV,  354,  22  illudentes:  carinentes  (sie),  iticippanUs,  wo  schon  die  Selten- 
heit der  zur  Erklärung  benutzten  Wörter  zusammen  mit  der  oft  überlieferten 
Glosse  carinantes:  illudentes  darauf  führt,  dafs  durch  Umstellung  von  Glosse 
und  Interpretament,  wie  häufig  im  Abavus-Glossar,  ein  neuer  Artikel  fabri- 
ziert worden  ist,  der  dann  durch  Benutzung  des  verdorbenen  iftcippat:  iVt- 
bulit  noch  eine  Erweiterung  erfahren  hat. 

Archiv  fOr  lat.  Lexikogr.    XII.    Heft  3.  18 


262  W.  Heraeus: 

deutnng  von  salarium  und  congiarium  (so  sprechen  wir  von  „Nadel- 
geld", „Trinkgeld"  und  fordern  die  neapolitanischen  Kutscher 
sigaro  oder  maccheroni). 

Die  Metonymie  aquila  für  legio  nach  Analogie  von  signum 
und  vexillum  nimmt  K.  mit  Koehler  (s.  o.  S.  256  Anm.)  für  die 
Soldatensprache  in  Anspruch  auf  Grund  der  Stelle  des  Verfassers 
des  b.  Hisp.  30,  1  erat  acies  XIII  agtiäis  constituta.  Die  Lex. 
führen  für  diesen  Gebrauch  noch  an  Lucan  V,  238  und  Plin.  n.  h. 
XIII,  23  }uic  niercede  corruptae  aquilney  aber  selbst  bei  dem  alten 
Soldaten  Plinius,  der  übrigens  doch  so  geringe  Ausbeute  für  die 
Lagersprache  liefert,  ist  die  Wendung  eher  auf  Rechnung  seines 
Strebens  nach  poetischem  Kolorit  zu  setzen.  Übrigens  sei  hier 
die  Frage  aufgeworfen,  ob  der  römische  Soldat  auch  die  ver- 
wandte Metonymie,  Truppenarten  nach  WaflFen  zu  bezeichnen, 
gepflegt  hat.  Dem  Griechen  ist  ja  aönCdag^  o;rAa  für  äöxtötai^ 
ftTcklrai  ganz  geläufig,  ebenso  sprechen  wir  von  „100  Lanzen"  oder 
500  Säbeln  =  500  Reitern.  —  Zu  diesen  reinlateinischen  Aus- 
drücken gehört  vielleicht  auch  ancentus,  das  Blasen  von  Blech- 
musik, in  der  Inschrift  von  Venafrum  C.  I.  L.  X,  4915  (=  Anthol. 
lat.  epigr.  1319  Buech.)  Mariios  nnrentu  stimtdafis  gladiantes  in 
arma  vocavi.  Wenigstens  ist  Mommsen  a.  a.  0.  geneigt,  das  Wort 
für  ein  uraltes  VocÄbulum  castrense'  zu  halten,  gebildet  wie  aw- 
helnre  und  antestari,  imd  will  die  Form  auch  bei  Ammian  XVI, 
12,  36  und  XXIV,  4,  22  für  das  überlieferte  accentus  (aeneatorum) 
setzen;  doch  spricht  Buecheler  gewichtige  Bedenken  dag^en  aus. 
Sicherer  scheint  mir,  dafs  postprinripia  (Plur.)  castrensischen 
Ursprungs  ist:  man  sehe  Varro  r.  r.  III,  4,  1  Utule  relis  me  in- 
cipere,  Axi,  die,  —  lUe,  Ego  vero,  inquit,  a  posipriticipiiSy  ut  aiunt 
in  castris^  id  est  ah  Ins  temporihus  (puim  siiperioribus  etc.  Die 
Überlieferung  giebt  hier  freilich  post  prinnpia  statt  a  p,,  und 
zwar  hinter  ut  aiunt,  allein  Schneider  hat  das  Richtige  erkannt 
und  hergestellt  (ebenso  Keil)  auf  Gnmd  der  Fragmente  des  Varro 
bei  Gellius  XVI,  9,  5  und  18,  G,  einer  Plautusstelle  (Pers.  452) 
und  eines  Afraniusfragments  bei  Cic.  Sest.  55,  118  (postprincipiu 
atqne  exitus  vitiosae  vitae).  An  allen  diesen  Stellen  ist  die  eigen- 
tümliche hypostatische  Bildung  postprindpia  im  übertragenen  Sinne 
angewendet  von  dem  Fortgang  einer  Sache  nach  dem  Anfang, 
während  zur  Erklärung  jedenfalls  mit  J.  Gronov,  observ.  IV,  10 
auf  den  militärischen  Fachausdruck  'principia'  =  Vordertreflfen 
zurückzugehen  ist;  vgl.  auch  Piasberg  im  Rh.  Mus.  LIII,  79.    Doch 


Die  römische  Soldatensprache.  263 

hier  stehen  wir  bereits  auf  der  Grenze  der  eigentlichen  Soldaten- 
sprache und  der  Heeressprache.*)  Sonst  liefsen  sich  noch  Aus- 
drücke heranziehen  wie  primOj  seeundo,  tertio  pedatu  (ursprüng- 
lich rein  militärisch:  „beim  ersten  Angriff^,  die  den  alten  Gram- 
matikern und  Lexikographen**)  in  den  Schriften  des  alten  Cato 
wiederholt  auffielen,  obwohl  auch  Plautus  Cist.  525  (ed.  Goetz) 
pedatu  tertio  nicht  scheute  und,  was  unsere  Wörterbücher  ver- 
schweigen, man  nach  dem  Zeugnisse  des  Gharisius  (C.  Gr.  L.  I, 
215,  23)  noch  zu  seiner  Zeit  *per  Cämpaniam'  so  sprach.  Auch 
diese  Redeweise  ist  vermutlich  von  Soldaten  zuerst  verallgemeinert 
angewandt  zur  Bezeichnung  des  so  und  sovielten  Males,  wie  sie 
durchaus  bei  Cato  und  Plautus  erscheint,  und  bildet  ein  Seiten- 
stück zu  der  später  üblichen  Umschreibung  mit  vicihus,  bez.  vice 
(schol.  Terent.  ed.  Klee  p.  140,  17  pritna  vice  nee  secunda,  141,  9 
teriia  vice;  Hist.  Mise.  VII,  26  p.  184,  5  secunda  v,,  davon  wahr- 
scheinlich französisches  fois). 

Fremden  Ursprungs,  durch  den  Verkehr  mit  den  Soldaten 
und  der  Bevölkerung  fremder  Nationen  in  die  römische  Lager- 
sprache eingedrungen  ist  der  ansehnliche  R^st  der  von  Kenipf 
gesammelten  sachlichen  Bezeichnungen.  Das  meiste  hiervon  ist 
germanisch,  wie  hurgus,  das  spätestens  im  2.  Jhdt.  n.  Chr.  über- 
nommen wurde  (zuerst  in  einer  Inschrift,  die  zwischen  138  und 
140  fällt:  numerus  hurgariarum),  ursprünglich  =  Turm  am  Limes, 
zu  Vegetius'  Zeit  nach   seiner  ausdrücklichen  Erklärung  =  par- 


*)  Der  Dienstsprache  gehört  u.  a.  auch,  was  nirgends  beachtet  ist,  das 
Abstraktum  flagitium  an,  wenn  die  Zeugnisse  nicht  trügen:  Donatus  zu 
Ter.  Eun.  II,  3,  DO  flagitium  more  militari  dicitur  res  ftagitation^,  hoc  est 
increpatiofie  digna,  C.  Gl.  L.  V,  295,  23  flagitium  factum  malum  vel  crimen 
proprie  militare,  sed  tum  et  turpiter  et  ad  vitia,  quae  molUter  fiunt,  dic- 
tum est  hoc  nomen.  In  diesem  Sinne  steht  es  bei  den  Historikern  von  allem, 
was  gegen  die  Soldatenehre  geht,  mit  dem  Zusatz  militiae  Sali.  Tug.  54,  4, 
Tac.  ann.  I,  27,  militare  Curt.  8,  14,  11  (vgl.  Isidor.  or.  V,  7,  1  militaris  flagi- 
tii,  si  locus  deseratur,  Cod.  lust.  XIII,  6,  21,  Fronto  p.  124  N.).  Doch  fehlt 
es  z.  B.  bei  Caesar  und  seinen  Fortsetzen! ,  und  ist  auch  in  der  höheren 
Poesie  von  vielen  ganz  gemieden,  wie  Vergil,  Ovid,  TibuU,  während  es  je 
einmal  bei  CatuU  (67,  42)  und  Properz  (II,  34,  12j  in  erotischer  Beziehung 
steht,  wie  sonst  in  Prosa  öfters.  Horaz  hat  es  dreimal  gebraucht  in  den 
verschiedensten  Beziehungen. 

*•)  Die  Handschriften  des  Nonius  p.  61  geben  übrigens  konstant  pe- 
dafo,  ebenso  die  Glosse  C.  Gl.  L.  U,  197,  39/40  rpirrj  Tttgioäüg,  ix  z^itov, 
wozu  man  die  Anweisung  des  Caper  (C.  Gr.  L.  \U.^  lOU,  23)  heranziehe: 
primo  2)€datu,  non  pidato  (sie;  dicendum. 

18* 


264  W.  Heraeus: 

^1llum  castellum,  von  K.  erschöpfend  behandelt;  femer  carratfo 
*  Wagenburg'  (Amm.  XXXI,  7,  7  ad  carraginem,  quam  ita  ipsi  ap- 
pellant,  sc.  Gothi),  ti(fa  eine  Art  Banner,  angelsächsisch^  wie  vor 
allem  das  von  K.  übersehene  Zeugnis  des  Beda  (Grimm,  deutsche 
Rechtsalt.  p.  241)  beweist:  nee  non  et  ubilibet  illo  (der  angels. 
König  Edwin)  incedente  per  plateas  illud  genus  vexilli,  quod  Ro- 
mani  tufaniy  Angli  vero  appellant  th/tfy  ante  eum  ferri  solebat. 
Unser  j^Banner^'  selbst  hängt  zusammen  mit  dem  schon  in  den 
römischen  Heeren  von  den  Gothen  oder  Longobarden  entlehnten 
hanäHm;  das  neutrale  Geschlecht  geht  übrigens  aus  den  von  K. 
citierten  Zeugnissen  nicht  hervor,  wohl  aber  aus  Glossen  wie 
Anecd.  Par.  IV  p.  198,  8  ol  ^Irukol  ßcivdcc  xakovöi  tä  iv  ratg 
rd^eöi  iz(öj](ia  etc.  Barritus,  urspr.  barditus  (Tac.  Genn.),  aus 
dem  Germanischen  und  zur  Bezeichnung  des  Schlaohtgeschreies 
der  fremden  Hilfsvölker  angewandt,  dann  volksetyniologisch  von 
den  Soldaten  an  harrirCf  den  Ton  der  Elephanten,  angelehnt  und 
zu  harnfus  umgestaltet.  Keltisch  sind  drungus,  worüber  oben 
8.  258,  und  nach  Kempf  auch  herha  (eine  Art  Lanze),  wie  er  bei 
Veget.  I,  20  für  da»  überlieferte  hehra  liest  und  an  keltisches  beru 
=  verutum,  femin.  *berva erinnert.  Griechisch  ist  viUhantHm^  wo- 
mit eine  Art  runden  Tisches  nach  griech.  xillißag  noch  zu  Varros 
(1. 1.  V,  121)  Zeit  bezeichnet  wurde,  und  vielleicht  auch  segestre*) 
(öteyaörQov),  was  derselbe  Varro  1.  1.  V,  166  als  Lagerwort  deut- 
lich zu  erkennen  giebt.  Barbarischen  Ursprungs,  aber  von  zweifel- 
hafter Lesart  und  ungewifs,  welcher  Sprache  entlehnt,  ist  ein  spä- 
ter Soldatenausdruck  für  rineae:  quas  nunc  militari  iKirharicoqtiC 
usu  cantias  (so  die  geringeren  Hdschr.,  die  bessere  Klasse  giebt 
amtihiis,  was  auf  cautivos  führen  würde)  vocant  Veget.  IV,  15. 
Endlich  das  dunkle  mattioharhulns  bei  Vegetius,  urspr.  eine  Art 
Bleigeschosse,  dann  auf  peregrine  Truppen,  die  sie  führen,  über- 
tragen, erklärt  K.  unter  Verwerfung  von  Stowassers  phantastischer 
Etymologie  iiaxxx^o:TäQßokog  als  Zusammensetzung  aus  Inirbulus 
(Deminutiv  des  Fisches  barbus:  C.  Gl.  II,  28,  21  harbulus  (pccyQog 
Ix^vg)  und  ^  matt  in  (matia),  einem  Geschofs,  wonach  die*  in  spä- 
terer Zeit  oft  erwähnten  mattiarii  genannt  seien,  und  fafst  das 
Ganze  als  einen  Lagerausdruck  für  die  offizielle  Bezeichnung  mat- 
tiarii,  —  Zu  diesen  Fremdwörtern  der  Soldatensprache  füge  ich 

*)  Die  im  Ed.  Diocl.  erscheinende  Form  kgesire  (K.  p.  371  A.  1)  kennen 
auch  die  Glossen:  s.  Jahrb.  f.  class.  Phil.  1897  p.  367. 


Die  römische  Soldatensprache.  265 

noch  ein  sicheres  hinzu:  camisia.  Dals  dies  ein  verbum  castrense 
ist,  lafst  sich  erweisen  aus  dem  Wortlaut  der  ersten*)  Erwähnung 
bei  Hieronymus  ep.  64,  11  volo  pro  legentis  facilitate  ahuti  sennone 
vtdgcUo:  solent  militantes  habere  lineas,  quas  eamisias  vo- 
cant,  sie  aptas  memhris  et  adstridas  corporibus,  ut  expediti  sint 
vd  ad  cursum  vel  ad  proelia.  Spätere  Zeugnisse,  die  das  Wort 
als  Bestandteil  der  Vulgärsprache  überhaupt  charakterisieren**), 
von  der  es  ja  auch  ins  Romanische  (it.  camiscia,  frz,  chemise) 
tibergegangen  ist,  s.  bes.  Diez,  etym.  Wtb.  der  rom.  Spr.  p.  80, 
5.  Aufl.,  wo  auch  die  Kontroverse  des  Urspnmgs  des  Wortes  ein- 
gehend behandelt  ist.  Trotz  Diez'  Einwänden  ist  man  übrigens 
neuerdings  wieder  auf  die  alte  Ableitung  aus  dem  Germanischen, 
ahd.  hamidi  (Hemde)  zurückgekommen,  wenn  man  es  auch  auf 
dem  Umweg  über  das  Keltische  übergegangen  sein  läfst  (vgl. 
Groeber,  Arch.  f.  L.  I,  541  und  Thumeysen,  Keltoromanisches 
S.  51  ff.). 

Ortsbezeichnungen  der  Soldatensprache  hat  K.  nur  wenige 
gefunden:  strava  oder  straba  =  Grabhügel,  was  K.  nicht  mit 
Miklosich  aus  dem  Slavischen,  sondern  mit  J.  Grimm  vom  go- 
thischen  straujan  ableitet;  insula  glaesaria,  eine  nach  dem 
Bemsteinreichtum  von  den  Soldaten  benannte  friesische  Insel; 
castra  scelerata,  Bezeichnimg  des  Sommerlagers  in  Germanien, 
in  dem  der  ältere  Drusus  starb,  nach  Analogie  von  stadtrömischen 
Lokalnamen  wie  sceleratus  vicus  u.  a.  (K.  p.  373).  Der  Soldaten- 
witz zeigt  sich  in  der  Anwendung  von  noverca  auf  Unebenheiten 
des  Bodens  im  Lager  (Hyg.  c.  mun.  §  57.  58). 

Ein  merkwürdiges  Soldatenwort  ist  aber  übersehen:  turturilla. 
Schon  Buecheler  hat  in  dieser  Zeitschrift  II,  117  zur  obscöiien  Er- 
klärung von  turtur***)j  dem  aphrodisischen  Vogel,  bei  Plaut.  Bacch. 

*)  Dafs  bei  Paul.  Fest.  311,  4  supparus  vesttmentum  puellare  Uneuw, 
quod  et  subucula,  id  est  camisia,  dicituF  ein  Zusatz  des  Paulus  vorliegt,  hat 
man  längst  erkannt. 

•*)  Z.  B.  Isid.  or.  XIX,  21,  1  poderis  est  sacerdotis  linea  .  .  .,  quam  culyo 
camisiam  vocant.  Daraus  sieht  man,  daljs  die  Glosse  tunica  linea,  quae  vulgo 
camisia  dicitur,  was  von  Loewe  prodr.  418  und  C.  Gl.  VEL  s.  v.  übersehen 
ist,  keine  selbständige  Bedeutung  und  ihr  Lemma  (poderes)  verloren  hat, 
wie  viele  andere  Glossen. 

♦^  Buecheler  a.  a.  0.  S.  118  weist  auch  auf  die  gleiche  Metapher  bei 
einer  anderen  Taubenart  hin  (Schol.  Pers.  I,  tJO  ingentes  Titos  dicit  .  .  .  aut 
certe  a  itiembri  virilis  magnitudine  dicti  titi,  ebd.  titi  colunibae  sunt  agrestes, 
Isid.  or.  Xn,  7,  62  pulumhes  quas  vulgo  titos  vocanf).    Andere  Tiemamen  zur 


266  W.  Heraeus: 

68  unter  anderem  die  'Isidor'-Glosse  herangezogen^  welche  turtu- 
rilla  erklärt:  ita  dicttis  locus  in  quo  carniptelne  fidxint,  quod  ibi 
turturi  opera  daretur,  id  est  pefii  (alte  Konjektur  ftlr  panem),  so- 
wie auf  die  Stelle  des  Seneca  ep.  96,  5,  der  das  Wort  auf  weich- 
liche Personen  anwendet:  hi  ....  fortes  viri  sunt  primoresque  ca- 
strorum;  isti  qtws  putida  quies  alm  laborantibus  molliier  habet, 
ttirturillae  sunt,  tuti  contumeliae  causa,  Scaligers  Quelle  fQr  jene 
Glosse  ist  dann  durch  die  Edition  des  Corpus  Gloss.  (IV,  188,  7, 
bez.  V,  488,  3)  bekannt  geworden,  zugleich  eine,  wie  scheint, 
volksetymologische*)  Umbildung  purpurilla:  locus  extra  por- 
tam,  ubi  scorta  prostant:  dictum  est  autem  vocabulum,  quod  ma- 
tronae  stola,  libertinae  toga,  prostitutae  purpurea  veste  uterentur 
(C.  Gl.  IV,  153,  8  und  anderswo),  wo  die  nähere  Bezeichnung  lo- 
cus extra  'portam  uns  schon  etwas  weiter  führj  als  die  Isidor- 
Glosse  mit  ihrem  allgemeinen  locus,  bis  endlich  die  Glosse  einer 
Vatikanischen  Handschrift  V,  524,  30  dicitur  locus  in  castris 
extra  vallum  in  quo  scorta  prostant  etc.,  zusammengehalten  mit 
der  Seneca-Stelle,  die  höchste  Wahrscheinlichkeit  dafür  ergiebt, 
dafs  tnrturilla,  bez.  purpur.  ein  Lagerausdruck  war,  so  auffallend 
es  sein  mag,  dafs  das  Wort,  wenn  es  ursprünglich  Deminutivum 
vom  Fem.  turtur  war**),  zur  Ortsbezeichnung  hat  werden  können 
(die  Zeugnisse  über  das  Wort  sind  vollständig  zusammengestellt  von 
Goetz  im  Lektions-Verz.  Jena  1885y«6  p.  4  und  C.  Gl.  VU  s.v.)***) 
Auch  offenbar  fremde  Wörter  für  Lokalitäten  im  Lager  und  aufser- 
halb,  wie  canaha,  die  Krämerbude  vor  dem  Lager  (s.  Mommsen, 

Bezeichnung  des  männlichen  Gliedes  sind:  curculio  ('Komwurm':  Pers.  4,  88; 
vgl.  cermivultis:  ßäXccvog  ^vägslag  (pvöstag  C.  Gl.  II,  522,  13),  natrix  (Waaaer- 
schlange:  Lucil.  ü,  21  L.  M.,  52  Lachm.)  wie  ^%ig,  öcptg  u.  a.  (Priap.  83, 33  Buech. 
aiigue  lentior  cuhes)^  sira:  aavgcc  t6  alöotov  C.  Gl.  II,  186,  9,  sopio  pisciti 
rubeus  aut  penis  Sacerdos  C.  Gr.  L.  VI,  462  (cf.  Catull  37,  10  und  pompej. 
Graffito  C.  I.  L.  IV,  1700,  a.  Sonny,  Arch.  X,  528  und  XI,  276,  wonach  sopio 
auch  in  einer  Hdschr.  des  Sac.  sich  "findet;  Kempf  p.  389  A.  1  citiert  noch 
ropio  nach  Keils  Ausg.),  endlich  nach  dem  geilen  Sperling  sfrutheum  in 
viimis  praecipue  vocant  ohscetiam  paHcin  virilem  Fest.  p.  313*,  23. 

*}  Man  könnte  an  den  Namen  der  Venus  bei  Serv.  Aen.  I,  720  Pur- 
imrism  erinnern  und  an  das  bekannte  Schminkmittel  purpurissum  (C.  Gl. 
HI.  194,  53  purjmrissa:  (pvxog). 

**)  Vgl.  noch  die  Notiz  des  ''Auetor  de  dubiis  nominibus'  C.  Gr.  L.  V, 
692,  3  turtur  generis  mascuUni ,  ut  Plautus  ....  quamvis  PoUio  et  alii  di- 
vant  turtureUas. 

***)  An  UituniUa  von  Tutunus  =  Priapus  mit  Nettleship,  Joum.  of  Phil. 
XX,  187  zu  denken,  ist  doch  angesichts  der  dargelegten  Zeugnisse  kühn. 


Die  römische  Soldatensprache.  267. 

Herrn.  VII,  303  flF.  und  den  Artikel  in  Pauly-Wissowas  Realenc.  s.  v.), 
cantunae  (Korrespondenzblatt  der  westd.  Ztschr.  f.  Gesch.  1898 
S.  70),  beide  in  Inschriften,  dürften  hierher  zu  ziehen  sein. 

Von  Ausrufen  führt  K.  das  bekannte  io  triumphe  an  und 
feri  (Plut.  Mar.  8  tcvxvov  tb  ipsQi  tovveöti  naU  xaQcyyv&ötv 
dkXi^loig),  das  durch  Inschriften  auf  Schleuderbleien  (K,  p.  362)  wie 
feri  Pompeium  illustriert  wird,  wozu  man  auch  an  das  von  Florus 
IV,  2  p.  99, 26  Jahn  überlieferte  Wort  Caesars  in  der  Schlacht  bei 
Pharsalus  ^miles,  faciem  feri^*)  erinnern  kann«  Überhaupt  ist 
ja  ferire  ein  echtes  Soldatenwort:  'hosten^  qui  feriet,  mihi  erit  Kar- 
tlmginiensiSj  quisquis  erit^  läfst  Ennius  den  Hannibal  ausrufen;  in 
der  Eidesformel  bei  Liv.  XXII,  38,  5  heilst  es:  ...  neque  ex  ar- 
difie  recessuros  nisi  tdi  sumendi  aut  petendi  (?  Luchs  schreibt  mit 
Madvig  aptandi)  et  aut  liostis  feriendi  aut  civis  servandi  causa; 
Sali.  Cat.  7,  5  5C  qiiisque  hostem  ferire  , . .  properabat  u.  a.  Bei 
dieser  Gelegenheit  sei  auch  auf  eine  interessante  vulgäre  Redens- 
art mit  ferire  aufmerksam  gemacht,  die  uns  von  Donatus  Ter. 
Eon.  n,  3,  66  erhalten  ist:  pervulgata^  consuetudinis  dictum  est 
'feri  canem  foras*  hoc  est  feriendo  cunem  foras  eice. 

Wir  übergehen  die  zahlreichen  von  Kempf  anhangsweise  zu- 
sammengestellten Signa,  d.  h.  Feldgeschreie,  die  die  Soldaten  vor 
der  Schlacht  erhielten,  und  Parolen,  die  zum  Wachdienst  aus- 
gegeben wurden  (beide  Arten  sind  streng  zu  scheiden),  imd  wen- 
den uns  zu  den  verbalen  Redensarten  des  Soldatenjargons. 
Dahin  rechnet  K.  z.  B.  das  noch  immer  nicht  sicher  erklärte  alte 
Verbum  fraxare,  mit  vigiliam  circumire  Paul.  Fest.  91,  9  inter- 
pretiert, wo  übrigens  der  Singular  vigiliam  entweder  ein  Ab- 
schreiberfehler oder  ein  Irrtum  des  Paulus  ist;  das  korrekte  (vgl. 
die  Belege  in  Andresens  Programm  S.  268)  vigilias  steht  auch  rich- 
tig im  Placidus-Glossar  (C.  Gl.  V,  22,  7),  das  dagegen  die  Form 

*)  Ebenda  die  bekannte  Parole,  die  Caesar  ausgab,  ^parce  civihits\ 
die  auch  von  Suet.  Caes.  75  und  App.  b.  c.  2,  80  x-^QVxag  ig  tag  Tcc^sig 
nccvraxov  nsQiinsfinsv  ^  ol  rolg  vixibciv  ixilavov  Scifyavatslv  tav  6(iOid'vobv 
etc.  erwähnt  wird,  und,  wie  man  längst  gesehen,  auch  bei  Vcll.  II,  52,  4  in 
einer  Lücke  ausgefallen  ist:  neque  a^ntiquius  quidqiiam  hahuit,  quam  <^uty 
in  oinnes  partes,  ut  militari  verbo  ex  consuetudine  ut^ir,  dimitteret  ***. 
Ruhnken  ergänzte  prnecones  clamantes  ^parce  ciribus\  allein  worin  soll  das 
'militare  verbum'  liegen?  Auch  Halms  Signum  oder  tesseram  ist  doch  für 
die  offenbar  entschuldigende  Bemerkung  des  Yelleius  nicht  signifikant  genug 
(Liv.  IX,  82,  4  tesseram  dari  iuhet,  ut  jjrandeat  miles  etc.,  Weilsenb.  zu  ^^I, 
35,  li.     War  etwa  tesserarius  das  Wort? 


268  W.  Heraeus: 

fUixare  bietet.*)  Ausdrücklich  als  Verbiim  castrense'  mutzt  Gellius 
(XVII,  2,  9)  dem  Historiker  'prope  cotidiani  sermonis'  (Fronto 
bei  Gell.  XIII,  2ü,  2)  Claudius  Quadrigarius  den  Gebrauch  von  co- 
pinri  nach  Analogie  von  lignari,  aquari,  pabulari,  frumentari  auf, 
wonach  Kempf  mit  WölflFlin  auch  das  nur  einmal  in  der  gesamten 
Litteratur  erscheinende  materiari  bei  Caesar  b.  g.  VII,  73  als 
eine  Konzession  des  Schriftstellers  an  die  Soldatensprache  auf- 
fafst  (das  Aktiv  nmtcriare  =  blu8  Holz  bauen,  bei  Cic.  und  Vitrj.**) 
Ich  möchte  hier  noch  an  eine  dritte  Bildung  erinnern:  stra- 
mentari  bei  Hygin  fab.  14  (p.  48,  15  M.  Schmidt)  Idmon  (ein  Ar- 
gonaute)  . . .  a}yud  LyiMm  cum  stramentatum  exisset,  ah  apro 
percussiis  decUJit  (feb.  18  p.  51,  12  ist  derselbe  Ausdruck  in  extra 
venatum  verdorben).  Auch  von  dieser  läfst  sich  der  Ursprung 
aus  der  Soldatensprache  vermuten.  Nach  bestimmten  Zeugnissen 
ist  dies  wiederum  der  Fall  bei  zwei  anderen  von  K.  aufgeführten 
Redensarten:  caynpum  coUigere,  wovon  schon  oben  S.  257  die 
Rede  war,  \md  haurire  aliquem,  das  nach  Serv.  Aen.  X,  314 
die  Soldaten  sagten  ^cum  a  latere  quis  aliquem  adortus  gladio 
occidit',  daher  denn  auch  an  der  Mehrzahl  der  Stellen  der  Hi- 
storiker und  Epiker  (aufser  ihnen  ist  haurire  für  perfodere  nur 
aus  Lucrez  und  Sen.  trag,  belegt,  s.  Georges-Mühlmann  s.  v.  Sp.  1108) 

*)  Tacitua  bist.  II,  29  scheint  in  seiner  bekannten  Abneigung  gegen 
termini  tecbnici  einmal  obire  i'igilias  statt  circumire  gewählt  zu  haben. 
Doch  steht  am  Rande  des  Mediceus  von  der  Hand  des  Schreibers  circuire, 
was  G.  Andresen,  in  Tac.  bist.  stud.  crit.  et  palaeogr.  II,  "22  (Progr.  Askan. 
Gymn.  Berlin  1900)  vorzuziehen  geneigt  ist,  der  aber  übersieht,  dafs  auch 
der  ältere  Plinius  XIV,  146  matutitias  obisse  sine  iniuria  vigilias  schreibt 
(normal  ist  Liv.  HI,  6,  9  munns  vigüiarum  senat^res  j>er  se  ipsi  obibant). 

**)  Übrigens  heifst  materiari  nicht  allgemein  Holz  holen,  wie  bei 
Georges  steht.  Caesar  und  sorgfö,ltige  Schriftsteller  unterscheiden  bekannt- 
lich streng  lignum  'Brennholz'  von  materia  'Bauholz'  nach  der  Definition 
Ulp.  Dig.  XXXII,  55  materia  est,  qime  ad  aedificandam  fulciendum  ntccs- 
saria  est,  lignum,  quidq^iid  comlmremli  causa  paratum  est.  Die  meuternden 
Soldaten  der  niederrheinischen  Armee  bei  Tac.  ann.  I,  35  indiscretis  rocibus 
pretia  vacationum,  angustias  stipendii,  duritiam  operum  ac  propriis  nomini- 
bus  incusant  vallum,  fossas,  pabuJi,  materiae,  lignorum  adgestus,  wo  man 
indiscretis  vocibus  allgemein  von  verworrenen  Zurufen,  wüstem  Durcheinander- 
schreien versteht,  während  es  doch  wohl  im  Gegensatz  zum  folgenden  pro- 
priis nojninikus  (mit  namentlicher,  spezieller  Hervorhebung)  von  allgemein 
gehaltenen  Wendungen  gesagt  scheint.  Dafs  übrigens  die  Soldaten  sich 
dabei  der  Fachverba  munire,  lignari,  materiari  etc.,  bezw.  der  Verbalsub- 
stantiva  (lignatio)  bedienten,  ist  wahrscheinlich,  liegt  aber  zunächst  nicht 
in  propria  nomiun. 


Die  römische  Soldatensprache.  269 

als  Objekt  latus  erscheint,  übrigens  Livius  VII,  10,  10  in  der  Er- 
zählung des  Zweikampfes  des  Manlius  Torquatus  wohl  aus  seiner 
Vorlage,  Claudius  Quadrigarius,  s.  Gellius  IX,  13,  17,  das  Verbum 
beibehalten  hat.  Ich  füge  noch  einiges  hinzu.  Zu  Fest.  449*,  8 
sub  vineam  iacere  dicuntur  yniliteSy  cum  astantihis  centurionihus 
iacere  axfuntur  sudes  bemerkt  Otfr.  Müller:  ^iocus  militaris,  cuius- 
modi  multa  exstant  castrensis  hilaritatis  exempla:  nam  vinea  haecce 
nihil  est  nisi  vites  illae,  quas  centuriones  manu  gerunt,  ex  quibus 
non  uvae,  sed  plagae  capiuntur'.  Ein  späterer  Ausdruck  der 
Soldatensprache  für  „töten*^  scheint  allevare  zu  sein,  nach  Augustin. 
quaest.  hept.  VII,  56.  Ich  setze  nach  der  Ausgabe  von  Jos.  Zycha 
(Wien  1895)  die  ganze  Stelle  hierher,  da  sie  für  volkstümliches 
Latein  überhaupt  interessant  ist:  Quid  est,  quod  ait  Samson  viris 
Inda  (1.  Richter  15,  12):  iurate  ^mihi  ne  interficiatis  me  vos;  et 
tradite  me  eis,  ne  forte  occurratis  in  me  vos?'  quam  locutionem 
ita  nonnulli  interpretati  sunt:  ne  forte  veniatis  adversum  me  vos. 
Sed  hoc  eum  ne  ab  bis  interficeretur  dixisse  illud  indicat,  quod 
in  Begnorum  libro  scriptum  est  iubente  Salomone  ut  homo  oc- 
cideretur  et  dic^nte:  Vade,  occmre  illi',  quod  ideo  non  intellegitur, 
quia  non  est  consuetudinis  apud  nos  ita  dici:  sie  enim  quod  mili- 
tares  potestates  dicunt:  vade,  alleva  illum,  et  significat  ^occide 
illum',  quis  intellegat  nisi  qui  illius  locutionis  consuetudinem 
novit?  Solet  vulgo  apud  nos  dici:  compendmvit  illi,  quod  est  'oc- 
cidit  illum';  et  hoc  nemo  intellegit,  nisi  qui  audire  consuevit. 
Gewifs  führten  die  römischen  Soldaten  noch  melir  solcher  euphe- 
mistischer oder  grausam  scherzender  Redensarten  im  Munde,  wie 
iinsere  Landsknechte  ,jemand  schlafen  legen*',  ,Jemandem  das 
Licht  auslöschen"  sagten  (Moscherosch,  Soldatenleben  S.  340  Ausg. 
V.  Bobertag).  —  Ob  auch  ambulare  im  Sinne  von  „marschieren^^ 
hierher  gehört,  kann  zweifelhaft  sein.  Das  Verbum  war  ja  über- 
haupt volkstümlich  und  eines  der  zahlreichen  Ersatzwörter  für 
das  unkräftige  ire,  als  solches  im  Romanischen  unter  anderem 
auch*)  wohl  in  frz.  aller  trotz  aller  entgegenstehenden  Bedenken 

*)  Abgesehen  vom  Kiuaänischeii  sonst  auf  die  Anwendung  auf  das 
Pafsgehen  der  Pferde  beschränkt  (prov.  amblar,  frz.  ambler);  vgl.  amhula- 
tura  bei  Veget.  vet.  (s.  Georges),  die  Glosse  0.  Gl.  V,  169,  22  asturco:  equus 
amhiüator,  Hyg.  fab.  89  p.  86,  12  Seh.  equos,  (pii  super  aquaa  et  aristas  am- 
hulahmit.  Letzterer  Schriftsteller  gebraucht  es  auch  vom  Laufen  der  Kinder: 
fab.  74  p.  79,  9  cui  (Lycurgo  regi)  respoiisum  erat,  ne  in  terra  puerum  depo- 
neret,  antequam  passet  amhulare. 


270  W.  Heraeus: 

erhalten.  Yegetios  r.  m.  I^  27  sagt:  divi  Augusti  atq^te  Hadriani 
constitutionihus  praecavetur,  uf  fer  in  mense  tarn  equites  qtiam  pe- 
dites  educantiir  ambidatum:  hoc  enim  verbo  hoc  exerdtii  genus  no- 
minant,  nnd  wendet  selbst  das  Wort  oft  von  den  Soldaten  an 
(8.  den  Index  in  der  Ausgabe  von  C.  Lang,  ed.  U).  Danach  scheint 
das  Wort  in  den  Exercierreglements  jener  Kaiser  gestanden  zn 
haben,  die  sich  vor  allen  nm  die  Hebung  der  Disciplin  bemüht 
haben.*)  Zugleich  aber  macht  die  lexikalische  Bemerkung  des 
Vegetius  den  Eindruck,  dafs  dieser  Gebrauch  von  ainhuiare  aus 
der  Soldatensprache  stammt.  Dafs  schon  Gaelius  Cic.  &m.  VIII, 
15,  1  mit  müites  bellum  amhulando  confecerunt  auf  denselben  an- 
spielt (mit  blofsen  Spaziergängen  —  mit  blofsen  Märschen),  hat 
man  bemerkt,  ebenso,  dafs  Cicero  selbst  ad  Att.  VIII,  14,  1  eodem 
modo  Caesar  amlndat  etc.  ihn  ernsthaft  verwendet,  wenn  auch  vom 
Feldherm,  der  mit  seinem  Heere  zieht,  wie  in  späterer  Zeit  der 
Anonymus  Valesianus  §  53  schreibt  Odoadier  rex  ambulavU  Me- 
diolanum  und  öfter,  s.  Boensch,  coli.  phil.  p.  127.  Aus  den 
Glossen  sei  herausgehoben  C.  Gl.  V,  164,  48  agmen:  ordinata 
miilfitudo  id  est  exereitus  ambula^is.  —  Der  Soldaten-  und  Fechter- 
sprache geläufig  ist  das  ganz  vul^re,  auch  in  die  romanischen 
S])rachen  übergegangene  battuere^  bez.  battere  (frz.  battre  etc.) 
'klopfen',  das  Sueton  von  Gladiatoren  zweimal  gebraucht  hat, 
M.  Aurelius  von  den  persischen  Soldaten  nach  Fronto  ad  M.  Caes. 
III,  1(5  a.  E.  (p.  55  N.)  qtwm  Persarum  disciplinum  memorares, 
hvnv  *battunt*  ais;  denn  so  ist  die  Stelle  mit  Klufsmann,  emend. 
Frontoii.  p.  20  zu  interpimgieren,  um  eine  einfache  Erklärung 
der  überlieferten  Worte  zu  gewinnen:  der  Gebrauch  des  Aus- 
drucks seitens  seines  hohen  Zöglings  mufste  ja  recht  nach  dem 
Herzen  des  Fronto  sein.  Davon  hat  der  Soldat  unregelmäfsig 
battiialia  gebildet,  qua^e  vulgo  battalia**)  dminhir  (frz.  bataille): 

*)  Sie  hebt  daher  auch  Spartian  v.  Hadr.  10,  3  ff.  hervor  und  rühmt 
von  Hadrian  selbst,  dafs  er  vicena  nnlia  pedihus  armatus  ambulahat  (man 
beachte,  dafs  auch  das  Verbum  ambulare  wiederkehrt):  die  vorschriftsmäfsige 
t'bung  war  nämlich  nach  Vegetius  a.  a.  0.  decem  milia  pcissuum  in  feldmarach- 
müfsipfer  Ausrüstung  ire  ac  redire  in  castra. 

**)  Mit  Ausstofsung  des  ?/,  wie  im  Verbum,  romanisch;  hattnnt  ist  auch 
bei  Fronto  überliefert,  C.  Gl.  IV,  272,  28  ptlant:  battunt,  494,  8  caedert: 
hdttere,  Veget.  mulom.  (s.  Archiv  X,  421),  Lex  Sal.  24,  8  delmtteret.  Ed.  Eoth. 
^  oöl  et<5.  —  Von  dem  sinnverwandten  ferire  war  schon  oben  die  Rede. 
Auch  Bildungen  wie  caesa  „Hieb"  mögen  von  Soldaten  geprägt  sein:  Veget. 
r.  niil.  I,  12,  vgl.  C.  Gl.  IV,  192,  21  ribices:  caemt  plagarum.     Späterer  Er*- 


Die  römische  Soldatensprache.  271 

exereitatiofies  autem  militum  vd  gladiatorum  significat  sagt  Cassio- 
dorins  de  orth.  C.  Gr.  L.  Yll,  17S^  4  f.  Dafs  der  späte  Vegetius 
r.  mil.  das  Wort  nicht  gebraucht^  scheint  doch  dafür  zu  sprechen, 
dafs  es  kein  offizieller  Ausdruck  war.  Endlich  sei  noch  ver- 
mutungsweise das  Verbum  continari  hierhergestellt  (=  congredi, 
consequi),  das  Kiefsling  im  Ind.  lect.  Greifs w.  1883  p.  3  wieder 
entdeckt  und  aus  den  kritischen  Apparaten  in  die  Texte  ver- 
wiesen hat  und  nach  ihm  auch  anderswo  nachgewiesen  ist,  s. 
Weyman,  Arch.  VI,  128  und  meine  „Sprache  des  Petron^'  S.  25  A.  1. 
Wir  wenden  uns  zu  der  Rubrik  'nomina  hominum',  in  der 
zunächst  n.  32 — Ö3  die  AppeUativa  von  K.  zusammengestellt  sind. 
Nicht  immer  ist  die  spezielle  Beziehung  auf  das  Lager  so  zweifels- 
ohne wie  bei  muger  (n.  38)  'Mogler':  diei  saht  a  eastrensium 
^momni}  hominihus  .  .  is  qui  Mis  male  ludit  oder  bei  conterra- 
neus  (n.  44,  s.  oben  und  p.  257)  oder  bei  galearia  (n.  40),  wie 
der  Soldat  för  galearius  mit  auffallendem  Geschlechtswechsel,  viel- 
leicht in  Anlehnung  an  die  synonymen  Ausdrücke  lioca,  ccwula*)  u.  a., 
sagte  nach  den  Zeugnissen  des  Vegetius  r.  m.  I,  10  und  III,  6, 
wo  die  Lesart  der  besseren  Hdschr.-Klasse  lixas  bez.  Colones,  quos 
galiarins  vocant  aufzunehmen  ist,  sowie  des  Grammatikers  Caper 
C.  Gr.  VII,  103,  3  militis  puer  galearius  rede  dicitur,  nnm  galearia 
söloecismus  etc.,  endlich  der  Glosse  C.  Gl.  III,  208,  42  v7ta6%L6xai 
galeariae^  V,  370,  41  lioca:  galearia  u.  a.  (s.  meine  Bemerkungen 
Archiv  X,  508).  Aber  das  reguläre  galearius  war  wohl  von  vorn- 
herein technisches  Wort  der  Dienstsprache,  und  zwar  schon  im 
1.  christl.  Jhdt.,  da  in  dem  oben  S.  259  A.  3  genannten  Genfer 
Papyrus  das  Institut  des  galeariatiis  erscheint,  worauf  K.  S.  379 
A.  1  hinweist.  Für  die  Soldatensprache  nimmt  K.  auch  zwei 
weitere  in  Anspruch,  die,  wie  galearius,  einen  Soldaten-  oder 
Offiziersburschen  bezeichnen,  cacula  (n.  39;  Paul.  Fest.  45,  16 
c,  sen>us  militis,  Ableitungen  caculahis,  -üs  ebd.  46,  14,  caculari  = 
servire  im  Placidus-Glossar  C.  Gl.  V,  29,  6)  und  haro  (n.  41;  Schol. 
Pers.  V,  138  harones  diamtur  servi  militum  etc.).  Man  könnte 
hinzufügen:  gavius  olxhrjs  i]toL  vTtr^Qtrrfg  arQaxKDTov  C.  Gl.  II, 
380,  7,    was   möglicherweise   im   Zusammenhang   steht   mit   dem 

satz  scheint  ferita  zu  sein  fPaul.  bist.  Longob.  III,  30  die  Worte  Autbaris:  ' 
talem  Auihari  feritam  facere  soht  u    a.),  das  noch  im  Italienischen  fortlebt. 
*i  Nach  dem  Primitivum  cacus,   das  nach  Kellermann  in  der  Vigilen- 
Inschrift  C.  I.  VI,  1058,  7,  15  cacus  M.  Sattius  Feluv  vorliegt,  erwartet  man 
anch  eher  ein  cacuhis  als  cacula. 


272  W.  Heraeus: 

seltenen  Gentilnamen  (Gavius  Bassus  Grammatiker  zn  Trajans  Zeit^ 
Eph.  epigr.  I  p.  174  M.  Gavius  Prothimio  aus  dem  1.  christl.  Jhdt.). 
Allein  Bedenken  bleiben  immerhin  bestehen,  inwieweit  diese 
Wörter  der  Lagersprache  xar'  i^ox^iv  angehören,  was  K.  auch 
gefühlt  hat  bei  den  von  Festus  glossierten  tituli  =  müites  und 
metalli  =  mercenarii*),  die  er  in  seine  Anmerkung  S.  378  ver- 
wiesen hat.  Jedenfalls  liegt  kein  Anlafs  vor,  tenebrio  (n.  33)  auf 
die  Soldatensprache  zurückzuführen,  indem  dies  Wort  ui'sprüng- 
lich  vom  Spott  der  Krieger  auf  diejenigen  angewendet  wäre,  ^qui 
ad  militiam  detrectandam  tenebris  i.  e.  latebris  se  occule))ant\ 
Weder  die  Erklärung  des  Nonius  p.  26,  3  L.  Mr.,  noch  seine  Be- 
lege geben  dafür  irgend  welchen  Anhalt.  Es  ist  vielmehr  wie 
das  ähnliche  nelnUo  ein  allgemeines  Schimpfwort.  Mit  Recht  ver- 
mutet dagegen  K.  für  sparteoli  (n.  34  K.)  als  Bezeichnung  der 
stadtrömischen  Feuerwehr,  der  cohortes  vigilum,  und  für  die  bu- 
cellarii  (n.  85  K.)  genannte  Soldatenklasse  der  späteren  Kaiser- 
zeit, die  beide  eine  eigentümliche  Stellung  gegenüber  den  eigent- 
lichen Soldaten  einnahmen,  den  Ursprung  im  Soldatenspott,  des- 
gleichen in  dem  Beinamen  alaudae  (p.  377  K.)  der  vom  Diktator 
Caesar  auf  eigene  Kosten  aus  Gallien  ausgehobenen  Legion,  die 
wenigstens  in  älteren  Inschriften  lediglich  legio  V  Gallica  heilst 
(von  Cichorius  bei  Pauly-Wissowa  I,  1295  zuerst  klargestellt). 
Letzteres  scheint  übrigens  das  einzige  sichere  Beispiel  für  einen 
von  Soldaten  aufgebrachten  Legionsbeinamen  (vgl.  den  Spitznamen 
unserer  Garde-Füsiliere  „Maikäfer'^  u.  a.),  wenn  man  nicht  etwa 
das  fulminata  (nicht  fulminatrix)  der  12.  Legion  hierher  rechnen 
will.  In  das  Gebiet  des  Soldatenwitzes  gehört  auch  murrus 
(n.  43  K.),  wie  man  diejenigen  nannte,  die,  um  sich  vor  dem 
Kriegsdienst  zu  drücken,  sich  den  Daumen  abschnitten  nach 
Ammian  XV,  12,  3,   wenngleich  hier  die  Lesart  qtios  iocaliter**) 


*)  Vgl.  noch  C.  Gl.  II,  129,  24  metellus  /t/ff-O-toff;  V,  466,  44  metelbis: 
mercennarUis  a  merendo.  In  den  'Notae  Bemenses'  61,  6  Schmitz  steht  das 
Wort  hinter  merces,  in  den  Not.  Tir.  82,  79  hinter  satelles,  wodurch  der  le- 
bendige Gebrauch  des  Wortes  in  der  Lagersprache  doch  einigermafsen  wahr- 
scheinlich wird.  Ein  Synonymum  ist  das  gleichfalls  als  Cognomen  (Porcius 
L.)  verwendete  latro:  latrofws  antiqui  eos  dicehant,  qui  conducti  militabanU 
ccnb  xfig  XccxqbUcs  Paul.  Fest.  118,  16  (cf.  316,  1).  Varro  1.  1.  VIT,  62.  Serv. 
Aen.  XU,  7  und  zahlreiche  Glossen,  s.  C.  Gl.  VI  p.  629  s.  v. 

**)  Die  übrigens  normale  und  für  die  Spätzeit  jedenfalls  nicht  auf- 
fallende Bildung  ioccUis  (gew.  iocularis)  scheint  übrigens  nicht  ganz  unbe- 
legt:   Paucker,  Suppl.  lex.  lat.  s.  v.   führt  an:   Ps.  Hier,   ad  Pammach.   et 


Die  römische  Soldatensprache.  273 

murcos  appellant  auf  Konjektur  beruht  (localüer  codd.);  das  im 
Mittellatein  häufige  Adjektiv  erklären  die  Glossen  (s.  C.  GL  VI  s.  v.) 
mit  curtus,  truncus  u.  ä.*)  Auch  focaria  (n.  45),  urspr.  Küchen- 
magd^  als  Bezeichnung  der  Soldatenfrau,  schon  zur  Zeit  der  Severi 
nachweisbar,  rechnet  K.  mit  Recht  in  diese  Kategorie  und  weist 
gegenüber  der  Annahme  von  P.  Meyer,  dafs  meretrices  der  Sol- 
daten damit  gemeint  seien,  auf  die  Glosse  C.  GL  V,  501,  29  focd- 
ria.^:  uxores  militum  hin  (s.  auch  B.  Kubier  im  Archiv  X,  449). 
Dagegen  scheint  es  mir  gewagt,  mit  Kempf  eine  hybride  Bildung 
hornatores  (n.  37)  von  german.  hörn  anzunehmen  blofs  auf  Grund 
der  Glosse  C.  GL  IV,  534,  37  liticines:  hornatores^  corniees  [aut  cor- 
nicines];  vielmehr  führt  ein  Vei^leich  mit  den  C.  GL  VI  p.  33  s.  v. 
aeneator  aufgeführten  Glossen  darauf,  dafs  eine  Korruptel  aus 
aen(e)ator€H  vorliegt.  Nachzutragen  ist  jedoch  das  Spottwort  lit- 
terio  „Federheld^^,  das  nach  Augustins  ausdrücklichem  Zeugnis 
in  der  Soldatensprache  für  litteratus,  den  Gelehrten,  üblich  war: 
ep.  118,  26  nomen  Anaxagorae,  quod  propter  litteratam  vetustaiem, 
omnes,  ut  militariter  loqnar,  liUeriones  libenter  mfflant,  nos 
dodas  et  sapientes  twn  facit  und  contra  advers.  leg.  I,  24  leguni 
quippe  isti  litterioneSy  sie  enim  potius  quam  liUerati  appellandi  sunt, 
qui  legendo  liUeratos  nihil  sapere  didiceruni  (aus  dieser  Stelle  ist 
die  Glosse  C.  Gl.  V  praef.  XXXI  geflossen,  was  C.  GL  VI  p.  651 
übersehen  ist).  Damit  stimmt  überein,  was  Augustins  älterer  Zeit- 
genosse Ammian  XVII,  11,1  erzählt,  seine  militärische  Umgebung 
habe  den  Kaiser  lulian  als  einen  loqtiacem  talpam  et  purpuratam  si- 
miam  et  Utterionem  Graecum  verhöhnt.  Offenbar  ist  das  Wort 
von  Soldaten  auch  gebildet  worden. 

Eine  grofse  Vorliebe  zeigt  der  Soldat  für  Bildungen  mit  con-, 
um  irgendwelche  Zusammengehörigkeit  mit  Personen  zu  bezeichnen. 
Ausdrücklich  bezeugt  der  ältere  Plinius  im  Eingang  der  Widmung 
seiner  Naturgeschichte  an  Kaiser  Vespasian,  wenn  er  Catull  seinen 


Ocean.  6  (ne  fides  nostra  magis  iocalis  sit  quam  illorum)  und  adv.  Amm., 
letzteres  freilich  mit  Fragezeichen.  Auch  als  mutmafsliches  Grundwort  zu 
altfrz.  joiel,  neufrz.  joyau  etc.  hat  man  iocalis  vermutet,  s.  Körting,  lat.- 
rom.  Wtb.  s.  v. 

*}  Als  Cognomen  erscheint  es  bei  der  Familie  der  iStaii  (s.  Gardthausen, 
Augudtus  und  seine  Zeit,  II,  1,  03)  und  der  Nonii  (Capitol.  Clod.  Alb.  '2,  3), 
ist  also  in  der  interessanten  Zusammenstellung  lateinischer,  vornehmlich  aus 
Glossen  zu  erklärender  Cognomina,  die  Loewe  am  Schlüsse  des  Prodromus 
corp.  GloBs.  p.  387  gegeben  hat,  einzureihen. 


274  W.  Heraeus: 

conierraneus  nennt,  dieses  als  Lagerwort  mit  der  Bemerkung  ^a^mo- 
sds  et  hoc  castrense  verbum\  Im  klassischen  Latein  heifst 
,Xandsmann^^  dvis  (q^ter  cmicivis)*),  popidaris**),  municeps,  tri- 
hulis  (sp.  auch  contribuUSy  &  unten  Anm.  *);  nachklassisch  sind 
patriota  und  compatriota  (s.  unten  Anm.  *  a.  E.\  sowie  die  noch 
spezielleren  Bezeichnungen  comprovincialis  (aufser  Sidon.  ep.  Ylly  7 
auch  Gregor.  Tur.,  s.  Bonnet,  le  latin  de  Gr6g.  p.  74  u.  238;  C.  Gl. 
II,  574,  35),  f'onforan(e)us  (C.  Gl.  VI  s.  v.),  convicanus  (3mal  Inschr., 
s.  Oleott,  studies  in  the  word  formation  1898  p.  198;  bei  Junsten^ 
s.  Georges,  in  Glossen  in  der  Form  -mieus  V,  495,  40),  campagcmms 
(2 mal  in  span.  Inschr.,  s.  Oleott  p.  197;  cofnpagefisis  Lex  Sal.  63,  I). 
Hierzu  gesellt  sich  also  conterraneus,  das  in  obigem  Sinne  Sna^ 
elQTiiiivov  scheint,  denn  die  vielfach  citierte  Glosse  aus  Labbaeus' 
Onomasticon  conterraneus  6^6xG}Qog  ist  ein  modernes  Fabrikat. 
Erwähnt  sei  jedoch,  dafs  dies  Wort  in  den  von  Ranke  heraus- 
gegebenen Würzburger  Bibel-Palimpsestfragmenten  zweimal  als 
Übersetzung  von  avt6xd^(ov  LXX,  das  die  Yulgata  mit  indigetia 
wiedergiebt,  erscheint:  Lev.  17,  5  (iutei'  conterraneos  aut  inter  prose- 
hjtos)  und  19,  34,  s.  Roensch,  Itala  2.  Aufl.,  Nachtr.  zu  S.  224. 
Conterraneus  also  hier  =  cum  terra  natus,  nicht  wie  in  der  Lager- 
sprache in  eadem  terra  natus.  Zahlreich  sind  insbesondere  die 
mit  cati-  zusammengesetzten  Personalnomina^  welche  das  kamerad- 
schaftliche, bez.  dienstliche  Verhältnis  der  Soldaten  unter  einander 
zum  Ausdruck  bringen.  Dafs  diese  der  Soldateusprache  von  Haus 
aus   angehören,  läfst  sich  zwar  nicht  durch  Zeugnisse  erweisen. 


*)  Zuerst  bei  Tertull.  adv.  Marcion.  V,  17  in  einem  Bibelcitat  als  Über- 
setzung von  av^noXlvTis  Ephes.  2,  19.  Aus  griechischem  Einflufs  erklärt 
Kubier,  Arch.  Vm,  187  das  Eindringen  solcher  überflüssigen  Komposita,  wie 
concurialis  und  cmigentilis  in  afrikan.  Inschriften,  comparticeps  (=*  isvy>\ii- 
Toxog  Ephes.  8,6)  in  der  Vulgata,  consocius  (=  awitccigog  in  Bibelübers. 
und  später,  s.  Kubier;  das  Verbum  cmisociare  wirkte  hier  auch  wohl  mit 
ein),  coaequalvi  (schon  vor  Petron  in  einer  Inschrift  aus  Augustus'  Zeit,  a. 
meine  ^Sprache  des  Petron',  Progr.  Offenbach  1899,  p.  27).  compatruelis  (afr. 
Inschr.  und,  für  die  Entstehung  der  Bildung  bezeichnend,  Augustin.  in  evang. 
loann.  tr.  X,  2,  2  fratres  compdtrueles  aut  consobrini).  Dazu  kommen  con- 
trihxilis  =  <rr/iqpvi^nji?  in  alten  Bibelübers.  und  sonst  (Roensch,  Itala  p.  224. 
C.  Gl.  VI  s.  V.),  compatriota  nach  aviLnaxQiiitris  (Inschr.  und  Myth.  lat. ,  s. 
Georges;  C.  Gl.  U,  443,  6  conp.  aviinoXlTtig ,  woraus  p.  574,  35  conp.:  con- 
dvis,  comprovincialis,  U,  110,  50  compatria:  ovfimccTQcotrig). 

**)  Merkwürdig  ist  C.  Gl.  II,  153,  44  die  Wiedergabe  von  populäres 
durch  aTQUTLibtaL,  weshalb  Hcraldus  an  Ableitung  von  populari  denkt. 


Die  römische  Soldatensprache.  275 

liegt  aber  in  der  Natur  der  Sache.  Kempf  hat  S.  380  die  Mehr- 
zahl jener  Bildungen  kurz  zusammengestellt.  Zur  näheren  Er- 
läuterung, welche  das  Thema  verdient,  und  zugleich  zur  Ergänzung 
diene  Folgendes.  Die  allgemeinste  und  gewöhnlichste  Bezeichnung 
der  Kameradschaft  ist  commilitOy  womit  nicht  nur  die  Soldaten 
selbst  einander  anreden  (z.  B.  Petr.  82  quid  tu,  commüito,  ex  qua 
legione  es  out  cuius  centurUi?),  sondern  auch  die  Feldherren  kordialer- 
weise  die  Soldaten,  z.  B.  Caesar  nach  Suet.  lul.  67,  Augustus  bei 
Quint.  VI,  3,  95,  der  allerdings  nach  den  Bürgerkriegen  diese  An- 
rede für  ^ambitiosius'  hielt  und  nur  noch  das  streng  dienstliche 
miliies  anwendete,  nach  Suet.  Aug.  25.  Das  durch  seine  Bildung 
als  vulgär  charakterisierte  Wort  (vom  Verb,  commilitare  wie  die 
analogen  Subst.  comedo,  appeto  u.  a.)  erscheint  bei  Cicero  pro 
Dei.  28  zum  ersten  Male  in  der  Litteratur  auTserhalb  direkter 
Reden  von  Soldaten;  wegen  seiner  weiteren  Geschichte  sei  auf  die 
eingehenden  Erörterungen  von  R.  Fisch,  die  lat.  nomina  person. 
auf  0,  onis  (Berl.  1890)  p.  12fiF.  verwiesen,  inschriftliches  Material 
8.  bei  Oleott  a.  a.  0.  S.  84.  Neben  commüito  finden  sich  einige, 
wie  scheint,  spätere  Bildungen,  wie  commiles,  das  mit  einer  In- 
schrift Murat.  819,  4  belegt  wird,  bei  Caesar  b.  c.  II,  29,  5  in  einem 
heillos  verdorbenen  Kapitel  steht,  sonst  wohl  nur  noch  C.  Gl.  II, 
447,  52  commiles:  öwörgarL^Tj^g.  Commilitaneus  ist  Arch.  II, 
271  aus  Bonifatius  v.  S.  Livini  belegt,  mit  einem  Suffix,  das 
aufser  in  conterraneus  auch  sonst  in  diesen  Kompositen  begegnet 
(vgl.  noch  unten  consalaneus).  Dazu  kommt  commilitator, 
wiederum  vom  Verbum  commilitare  nach  später  Art  abgeleitet, 
in  der  Epistula  Alexandri  ad  Aristotelem  p.  211,  23  hinter  Kühlers 
Ausgabe  des  lul.  Valer.  Alex.  r.  g.  cum  commilitatorihus  nach  der 
Lesart  der  Leidener  Hdschr.,  während  eine  andere  das  gewöhn- 
liche commilitonihis  bietet,  die  Mehrzahl  militatoribus.  Ebenso  all- 
gemein ist  compar,  vom  Verf.  des  b.  Hisp.  23,  5  gebraucht  und 
daher  von  Koehler  a.  a.  0.  p.  408  der  Soldatensprache  zugewiesen, 
dann*)  von  Lactanz  (s.  Georges),  in  der  Glosse  C.  Gl.  11,  575,  14 
als  Erklärung  von  commilito  gegeben.  Dagegen  ist  coarmio  (oder 
vielmehr  nach  Mommsens  Interpretation  coarmius)  oifenbar  ein 
Wort    der    Gladiatorensprache    nach    der    Inschrift    des    Secutor 

*)  Vorher  Hadrian  in  der  sog.  'adlocutio'  an  die  leg.  III  Augusta  in 
Lambaesis  C.  I.  VIII,  2532  cohortem  .  .  .  im  supplemenium  comparum  tertia- 
norum  dedistis,  wo  compar  zugleich  auf  die  Gleichheit  der  Legionsnummer 
(gemeint  ist  die  leg.  III  Gallica  oder  III  Cyrenaica)  geht. 


27G  W.  Heraeus: 

Flamma  C.  I.  L.  X,  7,  297  Delicatus  coarmio  nierenti  fecit.  Ich 
vergleiche  es  mit  dem  <yvro;rAo^  IJoXvdavxr^g  in  der  metrischen 
Gladiatoren-Grabschrift  Kaibel  epigr.  gr.  lapid.  529^  nnd  gemeint 
ist  natürlich  gladiator  eiusdem  ^armaturae^^  wie  der  technische 
Ausdruck  für  die  verschieden  ausgerüsteten  Gattungen  von  Gla- 
diatoren lautet  {Studium  annaturae  TJiraecum  prae  se  ferens  heifst 
es  von  Tiberius  bei  Sueton  c.  8).*)  Auf  die  Zeltgemeinschaft 
geht  das  aus  Litteratur  und  Inschriften  bekannte  eontubernalis, 
in  Ursprung  und  späterer  Verallgemeinerung  dem  romanischen 
canierata  vergleichbar,  mit  den  Nebenformen  contubernarius 
(s.  C.  GL  L.  VI  8.  V.)  und  contabernio  (Mai,  auct.  class.VIII  153 
collateralis**):  confubernio).  Auf  das  gemeinsame  Speisen  im  Zelt 
bezieht  Fisch  a.  a.  0.  p.  22  wohl  richtig  den  Ausdruck  conciho- 
nes  in  der  afrikan.  Soldaten-Inschrift  VIII,  9060,  während  Kühler 
im  Arch.  VIII,  187  einen  Barbarismus  für  concives  annimmt-,  vgl. 
Tac.  ann.  I,  4i)  fpios  simul  vescentis  dies  simul  quietos  nox  habtierat 
und  das  glossographische  coictbuSy  mit  övvöitog^  bezw.  övvxQOfpog 
C.  GL  II,  447,  30  bez.  448,  34  erklärt  (ebd.  444,  38  övvSsixvog 
co}icivaj  concena  =  concibo  oder  conviva?  concihulus  bei  Aeth.  Ist. 
c.  80).  Ahnlich  scheint  consalaneus:  övvakog  in  Glossen  (C.  Gl. 
VI  s.  V.)  aufzufassen,  s.  Funck,  Arch.  VIII,  374.  Alle  diese  Aus- 
drücke, die  im  romanischen  '^companio  eine  Analogie  haben, 
haben  wie  dieses  freilich  auch  eine  allgemeine  Bedeutung.  Auf 
das  Zusammensein  in  einem  Manipel,  einer  Turma  oder  Ala  gehen 
folgende  Bildungen:  commanipnlaris,  aufser  in  zahlreichen,  bes. 
Prätorianer-Inschriften  (s.  Oleott  a.  a.  0.  S.  184)  auch  litterarisch, 
nicht  nur  bei  Tacitus  bist.  IV  (Georges  irrtümlich  V)  46,  sondern 
auch  bei  Orosius  II,  9,  4,  in  Glossen  mit  comciiis,  coUega  erklärt, 

*)  Dies  das  einzige  Zeugnis  bei  Georges.  S.  aul'serdem  Fest.  p.  286,  13 
iinurmilhmicum  geniis  armaturae  Gallicum  est),  Plin.  n.  h.  VII,  81,  Isidor  or. 
XVIII,  53  ff.,  Schol.  luv.  \Tn,  200  (a.  Thracum),  201  (a.  Gallica),  Inschr.  bei 
Friedländer.  Sittengesch.  11^  208.  Übrigens  erscheint  armaturae  nament- 
lich auf  rheinischen  Soldateninschriften,  im  Sinne  von  mifes,  s.  Henzen  6794 
{arm.  leg.  XIIII)  und  jetzt  besonders  den  Artikel  in  Pauly-Wissowa.  Dieser 
(Gebrauch  dürfte  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  der  Lagersprache  zuzu- 
weisen sein. 

**}  Die  Frage  drängt  sich  leicht  auf,  welches  der  technische,  bezw. 
Soldaten  au  sdruck  für  den  „Nebenmann"  im  Gliede  war.  Dafs  wenigstens 
der  gemeine  Mann  sich  nicht  mit  dem  farblosen  proxinuis  begnüg^,  das 
z.  B.  Tac.  bist.  I,  6ö  und  Caes.  b.  g.  II,  27,  3  (Plur.)  gebrauchen,  ist  wohl  an- 
zunehmen.    War  es  eine  Ableitung  vom  Subst.  latus? 


Die  römische  Soldatensprache.  277 

also  wieder  verallgemeiuert  (s.  C.  Gl.  VI  b.  v.),  einmal  inschrifkl. 
in  der  synkopierten  Form  commanuplaris  Or.  3555.  Die  Neben- 
form commanipularius  findet  sich  als  Variante  in  den  ange- 
fahrten Glossen^  vulgarisiert  comnmniculuriiis  C.  I.  L.  VI,  2625, 
gleichfalls  als  Variante  C.  Gl.  IV,  37,  57,  s.  W.  Schulze,  Arch.  VDI, 
134.  Die  Länge  dieser  regelmäfsigen  Bildungen  führte  wohl  früh 
zu  Synkopen  und  Verkürzungen:  commanipiiltis  und  -qiltis,  nur 
in  Inschriften  bei  Georges,  daneben  commanucidus  C.  I.  L.  V.  1056*, 
16  sq.  und  X,  1775  (coman.),  s.  über  die  Erscheinung  Schulze  a.  a.  0. 
und  meine  'Sprache  des  Petron'  S.  45  (peduclus  =  pediculus,  fe- 
nuclum  u.  a.).  Eine  andere  Kurzform,  commanipulo,  findet  sich 
nur  Spart.  Pesc.  10,5,  endlich  ein  barbarisches  commanipulator 
bei  dem  Kirchenschriftsteller  Vitalianus  nach  Archiv  11,  271,  ver- 
mutlich im  allgemeineren  Sinne.  Conturrnalis  gebraucht  Am- 
mian  wiederholt,  es  scheint  aber  in  Inschriften  noch  nicht  nach- 
gewiesen, die  dagegen  ein  eonalaris*)  bieten,  s.  Henzen,  ann.  inst. 
1885  p.  283.  Noch  andere  Beziehungen  bringen  zum  Ausdruck: 
condecurioj  das  nur  in  Inschriften  von  Afrika  und  Lukanien  be- 
gegnet, s.  Oleott  S.  85,  übrigens  von  Kühler  (s.  oben  S.  274  A.  1) 
irrig  als  überflüssige  Nebenform  von  decurio  betrachtet;  confiro 
C.  I.  VI,  2669  und  2676,  von  Augustin  serm.  216,  2  auf  religiöses 
Gebiet  übertragen,  während  Myth.  lat.  I,  232  offenbar  nach  II,  130 
contiroleta  =  con-^i^()oA£rijg  'Jagdgenosse'  zu  bessern  ist;  endlich 
conveternnus,  das  sich  aufser  bei  späteren  Juristen  in  Inschr. 
von  Dacien,  Mösien  und  Lyon  findet,  s.  Oleott  p.  198. 

Ehrende  und  schmeichelnde  allgemeine  Beinamen,  von  den 
Soldaten  ihren  Feldherren  beigelegt  (n.  47 — 52),  wie  parens  le- 
gionum  (Cn.  Piso,  der  Feind  des  Germanicus),  pater  (Fabius  Cunc- 
tator)**),  fiUus  militum  (Gordian),  oder  der  Kaiserin  (mafer  ca- 
strorum  n.  53,  zuerst  Faustina,  dann  zahlreiche  Frauen  der  Severus- 
Dynastie  und  spätere  Kaiserinnen,  bis  der  Gebrauch  mit  Diocletians 
Zeit  verschwindet,  s.  Kempf  p.  3H1),  femer  die  mit  dem  älteren 
Scipio  ^Africanus'  beginnende,  mit  der  ersten  Kaiserzeit  auf  hcirende, 
bezw.  auf  die  Kaiser  übergehende  Sitte  der  Akklamation  der  Feld- 

*)  Quintilian  I,  6,  17  tadelt  die  Analogisten,  die  conire  sagen.  In  einer 
stadtröm.  Inschrift  von  barbarischer  Schreibart  VI,  3282  steht  cmieres  = 
conheres,  im  Amiatinus  Vulg.  I  Petr.  o,  13  conelectae,  überliefert  ist  cofi- 
angtistatus  bei  Marc.  Empir.  p.  24,  29  Helm  und  sogar  bei  Varr.  r.  r.  III, 
16,  15.  Anderes  habe  ich  zusammengestellt  Arch.  VI,  270. 
*•)  S.  354  ist  zweimal  Liv.  XXI  statt  XXII  citiert. 

Archiv  für  lat.  Lexikoffr.    XII.    Heft  2.  19 


278  W.  Heraeus: 

herren  nach  den  von  ihnen  besiegten  Völkern,  bezw.  unterworfenen 
Ländern  (n.  65 — 67  und  die  Liste  S.  383  A.  1)*),  bilden  den 
Übergang  zu  den  vom  Soldatenhumor  erfundenen  Benennungen, 
zu  den  sog.  ^signa'  (Mommsen  im  Hermes  I,  158),  ^Spitznamen', 
wie  dem  aus  Tacitus  a.  I,  23  bekannten  ^cedo  alteram'*  des  Cen- 
turionen  Lucilius,  dem  ^manu  ad  ferrum^  des  später  zur  Kaiser- 
würde emporgestiegenen  Tribunen  Aurelianus,  den  die  Soldaten 
also  von  einem  gleichnamigen  Tribunen  unterschieden**)  ( Vop. 
Aur.  6,  1).  Tapfere  Soldaten  erhielten  den  Beinamen  Ajchilies 
(n.  54  u.  55),  ein  anderer  'ob  egregiam  corporis  ampliiadinem  et 
speciem'  Colosseros  (n.  59),  was,  wie  die  beigefügte  Erklärung 
zeigt,  geformt  ist  nach  Niceros,  Phileros,  Chryseros,  Hermeros  u.  a^ 
nicht  einfache  Weiterbildung  von  xoXoöö-  ist,  wie  Kempf  nach 
seiner  Flexion  Colosserum  p.  395  anzunehmen  scheint.  Der  ge- 
meine Soldat  flektierte  freilich  Cohsseronem ,  wie  die  Libertinen 
bei  Petron  63  Niceronem  und  zahlreiche  Inschriften  bezeugen  (s. 
Buecheler  Petron.  ed.  mai.  p.  X  und  Priscian  C.  6r.  L.  II,  254,  16  f.). 
In  früher  Jugend  erhielt  im  Lager  der  spätere  Kaiser  Gaius  den 
bekannten  Beinamen  CaUgulu  (n.  60),  der  nie  in  offiziellen  Ur- 
kunden erscheint  und  von  ihm  selbst  als  Schimpfwort  aufgefafst 
und  bestraft  wurde  (Sen.  const.  sap.  18),  desgleichen  der  spätere 
Kaiser  Tiberius  den  Spitznamen  ' Biberitis  Calditis  Mero*  wegen 
seiner  Trunksucht  (n.  69).  Wenn  Heliogabal  nach  seiner  Er- 
mordung und  der  Beschimpfung  seines  Leichnams  unter  anderen 
mit  dem  Namen  Til)erinus  (n.  71)  belegt  wurde  (solus  omnium  prin- 
cipum  et  traetus*^^)  ed  et  in  cloacam  missiis  et  in  Tiherim  prae- 
cipitatus  Lampr.  Heliog.  17,  6),  so  sei  bemerkt,  dafs  der  Witz  erst 
in  seiner  Pointe  verstanden  wird,  wenn  man  sich  erionert,  dafs 
Tiberinus  der  Eigenname  eines  Lupus-Fisches  ist,  der  in  den  Klo- 
aken des  Tiber  sich  mästete:  luv.  V,  104  Tiberinus  . . .  pinguis  tor- 


*")  So  legten  die  Venezianer  ihrem  Francesco  Moroaini  den  stolzen  Titel 
'Peloponnesiacus'  bei.  Die  Russen  haben  ihren  'Sabalkansky',  den  t5l)er- 
steiger  des  Balkan,  General  Diebitsch,  die  Franzosen  ihren  Herzog  von 
Magenta,  Mac  Mahon,  wir  den  Grafen  York  von  Wartenburg,  aber  nach 
Schlachtortcn  und  von  fürstlicher  Gunstbezeigung  bestimmte,  mit  Standes- 
erhöhung  verbundene  Beinamen. 

**;i  Zwei  gleichnamige  Ci?nturionen  wurden  in  den  offiziellen  Listen  nach 
der  Anciennetät  als  'superior'  und  'inferior'  unterschieden,  drei  als  'summus, 
medius,  infimus'. 

***)  Daher  der  andere  Schimpfname  'Tracticius^  (so  Aur.  Vict.  ep.  23,  6,  7, 
dagegen  ist  tiactutidus  bei  Lamprid.  überliefert,  weniger  wahrscheinlich). 


Die  römische  Soldatensprache.  279 

refUe  doaca,  worüber  Buecheler  Rh.  M.  XXXV,  393  gehandelt  hat, 
der  besonders  auf  Galen,  de  aliment.  fac.  IQ,  30  verweist.  Wenn 
Kaiser  Valens,  geborener  Pannonier,  von  den  Mauern  des  belagerten 
Chalcedon  Spottrufe  wie  Sabamriits  (n.  75.  Amm.  XXVI,  8,  2) 
hören  moTste,  nach  dem  ßerstentrank  sabaia  der  Armen  in  lUyrien, 
so  darf  man  vielleicht  an  eine  Anspielung  auf  sahtfuirim  denken, 
das  von  den  Glossen  (s.  C.  Gl.  VII  s.  v.)  mit  xaTtrjkoSvtijg,  taber- 
Barius,  ganeo  erklärt  wird  und  vergebens  in  saginarius,  taber- 
narius,  stabularius  (so  Landgraf,  Arch.  IX,  429)  abgeändert  wird, 
da  doch  die  Ableitung  von  dem  'vile  Sabinum'  nahe  genug  liegt. 
In  einem  Exkurs  p.  385  flF.  stellt  K.  in  dankenswerter  Weise  alle 
aus  fremden  Sprachen  (abgesehen  vom  Griechischen)  vermutlich 
zuerst  in  die  Lagersprache  und  von  da  zum  gröfsten  Teil  in  die 
allgemeine  Sprache  eingednmgenen  Wörter  zusammen;  die  Haupt- 
masse ist  keltisch  (Waffen,  Feldzeichen,  Wagen  etc.),  bezw.  ger- 
manisch (s.  oben  S.  263  f.),  vereinzelt  stehen  karthagisches  mapalia*), 
die  Zelte  der  nomadisierenden  Berbern,  illyrisches  sibina  *Jagd- 
spiefs'. 

Der  zweite  Teil  der  Abhandlung  befafst  sich  mit  den  gröfseren 
Überbleibseln  der  römischen  Soldatensprache.  Zunächst  die  Zeug- 
nisse und  Reste  von  'cantilenae'  rühmenden  und  neckenden  In- 
halts, die  bei  Triumphaufzügen  gesungen  wurden  (n.  77 — 102). 
Daran  schliefsen  sich  n.  103 — 115  Witze  vermischten  Inhalts,  end- 
lich n.  116 — 135  Inschriften  von  Schleuderbleien  nach  Zange- 
meister, Eph.  epigr.  VI.  Doch  gestattet  uns  der  Raum  nicht,  näher 
auf  diese  Abteilung  einzugehen,  die  übrigens  der  Natur  der  Sache 
nach  im  allgemeinen  weniger  Charakteristisches  in  Wortbildimg 
und  Wortgebrauch  aufzuweisen  hat.  Alles  in  allem  genommen, 
ist  der  erste  Versuch  der  Darstellung  der  römischen  Soldaten- 
sprache Kempf  wohlgelungen,  mit  grofsem  Fleifs  und  Verständnis 
durchgeführt,  wenn  auch  manches  aus  entlegeneren  Quellen  sich 
wird  nachholen  lassen,  da  der  Bearbeiter  das  zu  durchforschende 


•)  mapälia  ist  die  Messung  der  römischen  Epiker  und  so  auch  die 
überwiegende  Schreibung  in  den  Hdschr.  der  Historiker.  Doch  findet  sich 
mappalia  gelegentlich  geschrieben:  Liv.  XXIX,  31,  8  im  Puteancus,  Petron. 
c.  58,  App.  Prob.  p.  196,  3,  fast  ausnahmslos  in  den  Glossen  (s.  C.  Gl.  YI  s  v. 
magalia  u.  mapalia).  In  der  IHDti  im  Medscherda-Thal  gefundenen,  zur  Zeit 
Tngans  neu  aufgeschriebenen  Lex  Manciana  kommt  ein  Ortsname  Mappalia- 
siga  vor  {Siga  oiFenbar  der  Individualname  der  Ortschaft),  s.  Ad.  Schulten, 
das  röm.  Afrika  p.  12.     Vielleicht  liegt  hier  Anlehnung  an  mappa  vor. 

19* 


•280    W.  Heraeus:  Die  rOmlBche  Soldatensprache.  —  Miscellen. 

Material  in  etwas  beschränken  mufste.  Namentlich  dürften,  wie 
schon  angedeutet,  die  Kirchenschriftsteller  [vgl.  Eucher.  pass.  Ag. 
mart.  4  Exuperio,  ut  in  exercitu  appellant,  campi  doctore.  Red.], 
bes.  Augustinus  und  Hieronymus,  welche  die  biblische  Exegese 
so  oftmals  auf  Erörterungen  der  gemeinen  Sprache  geführt  hat, 
noch  eine  Ausbeute  liefern,  desgleichen  die  systematische  Durch- 
forschung der  Inschriften. 

Offenbach  a/M.  Wilhelm  Heraeus. 


Fufldius. 

Cic.  epist.  7,  5,  2  schreibt  Caesar  von  Gallien  aus  an  Cicero,  dafs 
er  mit  dem  von  ihm  empfohlenen  M.  Itfivius  mit  dem  besten  Willen 
nichts  anzulangen  wisse.  Statt  des  korrupten  Eigennamens  hat  Wesen- 
berg Titinius  geschrieben,  den  er  als  Freund  Ciceros  aus  Suet.  rhet.  2 
nachweist;  andere  Orfius.  Näher  liegt  vielleicht  Fufidius,  und  ein 
Q.  Fufidius  aus  Arpinimi,  welcher  Gelder  in  Gallien  einzuziehen  hat, 
wird  epist.  13,  11  dem  Brutus  empfohlen.  Da  Cicero  im  Eingange 
dieses  Briefes  schreibt:  non  dubito,  quin  scias,  quam  diligenter  soleam 
meos  municipes  Arpinatis  tueri,  so  ist  es  nicht  unwahrscheinlich,  dafs 
der  dem  Caesar  Empfohlene  in  die  nämliche  Familie  gehörte. 

München.  Ed.  Wölfflin. 


Ampla. 

Für  ampla  =  ansa,  das  R.  Scholl  bei  verschiedenen  Autoren 
nachgewiesen  hat  (Archiv  I  534),  ergiebt  sich  ein  neuer  Beleg,  der 
Scholl  unbekannt  geblieben  ist.  In  den  Kirchenhistorischen  Anecdota 
von  Caspari  1883  (vgl.  Archiv  I  255)  ist  auf  Seite  3  in  dem  Briet^ 
den  Kufinus  seiner  Übersetzung  des  Dialoges  von  Adamantius  gegen 
die  Gnostiker  voraufschickt,  zu  lesen:  sed  tu,  Paide  frater,  .  .  bre>'is 
otii  mei  apud  Pataviam  amplam  nactus  .  .  poposcisti.  Die  Phrase 
entspricht  ganz  der  durch  Scholl  aus  Rufin  nachgewiesenen,  bist  eccl. 
lU,  12  amplam  temporis  nactus.  Caspari,  der  das  Wort  nicht  kannte, 
glaubte  amplam  <^partem^  schreiben  zu  müssen,  und  auch  der  neueste 
Herausgeber  des  Adamantius,  van  de  Sande  Bakhuizen  (Leipzig,  Hin- 
richs  1901),  der  Rufins  Übersetzung  dem  griechischen  Texte  beigiebt, 
hat.  wie  Prof  Wevman  mir  mitteilt,  das  seltene  Wort  verkannt. 

München.  Oskar  Hey. 


Miscellen. 


Coiiquinisco,  eonqnexi. 

Ein  Perfekt  conquexi  belegt  Prise.  10,  3,  17  mit  einer  Stelle  aus 
Pomponius.  Ein  neues  Beispiel  bietet  die  Epitome  Alexandri  von 
Wagner  §  101.  Der  vergiftete  Alexander  hat  sich  bei  Nacht  aus 
seinem  Schlafgemache  fortgeschleppt  und  erkennt,  dafs  Roxane  ihn 
sucht.  Er  kauert  zusammen,  damit  R.  an  ihm  vorübergehe.  „Con- 
quievit,  ut  ea  posset  praeterire."  Vielmehr  'conquexit'.  Es  folgt 
Dämlich:  cum  repente  Alexandrum  inccntem  in  terra  conspexisset. 

München.  Ed.  Wölffliu. 


Die  Endung  -por  in  Gaipor,  Lueipor  etc. 

Die  uns  bekannte  Urform  von  puer  lautete  pover.  Vgl.  Büche- 
ier Greifswalder  Lektionskatalog  1870  n.  XI.  Die  Form  puer  ist  wohl 
zu  erklären  durch  Anlehnung  des  Wortes  an  ein  anderes  z.  B.  tu, 
puer!  Vgl.  denuo  aus  denovo.  Aber  die  Form  -por  z.  B.  in  Marcipor 
ist  aus  Marcipover,  Marcipuer  nicht  zu  erklären.  Ich  glaube,  sie 
verdankt  ihren  Ursprung  einem  Mifsverständnis.  Auf  -noQog  oder 
-ipoQog  endigende  Namen  griechischer  Sklaven  endigten  im  Latein 
nicht  selten  auf  -por.  Ich  führe  hier  an  Bospor:  C.  I.  L.  XV  5499 
etc.,  Helpidephor:  C.  I.  L.  VI  29212  —  das  h  wie  am  Anfang,  so 
am  Ende  mifsbräuchlich  eingeschoben  — ,  Eupor:  C.  I.  L.  VI  29183, 
Nicepor  z.  B.  C.  L  L.  VI  29035  etc.,  Pospor:  C.  I.  L.  VI  20722  etc., 
Sympor*)  C.  L  L.  VI  1057  (1,  81)  etc. 

Dazu  kam  noch  der  thrakische  Name  Mucapor  (Gen.  Mucaporis 
C.  I.  L.  m  799).  Nach  diesen  Sklavennamen  ist  offenbar  auch  aus 
Marcipuer  etc.  ein  Marcipor  geworden.     Die  Deklination    scheint  Mu- 

*)  In  Cloepius  Semperrus  C.  I.  L.  XIII  n.  141  sehe  ich  zu  Sympor  die 
vulg^e  Vollform  von  2^viKfOQog^  und  es  wilrde  diese  Form  eine  passende 
Parallele  bieten  zu  •  Sempro,  der  Urform  von  Sempronius,  die  ich  als  ent- 
standen aus  SviKptQcav  erklärt  habe.  Bezüglich  letzterer  Herleituug  vgl. 
Niedermann  I  u.  E  S.  18:  „Wenn  diese  Erklärung  richtig  ist  —  und  sie 
scheint  mir  in  der  That  viel  für  sich  zu  haben  — ".  Erwähnung  vordient 
hierbei  der  Umstand,  dafs  die  Sempronii  wie  die  Calpumii  eine  plebejische 
gens  sind. 


282    A.  Zimmermann  —  L.  Havet  —  J.  Cornu  —  W.  Christ: 

capor  entlehnt  zu  sein.  Vgl.  oben  Mucaporis  und  Eph.  ep.  V  p.  615 
„equiti  Mucapori".  Sollte  der  Urahn  der  gens  Calpumia  bezw.  Cal- 
p(h)uria  (cf.  C.  I.  L.  Vm  7944  Calpuria,  VI  20712  Calfuriae  Secun- 
dillae)  Calpor  geheifsen  haben?  Dieser  Calpor  (vgl.  albor,  albumusetc.) 
könnte  dann  sehr  leicht  einem  Kakl£<poQog  —  cf.  Bechtel-Pick  p.  517  — 
seinen  Ursprung  verdanken,  und  die  Annahme  von  Calpus  als  Urahn 
der  Calpumii  bei  Paul.  Fest.  Th.  d.  P.  33  würde  nicht  zu  sehr  von 
der  Wahrheit  abweichen.  An  Calpumius  ==  Krüger  (vgl.  Stolz  H.  Gr. 
II  479)  von  calpar  Krug  kann  ich  nicht  glauben. 

Breslau.  August  Zimmermann. 


Hibns  dans  T^rence. 

Phormio  329—332: 

Cedodum,  enumquam  iniuriarum  audisti  mihi  scriptam  dicam?  — 
Qui  istucV  —  Quia  non  rete  accipitri  tennitur  neque  miluo, 
Qui  male  faciimt  nobis;  illis  qui  nil  faciunt  tennitur; 
Quia  enim  in  Ulis  fructus  est,  in  iüis  opera  luditur. 

Le  troisieme  Ulis  est  remplace  dans  A'DG  par  /«'.♦?,  qui  seul 
donne  un  sens  raisonnable  (tw?  D,  peut-etre  is  A*).  His  designe  las 
etres  auxquels  Phormion  se  compare  et  au  nombre  desquels  on  peut 
le  ranger;  iUis  designe  les  autres,  les  etres  ayant  un  caractere  oppose 
a  celui  du  sujet  parlant.  —  Mais,  avec  ä/ä,  le  vers  est  faux.  D'autre 
part,  apres  Hambe  -tus  est,  le  texte  f«  Ulis  est  mitriquement  suspect. 
;fetant  donnees  les  habitudes  de  Terence,  in  Ulis  devrait  compter  ici 
pour  un  anapeste. 

II  est  bien  probable  que  Terence  avait  employe  le  viel  ablatif 
hUyus  par  un  i  long,  encore  si  vivant  dans  Piaute.  Hibus  convient 
au  metre  conune  au  sens;  la  leQon  de  A^DG  en  est  la  glose;  l'autre 
levon  Ulis  est  une  correction  superficielle  du  his  substitue  a  hibtts,  et 
qui  taussait  le  vers. 

Paris.  Louis  Havet. 


Cathedra. 

Die  Bedeutung  von  mollcs  cathcdras  bei  Juvenal  6,  90 f.: 

Cantnupsit  pelagns:  famam  ccmtempserat  olim, 
CnitfS  apud  mollcs  minima  est  iaeiura  eatheUrciS 

haben  Komnientiitoren  und  Übersetzer  nicht  selten  in  absonderUcher 
Weise  erklUrt  oder  geradezu  niifsverstanden,  obgleich  die  Verwendung 
von  ap}(d  vor  moUes  eathedras  gegen  eine  falsche  Deutung  hätte 
schützen  sollen.  Der  alt«  Erklärer,  welcher  ntoUes  eathedras  durch 
m<ttronas  gedeutet,  verstand  sehr  wohl  die  Stelle.  Auch  Forcellini 
giebt   die   einzig   richtige   Deutung,   indem   er   sagt:    MoUes  caGiedrae 


Miscellen.  283 

dicuntur  muUeres  delicatiores  et  luxurioshres]  ob  mit  vollem  Verständ- 
nisse, bleibt  allerdings  fraglieh. 

Würden  die  Erklärer  an  den  einen  Sinn  von  caderas  cadera  im 
Spanischen  imd  von  cadeiras  im  Portugiesischen  ^  CATHEDRAS  ge- 
dacht haben,  dann  hätten  sie  nicht  weiter  gesucht  und  sich  genügen 
lassen.  Denn  in  diesen  Sprachen  bedeutet  cctderas,  cadeiras,  was  der 
Deutsche  'Glesafs'  oder  'Hinterbacken',  was  der  Franzose  ^fesses*  nennt. 
Es  sei  hier  weiter  erwähnt,  dafs  der  Spanier  aufser  nalgas  dafür  auch 
noch  posas  und  asentaderas  hat.  Somit  gehört  cathedrae  zu  den 
bildlichen  Ausdrücken,  welche  die  Volkssprache  zur  Bezeichnung  der 
Körperteile  so  gerne  verwendet.  Das  älteste  Zeugnis  für  cathedrae  in 
dem  angegebenen  Sinne  ist  der  angeführte  Vers  Juvenals,  der  hier 
mit  bekannter  Derbheit,  aber  nicht  ohne  Witz,  die  pars  pro  tofo  ge- 
setzt hat. 

Prag.  J.  Cornu. 


Die  Captiyi  des  Plantns. 

Lindsay  spricht  p.  106  der  unten  S.  295  besprochenen  Ausgabe 
von  der  Abfassungszeit  des  Stückes  und  dem  griechischen  Originale, 
und  zwar  rechnet  er  die  C.  zu  den  späteren  Stücken,  indem  er  sie 
wegen  sachlicher  Anspielungen  nach  193  vor  Chr.  setzt.  Er  hätte 
dabei  auch  auf  Maurenbrecher  verweisen  können,  welcher  S.  146  aiLS 
metrischen  Gründen,  und  namentlich  aus  dem  seltenen  Vorkommen 
der  alten  Formen  med  und  ted  den  Beweis  liefert,  dafs  das  Stück  zu 
den  letzten  Schöpfimgen  unseres  Dichters  gehört. 

Bezüglich  des  griechischen  Originales  beschränkt  sich  L.  auf  die 
Bemerkung,  dafs  die  Figur  des  Parasiten  Ergasilus  und  die  Eingangs- 
scene  der  Captivi  die  gröfste  Ähnlichkeit  mit  den  Menächmen  hat, 
welche  man  mit  guten  Gründen  auf  die  lOftoto*  des  jüngsten  Komikers, 
des  Makedoniers  Poseidippos,  zurückführt.  Verlegt  ist  die  Seene 
unseres  Stückes  nicht,  wie  die  der  meisten  Komödien,  nach  Athen, 
sondern  nach  einer  ätolischen  Stadt  mit  einem  frequenten  Hafen. 
Als  diesen  dürfen  wir  unbedenklich  die  bedeutendste  Stadt  Atoliens, 
Pleuren,  bezeichnen.  Nun  haben  neuere  Reisende  und  nach  den  An- 
deutungen Früherer  allerneuestens  die  jungen  Gelehrten  Herzog  und 
Ziebarth  in  Neu-Pleiu-on  die  Reste  eines  Theaters  aufgedeckt  (Athen. 
Mitteil.  XXTTT,  1898,  tab.  XH),  des  einzigen  in  ganz  Atolien.  Das- 
selbe wurde  zugleich  mit  der  Mauer  bald  nach  dem  Einfall  des 
Makedonerkönigs  Demetrios  Aitolikos  um  235  erbaut.  Aischylos 
dichtete  bekanntlich  fiir  Hieron  zu  Ehren  der  neu  gegründeten  Stadt 
Aitna  ein  Lokalstück  Alxvatai.  Darf  man  da  nicht  die  Vermutung 
wagen,  dafs  auch  Poseidippos,  der  aus  Makedonien  stammende  Dichter, 
für  die  neue  Stadt  imd  das  neue  Theater  ein  Lokalstück,  eben  unsere 
Captivi  oder  AtxfidXcDxot,  gedichtet  hat? 

München.  Wilh.  Christ. 


284  ^'  Wessner  —  Gustav  Landgraf:    Miscellen. 

Zu  den  Donatscholien. 

(deturpo.    inft-uctifer.    similitudinarie.    specifico.) 

Da  meine  kritische  Ausgabe  der  Terenzscholien  noch  nicht  im 
Drucke  vollendet  ist,  werden  sich  aus  der  unzuverlässigen  Yulgata 
leicht  Fehler  in  die  Arbeiten  der  Lexikographen  einschleichen. 

Ein  Beispiel  giebt  soeben  Heraeus,  welcher  Arch.  Xu  42  detur- 
pare  mit  Don.  Eun.  4,  4,  3  belegt.  Allein  diese  Lesart  gründet  sich 
nur  auf  die  Recension  der  Itali,  während  in  den  mafsgebenden  Hand- 
schriften die  ganze  Stelle  fehlt. 

Similitudinarie  hat  Georges  aus  Don.  Andr.  4,  5,  19  aufge- 
nommen, wo  es  bei  Besprechung  von  grandis  und  maior  heifst:  maior 
et  ad  summam  aetatis  refertur  et  ad  comparationem  pariliter  [et 
comparative  et  similitudinarie]  positum.  Nun  finden  sich  aber  die 
eingeklammerten  Worte  nur  in  den  jungen  interpolierten  Handschrif- 
ten, und  nach  Du  Gange  kommt  das  Wort  erst  bei  Alanus  de  Insulis 
(gestorben   1202)  vor. 

Zu  Ad.  5,  3,  10  heilst  es:  putarc  est  falsa  et  cassa  (casta  die 
unverdächtige  Überlieferung)  a  veris  et  utilibus  resecare.  Die  Masse 
der  jüngeren  Handschriften  giebt  jedoch:  falsa  et  infructifera, 
welches  als  Glossem  zu  cassa  zu  fassen  ist.  Dieses  Adjektiv  ist  gar 
nicht  bekannt;  infrugifer  steht  angeblich  Schol.  Hör.  Od.  2,  15,  4. 

Zu  Hec.  1,  2,  75  lesen  wir:  vigilanter  quod  est  'integram'  spe- 
cificat,  id  est  talem,  qualem  accepi  a  suis.  Li  den  guten  Hand- 
schriften fehlt  das  Verb,  welches  Du  Gange  erst  im  Gatholicon  des 
Joannes  de  lanua  gefunden  hat;  auch  das  Folgende:  id  .  .  .  qualem  ist 
Interpolation. 

Bremerhaven.  P.  Wessner. 


Causator. 

Für  das  Substantiv  causator  in  der  Bedeutung  von  arcHsator 
bieten  unsere  Lexika  keinen  Beleg,  während  Paucker  Supplem.  Lex. 
Lat.  p.  66  f.  sowohl  causari  im  Sinne  von  gravari  oder  accusare  ala 
rausafio  im  Sinne  von  accusatio  mehrfach  aus  der  späteren  Latinität 
nachweist.  Als  ich  in  diesem  Winter  den  Codex  Leidensis  Voss.  Lat. 
Quart.  130,  der  auf  54  Blättern  den  sog.  Scholiasta  Gronovianus  zu 
Ciceros  Reden  enthält,  für  meine  Neubearbeitung  der  Bosciana  kolla- 
tionierte, fand  ich,  dafs  der  Scholiast  sein  Interpretament  zu  Ciceros 
Worten  §  51  ^Neque  haec  profero,  quo  conferenda  sint'  nicht,  wie 
alle  Ausgaben  seit  Gronov  bieten,  mit  den  Wort-en  beginnt:  ^Quasi 
hoc  accusator  obiciat',  sondern  mit  ^qu.  hoc  causator  obiciat'.  Ich 
zweifle  nicht,  dafs  sich  beim  aufmerksamen  Durchlesen  der  kritischen 
Apparate  von  Ausgaben  spätlateinischer  Schriftsteller  noch  mehr  Be- 
legstellen für  dieses  bis  jetzt  nicht  bekannte  Substantiv  finden  lassen. 

München.  Gustav  Landgraf. 


Litteratur  1900.  1901. 

G.  Goetz:    Thesauras  glossanun  emendataram.      Pars  posterior. 
Fase.  I.  Lips.  1901.  438  pgg.  Lex.-8®. 

Mit  der  vorliegenden  Lieferung  sind  die  lateinischen  Glossen  von 
A  bis  Z  abgeschlossen,  und  es  ist  nur  der  von  W.  Heraeus  über- 
nommene Halbband  rückständig,  welcher  die  alphabetisch  geordneten 
griechischen  Lemmata  oder  Glossen  umfassen  soll.  Haben  sich  die 
früheren  Bände  des  Corpus  glossanim  darauf  beschränkt,  die  hand- 
schriftliche Überlieferung  vorzulegen  und  dieses  Bild  durch  keine  Ein- 
griffe oder  Zuthaten  des  Herausgebers  zu  trüben,  so  hat  der  alpha- 
betische Thesaurus  oder  Generalindex  um  so  mehr  nachzuholen,  nicht 
nur  alles,  was  in  die  Konjektur alkritik  gehört,  sondern  auch  die 
Angabe  der  Fundstellen,  denen  die  Glossen  entnommen  sind. 

Um  mit  dem  letzteren  anzufangen,  so  kann  von  einem  Abschlüsse 
keine  Rede  sein;  sogar  die  Hauptquelle  aller  Glossen,  Vergil,  ist  noch 
nicht  vollständig  ausgeschöpft,  oder  man  kann  auch  schwanken,  wie 
weit  man  gehen  dürfe.  So  ist  pandas  carinas  auf  Verg.  Georg.  2.  445 
zurückgeführt,  die  Glosse  pandis  curvis  dagegen  ohne  Beleg.  Die 
Thatsache,  dafs  Vergil  das  Adjektiv  nur  zweimal  gebraucht,  nUmlich 
abgesehen  von  der  citierten  Stelle  noch  Georg.  2,  194  lancibus  pandi?«, 
was  Ser\'ius  mit  curvatis,  der  Bemer  Scholiast  mit  incurvis  erklärt, 
läfst  darauf  schliefsen,  dafs  sich  die  zweite  Glosse  auf  die  zweite 
Vergilstelle  beziehe,  zumal  die  Kasusform  übereinstimmt.  Einleuch- 
tend ist  aber  auch,  dafs  man  solche  Untersuchungen  im  Zusammen- 
hange machen  müfste,  indem  man  die  einzelnen  Werke,  aus  denen 
Lemmata  gezogen  sind,  systematisch  durcharbeitet.  Noch  viel  mehr 
aber  sind  wir  im  Rückstand  mit  der  Litteratur  des  Spätlateins.  Erst 
in  den  letzten  Jahren  sind  wir  beispielsweise  belehrt  worden,  dafs 
Orosius  und  die  Regula  Benedicti  excerpiert  worden  sind;  welche 
anderen  Autoren  aufserdem  noch,  vermögen  wir  nicht  zu  überblicken. 
Das  ana^  eLQYjfi,  oculis  tenus  ist  mir  nur  aus  Caelius  Aurelianus  ac. 
3,  104  bekannt;  um  aber  über  die  Quelle  ins  Klare  zu  kommen, 
müfste  man  den  ganzen  Autor  untersuchen.  Ebenso  kenne  ich  omnia 
potens  aus  Paulinus  Nolanus,  ohne  darum  sicher  zu  sein,  dafs  das 
Lemma  aus  ihm  stamme.  Oder  wenn  die  Etymologie  paricida  qui 
homines  occidit  pares  natura  (=  pari  iure,  freie  Römer)  sich  auch  bei 
Prise.  1,  33  findet,  so  ist  damit  noch  nicht  bewiesen,  dafs  sie  aus 
dieser  Quelle  in  die  Glossare  übergegangen  sei.    Vgl.  oben  171. 


286  Litteratur. 

Und  noch  weniger  sehen  wir  heute  das  Ende  der  Emendation. 
Reiche  Beiträge  sind  gesammelt,  und  besonders  viel  hat  Bücheier 
beigesteuert,  doch  reicht  dies  nur  zu  einer  Grundlage.  Das  unver- 
ständliche rescitatim  Corp.  IV  421,  34  ist  im  Thes.  übergangen, 
während  darin  wohl  citatim  als  Glosse  des  vorangehenden  raptim 
steckt  und  das  überschüssige  res  aus  der  folgenden  Glosse  religio  res 
Sacra  eingedrungen  ist.  Wir  möchten  nur  noch  empfehlen,  in  der 
Emendation  nicht  die  spätlateinische  Orthographie  zu  Gunsten  der 
ciceronianischen  zu  unterdrücken.  Wenn  z.  B.  s.  v.  Sebastos  zweimal 
Augustus  emendiert  wird,  während  die  Handschriiten  Agustus  geben, 
so  ist  die  letztere  Lesart  beizubehalten,  weil  sie  der  italienischen 
Form  Aosta  und  dem  französischen  Namen  des  Monats  August  ent- 
spricht, worüber  man  Näheres  bei  Schuchardt  finden  kann;  auch 
geben  alte  Handschriften  wie  Inschriften  zahlreiche  Belege.  Der 
Diphthong  au  sinkt  vor  folgendem  u  zu  a,  wie  auscultare,  ascultare, 
ecoiiter;  auguriosus,  agur[iJosus,  heureux. 

Wir  gehören  nicht  zu  denjenigen,  welche  es  als  Pflicht  der 
Presse  erachten,  dem  Verf.  jedes  guten  Buches  ausdrücklich  zu  dan- 
ken; denn  wem  es  vergönnt  ist  zu  schreiben,  wozu  er  Lust  hat,  der 
mufs  genügende  Befriedigimg  in  sich  selbst  finden.  Anders  steht  es, 
wenn  man  das  bearbeiten  mufs,  was  die  Wissenschaft  gebieterisch 
verlangt,  damit  die  gröfsten  Lücken  unserer  Kenntnisse  ausgefQllt 
werden,  und  wenn  man  auf  eine  lange  Heihe  von  Jahren  das  zurück- 
stellen muTs,  wofür  man  mehr  Interesse  hätte.  Für  solche  Aufopfe- 
rung gebührt  der  öffentliche  Dank,  damit  nicht  die  Männer  aussterben, 
denen  die  Bedürfhisse  der  Wissenschaft  höher  stehen  als  die  privaten 
Interessen. 


F.  Teichmüller:  Ambire,  ambitio,  ambitiosus,  ambitiöse,  ambi- 
tus.     Osterprogramm.    Witistock  1901.    28  S.    4^ 

Zu  den  Wörtern,  welche  in  sehr  verschiedener  Weise  übersetzt 
zu  werden  pflegen,  gehört  ohne  Zweifel  ambitus.  ^Amtsbewerbung, 
(lunstbuhlerei ,  Ehrgeiz'  sind  ja  nur  eine  magere  Auslese;  das  Pro- 
gi-ainm  bietet  uns  Dutzende  von  Varianten  wie:  Popularitätshascherei, 
Courtoisie,  Ehrenbezeigung,  Strebertum.  Selbstpräsentation  (dieses 
vom  Verf.  wohl  zuerst  vorgeschlagen),  Umtriebe,  Intrigue,  Protek- 
tionismus, (weit  getriebene)  Herablassimg,  Agitation,  Renommisterei, 
Marktschreierei,  Eff'ekthascherei,  Sensationssucht,  Gröfsenwahn,  Reprft- 
sentationssucht,  Liebedienerei  u.  s.  w.,  und  andere  werden  als  verfehlt 
bezeichnet.  Wenn  der  Verf.  seine  Kritik  namentlich  gegen  die  *Langen- 
scheidtsche  Bibliothek'  richtet,  so  wird  man  ihm  zugeben  müssen, 
dafs  d^r  Titel  derselben  *  Musterübersetzimgen '  nicht  inrnier  gerecht- 
fertigt ist. 

Er  geht  vom  Verbum  aus,  und  zwar  von  der  sinnlichen,  lokalen 
Bedeutung,  imtersucht  dann  die  übertragene  und  schliefst  mit  dem 
jüngeren  Sprachgebrauche  der  silbernen  Latinität.  Die  Bedeutung 
ändert  sii:h  in  der  Kaiserzeit,  weil  die  Sitten  sich  ändern,   und  zwar 


Litteratur.  287 

nicht  zum  Besseren.  So  tritt  das  Wort  bei  denselben  Autoren  in 
verschiedenem  Sinne  auf,  wodurch  dem  Interpreten  Schwierigkeiten 
bereitet  werden.  Ambitus  wird  in  dem  Schlulkkapitel  besonders  be- 
trachtet, jedoch  viel  kürzer.  Das  Programm  wird  für  den  Thesaurus 
mit  Dank  benützt  werden. 


Ciustav  Körting:  Lateinisch  -  romaniBohes  Wörterbuch.  Zweite 
vermehrte  und  verbesserte  Ausgabe.  Paderborn  1901.  VII,  1262 
Spalten.    4®. 

Ohne  Zweifel  hat  das  aus  den  Arbeiten  Gröbers  (Vulgär-latei- 
nische Substrate,  Archiv  I — VIj  herausgewachsene  Buch  der  Wissen- 
schaft grofsen  Nutzen  gebracht,  indem  es  den  Latinisten  den  Einblick 
in  die  Entwicklung  der  romanischen  Sprachen  vermittelt.  Die  her- 
gestellte Verbind imgsbrücke  zwischen  zwei  Disciplinen  wird  um  so 
häufiger  betreten,  als  die  alphabetische  Anordnung  des  Stoffes  das 
Nachschlagen  erleichtert  und  reichhaltige  Indices  dem  das  lateinische 
Grundwort  Suchenden  Hilfe  gewähren.  Wenn  wir  auch  noch  keine 
Vollständigkeit  erwarten  dürfen,  so  sind  inmierhin  die  8954  Artikel 
der  ersten  Autlage  auf  10469  angewachsen.  Ebenso  unmöglich  ist 
es,  die  sämtlichen  Formen  der  romanischen  Dialekte  anzufiihren,  weil 
die  Vorarbeiten  noch  zu  lückenhaft  und  mangelhaft  sind;  ein  Beispiel 
giebt  das  Wort  pullus  in  der  Bedeutung  von  *Hahn',  aus  welchem 
man  auf  die  Heimat  der  sogen.  Silvia,  der  Verfasserin  der  Peregri- 
natio  ad  loca  sancta,  schliefsen  kann.  Vgl.  Comu  in  diesem  Hefte 
S.  186.  Die  Superlativbildung  *abismus,  franz.  abime  Abgi'und,  wird 
man  auf  ein  lateinisches  abysus  mit  kurzer  Mittelsilbe  (Arch.  VUI 
293)  zurückführen  dürfen.  Die  Stemform  *anxio  ist  belegt  durch 
Itala  (codex  Corbeiensis)  epist.  lac.  5,  13.  —  Das  nicht  belegte 
♦besta  wird  bezeugt  diu-ch  Corp.  gloss.  V  443, 52.  —  ♦Fortia,  franz.  force, 
erscheint  schon  bei  Firm.  Mat.  als  Substantiv  im  Sinne  von  Cicwalt- 
thätigkeit.  —  Die  Stemform  *inodiare  inschriffclich  und  handschrift- 
lich bezeugt  Arch.  XII  49.  Über  *manuculus  =-  manupulus  vgl.  Arch.  XII 
20.  —  *Maretimus  anzusetzen  wegen  Maremme.  —  Stropa  (ital.  stroppa. 
Tau)  schon  in  der  Appendix  Probi;  daher  *stropare  die  Sehnen  ent- 
zweischneiden. —  Es  wäre  die  schönste  Art  des  Dankes,  wenn  die 
zahlreichen  Benutzer  des  Buches  ihre  Bemerkungen  dem  Verf.  l^rief- 
lich  mitteilen  würden.  Non  omnia  possumus  omnes.  Wer  ermessen 
will,  wieviel  der  Verf.  zugesetzt  und  nachgebessert  hat,  der  vergleiche 
den  -\rtikel  ambulare  (=  aller?)  mit  der  ersten  Auflage. 


Pas  so  WS  Wörterbuch  der  griechischen  Sprache.     Neu  bearbeitet 
von  Wilh.  Crönert.    2  Bände.    Göttingen. 

Wie  das  Archiv  für  lateinische  Lexikographie  und  Grammatik  zu 
der  Gründung  der  Zeitschrift  tiir  deutsche  Wortforschung  von  Friedr. 
Kluge    geführt   hat,    so    beginnt   auch   der   Thesaurus   linguae   latinae 


288  Litteratur. 

seine  Schatten  zu  werten.  Natürlich  machte  sich  in  erster  Linie  die 
Sehnsucht  nach  einem  neuen  griechischen  Stephanus  geltend;  allein  es 
stellte  sich  doch  bald  heraus,  dafs  die  filnf  deutschen  Akademien 
nicht  zwei  so  grofse  Werke  gleichzeitig  in  Angriff  nehmen  können. 
So  reifte  der  Gedanke,  einstweilen  das  antiquarisch  schwer  zu  be- 
schaffende Werk  von  Franz  Passow  neu  zu  bearbeiten  und  nament- 
lich die  Masse  der  seit  einem  halben  Jahrhundert  neu  gewonnenen 
altgriechischen  Sprachdenkmäler  (Inschriften  wie  Autoren)  dem  Sprach- 
schatze einzufügen.  Dr.  W.  Crönert  hofft,  unter  Ausschlufs  der  Eigen- 
namen, in  etwa  vier  Jahren  die  Excerption  des  Stoffes  zu  vollenden 
und  etwa  im  Frühjahr  1905  mit  der  ersten  Lieferung  hervorzutreten. 
Auf  vollständige  Sammlung  der  Belegstellen  mufs  selbstverständlich 
verzichtet  werden,  doch  soll  die  Entwicklung  der  Bedeutungen,  das 
erste  Aufkommen  und  das  Absterben  der  Wörter  gebührende  Berück- 
sichtigung finden.  —  Diese  vorläufige  Mitteilung  ist  durch  den  Um- 
stand veranlafst,  dafs  von  Athen  aus  eine  Übersetzimg  des  griechi- 
schen Wörterbuches  von  Liddl  und  Scott  angekündigt  wird,  (P.  S. 
Herr  Dr.  Crönert  wird  auch  sämtliche  bei  griechischen  Autoren  vor- 
kommenden lateinischen  Wörter  excerpieren.) 


0.  Hiemaun  und  H.  Goelzer:  Phonötique  et  ötude  des  formes 
grecques  et  latines.    Paris  1901.    540  pgg.    Lex.-8^ 

Das  genannte,  glänzend  ausgestattete  Werk  bildet  die  Ergänzung 
zu  der  Areh.  XI  444  angezeigten  ^Syntaxe',  sodafs  beide  zusammen 
die  'Grammaire  comparee*  in  zwei  Bänden  darstellen:  eine  ver- 
gleichende Grammatik,  nicht  im  Sinne  der  Linguisten,  sondern  des 
Griechischen  und  Lateinischen,  wenn  auch  den  Verfassern  die  Beziehimg 
zu  den  indogermanischen  Sprachen  nicht  fremd  ist.  unter  diesen  ist 
auf  dem  Titel  der  1892  verstorbene  0.  Riemann  (vgl.  Arch.  Ml  623) 
an  erster  Stelle  genannt,  weil  seine  handschriftlich  hinterlassenen  Auf- 
zeichnungen, welche  zunächst  dem  Unterricht  dienten,  den  Grundstock 
des  Buches  bilden.  Sein  jüngerer  Arbeitsgenosse  konnte  sich  unmög- 
lich darauf  beschränken,  einige  ergänzende  Noten  zu  diesem  Entwürfe 
zu  schreiben,  sondern  er  mufste  ihn  neu  formen,  um  ihn  auf  die  Höhe 
der  Zeit  zu  bringen.  Das  Werk  umfafst  nach  einer  kiurzen  Einleitung 
über  die  griechischen  und  lateinischen  Dialekte  die  Lautlehre,  die 
Deklination  und  die  Konjugation,  nicht  aber  die  Komparation;  be- 
stiimnt  ist  es  flir  die  'etudiants  de  nos  Facultes  et  de  nos  Eeoles 
superieures,  sodafs  man  es  nicht  etwa  mit  dem  Werke  von  Brugmann 
vergleichen  darf.  Es  wird  aber  auch  in  Deutschland  Nutzen  stiften 
können,  weil  uns  ein  Analogon  fehlt  und  weil  die  deutsche  Litteratiur 
fleifsig  benutzt  ist.  Jedenfalls  bietet  das  Buch  eine  vorzügliche  Über- 
sicht, und  die  Details  kann  sich  ja  der  Gelehrte  selbst  nachtragen. 
Wenn  es  also  §  119  heifst,  der  lateinische  Diphthong  au  sei  gewöhn- 
lich zu  o  gesunken,  in  einzelnen  Fällen  auch  a  geworden,  so  beruhen 
diese  Ausnahmen  auf  der  Dissimilation,   wenn   entweder   in  der  Silbe 


Litteratur.  289 

auf  au  ein  u  folgt  (Augustus,  Agustus,  Aosta;  auscultare,  ascultai*e, 
altfrz.  ascouter),  oder  wenn  zwei  o  zusammenstofsen  würden,  wie 
Pisaurum,  *Pesoro,  Pesaro  oder  Tauromenium,  ♦Toormenium,  Taormina. 
Ähnlich  ist  zur  Erklärung  der  Grenetivformen  fabrum,  virum,  liberum, 
amphonun  die  Vermeidung  des  Rhotacismus  beizuziehen,  wie  denn 
barbarum  =  barbarorum  nicht  nur  oft  in  Prosa,  sondern  bei  Phaedrus 
und  Prudentius  unzweifelhaft  dreisilbig  vorkommt.  Für  die  Super- 
lativformen  optumus,  optimus  wäre  jetzt  auf  die  Schrift  von  Arthur 
Brock  (Arch.  X  455)  zu  verweisen.  Die  Appendix  Probi  ist  nicht 
mehr  nach  der  Ausgabe  von  Keil  zu  eitleren,  sondern  nach  der  von 
Heraeus  Arch.  XI  301. 


K.  Brugmann:  Über  das  Wesen  der  sog.  Wortzusaxmnensetsung. 

Eine  sprachpsjchologische  Studie.     Berichte  der  philol.-hist.  Klasse 
der  K.  Sachs.  Gesellschaft  der  Wissensch.   1900,   S.  359— 401. 

Mit  eindringender  Schärfe  und  Verwendung  reichen  Materiales, 
w^ie  man  es  bei  ihm  erwarten  duri'te,  tritt  Brugmann  in  der  vor- 
liegenden Abhandlung  an  das  Problem  des  Kompositums  heran. 

Die  Frage  ist  die:  Gehört  Lautkontinuität,  äufserliche  „Zusam- 
mensetzung^^ zum  Wesen  des  Kompositums?  B.  verneint  sie,  in  Über- 
einstimmung mit  Wundt,  der  in  seinem  bahnbrechenden  Buche  über 
die  Sprache  (Völkerpsychologie,  erster  Teil)  auf  analytischem  Wege 
zu  der  gleichen  Anschauung  gelangt.  Den  Ausgangspunkt  der  Be- 
trachtung bilden  Beispiele,  wie  „loskaufen",  „antreiben",  die  wir  schon 
durch  die  Zusammenschreibung  zu  Komposita  stempeln,  während  die 
Bestandteile  gesondert  auftreten  können:  „er  treibt  ihn  .  .  .  an". 
Solche  Fälle  des  Schwankens  zwischen  Kontinuität  und  Trennung 
finden  wir  allenthalben  in  den  indogermanischen  Sprachen.  Soll  man 
hier,  mit  H.  Paul  u.  a.,  eine  Zwischenstufe  zwischen  syntaktischem 
Gefiige  und  Kompositum  setzen?  Nach  B.  beginnt  die  „Komposition" 
mit  einem  semasiohgischcn  Vorgang ^  der  ganz  unabhängig  von  der 
Stellung  der  Wörter  zu  einander  erfolgt,  mit  der  „Modifikation  der 
Bedeutung  des  syntaktischen  Wortverbandes"  (S.  362),  d.  h.  dem  be- 
grifflichen Zusammenwachsen  der  einzelnen  Bestandteile  zu  einer  Ein- 
heit, mit  der  yyBef1euitmgsverei)iJieiüicJimig", 

Vom  semasiologischen  Betrachtungsstandpunkt  aus  ist  also  der 
überlieferte  grammatische  Begriff  der  Wortkomposition  zu  erweitern, 
indem  von  der  „Kontaktkomposition"  die  „Distanzkomposition"  zu 
unterscheiden  ist  (S.  382),  und  folglich  manches  als  Korapositimi  zu 
bezeichnen,  was  die  traditionelle  Grammatik  nicht  als  solches  aner- 
kennt, z.  B.  ne  —  quidem,  um  —  willen. 

Wie  ist  es  nun  aber  möglich,  dafs  zwei  in  einem  Satze  von 
einander  getrennte  Wortgebilde  eine  vollkommen  untrennbare  Begriffs- 
einheit bilden  können?  Das  Problem  löst  nach  Brugmann  Wundt 
durch  seine  psychologische  Analyse  des  Satzes^  der  in  der  Seele  des 
Sprechenden   vor  seiner   Aussprache   als    VorstcUimgsehiheit  vorhanden 


290  Litteratur. 

ist  und  nicht  erst  succesiv  nach  seinen  Teilen  appercipiert  wird  (vgl. 
S.  390 ff.);  der  Satz  ist  der  primäre  BewuTstseinsinhalt,  aus  dem  erst 
im  Sprechen  die  Einzel  Vorstellungen  entwickelt  werden,  nicht  dafs 
umgekehrt  aus  den  einzelnen  Vorstellungen  sich  der  Satz  zusammenbaute. 

Der  enge  Rahmen  der  Anzeige  verbietet  es,  näher  auf  diese 
sprachpsychologische  Fundameutalthatsache  einzugehen.  Ebenso  müssen 
wir  ims  damit  begnügen,  auf  die  weiteren  Ausfuhrungen  Brugmanns 
in  dieser  fär  ihren  mäfsigen  Umfang  sehr  inhaltreichen  Abhandlung 
andeutend  hinzuweisen.  So  bespricht  B.  eingeh^id  die  Momente, 
welche  die  Bedeutungsvereinheitlichimg  bei  Kontaktstellung  und  somit 
auch  das  äufserliche  Verwachsen  der  sprachlichen  Bestandteile  einer 
Komposition  fordern,  bezw.  Symptome  der  bereits  vollzogenen  Verein- 
heitlichung sind,  S.  365 — 382,  wie  z.  B.  die  Bedeutimgsänderung 
eines  Bestandteiles  aufserhalb  der  Verbindung  („ob"  ist  aufserhalb 
des  Kompositums  obviam  nicht  mehr  lokal,  sondern  kausal),  oder  die 
lautliche  Änderung  eines  Bestandteiles  aufserhalb  derselben  (pro  neben 
prod-est  u.  s.  w.),  oder  das  vollständige  Absterben  eines  Teils  (venum, 
Akk.  von  venus  „der  Verkauf"  in  venum-dare)  u.  s.  w.;  acht  Klassen 
von  Erscheinungen  werden  unterschieden,  besonders  mannigfaltig  zeigen 
sich  die  Symptome  der  Bedeutungsverschmelzung  auf  dem  Gebiet«  der 
Syntax  und  Wortformation  (Klasse  7).  Inwieweit  diese  Erscheinungen 
auch  für  die  Distanzkomposition  gelten,  zeigt  S.  393  f. 

In  einem  eigenen  Abschnitt  bespricht  B.  die  Erscheinung  der 
Ellipse,  welche  auch  eine  Wirkung  der  Bedeutungsvereinheitlichung, 
freilich  imter  Mitwirkung  des  konventionellen  Charakters  eines  syntak- 
tischen Komplexes,  ist. 

Die  „schwierige  Frage",  welche  Gründe  in  vielen  Fällen  den 
schliefslichen  Sieg  der  Kontakt-  über  die  Distanzstellung  herbeigeführt 
haben,  streift  B.  nur,  ohne  näher  auf  sie  einzugehen. 

Den  Schlufs  der  Abhandlung  bilden  Vorschläge  zur  Ersetzung  des 
als  unzulänglich   en\'iesenen   grammatischen    Terminus   „Komposition". 

Anschliefsend  hieran  sei  darauf  hingewiesen,  dafs  Brugmann 
a.  a.  0.  S.  403 — 411  zwei  lat.  Komposita,  bei  denen  die  Verwachsung 
freilich  weit  vor  die  historische  Zeit  fällt,  etymologisch  untersucht, 
procerus  und  sinccrus.  Ersteres  ist  aus  *pro-cre-ro-s  entstanden  (r 
dissiniilatorisch  geschwunden)  und  mit  crvsco  zusammenzustellen, 
während  sincerus  auf  ein  *sem-cr5-ro-s  zurückzuführen  ist  und  zur 
Gruppe  von  ccrno  „siebe"  gehört:  also  sincerus  =  gesiebt,  wobei  sem 
(sin)  der  Verstärkung  des  Begriffes  der  Ungemisohtheit  dient. 

München.  0.  Hey. 


Theod.  Birt:   Der  Hiat  bei  Flautus  und  die  latein.  Aspiration 
bis  zum  10.  Jahrh.  nach  Chr.     Marburg  1901.    374  S.    8^. 

Gegen   Ritschis   Versuche,    die  Hiate   bei    Plautus   zu    beseitigen, 
erhob   zuerst  Andr.   Spengel   Einspruch,   indem   er  in  seiner  Plautus- 


Litteratnr.  291 

kritik  (1865)  namentlich  die  Kraft  der  Gäsur  zur  Entschuldigung 
der  Hiat«  geltend  machte.  Nach  ihm  behandelten  die  Frage  1869 
C.  F.  Müller  mit  seiner  ^phnitinischen  Prosodie'  und  neuerdings  Mauren- 
brecher 1899  mit  dem  Buche  ^Hiatus  und  Yerschleifung  im  alten 
Latein'  Heft  1.  Einen  neuen  Weg  schlägt  Birt  ein,  indem  er  in 
dem  h  die  Entschuldigung  des  Hiatus  sucht.  Er  behandelt  im  ersten 
Abschnitte  das  h  der  Republik,  indem  er  behauptet,  Varro  habe 
zuerst  das  lateinische  h  dem  griechischen  Spiritus  asper  gleichgestellt. 
Da  indessen  die  Römer  zur  Bezeichnung  dieses  Buchstabens  das  von 
den  Griechen  för  den  Spiritus  asper  gebrauchte  Zeichen  anwen- 
deten und  ihm  im  Alphabete  die  nämliche  Stelle  gaben,  so  mufsten 
sie  doch  längst  beobachtet  haben,  dafs  beide  Laute  sich  deckten 
oder  doch  nahe  berührten.  Birt  behauptet  dagegen,  dafs  h  noch  zur 
Zeit  des  Plautus  den  Charakter  eines  halben  Konsonanten  gehabt 
habe.  Zu  diesem  Behufe  giebt  er  S.  5  5  ff.  auf  Grund  einer  früheren 
Abhandlung  im  Rhein.  Mus.  54  eine  Zusanmienstellung  der  Verse 
(430  an  der  Zahl,  worunter  346  aus  Plautus),  wo  das  h  im  2.  und 
3.  Jahrb.  vor  Chr.  konsonantische  Funktion  gehabt  habe.  Zuerst  habe 
Ennius  im  daktylischen  Hexameter  dem  h  den  Wert  des  griechischen 
Spiritus  asper  gegeben,  und  für  die  ganze  sogen,  klassische  Verskiinst 
Roms  müsse  die  hiatustilgende  oder  positionbewirkende  Kraft  eines  h 
forte  geleugnet  werden. 

Der  2.  Abschnitt,  S.  93 — 161,  handelt  von  dem  h  der  römischen 
Kaiserzeit.  Während  man  firüher  allgemein  der  Ansicht  war,  dafs 
gerade  in  dieser  Zeit  das  lateinische  h  zugleich  mit  dem  Spir.  asper 
der  Griechen  inmier  mehr  verklungen  und  deshalb  so  oft  bald  ausgelassen, 
bald  fälschlich  zugesetzt  sei,,  sucht  jetzt  B.  das  umgekehrte  Verhältnis 
aus  metrischen  und  orthographischen  Gründen  zu  erweisen.  Zuerst  also 
spricht  er  von  dem  konsonantischen  h,  welches  Verschleifung  ver- 
hindert haben  soll,  sodann  von  den  Gnunmatikem,  deren  einige  neben 
einem  schwachen  h  auch  ein  stärkeres  anerkennen;  endlich  von  dem  h 
omissum  und  dem  h  spurium  mit  reichen  Belegen  aus  Inschriften  und 
Handschriften. 

Der  3.  Abschnitt  gilt  dem  lateinischen  h  vom  7.  bis  zum  10. 
Jahrb.  (S.  162 — 29 7 j.  Wenn  die  Romanisten  aus  dem  Verstummen 
in  den  modernen  Sprachen  geschlossen  haben,  die  Entwertung  müsse 
schon  im  Lateinischen  eingetreten  sein,  so  tritt  Verf.  auch  diesem 
Satze  entgegen;  zum  mindesten  macht  er  Unterschiede  und  läfst  das 
h  in  Spanien  und  Sicilien  länger  bestehen  als  in  Südfrankreich.  Der 
Wert  der  Beispiele  wird  dadurch  gemindert,  dafs  das  Lateinische  damals 
eine  tote  Sprache  geworden  war  und  die  Schrift  nicht  immer  den 
Rückschlufs  auf  die  Aussprache  gestattet. 

Ln  4.  Abschnitte  kehrt  B.  wieder  zu  Plautus  zurück.  Nach  Aus- 
scheidung von  430  Beispielen  der  *  zuverlässigen*  Geltung  des  konso- 
nantischen h  im  Altlatein  bleiben  doch  noch  zahlreiche  Fälle  von 
Hiaten  vor  Wörtern  übrig,  welche  nicht  mit  h  anlauten,  und  diese 
schwächen  natürlich  die  Argumentation  von  Birt.  Er  versucht  daher 
auch   die   widerstrebenden   Beispiele    aus    der   Natur    der    lateinischen 


292  Litteratur. 

Sprache  zu  erklären.  Dafür  mufs  die  volkstümliche,  bezw.  rustike 
Aussprache  herhalten;  diese  habe  eine  Reihe  von  Wörtern,  welche 
weder  in  der  Etymologie  noch  in  der  Orthographie  ein  Anrecht,  auf 
h  hatten,  fälschlich  mit  h  gesprochen.  Li  diese  Klasse  werden  ab, 
abeo,  in,  intro,  ebrius,  ob,  obviam,  obsecro,  occido,  omnia  gerechnet 
I  wobei  daran  erinnert  sein  mag,  dafs  Havet  onmes  von  homines 
ableitet.  Hed.J,  sodafs  also  Plautus  geschrieben  und  skandiert  haben 
soll  Mere.  259 

insc^ndo  hin  lembimi  atque  ad  navem  devehor. 
Mit    solchen    und    ähnlichen    Mitteln    wird    die    Zahl    der    Hiate    bei 
Plautus   bedeutend   verringert;   der  Rest  wird  in   einen  Anhang   ver- 
wiesen und  teilweise  wegemendiert.     Den  Schlufs  machen  zwei  Indices, 
ein  Autoren-  und  ein  (unvollständiges)  Wörterverzeichnis. 

Man  vermifst  in  dem  Buche  eine  Erwähnung  des  Lautes,  welcher 
im  Griechischen  eine  ähnliche  Schwächung  erfahren  hat,  des  Digamma, 
welches  bei  Homer  noch  Position  macht,  bei  den  Attikem  abgestorben 
ist,  bei  Pindar  noch  ausreichend  ist,  um  einen  Hiat  zu  beseitigen.  Die 
Oeschichte  des  Digamma  lehrt  uns,  daiJs  es  nicht  bei  aUen  Wörtern 
zu  gleicher  Zeit  und  in  gleichem  Grade  verloren  ging,  sehr  frühe  bei 
olKog  imd  olvog^  nämlich  schon  in  der  Odyssee.  Da  es  dem  latein.  h 
ähnlich  gegangen  sein  wird,  so  stellt  B.  S.  201  den  Romanisten  die 
Aufgabe,  die  Lautgeschichte  jedes  einzelnen  Wortes  zu  schreiben;  nur 
fragt  man  sich,  warum  Verf.  nicht  selbst  diesen  Versuch  gemacht  hat. 

Ein  zweiter  Punkt  betrifft  die  Statistik.  Wenn  wir  die  Zahl 
der  Verse  mit  kräftigem  h  kennen,  so  möchten  wir  auch  wissen,  wie 
oft  vor  h  der  vorausgehende  Vokal  elidiert  worden  sei,  in  welchem 
Verhältnisse  also  das  abgeschwächte  h  zu  dem  starken  stand.  Mauren- 
brecher würde  uns  sicher  nicht  im  Stiche  lassen.  Ich  selbst  taxiere 
nach  Stichproben  die  Proportion  auf  8:1.  Das  giebt  der  Sache  ein 
anderes  (lesicht;  denn  man  wird  mm  bedenklicher  werden,  der  Lehre 
von  Birt  zuzustimmen.  Jeden  Hiatus  bei  Plautus  auszumerzen  wird 
doch  nicht  gelingen,  und  Nachlässigkeiten  des  Dichters  werden  stehen 
bleiben,  über  deren  Entschuldigung  und  Verteidigung  er  selbst  lächeln 
würde. 

Die  Entschuldigungen  des  Hiates  sind  teils  sprachlicher  Nat^ir, 
wie  die  nachwirkende  Kraft  eines  anlautenden  h  oder  eines  auslauten- 
den m  oder  eines  ablativischen  d,  teils  logischer,  wie  Personenwechsel, 
starke  Interpunktion,  teils  endlich  metrischer  Art,  sodafs  die  Gründe 
bald  einzeln,  bald  vereint  wirken.  Von  diesen  dreien  hat  B.  den 
ersten  Faktor  mit  spezieller  Beziehung  auf  h  zimi  Thema  gemacht, 
den  zweiten  gelegentlich  berührt,  den  dritten  fast  ganz  vernachlässigt, 
iiaiuentlich  die  Cäsm*  des  jambischen  Trimeters,  worin  wir  eine  Ein- 
seitigkeit erblicken.  B.  mufste  sich  mit  Spengel  und  Maurenbrecher 
auseinandersetzen,  und  er  durfte  sich  nicht  den  Schein  geben,  als  ob 
Gegnt^r  Ritschis  nicht  existierten.  Selbst  die  Kraft  der  Nebencäsur, 
so  heikel  diese  l^Vage  auch  ist,  durfte  er  nicht  einfach  beiseite  schie- 
ben. Das  ultimum  refugium  })leibt  immer  die  Emendation,  die  metho- 
disch-kritische Textbehandlung.     An  weit  mehr  Stellen,  als  B.  zugiebt. 


Litteratur.  293 

verdienen  alte  und  neue  Konjekturen  den  Vorzug  vor  seinem  h  spuriiun 
oder  selbst  dem  h  genuinum.  Seitdem  es  feststeht,  dafs  Plautus  illic 
neben  illi,  horunc  neben  horum  gebraucht  hat,  darf  man  die  alten 
Formen  auch  ohne  die  Autorität  der  Handschriften  herstellen,  z.  B. 
rusus  neben  rusum,  Aul.  649.  Da  namque  bei  Plautus  fehlt,  nam 
aber  ein  dutzendmal  Hiatus  nach  sich  zieht,  sollen  wir  da  nicht  ver- 
muten, dafs  die  alte  Form  nanc  durch  das  geläufige  nam  ersetzt 
wurde? 

Und  nun  zimi  Schlufs.  Wenn  wir  das  h  spurium,  d.  h.  das  fälschlich 
geschriebene,  verwerfen  und  die  Kraft  der  Hauptcäsur  im  jambischen 
Trimeter  herstellen,  wollen  wir  dann  die  ganze  neue  Lehre  von  dem 
konsonantischen  h  im  Sand  verlaufen  lassen?  Zu  dem  letzteren  möchte 
ich  doch  nicht  raten;  denn  es  bleibt  doch  ein  Drittel  der  Stellen 
übrig,  bei  welchen  eine  andere  Entschuldigung  nicht  zur  Verfägimg 
steht.  Das  Hauptkontingent  stellen  hodie,  homines,  habeas.  Da  wäre 
es  doch  möglich,  dafs  gerade  bei  diesen  Wörtern  die  Aussprache 
kräftiger  gewesen  wäre.  Denn  darin  stimme  ich  Birt  durchaus  bei, 
dafs  eine  Restitution  der  Bergkischen  Archaismen  hocedie,  homones 
äuDserst  bedenklich  ist.  Eine  feste  Entscheidimg  wage  ich  nicht  zu 
geben,  da  mein  statistisches  Material  über  das  Verhältnis  dieser 
Wörter  zu  andern  nicht  ausreicht;  allein  es  sollte  mich  freuen,  wenn 
genauere  Untersuchungen  zu  einem  sicheren  Ergebnisse  führen  würden. 

München.  Wilh.  Christ. 


D.  Detlefs en:   Pote    und  seine  Verwendung   im  Lateinischen. 
Progr.  Glückstadt  1901.    14  S.    4^ 

Das  *  Programm  handelt  nicht  blofs  über  pote  und  utpote, 
sondern  auch  über  die  verkürzten  Formen  wie  quippe  und  nempe. 
Die  Beispielsammlung  geht  im  Ganzen  nicht  üLer  die  Klassizität 
hinaus  und  deckt  sich  vieKach  mit  der  von  Haph.  Kühner;  doch  ist 
die  Erklärung  der  einzelnen  Stellen  vielfach  eine  bessere.  Dräger 
scheint  nicht  benützt. 

Bei  der  Erklärung  von  possum  =  pote  sum  hätten  wir  ein  Ein- 
gehen auf  die  Frage  gewünscht,  warum  die  Neutralform  durchge- 
drungen, und  ob  nicht  potis  sum  (Svvaxog  et(ii)  neben  pote  est  als 
die  ältere  Form  zu  betrachten  sei.  Bei  utpote  qui  und  ut  qui  kommt 
die  Modusfrage  zur  Erörterung,  und  es  wird  der  Indikativ  verteidigt, 
auch  wo  ihn  moderne  Kritiker  angefochten  haben,  z.  B.  Tac.  Germ.  22 
ut  apud  quos  plurimum  hiems  occupat.  Die  Parallelle  bei  Cic.  Att. 
2,  24,  4  utpote  qui  nihil  contemnere  solemus  kann  noch  gestützt  wer- 
den durch  Justin  24,  6,  5  ut  qui  solemus  und  andere  Belege  aus 
dem  Spätlatein,  wie  ut  qui  animadverterat  (Apul.  flor.).  Das  pte  in 
snopte  u.  ä.  wird  übersetzt  mit  'kann  sein'=  pote  est  als  Parenthese, 
wofür  wir  Sielleicht'  setzen  können.  Plaut.  Truc.  471:  ego,  quod 
mala  sum,  matris  opera  mala  sum  et  meapte  malitia.     In   der  Stelle 

Archiv  für  Ut.  Lexikogr.   XU.   Heft  2.  20 


294  Litteratur. 

Paulus  Festi  78  ipsippe)  ipsi  neque  alii  empfiehlt  Verf.   mit  Ursinus 
ipsipte  zu  schreiben. 

Die  Deutung  von  quippe  ist  bekanntlich  immer  noch  kontrovers. 
Die  von  Weifsenbom  behaupteten  Verbindungen  quippe  ut  und  qaipi>e 
si  werden  mit  Recht  zurückgewiesen.  In  der  Modusfrage  bei  quippe 
qui  trennt  sich  bekanntlieh  Cicero  von  Sallust,  während  Caesar  die 
Partikel  vermeidet.  Verf.  betrachtet  quippe  als  elliptischen  Fragesatz, 
den  sog.  Relativsatz  als  Hauptsatz,  welcher  die  Antwort  enthftlt.  — 
tlber  quispiam  u.  ä.  wollen  wir  hinweggehen,  da  von  sicheren  neuen 
Ergebnissen  nicht  gesprochen  werden  kaim. 


Job.  Wolfg.  Freund:  De  C.  Suetonii  TranquUli  usu  atque  genere 
dioendi.     (Bresl.  Doct.-Diss.)    Berol.  1901.    68  pgg.    8^ 

Die  Herrn  Prof.  K.  F.  W.  Müller  gewidmete,  gründliche  Abhand- 
lung hat  den  Vorwurf,  mit  den  Arbeiten  von  Thimm  und  Bagge  zu 
kollidieren,  dadurch  vermieden,  dafs  sie  in  ihrer  ersten,  gröfseren 
Hälfte  nicht  die  Grammatik,  sondern  die  Stilistik  behandelt.  So 
bietet  sie  in  der  That  eine  erwünschte  Ergänzung  zu  den  Disserta- 
tionen der  Vorgänger.  Deutlichkeit,  Kürze,  Ellipse,  Wortstellung, 
Konzinnität,  Asyndeton,  das  sind  einige  der  Hauptkapitel.  Es  soll 
damit  nicht  gesagt  sein,  dafs  sich  nicht  filr  Undeutlichkeit,  Breite  des 
Ausdruckes,  Inkonzinnität,  auch  einzelne  Beispiele  finden  liefsen,  z.  B. 
Aug.  1  ara  Octavio  (=  ab  Octavio)  consecrata,  wo  der  Leser  doch  auch 
einen  Dativ  hineininterpretieren  könnte,  so  gut  dies  bei  Tac.  Germ.  3 
aram  Ulixi  consecratam  geschehen  ist. 

Der  zweite  Teil  folgt  den  üblichen  Rubriken  der  Grammatiker 
imd  bietet  Nachträge  zu  Thimm  und  Bagge.  Besonders  wertvoll  ist 
S.  00  die  Zusammenstellung  der  chca^  eiQrifiiva.  Eine  wichtige  Be- 
obachtung ist  S.  63  in  einer  Fufsnote  versteckt,  dafs  quotiensque 
=  quotienscunque  ^uch  bei  dem  Juristen  Paulus  Dig.  26,  7,  24,  bei 
Hilarius  und  Sidonius  Apollinaris  vorkommt.  Vgl.  Arch.  XI  402. 
Im  zweiten  Teile  wird  auch  die  Sprache  Suetons  öfter  ipit  der 
Sprache  des  Cicero,  Livius  u.  s.  w.  verglichen,  was  im  ersten  kaum 
der  Fall  ist. 


Adolf  Zaun  er:  Bomanisohe  Sprachwissensohaft.     Leipzig  1900. 
167  S.  kl.  8^ 

Wenn  auch  die  BUndcben  der  ^Sammlung  Göschen',  welche  eine 
Wissenschaft  oder  eine  Einzeldisciplin  zu  80  Pfennig  gebunden  liefert, 
sogar  mit  Tafeln  und  Abbildungen,  an  Weii:  ungleich  sind,  so  konunen 
doch  die  meisten  einem  Bedürfnisse  entgegen.  Nicht  nur  der  an- 
gehende Romanist  oder  der  bildungsdiu'stige  Laie,  auch  der  Latinist 
wird  einen  Überblick  über  den  heutigen  Stand  der  sog.  Romanistik 
mit  Freuden  begrüfsen.     Die  Teilung  des  StofiFes  in  zwei  Hauptkapitel 


Litteratur.  295 

(Vulgärlatein  und  Bonianische  Sprachen)  bringt  es  mit  sich,  dals 
manches  an  zwei  Orten  besprochen  wird  und  daher  auch  Wieder- 
holungen unterlaufen;  man  vgl.,  was  S.  24.  25  imd  65  über  den 
Diphthongen  au  gesagt  ist.  Auch  läfst  die  Gruppierung  im  einzelnen 
noch  zu  wünschen  übrig,  so  gleich  in  den  vier  ersten  Paragraphen 
der  Lautlehre:  Accent.  Vokale.  Diphthonge.  Konsonanten.  Denn  die 
Überschrift  ^Quantität  imd  Qualität'  gehört  nicht  zu  dem  Accente, 
sondern  zu  den  Vokalen,  und  im  Paragraphen  ^Diphthonge'  stehen  Dinge, 
welche  die  Vokale  betreffen.  Weiter  wird  bei  dem  Leser  zu  viel 
vorausgesetzt,  wenn  ohne  ein  Wort  der  Erklärung  die  'gedeckten' 
Silben  oder  die  Zeichen  e  und  f  eingeführt  werden.  Endlich  aber 
fehlt  es  auch  nicht  an  Ungenauigkeiten,  so  wenn  von  einer  heute 
längst  aufgegebenen  lateinischen  Form  coena  gesprochen,  oder  gesagt 
wird,  das  Volk  habe  manducare  statt  edere  gebraucht:  dies  gilt  für 
Frankreich  imd  Italien,  nicht  aber  für  Spanien  (comedere).  Der- 
gleichen wäre  in  einer  zweiten  Auflage  zu  verbessern.  —  Noch  sei 
erwähnt,  dafs  die  Lautlehre  und  Formenlehre  (Deklination,  Konjugation, 
Komparation)  ausführlich  behandelt  sind,  die  Wortbildung  sehr  kurz, 
die  Syntax  fast  gar  nicht. 


W.  A.  Lindsay:  The  Captivi  of  Plautus.     Edited  with  introduction, 
apparatus  criticus  and  commentary.     London  1900.    384  pgg.    8®. 

Die  Ausgabe  läfst  sich  am  ehesten  mit  denen  von  Brix,  Nie- 
meyer, Lorenz  vergleichen;  in  dem  Punkte  steht  sie  über  denselben, 
als  sie  sich  nicht  als  ^Schulausgabe'  giebt  und  in  der  gewissenhaften 
Benützung  der  Einzeluntersuchungen  deutscher  Philologen  geradezu 
grofsartig  ist.  Da  wir  sie  als  den  ersten  Band  einer  grofseren  Serie 
betrachten  dürfen,  so  wai-  eine  allgemeine  Einleitung  notwendig, 
welche  in  drei  Kapiteln  über  die  Plautushandschriften,  über  Prosodie 
und  Metrik  handelt.  L,  hat  mit  Ausnahme  des  Anibrosianus  die 
mafsgebenden  Handschriften  neu  verglichen  und  auch  ü])er  die  un- 
bedeutendsten Varianten  genauen  Bericht  erstattet;  über  die  Kol- 
lation der  Tumebushandschrift  vgl.  Arch.  X  442.  Eine  Hauptkon- 
troverse, die  Übereinstimmung  des  Versictus  und  des  Wortaccentes, 
ist  von  der  *  Litroduction '  ausgeschlossen  und  in  einen  Anhang  ver- 
wiesen. Dafs  der  Herausgeber,  dem  Vorbilde  seines  grofsen  Lands- 
mannes Bentley  untreu,  den  Leser  nicht  durch  das  Setzen  von  Accen- 
ten  unterstützt  hat,  werden  nicht  blofs  die  Anfänger  bedauern,  da 
Leo  wenigstens  in  schwierigen  Fällen  und  bei  Übergängen  das  Skan- 
dieren erleichtert  hat;  auch  ist  zu  bedenken,  dafs  in  imserer  Zeit  die 
Vorkenntnisse  der  Studenten  nicht  besser  geworden  sind.  Wenn  man 
im  Texte  V.  760  surripuit  schreibt,  dieses  aber  dreisilbig  (surpuit) 
gesprochen  denkt,  so  raufs  jedermann  anstofsen,  bevor  er  die  Note 
gelesen  hat.  Und  wer  wird  V.  840  hinter  gaudiis  einen  Daktylus 
suchen?  Im  ganzen  schenkt  L.  der  handschriftlichen  Ül)erlieferung 
viel  mehr  Glauben  als  Gottfr.  Hermann  und  Ritschi,  und  es  gilt  dies 


296  Litteratur. 

nicht  nur  von  der  Konjekturalkritik ,  sondern  auch  von  der  Vers- 
abteilung; eine  schöne  Verbesserung  ist  es  übrigens,  dafs  das  tempo- 
rale cum  (cum  emi  hosce  homines)  an  den  Schlufs  des  Verses  499 
statt  an  den  Anfang  von  V.  500  gestellt  wird,  woraus  sieh  eine 
schöne  Synunetrie  des  Versbaues  ergiebt. 

Der  Hauptwert  der  Ausgabe  liegt  in  dem  Kommentare,  und 
zwar  in  der  Exegese,  namentlich  in  den  lexikalisch -granmiatischen 
Bemerkungen,  weniger  in  der  Sacherklärung,  fEbr  welche  Brix  und 
Ussing  mehr  geleistet  haben.  Man  wird  so  zu  V.  287  belehrt,  dafs 
der  Genetiv  ipsius  an  dieser  einzigen  Stelle  bei  Plautus  vorkommt, 
oder  zu  V.  818,  dafs  orbus  bei  Plautus  mit  Genetiv  und  Ablativ,  bei 
Ennius,  Terenz  und  Afranius  nur  mit  dem  Ablativ  verbunden  wird. 
Auch  werden  Parallelstellen  aus  alter  wie  neuer  Zeit  in  reicher  Fülle 
vorgelegt,  ohne  dafs  man  freilich  sagen  könnte,  dafs  alle  zur  Lösung 
der  Schwierigkeiten  beitragen.  So  wird ^  mit  dem  Hinweise  auf  die 
bekannten  Phrasen  nuptum  dare,  essum  vocare  nicht  bewiesen,  dafs 
V.  179  age  sis  roga  emptum  die  Supinform  anzunehmen  sei,  weshalb 
Salmasius  sich  mit  einer  Konjektur  (rogo),  Brix  mit  Personenwechsel 
geholfen  haben.  Zu  V.  947  (libella  argenti)  und  795  (plateam)  ver- 
mifst  man  eine  sachliche  Erklärung,  an  letzterer  mit  Bezug  auf  die 
aktuelle  Frage  der  schmalen  Bühne  zur  Zeit  der  neuen  Komödie. 
Noch  mehr  muTs  man  bedauern,  dafs  L.  zu  V.  335  über  die  sachliche 
Bedeutimg  von  huius  in  Verbindung  mit  der  Frage  der  Personenver- 
teilung nicht  die  einsichtsvolle  Bemerkung  von  üssin^  berücksichtigt  hat. 

Dafs  L.  in  der  Kritik  konservativ  ist  und  viel  Worte  auf  die 
Verteidigung  der  handschriftlichen  Lesarten  verwendet,  wurde  bereits 
bemerkt;  er  scheut  sich  nicht,  allen  neueren  Herausgebern,  oder  doch 
fast  allen  gegenüberzutreten,  z.  B.  V.  521.  939.  1022.  Dafs  man  es 
früher  mit  der  Annahme  interpolierter  Verse  zu  leicht  genommen  hat, 
mag  ja  zugegeben  werden;  aber  ebenso  ist  es  ein  Extrem,  V.  266 
Seyfferts  geistreiche  Konjektur  (nunc  iam  cultro  es  attinet  statt  cul- 
tros)  nicht  einmal  zu  erwähnen.  Die  eigenen  Konjekturen,  welche 
li.  hier  und  da  gewagt  hat,  sind  grofsenteils  schwache  und  wohlfeile 
Versuche,  die  zwar  äufserlich  den  Zügen  der  Handschriften  sich  eng 
anschliefsen,  aber  innerlich  geringe  tll)erzeugimgskrafk  besitzen.  Vgl. 
201  oculis  multa  mira  aitis  (statt  miraclitis)  oder  1014  illi  ^hi^* 
statt  illic. 

Orthographischen  Neuerungen  ist  L.  nicht  abgeneigt,  selbst  wenn 
sie  in  den  Handschriften  keinen  Halt  haben,  wie  289  pertenax,  449 
tarpezitae;  verfehlt  ist  es,  V.  820  eum  ego  in  der  Bedeutung  von  eorum 
ego  zu  nehmen  und  gegen  die  Konjektur  von  Brix  eorum  ego  zu 
verteidigen;  das  Richtige  war  schon  bei  üssing  und  Leo  zu  sehen. 
Wenn  aber  auch  niclit  alles  in  dem  Buche  Gold  ist,  eine  gute  Leistung 
bleibt  die  Ausgabe  doch.  Sehr  zu  wünschen  ist  es  deshalb,  dafs  die 
englische  Sprache,  welche  Hsgb.  statt  des  internationalen  Lateins  wählte, 
der  Verbreitung  des  Buches  in  Deutschland  nicht  im  Wege  stehen  möge. 

München.  Wilh.  Christ. 


Litteratur.  297 

Begnlae  S.  Benedioti  traditio  oodieiiin  mss.  Casinensiam.  Monte- 
casini  1900.    XXHI,  86  pgg.    4®. 

Eine  allen  Anforderungen  der  wissenschaftlichen  Kritik  genügende 
Ausgabe  der  Regula  Benedicti  ist  zunächst  eine  Aufgabe  der  Wiener 
Kirchen väterkommission,  welche  auch  die  Arbeit  einem  Benediktiner 
de  Meuron  übergeben  hat.  Die  Montecasiner  Ausgabe  will  nur  eine 
Vorarbeit  dazu  sein,  indem  sie  zunächst  die  Varianten  der  nicht  über 
das  IC).  Jahrhundert  hinaufreichenden  Handschriften  des  Stammklosters 
zasammenstellt;  diese  werden  durch  die  Katalognummem  175.  179 
u.  s.  w.  bezeichnet,  während  wir  grofse  lateinische  Buchstaben  vor- 
gezogen hätten.  Diese  Lesarten  erscheinen  jedoch  nur  im  Apparatus 
criticus,  während  den  Text  ein  genauer  Abdruck  des  Cod.  Sangallensis 
914  saec.  IX  bildet,  welchen  Traube  (vgl.  Arch.  XI  295)  als  die  ge- 
naueste Abschrift  des  bis  896  in  Montecasino  vorhandenen  ürexem- 
plares  des  Verf.  erkannt  hat.  Da  St.  Gallen  einen  älteren  Codex  der 
Regula  (N.  916  saec.  VIII)  besitzt,  so  hatte  man  über  diesem  den 
jüngeren,  aber  kritisch  wichtigeren  vernachlässigt,  imd  Ref.  selbst 
hatte  bei  seinem  kurzen  Aufenthalt  in  St.  Gallen  nur  den  älteren 
koUationiert.  Nur  die  Casinenser  Überlieferung  will  also  die  neue 
Ausgabe  herstellen;  die  älteste  Oxforder  Handschrift  und  die  Tegem- 
seer  kommen  gar  nicht  in  Frage.  Der  Herausgeber  ist  nicht  der 
verdiente  Abt  von  Montecasino,  Amelli,  sondern  die  Vorrede  ist  unter- 
zeichnet mit  G.  M.,  aus  welcher  Abkürzung  man  unschwer  den  durch 
seine  Entdeckungen  berühmten  Germ.  Morin  herausliest. 


Ale.  Mac e:    De    emendando    differentiarum   libro,    qui  Isidori 
esse  fertur.     Paris  (1900).    170  pgg.    8®. 

Neben  der  Sammlung  der  lateinischen  Glossen  vermifst  man  eine 
solche  fär  die  lateinischen  Synonyma,  zu  welcher  bereits  J.  W.  Beck 
dankenswerte  Vorarbeiten  geliefert  hat.  Auch  Mace  schliefst  sich  in 
dieser  der  Pariser  Fakultät  vorgelegten  'These'  dessen  Untersuchungen 
an,  indem  er  die  Prolegomena  zu  einer  Ausgabe  des  sogen.  Traktates 
De  proprietate  sermonum  (Titel  nach  Nonius)  ^Inter  poUiceri  et 
promittere*  etc.  vorlegt.  Nur  die  Specialisten  würde  es  interessieren, 
wenn  wir  über  die  28  Ausgaben  dieser  Schrift  berichteten;  über 
den  kritischen  Ertrag  von  neun  Handschriften  wird  uns  die  Aus- 
gabe aufklären,  und  dafs  man  daraus  Neues  lernen  wird,  möge  ein 
Beispiel  darthun.  Von  dem  bei  Cic.  Balb.  45  genannten  M.  Tugio 
sagt  schon  Baiter  im  Onomasticon:  videtur  ei  iuris  parti  se  maxime 
dedisse,  quae  est  de  im-e  aquaeductuum.  Nun  heifst  es  in  unserem 
Traktate:  tuga,  quibus  aqua  deducitur,  wonach  dann  ein  Substantiv 
tugum  für  die  Zeit  des  Cicero  gewonnen  zu  sein  scheint,  da  ja  der 
abgeleitete  Name  ein  Stammwort  voraussetzt.  Vgl.  linteum  linteo, 
libellus  libellio,  littera  litterio.  Frz.  tuvau  Brunnenröhre.  Der  Verf. 
ist  ein  Schüler  von  Louis  Havet. 


298  Litteratur. 

Hermann  Peter:  Der  Brief  in  der  römisehen  Litterator.     (Ab- 
handl.  d.  Sachs.  Ges.  d.  Wiss.  XX  3.)  Leipzig  1901.   259  S.   gr.  8^. 

Der  Vert*.  hat  sein  Buch  ^litterargeschichtliche  Untersuchungen 
und  Zusammenfassungen'  betitelt,  woraus  man  ersieht,  dafs  es  8i(*h 
nicht  um  eine  Geschichte  des  Brietstiles  handelt,  tür  welche  es  aller- 
dings an  Vorarbeiten  nicht  fehlen  würde.  Wir  erinnern  nur  an  die 
Arbeiten  von  Stinner  (Oppeln  1879),  HeUmuth  (Würzburg  1888), 
Köhler  (Nürnberg  1890),  an  die  Aufsätze  von  Landgraf  (bayr.  Gymn.-Bl. 
Band  16)  und  Schmalz  (Zeitschr.  f.  d.  Gymn.-W.  Band  35)  und  an  das 
Arch.  XII  147  besprochene  zweite  Programm  von  Paul  Me^-er.  Der 
Verf.  schreibt  vielmehr  als  Litterarhistoriker,  und  so  wird  man 
gerne  von  ihm  hören,  wie  er  über  die  imdecim  volumina  Briefe  denkt, 
welche  Nepos  bei  Atticus  sah,  wie  über  die  Zeit  der  Veröffentlichung 
der  Briefe  ad  Atticum,  in  welcher  Kontroverse  er  sich  an  Bücheier 
anschliefst.  Neue  Ansichten  hat  er  ü])er  die  Entstehung  der  Samm- 
lung ad  familiäres  vorgetragen,  zu  welchen  die  Philologie  wird 
Stellung  nehmen  müssen.  Warum  die  Briefe  der  Cornelia  und  die  des 
Alcimus  Avitus  nicht  erwähnt  werden,  entzieht  sich  unserer  Kenntnis. 

Nur  in  einem  einzelnen  Punkte  berührt  sich  der  Verf.  mit  dem 
Gebiet«  des  Archives.  Die  Sprache  mufs  doch  auch  gewürdigt  wer- 
den, wo  sie  für  die  Echtheit  oder  Unechtheit  der  Briefe  zeugt,  oder 
auch,  wenn  der  ^Stil'  zur  (Charakteristik  des  Verfassers  beiträgt, 
obschon  hier  Lexikographie  und  Grammatik  links  liegen  bleiben  müssen. 
Mit  Recht  betont  daher  der  Veri*.,  dafs  die  sprachlichen  Besonder- 
heiten der  Briefe  an  Brutus  nichts  gegen  die  Echtheit  beweisen,  weil 
hier  die  grofse  AkkommodationstUhigkeit  Ciceros  in  Betracht  kommt. 
Er  schreibt  an  Paetus  oder  an  Trel)atius  Testa  in  witzigem  Tone, 
weil  diese  auch  Humoristen  sind,  also  gewifs  auch  nüchterner  an 
Brutus,  weil  dieser  dem  dürren  Atticismus  huldigt.  Wenn  wir  wissen, 
dafs  man  den  zu  beantwortenden  Brief  neben  sich  hatte  und  nach 
der  Disposition  desselben  Punkt  um  Punkt  erledigte,  so  hat  dies 
weiter  dazu  geführt,  dafs  Cicero  die  Ausdrücke  des  Adressaten  bei- 
behielt, auch  wo  sie  mit  seinem  eigenen  Latein  nicht  übereinstimm- 
ten. Von  zahlreichen  Beispielen  nur  eins:  Cato  an  Cic.  epist.  15,  5 
quod  tu  maluisti,  factum  esse  gaudere;  Cicero  an  Cato  epist.  15,  6,  2 
si  id,  quod  maluero,  acciderit  gaudeas. 

Das  Volumen  epistularum  tuarum  bei  Cic.  Att.  9,  10,  4  erklärt 
Peter  richtig  so,  dafs  Cicero  die  einzelnen  auf  Papyrus  (nicht  auf 
Wachstafeln)  geschriebenen  Briefe  des  Atticus  aneinandergeklebt  und 
aufgerollt  hatte,  wofür  uns  ein  Papyrus  der  Sammlung  Erzherzog 
llainer  ein  Beispiel  liefert. 

Jules  Pirson:  La  langue  des  inscriptions  latines  de  la  Gaule. 
Bruxelles  1901.    XVI,   328  pgg.    8^. 

Das  Buch,  welches  den  elften  Fascikel  der  Bibliotheque  de  la 
faculte  de  philosophie  et  lettres  de  Tuniversite  de  Liege  bildet,  ist  aus 
einer  Preisaufgabe  hervorgegangen  (vgl.  Arch.  XI  137).     Der  Verfasser, 


Litteratur.  299 

geborener  Belgier,  damals  junger  Doktor,  ist  mittlerweile  Liektor,  dann 
Privatdocent  in  München  geworden  imd  kürzHch  zum  Extraordinarius 
in  Erlangen  befördert.  Er  hat  seine  Arbeit  begonnen,  wie  der  Land- 
mann, welcher  in  seinem  Weinberge  einen  Schatz  suchte;  er  hoffte  (und 
mit  ihm  wohl  auch  sein  Lehrer,  Prof.  Waltzing,  welcher  die  Preisauf- 
gabe stellte)  in  dem  Latein  der  Inschriften  Galliens  lokale  Sprach- 
unterschiede zu  finden,  welche  auf  das  moderne  Französisch  hinüber- 
leiten würden.  Aber  wenn  er  auch  S.  324  enttäuscht  eingesteht,  nur 
wenig  gefanden  zu  haben,  so  ist  seine  Arbeit  doch  nicht  umsonst  ge- 
wesen. Denn  wenn  auch  die  meisten  Lautveränderungen,  wie  der  Fall 
des  auslautenden  s  und  t  sich  ebenso  in  anderen  Provinzen  findet,  so 
ist  doch  für  andere  Wandlimgen  ein  Einfiufs  des  Keltischen  nicht  aus- 
geschlossen. Manche  Abschnitte  bringen  Neues  für  die  lateinische 
Grammatik  und  Lexikographie.  So  werden  S.  219  ff.  unter  *Deriva- 
tion'  die  interessanteren  Wörter  nach  den  Suffixen  aufgeführt,  wobei  sich 
folgende  bei  Georges  fehlende  finden:  algo,  buccio,  escurüio,  furo,  galeo, 
occellio,  pedo,  poppo,  puello,  soricio,  stabulo,  tato,  vertico,  villo,  vitio 
—  pattosus,  Veneriosa,  Bellosa,  Carusus,  Tryphosa,  Oharistosa  —  Assi- 
darius,  barbaricaria,  caracteraria ,  cycnariimi,  laudecenarius(V),  manu- 
pretiarius,  prossaria,  saponaria.  Das  in  weiblichen  Namen  auftretende 
Suffix  -itta,  welches  man  für  afrikanisch  halten  wollte,  begegnet  uns 
auch  in  Gallien  mit  Nonitta  und  lulianeta.  Von  Fremdwörtern  können 
wir  anführen:  anabolium,  anuboforus,  Harpagius;  faraburis,  aliberga. 
S.  237  ff.  folgt  dann  noch  eine  lange  alphabetisch  geordnete  Liste  von 
^Mots  rares  ou  nouveaux':  alleetura,  calculatura,  pateratus,  tutatrix, 
vinitator,  virginiuni.  Adjektiva:  aevalis,  Anubiacus,  conmaemorialis, 
consacranius,  invictrix,  incorporatus,  lunilicia  (Name  eines  Festes), 
obmerens,  perassiduus,  profallax,  patillus,  septinaris,  sexarbor,  vestibula. 
Verba:  eoinlucisco  u.  s.  w.  S.  253  ff.  werden  die  Bedeutungs Verände- 
rungen besprochen,  z.  B.  compar  (Gemahl,  Gemahlin),  fascia,  filins, 
bomo,  infans,  memoria,  parens,  patres,  parvulus,  popiili,  titulus;  iugalis 
(Gatte,  Gattin)  u.  s.  w. 

Es  liegt  in  dem  Buche  vielleicht  eine  Aufforderung,  die  Inschriften 
anderer  Länder  in  ähnlicher  Weise  zu  untersuchen;  f(ir  Spanien  und 
Afrika  können  wir  auf  Hübner  und  Kubier  verweisen.  Ein  Lob  aber 
müssen  wir  dem  Verf.  noch  ausdrücklich  aussprechen,  dafs  er  die 
neueren  Forschungen  auf  dem  Gebiete  der  lateinischen  Grammatik 
kennt,  wie  wenige  seiner  Kollegen. 


Bitte  für  den  Thesaurus. 

Die  Materialsammlungen  des  Thesaurus  müssen  jetzt  im  wesent- 
lichen als  abgeschlossen  gelten;  das  Biu-eau  hat  mit  der  Ausarbeitung 
der  Artikel  und  Erledigung  der  laufenden  Korrekturen  alle  Hiinde 
voll  zu  thun.  Es  bleibt  aber  natürlich  höchst  wünschenswert,  dafs 
die  Ergebnisse  der  überall  fortschreitenden  wissenschaftlichen  Arbeit 
fortwährend  dem  Thesaurus  für  die  noch  nicht  ausgearbeiteten  Artikel 


300 


Vollmer:  Bitte  für  den  Thesaurus. 


zugeführt  werden.  Als  solche  dankenswerte  Ergänzungen  kämen  in 
Betracht:  neue  und  seltene  Wörter  und  Konstruktionen  von  neu 
gefundenen  Inschriften  und  Münzen  oder  Papyri,  desgleichen  aus  ab- 
gelegenen Texten,  aus  neu  gefundenen  oder  neu  verwerteten  guten 
Handschriften,  lexikalische  Monographien  oder  verstreute  Bemerkungen, 
sichere  Konjekturen  oder  Erklärungen  schwieriger  Stellen  u.  ä.  Un- 
erläfslich  für  derartige  Beiträge  ist  absolute  Zuverlässigkeit  der 
gemachten  Angaben  als  Citate,  Lesungen,  Zusammenstellungen,  nament- 
lich für  abgelegenere  Quellen,  die  im  Thesaurusbureau  nicht  nach  ver- 
glichen werden  können. 

Am  einfachsten  und  erwünschtesten  ist  uns  naturgemäfs  die  Zu- 
sendimg der  Publikationen  selbst,  in  welchen  solche  Bereicherungen 
unseres  Wissens  gegeben  werden,  und  es  sei  den  Herren,  welche  schon 
ohne  Auffordenmg  uns  in  dieser  Weise  bedacht  haben,  im  Namen 
der  Sache  der  wärmste  Dank  gesagt.  Aber  willkommen  imd  dankens- 
wert sind  uns  auch  schon  blofse  Verweisungszettel,  d.  h.  querliegende 
Oktavzettel  (16  X  10,5  cm)  folgender  Form: 


amhitiosus 

F.  Teichmüller,  Beilage  zum  Oster- 
programm  1901  des  Gymn.  zu 
Wittstock. 


oder 


tocor 


H.  Peter,  d.  Brief  L  d.  röm.  Litteratur 
(Abb.  Sachs.  Ges.  d.  Wiss.  XX,  EI 
1901)  p.  73. 


Zettel  von  solcher  Form  können  einfach  in  unser  Material  eingereiht 
werden:  so  wird  uns  viel  Zeit  gespart,  der  betreffende  Verfasser  aber 
hat  wenig  Mühe  davon. 

Der  Thesaurus  hat  schon  so  viele  dankenswerte  Hilfeleistungen 
erfahren:  wir  hoffen,  dafs  auch  diese  kleine  Bitte  nicht  vergeblich 
ausgesprochen  sei. 

Die  Redaktion  des  Thesaurus  linguae  Latinae 

(München,  Neuhauser  Strafse  51'^) 

Fr.  Vollmer. 


Analogiebildungen  auf  -ellns,  -ella,  -ellum. 

Die  beiden  Hauptschriften  über  die  lateinischen  Deminutiva 
von  Ludwig  Schwabe  und  Gustav  Müller  ergänzen  sich  glück- 
licherweise so,  dafs  der  erstere  mehr  die  Form,  der  letztere  mehr 
die  Bedeutung  untersucht  hat.  Wir  gedenken  im  Folgenden  einen 
einzelnen  Punkt  der  Wortbildungslehre  zu  besprechen.  Bekannt- 
lich ergeben  sich  durch  die  Ansetzuug  des  Deminutivsuffixes  -lo 
Formen  auf  -allus,  -ellus,  -illus,  -ollus,  -uUus.  Indem  nämlich 
das  dem  Suffixe  vorausgehende  kurze  u  durch  Synkope  ausge- 
stofsen  wurde,  was  nach  den  Warnungen  der  Appendix  Probi 
(speculum  non  spedum,  masculus  noh  masclus,  vemaculus  non 
vernaclus,  articulus  non  articlus,  angulus  non  anglus)  und  nach 
dem  Zeugnisse  der  romanischen  Sprachen  später  im  Vulgärlatein 
allgemein  üblich  gewesen  sein  mufs,  führte  die  Assimilation  zu 
folgenden  Formen: 

grallae  =  grad'lae  Stelzen;  rallum  =  radlum  Pflugschar; 
ralla  vestis  =  rad'la  =  rasilis  C.  Gl.  (nach  Müller  u.  a.  von  rarus); 
vallus  =  van'lus  Getreideschwinge;  Messalla  =  Messan'la;  Hispal- 
lus  =  Hispanlus. 

libellus  =  liber  Ins;  capella  =  caper'la;  misellus  =  mi Berl- 
ins; catella  =  catenla;  opella  =  oper'la;  sella  =  sed'la;  Stella 
=  ster*la  (dötrJQ);  asellus  =  asen'lus  =  asin'lus. 

Pulvillus  =  pulvinlus;  catillus  =  catin'lus  Schüsselchen; 
villum  =  vin'lum;  pistrilla  =  pistrinla,  auch  mit  Metathesis  pri- 
stilla;  Balbinus  Balbillus;  lapillus  =  lapid'lus;  hilla  =  hirla  Darm; 
capillus  =  capit'lus. 

CoroUa  =  coronla;  persolla  =  person'la;  olla  =  aiü'la(?), 
nicht  =  aula,  wie  Georges  angiebt. 

Sulla  =  surla,  nicht  =  suilla  (caro);  satullus  =  satur'lus; 
uUus  =  im'lus;  ampulla  =  ampor'la,  mit  Vokalvertauschimg; 
ebenso  homullus  =  homon'lus;  Marullus  =  Maronlus;  Semprulla 
==  Sempron'la,  und  nach  dieser  Analogie  CatuUus  =  caton'lus, 
obwolü  man  es  scheinbar  auch  von  Catululus  herleiten  könnte. 

Archiv  fftr  lat.  Lexikogr.    Xn.    Heft  .1.  21 


302  Ed.  Wölfflin: 

Dafs  unter  diesen  Bildungen  die  auf  -allus  und  -oUus  eine 
schwache  Minorität  bilden,  wie  umgekehrt  die  auf  -ellus  den 
Löwenanteil  beanspruchen,  muis  jedermann  in  die  Augen  springen; 
denn  der  Substantive  wie  liber  und  der  Adjektive  wie  miser 
giebt  es  eben  so  viele,  dafs  die  Beispiele  kaum  zu  zahlen  sind, 
namentlich  wenn  man,  was  doch  geschehen  mufs,  die  Feminina 
auf  -era  und  -ra  noch  dazurechnet.  Es  genügt  hier,  diese  lange 
Reihe  anzudeuten  durch  Beispiele  wie:  agell us,  austellus,  can- 
cellus,  cultellus;  camella,  patella,  puella,  tessella;  macellus, 
nigellus,  pulchellus,  tenellus.  Dazu  ergiebt  die  Aussprache  pagena, 
lamena,  femena,  fiscena,  gemenus,  Sabeni,  weitere  Bildungen  wie 
pagella,  lamella,  femella,  gemellus,  fiscella,  Sabelli,  und 
da  man  bellus  kaum  von  dem  Adverbium  bene  ableiten  darf^ 
sondern  nur  belle  von  bene,  so  mufs  man  vielleicht  eine  Form  *benu8 
a=  bonus  ansetzen.  Diese  Formen  mufsten  sich  also  den  Ohren 
am  meisten  einprägen. 

Nächst  -ellus  hat  -illus  ein  weites  Gebiet  erobert,  schon  weil 
es  bei  der  engen  Verwandtschaft  von  e  und  i  als  Nebenform  von 
-ellus  erscheinen  konnte.  Dann  dürfte  der  Häufigkeit  nach  -ullus 
folgen.  Priscian  spricht  daher  3,  27  von  den  Deminutivsufüzen 
-ellus,  -illus,  -ullus,  nicht  aber  von  -allus  und  -ollus. 

Um  die  Ausdehnung  von  -illus  klar  zu  machen,  lassen  wir 
den  Doppelkonsonanten  zunächst  aus  nl  entstehen.  Dahin  ge- 
hören suilla  (=  suinla)  nämlich  caro,  ovillus  =  ovinlus,  bo- 
V illus  ==  bovin'lus,  obwohl  die  Deminutiva  in  der  Litteratur 
früher  nachweisbar  sind  als  die  Bildungen  auf  -inus.  Eigennamen 
wie  Faustillus  und  Rufillus  können  daher  von  Faustinas  und 
Rufinus  abgeleitet  sein,  obwohl,  wie  sich  später  zeigen  wird, 
nichts  im  Wege  steht,  direkt  auf  Faustus  und  Rufus  zurückzu- 
gehen. Diese  Namen  kommen  besonders  häufig  als  Feminina 
(Faustilla,  Rufilla)  vor,  weil  die  Koseform  —  und  eine  solche 
ist  das  Deminutivum  unter  Umständen  —  besonders  gerne  den 
Mädchen  gespendet  wird.  Sigillum  imd  tigillum  setzen  ein 
*sigLnum  und  *tiginum  voraus,  lauteten  also  ursprünglich  sigin- 
lum  und  tiginlum  (vgl.  techina  =  tixvi}),  wogegen  Tigellius 
aus  tigenum  hervorgegangen  ist.  Ob  anguilla  =  anguin'la  sei, 
wie  Kühner  glaubt,  ist  nicht  sicher;  Priscian  leitet  es  direkt  von 
anguis  ab,  während  Thumeysen  es  im  Thes.  ling.  lat.  mit  dem 
griechischen  iyxeXv^  vergleicht.  Und  so  bleibt  auch  anderes 
unklar,  wie  pastillus,  welches  sich  lautlich  bequem  auf  *pasti- 


Analogiebildungen  aaf  -ellus,  -ella,  -ellum.  303 

nus  zurückführen  läfst,  bei  Festus  dagegen  yon  panis  abge- 
leitet wird. 

Kontrorers  ist  auch  die  Assimilation  cl  zu  Doppel-1,  da 
vicla  =  yilla  zwei  Bedenken  gegen  sich  hat.  Hier  befremdet 
zunächst  der  Wechsel  des  Genus,  welcher  sicher  gegen  die  all- 
gemeine Regel  verstöfst.  Allein  wer  bürgt  uns  dafür,  dafs  es 
nicht  neben  vicus  (pixog)  eine  Nebenform  vica  gegeben  habe? 
Ahnliche  Schwankungen  begegnen  uns  auch  sonst,  nicht  nur  bei 
rana  und  rannnculus,  welches  nicht  so  beweiskräftig  ist,  weil 
daneben  das  regelrechte  ranula  besteht  und  das  zweite  Suffix  -co- 
einen  Unterschied  bewirkt  haben  könnte.  Vgl.  Jeep,  Redeteile 
S.  157.  Aber  den  Zusammenhang  Ton  rota  und  rotulus  wird 
niemand  in  Abrede  stellen  wollen.  Vgl.  ricos  ac  villas  in  der 
neuen  Epitoma  Alexandri  25.  Leugnet  man  andrerseits  die 
Assimilation  Yon  cl,  so  ist  diese  allerdings  in  den  meisten  Fällen 
unterblieben,  vollzogen  bei  oricla,  franz.  oreille.  Und  da  schon 
Lachmann  paullus  =  pauclus  erklärte  (Komment.  Lucr.  p.  204), 
80  möchten  wir  noch  vervella  =  vervecla  hinzufügen.  Corp. 
Gloss.  Corssen,  Aussprache  I  83.  Vgl.  auch  vigilia,  veglia,  franz. 
veüle.  —  Lapillus  =  lapid'lus  und  hilla  =  hir  la  wurden  schon 
oben  erwähnt. 

Es  bleiben  die  Fälle  übrig,  in  welchen  das  doppelte  1  nicht  durch 
Assimilation  entstanden  ist.  Pupillus  und  tantillus  fafst  man 
gewöhnlich  als  zweite  Deminutionsstufen  Ton  pupulus  (kleiner 
Knabe)  und  tantulus  auf,  unter  der  Annahme  einer  Entwicklungs- 
reihe tantus,  tantulus,  *tantululus,  *tantullus,  *tantilulus,  tantil- 
lus, und  das  ist  der  Pimkt,  welcher  der  Nachprüfung  bedarf. 
Sind  codicillus,  pauxillus,  vexillum,  veretilljum,  regil- 
lus  weitere  Entwicklungen  von  codiculus,  pauculus,  regulus  u.  s.  w.? 

Bevor  wir  dieselbe  Frage  für  die  Bildungen  auf  -ellus  auf- 
werfen, müssen  wir  auf  die  Berührungen  beider  unseren  Blick 
richten.  Wenn  auch  in  der  klassischen  Latinität  Doppelformen 
kaum  oder  selten  vorkommen,  so  müssen  wir  solche  doch  für 
die  romanischen  Sprachen  annehmen,  z.  B.  anellus,  ital.  anello, 
Ring;  *anillus,  wovon  span.  anülo.  Ja  im  Spätlatein  waren,  wie 
die  Glossen  beweisen,  solche  Schwankungen  ganz  gewöhnlich.  So 
armilla  armella,  ascella  ascilla,  avillus  avellus,  buccella  buccilla, 
cavillum  cavellum,  penicillum  penicellus,  scamillum  scamellum, 
wozu  noch,  um  das  hohe  Alter  zu  bezeugen,   das  oben  erwähnte 

tigillum  Tigellius  hinzukommt.     Mag   auch  die  eine  Bildung  die 

11* 


304  Ed.  Wölfflin: 

üblicliere  sein,  oder  mögen  die  beiden  semasiologisch  difPerenziert 
sein,  eine  gegenseitige  Ansteckung  steht  auüser  Zweifel. 

Schon  Diomedes  fafste  die  Formen  auf  -ellus  (-illus)  als 
Doppeldeminution  auf,  da  er  als  Paradigma  die  Reihe  arca, 
arcula,  arcella,  arcelliüa  giebt,  deren  Wichtigkeit  durch  Ver- 
gleichung  von  Parallelen  wie  fabula,  fabella,  fabellula,  tabula, 
tabella,  tabellula,  agnus,  agnulus,  agnellus,  agnellulus  nur  um  so 
mehr  hervortritt.  Raphael  Kühner  nennt  lat.  Gramm.  I  6H6  cista, 
cistula,  cisteUa,  cistellula;  anca,  ancula,  ancilla,  ancillula.  Die 
älteren  wie  die  neueren  Grammatiker  mit  Einschlufs  der  Lexiko- 
graphen, an  deren  Spitze  Georges  steht,  stellen  sich  also  vor,  aus 
arcula  hätte  eigentlich  *arculula,  *arculla  werden  sollen,  es  habe 
sich  jedoch  durch  eine  Zwischenform  *arcelula  zu  arcella  ge- 
wandelt. Und  es  ist  auch  ganz  natürlich,  dafs  man  zu  dieser 
Auffassung  kam.  Demi  wenn  in  der  sogen.  Normalendung  -ulus 
das  einfache  1  der  Träger  der  Deminution  war,  so  muTste  in  11 
eine  Doppeldeminution  gesucht  werden.  Besafs  populus  das  Volk 
bereits  die  Endung  -ulus  ohne  Deminutivbedeutung  wie  oculus 
das  Auge,  so  wurde  ja  davon  popellus,  das  gemeine  Volk,  ocel- 
lus  der  Augenstern,  das  liebe  Auge,  abgeleitet.  Gleichwohl  Lat 
diese  Erklärung,  ganz  abgesehen  von  der  Vokal  vertauschung, 
mehrfache  Bedenken  gegen  sich. 

Schon  an  sich  erscheint  die  dreifache  Deminution  als  ein 
Luxus,  welcher  auf  dem  Gebiete  des  Verbums  unbekannt  ist,  da  hier 
nur  Doppelstufen  vorkommen,  z.  B.  dico,  dicto,  dictito;  cano  canto, 
cantito;  lego,  *lecto,  lectito.  Ebenso  in  der  Komparation  dexter 
(ds^(tBQog)  dexterior;  pluros,  *plusiores  (franz.  plusieurs);  pessimus, 
pessimissimi^p  (Seneca  philos.) ;  extremus,  extremissimus  (Tertullian). 

Weiterhin  mufs  es  auffallen,  dafs  agnellus  und  haedillus  bei 
Plautus  vorkommen,  codicillus  bei  Cato,  agnulus  erst  bei  Cassio- 
dor,  haedulus  bei  Juvenal,  codiculus  bei  Priscian;  dafs  codicillus 
sehr  häufig,  codiculus  äufserst  selten  ist.  Damach  haben  wir 
den  Eindruck,  dafs  die  Formen  auf  -ellus,  bezw.  -illus  direkt  vom 
Stammworte,  und  viel  früher  gebildet  worden  seien.  Ein  *novu- 
lus  giebt  es  gar  nicht,  sondern  nur  gleich  ein  in  den  romanischen 
Sprachen  erhaltenes  novellus,  welches  in  den  Glossen  mit  vBog 
oder  mit  novus  deminutive  erklärt  wird.  Umgekehrt  erklärt  sich 
das  Nebeneinanderbestehen  von  fabula  fabella,  tabula  tabella 
gerade  wie  bei  populus  popellus,  nämlich  daraus,  dafs  Stamm- 
formen wie  *faba  (Gerede),  *taba  nicht  existieren. 


Analogiebildungen  auf  -ellus,  -ella,  -ellum.  305 

Endlich  dürfen  wir  ein  Analogon  der  Wortbildungslehre 
heranziehen.  Schnorr  von  Carolsfeld  hat  uns  Arch.  I  177flF. 
gezeigt,  wie  das  Suf&x  -nus  durch  falsche  Abtrennung  zu  -anus, 
-ianus  gesteigert  worden  ist.  Vgl.  dig-nus,  mag-nus,  Asia-nus, 
SuUa-nus,  Africa-nus,  Mari-ani,  Caesar-iani.  Diese  Erscheinung 
zeigt  uns  den  Weg,  dafs  aus  agellus  und  misellus  fälschlich  ein 
Suffix  -ellus  abgelöst  worden  sei,  welches  der  Bedeutung  nach 
dem  sog.  -ulus  gleichstand.  Misellus  ist  aus  miserulus  hervor- 
gegangen, weil  diese  Form  bei  Turpilius  und  Laevius  sich  noch 
erhalten  hat,  während  miscellus  (miscillus)  nach  diesem  Typus 
gebildet  ist,  ohne  dafs  wir  das  doppelte  1  auf  r  zurückführen 
könnten.  Einen  ähnlichen  Vorgang  zeigt  das  Augumentativsuf&x 
-o,  -onis,  welches  in  der  Litteratur  mit  Formen  wie  aleo,  ganeo, 
lustro,  verbero,  combibo,  comedo,  mando,  auch  bei  Plautus  korrekt 
mit  esurio  auftritt,  welches  dann  der  Dichter  zu  der  Bildung  von 
saturio  benützt;  diesem  sind  dann  mir-io,  tenebr-io,  libell-io  u.  a. 
nachgefolgt,  imd  so  finden  wir  in  der  Monographie  von  Rieh. 
Fisch  'die  lateinischen  Nomina  personalia  auf  -o,  -onis*  (Berlin 
1890)  eine  grofse  Zahl  von  Formen,  welche  zwischen  -o,  -onis 
und  -io,  -ionis  schwanken. 

Fragen  wir  aber,  warum  -ellus  (-illus)  das  einfache  -ulus 
zurückdrängte,  so  hatte  es  den  Vorzug,  dafs  es  eine  lauge  und 
betonte  Paenultima  ergab,  wodurch  das  Wort  mehr  wirkt,  sodafs 
die  Volkssprache  die  Form  vorzog  und  den  romanischen  Sprachen 
zuführte.  Indem  wir  nun  nicht  mehr  verpflichtet  sind,  das 
das  doppelte  1  aus  Assimilation  zweier  Konsonanten  entstehen  zu 
lassen,  eröffnet  sich  für  uns  eine  ganz  neue  Betrachtung.  Da 
grallae  und  coroUa  seltene  Wörter  sind,  so  konnten  sie  kaum 
einen  Einflufs  auf  die  Wortbildung  ausüben;  wohl  aber  dürfen 
wir  dies  bei  -uUus  voraussetzen,  da  die  Namen  Sulla,  CatuUus, 
TibuUus  (Tibur)  schon  alt  sind.  So  begegnen  wir  denn  Eigen- 
namen wie  Primullus,  Tertullus,  LucuUus,  Fabullus, 
Caesulla.  Primulus,  der  kleine  Erstgeborene,  war  ein  durchaus 
passender  und  verständlicher  Name,  doch  führte  das  Streben  nach 
betonter  Paenultima  zu  der  neuen,  inkorrekten  Nebenform.  Statt 
Tertullus  erwarten  wir  Tertiolus,  der  liebe  Dritte,  welcher  in 
der  Eaiserzeit  wegen  des  ins  trium  liberorum  sich  besonderer 
Gunst  erfreute.  Vgl.  Arch.  VIII  76.  Die  Bildung  tertiolus  lebt 
auch  in  den  romanischen  Sprachen  fort  (vgl.  Körting,  lat.-roman. 
Wörterb.*  Nr.  9488),  in  der  Namensform  dagegen  behauptete  sich 


306  Ed.  Wölfflin: 

Tertullus,  wie  die  Ableitung  Tertullianus  beweist.  Vergleichen 
lassen  sich  Secundilla,  Quartilla  und  Septumillus.  Nach 
Analogie  müssen  wir  auch  *Luciolu8,  *Fabiolu8,  *Cae8iola  ent- 
sprechend dem  Sergiolus  ansetzen  und  annehmen,  dajQs  die  Bil- 
dungen durch  die  Macht  der  Analogie  ihr  i  verlieren,  das  1  ver- 
doppeln und  das  o  in  u  verdumpfen  lassen  (anders  Livia  Livilla). 

Über  die  ünwahrscheinlichkeit,  dafs  codicillus  zweite  Demi- 
nutionsform  sei,  ist  schon  oben  gesprochen;  ebensowenig  möchten 
wir  dies  für  pauxillus  annehmen,  weil  es  dazu  eine  weitere 
Deminutionsstufe  giebt,  pauxillulus,  und  zwar  schon  bei  Plau- 
tus.  Wie  man  auch  das  x  erklären  möge,  die  Endung  -illus 
scheint  als  einfach  gedacht  zu  sein,  als  Nachbildung  von  tantillus. 
Über  pausillus  vgl.  Bitschi  opusc.  II  250  und  Fleckeisen  epist. 
crit.  Xn.  Der  hinzutretende  Sibilant  macht  auch  Schwierigkeiten 
in  vexillum,  weshalb  wir  auf  eine  Deutung  verzichten,  zumal 
wir  nur  durchgreifende  Bildungsarten  in  das  Auge  fassen  wollten. 
Allgemeineren  Charakter  trägt,  was  wir  gegen  codicillus  als 
Doppeldeminution  einzuwenden  hatten;  denn  das  Gleiche  gilt  von 
ancilla  und  armilla  (Annband),  insofern  ancula  nur  ein  spätes 
Sjtu^  HQi]iiivov  zu  sein  scheint,  armula  gar  nicht  belegt  ist,  so 
wenig  als  veretrula  neben  veretilla,  oder  ein  pugnulus  (von 
pugnus,  Faust)  neben  dem  schon  von  Cato  gebrauchten  pugil- 
lus.     Vgl.  [*Dru8ula]  Drusilla. 

Die  Hauptährenlese  wird  für  -ellus  übrig  bleiben.  Wie  weit 
diese  Bildungen  auf  lateinischem  Boden  jünger  sind  als  die  auf 
-ulus,  läfst  sich  nicht  mehr  nachweisen.     Die  Reihen 

Marcus  (Marculus  selten)  Marcellus 

agnus  (agnulus  selten)  agn  ellus 

taunis  (taurulus  Petron)  taurellus  roman. 

albus  albulus  alb ellus,  franz.  anbei  Weifspappel 

können  uns  nicht  sehr  viel  beweisen,  da  das  litterarisch  erhaltene 
Sprachgut  sich  nicht  immer  mit  dem  Schatze  des  gesprochenen 
Lateins  deckt.  Man  darf  im  einzelnen  Falle  aus  den  Belegstellen 
des  Lexikons  keine  Wortgeschichte  konstruieren. 

Wo  beide  Bildungen  neben  einander  bestehen,  ist  die  auf  -Uüs 
in  der  Regel  die  jüngere;  das  Säulenkapitell  heifst  bei  Vitruv 
capitulum,  erst  in  der  patristischen  Litteratur  capitellum; 
sportula  ist  die  plautinische  Form,  sportella  die  jüngere;  campa- 
nula  und  eampanella  sind  beide  sehr  jung,  da  campana  =  Glocke 


Analogiebildungen  auf  -ellus,  -ella,  -ellum.  307 

selbst  nicht  viel  vor  dem  Jahr  5CX)  entstanden  sein  dürfte;  catu- 
1ns  und  catellus  beide  schon  bei  Plautus.  Manchmal  auch  findet 
man  semasiologische  Differenzierungen^  z.  B.  vitulus  Tierbezeich- 
nung ^  vitellus  Kosename^  ähnlich  dem  französischen  biche; 
pupulus  kleiner  Knabe,  pupillus  Waisenkind.  Dies  kann  jedoch 
kein  Ghnind  sein,  darum  eine  Entwicklungsreihe  sportula,  *spor- 
txdula,  *sportelula,  sportella  anzusetzen.  In  den  romanischen 
Sprachen  gewinnen  die  kräftigeren  Formen  immer  mehr  Boden, 
wie  denn  fratello  und  sorella  italienisch  sind,  nicht  lateinisch. 

Dagegen  müssen  wir  noch  eine  andere  Eigentümlichkeit  der  Bil- 
dung durch  eine  längere  Liste  von  Beispielen  belegen.  Wir  finden 
nämlich  dolabra  DolabeUa,  fenestra  Fenestella,  umbra  umbella 
(neben  franz.  ombrelle  =  *umbrella);  castrum  castellum.  flagrum 
flagellum,  labrum  labellum,  lucrum  lucellum,  monstrum  mostel- 
lum,  plostrum  plostellum,  rastrum  rastellum,  sacrum  sacellum, 
scalprum  scalpellum.  Die  Mittelformen  wie  *dolabrula,  *castru- 
lum  (fenestrula  ausnahmsweise  bei  Apuleius)  versagen;  ebenso 
*veretrula  als  Mittelglied  von  veretrum  und  veretiUa.  Die  Frage 
hängt  mit  dem  Schwunde  des  r  zusammen,  welchen  man  nicht 
mit  der  bequemeren  Aussprache  entschuldigen  darf,  da  Formen 
wie  castrare  und  flagrare  nicht  beanstandet  sind  und  sogar 
castrellum  oder  flagrellum  ein  einziges  r  enthalten  hätten.  Viel- 
mehr sind  die  Stänmie  Castro-,  umbra-  auf  die  Formen  castr-, 
umbr-  reduziert,  welche,  um  sprechbar  zu  sein,  caster^  umber 
lauten  mülsten.  Somit  ergab  die  Ableitung  caster-lum,  ploster- 
lum,  mo(n)ster-lum,  fenester-la,  mit  Assimilation  castellum, 
plostellum,  mostellum,  Fenestella.  Statt  des  Stammes  pistri 
wurde  angesetzt  pistr-,  mundgerecht  pistir,  woher  pistirlus,  pistil- 
lus.  Ebenso  statt  transtro  ein  transtr  =  transtir,  woher  tran- 
stirlum  transtillum. 

In  gleicher  Weise  ist  das  n  gefallen.  Von  columna  giebt  es 
kein  columnula,  sondern  nur  columella,  Columella.  Wenn 
von  dem  Stamme  a  abgeworfen  wurde,  so  mufste  column-  ge- 
sprochen werden  wie  columen,  mid  die  Ansetzung  des  Suffixes 
-lo  führte  zu  columenla  =  columella,  welches  bekanntlich  schon 
bei  Lucilius  vorkommt.  Nach  demselben  Gesetze  wurde  scam- 
num  zu  scamellum. 

Oft  hat  sich  dem  Suffixe  -lo  ein  anderes  -co  vorangestellt, 
wie  inmeliusculus,  grandiculus,  flosculus,  pulvisculus,  centun- 
culus,  musculus,  avunculus   (von  *avo,  avonis  oder  Analogiebil- 


308    Sd-  WOlfflin:  Analogiebildungen  auf -ellns,  -ella,  -ellum. 

duDg  zu  tirunculuSy  matercula  u.  ä.),  und  dieser  Akkumulations- 
prozefs  ist  im  Italienischen  am  weitesten  gediehen.  Man  vergleiche 
die  Namen  für  Franz:  Francesco,  Francescino,  Francescinello 
(neapolitanisch).  Die  Grundlage  dazu  ist  schon  im  Spätlatein 
gegeben.  Die  Glossen  haben  uns  erhalten:  blandicella  verba.  dimi- 
nutive, wofür  erst  das  Spätlatein  blandulus  besitzt,  obwohl  das 
Wort  in  der  Umgangssprache  früher  existiert  haben  mag.  Gra- 
vescella  wollen  wir  als  unsicher  übergehen.  Dagegen  stelle  man 
zur  Belehrung  zusammen: 

avis  avicula  *avicella,  ital.  ucello. 

mons  monticulus  *monticellus,  frz.  monceau. 

pars  particula  *particella,  Parzelle. 

vas  vasculum  *vascellum,  frz.  vaisseau. 
Allein  dies  ist  nur  die  regelmäfsige  Fortsetzung  des  Spätlateins^ 
da  Cicero  und  Caesar  von  navis  nur  ableiten  navicula,  erst  die 
Spätlateiner  navicella,  frz.  nacelle,  Nachen.  Als  die  Spätlateiner 
und  Rom.anen  das  kurze  Wort  mus  die  Maus  fallen  lassen  muTsten, 
und  den  Ersatz  mit  musculus  verlegt  sahen,  da  dieses  bereits  den 
Muskel  und  die  Muschel  bedeutete,  da  hätten  sie  noch  zu  muscel- 
lus  oder  muscillus  ihre  Zuflucht  nehmen  können,  bevor  die  Fran- 
zosen die  Spitzmaus  (sorex,  souris)  dagegen  eintauschten,  die 
Italiener  den  Maulwurf  (talpa,  topo),  die  Spanier  die  Ratte. 

Wenn  Stolz,  histor.  Gr.  der  lat.  Spr.  I  575,  eine  erschöpfende 
historische  Darstellung  der  lateinischen  Deminutive  vermiist,  so 
möge  diese  kleine  Probe  bestätigen,  wie  viel  noch  nachzuholen 
ist.  Aber  mit  der  Masse  der  Beispiele  ist  es  nicht  gethan;  wir 
müssen  alle  dem  Verse  folgen:  Mer  Geist  lebt  in  uns  allen'. 

München.  Ed.  WSlfflin. 


Zu  Oaeliiis  Aurelianus  Acutarum  passionum 

libri  III. 

Wie  bei  den  Chronia  sind  wir  auch  bei  den  Acutae  passiones 
nach  dem  Verlust  der  Handschrift,  aus  der  die  Editio  princeps 
(Paris.  1533J  geflossen  ist,  auf  diese  selbst  angewiesen,  und  wie 
der  Text  der  Chronia  durch  die  späteren  Herausgeber  in  der 
willkürlichsten  Weise  alteriert  worden  ist,  so  haben  auch  die 
Acutae  passiones  in  der  Leydener  (1567)  und  Ammanschen  Aus- 
gabe (1722)  an  vielen  Stelle  eine  gewaltsame,  über  die  Spuren 
der  Überlieferung  ohne  viel  Bedenken  sich  hinwegsetzende  Be- 
handlung erfahren.  Es  gilt  also  auch  hier  den  Text  der  ersten 
Ausgabe  wiederherzustellen  oder  ihren  Lesarten  folgend  unter 
sorgfaltiger  Beobachtung  des  Sprachgebrauchs  durch  Konjektur 
das  Richtige,  soweit  möglich,  zu  finden.  Dafs  auf  diesem  Wege 
auch  in  den  Acutae  passiones  manche  Stellen  gebessert  werden 
können,  werden  die  nachfolgenden  Beispiele  zeigen. 

Lib.  I. 

Praef.  §  6:  qui  in  statu  vigore  passionis  septima  vel  octava 
die  saepe  mentis  erroribus  agitantur.  In  einer  Anmerkung  sagt 
Amman  selbst,  das  eine  oder  andere  der  beiden  Wörter  statu 
vigore  erscheine  als  ein  erklärender  Zusatz;  hätte  er  die  Ed.  pr. 
nachgeschlagen,  so  hätte  er  gesehen,  dafs  diese  vigore  nicht  hat, 
und  mit  Recht,  denn  der  Ausdruck  status  passionis  ist  ein  so 
häufiger,  dafs  er  keiner  Erklärung  bedarf. 

ib.  §  7  quia  consensu  vehemens  fit  aliquando  phreuitis. 
Überliefert  ist:  siquidem  cum  sensu  atque  vehementer  fiat  a.  phr. 
Weder  an  siquidem  noch  an  fiat  ist  zu  ändern;  denn  das  kausale 
siquidem  verbindet  Caelius,  wie  in  unserm  ersten  Aufsatz  (Arch. 
Xn,  S.  183)  nachgewiesen  wurde,  immer  mit  dem  Konjunktiv. 
Ebenso  ist  §  9:  siquidem  vis  locutionis  nihil  aliud  designat,  mit 
der  Ed.  pr.  zu  lesen  designet. 

ib.  §  10:    nam    primum    ad    aliud    ex   alia  re  transire  vide- 


310  G.  Helmreich: 

bimur.  Die  Ed.  pr.  läfst  nain  weg  und  bietet  primo.  Das  letztere 
mit  dem  klassischen  primum  zu  vertauschen  ist  unberechtigt; 
denn  nichts  ist  bei  Caelius  häufiger  als  primo — dehinc  u.  dgl.  bei 
Aufzählungen  zur  Angabe  der  Reihenfolge,  cf.  Acut.  I  11,  95 
primo — tunc — ultimo,  I  17,  173  primo — secundo — tertio  u.  a. 

ib.  §  11:  utrumne  partitionum  sive  adscriptionum  an  appel- 
lationum  sint  causae.  Warum  sive  besser  sein  soll  als  das  über- 
lieferte aut,  ist  nicht  abzusehen;  denn  dafs  es  weiter  oben  in 
§  10  scriptionum  (viell.  adscript.)  sive  partitionum  quas  Graeci 
xarrjyoQiag  appellant  geheifsen  hat,  darf  uns  bei  einem  Autor^ 
der  die  adversativen  Konjunktionen  ziemlich  unterschiedslos  ge- 
braucht, zu  keiner  Änderung  bestimmen. 

ib.  §  15:  sed  hoc  tardans,  inquit,  ac  sine  febribus  furor  vo- 
catur.  Das  überlieferte  intardans  entspricht  dem  Sprachgebraucli 
des  Schriftstellers,  wie  folgende  Stellen  beweisen:  Acut.  I  4,  43 
magis  intardans  aut  perseverans  perspicitur.  Chron.  11  3,  70  intar- 
data  corporibus  emoveri.  III  5,  69  nimc  celeriter  circumscripta, 
nunc  corporibus  intardans  et  propterea  chronia  appellata. 

ib.  §  IG:  mentitur  etiam  aptissime.  Die  Ed.  pr.  richtig  aper- 
tisshnc]  auch  Almeloveen,  der  zur  Ammanschen  Ausgabe  Notae 
et  animadversiones  beigesteuert  hat,  hat  dies  gefühlt  und  schüch- 
tern bemerkt:  forte  scripserit  Caelius  apertissime;  cf.  I  17,  170 
apertissime  delirabunt.    Chron.  I  5,  176.  11  13,  191.  192. 

Den  Stil  eines  Schriftstellers  wie  Caelius  durch  Zusätze  ver- 
bessern oder  glätten  zu  wollen,  ist  ein  vergebliches  Bemühen; 
daher  ist  es  verkehrt,  §  18  zu  den  Worten:  cum  febribus  quidem, 
sed  ex  causa  obtrusionis  das  Participium  natis,  das  die  Ed.  pr. 
wegläfst,  hinzuzufügen.  Das  Gleiche  gilt  für  Acut.  I  1,  24  haeo 
enim  signa  communia  sunt  passionum,  quae  vexata  membrana 
cerebri  fiunt  atque  inde  (om.  Ed.  pr.)  male  laborantium  aegronun 
nee  (non  Ed.  pr.)  necessario  omnium.  Beide  Änderungen  sind 
gleich  imnötig. 

ib.  §  29:  siquidem  non  necessario  sequitur,  mit  Recht  dagegen 
die  Ed.  pr.  sequatur. 

ib.  2,  32:  aeris  inquiunt  habitum,  ne  is  calescat,  quod  eins 
cansis  plurimos  afficiat;  Ed.  pr.  habitu  ne  quis  calescat,  quod 
eins  causa  pl.  atf.  Die  Änderung  habitum  ist  leicht  und  nötig; 
ne  is  bleibt  zweifelhaft,  causis  ist  unverständlich,  wenn  es  nicht 
als  Fremdwort  =  xavöig  aufgefafst  wird;  dann  läge  aber  xav6og 
oder  xav[ia  der  Überlieferung  näher. 


Zn  Caelius  Aurelianus  Acutarum  passionum  libri  III.     311 

Eine  seltene,  wie  es  scheint,  vulgäre  Wortform  hat  uns  die 
Ed.  pr.  ib.  3,  37  erhalten:  urinae  aquatae  vel  felleae  cum  nube- 
culis  portentuosis,  statt  deren  A.  mit  Unrecht  das  übliche  porten- 
tosis  eingeführt  hat.     Vgl.  monstruosus. 

Unbekanntschaft  mit  dem  Sprachgebrauch  der  späteren  Lati- 
nität  hat  den  Herausgeber  auch  §  40  zu  einer  unbegründeten 
Abweichung  von  der  Überlieferung  veranlafst;  hier  giebt  die  Ed. 
pr.:  gravius  affici  dicunt  iuvenes  a  ceteris  aetatibus.  Die  Prä- 
position durfte  nicht  gestrichen  werden;  denn  der  komparative 
Gebrauch  von  a,  ab  läfst  sich  durch  zahlreiche  Parallelen  bei 
Caelius  beUegen  (Progr.  v.  Hof  1900  S.  40);  vgl.  I  8,  56  plus  a 
cetero  corpore  docuit  id  pati.  9,  04  maior  enim  ab  intemporali 
somno  vigiliarum  est  vexatio.  4,  42  stomacho  patiente  aut  plus 
a  ceteris  corporis  partibus  aegrotante.  H  1,  2  gravior  .  .  non 
aliter  quam  negatus  in  toto  visus  ab  ex  parte  impedito  vel  silen- 
tium  ab  impedita  locutione. 

ib.  §  41  ist  wohl  nur  durch  ein  Versehen  das  Pronomen 
illos  vor  dem  Relativsatz  qui  natura  fuerint  tristes^  das  die  Ed. 
pr.  hat,  bei  A.  ausgefallen;  denn  es  absichtlich  zu  tilgen  liegt 
kein  Grund  vor.  —  ib.  ist  nach  siquidem  mit  der  Ed.  pr.  re- 
mansisse  videantur  st.  r.  videntur  zu  lesen;  ebenso  4,  42  esse 
rideati^r. 

ib.  §  45:  quando  furentes  sive  insanos  a  phreniticis  .  .  omnes 
sectarum  principes  secreverunt.  Für  quando  hat  die  Ed.  pr.  quo- 
modo'^  da  das  letztere  in  kausalem  Sinne  =  griech.  ort  oder  öioxi 
bei  Caelius  ziemlich  häufig  ist,  liegt  zu  einer  Änderung  kein 
Grund  vor,  vgl.  6,  49  quomodo  phrenitici  aliqui  augmento  pas- 
sionis  in  lethargiam,  aliqui  declinatione  in  somnos  devenerint. 
I  9,  58  quomodo  curationibus  principio  locus  aptandus  est.  I  9,  63 
quomodo  turbatio  atque  motus  et  iactatio  corporis  celeritatem 
asperat  passionis. 

ib.  0,  50  in  lethargicis,  dagegen  Ed.  pr.  lethargis.  Da  „der 
Schlafsüchtige"  bei  Caelius  sowohl  lethargicus  als  lethargus  heifst, 
wie  zahlreiche  Stellen  beweisen  (cf.  11  10,  60.  II  9,  41  his  etiam 
lethargos  similiter  curandos  existimat.  9,  36  vinum  omnibus 
ante  declinationem  aegritudinis  adversum  est  et  magis  lethargis), 
ist  hier  wie  im  immittelbar  Folgenden  lethargis  etiam  praecordia 
distenduntur  und  §  51  lethargi  a  capite  lecti  ad  pedum  loca 
labantur  und  lethargorum  maior  atque  aspera  febricula  invenitur 
die  Überlieferung  nicht  anzutasten. 


312  G.  Helmreich: 

Dojch  einen  willkürlichen  Zusatz  hat  A.  den  Text  alteriert 
ib.  8^  56  siquidem  praenoscentes  animae  regalia  in  capite  consti- 
tuta  exinde  mentis  alienationem  capitis  offensa  fieri  acceperimns. 
Die  Worte  capitis  offensa  fehlen  in  der  Ed.  pr.,  und  sie  sind  nach 
dem  vorausgegangenen  exinde^  das  hier  kausal  steht,  ganz  über- 
flüssig.   Der  Sinn  ist:  exinde  i.  e.  ex  capite  mentis  alienatio  oritur. 

ib.  §  57:  nunc  yero  cucurbitam  occipitio  apponitis,  quasi 
quidmi  per  apertionem,  quam  Graeci  anatomiam  dicunt,  didiceritis 
sensuales  vias  inde  sumere  exordium.  Statt  quasi  quidem,  das  in 
mehr  als  einer  Hinsicht  anstöfsig  ist,  steht  in  der  Ed.  pr.  siqui- 
dem, das  dem  Sinn  der  Stelle  und  dem  Sprachgebrauch  des 
Schriftstellers  entspricht  und  deshalb  nicht  geändert  werden  darf. 

ib.  9,  58:  etenim  ultra  modum  fervens  cur  naturaliter  febri- 
cula  Caput  incendit.  Das  Wort  aer  rührt  von  A.  her,  die  Ed. 
pr.  kennt  es  nicht,  und  mit  Kecht;  denn  im  ganzen  Paragraphen 
ist  von  dem  Orte  die  Rede,  an  welchen  die  Himwütigen  (phre- 
nitici)  gelegt  werden  sollen,  nicht  von  der  Luft  (aer)  des 
Krankenzimmers.  Hätte  A.  nur  mit  einiger  Achtsamkeit  die  un- 
mittelbar folgenden  Worte:  item  nimium  lucidus  membranam 
percutit  cerebri  immodici  splendoris  causa  gelesen,  in  denen  doch 
nicht  vom  lucidus  aer,  sondern  vom  lucidus  locus  die  Rede  ist, 
so  hätte  er  einsehen  müssen,  wie  überflüssig  und  unrichtig  zu- 
gleich sein  Zusatz  ist.  Auch  im  Anfang  des  nächsten  Abschnittes 
§  59  begegnet  ein  ähnliches  Einschiebsel:  parvus  etiam  locus  si 
fuerit;  locus  fehlt  in  der  Ed.  pr.  Es  ist  überflüssig,  da  es  in 
den  beiden  vorangehenden  Sätzen  Subjekt  gewesen  ist  und  als 
solches  noch  fortwirkt. 

ib.  10,  70:  principaliter  moneutes,  ne  usque  ad  animi  de- 
feetum  . .  adiutorium  intendere  nitamur.  Statt  des  Kompositums 
intendere  hat  die  Ed.  pr.  das  Simplex  tendere,  das  ohne  Anstols 
ist.  In  gleicher  Weise  steht  das  Simplex  Chron.  II  13,  169  quan^ 
tum  medicaminis  vii*tutem  tendere  voluerimus. 

§  71  Anfang  ist,  wie  es  scheint,  nicht  ganz  heil;  doch  ist 
sicherlich  an  dem  überlieferten  quamquam,  an  dessen  Stelle  A, 
quam  vis  setzt,  und  an  siquidem,  das  er  mit  si  vertauscht,  nichts 
zu  ändern.  —  ib.  Similiter  etiam  vertebris,  quae  Graeci  iiöxut 
vocant.  Ed.  pr.  bietet  quas,  und  es  wird  wahrscheinlich  beizu- 
behalten sein.  Dann  wäre  damit  die  Femininform  vertebra  statt 
des  sonst  bei  Caelius  üblichen  Neutrums  vertebrum  gestützt. 

ib.  §  72:  praeseutibus  etiam  his,   ut  supra  docuimus,  aegro- 


Zu  CaeliüB  Aurelianns  Acutarum  passionum  libri  III.    313 

tantes  yerecundiam  debent.  Es  leuchtet  yon  selbst  ein,  dafs  hier 
nach  his  durch  ein  Versehen  das  Relatiyimi  quibus,  welches  die 
Ed.  pr.  hat,  ausgefallen  ist.  Der  gleiche  Ausdruck  kehrt  §  80 
in  praesentibus,  ut  saepe  diximus,  his  quibus  yerecundiam  aegro- 
tantes  debent  unverändert  wieder. 

ib.  §  74:  et  acrimonia,  quae  ex  ipsis  nascens  ex  alienatione 
quadam  capitis  tummtiam  asperabat,  detrahetur.  Auch  hier  hat 
A.  die  Überlieferung  ohne  Grund  und  gegen  den  Sprachgebrauch 
des  Autors  abgeändert;  denn  die  Ed.  pr.  hat  tumentia,  und  dieses 
Neutrum  plural.  im  Sinne  yon  „geschwollene,  entzündete  Stellen" 
(tumentia  loca)  findet  sich  ebenso  wieder  Acut.  III  8,  92  omnis 
etenim  impressio  et  tumentia  proyocat  et  dolorem  geminat.  1 17, 172 
negligens  tumentia.  168  oportebat  tumentia  congruis  relaxare  vir- 
tutibus.  ibid.  percutiens  tumentia.  Ist  diese  Auffassung  richtig, 
so  ei^ebt  sich  auch  daraus,  dafs  Klotz  und  Georges  in  ihren 
Wörterbüchern  mit  Unrecht  ein  Substantiyum  gen.  fem.  tumentia, 
die  Geschwulst,  angenommen  haben. 

ib.  11,  89:  At  si  yirium  solutio  non  fuerit,  sed  sponte  pro- 
fectus  in  meliorem  partem  passionis  fuerit  demonstratus.  Für 
sponte  überliefert  die  Ed.  pr.  ex  sponte.  Diese  Ausdrucksweise, 
zu  der  ein  Analogon  bei  K^nier  inscr.  Afric.  4112  (sua  ex  sponte) 
vorliegt  (s.  Georges,  Lex.  col.  2488  u.  Arch.  XII  175),  ist  durch- 
aus nicht  zu  beanstanden  und  durch  eigenmächtige  Änderung  zu 
yerwischen,  da  sie  zu  den  Belegen  für  die  auch  sonst  auftretende 
Afiricitas  des  aus  Sicca  in  Nordafrika  stammenden  Autors  vor- 
treflFlich  stimmt.     Vgl.  Arch.  VI  5. 

ib.  12,  100  hat  die  Ed.  pr.  phlebotomare  iuvenes  fortes  atque 
plurimum  sanguinis  abundantes,  A.  korrigiert  sauguine.  Da  aber 
abundans  sich  auch  sonst  mit  dem  Genitiv  findet  (bei  Virgil, 
Nepos  u.  a.),  besteht  kein  Grund  zur  Änderung. 

ib.  §  101:  miseris  erat  melius  debilitate  potius  quam  vana 
corporis  fortitudine  laborare,  ut  tantis  cladibus  errantis  medici 
vexarentur.  A.  scheint  ohne  Rücksicht  auf  den  Sinn  der  Stelle 
lediglich  durch  das  vorausgehende  potius  quam  veranlafst  worden 
zu  sein,  an  Stelle  des  überlieferten  ne  tantis  etc.  das  unver- 
ständliche ut  tantis  zu  setzen.  Dafs  ne  richtig  ist,  beweist  der 
Gedankenzusammenhang.  Um  nicht  durcli  solche  Schindereien 
eines  unwissenden  Arztes  gequält  zu  werden,  wäre  es  für  die 
Patienten  besser  gewesen  an  körperlicher  Schwäche  als  an  wert- 
loser Körperkraft  zu  leiden. 


314  G.  Helmreich: 

ib.  §  102  hat  die  Ed.  pr.:  phlebotomia  qnoque  mgulatione 
non  differt;  A.  glaubte  a  iugulatione  yerbessem  zu  müssen,  während 
er  I  15;  119  die  gleiche  Konstruktion:  phlebotomiam  etiam  nihil 
inquit  iugulatione  differre  in  phreniticis  unbeanstandet  liefs.  Da 
sie  II  38,  219  noch  einmal  wiederkehrt:  etenim  phlebotomiam 
nihil  iugulatione  differre  ratio  testatur,  ist  zur  Genüge  bewiesen, 
dafs  Caelius  differre  sich  unterscheiden  mit  dem  blossen  Ablativ 
verbindet. 

ib.  14,  105  ist  von  der  Atomenlehre  des  Arztes  Asklepiades 
die  Rede,  von  dem  gesagt  wird:  primordia  namque  corporis 
primo  constituerat  atomos,  corpuscula  intellectu  sensa,  sine  ulla 
qualitate  solita  .  . .  aetemum  se  moventia.  Se  rührt  von  A.  her, 
die  Ed.  pr.  hat  es  nicht,  und  wenn  man  sich  an  den  auch  sonst 
üblichen  reflexiven  Gebrauch  von  movere  und  besonders  an  den 
juristischen  Ausdruck  res  moventes  oder  moventia  (bewegliche 
Habe)  erinnert,  wird  man  an  der  Richtigkeit  der  Überlieferung 
nicht  zweifeln. 

ib.  111  in  synanchicis  vero,  ut  supradictis  etiam  utitur  et 
(paQvyyorofiCtt  läfst  die  Ed.  pr.  et  weg;  es  ist  auch  nach  etiam 
überflüssig;  man  braucht  nur  die  Interpunktion  zu  ändern,  und 
die  Stelle  ist  klar:  in  synanchicis  vero,  ut  (sc.  in)  supradictis, 
etiam  utitur  tpaQvyyoro^Ca, 

Einige  Zeilen  weiter  unten  begegnet  uns  eine  den  Sinn  ganz 
entstellende  Änderung  A.s;  während  nämlich  die  Ed.  pr.  bietet: 
item  in  (richtig  eingesetzt  von  A.)  hydropibus  paracentesin  probat, 
qua  inquit  si  forte  plus  modo  fuerit  facta  humoris  detractio, 
erimt  aegri  aqua  calida  replendi  tantum,  quantum  plus  videbamur 
abstulisse,  schreibt  A.  statt  des  ganz  sinngemäfsen  qua,  das  sich 
auf  paracentesin  bezieht  imd  der  Satzverbindung  dient,  quia^  wo- 
durch der  Gedanke  unlogisch  wird. 

ib.  112  hat  die  Ed.  pr.:  dectractionem  sanguinis  ex  talo  factam 
hoc  est  ex  eins  vena  interiore  similiter  mederi  dicit;  hoc  est,  das 
A.  wegläfst,  dient  dem  besseren  Verständnis  und  entspricht  dem 
Sprachgebrauch  des  Autors;  cf.  §  131  odoramentis  utemur,  hoc 
est  castoreo,  peucedano,  ruta  et  aceto.  144  hoc  est  meraeum 
et  salsum. 

Das  XV.  Kapitel  trägt  in  der  Ed.  pr.  die  Überschrift  Item 
ad  Asciepiadem  phreniticos  mrans.  So  kann  natürlich  Caelius 
nicht  geschrieben  haben,  A.  korrigiert  also  curantem.  Aber  diese, 
wie  er  meinte,  fehlerhafte  Lesart  der  Ed.  pr.  hätte  ihm  vielmehr 


Za  Caelins  Aurelianus  Acntarnm  passionum  libri  IIL    31& 

ein  Fingerzeig  sein  sollen,  dafs  wir  es  mit  einer  unverkennbaren 
Dittographie  zu  thun  haben.  Mit  den  Worten  Phreniticos  eurans 
(sc.  Asclepiades)  beginnt  das  Kapitel;  sie  sind  also  aus  dem  Text 
in  das  Lemma  geraten,  das,  mag  es  nun  vom  Verfasser  selbst 
oder  von  einem  Späteren  herrühren,  wie  Kap.  XIV  Ad  Ascle- 
piadem,  so  hier  ursprünglich  Item  ad  Asclepiadem  gelautet  hat. 

ib.  15,  116  siquidem  velut  hortamento  quodam  Immer  liqui- 
dier faciat  ad  caput  asc^nsum  et  in  constrictionem  atque  tensionem 
membranam  cogit  In  diesen  Worten  liegen  vier  Abweichungen 
vom  Text  der  Ed.  pr.  vor;  diese  hat  velut  und  humor  überhaupt 
nicht,  femer  constructionem  st.  constrictionem  und  cogat  st.  cogit. 
Die  ganze  Oberflächlichkeit  der  Ammanschen  Recension  tritt  uns 
hier  an  einer  Stelle  entgegen:  der  eine  von  siquidem  abhängige 
Konjunktiv  wird  beibehalten,  der  andere  in  den  Indikativ  ver- 
wandelt; richtig  ist  nur  die  naheliegende  Verbesserung  con- 
strictionem; denn,  statt  humor  vor  liquidier  einzuschieben,  liegt  es 
naher,  dieses  in  liquor,  das  Caelius  von  verschiedenen  Flüssig- 
keiten gerne  gebraucht,  zu  ändern,  und  dafs  der  Zusatz  von  velut 
vor  das  bildlich  gebrauchte  hortamentum  (es  giebt  wohl  das 
griechische  6Qfir}  wieder)  ganz  überflüssig  und  gegen  den  sonstigen 
Sprachgesprauch  ist,  beweist  das  ähnlich  gebrauchte  hortatio;  cf. 
Chron.  V  4,  62:  mulieres  denique  etiam  digitis  immissis  in  mu- 
liebrem  sinum  sibimet  ipsae  hortatione  quidam  (durch  einen  ge- 
wissen Reiz)  lapidem  provocando  dimiserunt  (die  Entfernung 
[Abgang]  eines  Blasensteines  bewirkt). 

Wie  A.  I  14,  105  den  medialen  Gebrauch  von  movere  ver- 
kannte, so  §  117  den  von  tondere;  er  korrigiert  deswegen  die 
Lesart  der  Ed.  pr.  homines  si  post  ribum  totonderint  durch  Ein- 
schaltung von  se,  und  doch  hätte  ihn,  wenn  er  auch  die  aus 
Varro  u.  a.  für  diese  Bedeutung  angeführten  Belege  (s.  Georges 
Lex.  2825)  nicht  kannte,  das  in  §  120  reflexiv  gebrauchte  Parti- 
cipium  tondentes  eines  Besseren  belehren  können;  cf.  1.  1.  sanos 
post  cibum  tondentes  noceri  manifestum  est,  vgl.  auch  lavantes 
I  16,  162. 

ib.  119  lies  mit  Ed.  pr.  siquidem  . .  .  facta  videatur  statio; 
A.  videtur,  obwohl  noch  zwei  gleichfalls  von  siquidem  abhängige 
Konjunktive  afficiantur — sustineant  nachfolgen. 

ib.  127:  betam  cum  lenticula,  quod  appellavit  teutlophacen. 
Es  besteht  kein  Grund,  die  gemeingriechische  Form  seutlophacen, 
welche  die  Ed.  pr.  bietet,  abzulehnen;  sie  kehrt  II  39,  229  cibum 


316  G.  Helmreich: 

dat   betam    cum  lenticola^    quem  appellavit  seuÜophacen  wieder 
luid  hat  hier  selbst  vor  A.  Gnade  gefunden. 

§  131  stofsen  wir  wieder  auf  ein  willkürliches  Einschiebsel 
A.s;  er  glaubte  die  Lesart  der  Ed.  pr.  dehinc  explicita  passionis 
ayertendae  praecautione  praesentis  durch  den  Zusatz  (praecau- 
tione)  et  cognitione  (praesentis)  verbessern  zu  müssen;  aber  wir 
können  dieses  Interpretament  leicht  entbehren. 

ib.  135:  tamquam  hgitima  putans  schreibt  A.,  wahrend  die 
Ed.  pr.  das  Neutr.  sing,  legitimum  aufweist,  und  das  ist  richtig; 
denn  Caelius  gebraucht  legitimum  im  Sinne  von  aequum,  naturae 
conveniens  und  läfst  darauf  einen  Satz  mit  ut  folgen,  ut  haec 
aliis  adhibentibus  noceant,  ipso  (erg.  adhibente)  medeantur. 

ib.  143:  bietet  die  Ed.  pr.  nocte  gestari  atque  post  cibum 
aegros  aestimavit.  Da  A.  nicht  erknnnte,  dafs  Caelius,  wohl 
durch  seine  griechische  Vorlage  beeinflufst,  aestimare  hier  im 
Sinne  von  iubere  anordnen  gebraucht,  ändert  er  aegros  in  aegris 
prodesse.  Zur  Konstruktion  vgl.  I  15,  154  in  nutriendis  virgini- 
bus  vinum  dari  constituit. 

ib.  142:  grave  est  etiam  oleo  rosaceo  tumentia  refrigerare. 
So  A.,  die  Ed.  pr.  hat  das  Simplex  frigerare,  das  wir  um  so 
weniger  verschmähen  werden,  als  Caelius  dieses  Verbum  häufig 
gebraucht,  z.  B.  Chron.  IV  1,  9  esse  frigerandam  et  siccandam  cor- 
poris superficiem.  II  14,  217  frigerantia  (sc.  adiutoria).  IQ  8,  150 
cataplasmata  frigerantia  u.  a. 

I  11,  7(3  wird  die  Anwendung  von  Blutegeln  gegen  die  phre- 
nesis  empfohlen:  sub  ipsa  fronte  sanguisugas  facimus  inhaerere 
quatuor  vel  quiuque,  ut  non  ex  una  parte  detractio  fieri  sanguinis 
videatur,  sed  veluti  circularis,  ut  totum  spiret  atque  relevetur 
Caput.  Die  Ed.  pr.  hat  circulatis  imd  läfst  ut  vor  totum  aus. 
Caelius  wird  also  geschrieben  haben:  sed  veluti  circulatim  totum 
spiret  atque  relevetur  Caput.  Das  Adverbium  circulatim  ist  ziemlich 
häufig  in  seinen  beiden  Werken;  cf.  Acut.  11  29,  153  circulatim 
cerotaria  apponimus.  Chron.  I  4,  91  erunt  sanguisugae  circulatim 
apponendae.  I  5,  156  appositis  lanis  mollibus  ac  limpidis  capitis 
coUo  et  thoraci  circulatim. 

I  11,  85  tunc  vaporationibus  et  fomentis  et  cataplasmatibus 
et  unctione  utendum.  Da  die  Ed.  pr.  punctione  überliefert,  liegt 
die  Vermutung  nahe,  dafs  dasselbe  einem  Lesefehler  des  ersten 
Herausgebers  seinen  Ursprung  verdankt;  die  Handschrift  hatte 
wohl  perunctione  mit  dem  üblichen  Kompendium  geschrieben. 


Zu  CaeliuB  Aurelianus  Acutarum  passionum  libri  III.     317 

I  9;  60  ist  von  dem  Lager  die  Rede,  auf  dem  die  Kranken  ruhen 
sollen;  es  heifst:  sit  etiam  leetus  omni  ex  parte  firme  locatus,  ut 
cum  faerint  impatienter  iactati  vel  necessitate  cogente  deTincti, 
immobilis  perseveret,  foribus  etiam  atque  fenestra  aversi,  ne  in- 
gressu  hominum  asperentur.  Statt  aversi  ist  aversus  zu  schreiben, 
auf  leetus  bezogen;  vgl.  Chron.  I  5,  155  est  etiam  leetus  firmissime 
atque  aversus  ingressum  (lies  ingressu)  cubiculi  locandus. 

Lib.  IL 

II  1,  3  sed  neque  iste  somnus  est,  impeditus  omnibus  natu- 
ralis actionis  officiis,  sed  est  oppressio.  Dafs  es  impeditis  heifsen 
muTs,  würde  man  bei  näherer  Betrachtung  leicht  durch  Kon- 
jektur finden;  ein  Blick  in  die  Ed.  pr.  zeigt  aber,  dafs  impeditis 
überliefert  und  bei  Amman  vielleicht  nur  durch  ein  Versehen  des 
Setzers  entstellt  ist. 

U  1,  4  in  qua  diffinitione  ambiguum  est,  quo  sit  accipiendum 
frequenter.  Es  ist  von  einer  Definition  der  Lethargie  die  Rede, 
welche  der  Herophileer  Demetrius  aufstellte,  indem  er  diese 
Krankheit  als  eine  passio  acuta  cum  pressura  et  obtrusione  sen- 
suum  <frequenter>  cum  febribus  bezeichnete,  und  es  fragt  sich, 
wie  das  Wort  frequenter  zu  verstehen  ist.  Quo  in  dem  Sinne 
von  „wie"  ist  selbst  bei  einem  Caelius  Aurelianus  auffallig;  es 
ist  aber  gar  nicht  bezeugt,  denn  überliefert  ist  quod.  Dies  ist 
entweder  beizubehalten  oder,  wenn  man  eine  Änderung  für  not- 
wendig hält,  mit  quid  zu  vertauschen;  vgl.  Quint.  Dl  1,  10  intuen- 
dum  est,  quid  accipere  debeamus  figuram. 

II  1,  7  non  enim  somnus  in  lethargis  esse  advertitur.  Ncmi 
nullum  pcriculum  sequeretur.  Statt  nam  ist  in  der  Ed.  pr. 
cetef'uni  überliefert;  dies  steht,  wie  bei  Apuleius  u.  a.  im  Sinne 
des  griechischen  &kk(o$  imd  des  deutschen  „sonst",  ist  also  nicht 
zu  beanstanden;  vgl.  Apul.  met.  7,  28  ceterum  titione  delirantis 
Altheae  Meleager  asinus  interissem. 

n  2,  11  pulsus  etiam  inaequalis,  post  cdiqtiot  saltus  ordinatus 
aut  inordinatus.  Statt  aliquot  hat  die  Ed.  pr.  aliquando,  und 
dies  führt  auf  aUquanios]  aliquanti  für  aliquot  ist  dem  späteren 
Sprachgebrauch  ziemlich  geläufig,  vgl.  Cass.  Fei.  ind.  lat.  s.  h.  v.; 
bei  Aurelian  freilich  scheint  es  nicht  weiter  vorzukommen.  Der 
Abfall  des  Schlufs-s  ist  durch  den  gleichen  Anlaut  des  folgenden 
Wortes  veranlafst. 

II  2,  12    aetatem  quoque  (sc.   attentendam  aiunt),    utrumne 

Archiv  für  lat.  Lexikogr.    XU     Heft  3  22 


318  0.  Helmreich: 

sit  media<!,  et  aeris  habitum.  Durch  Dittographie  scheiut  mediae 
aus  media  verderbt;  denn  es  liegt  näher,  aetas  als  Subjekt  zu  sit 
zn  nehmen  als  febricitans  aus  dem  vorhergehenden  Satze  zu  ergänzen. 

n  2,  12  tunc  enim  frequentare  istam  passionem  putavenoU, 
Für  putaverunt  ist  mit  der  Ed.  pr.  prohaverunt  zu  schreiben,  das 
Aurelian  vielleicht  als  Übersetzung  des  griechischen  ä^iovv  viel- 
fach gebraucht  =  „annehmen",  und  zwar  in  aktiver  und  passiver 
(persönlicher)  Konstruktion;  cf.  11  9,  41  nam  tonsuram  noxiam 
phreniticis  probat.  In  einer  Randbemerkung  erklärt  A.  probat 
mit  putat,  imd  doch  ändert  er  II  2,  12  die  Überlieferung!  Cf. 
Cass.  Fei.  15:  Scabies  a  veteribus  duae  esse  probantur. 

II  3,  13  iam  lethargum  suis  signis  intelligere  debemus.  Die 
Worte  suis  signis  sind  ein  willkürlicher  Zusatz  des  letzten  Heraus- 
gebers; die  Ed.  pr.  kennt  sie  nicht,  und  sie  können  ohne  Schaden 
für  den  Sinn  wegleiben. 

ib.  que^nadmodum  supra  diximus.  Die  Ed.  pr.  bietet  ut  für 
quemadmodum,  und  so  gut  es  einige  Zeilen  weiter  oben  geheifsen 
hat:  sicut  in  phreniticis  diximus,  ist  auch  hier  ut  am  Platze. 
Doch  ist  die  ganze  Stelle,  wie  der  Text  der  Ed.  pr.  zeigt,  stark 
verderbt  imd  vielleicht  unecht. 

II  13,  15  neque  enuntiationis  ordinem  servet,  sed  potius 
intercipiat  Als  ein  Kennzeichen  des  Lethargischen  wird  u.  a. 
auch  angeführt,  dafs  er  eben  Gesagtes  vergifst,  ungeordnet  spricht 
und  die  Rede  auf  einmal  abbricht.  Intercipiat  ist  Konjektur  des 
Herausgebers;  überliefert  ist  intercedat,  und  im  Hinblick  darauf 
ist  wohl  intercidat  zu  schreiben;  vgl.  sententias  intercidere  bei 
Gell.  13,  30  und  intercise  dicere  bei  Cic.  part.  or.  24. 

n  6,  31  manu  mentum,  quod  laxius  propendet,  sublevandum, 
ut  infusa,  priusquam  in  somnum  revocentur,  transvorent.  Dem 
Kranken  soU  mit  dem  Löffel  eine  Flüssigkeit  eingegeben  werden^ 
bevor  er  wieder  in  Lethargie  versinkt.  Damit  dieselbe  von  dem 
Patienten  hinuntergeschluckt  werde,  soll  sein  Kinn  ein  wenig  in 
die  Höhe  gehalten  werden.  Dies  ist  der  Sinn  der  Stelle,  die  in 
der  Ed.  pr.  so  überliefert  ist:  ut  infusa  priusquam  revocentur, 
transvoratione  vorentur.  Der  Znsatz  im  somnum  erscheint  un- 
berechtigt, weil  sich  revocentur  doch  wohl  auf  infusa  bezieht^ 
und  auch  die  Verbindung  transvoratione  vorare  ist  bei  einem 
Stilisten  wie  Aurelian  nicht  befremdlich;  cf.  Chron.  I  3,  59  passio 
.  .  levioribus  admonita  monitis.  Acut.  II  35,  185  praefocabili 
spiramento  respirant. 


Zu  CaeliuB  AurelianuB  Acutarum  passionnm  libri  IIL     319 

Ganz  ohne  Grund  hat  der  letzte  Herausgeber  die  Überliefe- 
rung geändert  II  6,  32.  Hier  hat  die  Ed.  pr.:  Antiquorum  vero 
Hippocrates  et  Erasistratus  es  Herophilus  ad  earuni  (i.  e.  lethar- 
gorura)  curationem  nihil  posuerunt,  ganz  entsprechend,  während 
Amman  schreibt:  huius  passionis  curationem  non  posuerunt. 

U  9,  45  sub  sole  autem  dormientes  gravari  etiam  nos  asse- 
rimus,  sed  ob  eontrarietatem  afficientium  causarum.  Lux  enim 
solis  atque  vapor  relaxat:  e  contrario  somnum  astringit.  Statt 
somnum  ist  in  der  Ed.  pr.  somnus  überliefert,  und  eine  Prüfung 
des  Gedankenzusammenhanges  bestätigt  die  Richtigkeit  dieser  Lesart. 

ib.  neque  splendore  radiorum  perfusum  corpus  graviter  afficit 
aegrotantis.  Die  Ed.  pr.  überliefert  afficüitr,  an  dem  nichts  aus- 
zusetzen ist. 

n  9,  46  Forsitan  enim  ob  nimiam  stricturam  retinetur  et 
non  solum  nihil  egerit,  verum  etiam  ipsa  remanet.  Die  Ed.  pr. 
bezeugt  die  Konjunktive  retineatur  und  remaneat,  die  dem  Sprach- 
gebrauch des  Autors  entsprechen;  vgl.  H  39,  230  forsitan  hoc  et 
fervens  dederit. 

U  9,  54  post  haec  acetum  cum  melle  ob  virium  tutelam 
adhibeyidam  probat.  Es  ist  leicht  einzusehen,  dafs  es  st.  adhiben- 
dam,  das  auch  die  Ed.  pr.  bietet,  heifsen  mufs  ddhibendam ,  auf 
acetum  bezogen;  cf.  §  49  sinapi  probaverit  adhibendum. 

Wie  oberflächlich  die  Ammansche  Ausgabe  gearbeitet  ist, 
können  neben  anderen  zwei  Stellen  zeigen,  an  denen  von  der- 
selben Sache  die  Rede  ist,  nämlich  von  dem  Namen,  mit  dem 
der  Arzt  Praxagoras  die  Krankheit  bezeichnete,  die  man  später 
xaxakri^Lg,  Starrsucht,  nannte.  U  10,  56  liest  man  bei  A.: 
Praxagoras  secundo  libro  peregrinarum  passionum  x(0(iaTcö6y]v 
appellavit  und  §  58  Praxagoras  eani  cathoden  appellavit.  Die 
Ed.  pr.  hat  an  beiden  Stellen  cathoden,  und  dies  ist  wohl  in 
xaroxiiv  zu  verbessern.  A.  aber  bringt  an  der  einen  Stelle  eine 
wenig  wahrscheinliche  Konjektur  —  denn  ein  Substantiv,  kein 
Adjektiv  wird  durch  den  Zusammenhang  gefordert  — ,  an  der 
andern  läfst  er  die  Überlieferung  unbeanstandet,  nur  am  Rande 
notiert  er  xcj^arcjdriv  und  xaroxiiv. 

n  10,  57  bezeugt  die  Ed.  pr.  den  Gebrauch  von  equidem  bei 
Aurelian;  sie  überliefert  nämlich:  equidem  nihü  ei  novitatis  ascri- 
bentes.  Da  auch  der  Landsmann  Aurelians,  Apuleius,  diese  Par- 
tikel  öfter  gebraucht  (cf.  Apul.  Metani.  7,  9),   darf  sie  nicht  mit 

A.,  der  nihil  quidem  schreibt,  aus  dem  Texte  entfernt  werden. 

22* 


320  G.  Helmreich: 

Hydrops,  das  so  oft  bei  Aurelian  vorkommt,  bildet  den 
Akkus,  regelmäfsig  auf  em  (cf.  Chron.  III  8,  98.  99.  101  u.  a.); 
nur  n  10,  63  stöfst  man  bei  A.  auf  hydropen,  das  einer  unrich- 
tigen Auflösung  einer  Abkürzung  in  der  Ed.  pr.  (bydrope)  seine 
Entstehung  verdankt. 

Ein  Beispiel  unrichtiger  Interpunktion  scheint  11  10,  70, 
allerdings  auch  schon  in  der  Ed.  pr.,  vorzuliegen.  Denn  statt 
adeo,  ut  sit  quaedam  interiecta  distantia.  Oris  hiscens  atque 
dimissa  hebetudo  mufs  es  heifsen:  ut  sit  quaedam  interiecta 
distantia  oris  hiscens  atque  d.  h.,  wie  lU  5,  50  atque  oris  hiscens 
distantia  beweist. 

II  10,  71  nihil  dicentes,  sed  volentium  respondere  vultum 
aemtdantes.  Statt  aemulantes  bietet  die  Ed.  pr.  das  einzig  richtige 
simulantes'^  cf.  II  37,  199  ita  ut  crassitudinem  mellis  similarent 
n  35,  186  male  redolens,  ut  saniem  vel  cruorem  simulet.  Chron. 
y  3,  56  veluti  adipis  qualitatem  simulans. 

n  10,  77  Discemuntur  autem  hoc  modo,  quod  primum  oculos 
hahent  distentos.  Statt  des  Indikativs  im  Kausalsatze  hat  Ed.  pr. 
den  Konjimktiv  habeant,  der  nicht  geändert  werden  darf,  da  er 
an  sehr  vielen  Stellen  bezeugt  ist,  z.  B.  weiter  unten  in  einem 
ganz  ähnlichen  Zusammenhang  matricis  praefocatione  oppressae 
discemuntur,  primo  quod  ipsa  matrix  se  sustoUat.  Ebenso  11 
14,  95  eos  .  .  intelligimus  ex  eo,  quod  dolor  infixus  eodem  per- 
maneat  loco.  II  16,  18  illa  causa  est,  quod  . .  pressa  materia 
refugiat.  11  17,  102  ab  empyicis  .  .  .  discemitur  pleuritis,  quod 
febres  noxiae  atque  acutae  et  inordinatae  in  pleuriticis  invenian- 
tur.  in  5,  48  apoplexia  dicta  est  quod  tamquam  ex  letali  per- 
cussu  repentinum  faciat  casum.  Umgekehrt  findet  sich  nach  cum 
causale  wiederholt  der  Indikativ;  man  darf  also  bei  einem  Autor, 
der  im  Gebrauch  der  Modi  so  stark  schwankt,  den  Text  nicht 
nach  den  Regeln  der  Schulgrammatik  umändern. 

II  10,  77  attestante  pulsu  parvo  atque  imbecillo,  ita  ut  ali- 
quando  interire  videantur  cum  frigido  torpore.  Statt  videantor 
hat  Ed.  pr.  videatur,  imd  das  ist  richtig;  denn  nicht  vom  Tod 
der  Patienten,  sondern  vom  Aussetzen  des  Pulses  ist  die  Rede; 
vgl.  zum  Ausdruck  II  4,  20  densus  atque  parvus  et  coacervatim 
interiens  pulsus  efficitur. 

II  10,  80  tuiic  vaporationes  spongiarum  atque  cerötaria. 
Diese  Worte  stehen  aufscr  allem  Zusammenhang.  Durch  eine 
leichte  Änderung  fügen  sie  sieli  in  die  Konstruktion  des  vorher- 


Zu  Caelins  Aurelianus  Acutarum  passionum  libri  III.     321 

gehenden  Satzes.  Man  schreibe  vaporatione  sp.  atque  cerotario, 
dann  erhalten  wir  folgende  Periode:  iniectione  parva  olei  per 
clysterem  ntimur  et  Cucurbitae  appositione  . . .  tunc  vaporatione 
ßpongiarum  atque  cerotario.  Vaporationes  ist  durch  Dittographie 
entstanden  und  hat  den  Fehler  cerotaria  nach  sich  gezogen. 

Von  dem  Zusammenklappen  der  Zähne  gebraucht  Aurelian 
nicht  nur  das  Verbum  concadere,  z.  B.  II  10,  77  dentium  conca- 
dente  iunctione,  sondern  II  12,  85  auch  das  Substantiv  concasus: 
qnamobrem  dentium  cojicasus  vehementior  fiet.  So  die  Ed.  pr.; 
A.  hat  dafür  collisus  in  den  Text  gesetzt,  und  das  ist  der  Grund,  dafs 
Georges  das  Wort  concasus  nicht  aufführt,  während  es  Forcellini, 
hier  genauer  als  Georges,  erwähnt,  aber  mit  dem  sonderbaren 
Zusatz:  Legitur  a  quibusdam  apud  Cael.  Aurel.  2  Acut.  12  n.  85, 
sed  rectius  leg.  cum  aliis  collisus.  Das  Gegenteil  ist  richtig:  con- 
casus ist  die  überlieferte  und  durch  das  von  dem  Autor  gleich- 
zeitig gebrauchte  Verbum  hinlänglich  geschützte  Lesart,  collisus 
eine  blofse  Vermutung. 

II  14,  93  aliqua  ruptis  vasculis  funduntur,  quapropter  ea 
neqne  saniosa  qualitas  post  sanguinea  perseverat,  sed  spumosa 
rursuni  fiet.  So  die  Ed.  pr.,  während  A.  ea  neque  streicht  und 
fiet  in  fit  verändert.  Aber  durch  die  Entfernung  von  neque, 
welches,  wie  öfter,  im  Sinne  des  griechischen  oväe  steht,  wird 
das  folgende  sed  unverständlich.  Es  ist  also  zu  schreiben:  qua- 
propter neque  saniosa  qualitas,  post  sanguinea  perseverat,  sed 
Bpumosa  rursum  fit. 

Im  Anfang  des  lü.  Kapitels  wird  eine  Anzahl  Arzte  auf- 
geführt, welche  behaupteten,  bei  der  Pleuritis  leide  die  Lunge; 
es  sind  Euryphon,  Euenor,  Praxagoras,  Herophilus,  Philotimus. 
A.  stellt  die  beiden  letzten  um,  aber  ohne  hinreichenden  Grund. 
Beide  waren  Schüler  des  Praxagoras,  und  wir  wissen  nicht,  dafs 
Herophilus  der  ältere  gewesen  ist.  Unmittelbar  darauf  folgen  die 
Worte:  Item  quidem  vm^oxora  niembranani  quae  latera  et  interiora 
cingit  (sc.  pati  dixerunt),  ut  Diocles,  Erasistratus,  Asclepiades. 
Es  ist  leicht  einzusehen,  dafs  es  mit  der  Ed.  pr.  heifsen  mufs  quidam. 

In  demselben  §  ist,  wie  die  Vergleich ung  mit  der  Ed.  pr. 
zeigt,  eine  ganze  Zeile  im  Ammanschen  Text  ausf/cfallcn  und  da- 
durch die  Stelle  ganz  unverständlich  geworden.  Es  mufs  nämlich 
heifsen:  accedit  etiam  quod  facile  supra  id  latus  quod  patitur 
iacere  possint  aegrotantes,  supra  aliud  vero  quod  passione  lilKTiim 
videtur  si  se  iactaverint,  difficultas  spirationis  accedat. 


322  G.  Helmreich: 

II  16,  97  singula  etiain  extussita  de  pulmone  venire  mani- 
festum est.  Ed.  pr.  hat  et  tussita,  und  dies  deutet  auf  die  Form 
etussitUf  die  dem  Gebrauch  Aurelians  entspricht,  der  das  Wort 
dreimal  und  immer  in  der  Form  etussire  hat;  vgl.  §  98  Et  tus- 
sita (1.  Etussita)  itidem  sputa  per  pulmonem  feruntur  und  Chron. 
V  10,  103  quo  liquida  et  purulenta  etussiantur.  Mit  etussire 
kann  man  auch  die  bei  Aurelian  vorkommende  Form  esudare 
vergleichen. 

II  18,  106  sed  si  venter  fluxerit,  pultem  dabimus  crassiorem, 
sed  calidam,   quoniam   in  tumentes   prius  partes  incurrat.     Statt 
fluxerit  überliefert  die  Ed    pr.   ebenso  wie  §  104,  wo  A.  gleich- 
falls fluxerit  korrigiert  hat,  influxerit,  und  wenn  man  sieht,  dals 
der  Autor  Chron.  II  7,  94  den   Katarrh   mit  influxio   bezeichnet^ 
möchte  man   auch  hier  das  Verbum  influxerit  für  richtig  halten. 
Unzweifelhaft  richtig  aber  sind  die  beiden  anderen  Abweichungen, 
welche   die  Ed.   pr.  an  unserer  Stelle  aufweist,  nämlich  liquidem 
st.    quoniam    und    die  Weglassung    der   Präposition    in,     Incuiro 
mit    dem    blofsen   Akk.    ist    häufig    bei    Aurel.;    vgl.   11  36,  189 
diaphoresin  incurrerunt.    II  3,  19  absolutam  phrenitim  incurrunt. 
II  13,  90  hanc  passionem  pueros  difficulter  incun-ere.     I  15,  147 
nervös  incurrens  atque  penetrans. 

ib.  vigiliarum  atque  corruptae  digestionis  causa  ungendi  sunt 
Es  ist  aus  dem  Zusammenhang  nicht  ersichtlich,  warum  eine 
Einreibung  vorgenommen  werden  soll,  und  die  Ed.  pr.  bietet  st. 
ungendi  initiandi.  Es  liegt  also  die  Vermutung  nahe,  dafs  dafür 
iniciendi  zu  schreiben  sei,  und  diese  wird  bestätigt  durch  §  108, 
wo  es  in  der  Ed.  pr.  heifst  urgente  etiam  solutione  iniectione 
utemur  supra  dicta,  während  A.  auch  hier  unctione  schreibt.  Da 
sich  die  letztere  Stelle  oflenbar  auf  die  erstere  bezieht,  dient  die 
Lesart  iniectione  zur  Stütze  meines  Vorschlags  iniciendi  sunt. 

Dafs  die  Kritik  eines  Schriftstellers  sieh  auf  die  genaueste 
Beobachtung  des  Sprachgebrauchs  desselben  stützen  mufs,  ist  ein^ 
unbestreitbare  Regel.  Aber  Amman  hat  dieselbe,  wie  wir  schon 
wiederholt  gesehen  haben,  nur  sehr  mangelhaft  befolgt;  sonst 
hätte  er  auch  gesehen,  dafs  II  18,  107  die  Überliefenmg  der  Ed. 
pr.  richtig  ist:  Etenim  alia  quaeque  nimium  constrictivae  virtutis 
vol  multorum  admixtione  coniposita  inimodica  densatione  maiores 
menibranarum  fkri  j)royocant.  Der  Infin.  fieri  schien  ihm  be- 
fremdlich, und  er  hat  ihn  weggelassen;  aber  Aurelian  gebraucht 
j)r()vocare   in   der  Bedeutung  „Veranlassung  geben  zu"  und  kon* 


Za  Gaelius  Anrelianus  Acutarum  paHsionum  libri  III.    323 

struiert  es  wie  facere  mit  dem  Acc.  c.  Inf.:  vgl.  11  24,  137  eadem 
clyster  per  ventrem  detrahi  provocet  und  namentlich  Chron.  III 
8,  110  siquidem  exitum  liquorum  fieri  provocet  fervor  aestatis. 

II  19,  113  in  aeneo  vasculo  sive  t€sia/*eo.  Die  Ed.  pr.  bietet 
die  Adjektivform  testeo,  welche  beizubehalten  ist,  da  sie  der 
Autor  auch  sonst  verwendet;  cf.  HI  17,  150  vitrea  apponimus 
vascula  vel  testea.  Chron.  II  13,  168  vasculo  novo  includitur 
testeo.  in  2,  22  aliquando  etiam  testea  vascula,  quae  Graeci 
amphoras  vocant.  IV  7,  94  vascula  quae  a^ißixag  vocant  et  sunt 
materia  testea  vel  vitrea  confecta.  Bildl.  V  11,  134  psychrolu- 
tarum  corpora  densa  ac  veluti  testea  sentiuntur. 

ib.  spongiam  mollem,  magnam,  ex  ferventi  aqua  expressam 
atque  pannis  involutam.  Die  Ed.  pr.  läfst  pannis  weg,  und  es 
kann  als  selbstverständlich  fehlen.  Bei  Hippokrates,  aus  dem  der 
Anfang  dieses  Kapitels  entlehnt  ist,  variiert  die  Lesart  zwischen 
nsQiötdyscv  T€  ciV(o  rr^v  ^akil>iv  xqi^i  und  üt.  r.  liiuritö  ri]v  %. 
%Qr^,  Littre  und  Kühlewein  geben  der  ersten  Lesart  den  Vorzug, 
der  Hippokratesübersetzer  Fuchs  der  zweiten;  aber  er  irrt,  wenn 
er  meint,  „sowohl  Galenos  (XV  522)  als  Caelius  Anrelianus 
(morb.  ac.  II  19)  stützen  fftc^rt«".  Für  Aurelian  jedenfalls  gilt 
das  nicht;  in  seinen  Text  ist  pannis  erst  aus  der  Vulgata  des 
Hippokrates  eingesetzt  worden. 

Ebenso  ist  weiter  unten  in  den  Worten  ut  spiramento  ad- 
ductus  vapor  suo  ingressu  laxamentum  partibus  ministret  das 
Substantiv  vapor  ein  fremder  Zusatz;  in  der  Ed.  pr.  fehlt  es  und 
steht  adducta  (auf  spongia  bezogen)  für  adductus. 

ib.  §  116.  Dafs  die  Textüberlieferung  Aurelians  eine  viel- 
fach mangelhafte  ist,  kann  man  am  besten  an  den  aus  Hippo- 
krates entlehnten  Stelleu  ersehen.  Eine  solche  liegt  §  113 — 116 
vor.  Sie  ist  dem  Inhalte  nach  identisch  mit  Hipp,  de  diaet.  in 
acut.  §  7  Littr.  =  21 — 25  Kühl.  Ohne  das  griechische  Original  zu 
vergleichen,  ist  es  unmöglich,  dem  lateinischen  Texte  einen  Siim 
zu  entlocken;  so  stark  ist  derselbe  alterlert.  Ich  will  hier  nur 
darauf  aufmerksam  machen,  wie  die  Überlieferung  der  letzten 
Sätze  dieses  Abschnittes  in  der  Ed.  pr.  lautet:  Etenim  dixit 
melius  esse  statim  sorbendi  initium  sumere  et  in  omnibus  magis 
ventris  antecedentibus  deductionibus  sumendo.  ergo  est  initium  etc. 
Dafs  esse  (A.  schreibt  est)  richtig  ist,  zeigt  das  griechische  ä^snov 
sivai.  Wie  aber  das  Übrige  zu  bessern  ist,  wage  ich  nicht  zu 
entscheiden.     Nur    den    Schlufs    möchte    ich   mit   einer   leichten 


324  G.  Helrareich: 

Änderung  so  gestalten:  sumendum  ergo  est  initium.  Freilich 
stimmt  das  nicht  recht  mit  dem  griechischen  Wortlaut;  aber  es 
ist  recht  wohl  möglich^  dafs  ihn  Aurelian  nicht  yerstandeu  und 
xmrichtig  übersetzt  hat. 

Dafs  A.  durch  willkürliche  Zusätze  den  Text  vielfach  ent- 
stellt hat^  haben  wir  schon  an  mehreren  Beispielen  gesehen; 
auch  II  19^  124  liegt  ein  solcher  Fall  vor.  In  der  Ed.  pr.  ist 
überliefert:  in  ceteris  relinquendum  temporibus  aegrotantem  aper- 
tissime  indicavit;  A.  schaltet  absque  nutrimento  nach  temporibus 
ein.  Dem  Sinne  entspricht  zwar  diese  Ergänzung ,  aber  sie  ist 
in  sprachlicher  Hinsicht  zu  beanstanden ,  weil  Aurelian  absque 
niemals  gebraucht. 

II  21,  126  sed  eos  qui  non  per  frictionem  incurrerint.  Es 
liegt  auf  der  Hand,  dafs  die  Lesart  der  Ed.  pr.  perfrictlonem 
richtig  ist.  Ihr  werden  wir  uns  auch  weiter  unten  anzuschliefsen 
haben,  wo  es  heifst:  atque  ex  illo  quotidie,  während  A.  mit  Un- 
recht tempore  nach  illo  einschiebt;  zu  ex  illo  =  ex  eo  vgL 
Ovid  Fast.  V  670  ex  illo  est  haec  tibi  festa  dies. 

II  22,  132  qui  iugibus  afficiuntur  febribus  quoties  initium 
ex  die  siimpseriL  Es  ist  mit  der  Ed.  pr.  sumpscrint  zu  lesen,  wie 
der  unmittelbar  folgende  Satz  beweist:  qui  maiore  hemitritaeo 
aegrotant  et  ex  nocte  sumsseriut  initium. 

II  24,  138  ut  e  contrario  resistente,  neque  imbecillibus.  Statt 
ut  bietet  die  Ed.  pr.  utque,  was  auf  atque  hinweist. 

II  25,  141  antecedente  pleuritica  peripneumonia  sequetur, 
quo  fiet,  ut.  Mit  der  Ed.  pr.  ist  zu  lesen  sequitury  und  fiet  ist 
in  fit  zu  verbessern. 

II  29,  153  siquidem  tussiculam  commovent.  Ed.  pr.  richtig 
commoveant. 

ib.  154  wird  ein  Mittel  gegen  die  Lungenentzündung  ans 
Hippokrates  angeführt  mit  den  Worten:  Hippocrates  vero  libro 
regulari,  quem  diaeteticum  vocavit,  peripueumonicae  inquit  reme- 
dium  aptandum  ex  cocco  atque  galbano  atque  attico  melle.  A., 
der  die  Stelle  im  Corpus  Hippocraticum  nicht  finden  konnte, 
meint,  die  hier  als  Über  regularis  bezeichnete  Schrift  sei  verloren 
gegangen.  Aber  die  Stelle  steht  in  ZleQt  dialti]c:  o^cW,  und 
zwar  in  den  unechten  Absclmitten  {y6%a)  c.  34  Kühl.  =  vol.  U 
p.  46(5  Littr.  Sie  ist  deswegen  interessant,  weil  sie  zeigt,  dals 
Aurelian  seine  griechische  Vorlage  nicht  immer  richtig  verstand. 
Bei  Hipp,  heifst  es  nämlich:   n£Qi:tvevnovCi]g  ixksixröv  x^^ß<^^V 


Za  Caelius  Aurelianus  Acutarum  passionum  libri  III.     325 

xal  xöxxttXog  iv  ^ektti,  Aurelian  hat  also  xoxxog  und  xoKxakog 
verwechselt;  das  letztere  hätte  er  mit  nucleus  übersetzen  müssen. 

II  30,  162  ist  zweimal  der  Konjunktiv  nach  siquidem  mit 
der  Ed.  pr.  herzustellen,  nämlich  ptitent  st.  putant  und  appell^t 
st.  appellat: 

II  31,  163.  Bei  Aurelian  finden  sich  definire  und  diffinire, 
definitio  und  diffinitio  neben  einander.  Wo  aber  die  klassischen 
Formen  überliefert  sind,  besteht  für  uns  kein  Grund,  sie  abzu- 
lehnen. Es  ist  also  §  163  mit  der  Ed.  pr.  Definitioties  etiam 
Soranus  dicere  declinavit  zu  schreiben. 

II  32,  166  ist  mit  Ed.  pr.  ut  peiorantibus  febribus  dissolutio 
fiat  (A.  fit)  zu  lesen.  In  den  unmittelbar  folgenden  Worten  ad- 
dunt  vel  attendunt  quidam  etiam  aeris  aestus  scheint  ein  Glossem 
vorzuliegen;  die  Worte  addunt  vel  sind  zu  streichen. 

ib.  §  167  attestiinte  hallucinatione,  animi  desponsione  cum 
vigiliis  iugibus,  et  quibusdam  repentino  atque  coadcervato  per 
totuni  corpus  sudore.  Die  Ed.  pr.  läfst  animi  weg;  es  ist  auch, 
wie  III  18,  176  desponsio,  vigiliae,  hallucinatio,  sitis  beweist, 
nicht  notwendig;  desponsio  steht  absolut  im  Sinne  von  desporatio. 
Auch  im  Folgenden  ist  die  Lesart  der  Ed.  pr.  richtig:  repentinus 
atque  coacervatus  per  totuni  corpus  mulor,  wie  aus  den  folgenden 
Attributen  parvus,  tenuis,  aquatus,  die  sich  doch  nur  auf  sudor 
beziehen  können,  hervorgeht. 

ib.  §  168  Dehinc  veheme^itins  deficiente.  Da  die  Ed.  pr. 
vehementius  nicht  kennt  und  deficiens  bietet,  so  ist  dies  auf  das 
vorausgehende  cordis  saltus  crebrior  zu  beziehen;  damit  fällt  die 
Veranlassung  zu  einer  Textesänderung  weg. 

ib.  §  171  neque  vini  datione  neque  varietate  ciboruui  ad 
sublevandas  constantius  vires  uti  possumus.  Dafs  die  hier  vor- 
genommene Umstellung  der  Worte  constantius  vires  (Ed.  pr.  hat 
vires  comtantixis)  nicht  am  Platze  ist,  beweist  §  175  utendum  igitur 
clysteribus  in  his  qui  sine  febribus  fuerint  iubet  constantissime. 
Ebenso  ist  im  Folgenden  der  Zusatz  von  accidit  überflüssig; 
denn  der  Satz  tunc  cum  quadam  maestitudine  latenter  disici 
per  sudorem  ist  von  gravius  est  abhängig.  Der  Schhifssatz  des 
§  lautet  in  der  Ed.  pr.  richtig:  Sic  enim  (A.  etiam)  aegrotantes 
. . .  moriuntur. 

II  33,  177  quoniam  non  adsunt  secundum  ipsum  febrium 
signa.     Die  Ed.  pr.  richtig:  siquidem  non  adsint. 

II  33,  175.     Dafs    die   Überlieferung   in    der   Ed.   pr.:    Item 


326  (J.  Helmreich: 

aliqui  uoYelli  scriptores  aiunt  siguum  esse  periculosae  passionis 
non  sine  febribus  aegrotare  richtig  ist,  scheint  aus  den  Worten 
des  §  178,  die  sich  auf  die  angeführte  Stelle  zurückbeziehen, 
hervorzugehen.  Die  von  A.  vorgenommene  Umstellung  von  non 
nach  aiunt  ist  also  nicht  zu  billigen. 

II  34,  180  Praepati  in  cardiacis  Erasistratus  et  Asclepiades 
cor  dixerunt,  alii  membranam,  quae  cor  circumtegit,  alii  dia- 
phragma  . .  alii  pulmonem.  Die  Ed.  pr.  fügt  vor  den  letzten 
Worten  alii  siomachum  ein;  sie  sind  vollkommen  am  Platz,  wie 
namentlich  c.  35  zeigt,  und  nur  durch  ein  Versehen  bei  A.  weg- 
geblieben. 

ib.  Est  autem  cor  praestans  atque  salutaris  corpori  2)arti- 
cula.  Die  Ed.  pr.  hat  corporis,  dessen  Richtigkeit  der  unmittelbar 
vorhergehende  Satz  aliqua  corporis  i»arte  principali  atque  propria 
patiente  beweist. 

ib.  §  181  qiwd  gravedo  etiam  quibusdam  cardiacis  oc<;urrit. 
Die  Konjunktion  quod  fehlt  in  der  Ed.  ])r.;  sie  scheint  nicht 
nötig,  da  das  vorausgehende  quomodo  (=  griech.  cbg)  fortregiert 

ib.  55  1^2  (ptouiam  inultis  ante  praecisis  partibus  vulnus 
possit  accipere.  Für  quoniam  bietet  die  Ed.  pr.  siquidem,  das 
dem  Sprachgebrauch  des  Schriftstellers  entsprechend  wiederher- 
zustellen ist. 

II  34,  183  sed  bis  quoque  respondemus,  quod  signa  sibi 
fingunt,  Vera  existimantes.  An  dem  statt  quod  in  der  Ed.  pr. 
überlieferten  quomodo  ist  kein  Anstofs  zu  nehmen.  Denn  häutig 
gebraucht  der  Schriftsteller  naeli  den  Verbis  dicendi  quomodo  im 
Sinne  des  griechischen  J)j?. 

II  35,  185.  Der  Sehlufs  des  vorigen  und  der  Anfang  dieses 
Paragraphen  scheint  schwer  verderbt  zu  sein,  sodafs  die  W^ieder- 
herstellung  des  Ursprünglichen  kaum  möglich  ist.  Nur  einzelnes 
läfst  sich  bessern.  Dahin  gebeert  die  Stelle:  gravantur  tarnen 
(om.  Ed.  ])r.)  quidam  thorace  atque  praefocabili  spiramento  respi- 
rant,  quidam  stomacho  patiente  defectione  virium  sola  (om.  Ed. 
pr.)  fueruut  vexnii.  Für  vexati  überliefert  die  Ed.  pr.  deptirgatiy 
das  dem  Sprachgebrauch  des  Autors  ganz  entspricht.  Derselbe 
verwendet  dieses  Verbum  wiederholt  im  vSinne  von  „schwächen" 
vgl.  C'hron.  II  13,  190  etenim  corporis  fortitudo  necessario  depur- 
gatur.  V  11,  139  ])hlel)otomia  vires  depurgatae  vexantur.  V  10, 114 
vehementi  tussicula  viribus  depurgatis.  I  1,  40  in  iis  vero  (cor- 
poribus)  quae  minus  vexata  noscuutur  vel  viribus  (sehr  mit  ün- 


Zu  Caelius  Aurelianus  Acutarum  passionum  libri  III.     327 

recht  schaltet  A.  hier  medicamentorum  ein,  das  die  Ed.  pr.  nicht 
kennt)  depurgata. 

ib.  si  defectione  fuerit  stomachus  aflFectus,  fluor  sequitur 
saliyamm  et  humecta  aquositas  et  nausea.  Für  das  Vorkommen 
des  Substantivs  aquositas  wird  von  den  Lexikographen,  Forc^llini 
und  Georges,  nur  diese  Stelle  angeführt.  Wenn  es  sonst  nirgends 
sich  findet,  steht  es  schlecht  um  seine  Beglaubigung;  denn  hier 
ist  es  Vermutung  der  Herausgeber;  die  Ed.  pr.  hat  dafür  callo- 
sifm,  und  ich  kann  nicht  finden,  warum  das  nicht  in  dem  Sinne 
von  „Unempfindlichkeit"  vom  Magen  sollte  gesagt  werden  können; 
ist  doch  Chron.  III  2,  13  von  einer  duritia  stomachi  die  Rede, 
und  ib.  §  42  findet  sich  der  Ausdruck  summitas  stomachi 
eallosa. 

ib.  §  186  in  cholericis  et  tetanicis  vel  tumentibus  matrice 
aut  prnefocatis.  Die  Ed.  pr.  hat  tumentibus  aut  matrice  praefo- 
catiSy  und  diese  Stellung  ist  die  richtige;  vgl.  II  9,  37  quae  epi- 
lepticis  vel  matrice  praefocatis  adhibuit  odoranda.  Chron.  I,  4,  71 
a  matrice  praefocatae  mulieres  und  das  oft  vorkommende  matricis 
praefocatio. 

II  36,  188  quoniam  etiam  prosperi  sudores,  quos  Graeci  cri- 
ticos  vocant,  habent  quiddam  circa  visum  similitudinis  cum  car- 
diacis  etc.  Die  Ed.  pr.  überliefert  st.  quoniam  qxiomodo.  Dies 
ist  wiederherzustellen,  denn  Aurelian  verwendet  quomodo  gerne 
in  kausalem  Sinne  und  öfters  zu  Anfang  eines  Abschnittes;  vgl. 
I  5,  45  quomodo  (A.  quando)  furentes  sive  insanos  a  phreniticis 
sola  febrium  sinceritate  omnes  sectarum  principes  secreverunt. 
6,  49;  9,  58;  16,  155  immer  am  Kapitelanfang. 

ib.  §  192  sed  neque  plus  satis  brevia  (loca)  esse  convenit. 
Die  sonderbare  Verbindung  von  plus  satis  verdankt  hier  und  im 
nächsten  Paragraphen  den  späteren  Herausgebern  ihren  Ursprung, 
die  Ed.  pr.  kennt  nur  satis  hier  und  §  193  lecti  concubatio  neque 
dura  . .  neque  satis  mollis  .  .  erit  procuranda.  Weil  man  aber  den 
Gebrauch  von  satis  im  Sinne  von  „sehr''  nicht  kannte,  glaubte 
man  der  Ausdrucksweise  des  Schriftstellers  durch  Hinzufügung 
von  plus  nachhelfen  zu  müssen. 

ib.  196  überliefert  die  Ed.  pr.  frigidae  infundentes  spongias 
. .  .  ac  iugiter  mutantes,  A.  hat  geändert  in  frigidam  infundentes 
spongiis.  Näher  scheint  mir  die  Änderung  frigidä  infundentes 
spongias  zu  liegen;  die  Konstruktion  infundere  aliqua  re  mit 
etwas  benetzen  ist  häufig  bei  Aurelian;  vgl.  II  38,  218  lanas  oleo 


328  G.  Helmreich: 

infasas.    III  5,  59  panis  aqua  calida  infusus.    II  37,  200  palmulae 
saepe  vino  infusae  u.  a. 

II  37,  200  rubi,  quem  Graeci  ßdrov  appellant.  Die  Ed.  pr. 
bezeugt  quam,  und  diese  Lesart  wird  als  richtig  erwiesen  da- 
durch, dafs  auch  yon  andern  rubus  als  Femin.  gebraucht  wird, 
wie  von  Prudentius,  und  dafs  bei  Aurelian  selbst  wiederholt  das 
Femin.  in  der  Ed.  pr.  überliefert  ist,  während  A.  willkürlich  ge- 
ändert hat;  so  Chron.  II  7,  103  aut  rubi,  quam  (A.  quem)  ßdrov 
appellant.  lY  3,  52  aut  rubus,  quam  Graeci  baton  appellant  (hier 
hat  auch  A.  die  Lesart  der  Ed.  pr.  beibehalten).  Dagegen  bietet 
Chron.  11,8  auch  Ed.  pr.  das  Masculin.:  aut  rubi,  quem  Graeci 
ßdrov  a])pellant. 

ib.  201  ist  in  der  Ed.  pr.  überliefert  rhiis  Syriaci  sextariis 
(1.  -arii)  quatuor;  A.  glaubte  den  Genit.  rhois  herstellen  zu 
müssen,  mit  Unrecht;  wie  aus  zahlreichen  Beispielen  bei  Marcellus 
und  Theodorus  Priscianus  (s.  Ind.  verb.)  ersichtlich  ist,  lautet 
der  Genit.  von  rhus  Syriacum  rhus  Syriaci. 

Ebenso  ist  einige  Zeilen  weiter  unten  die  Lesart  der  Ed.  pr. 
beizubehalten:  donec  quarta  liquoris  remaneat.  A.  schiebt  pars 
ein;  aber  diese  Auslassung  ist  doch  zu  gewöhnlich,  als  dafs  man 
daran  Anstofs  nehmen  sollte. 

ib.  208  demus  aliquid  pomorum  aut  pira  duracina  et  cetera, 
quae  stringere  valent.  Statt  aut  hat  die  Ed.  pr.  ut.  Dafs  dies 
richtig  ist,  beweist  die  Parallelstelle  III  21,  203  dabimus  quic- 
quam  pomorum,  ut  pira  vel  mala  cydonia. 

ib.  212  et  ex  frigido  corpore  vexari  sine  uUa  febricula.  Das 
unverständliche  Wort  corpore  ist  erst  durch  die  Unachtsamkeit 
der  späteren  Herausgeber  in  den  Text  gekommen,  die  Ed.  pr. 
hat  richtig  torpore, 

ib.  214  non  aliter  corporis  virtus  insumpta  immodicis  nutri- 
mentis  oppressa  mortis  dal>it  effectum.  Auch  hier  hat  die  schon 
früher  gerügte  Unl)ekanntschaft  des  Herausgebers  mit  dem  Sprach- 
gebrauch der  späteren  Latinität  zu  einer  willkürlichen  Änderung 
Aiilafs  gegeben.  Die  Ed.  ])r.  überliefert  nämlich  ex  immodicis 
uutrimentis  oi)pressa,  was  keinen  Grund  zur  Beanstandung  giebt, 
da  der  Gebrauch  von  ex  statt  des  blofsen  Abi.  instrum.  bei 
Aurelian  sehr  häufig  ist;  cf.  ('hron.  111  1,  12  ex  quibus  stomachus 
necessario  vexatur.  I  3,  59  ex  supra  dictis  adiutoriis  aegritudo 
solvetur. 

ib.  220  cum  ad  ventrem  vel  intestina  fuerit  conversa  fiuentia. 


Zu  Caelius  Aurelianus  Acutarnm  passionum  libri  III.     329 

Wäre  die  Stelle  so  überliefert,  müfste  man  ein  Subst.  fiuentia, 
das  sich  allerdings  bei  Cael.  Aurel.  de  sign,  diaet.  pass.  89  (s. 
Rose,  Anecd.  II  234)  findet,  annehmen.  Die  Ed.  pr.  hat  aber 
fiierint,  und  das  stimmt  zu  den  übrigen  Stellen  in  den  beiden 
Hauptwerken  über  die  akuten  und  chronischen  Krankheiten,  wo 
fluentia  nur  als  Neutrum  plur.  vorkommt;  s.  §  221  yidemus  . . 
fluentia  augeri  potius  quam  minui.  Chron.  V  8,  88  constrictione 
enim  atque  densitate  fluentia  retinentur. 

II  39,  231  siquidem  ante  declinationem  dandum  iussit.  Die 
£d.  pr.  bietet  den  nach  siquidem  üblichen  Konjunktiv  iusserit; 
vgl.  40,  234  siquidem  post  cibum  fieri  iubeatur. 

Lib.  m. 

1,  10  in  quibusdam  tantum  rumor  increscit,  ut  stricturam 
faciat  in  faucibus  atque  gutture.  Da  von  der  synanche  die  Rede 
ißt,  leuchtet  es  von  selbst  ein,  dafs  die  Lesart  der  Ed.  pr.  tnmor 
richtig  ist.  Ihr  hat  man  sich  auch  §  12  anzuschliefsen  und  zu 
lesen:  si  (sit  A.)  tunc  necessitas  emerserit  faciendi. 

ib.  §  18  wird  ein  Arzneimittel  dyamirrhion  erwähnt;  die  Ed. 
pr.  bietet  dyamirrhinon.  Es  ist  klar,  dafs  diamyrrhinon  {6iä 
livQQtvöv)  zu  schreiben  ist  Ebendaselbst  wird  in  der  Ed.  pr. 
ein  Mittel  mit  Andronios  bezeichnet;  A.  schreibt  dafiir  Andronis, 
wie  ich  glaube,  nicht  mit  Recht.  Denn  Andronios  findet  sich 
auch  bei  Marcellus  11,  29  als  Name  eines  Medikamentes. 

ib.  humorem  praet«rea  fervore  nutritum  si  glutinosum  vide- 
rimus  factum;  Ed.  pr.  richtig  ex  fervore;  denn  nichts  ist  bei 
Aurelian  häufiger  als  der  Gebrauch  der  Präposition  ex  statt  des 
instrumentalen  Ablativs;  vgl.  4,  28  quorum  ex  acrimonia  magis 
tumentia  provocantur. 

4,  38  cataplasmatum  et  gargarismatum  usus  aeger  atque 
difficilis  aegrotanti  videtur.  Ed.  pr.  hat  hier  anagargarismatuw 
und  ebenso  §  42  an<igargarisniaie  st.  gargarismate,  beide  Male 
richtig.  Aurelian  hat  das  Wort  ohne  Zweifel  aus  seiner  griechi- 
schen Vorlage  herübergenommen;  ävayuQyaQiiio  ist  nicht  selten 
bei  den  griechischen  Ärzten,  auch  avayaQyccQiöiia,  das  die  griech. 
Lexika  nicht  kennen,  findet  sich  ])ei  Galen  vol.  XII  976.  Von 
den  Lateinern  hat  der  Landsmann  Aurelians,  Cassius  Felix,  das 
Wort  wiederholt  gebraucht. 

4,  45  cetera  quoque  ciborum  prohibet.  So  auch  die  Ed.  pr.; 
aber  quoque  giebt  keinen  Sinn,  denn  im  Vorhergehenden  ist  von 


330  0.  Helmreich: 

keinem  Verweigern  von  Nahmngs-  oder  Arzneimitteln  die  Rede, 
sondern  mit  den  Worten  fulciendos  etiam  omnes  iudicat  vel 
nntriendos  sola  aqua  vel  mulso  wird  eine  bestimmte  Anweisung 
zur  Behandlung  der  Patienten  gegeben.  Da  nun  Aurelian  quae- 
que  sehr  oft  im  Sinne  von  omnia  gebraucht,  liegt  es  nahe,  auch 
hier  cetera  quaeque  zu  schreiben.  Zu  diesem  Gebrauch  von 
quisque  vgl.  Acut.  III  8,  81  praecaventes  .  .  dura  quaeque  . . 
dare  mandenda.  85  ait  frigida  quaeque  esse  inimica  ossibus, 
nervis,  dentibus.  17,  152  praecaventes  . .  frigida  quaeque.  Chron. 
V  11,  136  pinguia  quaeque  reprobamus.  4,  78  ut  cetera  quaeque 
nimia.  Acut.  III  4,  46  et  cetera  quaeque  nervorum.  11  37,  214 
ad  omnia  quaeque.    Chron.  III  8,  139  vel  aliis  quibusque  .  .  inflatis. 

ib.  oportet  phlebotomari  promittentibus  viribus.  Ed.  pr.  richtig: 
permittentibus  v.  wie  8,  76  viribus  permittentibus  u.  a. 

9,  98  ceterorum  quoque  animalium,  quae  sint  simili  rabie 
noxia.  Für  noxia  bietet  die  Ed.  pr.  obnoxia,  das  dem  Sinn  voll- 
kommen entspricht;  rabie  ist  dann  als  Dativfonn  aufzufassen. 

15,  119  sed  ob  astrictionem  probandae  novae  passionis  aiunt. 
Statt  des  unverständlichen  astrictionem  hat  die  Ed.  pr.  astrudioiiem. 
Für  astructio  in  der  Bedeutung  ^Beweisführung'  bieten  die  Lexika 
verschiedene  Belege,  und  in  diesem  Sinne  ist  das  Wort  hier  wohl 
am  Platze.  Die  Stelle  heifst  dann:  ,,Um  zu  beweisen,  dafs  die 
Wasserscheu  eine  neue  Krankheit  sei,  sagen  sie,  keiner  von  den 
alten  Ärzten  habe  diese  Krankheit  erwähnt." 

16,  131  si  calidam  atque  oleum  clystere  per  podicem  iniciamus. 
Dafs  das  in  der  Ed.  pr.  überlieferte  ex  clystere  ohne  Anstofs  ist 
und  dem  Sprachgebrauch  des  Autors  entspricht,  wurde  schon 
oben  erwähnt;  cf.  Chron.  I  3,  59  ex  supradictis  adiutoriis  a^ri- 
tudo  solvetur.  Acut.  III  8,  90  ex  siccis  autem  vaporationibus  sic- 
cantur  u.  a. 

17,  153  comniuniter  incjuit  refrigeranda  superiora.  Statt  des 
Kompositums  überliefert  die  Ed.  pr.  das  Simplex  frigeranda,  das 
sich  so  häufig  bei  Aurelian  findet,  dafs  es  die  Herausgeber  nicht 
hätte  befremden  sollen;  vgl.  Acut.  III  21,  208  frigerandos  inquit 
cholericos.  Chron.  IV  1,  9  inquiunt  esse  frigerandam  et  siccan- 
dam  corporis  superficiem  u.  a. 

21,  209  lautet  die  Überlieferung  in  der  Ed.  pr.  neque  de- 
raonstravit  quia  .  .  dimissionis  tempore  erunt  aegrotantes  nutriendi. 
Weil  aber  Amman  den  Gebrauch  von  quia  =  griech.  Zxi  im 
Sinne    des  Akkusativs   mit  Infinitiv  bei  den  Spätlateinern  nicht 


Zu  CaeliuH  Aurelianus  Acutarum  paBsionum  librilll.     331 

kannte^  änderte  er  an  unserer  Stelle  quia  in  quando,  obwohl  ihn 
die  Stelle  III  4,  45  non  advertens  quia  omnes  synanchicos  ob 
stricturae  vehementiam  oportet  phlebotoari  davon  hätte  abhalten 
sollen.  Die  gleiche  unbedachtsame  Änderung  hat  sich  Amman 
in  21,  219  zu  Schulden  kommen  lassen;  hier  ist  in  der  Ed.  pr. 
tiberliefert:  erat  melius  dicere  quia  cessante  vomitu,  emergente 
febricula  abstinent ia  est  adhibenda,  Amman  hat  den  Akkusativ 
mit  Infinitiv  abstinentiam  esse  adhibendam  dafür  eingesetzt. 

Diese  Belege  werden  genügen,  um  zu  zeigen,  dafs  jeder,  der 
Aurelians  Schriften  zu  grammatischen  oder  lexikalischen  Studien 
benützen  will,  neben  der  Ammanschen  Ausgabe  die  Editio  prin- 
ceps  zu  Rate  ziehen  mufs,  wenn  er  nicht  Gefahr  laufen  will, 
willkürliche  Änderungen  für  die  handschriftlich  bezeugte  Über- 
lieferung zu  nehmen. 

Hof.  (t.  Helmreich. 


Animaequitanlare. 

Im  zweiten  Band  des  Thesaurus  Sp.  77  findet  sich  das  Wort 
aniniaequitas  und  —  mit  ziemlich  vielen  Belegen  —  das  Adjektiv 
animaequus,  das,  wie  dort  mitgeteilt  wird,  nach  Skutsch  aus  dem 
Substantiv  gebildet  sei.  Aus  Rönschs  Itala  und  Vulgata  hätte  sich 
für  das  Adjektiv  noch  die  eine  oder  andere  Belegstelle  entnehmen 
lassen  (Sap.  18,  6;  Herrn.  Fast.  11,3.  II  5,  l);  ebenso  für  das  Sub- 
stantiv, für  das  im  Thesaurus  kein  Beleg  aus  der  Litteratur  angeführt 
ist,  Herrn.  Fast.  II  5,  2  (Vatic).  Dagegen  fehlt  auch  bei  Rönsch  wie 
noch  im  Thesaurus  völlig  das  Verbum  animaequitardare  =  uaTigo&v- 
fieiVy  das  man  seit  1887  im  Wiener  Corpus  scriptoruni  ecclesiasti- 
corum  latinorum  Bd.  12  S.  407  Z.  7  in  einem  Gitat  aus  Eccli  29,  8 
(11)  liest. 

Verumtamen  super  humilem  amimaequUarda 
et  pro  elemosyna  non  trahas  illum. 

nXriv  inl  ransivco  ^ci7CQod"v^7}<5ov 

xal  in    iks7]iioCvvtjv  fti)  TraQeluvCrjg  «itoi/. 

Die  ganze  Stelle  406,4—407,12  mit  den  Citaten  aus  Eccli  4, 
1—8.  7,10.  32.  12,2.  14,11—17.  17,22.  29,8.  10—12  (11.13 
— 15)  ist  nur  in  dem  vorzüglichen  Codex  S  (Sessorianus  58,  VIII. 
oder  IX.  s.)  erhalten  und  fehlt  in  der  anderen  Handschriftengruppe 
MVLC.  Nach  Weihrichs  Vorwort  p.  XL  ist  das  sogenannte  Speculum 
oder  der  Liber  de  divinis  scripturis  aus  dieser  Handschrift  von  Mai 
im  Spicilegium  Romanura  IX  2,  1 — SS  und  in  der  Nova  Fatrum 
Bibliotheca  I",  1  — 117  (1852)  herausgegeben  worden;  da  Mais  Aus- 
gaben mir  nicht  vorliegen,  weifs  ich  nicht,   ob  er  auch  schon  so  wie 


3:-52  Kb.  Nestle  —  Ed.  Wölfflin:   MiBcellen. 

Weih  rieh  ^'edruckt  hat.  Nach  des  letzteren  Apparat  hat  die  Hand- 
iM;hril't  aniinae  |  quitarda;  in  der  lateinischen  Bibel  liest  man  heute: 
V<?niiritumen  super  humilem  animo  fortior  esto;  ebenso  citiert  Augustin 
im  ««cht«!!  Spoculuni  (bei  Weihrich  a.  a.  0.  143,  14).  Das  animae- 
qui tarda  gi«bt  den  Sinn  des  fia7iQO^v^7}aov  entschieden  besser  wieder 
aU  das  animo  fortior  esto.*)  ümsomehr  darf  wohl  die  Aufmerksamkeit 
auf  di«*8<i  Bildung  gelenkt  werden. 

Maulbroun.  Eb.  Nestle. 


Lucania. 

All  ihn  Worten  des  Cicero  Tusc.  1,  89:  cum  pro  patria  cadentis 
Hi'ipioiifH  llispania  vidisset,  Paulum  Cannae,  Yenusia  Marcellum,  Li- 
taim  Alliinuui,  Lucaui  Qracchum  hat  man  an  dem  die  KonzinnitHt 
VfMit'l/eiuleii  Vtilkenunuen  in  dem  Grade  Anstofs  genommen,  dafs  Klotz 
die  Koiij<*ktur  Lucania  in  den  Text  gesetzt  hat,  obwohl  man  sich 
eher  vt^rwimdern  nulfste,  wie  der  geographische  Name  nach  anderen 
vorausgehenden  sollte  verdorben  worden  sein.  Man  wird  jedoch  zur 
V«»rsii'ht  genuihnt,  weim  man  bei  Varro  ling.  lat.  5,  32  liest:  Europae 
Iura  noniinata  aut  translatieio  nomine  ab  hominibus,  ut  Sabini  aut 
Lui'ani,  aut  declinato  ab  hominibus«  ut  Apulia  et  Latium;  denn  hier- 
luii'h  luit  Varro  einen  Ländernamen  Lucania  nicht  anerkannt,  gerade 
^vie  es  ja  nur  Sequaui  giebt,  kein  Sequania.  Schon  Cato  schrieb 
Orig.  1*J6  Ktruriam  Samnites,  Lucanos  inter  se  natinari;  Caes.  civ. 
1,  30,  4  in  Lueanis  BrutiisK[}iK^i  Nepos  Hann.  5,  3  Gracchimi 
in  Lucanis  in  insidias  induetum,  wie  Livius  25,  1,  5  Sempronius 
^(iraeehus^  in  Lucauis  multa  proelia  parva  .  .  .  fecit.  Da  wir  nun 
wissen,  djifs  die  Römer  nie  Brutium  gesagt  haben,  sondern  nur  ager 
Brut  ins  oder  Brutii,  so  ist  offenbar  ein  Ahnliches  für  Lucania  in  der 
archaischen  und  klassischen  Prosa  anzunehmen.  Völkerschaften,  welche 
keine  grofsen  Städte  und  politisch  organisierten  Gemeinden,  sondern 
nur  Weideland,  Wald  und  Gebirge  hatten,  bedurften  auch  weniger 
eines  Landscliaftsnamens,  wie  auch  Livius  nur  Ligures  kennt,  keinen 
Ländeniamen  Liguria.  Der  Name  Lucania  fehlte  schon  dem  Dichter 
der  saturnischen  Grabschrift  auf  den  Scipio  Barbatus,  von  dem  er  sang: 

Subigit  omne\^m^  Loucanam  oi>sidesque  abdoucit, 

also  mit  Ellipse  von  terram.  Aus  diesem  Grunde  dürfen  aber  die 
Lucani  bei  Cicero  nicht  angezweifelt  weixlen.  Die  fixeste  Stelle  fär 
Lucania  ist  vielleicht  Hör.  Sat.  2,  1,  38  quod  Lucania  bellum  incuteret 

violenta. 

München.  Ed.  Wölfflin. 

*  Oder  wän»  das  Wort  nur  eine  hall»  ausgt^führte  Korrektur,  dafs  der 
Sviirciber  auimaequior  esto  sschri^ihen  wollte  und.  nachdem  er  bis  animae- 
qui-  gekommen  war,  zu  tanlu  überirius;:  Nach  freuniUicher  Mitteilung  von 
Vh  Thielmanu  haben  *2  ^eiuer  Sirach- Handschritten  der  Complutensis  1  und 
Met:  7,  letzterer  \ou  erster  Hand  animequior  für  da?  animo  fortior  derVulgata. 


I 

I 


Epitome. 

So  deutlich  auch  das  Wort  Epitome  seinen  griechischen 
Ursprung  auf  der  Stime  trägt,  so  wenige  Beispiele  bietet  doch  die 
griechische  Litteratur  dafiir,  dafs  das  Wort  als  Buchtitel  gebraucht 
worden  wäre.  Zwar  hatte  schon  Philochoros  selbst  die  17  Bücher 
seiner  Atthis  in  einen  Auszug  gebracht  \h%itoii^  rrig  läiag 
l4r^Cdog)f  Suidas  citiert  von  Theopomp  eine  iziro^ii  'Hgodötov 
(Frg.  hist.  Graec.  1 278  M.),  und  bei  der  ausgedehnten  Schriftstellerei 
eines  Theophrast  oder  Chrysippos  sind  solche  Excerpte  leicht  er- 
klärlich (vgl.  Wilmanns  De  Varronis  lib.  gramm.  pg.  46);  allein 
da  sie  sich  nicht  erhalten  haben  und  da  wir  die  Zeit  ihrer  Ent- 
stehung nur  selten  kennen,  spielen  sie  auch  in  der  klassischen 
Altertumswissenschaft  keine  grofse  Rolle.*)  Im  Gegensatze  dazu 
sind  ftlr  den  Latinisten  Florus,  Justin,  Festus,  Eutrop,  Faventinus, 
Aurelius  Victor,  Vegetius  bekannte  Namen,  und  das  Beispiel  des 
Philochoros  schlagen  wir  damit  aus  dem  Felde,  dafs  wir  von  den 
Divinae  institutiones  des  Lactantius  (ähnlich  wie  bei  den  Contro- 
versien  des  Seneca)  Original  und  Auszug  besitzen.  Kommt  dazu 
die  Thatsache,  dals  wir  noch  nicht  darüber  einig  sind,  was  wir 
in  der  Römerzeit  unter  einer  Epitoma  zu  verstehen  haben,  so 
können  wir  die  Pflicht  nicht  abweisen,  die  Entwicklung  des 
Wortes  und  der  Sache  historisch  zu  untersuchen.  Neuerdings  hat 
Herm.  Peter  in  seiner  *  Gesehich tl.  Litter.  der  röm.  Kaiserzeit' 
n  365  auf  diese  Lücke  in  unserem  Wissen  aufmerksam  gemacht. 

Die  klassische  und  die  alexandrinische  Zeit  der  griechischen 
Litteratur  kann  hier  beiseite  bleiben,  insofern  sie  für  unsere 
Zwecke  nichts  abwerfen.  Wenn  wir  einige  Worte  über  die  spätere 
Litteratur  vorausschicken,  so  soll  damit  kein  Unterschied  zwischen 
Griechentum  und  Römertum  behauptet  werden,  vielmehr  halten 
wir  es  für  wahrscheinlich,  dafs   die  griechischen  Epigonen  unter 


•)  Unter  den  Quellen  der  Naturgeschichte  des  Plinius  wird  von  Buch 
14  an  mehrmals  genannt:  Diophanes  qui  ex  Dionjsio  epitomen  fecit. 

Archir  für  Ut.  Lexikogr.   XTI.    Heft  3.  'i^ 


334  Ed.  Wölfflin: 

dem  Einflüsse  der  römischen  Anschauungen  stehen.  Es  mag 
zunächst  bemerkt  werden,  dafs  bei  dem  Verbum  iTtua^vco  die 
Bedeutung  *  abkürzen'  sich  später  entwickelt  hat  als  bei  dem 
Substantiv  und  dafs  sie  auch  selten  geblieben  ist.  Hierocl.  veter. 
p.  226  rä  TtsQl  q>vös(Dg  ^gxdi/  ix  röi/  ^AQiötotiXovg  izirifivaa'. 
Vgl.  auch  övvtofiog^  zusammengeschnitten,  kurz.  Das  nächst- 
liegende Beispiel  von  ijtLtofiTJ  müssen  wir  bestreiten.  Denn  dafs 
die  Schrift  De  placitis  philosophorum  von  Plutarch  oder  dem 
uns  unbekannten  Verfasser  betitelt  worden  sei:  tcbqI  tcbv  äge- 
öxömcov  q)t.Xo66q)otg  (pvötxcbv  doy[idrG)v  ijctroinjj  das  beruht  auf 
einer  nach  unserer  Ansicht  nicht  genügend  begründeten  Kon- 
struktion. Wohl  schreibt  der  Verfasser  zu  Anfang  des  dritten 
Buches:  jteQtodevxcDg  iv  tolg  JtQorBQotg  iv  i7ti.ro[ifi  toi/  X€Qi  x&v 
ovQuvCav  Xoyov,  allein  damit  ist  doch  nur  gesagt,  dafs  der  Verf. 
die  Astronomie  in  einer  gedrängten  Darstellung  gegeben  habe; 
und  wenn  man  auch  zugiebt,  dafs  auch  die  folgenden  Bücher 
3 — 5  denselben  skizzenhaften  Charakter  tragen,  und  zwar  einen 
solchen,  wie  ihn  die  anerkannten  Schriften  Plutarchs  nicht  haben^ 
ja  sogar,  dafs  sie  von  Theodoret  graec.  aflf.  cur.  4,  31  so  citiert 
wird,  was  aus  3,  1  geflossen  sein  dürfke,  so  ist  damit  doch 
nicht  bewiesen,  dafs  der  Ausdruck  i:t tr ofirl  geg^ii  das  Zeugnis 
der  Handschriften,  welche  nur  von  fünf  Büchern  reden,  in  den 
vom  Verf.  gegebenen  Titel  gehöre.  Noch  viel  weniger  hat  der 
Verf.  andeuten  wollen,  dafs  er  einen  bestimmten  Vorgänger  excer- 
piert  habe,  da  die  Schrift  selbst  vielmehr  den  Eindruck  einer 
Kompilation  macht.  Ob  gerade  der  Philosoph  Aetios  excerpiert 
worden  sei  (Diels  Doxogr.  gr.  p.  48  coli.  273),  haben  wir  weder 
zu  beweisen  noch  zu  widerlegen,  weil  die  Überlieferung  darüber 
vollkommen  schweigt.  Man  müfste  denn  aus  dem  Titel  Vegetii 
Epitoma  rei  militaris  schliefsen,  der  Verf.  habe  damit  erklären 
wollen,  irgend  einen  älteren  Militärschriftsteller  epitomiert  zu 
haben,  was  daran  scheitert,  dafs  Vegetius  1,8  eine  ganze  Reihe 
von  Quellenschriftstellern  nennt,  den  alten  Cato,  den  Cornelius 
Celsus,  den  Frontin,  den  Patemus,  den  Augustus,  den  Trajan, . 
den  Hadrian.  Solche  Anschauungen  erklären  sich  nur  aus  dem 
unglückseligen  *Einquellenprincipe',  welches  der  alten  Litteratur^ 
selbst  im  Widerspruche  mit  den  Versicherungen  der  Alten,  auf- 
genötigt werden  sollte. 

Richten  wir  unsere  Betrachtung  auf  die  römische  Litteratur, 
so  ist  der  Philosoph  und  Redner  M.  lunius  Brutus,  der  Mörder 


Epitome.  335 

Caesars  und  Freund  Ciceros,  der  erste,  welcher  eine  Epitome  des 
Polyb,  des  Coelius  Antipater  und  des  Fannius  nicht  nur  geschrie- 
ben, sondern  auch  veröflfentlicht  hat.     Von  welchem   Standpunkt 
aus  er   diesen  Auszug   aus    dem   umfangreichen  Werke  Poljbs 
gemacht  hat,  entzieht  sich  unserer  Kenntnis;   Plutarch   sagt  im 
Brutus  cap.  4  nur,  er  habe  auf  diese  Arbeit  die  Nachmittagsstun- 
den  verwendet:    äxQt'   tflg   söjcegag    iyQa(p6    öwrärtov   iTtirofiiiv 
IloXvßlov;    dafs    sie    aber   nicht   blol's   einen    privaten    Charakter 
hatte,   beweist  Suidas  s.  v.  Bgovrog:    lyga^av  ,  .  IloXvßCov  rov 
löTOQLXOv   ßißUcov   ijttrofmiv.     £inen    solchen    könnte    man    eher 
für  Zenobia  annehmen,  von  welcher  die  Hist.  Aug.  (30  tyr.  30, 22) 
meldet:  historiae  orientalis  ita  perita,  ut  eam  epitomasse  dicatur. 
Der  Auszug  aus  den  sieben  Büchern  Historiarum  des  Coe- 
lius Antipater  wird  etwas  verständlicher,   wenn   man  sich  er- 
innert, dals  der  Umfang  des  Volumen  in  der  archaischen  Litteratur 
grölser  war  als  der  in  der  klassischen,  beispielsweise  ein  Buch 
der  Annalen  des  Ennius  oder  des  Lucretius  gröfser  als  ein  Buch 
des  Vergil    oder   des   Lucan.     Für   Fannius  werden   wir   unter 
allen   Umstanden   einen  gröfseren  Umfang   ansetzen  müssen,  da 
das   Fragment   des    achten   Buches    (Drepana   neben   Drepanum) 
sich  wahrscheinlich  auf  den  ersten  punischen  Krieg  bezieht  (mög- 
licherweise freilich  auf  den  zweiten  nach  Livius  28,  41,5)  und 
die   Darstellung    des    Verfassers    noch    bis    in    seine    Lebenszeit 
hinunterreichte.     Dafs  Brutus  diese  Arbeiten  für  seinen  Gönner 
Cicero  gemacht  hätte,  als  derselbe  sich .  mit  dem  Gedanken  trug, 
eine  römische  Geschichte  zu  schreiben,  wie   etwa  Atticus   seinem 
Freunde   mit   genealogischen   oder   chronologischen  Forschungen 
an    die    Hand    ging,    das    ist    sehr    wenig   wahrscheüilich:    denn 
zwischen    den    beiden    bestanden     doch    auch    Diflferenzen,    und 
dann   hätte   wohl    Cicero  nicht    nötig   gehabt,    sich    den  Auszug 
zu  erbitten,  wie  in  der  erhaltenenen  Korrespondenz  Att.  13,  8  ge- 
schehen ist.     Der  Brief  fällt  in  das  Jahr  709  urb.  cond.  =  45 
vor  Christus,  also  in  eine  Zeit,  wo  Cicero  mit  seinen  Werken 
De  natura  deorum  und  De  divinatione  beschäftigt  war  und  das 
liistorische  Projekt  aufgegeben  hatte.    Da  nun  aber  Cicero  aufser 
der  Coelius-Epitome  noch  den  Panaitios  xsqI  :tQovolug  verlangt 
(Epitomen  Bruti  Coelianorum  velim   mihi  mittas   et  a  Philoxeno 
UavairCov  xsqI  jCQovoLag\  so  beziehen  sich  diese  Wünsche  aller 
Wahrscheinlichkeit    nach    auf   Ciceros    philosophische    Schriften 
und  im  ersten  Buche  De  divin.  wird  ja  Coelius  mehrfach  citiert. 


336  Ed.  Wölfflin: 

Vgl.  Rud.  Hirzel,  Untersuchungen  zu  Cic  philosoph.  Schriften 
I  194  flf. 

In  diesem  Zusammenhange  wird  dann  auch  einigermafsen 
klar,  was  in  der  korrupten  Stelle  Cic.  Att.  12,  5,  3  (708  urb.  cond. 
=  46)  mufs  gestanden  haben.  Es  ist  offenbar  die  Rede  von 
einer  Bruti  epitoma  Fannianorum,  auf  deren  Autorität  sich 
Cicero  beruft  im  Gegensatze  zu  einer  abweichenden  Ansicht  des 
Atticus.  Sollte  die  Lesart  epitome  Bruti  Fanniana  den  Vorzug 
verdienen,  so  ist  dieser  Ausdruck  in  dem  nämlichen  Sinn  zu  ver- 
stehen. Darnach  hat  denn  Brutus,  und  nicht  nur  fiir  seinen 
Privatgebrauch,  die  Auszüge  aus  Polyb,  Fannius  und  Coelius 
gemacht  wie  herausgegeben. 

Etwas  später  hat  Varro  sein  25  Bücher  umfassendes  Werk 
De  lingua  latina  auch  in  9  Büchern  herausgegeben,  indem  er 
die  Triadengruppen  auf  je  ein  Buch  reduzierte  und  das  Einleitungs- 
buch beibehielt.  Der  Titel  lautete:  Epitome  de  lingua  latina  e 
libris  XXV  libri  Villi,  wie  wir  aus  dem  vor  einem  halben  Jahr- 
hundert entdeckten  Briefe  des  Hieronymus  erfahren,  welcher  uns 
über  die  grofsartige  SchriftsteUerei  Varros  die  zuverlässigsten 
Nachrichten  giebt.  Man  braucht  durchaus  nicht  anzunehmen, 
dals  der  Verf.  sich  streng  an  das  Original  angeschlossen  habe; 
im  Gegenteile  benützen  die  Alten  die  zweiten  Auflagen  zu  Ver- 
bessenmgen,  und  wenn  die  Epitome  eine  Reihe  von  Jahren  später 
geschrieben  wurde,  so  mufste  dem  Verf.  manches  in  anderem 
Lichte  erscheinen.  Und  wie  uns  Cicero  mit  seinen  Academicae 
quaestiönes  das  Beispiel  einer  zweiten  vermehrten  Auflage  giebt, 
warum  soll  es  aucli  nicht  einmal  eine  verkürzte  und  verbesserte 
Auflage  gegeben  haben?  Fragt  man  aber  nach  dem  Grunde  der 
Neubearbeitimg,  so  liegt  die  Vermutung  sehr  nahe,  dafs  schon 
die  Rücksicht  auf  den  holien  Preis  so  umfänglicher  Werke  es 
wünschenswert  erscheinen  liefs,  dem  weniger  bemittelten  Publikum 
billige  Ausgaben  zugänglich  zu  machen  und  damit  zugleich  denen 
zu  dienen,  welche  weniger  Zeit  auf  diese  Studien  verwenden 
wollten.  In  ähnlicher  Weise  hat  derselbe  Varro  seine  45  Bücher 
Antiquitatum   auf  9  reduziert,    die   15  Bücher  Imaginum  auf  4. 

Um  chronologisch  vorzugehen,  so  wissen  wir  heute,  dafs 
schon  um  das  Jahr  IM)  nach  Chr.  ein  Auszug  aus  Livius  existierte, 
welcher  bald  sellist  bei  Autoren  wie  Valerius  Maximus,  Seneca 
imJ  Quintilian  solchen  Eingang  fand,  dafs  die  Lektüre  des  Original- 
Averkos  dadurch  stark  zurückgedrängt  wurde.     Der  Verfasser  war 


Epitome.  337 

nicht  Livius  selbst,  denn  er  schrieb  einen  moderneren  Stil  und 
schlofs  sich  gaite  den  Neuerangen  der  silbernen  Latinität  an;  und 
wie  wir  den  Stilisten  nicht  mit  Namen  nennen  können,  so  steht 
auch  der  Titel  nicht  sicher.  Das  Wichtigste  aber  ist,  dafs  in 
diesem  Abrisse,  wie  auch  in  den  daraus  durch  weitere  Ver- 
dünnung geflossenen  Periochae,  Einzelheiten  standen,  welche  bei 
Livius  fehlten,  und  dafs  auch  manches  abweichend  zum  gröfseren 
Ruhme  Roms  dargestellt  war:  es  ergiebt  sich  also  die  uner- 
wartete Neuigkeit,  dafs  der  Epitomator  den  aus  Livius  gezogenen 
StofiF  mit  einer  Nebenquelle  verbunden  haben  mufs.  Die  Akten 
über  diese  Untersuchungen  findet  man  in  den  Schriften  von 
Sanders  und  Drescher,  dann  im  Archive  X  563,  XI  1  flf.  79.  273, 
Xn  146.  Etwas  Genaueres  über  diese  Ergänzung  des  Livius  (aus 
Valerius  Antias?)  oder  über  die  Abänderungen  des  Originales 
festzustellen  ist  bisher  nicht  gelungen.  Das  Werk  mufs  noch  so 
umfangreich  gewesen  sein,  dafs  es  nicht  den  Eindruck  eines  Aus- 
zuges machte. 

Aber  schon  unter  Hadrian  und  in  dem  folgenden  Jahrhundert 
war  die  Zeit  gekommen,  wo  die  Ansprüche  auf  wissenschaftliche 
Grründlichkeit  noch  tiefer  sanken.  War  der  verkürzte  Livius  der 
Umarbeitung  des  Varro  de  ling.  lat.  zu  vergleichen,  so  umfafste 
er  immer  noch  40  Bücher  und  darüber;  die  aufserrömische  Ge- 
schichte des  Trogus  Pompeius,  in  gewissem  Sinne  eine  Ergänzung 
des  Livius,  umfafste  deren  44;  für  das  lexikographische  Werk  des 
Verrius  Flaccus  mag  man  50  Bücher  herausrechnen,  da  der  Buch- 
stabe A  vier  Bücher,  P  fünf  Bücher  füllte.  Alle  diese  Gelehr- 
samkeit mufste  fallen,  und  wenn  wir  die  verschiedenen  Phasen 
der  Schwindsucht  des  Livius  auch  nicht  genauer  kennen,  so  geben 
uns  doch  Justin  und  Festus  einen  Mafsstab.  Versuchte  dieser 
noch  relativ  viel  zu  erhalten,  nämlich  20  Bücher,  so  ist  er  dafür 
zur  Strafe  von  Paulus  Diaconus  nochmals  excerpiert  worden. 

Als  eine  solche  Mittelstufe,  zwischen  dem  Livius  der  Kaiser- 
zeit und  den  Periochae,  müssen  wir  den  Florus  betrachten,  nach 
der  handschriftlichen  Überlieferung  eine  Epitoma  de  Tito  Livio 
bellorum  omnium  annorum  DCC  in  zwei  Büchern,  welche  von 
Abschreibern  und  Herausgebern  in  vier  gespalten  worden  sind. 
Möglich,  dafs  der  Verf.  seine  Arbeit  nur  als  ein  Buch  betrachtete 
(praef.  in  brevi  quasi  tabella  totam  imaginem  amplectar),  welches 
aus  praktischen  Rücksichten  in  zwei  Hälften  zerlegt  werden 
mochte,  wie  der  jüngere  Plinius  epist.  3,  5,  5  von  seinem  Onkel 


338  Ed.  Wölfflin: 

schreibt:  studiosi  (libri)  tres,  in  sex  Yolumina  propter  amplitadi- 
nem  divisi.  Die  Hauptsache  für  uns  wird  aber  ^in,  dafs  Florus 
zwar  im  wesentlichen  ein  Livius  en  miniature  ist^  dab  aber  da- 
neben auch  Caesar  und  Sallust  benützt  sind.  Wir  werden  ako 
hier  nochmals  gezwungen,  den  Titel  Epitoma  de  Tito  Livio  nur 
a  parte  potiori  zu  verstehen  und  nebenbei  eine  Zuleitung  neuen 
Stoflfes  einzuräumen,  so  wenig  dies  auch  mit  dem  modernen  Be- 
griffe von  Epitome  übereinstimmt. 

Wie  CS  nun  mit  Justins  Epitoma  historiarum  Philippicarum 
stehen  mag,  bleibt  eine  offene  Frage,  weil  wir  die  Spuren  des 
Trogus  Pompeius  nicht  mehr  verfolgen  können;  aber  eine  Parallele 
haben  wir  doch  an  Florus,  und  zwar  eine  lehrreiche,  insofern 
die  Möglichkeit  nicht  ausgeschlossen,  ja  die  Wahrscheinlichkeit 
nahe  gelegt  ist,  es  könnten  mit  dem  Originale  noch  andere  histo- 
rische Angaben  verschmolzen  sein. 

Leider  ist  die  Vorrede  des  Festus  verloren  gegangen,  in 
welcher  er  über  sein  Vorlialten  gegenüber  Verrius  Flaccus  Rechen- 
schaft gegeben  hatte;  allein  schon  die  erhaltenen  Reste  belehren 
uns,  dafs  er  seinen  Vorgänger  kritisiert  und  sich  Zusätze  ge- 
stattet, z.  B.  Verse  aus  Lucan  und  Martial,  worüber  man  eine 
ausführlichere  Littoraturgeschichte  nachlesen  möge.  Ob  Festus 
sein  Werk  den  Lesern  als  *  Epitome'  vorlegte,  wissen  wir  nicht, 
weil  die  ganze  erste  Hälfte  verloren  gegangen  ist.  Die  zweite 
Kürzung  des  Paulus  wird  in  den  Handschriften  ^Excerpta'  ge- 
nannt, wie  überhaupt  in  der  spätlateinischen  Litteratur  dieser 
lateinische  Ausdruck  das  Fremdwort  zurückdrängt.  Es  genügt, 
an  den  Scarapsus  Priminii  de  singulis  libris  canonicis  zu  er- 
innern, welchen  Caspari  in  den  kirchenhistorischen  Anecdota  I 
(1883)  149  ff.  herausgegeben  hat.  Mehr  bei  Du  Gange  s.  v.  Scarp- 
sus.  Auf  Aveitere  Nebenformen  wie  Escarsus  brauchen  wir  hier 
nicht  einzugehen.  Das  Excerpt  aus  den  Controversien  des  älteren 
Seneca  wird  in  das  vierte  oder  fünfte  Jahrhundert  nach  Chr.  ge- 
setzt; Excerpta  Bobiensia  aus  Charisius  giebt  Keil  Ghramm.  I 
533  ff.,  Excerpte  aus  Probus  IV  2Üo,  aus  Cassiodor  VII  210  u.  s.  w. 

Aus  dem  dritten  Jahrhundert  nach  Chr.  besitzen  wir  aber 
noch  eine  handschriftlich  bezeugte  Epitome,  nämlich  die,  welche 
Jjactantius  von  seinen  sieben  Büchern  Divinarum  institutio- 
num  gemacht  hat.  Vgl.  die  Vorrede:  quamquam  Divinarum  In- 
stitut ionum  libri  ita  legen tium  meutes  instruant,  ut  nee  prolixitas 
pariat  fastidium  nee  oneret  ubertas,  tamen  horum  tibi  epitomen 


Epitome  339 

fieri,  Pentadi  frater,  desideras  etc.  .  .  .  difficile  videtur  ea  quae 
Septem  maximis  Yoluminibus  explicata  sunt,  in  unum  conferre  . . 
tanta  rerom  multitudo  in  angnstam  coartanda  .  .  .  enitar  difiFosa 
snbstringere  et  prolixa  breviare.  VgL  Arch,  V  286.  DaCs  dieser 
Epitome  eine  gewisse  Selbständigkeit  nicht  abzusprechen  ist, 
dürfte  bekannt  sein;  denn  der  Verfasser  hat  neue  Belegstellen  ein- 
geflochten, welche  in  dem  Originalwerke  fehlen,  und  ebenso  zwei 
Vergilverse  cp.  19,  3.  48,  11. 

Dem  folgenden  Jahrhundert  gehören  zwei  gleichfalls  auf  uns 
gekommene  Bücher  an,  die  sogenannte  Epitome  de  Caesaribus, 
welche  in  den  Handschriften  betitelt  ist:  libeUus  de  vita  et  mori- 
bus  imperatorum  breviatus  ex  libris  Sex.  Aurelii  Victoris,  und 
die  Epitoma  rei  militaris  von  Flavius  Vegetius  Renatus. 
Die  erstgenannte  Schrift  kann  nur  für  die  julischen  und  flavischen 
Kaiser  eine  Überarbeitung  des  Aurelius  Victor  genannt  werden,  mit 
Zusätzen  aus  Sueton  u.  s.  w.  In  der  Überschrift  des  letzteren,  aus 
vier  Büchern  bestehenden  Werkes  erscheint  das  Wort  Epitoma 
geradezu  in  einer  neuen  Bedeutung,  da  zwar  viele  ältere  Autoren 
benützt  sind  (apud  diversos  historicos  vel  armorum  disciplinam 
docentes  dispersa  pro  utilitate  Roniana  proferantur  in  medium. 
Praef.  lib.  1),  aber  keiner  excerpiert  ist.  Dies  ist  auch  darum 
geradezu  außgeschlossen,  weil  das  aktuelle  und  Reformen  an- 
bahnende Buch  nur  aus  der  Gegenwart  zu  verstehen  ist  und  die 
gelehrten  Notizen  nur  untergeordneten  Wert  haben.  So  möchte 
man  Epitoma  (in  hoc  parvo  libello.  Praef.)  etwa  als  ^kurzgefafstes 
Handbuch'  verstehen.  Vgl.  1, 8  quae  dispersa  sunt,  velut  in  ordinem 
(systematisch)  epitomata  conscribo.  Vgl.  oben  S.  334  atsQuodsv- 
xag  iv  inixo^f].  Ebenso  ist  aber  auch  die  Mulomedicina  des- 
selben Verfassers  in  6  (bezw.  4)  Büchern  als  Epitome  gedacht, 
nach  Praef.  §  6:  haue  operam  non  invitus  arripui,  ut  conductis  in 
unum  Latinis  dumtaxat  auctoribus  universis,  adhibitis  etiam  mulome- 
dicis  .  . .  plene  ac  breviter  omnia  [in  speciem?]  epitomae  dige- 
rerem,  worin  zugleich  ein  Beweis  für  die  Identiät  der  beiden  Ver- 
fasser liegt.    Über  die  Epitoma  Alexandri  Magni  vgl.  Arch.  XII  196. 

In  noch  spätere  Zeit  wäre  das  Schriftchen  des  Exuperantius 
über  den  ersten  Bürgerkrieg  zu  setzen,  welches  als  Excei'pt  aus 
Sallüsts  Historien  zu  betrachten  ist;  indessen  sind  wir  über  den 
Titel  desselben  nicht  unterrichtet.  Epitome  darf  als  wahrscheinlich 
bezeichnet  werden,  da  auch  die  beiden  Auszüge  aus  Valerius 
Maximus  so  überschrieben  sind;  vgl.  Julius  Paris,  praef.:  decem 


340  Ed.  Wölfflin: 

Valerii  Maximi  libros  dictonun  et  factorum  memorabilium  ad 
unum  Volumen  epitomae  coegi.  Bekannt  ist  aber  durch  Kempf, 
dafs  Paris  den  Val.  Max.  gelegentlich  aus  den  Quellen  berichtigte, 
auch  den  Originalausdruck  derselben  herstellte^  z.  B.  2, 1  Marium 
praetorem  .  .  .  per  singulos  artus  puniens  mori  coegit  =  Sali! 
bist.  1,  44  ut  per  singulos  artus  expiraret  =  Val.  Max.  2,  1, 1 
per  singulas  corporis  partes.  Schlägt  man  aber  die  Epitome  des 
lanuarius  Nepotianus  nach^  so  findet  man  am  Rande  vieler 
Paragraphen:  ^omittit  Valerius';  und  doch  sagt  der  Verf.  von 
«einem  Opus:  nemo  epitomata  cognoscat.  Also  auch  hier  ein 
Auszug  mit  Zusätzen.  Ebensosehr  nimmt  der  Verf.  aber  auch 
das  Recht  in  Anspruch^  ganze  Partien  zu  übergehen:  recidam 
redundantia  et  pleraque  transgrediar,  nonnulla  praetermissa  co- 
nectam.  Von  Novatian  schreibt  Hier.  vir.  ill.  80:  scripsit  de  tri- 
nitate  grande  volumen,  quasi  i:nrofiiiv  operis  Tertulliani  faciens. 
Auson.  epigr.  23  (19)  de  tribus  Suetonii  libris  (de  regibus)  in 
epitomen  coegisti  etc.  Die  'dimensuratio  provinciarum'  bei  Riese 
Geogr.  min.  p.  9  ff.  wird  am  Schlüsse  §  31  als  epitome  totius  orbis 
bezeichnet. 

Bestand  eine  Epitoma  aus  mehreren  Büchern^  so  konnten  die 
einzelnen  Epitoma  genannt  werden,  und  diesen  Pluralgebrauch 
finden  wir  schon  in  früher  Zeit.  Diomedes  Gramm,  lat.  I  365,  7 
apud  FenesteUam  in  libro  epitomarum  secundo.  Columella  1, 
1,  10:  Diophanes  Bithynius  Uticensem  totum  Dionysium,  Poeni 
Magonis  interpretem,  per  raulta  diffusum  volumina  sex  epitomis 
circumscripsit.  So  wird  man  wohl  zugeben  müssen,  dafs  das 
Wort  Epitome  in  der  Geschichte  der  römischen  Litteratur  viel 
häufiger  begegnet  als  in  der  griechischen;  in  der  tironischen  Steno- 
graphie lautete  die  Abkürzung:  E(p)Ma.  Die  Glossarien  erklären 
das  Wort  mit  adbreviatio  oder  breviarium;  die  wörtliche 
Übersetzung  ist  ^supercisio'  (^:ti-zmv(o),  quae  de  maiore  corpore 
librorum  carptim  ac  defloratim  excerpitur,  quae  alio  nomine  bre- 
Tis  expositio*)  ac  succincta  potest  appellari:  quo  nomine  solent 
Graecorum    auctores   succinctas   ac    defloratas   ex  aliis  doctoribus 


*)  Nach  diesem  Zeugnisse  der  Glossographen  kann  ich  der  Ansicht 
von  Ritschi  und  Opitz  nicht  mehr  beipflichten,  wonach  die  Caesares  des 
Aurelius  Victor,  weil  sie  ^Historia  abbreviata'  betitelt  sind  (vgl.  die  Ausgabe 
von  Franz  Pichlmayr,  Monach.  18i)2),  ein  'Auszug'  sein  müTsten  und  kein 
Originalwerk  sein  könnten.  Vgl.  Herm.  Peter,  Geschichtl.  Litter.  der  röm. 
Kaiserzeit  11  132. 


Epitome.  341 

expositiunculas  appellare  .  .  .  Cassiod.  Gramm.  VII  199,  9  quasi 
per  epitomam  repetere. 

Da  wir  damit  auf  die  Synonyma  gekommen  sind,  so  ver- 
steht man  unter  xsQtoxrj  eine  blofse  Inhaltsangabe,  wie  wir 
solche  Yon  den  Büchern  des  Livius  besitzen;  sie  sollten  dem 
Leser  bei  dem  Nachschlagen  behilflich  sein  und  vertreten  gleich- 
sam die  Stelle  von  Sachregistern,  während  eine  £pitoma  einen 
an  sich  lesenswerten  Te^t  geben  sollte.  So  hat  auch  Ausonius 
(oder  des  anonyme  Verf.)  seine  Inhaltsangaben  zu  Homers  Ilias  und 
Odyssee  Periochae  betitelt,  die  einzelnen  Bücher  jedoch  sehr  un- 
gleich behandelt,  z.  B.  das  23.  Buch  der  üias  mit  drei  Zeilen 
abgethan,  während  er  sich  für  andere  Bücher  bis  gegen  20  ge- 
stattet hat.  Dafür  heifst  es  in  der  Vorrede:  breviter  et  in  epito- 
mae  sj)eciem  belli  Troici  causam,  origines  .  .  .  retexuimus.  Im 
Unterschiede  dazu  hat  Baehrens  die  Ilias  latina  des  Italiens  nicht 
mit  Unrecht  Epitoma  genannt,  weil  auf  die  24  Bücher  1070  Verse 
verwendet  sind,  in  sehr  ungleicher  Verteilung,  obschon  nach  der 
Handschrift  diese  Überschrift  nicht  von  dem  Dichter  herstammt. 
—  Gloss.  emend.  II  72. 

Als  Lucilius  von  Seneca  (Epist.  39, 1)  seine  Kommentarien  in 
an'gnstum  coactos  verlangte,  versprach  ihm  dieser  ein  solches  Bre- 
viarium  nach  modernem  Sprachgebrauch:  olim,  cum  latine 
loqneremur,  summarium  vocabatur.  Da  breviarium  kein  Fremd- 
wort ist,  so  meint  wohl  Seneca,  es  sei  eine  schlechte,  unlateinische 
Bildung,  da  man  Neutra  auf  -arium  nur  von  Substantiven  ableite, 
z.  B.  pulvinarium,  granariura,  vinarium,  cibarium,  oneraria,  ferraria. 
Aber  wenn  summarium  gewifs  von  dem  Substantiv  summa,  nicht 
von  summus  abgeleitet  ist,  so  gut  wie  consummare  von  summa, 
wer  kann  uns  verbieten,  breviarium  auf  ein  substantiviertes  breve 
zurückzuführen,  wie  bellaria  auf  ein  substantiviertes  bella,  Süfsig- 
keiten?  Von  diesem  alten  Summarium  wissen  wir  freilich  weiter 
nichts.  Breviarium  hat  Sueton  mehrmals  gebraucht,  z.  B.  Gramm.  10, 
nach  welcher  Stelle  Ateius  Philologus  den  Sallust,  als  er  sich  der 
Geschichtschreibung  zuwandte,  mit  einem  Breviarium  rerum  omnium 
Romanarum  unterstützte.  Auch  hat  ja  Eutrop  sein  Büchlein 
Breviarium  ab  urbe  condita  betitelt,  anklingend  an  den  Titel  des 
Livius.  Er  versah  am  Hofe  des  Kaisers  Valens  das  Amt  eines 
magister  memoriae  und  war  also  gewissermafsen  eüi  Nomenciator 
höheren  Stiles.  Und  in  der  That  bedurften  manche  Kaiser  einer 
solchen  gelehrten  Nachhilfe,  wie  schon  der  Kaiser  Macrinus  sich 


342  Ed.  Wölfflin: 

bei  L.  Ampelius  einen  möglichst  kurzen  ^Liber  memorialis'  be- 
stellt hatte.  So  entstand  auf  allerhöchsten  Wunsch  das  Brevia- 
rium,  dessen  Verf.  in  der  Vorrede  schreibt:  res  Romanas  brevi 
narratione  coUegi  strictim;  ebenso  das  Breviarium  des  Rufus 
Festus,  welcher  gleichfalls  magister  memoriae  war  (Praef.  bre- 
vem fieri  dementia  tua  praecepit).  Dafs  aber  Eutrop  nicht  nur 
eine  Epitoma  Livii  kürzte,  sondern  ein  Fünftel  anderweitiger 
Nachrichten  beimischte,  dafs  er  für  die  Kaiserzeit  nicht  nur  Sue- 
ton,  sondern  die  Scriptores  historiae  Augustae  und  die  Chronik 
vom  Jahre  354  benützte,  ist  längst  bekannt.  Vgl.  Herrn.  Peter, 
Hist.  Litt.  II  349.  Also  gilt  nur  a  parte  potiori,  was  Suidas 
schreibt  p.  G6  Beruh.:  ^£Tciq)Qcc6tv  ri^g  i7cnoaf\g  EvtqojtCov  'JRbj- 
liui'örl  tziTeuövrog  ACßiov^  epitoma  aber  deckt  sich  mit  dem 
lateinischen  Ausdrucke  breviarium.  Aiübros.  Tob.  praef.  strictius 
comprehendamus  quodam  brevi ario  colligentes.  Über  das  Bre- 
viarium (raediciiia)  Plinii  vgl.  Praef  7  ut  undique  valetudinis 
auxilia  contraherem  et  velut  brevi  ario  c  olligerem. 

Dafs  übrigens  von  dem  Philosophen  Seneca  an  breviarium 
durchdrang,  beweist  nicht  nur  die  Litteratur  des  Spätlateins, 
sondern  auch  das  Fortleben  des  Wortes  in  unserem  *Brevier\ 
Vor  allem  jedoch  ist  zu  beachten,  dafs  das  Wort  nicht  notwendig 
eine  abgekürzte  Fassung  eines  ausführlicheren  Originales,  sondern 
ebenso  gut  eine  'kurze  Darstellung'  bezeichnen  kann.  So  schon 
bei  PI  in.  nat.  hist.  7,  97  nach  einer  Aufzählung  der  von  Pompeius 
in  Asien  erfochtenen  Siege,  wie  sie  im  Minervatempel  zu  lesen 
war:  hoc  est  breviarium  eins  ab  Oriente;  18,  230  ut  omnis  cul- 
turae  quoddam  breviarium  peragatur,  eodem  tempore  conveniet 
arbores  stercorare.  Ja  schon  Augustus  hatte  ein  Breviarium 
totius  imperii  mit  Angabe  der  Stärke  der  Garnisonen  (Snet.  Aug. 
101 )  hinterlassen;  im  Leben  des  Galba  (cp.  12)  wird  ein  brevia- 
rium rationum  { =  rationarium  Suet.  Aug.  28)  des  Dispensators 
erwähnt,  und  im  Vespas.  21  sind  die  officiorum  breviaria  genannt. 
Wenn  derselbe  Sueton  gramni.  10  berichtet,  dufs  Ateius  Philo- 
logus  auf  Wunsch  des  Sallust  ein  breviarium  rerum  omnium 
Komanarum  verfällst  habe,  so  mag  damit  freilich  nicht  bewiesen 
sein,  dafs  er  selbst  seinem  A))risse  diesen  Titel  gegeben  hatte. 
Tertullian  bezeichnet  in  der  Schrift  de  orat.  1  das  Vaterunser  als 
ein  breviarium  totius  evangelii.  Vgl.  noch  Paul.  Nol.  epist.  append. 
2,  14  totius  iustitiae  breviarium.  Cassian  inst.  4,  43  qnae  latiore 
Sermone   digesta   sunt,   ex   his   breviarium  colligam.    Boet.  vol.  11 


Epitome.  343 

251,  9  Meis.  huius  libri  quoddam  breviariuin  facimus.  Itin.  Alex. 
2.  Symmach.  epist.  6,  G5  (66),  1.  S.  Hieron.  epist.  148,  14.  Leo 
Magn.  epist.  113,  3.  Corp.  gloss.  Wenn  wir  nun  oben  gezeigt 
haben,  dafs  Epitoma  manclunal  die  Bedeutung  von  ^Abrifs,  Hand- 
buch* habe,  so  ist  es  nicht  unwahrscheinlich,  dafs  diese  Ver- 
schiebung durch  das  Wort  breviarium  beeinflufst  worden  ist;  denn 
in  den  Glossarien  werden  breviarium  und   epitome  gleichgestellt. 

Für  die  Formen  brevis  (sc.  liber)  und  breve  (=3  brevia- 
rium, woraus  Brief)  giebt  schon  Forcelliüi  zahlreiche  Belege, 
welche  mit  den  Script,  bist.  Aug.  beginnen.  Wir  tragen  nach: 
Optat.  Mil.  p.  20,  5  Z.  brevis  (Verzeichnis)  auri  traditur.  Veget. 
epit.  2, 19  nomina  eorum  brevibus  inseruntur;  ibid.  quando  quis 
commeatum  acceperit,  adnotatur  in  brevibus.  Cassiod.  var.  4,21, 1. 
5, 31,  1  reliquos  quos  brevis  subter  adnexus  eloquitur;  ähnlich 
12,  8,  2.  Cod.  Theodos.  1,  16,  3  (a.  319);  10, 16,  3  (377);  11,25, 1 
(393).  Cod.  lustin.  Reg.  Bened.  32  abbas  brevem  teneat  (ferra- 
mentorum  vel  vestium).     Corp.  inscr.  lat.  VI  1711. 

Häufig  ist  im  Spätlatein  das  Verbum  breviare  und  abbre- 
riare  geworden.  So  schrieb  schon  vor  der  Mitte  des  4.  Jahr- 
hunderts Faventinus  einen  'artis  architectonicae  privatis  usibus 
abbreviatus  liber',  welchen  schon  Palladius  benützte:  es  war  nicht 
nur  eine  Epitome  aus  Vitruv,  sondern  die  Disposition  ist  abge- 
ändert  und  ein  Anhang  aus  ganz  anderer  Quelle  beigefügt. 
Über  die  Epitome  de  Caesaribus  (libellus  breviatus)  vgl.  oben  S.  339. 
Oros.  1,  12, 1  praeterire  plurima,  cuncta  breviare  (1,  8,  1  Pompeius 
historicus  eiusque  breviator  lustinus).  Hieron.  epist.  65,  7.  120,  10. 
lord.  Rom.  114  opus  breviatum. 

Es  ergiebt  sich  daraus  von  selbst,  was  wir  von  der  Abbre- 
•viatio  chronicorum  (de  origine  actibusque  Getarum)  des  Jordanes 
zu  halten  haben,  von  welcher  es  im  Vorworte  §  1  heifst:  suades, 
ut  nostris  verbis  duodecem  Senatoris  (Cassiodori)  volumina  de 
origine  actusque  Getarum  ab  olim  et  usque  nunc  per  genera- 
tiones  regesque  descendentem  in  uno  et  hoc  parvo  libello  choar- 
tem.  Unbeschadet  der  Thatsache,  dafs  Jordanes  ein  Abschreiber 
und  Plagiator  war  (wir  erinnern  nur  an  die  Behandlung  des 
Florus  und  des  Rufinus),  mufs  man  immer  die  Möglichkeit  oflfen 
halten,  dafs  er  einzelne  Notizen  von  sich  aus  eingeschaltet  habe, 
wie  dies  nun  einmal  in  dem  Charakter  aller  Auszüge  jener  Zeit 
liegt.  —  Breviatio  pedum  (Versfüfse)    ist  =  brevis    expositio. 

Der  moderne  Ausdruck  compendium  scheint  nicht  unlatei- 


344  Ed.  Wölfflin:  Epitome. 

nisch:  Solin  nennt  sein  Excerpt  aus  Plinius  einen  liber  ad  conpendium 
praeparatus;  dafs  aber  auTser  Plinius  noch  eine  Chorographia  und 
anderes  Unbekannte  benützt  ist^  hat  Mommsen  nachgewiesen. 
Nonius  betitelte  sein  Werk  Compendiosa  doctrina;  aber  über  die 
Quelle  sind  wir  ungenügend  unterrichtet,  weil  die  Vorrede  ver- 
loren gegangen  ist.  Priscian  inst,  praef.  4  stellt  gegenüber  spatiosa 
Yolumina  und  compendiosa  scripta.  Offenbar  ist  der  Ausdruck 
von  compendium  viae  (abkürzender  Weg)  ausgegangen,  und  der 
Tropus  ist  schon  bei  Quintilian  1,  1,  24  vorbereitet:  brevia  do- 
icendi  monstrare  compendia.  Gleichwohl  ist  mir  keine  Stelle  be- 
kannt, an  welcher  ein  ^Buch'  compendium  genannt  wäre;  doch 
kommt  schon  nahe  lulius  Sever.  praef.  1  certos  ad  compendium 
gymnasii  forensis  tramites  constitui.  Auch  erklärt  Halm  das 
Substantiv  mit  *breve  praeceptum'  in  der  Stelle  des  Victorinus 
p.  179,  7  primum  hoc  debemus  scire  compendium  =  p.  189,  38* 
197,5. 

Überall  zeigt  sich  bei  den  Römern,  auch  wo  sie  nur  kürzen 
wollen  und  sollen,  das  Bestreben,  Abänderungen  oder  Zu^tze  zu 
machen;  die  Benützung  einer  zweiten  Quelle  (Kontamination)  ist 
ihnen  zur  Gewohnheit  geworden.  Wie  viel  mögen  nun  diejenigen 
beigemischt  haben,  welche  sich  nicht  als  Epitomatoren  geben, 
Eondem  versichern,  den  Stoff  selbständig  dargestellt  zu  haben? 
Oder,  mit  anderen  Worten,  wie  grofsen  Schaden  müssen  wir  an- 
gerichtet haben,  indem  wir  glaubten  und  andere  glauben  machten, 
alle  römischen  Historiker  hätten  nur  jeweilen  eine  ältere  Vorlage 
•in  neue  Worte  umgegossen  und  gleichwohl  ihre  Leser  so  düpiert, 
dafs  man  sie  für  Geschichtsforscher  hielt?  Wie  kann  man  Origi^- 
nal  und  Überarbeitung  identifizieren,  wenn  beide  sich  oft  nicht 
decken?  Wohl  wissen  wir,  dafs  ein  modemer  Kunsthistoriker  ab- 
schrieb, ohne  seine  Quelle  zu  nennen;  allein  die  alten  Klassiker 
würden  sich  doch  mit  Recht  bedanken,  wenn  man  über  sie  das 
Urteil  verhängte,  welches  sie  so  hinstellt,  als  hätten  sie  ohne  Aus- 
nahme das  Gleiche  gethan.     Suum  cuique! 

München.  Ed.  Wölfflin. 


Plinius  und  Oluvius  Eufas. 

Die  heatzutage  beliebten  Forschungen  über  Quellenbenützung 
seitens  der  alten  Historiker  haben  bekanntlich  manchmal  auch 
eine  sprachliche  Seite,  und  es  ist  dies  immer  mit  Freuden  zu  be- 
grüfsen,  da  auf  diesem  Boden  sicherere  Resultate  erzielt  werden 
können  als  bei  der  Rechnung  mit  unbekannten  Gröfsen.  Der 
Verlust  so  vieler  alter  Autoren  hat  uns  allmählich  in  die  Lage 
versetzt,  dafs  wir  oft  als  gegeben  hinnehmen,  was  nur  als  denk- 
bar erscheint  oder  was  nicht  als  unmöglich  erwiesen  werden  kann. 
Ein  Beispiel  dieser  Art  führt  uns  auf  Tacitus. 

Da  die  Worte  des  Tacitus  bist.  1,  81  cum  timeret  Otho, 
timebatur  sich  mit  Plutarch  Otho  «S  decken  (poßov^svog  . . .  {v 
fpoßeQogf  so  kann  dies  um  so  weniger  Zufall  sein,  als  beide  Sätze 
sich  auf  dieselbe  Situation,  auf  eine  durch  die  Prätorianer  über- 
raschte Gesellschaft  bei  Hofe,  beziehen.  Für  dieses  Zusammen- 
treffen mufs  also,  wie  Herm.  Peter,  Geschichtl.  Litter.  H  275, 
richtig  bemerkt,  eine  Erklärung  gesucht  werden.  Wer  also  für 
Tacitus  und  Plutarch  eine  gemeinsame  Quelle  annimmt,  mufs  die 
Phrase  diesem  Autor  zuweisen.  Nach  Nissen,  Herm.  Peter, 
Gercke  u.  a.  wäre  dies  der  ältere  Plinius,  welcher  ja  auch  ge- 
schichtliche Werke  geschrieben  hat.  Dieser  soll  sich  nach  Gercke, 
Senecastudien  S.  176,  der  Form  timendo  timebatur  bedient  haben, 
da  wir  in  der  Nat.  bist.  24,  5  die  ähnliche  Konstruktion  vincendo 
victi  sumus  finden.  Und  dies  giebt  uns  das  Recht  wie  die  Pflicht, 
mit  der  sprachlichen  Laterne  hineinzuleuchten. 

Zu  den  berühmtesten  Antithesen  aktiver  imd  passiver  Verbal- 
formen gehört  wohl  der  Ausspruch,  welchen  der  Philosoph 
Aristipp  mit  Beziehung  auf  die  Hetäre  Lais  that:  ixcs^  ovx  ex^fiai, 
Diog.  Laert.  2,  75.  Athen.  12,  544D  und  mehr  in  dem  Kommentare 
des  Menagius  zu  Diog.  Laertius.  Dafs  dieses  Wort  auch  den 
römischen  Schriftstellern  bekannt  war,  beweisen  Cic.  epist.  9,  26,  2: 
Aristippus  ille  Socraticus,  cum  esset  obiectum  habere  eum  Laida, 
Habeo,  inquit,  non  habeor.     Lact.  inst.  3,  15,  15  multum  inter 


346  Ed.  Wölfflin: 

se  et  ceteros  Laidis  amatores  Interesse^  quod  ipse  haberet  Laidem^ 
alii  a  Laide  haberentur.  Daran  erinnert  auch  der  philosophische 
Satz  des  Sallust  lug.  2^  3  animus  aetemus^  rector  humani  generis, 
habet  cuncta  neque  ipse  habetur.  Der  Geist  ist  über  alles  er- 
haben und  kennt  keinen  Herrscher  über  sich.  Darum  kehrt  auch 
die  Phrase  bei  dem  Philosophen  Seneca  wieder,  Dial.  3,  17,  1: 
haec  arma^  quae  Aristoteles  yirtuti  dat,  ipsa  per  se  pugnant,  non 
expectant  manum,  et  habent,  non  habentur.  Vgl.  auch  DiaL  7,  14,  1 
ceterum  non  ipsi  voluptatem,  sed  ipsos  voluptas  habet.  Episi22, 11. 
Aber  nicht  immer  schliefsen  sich  Aktiv  und  Passiv  streng  aus, 
es  kann  auch  vorkommen,  dafs  beide  ineinanderfiiefsen,  wie  in 
dem  anonymen  Tractat  De  divitiis  cap.  2  (Caspari,  Briefe,  Ab- 
handlungen und  Predigten  1890  S.  26):  si  tamen  avarus  possidet 
et  non  potius  possidetur.  Dies  ist  offenbar  eine  jüngere  Form 
und  die  den  Gegensatz  ausschliefsende  Negation  im  zweiten  Satz- 
gliede  das  Ursprüngliche.  Und  da  man  teuere  so  gut  wie  possi- 
dere  als  Sjnonymum  von  habere  betrachten  mufs,  so  sei  hier 
gleich  auf  Cicero  Tim.  48  verwiesen:  illi  (ambitus)  in  flumen 
immersi  neque  tenebant  neque  tenebantur.  Die  mit  Homer  be- 
ginnenden griechischen  Parallelen  findet  man  am  besten  in  dem 
Programme  von  Ed.  Aug.  Diller,  De  vocibus  eiusdem  originis 
copulatis,  Meifsen  1842,  p.  20  sq. 

Dem  Begriffe  des  Beherrschens  und  Beherrschtwerdens  liegt 
nahe  das  Verbum  vincere,  welches  uns  eine  zweite  Reihe  von 
Beispielen  liefert;  der  Autor  aber  ist  der  nämliche  Philosoph 
Seneca.  Dial.  4,  34,  5  von  einem  Erzürnten,  welchem  mit  Wohl- 
thaten  vergolten  wird:  victus  est  qui  vicit.  Epist.  51,  6  armis 
vicit,  vitiis  victus  est;  94,  61  hi  quoque,  ut  vincerent  hostem, 
cupiditate  victi  sunt;  120,  6  eiusdem  animi  fuit,  auro  non  vinci, 
veneno  non  vincere.  Lucan  1,  128  victrix  causa  diis  placuit,  sed 
victa  Catoni.  Livius  23,  13,  4.  Flor.  1,  22  (2,  6),  1.  Plato  Tim. 
43  A  (cd  %bqIoSol  '^vxfiq)  .  .  .  oör'  bxqcctovv  oiJr'  ixQarovvto,  Auch 
hier  also  kann  der  victor  mit  dem  victus  identisch  sein,  und  dieser 
scheinbare  Widerspruch  ist  es  eben,  welcher  einem  rhetorisch 
und  philosophisch  ausgebildeten  Schriftsteller  gefallen  wird.  Und 
so  hat  denn  Plinius  in  einer  philosophischen  Betrachtung  Nat. 
bist.  24,  5  die  Worte  ^geschrieben:  magnitudine  populi  R.  periit 
ritus  viucendoque  victi  sumus,  welche  gleichsam  eine  Weiter- 
bildung der  alten  Phrase  pugnando  vincere  ist.  Wir  haben  hier 
die  auftauchende  Form   des  Genmdiums  zu  beachten  und  zu  be- 


PliniuB  und  Cluvius  Rufus.  347 

merken^  dafs  dieselbe  im  Kirchenlatein,  wenn  auch  mit  veränderter 
Bedeutung  y  weitere  Verbreitung  gefunden  hat.  Hier  drückt  die 
Konstruktion  keinen  Gegensatz  aus^  sondern^  wie  die  meisten 
Formen  der  Figura  etymologica,  eine  Verstärkung,  und  zwar  ist 
das  Gerundium  Übersetzung  des  hebräischen  Infinitivs,  welcher 
einer  aktiven  oder  passiven  Verbalform  beigegeben  wird.  Also 
finden  wir  in  der  Übersetzung  von  Reg.  19,  10  aemulando 
aemulatus  sum,  wofür  Hieronymus  änderte:  zelo  zelatus  sum. 
Die  griechische  Septuaginta  hat  I  Sam.  2,  25  cc^UQtccvov  cc^iaQtdvrj, 
Cyprian  delinquendo  peccet  (mit  Eintausch  eines  Synonymums, 
wie  proelium  pugnare),  Hieronymus  aber  blofs  peccaverit. 
lerem.  38,  3  ist  tradendo  tradetur  (Septuag.  nuQadiÖoaavrj 
xagado^r^aerat)  auch  in  der  Vulgata  stehen  geblieben.  Vgl. 
G.  R.  Hauschild,  Die  Verbindung  finiter  und  infiniter  Verbalformen 
desselben  Stammes  in  einigen  Bibelsprachen,  Frankf.  am  Main 
1803,  S.  22  (=  Sonderabdruck  aus  den  Berichten  des  freien 
deutschen  Hochstifkes,  Jahrg.  1893,  Heft  2). 

Einen  dritten  Gegensatz  bildet  bei  den  Griechen  'beherrschen' 
mit  dem  Medium  'sich  beherrschen  lassen',  &Q%Btv  und  &Qii6%'aiy 
schon  bei  Solon  (Diog.  Laert.  1,  60)  a^xt  %qg}xov  (lad-iov  aQxsfJ&ca. 
Sopk  Ant.  633.  Plato  leg.  12,  942  C.  Demoer.  bei  Stob.  flor.  44, 14. 
Da  aber  im  Lateinischen  imperare  nicht  transitiv  ist,  so  nahm 
der  Gegensatz  die  Form  an:  sibi,  aliis  imperare. 

Wenden  wir  uns  zu  der  vierten  Gruppe,  den  Verben  des 
Fürchtens,  so  hat  hier  die  Form  des  Gerundiums,  welche  Gercke 
voraussetzt,  gar  keinen  Eingang  gefunden;  auch  ist  die  ursprüng- 
liche Anwendimg  des  Ausschlusses  mit  der  Negation  in  einem 
Gliede  Seltenheit  geblieben,  z.  B.  Novatian,  Tractat  p.  69,  2  Batif- 
fol:  leo,  dum  nihil  timet,  ipse  timetur  ab  omnibus.  Gewöhnlich 
ist  der  Gedanke  der,  dafs  der  Gefürchtete  selbst  fürchtet,  wie  die 
meisten  Gewalthaber.  Wahrscheinlich  sind  auch  hier  griechische 
Vorbilder  anzunehmen,  doch  kann  den  Sprüchen,  welche  später 
unter  dem  Namen  der  sieben  Weisen  liefen,  keine  vollständige 
Autorität  beigemessen  werden.  Vgl.  Antonius  Melissus  Scrm.  I 
162,  19  Orelli  opusc.  mor.  (von  Solon)  6  :tokXoig  (poßsQog  iov 
jtoXXovg  q)oßBC(i^(o.  Auson.  VH  Sap.  (Periander)  Multis  terribilis 
multos  timeto.  Die  ältesten  Belege  der  römischen  Litteratur 
reichen  bis  an  das  Ende  der  Republik  zurück.  Laber.  Rib.  126 
Necesse  est  multos  timeat,  quem  multi  timent.  Publil.  Syr.  338 
Multos  timere  debet,  quem  multi  timent.    In  passiver  Form.  Anon. 


348       .  Ed.  Wölfflin: 

de  mor.  61  qui  a  multis  timetur,  multos  timet  (^  Sen.  Monita 
14).  Sen.  epist.  105,  4  qui  timetur,  timet.  Noch  schärfer  der- 
selbe im  Oedip.  705  qui  sceptra  duro  saevus  imperio  regit,  timet 
timentes:  .metus  in  auetorem  redit.  Cic.  rep.  2,  45  (von  Tarquinius 
Superbus)  cum  metueret  ipse,  metui  se  volebat.  Sen.  Mon.  199 
nemo  timeri  potest  sine  suo  timore.  Noch  viele  andere  Varia- 
tionen liefsen  sich  hier  anführen,  z.  B.  Cic.  nat.  d.  1,  8(3  vidi  qui 
ea,  quae  timenda  esse  negaret,  timeret.  Cic.  p.  Mil.  66.  p.  Plane. 
99  non  qui  minus  timeret,  sed  si  acciderent  ea,  quae  timerentur, 
mecum  ea  subire.  Laber.  126.  Anon.  de  mor.  99  qui  paupertatem 
timet,  quam  timidus  est.  Lact.  inst.  6,  17,  5  nemo  dubitat,  quin 
timidi  sit  animi  metuere  egestatem.  Paneg.  p.  227,  13B.  nihil 
magis  timuisti  quam  ne  timereris:  302,  31  qui  nihil  magis  timue- 
rat  quam  timeri.  Sidon.  Apoll,  epist.  1,  2,  8  timet  timeri;  4,  21,  4 
sie  deum  timens,  ut  ab  hominibus  metueretur.  Damit  ist  das 
Leben  der  Phrase  in  der  Rhetorschule  bewiesen. 

Nach  allem  dem  ist  es  für  einen  methodisch  geschulten 
Philologen  unmöglich,  die  taciteischen  Worte  cum  timeret,  time- 
batur  auf  ein  hypothetisches  timeudo  timere  des  Plinius  zurück- 
zuführen; denn  die  Gerundialform  kann  nicht  belegt  werden,  und 
für  den  Nebensatz  mit  cion  oder  dum  haben  wir  Parallelen  aus 
Cicero  und  Novatian. 

Die  Diskussion  über  die  zweite  Erklärung,  die  Worte  aus  Cluvius 
Ruf  US  herzuleiten,  den  man  als  die  gemeinsame  Quelle  des  Tacitus 
und  Plutarch  bezeichnet  hat,  ist  gegenstandslos,  da  wir  von  Cl. 
K.  kein  lateinisches  Wort  besitzen  und  somit  eine  Vergleichung 
des  Lateins  nicht  angestellt  werden  kami. 

Die  dritte  Erklärung  bestünde  nun  offenbar  darin,  die  Worte 
dem  Tacitus  selbst  zuzuteilen,  und  sie  scheint  in  der  That  nahe 
genug  zu  liegen.  Ja  Ilerra.  Peter  nennt  dieselben  'echt  taciteisch', 
und  mir  seine  Quellenforschungen  nötigen  ihn,  einen  älteren  Autor 
zu  suchen,  den  er  freilich  nicht  findet.  Die  philosophischen 
Schriften  des  Seneca,  welche  Tacitus  so  fleifsig  gelesen  hatte  (vgl. 
Arch.  XII  121.  Max  Zimmennaim,  De  Tacito  Senecae  imitatore), 
erklären  ims  ja,  wie  Tacitus  auf  die  Wendung  kommen  mufste, 
und  indem  er  seinen  Worten  den  Satz  beifügt:  ut  evenit  inclinatis 
ad  suspicionem  mentibus,  erscheint  ihm  der  Gedanke  als  ein  der 
Psveholoffie  entnommener.  Nun  hat  aber  aufeerdem  Tacitus 
denselben  schon  im  Dialogus  13  ausgesprochen,  wo  es  von  den 
Sachwaltern  heifst:    quid  habent  in  hac  sua  fortuna  concupiscen- 


Plinius  und  Cluvius  Rufug.  349 

dum?  quod  timent  an  quod  timentur?  Auch  hier  hat  er  sich  an 
die  Antithese  aktiver  und  passiver  Form  gehalten,  und  der  Ge- 
danke stimmt  insofern  mit  der  Philosophie  des  Seneca  überein, 
als  dieselben  Advokaten  sowohl  gefürchtet  werden,  als  selbst  in 
Furcht  schweben.  Denmach  führt  die  unparteiische  Prüfung 
darauf,  das  taciteische  Gepräge  der  Worte  anzuerkennen  und  das 
Suchen  nach  einem  älteren  Historiker  aufzugeben.  Die  Schwäche 
der  Beweisführung  von  Gercke  zeigt  sich  schon  darin,  dafs  er  die 
Worte  des  Plinius  33,  25  signantem  signent  zur  Unterstützung 
seines  willkürlich  konstruierten  Sprachgebrauches  heranzieht,  wäh- 
rend doch,  wer  alle,  auch  die  heterogensten  Spielarten,  der  Figura 
etymologica  zusammenmengt,  den  Boden  unter  den  Füfsen  ver- 
liert. Wenn  auch  die  Geschichte  der  behandelten  Ausdrucksform 
noch  nicht  geschrieben  ist,  so  liefsen  sich  doch  viel  nähere  Be- 
lege beibringen,  z.  B.  das  bekannte  Wort  des  Horatius:  Gra^cia 
capta  ferum  cepit  victorem,  oder  der  Vers  des  Ovid:  spectatum 
veniunt,  veniunt  spectentur  ut  ipsae.  Und  es  darf  nochmals  aus- 
drücklich betont  werden,  dafs  gerade  der  Philosoph  Seneca  solche 
schiUemden  Farben  liebt.  Dial.  7,  14,  2  (voluptates)  in  magnum 
malum  evasere,  captaeque  cepere,  unmittelbar  nach  dem  bereits 
erwähnten  Satze:  non  ipsi  voluptatem,  sed  ipsos  voluptas  habet. 
Epist.  86,  11  decoquebatur  —  concoqueret.  90,  31  haec  inventa 
sunt,  postquam  sapientem  invenire  desimus. 

Wenn  G.  Andresen  in  der  Besprechung  meiner  Akademie- 
abhandlung 'Zur  Komposition  der  Historien  des  Tacitus'  (Münchn. 
Sitz.-Ber.  1901  S.  3 — 52),  in  welcher  ich  mit  Vermeidung  per- 
sönlicher Polemik  die  Cluviushypothese  zu  widerlegen  versuchte, 
die  von  mir  zuerst  nachgewiesene  Dialogusstelle  13  nicht  einmal 
der  Erwähnung  wert  erachtet,  obwohl  sie  entscheidend  ist,  so 
mufs  ich  ihn  doch  auffordern,  statt  subjektiver  Ansichten 
(Wochenschr.  f.  klass.  Philologie  1901,  438  *  scheint  mir',  S^er- 
mute  ich')  lieber  positive  Sätze  zu  formulieren,  die  sich  diskutieren 
lassen,  bezw.  die  Priorität  der  Worte  Plutarchs  q)oßov^€vog  .  .  tjv 
ipoßsQÖg  zu  erweisen. 

Dies  führt  uns  auf  die  Abfassuugszeit  der  drei  ersten  Histo- 
rienbücher des  Tacitus,  sowie  der  Otho-  und  Galbabiographie  des 
Plutarch.  Der  neue  von  mir  geltend  gemachte,  aber  von  Andresen 
mit  Stillschweigen  übergangene  Gesichtspunkt  besteht  darin,  dafs 
wir  nach  Analogie  der  Schriftstellerei  des  jüngeren  Plinius  und 
anderer  Litteraturwerke   nicht    mit  einer   Gesamtausgabe   der    12 

Archiv  fttr  lat.  Lexikogr.   XII.   Heft  3.  24 


350  Ed.  Wölfflin: 

(14?)  Bücher  Historien,  sondern  nur  mit  einer  Trias  zu  rechnen 
haben.  Dafs  die  ersten  Bücher  Aufsehen  erregten,  wissen  wir 
aus  Plinius,  und  es  begreift  sich  deshalb,  dafs  Plutarch  eine 
solche  Darstellung  benützte,  um  einen  Galba  imd  Otho  zu  schrei- 
ben. Wenn  nun  Andresen,  um  zu  widersprechen,  auf  eine  ver- 
loren gegangene  Biographie  des  Vitellius  verweist,  so  hat  er  im 
Eifer  übersehen,  dafs  er  damit  nur  Wasser  auf  meine  Mühle  ge- 
leitet hat;  denn  dann  erst  recht  entsprechen  die  drei  Biographien 
Plutarchs  der  halben  Hexade  des  Tacitus.  Dieser  komponierte  ja 
auch  die  Annalen  nach  Hexaden  und  Triaden,  und  die  ersten  drei 
Bücher  Historien  umfafsten  die  Regierung  des  Galba,  Otho  und 
Vitellius.  Dafs  Plutarch  Biographien  nach  Triaden  gegliedert 
hätte,  davon  wissen  wir  nichts. 

Übrigens  verlohnt  es  sich,  in  dieser  Frage  das  Urteil  von 
Lipsius  zu  hören,  welcher  wohl  seinen  Tacitus  besser  gekannt 
hat  als  jeder  von  uns.  Er  schreibt  zu  Tac.  bist.  2,39:  totum 
himc  locum  verbatim  expressit  Plutarchus,  etsi  haud  multum 
aetate  nostro  inferior.  Zu  bist.  2,  77:  Plutarchus,  quamquam  aevo 
compar,  multa  verbatim  ex  hac  historia  convertit.  Wir  können 
hinzufügen,  dafs  auch  die  neueren  Herausgeber,  Halm,  Müller^ 
Heraus,  Meiser,  derselben  Ansicht  sind,  beziehungsweise  gewesen 
sind,  und  dafs  sich  Schwabe  in  Wissowas  Realencyklopädie  VH  1579 
ihnen  anschliefst.  Ja  Prof.  Otto  Hirschfeld,  welcher  in  seiner  Special- 
vorlesung das  Gleiche  gelehrt  hat,  gedenkt  eine  Miscelle  zu  ver- 
öffentlichen, in  welcher  er  ein  neues  historisches  Argument  für  die 
späte  Abfassung  der  drei  Einzelbiographien  Plutarchs  vorlegen  wird. 

Umgekehrt  läfst  sich  die  Herausgabe  des  Anfanges  der 
Historien  viel  weiter  hinaufrücken,  als  man  gewöhnlich  annimmt. 
Der  Panegyricus  des  jüngeren  Plinius  enthält  zahlreiche  Anklänge 
an  das  erste  Buch  der  Historien,  weil  die  Adoption  Nerva-Traian 
unwillkürlich  an  Galba-Piso  erinnerte.  Vgl.  bist.  1,  15  in  domo 
(Augustus)  succesorem  quaesivit  =  Paneg.  7  an  successo- 
rem  . .  intra  domum  tuam  quaeras,  und  mit  Recht  hat  Morawski 
in  den  Rhetonim  ampullae  p.  7  (1901)  die  Wendung  des  Plinius 
als  Nachbildung  bezeichnet.  Da  nun  der  Panegyricus  nach  dem 
Konsulate  niedergeschrieben  ist,  so  mufs  Plinius,  welcher  das  Mskr. 
des  Tacitus  zur  Durchsicht  erliielt,  dasselbe  schon  im  Jahre  101  in 
Händen  gehabt  haben.  Dafs  Tacitus  mit  den  Worten  1,  16  (adoj)-* 
tandi  iudicium  integrum)  an  Nerva-Trajan  gedacht,  bemerkt  Momm- 
sen  Rom.  Staatsrecht  IP  1081,  Note  1. 


Plinius  und  Cluvius  Hufus.  351 

Weiterhin  hatte  ich  ausgesprochen^  dafs  die  historische  Ein- 
leitung (cap.  4 — 12)  von  Tacitus  verfafst  sein  müsse,  weil  sie  nur 
für  die  Historien  pafst  und  den  Leser  für  den  abrupten  Anfang 
des  Werkes  mit  dem  Neujahr  des  J.  G9  entschädigen  soll.  Nun 
hat  aber  Plutarch  einen  Satz  dieser  Überschrift  sich  angeeignet, 
nämlich  Galba  18  ix  dh  rovtov  xal  tä  nstQias  XQatrö^eva  dia- 
ßoJiiiv  alx^v  =  Tac  hist.  1,  7  seu  bene  seu  male  facta  perinde  in- 
vidiam  adferebant.  Es  ist  in  der  That  merkwürdig,  dafs  bisher 
niemand  die  Identität  beider  Stellen  beachtet  hat,  obschon  durch 
Plutarch  die  Richtigkeit  der  Konjektur  Bezzenbergers  (invidiam) 
bestätigt  wird.  Andresen  stellt  in  Abrede,  dafs  die  Stellen  sich 
decken,  da  Plutarch  nicht  seu  bene  facta  sondern  etiam  {xaC) 
bene  facta  übersetzt  habe,  was  nicht  bei  Tacitus  stehe.  Dagegen 
wies  ich  nach,  dafs  Tacitus  mit  augenfälliger  Vorliebe  sive  —  sive 
(seu  —  seu)  gebrauche,  und  gegen  die  Zumutung,  dafs  Plutarch 
nur  Wort  um  Wort  und  Silbe  um  Silbe  übersetzen,  nicht  einmal 
eine  freiere  Wendung  gebrauchen  dürfe,  müssen  wir  Einsprache 
erheben,  da  wir  die  Klassiker  unmöglich  in  solche  Zwangsjacken 
stecken  können.  Man  kann  wohl  darüber  streiten,  ob  man  /if- 
xqCg}^  im  Sinne  von  äÖuc^6Q(og  oder  von  6(oq)Q6v(og  verstehen 
solle;  allein  darauf  kommt  es  gar  nicht  an,  da  die  Verwandt- 
schaft der  beiden  Stellen  doch  bestehen  bleibt.  Im  Gegenteil: 
die  von  Andresen  angenommene  Übersetzung  (6(oq)Q6v(og)  verrät 
die  Abhängigkeit  noch  viel  deutlicher.  Es  war  doch  eine  rheto- 
rische Übertreibung  des  Tacitus,  wenn  die  vernünftigen  Mafsregeln 
des  Galba  in  gleicher  Weise  Hafs  einbrachten  wie  die  verkehrten, 
und  man  kann  es  nur  (ausnahmsweise)  als  eine  stillschweigende 
Verbesserung  des  Plutarch  betrachten,  wenn  er  dafür  den  Sinn 
eintauschte:  auch  (sogar)  die  guten  Regierungshandlungen  machten 
den  Kaiser  verhafst.  Wer  an  der  Beziehung  der  beiderseitigen 
Stellen  festhält  (die  Leser  können  ja  selbst  entscheiden),  der  mufs 
in  dem  allzu  spitzen  seu  bene  seu  male  facta  das  Original,  in 
T«  fiexQCag  TC^arroiLavu  eine  Abschleifung  finden,  unmöglich  um- 
gekehrt. Andresen  seinerseits  bezeichnet  das  Argument  als  'hin- 
fällig'. Wenn  er  aber  noch  hinzufügt,  Tacitus  bringe  die  Notiz 
an  anderer  Stelle,  d.  h.  in  anderem  Zusammenhange  als  Plutarch, 
so  müssen  wir  diese  sich  überall  wiederholende  Petitio  principii 
ablehnen.  Immer  und  immer  müssen  wir  das  Unglaubliche  lesen, 
dafs  die  alten  Historiker  nur  wörtlich  und  buchstäblich  abge- 
schrieben, bezw.  übersetzt,  dafs  sie  die  einzelnen  Züge  immer  genau 

24* 


352  Ed.  Wölfflin: 

in  der  gleichen  Reihenfolge  belassen,  nie  anders  gruppiert,  endlich, 
dafs  sie  immer  nur  einen  Autor  ausgeschlachtet,  nie  zwei  kom- 
biniert hätten.  Diese  ehernen  Gesetze  sind  ja  nur  Nebelwolken, 
und  wenn  wir  uns  lange  genug  redlich  bemüht  haben,  diese  An- 
schauungen zu  den  unserigen  zu  machen,  so  gebietet  uns  doch 
auch  die  Pflicht  der  Selbsterhaltung,  dafür  zu  sorgen,  dafs  unser 
logisches  Denken  nicht  verwirrt  werde  und  Schaden  nehme. 

Einstweilen  haben  wir  es  in  diesem  Hefte  S.  333  flf.  unter- 
nommen, den  Verfassern  von  Epitomen  ihre  Freiheit  geistiger 
Bewegung  zurückzugeben.  In  die  Interpretation  einzelner  Stellen 
dürfen  wir  uns  hier  um  so  weniger  einlassen,  als  nur  selten 
lexikographische  oder  grammatikalische  Fragen  in  Betracht  kom- 
men. Nur  einige  allgemeinere  Gesichtspunkte  mögen  hier  noch 
mit  kurzen  Worten  hervorgehoben  werden: 

Auf  meine  Bemerkung,  das  beide  Hände  in  Anspruch  neh- 
mende Lesen  der  Papyrusrolle  mache  ein  Abschreiben  unmöglich, 
entgegnet  Andr.  die  Schwierigkeit  hätte  sich  mit  Hilfe  eines 
Sklaven  leicht  überwinden  lassen.  Wir  werden  ims  hier  an  die 
Darstellungen  der  bildenden  Kunst  halten  müssen,  welche  uns  den 
Akt  des  Lesens  nicht  verborgen  hat.  Es  wird  daher  Sache  von 
Andr.  sein,  eine  Abbildung  nachzuweisen,  welche  uns  den  zu 
Hilfe  gezogenen  Sklaven  und  den  schreibenden  Autor  zeigt. 

Was  aber  die  Umstellung  der  einer  älteren  Quelle  entnom- 
menen Angaben  betrifft,  welche  für  A.  das  letzte  Notargument 
bleibt,  um  direkte  Benützung  zu  leugnen,  wo  alles  für  eine 
solche  spricht,  so  haben  die  griechischen  wie  die  römischen 
Historiker  sich  eine  grofse  Freiheit  in  der  selbständigen  Disposi- 
tion gewahrt,  und  dies  ist  auch  ganz  begreiflich,  ja  notwendig, 
da  sie  zum  Zwecke  ihrer  Vorstudien  die  Papyrusrollen  aufmerk- 
sam lasen,  nicht  abschrieben. 

Als  im  ersten  Jahre  der  sicilischen  Expedition  die  drei 
athenischen  Strategen  in  Rhegion  Kriegsrat  hielten  zum  Behufe 
der  Entwerfung  eines  Operationsplanes,  da  läfst  Thukydides  zuerst 
den  Nikias  votieren,  dann  den  Alcibiades,  zuletzt  den  Lamachos. 
Der  am  wenigsten  weitgehende  Antrag  des  Nikias  macht  den 
Anfang,  dann  folgt  der  auf  die  Künste  der  Diplomatie  vertrauende 
Alcibiades,  und  Lamachos  macht  mit  seinem  direkten  Angriffe 
auf  Syrakus  den  Schlufs.  In  Plutarchs  Biographie  des  Nikias 
dagegen  ist  dieser  der  Hauptheld,  weil  er  ja  auch  nach  der  Ab- 
})erufung  des  Alcibiades  imd  nach  dem  Tode  des  Lamachos  allein 


Plinius  und  Cluvius  Rufus.  353 

das  Oberkommando  führte,  und  ihm  gehört  das  Hauptverbum  der 
Periode,  während  die  Voten  des  Alcibiades  und  Lamachos  im 
Gen.  absolutus  vorausgehen  und  nur  den  Wert  von  Nebensätzen 
haben.  Darum  aber  die  handgreifliche  Benützung  des  Thukydides 
durch  Plutarch  in  Abrede  zu  stellen,  wie  Fricke  gethan,  ist  durch- 
aus unzulässig.     Vgl.  Holm,  Gesch.  Siciliens  II  347. 

Oder  wenn  Polyb  bei  Aufzählung  der  Streitkräfte  Hannibals 
dessen  Lieblingswaffe,  die  Reiterei,  voranstellt,  Livius  dagegen 
nach  römischer  Auffassung  das  Fufsvolk  zuerst  erwähnt,  so  darf 
man  aus  dieser  äufserlichen  Abweichung  nicht  (wie  geschehen  ist) 
einen  Grund  der  Nichtbenutzung  ableiten,  da  ja  alle  Ziffern  über- 
einstimmen. Und  nicht  anders  dürfen  wir  das  Verhältnis  Fron- 
tins  zu  Livius  beurteilen.  Bei  der  Schilderung  der  Schlacht  von 
Zama  spricht  Livius  30,  33  zuerst  von  der  Aufstellung  Scipios, 
dann  von  der  Hannibals,  wogegen  Frontin  strat.  2,  3,  16  die  Sache 
umkehrt.  Da  indessen  die  beiderseitigen  Angaben  übereinstimmen, 
so  hat  Gundermann  mit  vollem  Recht  den  Livius  als  die  direkte 
Quelle  des  Frontin  bezeichnet,  zumal  er  von  diesem  2,  5,  31  und 
34  als  Gewährsmann  citiert  wird.  Hier  gehen  wir  grundsätzlich 
auseinander,  indem  wir  den  alten  Klassikern  die  Freiheit  viudi- 
cieren,  den  Stoff  nach  eigenem  Ermessen  zu  gruppieren,  während 
unsere  Gegner  sich  dieselben  lieber  als  beseelte  Maschinen  vor- 
stellen. 

Betrachten  wir  doch  einmal  die  Konsequenzen  dieser  nicht 
etwa  von  den  Verächtern  des  klassischen  Altertumes,  sondern  von 
den  Philologen  (bezw.  Historikern)  selbst  ersonnenen  Irrlehre.  Wir 
lebten  bisher  in  dem  Glauben,  das  Beste  der  antiken  Litteratur 
sei  uns  erhalten.  Eitler  Wahn!  Livius  hat  den  Polyb  nicht  be- 
nützt, Plutarch  den  Tacitus  nicht,  Frontin  den  Livius  nicht  u.  s.  w., 
sondern  die  wirklichen  Gröfsen  sind  untergegangen,  und  die 
moderne  Wissenschaft  mufs  sich  damit  begnügen,  die  Werke  derer 
zu  rekonstruieren,  deren  Namen  man  nicht  einmal  bestimmen  kann. 

Es  wird  mir  vorgehalten,  ich  hätte  mich  zu  s^hr  von  der 
Sorge  um  den  schriftstellerischen  Ruhm  des  Tacitus  leiten  lassen, 
und  allerdings  möchte  ich  nicht  die  alten  Klassiker  gegen  das 
wirkliche  oder  vermeintliche  Wissen  einzelner  modemer  Gelehrter 
abtauschen.  Das  Neueste  ist  jetzt,  dafs  Thukydides  aus  einer 
Biographie  des  Hennokrates  geschöpft,  dieselbe  aber  ungeschickt 
benützt  habe.  Wenn  Steup  dagegen  mit  einem  Quousque  tandem? 
opponiert  hat  (Rhein.  Mus.  56, 443ff  ),  so  ist  das  eben  auch  mein  Fall 


354      Ed.  Wölfflin:  Pliniufl  und  CluviuB  Rufua.  —  Miscelle. 

Wenn  Andresen  mit  dem  offenen  Bekenntnisse  schliefst,  die 
Ergebnisse  seiner  Nachprüfung  seien  nur  negativer  Natur,  so  ist 
dies  gewifs  zu  beklagen;  denn  eine  Wissenschaft,  welche  in  dem 
Zeichen  der  Hyperkritik  und  der  Destruktion  steht,  mufe  unter- 
gehen. Wenn  Tacitus  nicht  der  Schöpfer  des  ergreifenden  Ge- 
mäldes war,  wer  ist  es  denn?  Cluvius  Rufus  oder  Plinius  oder 
ein  Dritter?  Hier  versagt  das  Wissen  von  A.;  er  sagt  von  meinen 
Darlegungen  nur,  es  sei  'nicht  nötig,  dabei  zu  verweilen',  was 
die  bekannte  Phrase  ist,  wenn  man  in  Verlegenheit  ist  zu  antworten. 
Zu  einem  Neuaufbau  oder  zur  Befestigung  der  bisher  vorgebrach- 
ten Hypothesen  hat  er  keinen  Stein  und  kein  Steinchen  beige- 
tragen. Einzelne  Stellen  mag  man  anders  interpretieren;  an  der 
Hauptsache  lindert  dies  nichts. 

München.  Ed.  Wölfflin. 


Titalas  Manimianas. 

Die  metrischen  Schwierigkeiten,  welche  der  Schlufsvers  dieser 
Inschrift  dem  Erklärer  bietet,  sind  allgemein  bekannt  und  auch  von 
den  neuesten  Herausgebern,  Zander  (Versus  Italic!  55)  und  Bücheier 
(Carm.  epigr.  Nr.  3),  noch  nicht  gelöst.  Mit  Recht  ist  die  den  Satur- 
niem  nachhinkende  V'lausula  trochaica'  heute  aufgegeben,  da  sie  mehr 
einer  Ausrede  als  einer  Erklärung  ähnlich  sieht.  Auch  muls  man 
Bücheier  zugeben,  dafs  der  uns  erhaltene  Stein  weder  das  Original 
noch  die  getreue  Kopie  des  Originales  sein  kann.  Augenscheinlich 
ist,  dafs  die  Inschrift  nicht  mehr  aus  6,  sondern  wahrscheinlich  mit 
distichischer  Gliederung  aus  4  Versen  besteht;  nur  enthält  der  letzte:  hanc 
aedem  et  signu  |  Herculis  Victoris  |  imperator  dedicat  einige  Silben 
zu  viel.  Die  vorgeschlagene  Form:  hanc  imperator  aedem  et  signu 
dedicavit  verstöfst  in  mehr  als  einer  Hinsicht;  einmal  weil  es  bedenk- 
lich ist,  die  Hauptsache  (Herculis  Victoris)  wegzulassen,  aber  auch 
weil  das  Praesens  historicum  durch  ähnliche  Parallelen  (subigit,  reci- 
pit,  fundit  fugat  prosternit)  geschützt  ist.  Dagegen  erscheint  vor 
allem  entbehrlich  Imperator*,  weil  die  Aufschrift  den  Namen  L.  Mummi 
(=  Mummis  =  Mummius)  cos.  enthält  und  es  im  ersten  Satumier 
heifst:  ductu  auspicio  imperioque  eins  Achaia  capta.  Giebt  man  dafs 
zu,  so  gewinnt  man  eine  annehmbare  Form,  wenn  man  schreibt: 

Ob  hasce  res  bene  gestas  quod  in  hello  voverat 
Haue  dedicat  aedem  et  signu  Herculis  Victoris. 

München.  Ed.  Wölfflin. 


Zur  Geschichte  der  Pronomina  demonstrativa.  IIL 

(Fortsetzung  von  Arch.  XU  239  ff.) 

Seit  unserer  letzten  Anzeige  ist  das  angekündigte  Buch  von 
Dr.  C.  L.  Meader,  Instr.  an  der  Universität  von  Michigan,  im 
Dnicke  erschienen  unter  dem  Titel:  The  Latin  pronouns  is:  hie: 
iste:  ipse.  A  semasiological  study.  New  York  1901.  XVI,  222 
pgg.  8**.  Der  Bericht  wird  sich  also  kürzer  fassen  dürfen,  weil  wir 
auf  das  gedruckte  Original  verweisen  können. 

1.  Iste.  Waren  in  den  zwei  ersten  Kapiteln  die  Pronomina 
is  und  hie  behandelt,  so  wendet  sich  die  Darstellung  im  dritten 
zu  iste.  So  wenig  wir  über  den  ursprünglichen  Gebrauch  des 
Fürwortes  im  Unklaren  sLod,  so  wenig  kennen  wir  die  Geschichte 
des  Mifsbrauches  und  der  Entartung.  Man  mufs  Raph.  Kühner 
für  die  Notiz  dankbar  sein,  dals  in  der  ^späten  Latinität'  iste  für 
hie  stehe,  was  dann  mit  einem  Beispiele  aus  Augustin  bewiesen 
wird.  Dafür  legt  uns  Verf.  den  Gebrauch  bei  den  wichtigsten 
lateinischen  Autoren  vor,  sei  es  auf  Gh*und  von  grammatischen 
Monographien,  sei  es  auf  Grund  eigener  Beobachtungen.  Hat  er 
auch  nicht  alles  gelesen,  so  flöfst  doch  das  Verzeichnis  der  })e- 
nützten  Autoren  S.  218 — 220  allen  Respekt  ein.  Ein  gutes  Fun- 
dament bilden  die  30  Beispiele  von  iste  tuus  bei  Plautus  (bezw. 
iste  vester),  und  es  bleibt  also  nur  festzustellen,  wer  zuerst  iste 
zur  Bezeichnung  der  dritten  oder  der  ersten  Person  gebraucht 
habe.  Da  stöfst  man  denn  zunächst  auf  CatuU  41,  3:  Ameana 
puella  .  .  .  tota  milia  me  decem  poposcit,  ista  turpiculo  puella 
naso.  Der  Begriff  des  Verächtlichen  ist  noch  deutlich  ausgeprägt, 
docli  ist  die  Beziehung  auf  die  angeredete  Person  verschwunden. 
Auf  den  Sprechenden  (erste  Person)  hat  bekanntlich  Horaz  das 
Pronomen  angewandt  Sat.  1,  4,  130 

mediocribus  et  quis 
Ignoscas  vitiis  teneor;  fortassis  et  istinc 
Largiter  abstulerit  longa  aetas,  liber  amicus, 
da  hier   istinc   steht   für:    a   meis   vitiis.     Doch   er  nicht  zuerst, 


356  Meader-Wölfflin: 

sondern  nach  dem  Vorgange  des  Catull  17,21:  talis  iste  mens 
Stupor  nil  videt,  nihil  audit.  Wie  nun  dies  in  die  silberne  Prosa 
eindringt,  wie  der  jüngere  Seneca  die  früher  beobachteten  Regeln 
umstöfst,  wie  bei  Fronto  und  Apuleius  die  Verbindung  gewöhn- 
lich wird  (Front,  epist.  1,  2  qui  ego  istam  meam  fortunam  satis 
luxerini.  Apul.  met.  1,  1 1  sermones  istos  nostros),  das  mufs  man 
bei  M.  nachlesen.  Damit  ist  iste  geradezu  der  Nachfolger  von 
hie  geworden,  und  zwar  zuerst  bei  den  Dichtem.  Denn  schon 
Obermeier  hatte  beobachtet,  dafs  iste  bei  Lucan  die  Demonstrativ- 
pronomina verdrängt  hat.  Dafs  erst  der  Philosoph  Seneca  diese 
Licenz  in,  die  ungebundene  Rede  eingeführt  habe,  ist  freilich  nicht 
ganz  richtig,  da  die  ersten  Spuren  sich  bei  Valerius  Maximus  und 
Celsus  finden.  Losgelöst  von  der  zweiten  Person  ist  also  das 
Pronomen  bei  Val.  Max.  4,  3  praef  quo  istae  generis  humani 
certissimae  pestes  penetrarunt;  4,  3,  6  Fabricius  istam  (Epicuri) 
sapientiam  deprecatus  est;  2,  8,  7  ut  necessariae  istae,  ita  lugubres 
existimatae  sunt  victoriae;  9,  14  praef.  ista  quaestio  in  ambiguo 
versatur;  5,  1;  11  ne  ista  quidem  generosissimae  indignationis 
verba  inviti  audierunt;  6,  4  ext.  1  melius  istud  nostri  sanguinis 
homines  dixissent  quam  audissent;  2,  2,  8  apud  ista  altaria.  Liest 
man  die  Stellen  im  Zusammenhange  nach,  so  überzeugt  man  sich 
leicht,  dafs  in  dem  Pronomen  der  Sinn  der  Geringschätzung, 
Mifsbilligung  u.  s.  w.  liegt.  Der  Verf.  mufste  aber  nicht  nur  voll- 
ständigere Sammlungen  anlegen,  er  mufste  auch  die  Beispiele  auf 
ihren  kritischen  Wert  prüfen.  So  hat  er  wohl  mit  Recht  bei 
Vell.  Pat.  2,  7,  3  die  auch  von  EUis  angenommene  Konjektiu- 
von  Cludius  ^memoria  istius  saevitiae'  gebilligt,  obwohl  ipsius 
überliefert  ist. 

Leider  habe  ich  versäumt,  meinen  jungen  Freund  auf  einen 
besonders  charakteristischen  Sprachgebrauch  aufmerksam  zu 
machen,  über  welchen  ich  schon  im  Rhein.  Mus.  29,  295  f  ge- 
sprochen habe.  Der  anonyme  Verfasser  der  sogen.  Epitome  de 
Caesaribus  hat  die  Kaiser,  welche  er  in  einzelnen  Kapiteln 
schildert,  bald  mit  dem  Eigennamen,  bald  mit  hie,  bald  mit  iste 
bezeichnet.  Korrekt  war  ohne  Zweifel  hie,  sanktioniert  durch 
das  Beispiel  des  Cornelius  Nepos,  des  Sallust  (Cat.  5,  1  huic  ab 
adulescentia  etc.),  ja  der  Scipionenelogien  (hone  oino  ploirume 
ccmsentiont  etc.  hie  cepit  Corsica  u.  s.  w.).  Aber  wie  kam  nun 
der  Verfasser  darauf,  mit  hie  und  iste  geradezu  abzuwechseln,  da 
man  einen  Sinminterschied  nicht  herausfinden  kann?    Man  über- 


Zur  Geschichte  der  Pronomina  demonstrativa.  III.        357 

zeuge  sich  selbst.  Cap.  1  (Octavianus  Augustus)  §  3  iste  tribuni- 
ciam  potestatem  per  se  exercuit,  6  huius  tempore,  7  iste  Canta- 
bros  populo  Romano  coniunxit,  8  huic  Persae  obsides  obtulerunt, 

9  ad  hune  Indi  legatos  miserunt,  13  huius  tempore.  Cap.  4 
(Claudius)  §  2  iste  a  militibus  imperator  eflFectus  est,  3  hie  ventri 
obediens,   4  huius   tempore,   5  huius   uxor,    9  huius  temporibus, 

10  hie  Agrippinam  uxorem  duxit.  Cap.  5  (Nero)  §  2  iste  quiii- 
queimio  tolerabilis  visus,  3  hie  amphitheatrum  construxit,  8  hune 
Persae  dilexerunt.  Cap.  6  (Galba)  §  2  iste  ad  vescendum  intem- 
perans  fuit,  3  hie  multas  provincias  egregie  administravit.  Da 
wir  in  den  ersten  Kapiteln  der  Epitome,  soweit  sie  die  julisch- 
flavischen  Kaiser  betreffen,  die  benützten  Quellen  nachzuweisen 
im  stände  sind,  so  ergab  sich,  dafs  die  mit  hie  eingeführten  An- 
gaben auf  Sueton  zurückgehen,  die  mit  iste  eingeleiteten  auf 
Aurelius  Victor.  Dies  hat  die  Zustimmung  von  Herm.  Peter, 
Geschichtl.  Litter.  der  röm.  Kaiserzeit  II  361  Note,  gefunden. 
Wiederholte  Durchsicht  des  Büchleins  hat  mich  aber  auch  auf 
die  Beobachtung  geführt,  dafs  iste  nur  im  Nomin.  sing,  vor- 
kommt, während  neben  hie  auch  huius,  huic,  hune,  horum  u.  s.  w. 
gebraucht  werden.  Es  ist  auch  ganz  natürlich,  dafs  zuerst  der 
Nomin.  sing,  fiel  wegen  der  Kollision  mit  dem  Ortsadverb  hie. 
Femer  ist  zu  bemerken,  dafs  in  der  Mittelpartie  der  sogenannten 
Epitome  der  Gegensatz  hie  und  is  auftritt.  Cap.  20  (Septimius 
Severus)  §  1  hie  Pescennium  interemit,  2  sub  eo  Albinus  occiditur, 
3  hie  Severiis  filios  suos  successores  relinquit,  4  hie  in  Britaiinia 
Valium  . .  deduxit.  Cap.  23  (Heliogabalus)  §  2  huius  avus  .  .  fuerat 
Solis  sacerdos,  quem  Phoenices  Heliogabalum  nominabant,  quo 
iste  Heliogabalus  dictus  est;  3  is  probris  se  contaminavit, 
0  huius  corpus.  Cap.  28,  §  2  filius  eius,  4  is  PhiUppus  humil- 
limo  ortus  loco  fuit.  In  den  letzten  zehn  Kapiteln,  in  welchen 
der  Verfasser  von  seinen  Quellen  verlassen  als  Stilist  auf  eigenen 
Füfsen  steht,  fliefst  alles  ineinander,  z.  B.  Cap.  42  §  8  eius 
morte  audita,  13  iste  infinitas  hostium  copias  delevit,  15  hie  a 
militibus  Augustus  pronuntiatur.  (Vgl.  Ammian  16,  12,  47  illi  . . 
hi . .;  isti  .  .  illi.)  Und  da  wir  einmal  die  Lupe  in  die  Hand 
genommen  haben,  notieren  wir,  dafs  die  Verbindung  von  hie  und 
is  mit  folgendem  Eigennamen  eine  Eigentümlichkeit  des  Epito- 
mators  ist,  nicht  eine  des  Aurelius  Victor.  Vgl.  19.  21.  34. 
41.  45.  46.  48.  Man  möchte  amiehmen,  dafs  ein  solches  hie 
Theodosius    dem    griechischen    o    &£od6aiog    entspreche,    womit 


358  Meader-Wölfflin: 

wir  freilich  dem  Verfasser  des  zu  besprechenden  Buches  vor- 
greifen. 

Es  folgt  S.  132  ein  Abschnitt,  welcher  in  dem  Inhalts- 
verzeichnisse mit  iste,  ille  =  hie,  ille  bezeichnet  ist,  und  der 
Leser  ist  auch  darauf  vorbereitet,  da  er  in  iste  einen  Nachfolger 
von  hie  hat  kennen  lernen.  Wenn  jedoch  dieser  Tausch  schon 
im  archaischen  und  im  klassischen  Latein  soll  erfolgt  sein,  so 
wird  man  zur  Vorsicht  gemahnt  und  sich  mindestens,  wie  auch 
M.  selbst  gethan,  nach  Entschuldigungsgründen  umsehen,  welche 
das  Unerwartete  erklären  könnten.  Wir  werden  zuerst  auf  Plautiis 
Rud.  808  verwiesen:  age,  alter  istinc,  alter  hinc  adsistite.  Allein 
die  erste  Aufforderung  gilt  dem  Sklaven  Sparax,  welcher  im 
V.  807  direkt  angeredet  war:  age,  accipe  illinc  alteram  clavam, 
Sparax;  und  so  bedeutet  alter  istinc  so  viel  als  'tu  alter  istinc*. 
Eine  ähnliche  Verteidigung  mufs  man  den  Worten  Ciceros  leihen 
Epist.  2,  11,  1  ista  vestra  .  .  .  haec  nostratia.  Bei  Livius  3,  47,  7 
spricht  Verginius  zu  der  umstehenden  Menge:  passurine  haec  isti 
sint  (dafs  die  Heiligkeit  der  Ehe  verletzt  werde),  nescio:  non 
spero  esse  passuros  illos,  qui  arma  habent.  Allein  da  die  un- 
mittelbar vorausgehenden  Worte:  placet  pecudum  ritu  promisce 
in  concubitus  ruere?  zugleich  an  das  Publikum  gerichtet  sind, 
bedeutet  im  ersten  Satze  isti  etc.  so  viel  als:  passurine  vos  sitis, 
nescio.  Dazu  kommt,  dafs  der  Ausdruck:  passurine  haec  hi  sint, 
nescio,  nicht  wohl  zulässig  war.  Liv.  22,  60,  27  sagt  Manlius  im 
Senate:  ego  non  magis  istos  redimendos  censeo,  quam  illos  de- 
dendos  Hannibali,  qui  per  medios  hostis  e  castris  eruperant.  In- 
dessen sind  diese  um  Loskauf  Bittenden  unmittelbar  vorher  von 
dem  Redner  mit  den  Worten  apostrophiert  worden:  cum  erumpere 
e  oastris  oportet,  cunctamini  ac  raanetis  etc.,  und  so  steht  istos 
gewissermafsen  für  vos  und  hat  sogar  den  Vorzug,  die  Gering- 
schätzung auszudrücken.  Man  darf  somit  nicht  schlechtweg  be- 
haupten, iste  —  ille  sei  schon  in  der  klassischen  Zeit  gleichbedeutend 
mit  hie — ille.  Im  silbernen  Latein  freilich  sind  die  Grenzen  des 
Gebietes  von  iste  durchbrochen,  und  im  Spätlatein  stellt  sich 
sogar  neben  die  Reihenfolge  iste — ille  die  andere  ille  —  iste.  Bei 
Kirchenvätern  bedeutet  oft  iste  mundus,  ista  vita,  in  isto  saeculo 
so  viel  als  "diese  Welt',  woneben  j)arallel  läuft  hie  mundus,  hoc 
saeculo.     Vgl.  Index  zu  Paulinus  Nolanus. 

Sogar  Historiker,  welche  keine  direkten  Reden  einschalten, 
machen  von  dem  Pronomen  häufigen  Gebrauch,  weil  es  ihnen  mit 


Zur  Geschichte  der  Pronomina  demonstrativa.  III. 


359 


hie  gleichbedeutend  ist,  z.  B.  Oros.  1,  17,  3  isto  qualiscunque  est 
praesentis  temporis  statu;  4  praef.  6  delicatis  istis  et  querulis 
nostris.  Vict.  Vit  persec.  Afr.  51  iam  persecutionis  nostrae  iste 
sit  finis;  2,  34  ista  voce  clamabant,  worauf  direkte  Rede  folgt; 
3,  28  ista  dicens  zurückweisend  auf  die  vorangehenden  Worte; 
3,  42  fuit  iste  (Antonius)  in  quadam  civitate  proxima  heremo. 
Nicht  überflüssig  wäre  es,  diejenigen  Spätlateiner  zu  kennen, 
welche  diesem  Gebrauche  nur  selten  gehuldigt  haben,  und  zu 
diesen  gehört  Animian  mit  nicht  mehr  als  einem  halben  Dutzend 
von  Beispielen:  14,  11,  31.  16,  10,  16.  24,  8,  1.  25,  2,  5  u.  s.  w. 
Besonders  lehrreich  sind  die  Übersetzungen  aus  dem  Grie- 
chischen. Der  Verf.  hat  dafür  die  Briefe  des  Ignatius,  den  Hirten 
des  Hermas,  die  Novellen  lustinians,  den  Grammatiker  Dositheus 
und  die  verschiedenen  Bibelübersetzungen  herangezogen.  Während 
die  versio  Palatina  des  Fast.  Herrn,  oirog  mit  hie  übersetzt,  zieht 
die  Vulgata  iste  vor,  wie  folgende  Parallelen  veranschaulichen. 


Vis.  1,  2,  4  TÖ  TCQäy- 
(la  rovTO. 

Vis.  3,  8,  1  nsQl  Tcdv- 
rcDV  rovT(oi' 

Vis.  3,  8,  9    ij    ijtü- 
[ivr^öLg  cStt} 

Mand.  4,  3,  5  rriv  fia- 
ravoittv  Tavrr^v 

Sim.  8,  2,  7   tö   Öev- 
ÖQOv  rovro 

Mand.    8,    G     tavrd 

BÖXiV 


Palat. 
hoc  negotium 

de  Omnibus  bis 

commonitio  haec 

hanc  poenitentiae  oc- 
casionem 

arbor  haec 
haec  sunt 


Vulgata 
res  ista 

de  Omnibus  istis 

commemoratio  ista 

istam  potestatem  poe- 
nitentiae 

arbor  ista 

ista  sunt  Edit.  princ. 
haec  Vulg.  illa 
Varr. 


Für  das  Neue  Testament  läfst  sich  voraussetzen,  dal's  Hiero- 
nymus  (=  Vulgata )  auf  seiten  der  Klassiker  stehen  wird,  wogegen 
in  den  älteren,  sogen.  Italaübersetzungen  iste  wiederholt  auftaucht. 
So  heifst  es  denn  evang.  Matth.  7,  28  statt  des  griechischen  tov^ 
Xdyovg  xovtovg:  vorba  haec:  in  dem  alten  Bobiensis  dagegen 
saec.  IV  oder  V  sermones  istos.  Matth.  18,  10  evog  rüv  ihxqCjv 
rovT(op  =  Vulg.  ununi  ex  bis  pusillis  =  Itala:  istis.  Matth.  19,  20 
Tcävrcc  Tuvra  =  Vulg.  haec  oninia,  Itala:  omnia  ista. 


360  Meader-Wölfflin: 

Es  folgen  die  bilinguen  Glossen  im  zweiten  Bande  des 
Corpus  von  Götz.     Hier  finden  wir: 

n  p.  390,  32  ovrog  hie  iste  is 
390,  33  ovroL  hi  isti  ei 
457,  49  tovto  id  hoc  istud 
452,    6  ruvtri  hac  istac 
92,  57  iste  is  ovro«?. 
Aus   den   Zeugnissen   des  IV.  und  V.  Bandes   heben  wir  heraus 
V  108,  7:  hec  •  ste.   Dies  führt  auf  die  verschiedenen  romanischen 
Formen,  in  welchen  sich  das  Pronomen  iste  erhalten  hat.  —  Den 
Schlufs    machen    die   Zeugnisse    der   alten   Grammatiker,   welche 
übrigens  nichts  von  Bedeutung  ergeben. 

Wenn  der  Verf.  versucht,  die  geographischen  Grenzen  des 
Gebrauches  von  iste  =  hie  zu  bestimmen,  so  ist  dies  natürlich 
ein  schwieriges  Unternehmen,  und  ohne  Fragezeichen  geht  es 
denn  auch  nicht  ab.  Immerhin  spricht  sich  Verf.  über  das  afri- 
kanische Latein  dahin  aus,  dafs  iste  =  hie  nicht,  wie  man  oft 
geglaubt  hat,  eine  Eigentümlichkeit  dieses  Landes  sei. 

Leichter  sind  die  chronologischen  Linien  zu  ziehen,  und  da 
müssen  wir  denn  den  grammatischen  Sündenfall  von  Valerius 
Maximus  an  datieren,  während  man  bisher  glaubte,  für  die  Prosa 
weiter  hinab  greifen  zu  müssen.  Nicht  weit  davon  entfernt  liegt 
dann  der  Encyklopädist  Celsus  mit  seinem  Werke  De  mediciua. 
Für  das  Spätlatein  (5.  Jahrhundert?),  d.  h.  für  den  afrikanischen 
Grammatiker  Pompeius  imd  sein  Commentum  artis  Donati  (Keil 
vol.  V,  p.  95 — 203),  erhalten  wir  S.  150  eine  überraschende 
Statistik,  aus  welcher  sich  Folgendes  ergiebt.  Während  der  Xomin. 
sing,  hie  gänzlich  fehlt,  kommt  iste  24 mal  vor;  umgekehrt  finden 
sich  für  das  Ortsadverb  hie  15  Belege,  wogegen  istic  (oft  fälsch- 
lich isthic  geschrieben)  fehlt.*)  Im  Nomin.  sing.  fem.  stehen 
7  haec  gegen  39  ista;  also  auch  hier  ein  energisches  Vordringen 
unseres  Pronomens.  Wir  gewinnen  daraus  eine  Stütze  für  unsere 
oben  S.  357  geäufserte  Vermutung,  dafs  das  Eindringen  des  Pro- 
nomens iste  in  das  Gebiet  von  hie  von  dem  Nomin.  sing,  aus- 
ging. Femer  zählt  M.  für  Neutrum  hoc  bei  Pompeius  235  Bei- 
spiele, für  istud  1;  d.h.  eine  nach   damaligem  BegriflFe   unregel- 

*/  Vcgctius  Ei)it.  rei  mil.  hat  iste  zehnmal  gebraucht,  nämlich  sechs- 
mal Xeutr.  plur.  iHta,  zweimal  Xom.  Bing,  femin.  ista,  zweimal  Nom.  plur. 
fem.  istae;  alle  andern  Kasusformen  gar  nicht.  Der  Dichter  Avien  dagegen 
gebraucht  iste  90  mal  in  allen  Kasusformen. 


Zur  Geschichte  der  Pronomina  demonstrativa.  III.        361 

mäfsige  Form  auf  -d  konnte  sich  nicht  halten.  So  behaupten 
sieh  bei  Pompeius  von  hie  siegreich  nur  das  Neutrum  sing,  und 
das  Ortsadverb,  während  in  sämtlichen  übrigen  Formen  iste  be- 
deutend überwiegt,  um  das  Dreifache  bis  Siebenfache. 

Nachdem  abo  ausführlich  dargelegt  ist,  wie  iste  an  die  Stelle 
von  hie  trat,  wird  S.  151  ff.  dieser  Tausch  vom  Standpunkte  der 
Semasiologie  erläutert.  —  Dagegen  treten  die  Fälle  zurück,  in 
denen  iste  =  ille  oder  hie  gebraucht  wird. 

2.  Ipse.  Das  vierte  Kapitel  ist  dem  Pronomen  ipse  ge- 
widmet, behandelt  indessen  dem  Titel  des  Buches  entsprechend 
nicht  die  formellen  Fragen,  wie  Bildung  des  Pronomens,  Kon- 
kurrenz von  ipse  und  ipsus,  Quantität  des  zweiten  i  in  ipsius  u.  ä., 
sondern  nur  das  Semasiologische,  wobei  von  der  Darstellung  von 
Nägelsbach-Müller  (Stilistik  §  91)  ausgegangen  wird. 

So  hat  denn  der  erste  Abschnitt  die  Überschrift:  ipse  = 
idem.  Diese  Berührung  erinnert  zunächst  an  das  griechische 
icvTog  und  6  avrög ;  Verf.  weist  sie  aber  auch  im  Englischen  nach, 
und  die  Deutschen  können  vergleichen:  selber  imd  ebenderselbe. 
Wie  leicht  ipse  Identitätspronomen  werden  konnte,  zeigt  die  Ver- 
gleichung  von 

Ennius  ann.  8  M.  terra  corpus,     Cic.  sen.   72     hominem    eadeni 
quae  dedit,  ipsa  capit.  quae      conglutinavit      natura 

dissolvit. 
Es  bedarf  also  keines  weiteren  Zusatzes,  um  diese  Bedeutung  in 
ipse  hineinzulegen,  und  dieser  Gebrauch  ist  auch  im  Spätlatein 
ganz  gewöhnlich.  Vgl.  Servius  zu  Verg.  Georg.  1,  39  Proserpiua 
ipsa  est,  quae  et  Luna.  Salv.  gub.  4,  11  ipsi  in  nobis  mores  sunt, 
qui  in  servolis  nostris.  Wenn  wir  dagegen  oft  finden  is  ipse, 
ilJe  ipse,  hie  ipse,  iste  ipse,  und  namentlich  die  Neutralformen 
id  ipsum  und  hoc  ipsum,  so  wird  man  die  ersten  Pronomina 
dieser  Verbindimgen  als  Ersatz  für  den  bestimmten  griechischen 
Artikel  betrachten  dürfen.  Vgl.  Ammian  16,  10,  16  is  ipse  .  .  . 
aiebat;  26,  3,  5  is  ipse  .  .  .  incubuit  maculae;  31,  16,  16  is  ipse  .  .  . 
narravit.  Das  auf  ipse  folgende  Relativum  qui,  welches  die  beiden 
citierten  Beispiele  aufweisen,  läuft  auch  auf  dasselbe  hinaus.  Zur 
Beweisführimg  werden,  wie  schon  im  dritten  Kapitel,  die  Über- 
setzungen aus  dem  Griechischen  herbeigezogen,  wobei  sich  Unter- 
schiede zwischen  der  Vulgata  des  Hieronymus  und  der  sogen. 
Itala  ergeben,  wie  schon  llönsch,  It.  und  Vulgata  S.  424,  bemerkt 
hat.      Die    Neutralform    id    ipsum   erweitert   sich    auch    zu    der 


362  Meader-Wölfflin: 

Präpositionalverbinduug  'in  id  ipsum*  =  exl  rö  avro.  Im  Authen- 
ticum  der  Novellen  lustinians  22 ,  11.  22,  29  wird  rov  avrov  und 
tccvrö  mit  hoc  ipso  und  hoc  ipsum  übersetzt.  Da  bei  Florus  auf 
die  Darstellung  des  Brennuskrieges  (1,  7  Bellum  Gallicum,  wobei 
der  Name  Brennus  nicht  genannt  wird)  ein  weiteres  Kapitel  Bella 
Gallica  (1,  8)  folgt ^  so  lautet  die  Ubergangsphrase:  ac  primum 
quidem  illam  ipsam  (schon  im  Vorhergehenden  besprochene) 
Gallicam  gentem  non  contentus  moenibus  expulisse  sie  persecutus 
est  etc.  Sogar  das  stereotype  imum  atque  idem  (ßv  xal  t6  ccvto) 
mufste  sich  die  Auflösung  gefallen  lassen,  da  Gellius  6  (7),  21,  2 
schrieb:  unum  atque  id  ipsum  in  utroque  verbo  ostenditur. 
Wenn  auch  dieser  Gebrauch  von  ipse  nicht  unbekannt  war  (vgl. 
Schmalz  in  Reisigs  Yorles.  III  Anm.  369:  manchmal  mulis  es  in 
der  späteren  Latinität  die  Stelle  von  idem  vertreten),  so  fehlte 
doch  bisher  eine  Übersicht  über  die  Ausdehnung  und  vor  allem 
ein  sicheres  Wissen  von  den  ersten  Anfangen.  Die  Neuenmg 
fällt  auch  hier  mit  den  Bahnbrechern  der  silbernen  Prosa  zu- 
sammen. Vgl.  Vell.  Pat.  2,  125,  4  his  ipsis  gladiis,  quibus.  Val. 
Max.  4,  5,  G  inter  ipsum  illud  tempus  quo,  woran  sich  Celsus  und 
der  Rhetor  Seneca  anschliefsen. 

Da  der  Gebrauch  so  häufig  ist,  so  lassen  sich  bestimmte 
Abarten  und  Unterarten  unterscheiden.  Einmal  lösen  sich  idem 
und  ipse  als  gleichwertig  ab,  so  schon  bei  Tertullian  spect.  21 
idem  .  .  .  ipse  . .  .  idem.  Amob.  4,  22  ex  Latona  et  eodem  (love) 
Delius  et  Diana;  ex  Leda  et  eodem  .  . .;  ex  Alcmena  et  eodem 
Hercules;  ex  Semela  atque  ipso  Liber  . .  .;  ex  ipso  rursus  et  Maia 
Mercurius.  Optatus  5,  1  eadem  fides,  ipsa  fidei  instrumenta,  eadem 
mysteria.  Hier  wäre  auch  Vopiscus  Firm.  3,  3  nachzutragen: 
idem  cum  Blemmyis  societatem  maximam  tenuit  .  .  .  ipse  qiioqtie 
dicitur  habuisse  duos  dentes  elephauti  pedum  denum;  id.  12 
(Proculus),  5  idem  fortissimus,  ipse  quoque  latrociniis  adsuetus: 
ein  Gebrauch,  welchen  andere  Scriptores  historiae  Augustae,  wie 
Spartian,  nicht  kennen.  Ausgeprägt  ist  er  dagegen  bei  Ammiau, 
bei  welchem  man  ipse  quoque  (vgl.  et  ipse)  mit  ^gleichfalls' 
übersetzen  mufs.  14,  1,  10  Thalassius  . .  .  ipse  quoque  adrogantis 
ingenii.  14,  11,  27  hoc  immaturo  interitu  ipse  quoque  sui  pertae- 
sus  excessit  e  vita.  16,  10,  13  reverenter  modum  ipse  quoque 
debituni  servans.  17,  10,  7  oravit  ipse  quoque  veniam.  18,  2,  1 
ni  ipsi  quoque  ad  ceteronim  stemerentur  exempla.  18,  5,  8. 
19,  12,  1  u.  8.  w. 


Zur  Geschichte  der  Prouomina  deinonstrativa.  III.        363 

Manchmal  tritt  auch  ipse  (idein)  in  Gegensatz  zu  alius  oder 
alter,  so  in  den  merkwürdigen  Stellen  bei  Ennodius  190,  a  (Vogel) 
aliter  de  eodem;  190,  b  aliter  de  ipso;  190,  c  aliter  de  ipso.  Der- 
S3lbe  Autor  schreibt  auch  carm.  2,  94 

alter  te  dominus,  sed  manet  ipse  labor. 
Ambros  Exam.  2,2,5    quid    sit   firmamentum,    utrum    ipsum    sit 
quod  in    superioribus  caelum  appellavit  an  aliud. 

Eine  Gruppe  für  sich  bilden  die  Zeitbestimmungen  sub  ipso 
(=  eodem)  tempore,  tempore  sub  ipso,  in  ipso  tempore,  ipso 
tempore,  ipsis  diebus  u.  ä.  bei  Commodian,  Alcimus,  Optatus, 
Victor  Vitensis,  lordanes,  (Silvia)  peregrin.,  Cassian.  Doch  finden 
sich  daneben  auch  in  ipso  loco,  in  ipso  itinere,  in  ipsa  ecclesia 
u.  ä.,  wenn  auch  seltener  und  weniger  formelhaft. 

Weiteres  Material  liefern  die  Übersetzimgen  aus  dem  Grie- 
chischen, welche  bereits  im  früheren  Abschnitte  genannt  sind. 
Pastor  Herm.  mand  10,  3,  3  ßSfiiyßeva  i%l  rb  ccvro  =  versio  Pa- 
latina  commixtum  in  id  ipsum  =  versio  vulg.  mixtum.  Id.  vis.  3, 1 , 2 
avrf}  XI]  wxrt  (man  beachte  die  Wortstellung)  =  vers.  Palat. 
ipsa  nocte  =  vers.  vulg.  eadem  nocte.  Evang.  Luc.  10,  21  ev  avxfi 
xfi  &Qa  =  Vulg.  i?i  ipsa  hora;  andere  Handschr.  eadem  oder  illa. 
Nov.  lustin.  22,  18  ax  xCjv  avxöv  aixLcbv^  ex  ipsis  causis;  22,  40 
xuig  avxatg  TCoCvaig  .  .  .  6:io(atSy  ipsis  poenis  .  .  .  quas.  Auch  die 
Lex  Romana  Visigothorum,  in  welcher  die  Institutionen  des  Gaius 
für  Spanien  umgearbeitet  sind,  trägt  die  Spuren  des  Spätlateins, 
Vgl.  Gaius  3,  151  in  eodem  consensu  perseverant;  lex  Rom.  Vis.  2,, 
9,  17  in  ipsoc. 

Während  die  bilinguen  Glossen  idem  richtig  mit  6  avrög 
erklären  (Götz  11  76,  14.  37S,  47),  wird  in  den  Glossen  des  cod. 
Vatic.  3321  saec.  VII  ideni  umgekehrt  mit  ipse  erklärt,  d.  h.  also: 
für  altes  idem  sagt  man  heutzutage  ipse. 

Über  die  örtliche  Verbreitung  des  Gebrauches  läl'st  sich  sagen^ 
dafs  die  afrikanischen  Autoren  einen  starken  Anteil  daran  haben; 
doch  fällt  auf,  dafs  man  ihn  nicht  bei  Apuleius  gefunden  hat. 
Wahrscheinlich  taucht  er  zuerst  bei  TertuUian  auf,  in  der  Schrift 
De  pudicitia  (um  220  nach  Chr.),  eventuell  schon  203  nach  Chr. 
(De  resurr,  camis).  Minucius  Felix,  welcher  hier  ebenfalls  in 
Frage  kommt,  hat  an  einer  Stelle  ipse  =  item  gebraucht,  1,  4: 
sie  solus  in  amoribus  conscius,  ipse  socius  in  erroribus,  nämlich 
des  Verfassers  Jugendfreund  Octavius.    (Anders  übersetzt  Dombart.) 

So    deutlich    der   Gebrauch    ipse  =  idem   ausgeprägt   ist,   so 


3G4 


Meader-Wölfflin: 


schwierig  ist  es,  andere  Bedeutungen  desselben  Pronomens  sicher 
festzustellen.  Man  hat  ipse  das  Kontrastpronomen  genannt,  weil 
es  bedeute:  er,  und  kein  anderer.  Dafs  diese  Bedeutung  im  sil- 
bernen Latein  an  Schärfe  und  Kraft  verloren  haben  wird,  läfst 
sicli  schon  vermutungsweise  voraussetzen.  So  bemerkt  denn 
Dräger  bist.  Synt.  P  81,  bei  Curtius  bezeichne  es  manchmal  blofs 
das  Subjekt,  ohne  dasselbe  hervorzuheben.  Man  vergleiche  etwa 
4,  3,  12:  tris  (naves)  ante  ipsa  moenia  opposuerunt  (Tyrii),  quibus 
rex  invectus  ipsas  demersit.  Auch  Rönsch  hat  in  den  Collect, 
philol.  180  die  Gleichung  aufgestellt:  ipse  =  is,  ille,  hat  dies  aber 
in  Vollmöllers  romanischen  Forschimgen  11  287  nicht  festgehalten, 
sondern  die  Stellen  anders  interpretiert.  Doch  Greef  stellte  sich 
in  Lexicon  Taciteum  wieder  auf  die  Seite  von  Dräger,  indem  er 
eine  Anzahl  von  Stellen  unter  der  Rubrik  Vi  quadam  (also  un- 
definierbar!) imminuta'  vereinigt.  So  wird  man  die  Thatsache 
der  Abschwächimg  kaum  bestreiten  dürfen,  wenn  es  auch  jedem 
Intefrpreten  leicht  sein  wird,  einen  gewissen  Nachdruck  in  das 
Wort  hineinzupressen.  Unter  solchen  Umständen  mufs  es  uns 
doppelt  erwünscht  sein,  lateinische  Übersetzungen  mit  griechischen 
Originalen  zusammenzuhalten,  am  bequemsten  den  Pastor  Hermae 
und  das  Neue  Testament. 


Palatina 

Vulgata 

Vis.  3, 2, 2  ii€T  airöv 

cum  ipsis 

cum  eis 

Vis.  3,  7,  6   ixl  ri\v 

in  corde  eorum 

in  cor  ipsorum 

xccQÖiav  avT(bv 

* 

Mand.  3, 1  TtuQ  avta 

apud  eum 

in  ipso 

Mand.  6, 2, 4  octco  töv 

a  factis  ipsis 

ab  operibus  eins 

€Qy(DV  uvtov 

Mand.  10, 1,  oivrcclg 

in  actibus  ipsorum 

in  negotiis   ipsorum 

TCQccy^atsCutg    av- 

(Var.  eorum) 

T(bV 

S im.  8,  9,  4  ersQOt.  i^ 

aliqui  ex  ipsis 

alii  ex  his  ( —  iis?) 

avtcjv 

Vulgata 

Ante  Hieron. 

Ev.  Matth.  23,  21  iv 

in  ipso 

in  eo 

ra  xaroixovvn  av- 

Tor 

23,  22  i:ic(V(o  avxov 

super  eum 

super  ipsum 

Zur  Geschichte  der  Pronomina  demonstrativa.  III.       365 

Vulgata  Ante  Hieron. 

11,22  avTcjvövöTQS-  conversantibus       eis      ipsis 

q)0[uvc3v  (Var.  illis) 

17,2  €(i:tQO(S^ev  ccv'  ante    eos    (in    con       coram  ipsis 

Töi/  speetu  eorum) 

Ev.  loh.  6,  50  i^  av-  ex  ipso  (eo)                    ex  eo  (illo). 

rov 

Das  fünfte  Kapitel  zeigt,  wie  zur  Wiedergabe  des  bestimmten 
Artikels    der    Griechen    is,    hie,    iste,    ille,    ipse,    idem    verwendet 

m 

worden  sind,  ein  seltener  Fall  starker  Konkurrenz.  Als  Sieger 
ist  in  den  romanischen  Sprachen  ille  aus  dem  Kampfe  hervor- 
gegangen.    Doch  davon  im  nächsten  Hefte. 

München.  Ed.  Wölfl'liii. 


Zar  lateinisehen  Wortbildnn^. 

Fortsetzung.     (Vgl.  Arch.  XII,  p.  13*2.) 

3.  Opter  =  propter  C.  gl.  Lat.  IV  265,  15.  Eine  Bildung  von  ol) 
nach  Analogie  von  prope  propter.  Wir  haben  nun  auch  keinen  Grund, 
opter  quod  C.  I.  L.  VI  14672  mit  dem  Herausgeber  in  propter  quod 
lunzuändem. 

4.  Albams  X€va6g  C.  gl.  Lat.  III  264,  33  verhält  sich  seiner 
Form  nach  zu  albus  wie  osk.  casnar  zu  cänus  urspr.  casnus  und  der 
Bedeutung  nach  wie  nigellus  zu  niger.  Somit  haben  wir  auch  in 
einem  lat.  Appellati vum  dieses  Suffix  ar,  das  bei  Eigennamen  doch 
sich  häufiger  fimdet.  Vgl.  Caesar  neben  Kaeso,  Firmanis  (Bramb. 
n.  233)  neben  Firmus,  Flufsname  Aesar  neben  Personennamen  Aesius 
C.  I.  L.  X  3512,  Longarenus  (Hör.  sat.  1,  2,  64)  neben  Longenius  (z.B. 
C.  I.  L.  VI  21500). 

5.  Q.  Clodius  Q.  1.  Stolus  C.  I.  L.  VI  4925,  Sfolus  lib(ertus) 
€.  I.  L.  VI  43.  Es  gab  also  ein  Adjektivum  stolus.  Stolus  :  Stolo 
=  Catus  :  Cato;  stolus  :  stolidus  =  albus  :  albidus,  und  stolus  :  stultus 
(vgl.  ,9^o/^>inalus  C.  gl.  Lat.  IV  176,  10)  =  Sancus  :  sanctus. 

6.  Indolis  minovog  C.  gl.  Lat.  IT  80,  54;  indoles  Inlnovoi  ibid. 
II  81,  3.  Dadurch  wird  zur  Evidenz  bewiesen,  dal's  auch  sedulus  von 
dolus  herzuleiten  ist,  wie  ja  freilich  auch  vorher  schon  angenommen 
wurde.     Indolis  gebildet  wie  inanimis  und  sedulus  wie  securus. 

7.  Comniorani  =  cöram  (co-öram)  C.  gl.  Lat.  V  14,  30  und  56, 12. 
Vgl.  com-itari  neben  co-ire.  Wenn  contra  :  com  sich  verhält  wie 
eis  :  citra  —  die  urspr.  gleiche  Bedeutung  ersieht  man  noch  daraus, 
dafs  neben  pugnare  cum  pugnare  contra  möglich  war  — ,  dann  war 
com  ^it  contra  wohl  auch  in  der  Bedeutung  „nach  einem  Punkte 
hin"  gebräuchlich  (natürlich  dann  mit  dem  Akkusativ),  und  dann  konnti' 
coöram  (os  :  ora  =  opus  :  opera)  bedeuten  „ins  Gesicht  hinein".  Be- 
Archiv für  lat.  Lexikogr.   XII.   Heft  3.  25 


366  Miscellen:  A.  Zimmermann  —  Ed.  Wölfflin. 

weisend  hierfür  sind  besonders  Stellen  wie  Ter.  Ad.  2,4,5  vereor 
cor  am  In  ns  te  laudare,  wo  in  os  nur  eine  Wiedergabe  des  in  coram 
liegenden  Gedankens  ist. 

8.  Tellor  =  homo  C.  gl.  Lat.  II  595,  16.  Wenn  tellus  cf.  Pon- 
tica  tellus  Ovid  ex  Ponto  4,  9,  15  auch  das  Volk,  die  Menschen  be- 
zeichnete, dann  konnte  vielleicht  auch  der  einzelne  Mensch  in  masku- 
liner Form  als  tellor  bezeichnet  werden,  vgl.  decor  neben  decus; 
ähnlich  ist  auch  in  pecus  (pecoris)  die  Einzelbedeutung  aus  der  Kol- 
lektivbedeutung erwachsen.  Vgl.  noch  zu  tellor  die  männliche  Gott- 
heit der  Erde  bei  Mart.  Cap.  1  §  44  Tellurus.  Tellor  :  tellus  =  homo 
:  humus. 

9.  Neoessis.  Als  Substantiv  von  Lachmann  schon  eingesetzt 
Lucr.  VI  815  und  zwar  mit  Beziehung  auf  Donatus  zu  Ter.  Eim.  V 
997.  Ich  habe  mit  Berufung  auf  das  Substantiv-Adverb  cessim  ne- 
cessis  als  das  Verbalsubstantiv  von  cedere  (vgl.  raessis)  in  Verbin- 
dung mit  ne  bezeichnet,  im  Progr.  Mar.-Gvmn.  Posen  1891.  Vgl. 
Archiv  Xn  197  ff. 

Breslau.  A.  Zimmermann. 

A^nellus,  agellus. 

Auf  S.  306  oben  ist  darauf  hingewiesen,  dafs  agnellus  schwer- 
lich von  agnulus  w^eitergebildet  sein  kann,  weil  dieses  äufserst  selten, 
jenes  häufig  und  schon  plautinisch  ist.  Es  bleibt  noch  nachzutragen, 
dafs  nach  der  Analogie  von  tignum  Tigellius,  signum  sigillum  (S.  302) 
die  Deminutivbildung  ag(e)n-lus  =  agellus  ergeben  hätte,  welches  mit 
ag(^e)r-lus  =  agellus  zusanmienfiel  und  darum  nicht  gebraucht  werden 
konnte. 

München.  Ed.  Wölfflin. 

SalHamentarins. 

Was  man  bekanntlich  in  vielen  älteren  Büchern  liest,  Hoi*az  sei 
der  Sohn  eines  Salzhändlers  gewesen,  geht  auf  die  Suetonvitu  zurück: 
patre,  ut  creditum  est,  salsamentario.  Aber  der  Salzhandel  allein  kann 
doch  kaum  ein  Gewerbe  gewesen  sein,  und  ganz  gewnfs  ist  salsamen- 
tum  nicht  mit  Salz  identisch,  sondern  bezeichnet,  ähnlich  wie  pulpa- 
mentum,  etwas  mit  Salz  Bereitetes.  So  hat  man  denn  an  Salzfische 
gedacht.  Die  Donatscholien  zu  Ter.  Ad.  380  erklären:  salsamenta  aut 
salsi  pisces  sunt  aut  laridum;  die  von  Schlee  herausgegebenen  Scho- 
lien:  salsamenta]  cames  sale  conditas.  Gloss.  Plac.  79,  24  D.  salsa- 
menta omnes  res  salsae.  Die  Richtigkeit  dieser  Deutung  haben  mir 
meine  Wanderungen  nach  dem  Süden  bestätigt:  denn  schon  in  Lugano 
fand  ich  eine  Salsa mentaria,  d.  h.  einen  Laden,  in  welchem  Schinken, 
Würste  u.  ä.  zu  haben  waren.  Darum  braucht  freilich  die  Vorliebe 
des  DichtiTs  für  laridum  nicht  aus  dem  elterlichen  Hause  hergeleitet 
zu  werden,  da  die  nieiston  Römer  diesen  Geschmack  mit  Horaz  teilten. 

München:  Ed.  Wölfflin. 


Die  Bildungen  avif  -eiius. 

Lateinische  Wörter  auf  -cnus  sind  in  letzter  Zeit  mehrfach 
Gegenstand  lebhafter  Erörterung  gewesen.  Namentlich  um  ah'enus 
hat  sich  die  Diskussion  gedreht.  Skutsch  Suff,  -no-  13  ff.,  VoUm. 
Roman.  Jahresber.  V  60,  Arch.  XII  201  ff.  erklärt  alientis  aus 
*alümis  mit  Übergang  von  ü  zu  /e,  Brugmann  Ber.  d.  Sachs. 
Ges.  d.  Wiss.  lüOO,  407  ff.  bestreitet  diesen  Lautwandel  und  führt 
alienus  auf  ^alieitios  zurück,  wo  ei  wegen  .  des  vorausgehenden  i 
zu  e  statt  wie  sonst  zu  f  geworden  sei.  Auch  Verf.  hat  sich 
Osk.-Ümbr.  Gramm.  II  34  f  skeptisch  gegenüber  Skutsch  verhalten 
und  verharrt  noch  heute  bei  seinem  Zweifel.  Diesen  näher  zu 
begründen,  sei  eine  kurze  Besprechung  der  Bildungen  auf  -enus 
gestattet. 

Zunächst  sind  diejenigen  Wörter  auszuscheiden,  wo  -cnus  für 
-esnos  steht:  aemis,  venenmn,  verhetui,  wahrscheinlich  auch  sacena, 
caiena,  (avena?),  seremis.  Diesen  reiht  sich  vielleicht  tolleno 
'Hebebalken,  Schwungbalken'  an,  indem  ^tol-es-no-  mit  tol-er-o 
verglichen  werden  könnte  (11  von  tollo  bezogen).  Zweifelhaft  ist 
egeniiS  trotz  eges-tas,  da  letzteres  vielleicht  mit  potestas  vom  I^ar- 
ticip  ausgeht  (über  das  Lautliche  Verf.  a.  a.  0.  II  70,  Anm.).  Also 
eher  ege-fius  mit  dem  primären  (participialen)  -no-  von  plenus  etc.? 
So  femer  habe-mi,  von  habe-  in  der  Bedeutung  'halten'  (vgl.  /re- 
num  von  W.  dher  dhrc  'halten').  Wegen  des  e  in  zweisilbigem 
Stamm  vgl.  man  acutum,  oletum,  Moneta  u.  dgl.  Zu  einer  dieser 
beiden  Kategorien  gehört  jedenfalls  auch  (h)arena\  die  Beziehung 
zu  areo  ist,  wie  sabin.  fasena  zeigt,  blofs  volksetymologisch. 

Nun  kommen  wir  zu  alienus  und  Genossen.  Beim  lat.  Suffix 
-inus  sind  drei  Möglichkeiten  zu  unterscheiden:  entweder  es  ist 
überall  =  urit.  -1)10-,  oder  es  steht  teils  für  -Ino-,  teils  für  -eino- 
(eventuell  auch  -aino,  -o/«ö-),  oder  es  ist  überall  =  -eino-.  heiz- 
teres  scheint  die  Ansicht  von  Meyer -Lübke  MisceUanee  Ascoli 
417  zu  sein.     Meyer-Lübke  geht  vom  Keltischen  aus,  wo  er  mit 

25* 


368  Robert  Planta: 

Recht  die  Fomi  -e)io-  aus  -eino-  statuiert.*)  Nun  steht  allerdings 
nach  allgemeiner  Annahme  das  Keltische  in  besonders  naher 
Beziehung  zum  Lateinischen,  aber  ungleich  näher  verwandt  sind 
doch  die  italischen  Dialekte.  Diese  bieten  fast  durchweg  'Ino-, 
also  war  diese  Form  zweifellos  auch  im  Lateinischen  vorhanden. 

Die  erste  der  drei  genannten  Möglichkeiten  vertritt  Skutseh. 
Ich  stimme  Skutseh  darin  bei,  dafs  dlienus  und  Iwiietm  das  lat. 
Suffix  -inus  enthalten,  kann  aber  nicht  finden,  dafs  dadurch  laut- 
licher Übergang  von  il  zu  ie  erwiesen  und  das  Vorhandensein 
der  Suffixform  urit.  -eim-  widerlegt  sei.  Skutseh  legt  oben  S.  204 
besonderes  Gewicht  auf  sein  drittes  Beispiel  für  il  zu  ?e,  die 
Eigennamen  auf  'imtiSy  aber  gerade  hier  ist  seine  Position  recht 
schwach.  Die  lat.  Inschriften  des  oskisch-sabellischen  Sprach- 
gebietes bieten  neben  den  Gentilicia  auf  -ienus  ungefähr  gleich 
häufig  solche  auf  -enns.  Diese  einfach  beiseite  zu  schieben, 
geht  nicht  an.  Auch  der  Notbehelf,  sie  als  Neubildungen  für 
-Inns  nach  den  Formen  auf  -ienus  zu  erklären,  ist  schwerlich  zu- 
lässig; eher  noch  liefse  sich  das  umgekehrte  verteidigen:  wenn 
man  z.  B.  VariuSj  Vnrenus  und  Varienus  neben  einander  hat,  aber 
m.  W.  keinen  Varinus  (jedenfalls  nicht  auf  dem  genannten  Sprach- 
gebiet), so  sieht  doch  viel  eher  Varienus  nach  einer  Kontamina- 
tionsbildung von  Varins  und  Varenns  aus.  Aufserdem  aber 
dürfen  die  Personennamen  auf  -emiH  nicht  von  den  Ortsnamen 
auf  -enns,  -emini,  -ena  getrennt  werden.  Die  lat.  Nomina  genti- 
licia endigen  bekanntlich  durchweg  auf  -ins  aufser  denjenigen  auf 
'änus,  -Imis  und  -enns  (und  einigen  spezielleren  Fällen,  s.  Hübner 
in  Iw.  Müllers  Handb.  P  &u).  Genau  wie  die  Ortsnamen  auf 
'äwtm,  -Inum  neben  den  Gentilicia  auf  -änus,  -Inus,  stehen  die 
Ortsnamen  auf  -enunt  neben  den  Gentilicia  auf  -enus.  Dieser 
Parallelismus  darf  nicht  ignoriert  werden. 

Sehen  wir  uns  nun  einige  der  Namen  etwas  näher  an.  Da 
haben  wir  u.  a.  einen  Bach  Fibrenns  im  Volskischen.  Dafs  dies 
filtrlnus  der  Biber-Bach  sei,  ist  angesichts  der  Häufigkeit  der  Be- 
nennung von  Bächen  und  an  Bächen  gelegenen  Ortlichkeiten  nach 
diesem  Tier  keinen  Augenblick  zu  bezweifeln.  Andere  Ortsnamen 
auf  -mus,  deren  Besprechung  hier   zu  weit  fiihren  würde,  findet 

*i  Für  afranz.  bcsaine  obwald.  hazeina  'Bienenkorb'  möchte  ich  jedoch 
nicht  ein  kelt.  Wort  *hcsena  eigens  konstruieren,  sondern  8ehe  darin  ober- 
deutsches hi-ze'uia  'Bienen -Korb'.  Die  »/-lose  Form  ahd.  6m,  mhd.  bk  ist 
noch  jetzt  im  Schweizerdeutschen  verbreitet,  elienso  das  Wort  zcine  ==  Korb. 


Die  Bildungen  auf  -enuH.  369 

man  in  meiner  Gramm.  II  35.  Ich  erwähne  noch  Auflnum  im 
Vestinischen,  weil  der  Name  jetzt  Ofena  lautet,  worin  sehr  wohl 
der  echtere  Vokal  erhalten  sein  kann.  Vermutlich  ist  der  Name 
identisch  mit  Aufidena  (in  Samnium),  wie  auch  der  Personen- 
name Aufiiis  =  AufdiuSy  Aufidins  sein  mag  (Assimilation  wie  in 
osk.  iossa  aus  ^iosdum,  eJckiim  aus  *ekdum  Verf.  a.  a.  0. 1  418  f., 
II  465  f.).  Dafs  Aufulenus  auch  als  Gentilicium  vorkommt  (zwei- 
mal im  C.  I.  L.  IX),  führt  uns  zu  den  Personennamen  auf  -enn$, 
Skutsch  oben  S.  202  Anm.  filhrt  einen  an:  Ferrenus  CLL. IX 
f)16  und  597,  in  der  Absicht,  dadurch  seine  Erklärung  von  ter- 
renus  als  Neubildung  nach  cmius  zu  stützen.  Es  wäre  also  nach 
aemts  ein  Adj.  *  ferrenus  gebildet  worden,  und  obiger  Ferrenus 
wäre  Mer  Eiserne'.  Das  möchte  allenfalls  hingehen  bei  einem 
Cognomen  Ferrams  (obgleich  ich  im  C.I.  L.  I,  IX,  X  kein  Cogn. 
Äenus  od.  ä.  finde),  das  Gentilicium  aber  darf  keinesfalls  aus 
dem  Zusammenhang  mit  den  übrigen  Gentilicia  auf  -enns  gerissen 
werden.  Das  rr  in  Feyirenus  steht  wohl  für  r  durch  Anlehnung 
an  fhrum  wie  auch  Ferroniiis  für  Feronim  vorkommt  (vgl.  auch 
Ferennhis  C.  L  L.  IX  105S). 

Wir  nennen  nun  einige  etymologisch  durchsichtige  Genti- 
licia auf  -enus,  Alfenus  :  alhusj  Rufrenus  :  ruber,  Canenus  :  canus, 
Caesenus :  cacsius  'grauäugig'  (^caesus  ohne  /  ist  auch  voraus- 
gesetzt durch  dneso,  Caesonius,  Caesidlns),  Vareniis  :  varuSf  Septi- 
wenns,  Lupenns.  Diese  Namen  sind  allerdings  nicht  direkt  von 
den  Grundwörtern  als  solchen  abzuleiten.  Bekanntlich  sind  ja 
die  lat.  Gentilicia  mit  wenigen  Ausnahmen  Adjektivbildimgen 
(Patronymika)  zu  alten  Individual-  oder  Übernamen  (die  letzteren 
waren  in  ähnlicher  Art  als  Cognomina  auch  nach  Einführung  des 
Dreinamen-Systems  noch  üblich).  Wir  müssen  also  Buf'renus  von 
einem  Rufer,  Lupenus  von  einem  Lupus j  Torcnus  von  einem  Tau- 
rus  U.S.W,  ableiten.*)  Die  Adjektivfunktion  dieses  -enus  ist  also 
ähnlich  derjenigen  in  Fibrenus,  fibr'mus,  auch  hier  findet  sich  ver- 
einzelt 'Inus  nebeji  -onus,  z.  B.  Vettinus  neben  Vetfenus.  Meistens 
jedoch  steht  in  diesen  Fällen  die  erweiterte  Form  -Inius  neben 
-enus  (und  -Inius).  Dies  erklärt  sich  wohl  daraus,  dafs  es  viele 
(Jognomina  auf  -inus  (aber  wenige  auf  -enus)   gab,   sodafs   dem 

*)  Ißt  etwa  das  gauz  abnorme  Gentilicium  Verres  (Hübncr  a.  a.  0.  GG7 
mit  Anm.)  dadurch  entstanden,  dafs  Verrenus  in  osk.-sabell.  Form  Verre(u)8 
vom  Cogn.  Verres  und  SubHt.  verres  attrahiert  wurde?  Noch  unerklärt  sind 
die  merkwürdigen  römischen  liamnes,  Tities  und  Luccres  {'insis  oder  -enus?). 


370  Robert  Planta: 

Gentil.  zur  Unterscheidung  vom  Cogn.  -ins  angefügt  wurde,  z.  B. 
Gentil.  Rufrerms  und  Bufrinius,  Cogn.  Rufrimis.  Die  Form  auf 
-mus  war  eben  die  erstarrende,  daher  im  Gentil.,  das  selbst  ein 
erstarrtes  Adjektivum  ist,  häufig,  während  auf  dem  Gebiete  der 
lebendigeren  Namengebung,  des  Cognomens,  die  lebendige  Suffix- 
form 'Inus  verwendet  wurde.*)  Schon  hier  sei  bemerkt,  dafs 
einer  Erklärung  dieses  -enus  aus  urit.  -einos  lautlich  (wie  schon 
Gramm.  11  35  erwähnt)  nichts  im  Wege  stände,  da  e  statt  f  aus 
ei  einfach  die  Form  des  ländlichen  oder  Italiker-Lateins  wäre  wie 
p,  h,  f  in  popina,  hos,  rnfus  u.  dgl. 

Nun  gehen  wir  zu  dem  anfangs  noch  beiseite  gelassenen 
Kest  von  Substantiven  und  Adjektiven  über.  Von  Substantiven 
erwähnen  wir  zuerst  snrena  'eine  Art  von  Muscheltierchen'.  Varro 
1.  1.  V  77  sagt  ausdrücklich,  dafs  das  Wort  echt  einheimisch  und 
dafs  die  Muschel  nach  der  äufseren  Ähnlichkeit  benannt  sei,  also 
oflfenbar  von  siira  (oder  siirus).  Dafs  die  Form  der  ländlichen 
Sprache  entstamme,  ist  leicht  möglich;  man  ist  sogar  versucht, 
darin  einen  Vorläufer  des  romanischen,  aus  dem  Begriff  der  Ähn- 
lichkeit entwickelten  Deminutiv- Gebrauches  von  -Inus  zu  sehen, 
denn  'Wädchen'  (oder  'Pflöckchen')  würde  recht  gut  passen.**) 
So  findet  sich  colnmhinl  'Täubchen'  Martial  13,66  (in  der  Über- 
schrift)***) und  Edict.  Diocl.  4,  29,  aufserdem  gehört  vielleicht 
hierher  pedicini  Cato  r.  r.  18,  4  und  iomacinae  Varro  r.  r.  II  4,  10 
als  Parallelform  zu  iomac-uhün  (Keil  liest  jedoch  comatinae). 
Paucker  Spicilegium  204  erwähnt  (femininus  aus  den  Not.  Tir.  Man 
beachte  auch  Cogn.  Rusficinus  als  jüngeren  Bruder  eines  Rustieus 
etc.,  Pott  Personn.  201,  Schwabe  De  Deminutivis  57.  Femer 
Verrintis  im  Wortspiel  mit  Porcellns  im  Testam.  Porcelli?     Bei 


*)  Bei  don  Namen  auf  -iin'ns  osk.  -inis  ist  übrigens  oft  die  Quantität 
zweifelhaft,  wie  ich  Gramm.  TI  34  bemerkt  habe.  Skutsch  wendet  ein,  i 
werde  „erst  dann  glaublich  sein,  wenn  lat.  Namen  auf  -huis  nachgewiesen'' 
seien.  Dabei  sind  die  lateinischen  Namen  mit  sicherem  t  übersehen ,  wie 
FIdtfnuius,  Asinius,  Licinins,  Geminius,  Stertinius,  Terminius,  CotHtnius. 
Wie  Flami)nus  von  flamen  kommt,  so  glaube  ich,  dafs  noch  mehrfach  bei 
-inius  w-Stämnie  zu  Grunde  liegen,  auch  wo  -önius  daneben  liegt.  Die 
b'orm  -hiius  wäre  ein  Rest  der  alten,  sonst  zu  Gunsten  von  -öw-  ausge- 
glichenen Stammabstufung  (vgl.  Gramm.  II  63  über  Xaseiniius  :  Ktrsonius 
etc.  und  II  00  über  osk.   'Tintiriis :  Tintttrius  etc.). 

**)  Auch  das  Altirische  verwendet  das  Suffix  -eno-  =  -eino-  deminutiv 
(Zouss-Ebel  274). 

***)  Neuere  Ausga})en  schreiben  wohl  mit  Unrecht  columhae. 


Die  Bildungen  auf  -enus.  371 

dem  von  Paucker  a.  a.  0.  erwähnten  mollicinus  ist  jedenfalls  Volks- 
etymologie im  Spiel.  Die  Form  -enus  erscheint  wieder  in  pulli' 
cenus  bei  Lampridius,  das  von  Skutsch  Suff,  -no-  18  Anm.  mit 
Unrecht  angezweifelt  wird  (rätorom.  pulschain).  Das  im  Nord- 
italienischen vorliegende  *miculena  'Brosamen'  (Meyer-Lübke  II 
492)  mag  wenigstens  erwähnt  sein.  In  crumina  crumenn  'Geld- 
säckchen'  die  Deminutivform  zu  sehen,  wäre  freilich  trotz  der 
Bedeutung  gewagt,  da  das  Wort  etymologisch  unklar  ist.  Die 
Form  crnmena  aber  ganz  zu  verwerfen  (Skutsch  a.  a.  0.,  Solmsen 
K.  Z.  34,  14),  braucht  man  sich  vielleicht  doch  nicht  zu  ent- 
schliefsen,  wenn  sie  einfach  als  rustikane  Nebenform  betrachtet 
werden  kann. 

Cantilena  von  cantuhis  erinnert  seiner  Bildung  nach  an  Cati- 
lina,  THtilina  (wegen  -//-  vgl.  auch  inquilinus).  Die  Annahme, 
das  e  sei  rustik-vul^r,  liefse  sich  dadurch  stützen,  dafs  das  Wort 
in  älterer  Zeit  verächtlichen  Sinn  hatte,  etwa  'abgedroschene 
Leier,  gemeiner  Singsang'.  Deminutiv-  und  Pejorativ-Bedeutung 
stehen  sich  bekanntlich  sehr  nahe  (vgl.  auch  pdrietivae  'alte  zer- 
fallende Mauern'?).  Postilena  bei  Plaut,  nebst  antilena  (Vorder- 
und  Hinterriemen  am  Geschirr)  könnten  direkte  Ableitungen  von 
2)0stid,  antid  (vgl.  posiid-ea,  antid-eOj  anfid-hac)  sein,  wie  sup- 
'Inus  von  *siipj  suh.  Die  dreifache  Dentalkonsonanz  f-d-n  kann 
den  Übergang  zu  /  begünstigt  haben.  Ital.  posoUno  zeigt  die 
/-Form,  aber  das  wird  sekundäre  Suffixvertauschung  sein. 

Der  Vollständigkeit  wegen  erwähne  ich  noch  das  etymologisch 
dunkle  Caniena,  Am  nächsten  liegt  der  Vergleich  mit  camiUus 
'vornehmer  Knabe'  (=  camln-hisY),  doch  beachte  man  auch  den 
alten  König  Cameses.     Aus  dem  Griechischen  stammt  gaJena. 

Eine  andere  Entwickelung  der  Ahnlichkeitsbedeutung  ist  die 
im  Deutschen*  durch  -lieh  ausgedrückte,  wie  in  gelblich,  säuerlich 
etc.  Im  Spanischen  haben  wir  hier  -eno  in  moreiw.  Vielleicht 
könnte  man  einen  Vorläufer  in  helveiv-nms  'gelblich'  sehen.  'Säuer- 
lich' haben  wir  in  ital.  amarena  'Sauerkirsche'.  Sollte  etwa  das 
volsk.  Flüfschen  AmasmiHs  von  einem  säuerlichen  Beigeschmack 
des  Wassers  den  Namen  haben?    (Sehr  unsicher.) 

Überblicken  wir  nun  das  vorgebrachte  Material,  so  scheint 
uns  bei  dem  offenbaren  Parallel isnius  der  Funktion  die  Annahme 
sehr  wohl  verfechtbar,  dafs  -enus  =  urit.  -e'inos,  Nebenform  zu 
urit.  'inos,  sei.  Im  Arischen  und  Littauischen  ist  das  Nebenein- 
ander beider  Formen  noch  klar  vorhanden,  und  dafs  es  einst  auch 


372  Robert  Planta:    Die  Bildungen  auf  -enus. 

im  Germanischen  und  Slavischen  bestand^  ist  sehr  wohl  möglich 
(die  beiden  Formen  mnfsten  urgerman.  und  urslav.  zusammen- 
fallen). In  „italokeltischer  Zeit"  hätten  die  beiden  Formen  eben- 
falls neben  einander  gestanden^  das  Kelt.  hätte  -eino -  bevorzugt  (ein 
Rest  von  -hio-  wäre  Tiäntis),  das  Italische  hingegen  -luo-,  doch  so, 
dafs  noch  zahlreiche  Spuren  des  absterbenden  -ei)W-  vorhanden 
wären.  Im  Stadtlateinischeu  mufsten  beide  Formen  lautgesetzlich 
zusammenfallen.  Die  Möglichkeit,  dafs  aliemis,  laniena  ic  aus  iei 
enthalten,  bleibt  also  durchaus  bestehen.  Anunus  von  Anio  scheint 
ein  ähnliches  Problem  aufzugeben  wie  Virglnius  von  virf^o  (vgl. 
IlaQd^iviog).  Aus  ^Virgin-lnius'^  Dann  wäre  Anienu,i  =*An^en' 
enus  und  das  Adjektiv  hätte  sein  e  auf  Genetiv  Anienis  etc.  über- 
tragen. Bei  Nerien-  kommen  beide  Messungen  des  e  vor  (s.  For- 
cell.  Onomast.  s.  v.)  Liefse  sich  die  Konfusion  etwa  auch  daraus 
erklären,  dafs  der  vulgärlateinische  Tonwechsel  von  ixtrietemy 
-iolus  etc.  im  Sabinischen  schon  frühzeitig  eingetreten  wäre?  An 
die  idg.  Ablautsstufe  -mi-  zu  glauben,  kann  ich  mich  nicht  ent- 
schliefseu. 

In  Norditalien  scheinen  die  noch  etwa  übrig  gebliebenen 
-eno'  des  Italiker- Lateins*)  einigen  Zuzug  erhalten  zu  haben 
durch  das  kelt.  -eno-.  So  trat  hier  ^medienus  neben  media- 
uns:  lombard.  mezzcna,  engad.  masein  ^Speck8eite'  (Meyer -Lübke 
Mise.  Asc.  415  Anm.),  woneben  auch  der  Ortsname  Masein  =  Mitte 
vorkommt.  Namentlich  in  Ortsnamen  hat  -eno-  an  Stelle  von  -7wo- 
in  diesen  Gegenden  eine  gewaltige  Ausdehnung  gewonnen,  bis 
hinein  in  die  Flurnamen  wie  rätorom.  Lavrain  hporenu  Hasen- 
feld, Pudrain  petrenu  Steinwiese,  Novain  novenn  Neufeld  und  zahl- 
lose andere. 

Zum  Schlufs  erübrigt  uns  noch  ein  Wort  über  terrenus. 
Skutschs  Deutung  als  Neubildung  nach  avmis  könnte  uns  gut 
l>a8sen,  da  die  Erklärung  als  rustikane  Form  hier  wenig  für  sich 
hat.  Jedoch  ziehen  wir  vor,  das  Urteil  über  dieses  Wort  noch 
aufzuschieben. 


*)  t'ber  Italiker-Latein  und  Romanisch  vergleiche  man  das  Buch  von 
Mohl,  La  Chronologie  du  Latin  vulgaire. 

Zürich.  Robert  Planta. 


Moderne  Lexikographie.  *) 

Es  giebt  zweierlei  Arten  von  Wörterbüchern,  je  nachdem 
dieselben  rein  praktische  oder  wissenschaftliche  Zwecke  verfolgen. 
Die  ersteren  stellen  gewöhnlich  zwei  Sprachen  sich  gegenüber 
und  sollen  uns  anleiten,  welche  Wörter  der  beiderseitigen  Spracjh- 
gebiete  sich  decken  oder  entsprechen,  beziehungsweise  wie  man 
ein  Wort  in  eine  andere  Sprache  zu  übersetzen  habe.  Die  andern 
ruhen  nicht  auf  bilinguer  Grundlage,  sondern  sie  wollen  die  Ge- 
schichte eines  Wortes  innerhalb  der  Einzelsprache,  die  Ent- 
wicklung der  Fonn  wie  der  Bedeutung,  uns  vorführen.  Zu  den 
letzteren  gehört  der  Thesaurus  linguae  latinae. 

Wie  überall,  spielen  auch  in  der  Lexikographie  die  Begriffe 
Zeit  und  Raum  eine  Hauptrolle.  Auf  das  quis?  imd  quid? 
folgt  das  quando?  und  das  ubi?,  denn  ohne  beide  giebt  es  keine 
wissenschaftliche  Erkenntnis.  Die  Bedeutung  des  ersten  Faktors 
wird  indessen  immer  durch  die  praktischen  Interessen  zurück- 
gedrängt. Wer  das  Lateinische  erst  erlernen  will,  wird  zuerst 
von  der  mustergültigen  Litteratur  ausgehen,  darnach  fragen,  was 
ein  Wort  bei  Cicero  bedeutet,  und  erst  in  zweiter  Linie  wissen 
wollen,  wie  es  im  älteren  und  ältesten  Latein  gelautet,  und  was 
es  im  Spätlatein  bezeichnet  hat.  Da  nun  ein  Handwörterbuch, 
wie  das  vorzügliche  von  Georges,  ebensogut  für  Schüler  wie  für 
Lehrer  bestimmt  ist,  so  darf  man  sich  nicht  darüber  wimdem^ 
wenn  die  historische  Betrachtung  entweder  unvollständig  oder  in 
der  Disposition  des  Artikels  nicht  streng  durchgeführt  ist.  Für 
den  Gelehrten  kann  die  erste  Frage  immer  nur  lauten:  wo  taucht 

*)  Da  ich  namentlich  seit  dem  Erscheinen  der  Thesauruslieferungen 
öfter»  um  meinen  Akademievortrag  vom  3.  März  1894  'Die  neuen  Aufgaben 
des  Thesaurus  linguae  latinae'  gebeten  wurde,  die  Separatabzüge  aber  ver- 
griffen sind,  benütze  ich  gern  den  Anlals,  in  freier  Umarbeitung  die  sowohl 
gekürzte  als  erweiterte  Abhandlung  an  dieser  Stelle  zu  wiederholen. 

Der  Verf. 


374  Ed.  Wölfflin: 

ein  Wort  zuerst  auf?     In  keinem  Artikel  darf  die  älteste  Beleg- 
stelle fehlen.     In  dem  Artikel  facio  mufs  die  fibula  Praenestina 
mit    der    reduplicierten    Perfektform    fefaced,    welche    man    bis 
450  vor  Chr.  hinaufrückt,   obenan  stehen.     Supplico    ist    nicht 
erst  bei  Plautus  bezeugt,  sondern  schon  durch  das  Carmen  saliare, 
foederatus  nicht  bei  Cicero,  sondern    im  Sen.  Cons.  de  Bacana- 
libus,  eximo  wiederum  nicht  zuerst  bei  Plautus,  sondern  bereits 
in   der  Inschrift  der  Columna  rostrata,  deren  Wortbestand  wir  in 
die   Zeit    unmittelbar  nach   dem  J.  260  vor  Chr.  setzen  müssen. 
Ja    unsere    bekannten    Klassiker    sind    für    die    Wortgeschichte 
noch  lange  nicht  ausgenützt,  und  so  erscheint  uns  nach  Georges 
manches  Wort  jünger  zu  sein,  während  es  thatsächlich  ein  oder 
zwei    Jahrhunderte    älter    ist.     Beispielsweise    tritt    septemtrio 
nicht    zuerst   bei  Varro    auf,    sondern    bei   Plautus   Amph.  273; 
marita  nicht  bei  Horaz,  sondern  bei  demselben  Plautus;  obnitor 
nicht  bei  Lucretius,   sondern  bei  Ennius;  obiter  nicht  bei  dem 
Philosophen  Seneca,  sondern  bei  dem  Kaiser  Augustus  (Charisius 
p.  209);    aquilo    nicht   bei    Cicero,    sondern    bei    Naevius;    re- 
quiesco  nicht  bei  Cicero,  sondern  bei  Ennius;    magistra  nicht 
bei  Terenz,    sondern  bei   Plautus  Stichus  105,    während   in  dem 
Senatus  Consultum  de  Bacanali})us  magister  generis  communis  ist: 
magister  (sacrorum)  neque  vir  necjue  mulier  quisquam  eset,  was 
bei  Georges  nicht  verzeichnet  ist.     Bei  dem  Worte  campana  ist 
der  Nachweis   der  ältesten  Stelle   so  wichtig,    dafs    derselbe    das 
einzige  Mittel   ist,   um   das  approximative  Alter  der  Glocken  zu 
bestimmen  (Arch.  XI  537),  und   durch   das  Studium  der  Lexiko- 
graphie   ist    es    möglich    geworden,    die  Erfindung  vorläufig  um 
2  Jahrhunderte  weiter  hinaufzurücken.    Neubildungen  mit  Sicher^ 
heit  an  den  Namen  bestimmter  Männer  zu  knüpfen,  ist  uns  leider 
nur   selten   vergönnt;   doch  möge  man  sich  an  das  erinnern,  was 
♦Sueton  Div.  lul.  ()7  von  Caesar  sagt:    milites  pro  contione  blan- 
diore    nomine     commilitones     appellabat.      Von    ad o rare    ist 
glaublich,  dafs  man  es  dem  Vergil  Georg.  1,  iM))  verdankt.     Vgl. 
Iloerdegen,  Semasiol.  Unters.  Heft  3,  S.  101.     Pacalis   geht  auf 
Ovid    zurück,    ist    aber    ])ald    verschollen.     Weitere    Beispiele    zu 
Dutzenden    und   Hunderten   aufzuzählen   ist  zwecklos;    es   genügt 
nachgewiesen   zu  liaben,   dafs   man  aus   dem  Buche  von  Georges 
keine  Wortgeschichte   auf])auen   kann    und   also    die   Vorstellung 
abwerfen    nuifs,   als   könne   man   sicli   auf  dieses   Hilfsmittel   ver- 
lassen. 


Moderne  Lexikographie.  375 

Die  Berücksichtigung  dieses  historischen  Faktors  soll  sich 
indessen  nicht  nur  bei  dem  ersten  Auftreten  eines  Wortes  zeigen, 
sondern  auch  bei  dem  ersten  Auftreten  der  Formen,  Verbindungen, 
Konstruktionen  und  Bedeutungen.  Unter  apud  müssen  wir  also 
nicht  nur  die  längst  bekannte  Festusstelle  finden,  welche  uns  von 
einer  altlateinischen  Form  apor  berichtet,  sondern  auch  den  Beleg 
der  Fuciner  Bronzeplatta  apur  finem,  welcher  denn  auch  im 
Thesaurus  neu  hinzugekommen  ist.  Wer  zuerst  die  Form  circa 
statt  des  älteren  circum  gebraucht,  mufs  man  zuerst  wissen,  be- 
vor man  die  Form  zu  erklären  unternimmt.  Wenn  man  die 
Form  circumcirca  aus  dem  Spiele  läfst,  finden  wir  circa  zuerst 
in  den  Verrinen  Ciceros  (Arch.  V  295)  dreimal,  und  wenn  wir 
auch  nicht  an  dem  Jahre  70  vor  Chr.  festhalten  wollen,  so  wird 
doch  damit  die  Zeit  des  Auftauchens  annäherungsweise  bestimmt 
sein.     Vgl.  Stowasser,  Wiener  Studien  1900,  S.  120  S. 

Soweit  die  Formenlehre  Neues  reicht,  besitzen  wir  an 
diesem  Buche  einen  verlässigeren  Führer,  obwohl  einem  die  Nach- 
prüfung nie  erspart  bleibt. 

Es  ist  hier  unter  anderem  darauf  zu  achten,  welche  Neu- 
bildungen durch  das  Bedürfnis  des  Hexameters  hervorgerufen, 
von  Dichtem  geschafi'en  und  von  den  Prosaikern  der  Kaiserzeit 
übernommen  worden  sind.  Maximitas  für  das  ungefüge  magni- 
tudo  hat  Lucretius  gebildet  und  sein  fleifsiger  Leser  Arnobius 
sich  angeeignet,  gerade  wie  auch  nominito;  super vacuus  da- 
gegen (Arch.  XI  509),  seit  Horaz  bekannt,  hat  in  weiteren  Kreisen 
Aufnahme  gefunden,  und  das  vergilianische  eloquium  für  elo- 
quentia  ist  ein  Lieblingswort  der  Kirchenväter.  Wie  weit  darin 
Ennius  vorangegangen,  läfst  sich  bei  dem  Verluste  seiner  Annalen 
höchstens  vermuten. 

Wir  bezeichneten  es  oben  als  Aufgabe  der  Lexikographie, 
womöglich  die  Prägung  gewisser  Formeln  und  Wortverbindungen 
auf  das  Jahr  zu  bestimmen.  Wer  hat  also  die  bei  Cicero  und 
Sallust  häufige  AUitteration  mansuetudo  et  misericordia  zuerst 
in  Umlauf  gesetzt?  Alle  Spuren  leiten  darauf,  dafs  Caesar  sich 
dieser  Wendung  ])edient  habe  in  der  berühmten  Senatsdebatte 
über  die  Bestrafung  der  Catilinarier,  und  auf  ihn  beziehen  sich 
also  Catos  Worte  })ei  SaUust  Cat.  52,  11:  hie  mihi  quisquam 
mansuetudinem  et  misericordiam  nominat,  auf  ihn  52,  27  nae  ista 
vobis  mansuetudo  et  misericordia  in  miseriam  convortat;  und 
die    politische    Erregung    machte    aus    der   Phrase    bald    ein    ge- 


376  Ed.  Wölfflin: 

flügeltes  Wort.  Caesars  Liebe  zur  Allitteration  ist  ja  bekannt, 
nicht  nur  sein  Veni,  vidi,  vici,  auch  sein  Ausspruch,  den  er  nach 
der  Schlacht  bei  Munda  gethan,  non  de  victoria,  sed  de  vita  cer- 
tasse  (Arch.  VII  568).  Cicero  hat  sich  jenes  Ausdruckes  mehr- 
fach bedient  in  den  nach  seinem  Konsulate  gehaltenen  Beden 
und  schon  in  der  Niederschrift  der  Mureniaua  90;  in  den  Verrinen 
5,  115  schreibt  er  noch  dementia m  mansuetudinemque.  Einen 
Vorläufer  der  Substantiwerbindung  haben  wir  übrigens  bei 
Cornificius  2,  25  mausuetus  et  misericors. 

Das  Wagnis,  neue  Konstruktionen  auf  ihre  Urheber  zurück- 
zuführen, bleibt  trotz  allem  Fleifse  darum  ein  gefährliches  Unter- 
nehmen, weil  so  grofse  Massen  der  Litteratur  verloren  gegangen 
sind  und  man  abgesehen  von  der  Litteratur  noch  mit  der  Um- 
gangssprache zu  rechnen  hat.  Und  gewifs  nicht  leichter  ist  es, 
die  sich  verändernden  Wortbedeutungen  chronologisch  zu  fixieren. 
Es  wird  daher  nicht  unpassend  sein,  wenn  wir  einige  Beispiele 
aus  der  Muttersprache  heranziehen,  um  aus  unseren  eigenen 
Lebenserfahrungen  einige  allgemeine  Gesichtspunkte  abzuleiten. 
Nehmen  wir  das  Wort  ^Übermensch',  so  werden  wir  zuerst  an 
die  Philosophie  von  Nietzsche  erinnert,  und  doch  ist  das  W^ort 
viel  älter.  N.  hat  die  Münze  allgemein  in  Kurs  gebracht,  aber 
selbst  geprägt  hat  er  sie  nicht.  Durchqueren  wird  auf  die  neuen 
Afrikaforschungen  zurückgehen.  Noch  weifs  ich  davon  zu  er- 
zählen, wie  man  anfänglich  schwankte  zwischen  Telegraphem 
und  Telegramm;  doch  siegte  bald  das  letztere.  Ein  besonders 
lehrreiches  Beispiel  für  die  Raschheit  des  Wechsels  geben  uns  die 
verschiedenen  deutschen  Ausdrücke  zur  Bezeichnung  der  schöneren 
Hälfte  des  Menschengeschlechtes.  Die  ursprünglichen  Gegensätze 
sind  wohl  Mann  und  Weib,  männlich  und  weiblich;  allein  dem 
Ausdrucke  Weib  hat  sich  mit  der  Zeit  etwas  Unedles  angeheftet, 
und  als  daher  die  weltbewegende  Frage  auftauchte,  ob  und  wie 
weit  den  Universitätsstudium  betreibenden  Jünglingen  weibliche 
Kolleginnen  an  die  Seite  gestellt  werden  könnten,  war  man  um 
ein  Wort  verlegen.  Mädchen  durfte  man  die  Studentinnen  nicht 
nennen,  da  die  ^Mädchenschulen'  einem  tieferen  Lebensalter  ent- 
sprechen, und  so  siegte  über  das  ^D  amen  Studium'  das  'Frauen- 
studium'; die  Trauen'  mufsten  die  verheirateten  wie  die  unver- 
heirateten umfassen,  indem  der  Begrifi*  ^erweitert'  wurde.  Die 
neue  Bedeutung  fällt  mit  einer  grofsen  Kulturbewegung  zusammen 
und   findet    in    derselben    ihre  Erklärung.     Über  das  Sinken  des 


Moderne  Lexikographie.  377 

Wortes  Jungfrau,  Jungfer  und  über  Fräulein  ist  schon  früher  im 
Archiv  gesprochen. 

Will  man  also  die  Ursachen  einer  Bedeutungsverschiebung 
erforschen,  so  mufs  man  für  das  betr.  Wort  nicht  nur  reiche 
Materialien  aus  allen  Zeiten  haben,  sondern  meist  auch  die  kon- 
kurrierenden Svnonvma  in  die  Betrachtung  hineinziehen.  In 
neuester  Zeit  haben  wir  zwei  Monographien  erhalten,  welche  zur 
Aufklärung  beitragen  können,  Elementum  von  Herm.  Diels 
(Arch.  XI  443;  XII  141)  und  Species  von  dem  Unterzeichneten 
(Arch.  XI  540  ff.  =  Münchn.  Sitz.-Ber.  1900,  1—30).  Weiter  ver- 
schlungene Wege,  welche  bisher  nur  nach  einer  Seite  verfolgt 
sind,  hat  ohne  Zweifel  das  Wort  species  zurückgelegt,  indem  es, 
ursprünglich  Übersetzung  des  aristotelischen  sldo^j  durch  das 
Medium  der  juristischen  Litteratur  bis  zu  dem  modernen  Spezerei- 
laden  führte.  Was  aber  in  der  Untersuchung  einzelner  Wörter 
gewonnen  wird,  trägt  neue  Frucht,  indem  man  es  nach  den  Ge- 
setzen der  Analogie  auf  bisher  unerklärte  Fälle  anwendet. 

Dafs  comp  lex  ursprünglich  den  Amtsgenossen  bezeichnete, 
lehren  uns  die  Wörterbücher;  der  Papst  Gelasius  hat  indessen 
das  Wort  zur  Bezeichnung  der  Parteigenossen,  und  zwar  in 
malam  partem  des  Sektenanhängers  gebraucht,  was  im  Zeitalter 
der  Häresien  nicht  auffallen  kann.  Indem  er  eine  Stelle  des 
Acacius  (consors  insaniae)  erklärte,  änderte  er  die  Worte  in 
*complex  insaniae  Petri'  und  behielt  dann  den  ihm  zusagenden 
Ausdruck  an  einigen  30  Stellen  bei.  Allein  genau  betrachtet 
steht  die  Sache  doch  wie  bei  dem  Übermenschen.  Gelasius  hat 
den  neuen  Ausdruck  durchgesetzt,  wenn  er  auch  nicht  der  Ur- 
heber ist.  Denn  schon  Simplicius  (um  480)  hatte  ihn  einmal 
gebraucht;  die  Erklärung  der  Bischöfe  (404)  verbindet  das  Alte 
mit  dem  Neuen  (Petri  complicibus  atque  consortibus);  zum  Siege 
verholfen  hat  dem  letzteren  Gelasius,  und  im  Französischen  wie 
im  Italienischen  bezeichnet  das  Wort  nur  noch  den  Mitschul- 
digen. Vgl.  Arch.  XII  7  f.  Zu  solchen  Beobachtungen  gehört 
aber  eben  zweierlei:  dals  die  Philologen  erkennen  lernen,  was  zu 
wissen  notwendig  sei,  um  die  Lebensgeschichte  eines  Wortes  zu 
schreiben,  und  dann,  dafs  sie  auch  den  erforderlichen  Fleifs  ein- 
setzen, um  das  Material  zu  sammeln. 

Wenn  man  im  Spätlatein  neue  Bedeutungen  nachweist,  so 
kann  es  ausnahmsweise  auch  unsere  Aufgabe  sein,  die  Urbedeu- 
tungen  im    archaischen  Latein    zu    rekonstruieren.     Ein  Beispiel 


378  Ed.  Wölfflin: 

dieser  Art  bietet  uns  praesens  in  der  Inschrift  der  Colnmna 
rostrata,  wo  es  von  Duilius  heifst,  er  habe  praesented  [AnibaledJ 
dictatored  die  karthagische  Flotte  besiegt.  Dafs  man  mit  der 
Ubersetzunff  ^in  Gegenwart  des  Oberadmirales'  zu  einem  Nonsens 
gelangt,  „L  .„g^.W.  werde.,  „r  i,*  d„  A^..t,  d^i. 
die  Unechtheit  zu  begründen,  zu  schwach.  Das  Altlatein  besafs 
nicht  nur  die  Dii  consentes  (övvövreg)]  es  existierte  auch  ein 
'insens'  nach  Carm.  epigr.  36G  Buch,  und  neben  absens  wahr- 
scheinlich auch  ein  adsens,  welches  freilich  nach  vollzogener 
Assimilation  mit  jenem  zusammenzufallen  drohte.  Um  den  Gegen- 
satz schärfer  auszudrücken,  griflf  man  zu  absens  —  praesens  (voran 
befindlich,  z.  B.  unter  den  Zeugen  vor  Gericht  =  anwesend). 
Aber  was  muTste  nun  praesens  vor  diesem  Tausche  bedeutet 
haben?  Es  war  einfach  Particip  zu  praeesse,  sodafs  praesented 
dictatored  bedeutete  'Siyox^iiivov  vavccQxov^  gerade  wie  Polyb  1, 
23, 4  schreibt  fiystro  d'  'Avvißag.  Man  hat  nun  verschiedene 
Versuche  gemacht,  das  Particip  praesens  in  diesem  Sinne  auch 
anderswo  nachzuweisen;  ob  mit  Erfolg,  möchte  ich  nicht  ent- 
scheiden.    Ausou.  epigr.  26  (p.  320  Peip.) 

Phoebe  potens  numeris,  praesens  Tritonia  bellis,  nach  cod.  M, 
während  gewöhnlich  praeses  ediert  wird.   Vergil.  gramm.  p.  19, 2  H. 

Beherrscht  nun  auch  die  historische  Betrachtung  die  ganze 
moderne  Wissenschaft,  so  reicht  doch  aller  Fleifs  nicht  aus,  um 
aus  der  erhaltenen  Litteratur  ein  Bild  der  lebenden  Sprache  und 
ihres  Reichtums  zu  gewinnen.  Wie  viele  Wörter  blühten,  welche 
in  der  geschriebenen  Litteratur  keine  Spur  hinterlassen  haben! 

So  kennen  wir  scribo,  -onis  erst  aus  den  Schriften  Gregors 
des  Grofsen.  Für  die  romanischen  Sprachen  nützt  uns  dies  nicht 
viel,  da  diese  ein  scribanus  entwickelt  haben  (frz.  ecrivain). 
Gleichwohl  mufs  die  Form  scrilx)  viel  älter  sein,  da  der  Xame 
der  geus  Scribonia  nur  von  scri})0  abgeleitet  sein  kann.  Wäh- 
rend die  Litteratursprache  an  scriba  festhielt,  schuf  die  Volks- 
sprache oder  Soldatensprache  ein  scribo  mit  Augmentativsuffix. 
Möglicherweise  konnten  die  Soldaten  den  die  Skripturen  führen- 
den Feldwebel  so  nennen,  oder  der  Geist  der  Bureaukratie 
bauschte  die  scribae  zu  scribones  auf. 

Müssen  wir  allen  W^ert  darauf  legen,  dafs  uns  der  Thesaurus 
unter  allen  Umständen  die  älteste  Belegstelle  biete,  so  wäre 
theoretisch  genommen  auch  die  Forderung  zu  stellen;  dafs  er 
auch  das  letzte  Zeugnis  von  Wörtern  biete,  welche  in  den  roma- 


Moderne  Lexikographie.  379 

nischen  Sprachen  untergegangen  sind.  Allein  diese  Untersuchung 
hat  nur  einen  geringen  praktischen  Wert.  Wenn  nämlich  ge- 
wisse Wörter  in  der  Volkssprache  zurücktreten  und  schliefslich 
absterhen,  so  erhalten  sie  sich  immer  noch  in  den  Schriften 
gelehrter  Autoren,  welche  dieselben  aus  der  Lektüre  der  Klassiker 
schöpfen.  Durch  dieses  Fortleben  im  Treibhause  dürfen  wir  uns 
freilich  nicht  täuschen  lassen,  vielmehr  erwächst  uns  die  neue,, 
schwierige  Pflicht,  auf  anderem  Wege  dem  Untergange  der  Wöi-ter 
in  der  lebendigen  Umgangssprache  nachzuforschen.  Hier  gelten 
die  ungebildeten  Autoren  mehr  als  die  gebildeten ;  denn  sie  allein 
geben  die  Sprache  ihrer  Zeit  wieder,  während  diejenigen,  welche 
eine  gute  Schule  durchgemacht  haben,  und  Männer  der  Wissen- 
schaft, welche  litterarische  Quellen  benützen,  durch  ihren  Unter- 
richt und  ihre  Lektüre  beeinflufst  sind.  Wo  die  Quellen  noch 
erhalten  sind,  wie  bei  Solin  die  Naturgeschichte  des  Plinius,  bei 
Orosius  die  Weltgeschichte  des  Justin  und  andere  historische 
Werke,  da  läfst  sich  die  Sprache  eines  Autors  scheiden  in  »eine 
eigene  und  in  die  von  Vorgängern  übernommene;  in  den  meisten 
Pällen  jedoch  ist  dies  nicht  mehr  möglich.  Apuleius  und  Ammian 
haben  so  viel  gelesen,  dafs  wir  namentlich  bei  dem  ersten  oft 
gar  nicht  entscheiden  können,  ob  ein  Wort  dem  afrikanischen 
Sprachschatze  und  dem  zweiten  Jahrhimdert  angehört,  oder  ob 
es  aus  einem  alten  für  uns  verlorenen  Autor  gezogen  ist.  Durch 
genaue  Beobachtungen,  wie  sie  freilich  zur  Zeit  noch  nicht  ge- 
macht sind,  kann  es  indessen  gelingen,  das  Absterben  eines  Wortes 
nachzuweisen.  Saepe  ist  nicht  nur  in  den  romanischen  Sprachen 
spurlos  verschwimden,  es  mufs  schon  in  der  römischen  Kaiserzeit 
auffallend  zurückgegangen  und  durch  subinde  (souvent),  fre- 
quenter  u.  a.  verdrängt  worden  sein.  Denn  wenn  man  bedenkt, 
dafs  bei  Pomponius  Mela  auf  3  saepe  ein  Dutzend  subinde 
treffen,  in  den  ersten  4  Büchern  der  Astrologie  des  Firmicus 
Maternus  auf  etwa  3  saepe  annähernd  60  frequenter,  bei  Cassius 
Felix  auf  3  saepe  mehr  als  7U  frequenter,  ein  Adverb,  welches 
Caesar,  Sallust  u.  a.  gar  nie  gebraucht  haben,  so  zeigt  dies  doch 
wohl,  dafs  saepe  keine  festen  Wurzeln  hatte,  mögen  es  auch  ge- 
lehrte Autoren  noch  so  oft  gebrauchen.  Oder  wenn  diu  bei 
Caelius  Aurelianus  fehlt,  wie  in  den  romanischen  Sprachen,  abge- 
sehen von  den  Komposita  tandis  und  jadis,  so  erkennen  wir  auch 
darin  eine  Bestätigung  davon,  dafs  die  sogenannten  romanischen 
Veränderungen    im    Sprachgebrauche    viel    weiter    hinaufreichen. 


H80  Kd.  Wölfflin: 

Länger  als  saepe  und  diu  haben  ohne  Zweifel  saepius,  saepicule, 
saepissime,  saepenumero,  persaepe,  diutius,  diutissime,  diutule, 
<liutume  u.  a.  gelebt. 

Wenden  wir  uns  von  der  Zeit  zum  Räume;  also  zu  den  ört- 
lichen Verschiedenheiten  der  lateinischen  Sprache,  so  kommen 
wir  auf  eine  Art  der  Betrachtung,  welche  den  Alten  fremd  ge- 
wesen ist,  während  sie  für  die  Unterschiede  des  älteren  und  des 
jüngeren  Lateins  ein  offenes  Auge  gehabt  haben.  Wohl  wissen 
wir,  dafs  das  Latein  von  Praeneste  nicht  identisch  war  mit  dem 
von  Rom ;  ob  aber  das  Latein  ganzer  Länder,  wie  Gallien,  Spanien, 
Afrika,  verschieden  war  von  dem  Italiens,  d.  h.  ob  sich  die  Vor- 
läufer der  romanischen  Sprachen  schon  im  Lateinischen  erkennen 
lassen,  darüber  gehen  die  Ansichten  der  Gelehrten  auseinander, 
was  auch  ganz  begreiflich  ist,  da  die  Untersuchungen  erst  in 
-den  letzten  Jahrzehnten  begonnen  haben.  Nur  der  vielgereiste 
Hieron vmus  kommt  uns  zu  Hilfe  in  der  vielcitierten  Stelle 
Comment.  Gal.  2,3:  cum  et  ipsa  latinitas  et  regionibus  cotidie 
mutetur  et  tempore.  Wenn  aber  ein  Sprachkenner  ersten  Ranges 
so  etwas  schreibt,  so  dürfte  damit  bewiesen  sein,  dafs  für  seine 
Zeit  sein  Ui*teil  richtig  ist;  ob  auch  für  das  erste  Jahrhundert 
der  Kaiserzeit,  wäre  eine  andere  Frage.  Wir  möchten  daher  die 
Frage  offen  lassen,  ob  das  Latein,  welches  die  römischen  Le- 
gionen nach  Hispanien  brachten,  durch  den  Einflufs  der  iberi- 
schen Landessprache  schon  damals  modifiziert  wurde  und  ob  die 
Sprache  der  Soldaten  Caesars  in  Gallien  ähnliche  Veränderungen 
durch  die  Einwirkung  des  Keltischen  erlitt;  stehen  uns  doch  für 
«in  hispanisches  Latein  höchstens  Litteraturdenkmäler  des  ersten 
Jahrlmnderts  nach  Chr.  zur  Verfügung  und  Werke  von  Ver- 
fassern, welche  eine  gründliche  grammatisch  -  rhetorische  Bildung 
hatten.  Aber  für  die  späteren  Jahrhunderte  der  Kaiserzeit 
müssen  wir  die  Frage  aufnehmen,  um  so  mehr,  als  es  Gelehrte 
giebt,  welche  die  Spalt imgen  des  Lateins  nach  Ländern  zwar 
nicht  grundsätzlich  leugnen,  aber  doch  die  Forschung  darnach 
für  vergebliche  Mühe  erklären.  Wir  geben  zu,  dafs  manches  von 
dem,  was  man  als  gallisches  oder  afrikanisches  Latein  ausgegeben 
hat,  nicht  stichhaltig  ist,  aber  auf  das  weitere  Suchen  verzichten 
wir  darum  nicht. 

Das  schlagendste  Beispiel  seheint  mir  die  Umschreibung  des 
Komparativs  zu  sein,  da  das  Spanische  und  Portugiesische  magis 
wühlten,   das   Französische   und    Italienische    plus,    und  das   spa- 


Moderne  Lexikographie.  381 

nische^  das  gallische^  das  italienische  Latein  des  5.  Jahrhunderts 
im  grofsen  und  ganzen  die  nämliche  Scheidung  zeigt.  Die 
Spanier  sind  also  die  besseren  Klassiker,  und  es  hat  sie  nicht 
geniert,  ihr  raas  in  doppeltem  Sinne  anzuwenden,  im  Sinne  von 
mehr  und  im  Sinne  von  vielmehr,  aber  (frz.  mais,  ital.  ma).  Aber 
eben  darin  sehen  wir  auch  den  Grund  der  Wandlung  in  Frank- 
reich und  der  Apenninhalbinsel.  Denn  das  Spätlatein  hat  es  in 
den  meisten  Fällen  vermieden,  einem  und  demselben  Worte  zwei 
verschiedene  Funktionen  aufzulegen,  und  lieber  zu  zwei  Wörtern 
gegriffen,  um  zu  differenzieren.  Da  aber  die  Verbindung  von 
plus  mit  Adjektiv  nicht  klassisch  ist,  so  mufs  man  auf  die  An- 
fänge des  Gebrauches  zurückgehen  und  erstaunt,  schon  bei  Ennius 
trag.  261  R.  plus  miser  sum  zu  finden,  noch  mehr  vielleicht,  bei 
Tertnllian  de  spectac.  17  wieder  plus  miser.  Derselbe  Ennius 
hatte  aber  auch  in  den  Annalen  315  M.  die  beiden  Komparative 
durcheinandergeworfen : 

Ergo  plusque  magisque  viri  nimc  gloria  claret, 
während  die  Klassiker  magis  magisque  sagten.  Dafs  nun  Hi- 
Spanien  an  dem  guten  Sprachgebrauche  festhielt,  beweist  uns 
nicht  nur  Columella,  sondern  auch  Orosius  im  Anfange  des 
5.  Jahrhunderts,  1,  2  magis  utilis  —  celeber;  4,  23  m.  deformis; 
7,  1  m.  suadibile;  7,  33  m.  miser,  m.  novus.  In  Gallien  ist  da- 
mals Sulpicius  Severus  noch  unberührt  von  der  Neuerung,  wäh- 
rend Sidonius  ApoUinaris  entschieden  plus  bevorzugt,  z.  B.  Epist. 
3,  13,  2  plus  rusticus;  3,  13,  4  p.  fetidus;  6,  4,  3  securam.  Ebenso 
Alcimus  Avitus  von  Vienne. 

Damit  wäre  der  Principienstreit  erledigt.  Was  wir  roma- 
nisch zu  nennen  pflegen,  kann  man  auch  als  spätlateinisch  be- 
zeichnen. Auf  die  lateinischen  Gallicismen  hat  neiierdiags 
namentlich  Paulus  Geyer  die  Aufmerksamkeit  gelenkt,  Arch.  11  25 ; 
Vn4Gl;  VIII  469.  Nur  im  gallischen  Latein  hat  apud  die  Be- 
deutung von  cum  angenommen,  woraus  sich  das  französische 
avec  =  apud  hoc  erklärt.  Also  le  roi  avec  la  reine:  der  König, 
daneben  die  Königin  =  der  König  nebst  der  Königin.  (Nach 
Thes.  ling.  lat.  U  344,  54  ist  im  gallischen  Latein  loqm  apud  ali- 
quem  dem  klassischen  ^cum'  substituiert  worden.) 

Oder  wenn  wir  das  lateinische  quare  mit  wenig  veränderter 
Bedeutung  im  Provenzalischen  zu  quar,  im  Französischen  zu  car 
(denn)  verkürzt  finden,  im  Italienischen  aber  nicht,  so  werden 
vriT    die    Schlufsfolgerung    wagen    dürfen,    schon    im    gallischen 

Archiv  für  lat.  Lexikogr.    XII.    Heft  3.  20 


382  Ed.  Wölfflin: 

Latein  habe  quare  die  nämliche  Funktion  übernommen,  wie  ahn- 
lich qnippe  'denn'  und  VeiF,  quamquam  ^allerdings'  und  ^ob- 
schon'  bedeutet^  also  sowohl  einen  Hauptsatz  als  einen  Nebensatz 
einleiten  kann.  Und  wirklich  heiist  es  an  einer  Stelle  der  aus 
Aquitanien  stammenden  sogen.  Silvia,  Peregr.,  welche  der  Ex- 
cerptor  Petrus  Diaconus  p.  33  Kiant  erhalten  hat:  naves  ibi 
miiltae  sunt;  quare  (denn)  portus  famosus  est  pro  adyenientibus 
ibi  mercatoribus  de  India.  Hat  hier  der  Benutzer  den  Wortlaut 
des  Originales  beibehalten^  so  hätten  wir  den  Gebrauch  für  das 
Ende  des  4.  Jahrhunderts  bezeugt. 

In  derselben  Peregrinatio  wird,  wie  Prof.  Cornu  Arch.  XH  18Ö 
beobachtete,  der  Hahn  konsequent  pullus  genannt,  statt  gallus^ 
und  im  franko -provenzali sehen  Gebiete  hat  sich  dieser  Gebrauch 
erhalten.  Es  wird  nun  Sache  des  Latinisten  sein,  nachzuforschen, 
ob  nicht  dem  spanischen  gallo  ein  span.-lat.  gallus  entspricht. 

Kaum  hat  man  bisher  versucht,  hispanisches  Latein  auf- 
zudecken,  imd  doch  verdient  das  Land  um  so  mehr  Beachtung 
als  es  vor  Gallien  der  römischen  Herrschaft  unterworfen  worden 
ist.      Nur   in    Spanien    heifst   das    Gesicht   rostrum    (Schnabel)^ 
das  Bein  perna  (Schinken),  der  Bruder  germanus  (statt  frater), 
essen  comedere  (statt  manducare).     Einer  der  ältesten  Vertreter 
Hispaniens  in  der  römischen  Litteratur,  der  Verfasser  de  re  rustica, 
Columella,  nennt  uns  12,39,2  bris a  =  Weintrichter  als  Landes- 
ausdruck, welcher  sich   denn   auch   heute  noch  erhalten  hat.     Ja 
der   Name    des  Verfassers,   Columella,   erscheint  uns    echt  spa- 
nisch.    Denn  versteht   mau    das  Wort  in  dem  Sinne,  wie  es  bei 
Varro  vorkommt,  nämlich  =  Stockzahn,  so  kann  nicht  wohl  ein 
Maim   nach    einem    fast   unsichtbaren   Körperteile   benannt    sein; 
bedenkt    man    dagegen,    dafs    das    spanische    colmillo    (eigentlich 
kleine    Säule)    den   Augzahn    bedeutete,    so    pafst    dies    ungleich 
besser  zu  einem  Eigennamen.     Vgl.  Isidor  orig.  11,  1,52:  dentes 
caninos   pro   longitudino  et  rotiinditate  vulgus  columellos  vocant. 
Die  Römer    haben    solche  Leute  Dento    oder  Dentatus   genannt. 
Nur  im  Spanischen  und  Portugiesischen  heifst  der  Roggen  nicht 
sccale  (Schhittkorn,  Sichelkom,  im  Gegensatze  zu  dem  gemähten 
Weizen),  sondern  centenum,  weil  er  himdertfältige  Frucht  tragt. 
Doch  wurde   der  Ausdruck   auch  in  anderen  Ländern  wenigstens 
verstanden.     Vgl.  Edictum  Dioeletiani,  de  pretiis  rerum  venalium 
1,  ;^>:  centenum  sive  sicale.  Pliu.  IH,  40. 

Um    so    mehr    ist   über  die  Africitas  geschrieben  worden, 


Moderne  Lexikographie.  383 

imd  der  Name  klingt  uns  heute  so  bekannt,  als  ob  er  von  den 
Alten  zur  Bezeichnung  einer  dialektischen  Verschiedenheit  ge- 
braucht worden  wäre,  was  freilich  nicht  der  Fall  ist,  da  Spartian 
im  Leben  des  Septimius  Severus  cp.  19,  9  nur  von  der  afrikani- 
sehen  Aussprache  des  Kaisers  berichtet,  nicht  von  den  der  Afri- 
citas  eigentümlichen  Wörtern  und  Strukturen.  Über  den  Verlauf 
der  Untersuchungen  und  den  gegenwärtigen  Stand  der  Frage 
vgl.  man  Arch.  X  533  f.  Die  romanische  Sprache,  welche  sich  in 
Afrika  gebildet  hatte,  wurde  leider  von  den  Arabern  zerstört. 
Man  gestatte  uns,  auf  ein  bisher  blofs  in  Afrika  nachgewiesenes 
Wort  aufmerksam  zu  machen. 

In  einer  neugefundenen  Predigt  des  Afrikaners  Augustin 
ist  von  der  Himmelfahrt  Christi  die  Rede  und  dem,  was  er  uns 
hinterlassen  habe.  Der  Redner  vergleicht  dieses  Vermächtnis  mit 
dem  Geldstücke  der  itoria  (sc.  pecunia),  welche  der  in  die  Fremde 
Ziehende  den  ihn  geleitenden  Freunden  hinterläfst,  damit  sie  sich 
gütlich  thun  und  seiner  gedenken  sollen.  Nach  den  beigefügten 
Worten,  sicut  dici  solet,  mufs  diese  uns  nicht  bekannte  itoria, 
wenigstens  in  Afrika,  etwas  ganz  Gewöhnliches  gewesen  sein. 
Zur  Bestätigung  schreibt  der  afrikanische  Bischof  Optatus  gegen 
die  Donatisten  1,  1, 1:  antequam  in  caelum  ascenderet,  christianis 
nobis  Omnibus  itoriam  per  apostolos  pacem  dereliquit;  denn  so 
mufs  ohne  Zweifel  nach  der  älteren  Petersburger  Handschrift 
geschrieben  werden  statt  des  in  jüngeren  Hdschr.  überlieferten, 
aber  kaum  erklärbaren  storiam  (=*=  stoream?).  Arch.  VIU  139 
und  Weyman  Arch.  IX  52.  Es  dürfte  sich  verlohnen,  in  anderen 
Pfingstpredigten,  z.  B.  denen  des  Hieronymus  (ed.  Morin),  nach- 
zusehen, ob  das  nämliche  Bild  wiederkehrt  und  welcher  Aus- 
druck für  dieses  'Trinkgeld'  gebraucht  ist. 

Nahe  aber  liegt  die  Vermutung,  dafs  die  punisehe  und  grie- 
chische Sprache  in  Afrika  auf  die  Syntax  des  Lateins  gewirkt 
haben.  Nachdem  wir  Arch.  X  535  auf  die  Verbindungen  ex 
summo  studio,  ex  summis  opibus  bei  Florus,  Fronto,  Apuleius 
hingewiesen  haben,  bringt  uns  Helmreich  Arch.  XII  313  aus  der 
Editio  princeps  des  aus  Sica  stammenden  Caelius  Aurelianus  ex 
sponte  profectus,  womit  Renier  Inscr.  Afric.  4112  (sua  ex  sponte) 
vortrefflich  übereinstimmt. 

Ebenso  klingt  Caralls  urbs  urbium  bei  Florus  1, 22  (2,  6,  35), 
Moesi  barbari  barbarorum  bei  demselben  2,26  (4,  12,  13)  wie 
ein  Punismus,  gerade  wie  in  saecula  saeculorum  oder  caeli  caelo- 

26* 


384  Ed.  Wölfflin: 

rum  aus  der  PsalmenübersetzuDg.  Vgl.  Arch.  VIII  452.  Damit 
vergleichen  sich  die  bekannten  afrikanischen  Identitätsgenetive 
wie  cupiditates  libidinum,  superbiae  fastus,  imperii  iussio.  Thiel- 
mann, Arch.  VII  503.  Dagegen  wage  ich  nicht,  die  spätlateinische 
Konstruktion  doctior  ab  aliquo  als  Semitismus  aufzufassen,  da 
die  Präposition  zwar  mit  dem  hebräischen  'min'  stimmt,  dieses  aber 
den  Positiv  zu  sich  nimmt.  Wenn  also  die  strenge  Übertragung 
doctus  ab  aliquo  ergeben  hätte,  so  braucht  darum  nicht  in  Ab- 
rede gestellt  zu  werden,  dafs  nicht  die  hebräische  Konstruktion 
von  einigem  Einflüsse  auf  die  lateinische  könnte  gewesen  sein; 
denn  diese  tritt  zuerst  und  besonders  stark  in  Afrika  auf.  Dafs 
man  aber  auch  anderwärts  auf  das  nämliche  verfallen  konnte, 
beweist  das  mittelgriechische  und  neugriechische  TtkovötrCJteQog 
iL%6  rivog.  Denn  die  Präposition  bezeichnet  nur  deutlicher,  was 
der  alte  Separativus - Ablativus  hatte  ausdrücken  sollen,  sodafs 
Donat  Gr.  lat.  IV  433,  18  mit  Recht  schreibt:  quando  dico  doctior 
ab  illo,  re  vera  eadem  invenitur  elocutio  (wie  bei  dem  blofseu 
Ablativ). 

Wenn  wir  nun  den  historischen  Entwicklungsgang  jedes 
einzelnen  Wortes  genauer  verfolgen  und  uns  daran  gewöhnen, 
auf  die  geographische  Verbreitung  zu  achten,  wo  sich  etwas 
Bestimmtes  ermitteln  läfst,  so  nähert  sich  die  Philologie  der 
Biologie  und  damit  den  Naturwissenschaften.  Dies  wird  noch 
mehr  geschehen,  wenn  wir  einen  dritten,  bisher  gänzlich  ver- 
nachlässigten Gesichtspunkt  dazu  nehmen,  die  Beobachtung  des 
Fehlens  der  Wörter;  wir  fügen  der  positiven  Angabe,  wo  und 
wann  ein  Wort  vorkomme,  die  negative  hinzu,  wo  es  nicht  vor- 
komme, noch  nicht  oder  nicht  mehr.  Wir  wollen  nicht  daran 
erinnern,  dafs  die  Römer  das  Wort  gratitudo  nie  gebildet  haben, 
weil  sie  kein  Bedürfnis  dazu  empfanden,  während  sie  doch 
latitudo  von  latus  ableiteten;  sie  haben  es  auch  versäumt,  die 
Wortgruppe  salus,  salvus  mit  salvare  imd  salvator  zu  bereichern, 
was  erst  die  Christen  gethan  haben.  Also  wie  lange  fehlten 
ihnen  die  beiden,  wie  man  glauben  sollte,  unentbehrlichen  Wörter 
(frz.  sauver,  sauveur),  und  womit  hing  dies  zusammen?  Es  fällt 
dies  um  so  mehr  auf,  wenn  man  die  griechische  Reihe  öaog  0(o^(o 
acoTY^Q  acofVfQCa  vergleicht.  Die  salus  rei  publicae,  die  Phrase 
rem  publicum  salvam  velle  ist  allen  geläufig,  aber  salvare 
rem  p.  oder  salvator  rei  p.  hat  kein  Heide  gesagt.  Dafür  sagen 
sie   servare  rem   p.  und  sorvator  rei  p.,  indem  sie  die  Wort- 


Moderne  Lexikographie.  385 

familie  zusammensetzen  wie  fero,  tuli,  latum.  Salvator  konnte 
nicht  gebildet  sein,  sonst  hätte  Cicero  Verr.  2,  154  nicht  ge- 
schrieben: is  est  soter,  qui  salutem  dedit.  Und  sich  selbst  nennt 
er  pro  Plancio  89  und  an  anderen  Stellen  servator  rei  ])ublicae. 
Die  Korinthier  begrüfsten  den  Quinctius  Flamininus  bei  seiner 
Abreise  aus  Griechenland  nach  Liv.  34,  50,  9  als  servatorem  libe- 
ratoremque,  d.  h.  als  Soter.  Bei  Plinius  nat.  h.  34,  75  wird  der 
Zevg  ZatTJQ  lupiter  servator  genannt.  Von  dem  Freigelassenen 
Milichus,  welcher  die  Verschwörung  gegen  Nero  entdeckte,  schreibt 
Tacitus  ann.  15,  71  conservatoris  sibi  nomen,  graeco  eius  rei  voca- 
bulo,  adsumpsit,  ein  lehrreiches  Beispiel,  wie  lingstlich  Tacitus 
als  Purist  das  Fremdwort  Soter  vermied.  Warum  er  aber  nicht 
salvator    schrieb,  wird  uns  nicht  erklärt.     Vgl.  Hermes  15,  593. 

Ebenso  konsequent  wird  das  Verbum  salvare  vermieden. 
Die  gute  Prosa  hat,  abgesehen  von  servare,  mit  salvuni  reddere, 
parare,  saluti  esse  u.  a.  die  Lücke  auszufüllen  versucht,  und  auf 
diesem  Standpunkte  der  Umschreibung  stehen  noch  alte  Bibel- 
übersetzungen, wie  1.  Timoth.  1,  15  öcböat]  salvos  facere,  auch 
von  Hieronymus  beibehalten;  Hebr.  7,  25  öA^slv]  salvos  perficere; 
1.  Tim.  1, 4  6(od^r]vav]  vult  salvos  fieri,  und  allgemein  bekannt 
ist  ja  das  Domine,  salvum  fac  regem,  welches  aus  Psalm  19,  10 
stammt. 

Das  Fehlen  der  Substantivbildung  fiel  schon  dem  Martianus 
Capella  auf,  welcher  5, 510  bemerkt:  Cicero  soterem  salva- 
tor em  noluit  nominare,  sed  ait  'qui  salutem  dedit';  illud  enim 
nimium  insolens  videbatur.  Auch  dem  Augustin  ist  die  That- 
sache  nicht  unbekannt,  da  er  de  trinit.  13,  10,  14  schreibt:  verbum 
(salvator)  latina  lingua  antea  non  habebat,  sed  habere  poterat, 
sicut  potuit,  quando  voluit.  Und  in  den  Sermon.  299,  6  heifst 
es:  lesus,  id  est  Salvator:  nee  quaerant  grammatici,  quam  sit 
latinum,  sed  Christiani  quam  verum.  Salvare  et  salvator  non 
fuerunt  haec  latina,  antequam  veniret  Salvator;  quando  ad  Latinos 
venit,  et  haec  latina  fecit.  Richtig  fühlt  der  Kirchenlehrer,  dafs 
der  Ausgangspunkt  der  Wortbildung  für  die  Christen  die  Person 
gewesen  sei,  nicht  der  Verbalbegriff*.  Solange  aber  salvare  fehlte, 
durfte  man  von  salvus  kein  salvator  ableiten,  so  wenig  als  bona- 
tor  oder  malator  von  bonus  oder  malus.  Darum  schreckte  Cicero 
vor  salvator  zurück,  und  Augustin  erkennt  die  grammatischen 
Bedenken  an.  Hier  half  das  sachliche  Bedürfnis  über  die  for- 
mellen   Schwierigkeiten    hinüber.      Die    Christen    konnten    ihren 


386  Ed.  Wölfflin: 

Heiland  nicht  wohl  servator  oder  conservator  nennen^  weil  dieses 
die  Nebenbedeutung  des  'Erhalters'  hatte.  Dafs  der  Geist  der 
Latinität  noch  einen  Genetiv  verlangt  hätte,  wie  servator  honii- 
num  oder  generis  humani;  wie  Arnobius  schrieb  und  auch  in  der 
gallikanischen  Messe  zu  lesen  ist,  bildet  eine  Frage  für  sich;  die 
Hauptsache  war,  dafs  die  genaue  Wiedergabe  des  griechischen 
öorr^Q  einen  Anschlufs  an  salus,  salvus  verlangte.  Dies  zeigt 
sich  schon  bei  TertuUian,  welcher  es  mit  salutificator,  salu- 
taris,  salvificator  versuchte  (pudic.  2.  res.  carn.  14.  ieiun.  6.  adv. 
Marc.  2,  19.  llönsch,  Itala  50),  doch  auch  schon  salvator  wagte 
adv.  Marc.  3,  18.  4,  14.  adv.  lud.  10.  Salutifer  erinnere  ich  mich 
nicht  bei  ihm  gelesen  zu  haben.  War  es  nun  ein  Fehler,  von 
salvus  abzuleiten  salvator,  so  korrigierten  die  Christen  denselben 
sofort,  indem  sie  auch  das  Verbum  salvare  (retten)  bildeten.  Auch 
dieses  war  ihnen  nötig,  da  servare  auiser  'bewahren'  und  'erhal- 
ten' auch  'beobachten'  (observare)  bedeutete.  Vgl.  Thielmann 
Arch.  VIU  in  dem  Aufsatze  über  die  Sirachübersetzung.  Ob  auch 
die  hispanische  Kirche  diese  Übersetzung  annahm,  kann  ich  darum 
nicht  bestimmt  behaupten,  weil  im  Spanischen  salvar  Lehnwort 
ist.  TertuUian  hat  salvare  nur  in  zwei  Bibelcitaten  gebraucht, 
also  selbst  das  Verbum  noch  nicht  gebilligt.  Auch  Lactanz 
schwankt  noch  Instit.  4,  12,  0  lesus,  qui  latine  dicitur  salutaris 
sive  salvator,  quia  cnnctis  gentibus  salutifer  venit,  doch  zieht  er 
selbst  ibid.  §  9  salvator  vor. 

Und  nicht  viel  weniger  verwickelt  wäre  die  Geschichte  des 
Wortes  mediator  (fisötrr^gf  Mittler).  Man  versuchte  es  mit  Seque- 
ster, arbiter,  Sponsor,  interventor  wiederzugeben;  die  wörtliche 
XJbersetzimg  mediator  verbot  sich,  solange  das  Verbum  mediare 
fehlte;  dieses  mufste  nachfolgen,  sobald  das  Bedürfnis  den  media- 
tor erzwungen  hatte.  Übrigens  gehört  es  auch  zur  Geschichte 
der  Semasiologie,  dafs  ein  so  edles  Wort  wie  mediator  auf  die 
Bedeutung  von  'leuo'  herabsinken  konnte,  d.  h.  leno  wird  im  Corp. 
gloss.  V  ()02,  GO  mit  mediator  erklärt.  Sobald  man  aber  die  Wort- 
geschiclite  von  diesem  höheren  Standpunkte  betrachtet,  wird  uns 
die  Lexikographie  nicht  mehr  als  mechanische  Arbeit  erscheinen, 
sondern  es  muls  einer  ein  durchgebildeter  Philologe  sein,  wenn 
er  sich  mit  solchen  Studien  beschäftigen  will. 

Noch  in  einem  anderen  Sinne  ist  die  Beobachtung  der  nicht 
zufällig  fehlenden,  sondern  konsequent  vermiedenen  Wörter  wün- 
schenswert imd  notwendig.     Wer  die  von  den  Alten  dem  Caesar 


Moderne  Lexikographie.  387 

nachgerühmte  elegantia  voll  würdigen  will,  mufs  dieses  Lob 
auf  den  delectus  verborum  beziehen,  und  da  wissen  wir  denn, 
dafs  Caesar,  als  strenger  Analogist,  eine  grofse  Anzahl  von  Wör- 
tern von  seiner  Prosa  ausschlofs,  welche  von  Zeitgenossen  unbe- 
denklich gebraucht  wurden.  Eine  vollständige  Zusammenstellung 
steht  ja  noch  aus;  doch  habe  ich  einiges  Arch.  VIII  143  heraus- 
gehoben und  nenne  hier  als  fehlende  Wörter:  fluvius,  amnis, 
nequeo,  nescio,  reor,  igitur,  quamquam,  absque.  Seine 
Gründe  lassen  sich  meist  noch  erraten.  Für  necopinans  bildete 
er  in  op  in  ans.     Rhein.  Mus.  37,  101. 

Dieses  Fehlen  führt  uns  von  selbst  auf  die  zwei  weiteren 
Paktoren  in  der  Sprachgeschichte,  die  Konkurrenz  und  den 
Ersatz.  Wenn  Wörter  fehlen,  weil  der  Inhalt  einer  Schrift 
die  Begriffe  ausschliefst,  z.  B.  militärische  Ausdrücke  bei  einem 
Mediziner  oder  umgekehrt,  so  kann  uns  dies  selbstverständlich 
nicht  berühren.  Anders  steht  es  mit  dem  Begriffe  'Flufs'  bei 
Caesar.  Dafs  er  das  von  Sisenna  nach  Analogie  von  pluo  pluvia 
gebildete  fluvia  verwarf,  wird  jedermann  begreifen;  er  schrieb 
ilumen  wegen  der  Analogie  nuo  numen,  acuo  acumen.  Und  dits 
ist  die  leichtere  Aufgabe,  aus  dem  Reichtume  des  Vorhandenen 
auszuwählen.  Wemi  aber  ein  W^ort  aus  irgend  einem  Grunde 
abstarb  und  sich  nicht  behaupten  konnte,  z.  B.  weil  es  in  seiner 
lautlichen  Entwicklung  mit  einem  Homonym  zusammenfiel,  woher 
soll  die  Sprache  die  Lücke  ausfüllen,  wemi  kein  passendes  Syno- 
nymum  vorhanden  istV  Solche  Fragen  kann  der  Thesaurus  noch 
nicht  im  Zusammenhange  behandeln;  denn  wenn  auch  Vollmer 
bemerkt,  das  längere  angiportus  (angiportum)  sei  später  durch 
vicus  verdrängt  worden,  so  müfste  man  auch  den  Gebrauch  dieses 
Wortes  überblicken  können,  und  daim  wäre  die  weitere  Frage 
aufzuwerfen,  ob  nicht  vicus  seinerseits  durch  vi  Ha  oder  ä.  ent- 
lastet worden  sei.  Alle  diese  Untersuchungen  sind,  wie  alle, 
welche  eine  Vergleichung  des  ganzen  Wortschatzes  voraussetzen, 
erst  nach  Vollendung  des  grofsen  Werkes  möglich;  was  heute 
geschehen  kann,  mufs  sich  darauf  beschriinken,  den  Sinn  für  diese 
Art  der  Betrachtung  zu  öffnen,  und  darum  wird  es  nicht  unpassend 
sein,  einige  allgemeine  Bemerkungen  zu  machen. 

Konnte  man  bisher  nicht  einmal  das  Absterben  eines  Wortes 
konstatieren,  so  noch  viel  weniger,  was  an  dessen  Stelle  getreten 
sei,  weil  die  einzelnen  Vokabeln  in  den  Wörterbüchern  nach 
amerikanischem  Zellensystem  abgesperrt  und  in  keine  Verbindung 


3>^8  Ed.  Wölfflin: 

mit  einander  gebracht  wurden,  obwohl  sie  doch  nicht  als  Jung- 
gesellen, sondern  in  Pamiliengemeinschaft  leben.  Und  doch  ist 
neben  der  Produktion  der  ersten  Wörter  für  die  einzelnen  Be- 
griffe, also  gewissermafsen  der  Ursprache,  die  Ausfüllung  der  ent- 
standenen Lücken  eine  der  grofsartigsten  Leistungen  der  Sprache, 
deren  Sorge  einem  Kriegsministerium  gleicht,  welches  nicht  nur 
die  Gefallenen  durch  Nachschub  ersetzt,  sondern  auch  sich  alle 
Mühe  giebt,  die  Kranken  und  Verwundeten  am  Leben  zu  erhalten. 
Oder  wie  der  Finanzminister  Ausgaben  und  Einnahmen  im  Gleich- 
gewichte halten  mufs,  so  hat  der  Sprachgeist  als  Nationalökonom 
dafür  einzustehen,  dafs  alle  Bedürfnisse  gedeckt  werden.  Es  ist 
freilich  ein  ungenauer  Ausdruck,  wenn  man  sich  vorstellt,  erst 
nach  dem  Absterben  eines  Wortes  habe  sich  die  Sprache  nach 
einem  nicht  vorübergehenden  Stellvertreter,  sondern  nach  einem 
bleibenden  Ersätze  umgesehen;  denn  dann  kämen  sie  viel  zu  spät. 
Vielmehr  tauchen  die  Neubildungen  schon  zu  dessen  Lebzeiten 
auf  und  erdrücken  dasselbe. 

Die  Wörter  werden  krank  durch  den  häufigen  Gebrauch,  wie 
die  Münzen  durch  das  Abschleifen.  Auslautende  Konsonanten 
verstummen,  Endsilben  fallen  ab,  lange  Vokale  werden  kurz,  kurze 
ausgestofsen.  So  wurde  das  viersilbige  griechische  ^Icociwr^g  durch 
Aufgeben  des  Anfangsvokales  lateinisch  dreisilbig  Johannes,  zwei- 
silbig mit  abgeworfener  Endung  Johann,  wie  im  Altfranzösischen 
Jehan,  zuletzt  einsilbig  Hans  oder  franz.  Jean.  Wenn  es  aber 
allen  Wörtern  ähnlich  ginge,  so  ])ekäme  die  Sprache  zu  viele 
Einsilbler,  die  sich  als  vielfach  homonvm  nicht  alle  neben  einander 
halten  könnten.  Die  Sprache  begegnet  dieser  Einschrumpfung 
durch  Ansetzung  von  Suffixen,  namentlich  der  sogenannten 
Deminutiv-  imd  Augmentativendungen.  Hatten  diese  in  der  klassi- 
schen Zeit  den  Zweck,  das  Nomen  in  die  Sphäre  des  Kleinen, 
Zierlichen,  Gemütlichen  zu  rücken,  oder  umgekehrt  unter  ein  Ver- 
gröfserungsglas  zu  bringen,  so  dienen  sie  im  Spätlatein  wesent- 
lich dazu,  das  Woii  ohne  Verändening  des  Sinnes  länger  zu 
machen.  Auricula  mufs  ursprünglich  ein  kleines  Ohr  bezeichnet 
haben,  aber  der  Arzt  Marcellus  Empiricus  benützt  die  Form, 
während  er  an  den  dreisilbigen  Genetiven  und  Dativen  festhält, 
um  den  zweisilbigen  Formen,  wie  dem  Genetiv  oder  Dativ  Singu- 
laris,  durch  auriculae  aufzuhelfen  (Arch.  VHI  591),  und  schliefs- 
lich  heifsen  bei  den  Franzosen  alle  Ohren  oreilles. 

Furo,  furonis  mufs  als  Schimpfwort  ui'sprünglich  einen  'Erz- 


Moderne  Lexikographie.  3811 

dieb'  bezeichnet  haben,  wovon  weiter  furunculus  'gemeiner  Dieb', 
auch  in  der  übertragenen  Bedeutung  von  ^eiterndes  Geschwür' 
(nicht  =  furvunculus,  wie  Georges  glaubt),  abgeleitet  worden  ist. 
Aber  in  der  St.  Galler  Epitome  des  Codex  Theodosianus  ent- 
spricht furone  dem  einfachen  *fur'  der  Quelle,  ist  also  ohne  Be- 
deutungssteigerung blofs  verlängerte  Form,  wofür  auch  Du  Gange 
8.  V.  weitere  Beispiele  aus  späteren  Gesetzbüchern  anführt,  und 
das  Frettchen,  welches  die  Italiener  mit  Deminutivsuffix  furetto 
nennen,  heifst  bei  Isidor  orig.  12,  2,  39  mit  Augmentativsuffix 
furo.     Vgl.  über  cardus  (Distel)  und  cardo  Arch.  IX  6. 

Wie  man  dann  von  taurus  nicht  nur  zu  taurulus,  sondern 
zu  dem  kräftigeren,  nach  Analogie  von  ager  agellus  gebildeten 
taurellus  kam,  ohne  dafs  das  Tier  darum  kleiner  geworden  wäre, 
ist  in  diesem  Hefte  S.  306  auseinandergesetzt.  Durch  Kombina- 
tion mehrerer  Suffixe,  wie  -co,  -lo,  konnte  man  weiteren  Silben- 
zuwachs schaffen,  und  so  entstanden  Wörter  wie  soliculus,  ur- 
sprünglich wohl  die  liebe  Sonne,  im  Französischen  (soleil)  die 
Sonne  überhaupt.  Da  nun  auch  die  Adjektiva  Suffixe  anhängen, 
so  bot  sich  nicht  nur  die  Möglichkeit,  medius  zu  medianus 
(moyen),  aetemus  zu  aeternalis  (etemel)  zu  entwickeln,  sondern 
diese  Adjektivformen  konnten  zu  Substantiven  erhoben  werden, 
z.  B.  mons,  montanea,  montagne;  hiems,  hibernum  (hibernus), 
hiver;  medicus,  medicinus,  medecin;  pectus,  pectorina,  poitrine. 

Für  die  Verba  war  das  lebenserhaltende  Element  die  Fre- 
quentativ-  oder  Intensiv  form.  Auch  hier  verblafste  der  Begriff 
der  wiederholten  oder  der  gesteigerten  Thätigkeit  immer  mehr, 
und  schon  zu  Plautus'  Zeit  zog  der  gemeine  Mann  die  volleren 
Formen  auf  -are  denen  auf  -ere  vor.  Denn  während  die  Klassiker 
sagen  tibiis  canere,  wie  fidibus  canere,  finden  wir  bei  Plautus, 
Nepos,  Gellius  und  in  der  Vulgata  zu  Lucas  7,  32  tibiis  cantare, 
offenbar  ohne  Bedeutungsunterschied.  Die  romanischen  Sprachen 
haben  oft  nur  die  Intensivfonnen  erhalten,  welche  also  an  die 
Stelle  der  Stamm  verba  geschoben  sind,  wie  chanter  ^^  canere), 
casser  (quatere),  jeter  (iacere),  oser  (ausare  =  audere).  Dazu  kam, 
dafs  in  den  Zeiten  der  Völkerwanderung  für  die  das  römische 
Reich  überschwemmenden  Fremden  die  regelmäfsige  erste  Kon- 
jugation leichter  zu  handhaben  war  als  die  unregelmäfsige  dritte. 

Am  wenigsten  war  den  einsilbigen  Partikeln  zu  helfen, 
und  sie  haben  daher  auch  die  gröfsten  Verluste  erlitten:  cum  als 
Konjunktion   (präpositioual   in   ^con'   erhalten),  die  Präpositionen 


390  Ed.  Wölfflin: 

ab,  ob  und  ex,  die  vieldeutigen  ut  (Arch.  X374f.),  vel  und  seu, 
sed  und  at,  quin  und  nam  sind  so  gut  wie  spurlos  yersch wunden; 
daneben  auch  manche  zweisilbige,  wie  autem,  enim,  quia,  ergo, 
selbst  dreisilbige  wie  igitur  mit  Ausnahme  des  Altfranzösischen 
{wenn  giers  von  igitur  herzuleiten  ist)  und  itaque. 

Liefs  sich  hinten  kein  passendes  Suffix  anhangen,  so  konnte 
vom  durch  die  ursprünglich  verstärkende,  aber  nunmehr  abge- 
schwächte Präpositionalzusammensetzung  eine  Silbe  ge- 
wonnen werden.  In  consoler  gegenüber  solari,  depouiller  neben 
spoliare,  conduire  neben  ducere,  annoncer  neben  nuntiare  sind 
die  Präpositionen  nahezu  zu  Imponderabilien  herabgesunken. 
Natürlich  ist  diese  Entwertung  schon  im  Lateinischen  vorbereitet 
oder  vollzogen,  namentlich  ist  aus  con  die  Bedeutung  der  Ge- 
meinschaftlichkeit verschwunden,  so  wenn  Megaronides  im  Tri- 
nummus  des  Plautus  V.  23flF.  sagt,  Freunde  zurechtzuweisen  sei 
ein  undankbares  Geschäft  (aniicum  castigare  ob  meritam  noxiam), 
gleichwohl  werde  er  diesmal  ihm  'tüchtig'  den  Kopf  waschen 
(concastigabo  pro  commerita  noxia).  Bei  dem  streitsüchtigen 
Lucifer  ist  sogar  con  eine  Schimpf partikel  geworden  in  Zusammen- 
setzungen wie:  coarrianus,  conblasphemus,  concamifex,  condesperatus, 
condetestabilis,  coeiTaticus,  cohaereticus,  cohomicida,  coidolatres, 
coimmundus,  conperiidus,  conpestilens,  consacrilegus,  conspurcatus, 
contyranuus,  conviperinus.  Wie  frühe  diese  Bildungen  ein- 
drjuigen,  zeigt  uns  der  Verfasser  des  Bellum  Africum,  welcher  an 
neun  Stellen  nur  convulnerare  gebraucht  statt  des  bei  Caesar 
allein  üblichen  vulnerare;  der  nämliche  Kommentar  teilt  auch 
mit  dem  Bellum  Hispaniense  eine  sichtbare  Vorliebe  für  con- 
vallis  =  vallis. 

In  diese  Reihe  der  Präpositionen  ist  auch  das  uns  oft  un- 
verständliche re  einzufügen,  da  ja  nach  dem  Absterben  von 
linquo  das  zusammengesetzte  relinquo  dem  griechischen  kil^tio 
entsprach;  ebenso  gebrauchten  Dicliter  gelegentlich  recurvus  statt 
curvus,  wenn  ihnen  eine  Silbe  fehlte,  und  in  Grabschriften  wech- 
seln quiesco  und  requiesco  ohne  merklichen  Unterschied.  Arch. 
XIT  227.  Dafs  das  französische  remplir  inhaltlich  dem  latei- 
nischen iniplere  entspriclit,  wird  kaum  bestritten  werden;  allein 
es  muls  doch  bemerkt  werden,  dafs  im  Altfranzösischen  emplir 
und  rera])lir  neben  einander  stehen  und  dafs  das  letztere  'wieder 
(oder  seinerseits)  füllen'  bedeutet.  Vgl.  Bonnet,  Latin  de  Gre- 
goire  de  Tours  288.     Meyer-Lübke,  roman.  Gramm.  U  631. 


Moderne  Lexikographie.  391 

Als  drittes  Mittel  stand  die  Umschreibung  oder  die  Auf- 
lösung in  zwei  Teile  zur  Verfügung,  z.  B.  longum  tempus 
(=  longo  tempore),  frz.  longtemps,  für  diu,  vereinzelt  mindestens 
seit  Catull,  der  regelmäfsige  Stellvertreter  bei  Caelius  Aurelianus; 
multum  (auch  magnum)  tempus,  altfranzösisch  multemps  für 
saepe;  medium  (dimidium)  tempus,  frz.  mitan,  mittlerweile; 
und  anderes  der  Art  im  Arch.  VIII  595  f.  Primum  tempus, 
frz.  printemps,  statt  ver,  Frühling;  vernum  tempus  (neben 
aestas,  auctumnus  und  hiems  bei  Augustin  de  gen.  ad  litt.  lib. 
imperf.  13,  p.  487,  20  Zycha),  wofür  im  Italienischen  der  Plural 
prima  vera  (Ephem.  epigr.  11  310  Nr.  409)  eintritt,  da  vemo 
(=  hibernumj  den  Winter  bezeichnet,  wie  frz.  hiver.  An  die 
Stelle  von  semper  ist  im  Französischen  toujours  (vgl.  aUeweil) 
getreten,  an  die  Stelle  von  medietas  Mitte  medius  locus, 
milieu  u.  s.  w. 

Wenn  aber  alle  diese  Mittel  versagen,  so  mufs  die 
Sprache  imter  den  Synonymen  Umschau  halten,  ob  eines  ent- 
behrlich sei,  wobei  dann  nicht  vermieden  werden  kann,  dafs 
einem  und  demselben  Worte  zwei  verschiedene  Funktionen  (Be- 
deutungen) auferlegt  werden,  falls  es  nicht  gelingt,  für  den  in 
das  vordere  Glied  vorrückenden  Hintermann  selbst  einen  Ersatz 
zu  finden.  Und  Doppelbelastung  hat  die  Sprache  im  ganzen  zu 
vermeiden  gesucht  und  sich  lieber  bemüht,  durch  andere  6e- 
echäftsverteilung  abzuhelfen.  Wie  nun  das  Recht  bei  einem 
Todesfall  bestimmte  Erben  einsetzt,  oder  bestimmte  Personen, 
welche  Vaterstelle  zu  vertreten  haben,  so  greift  auch  die  sprach- 
liche Logik  auf  die  nächste  Verwandtschaft,  auf  das  Allgemeinere 
oder  das  Besondere,  auf  das  genus  oder  die  species.  Paist  dem 
Dichter  gladius  nicht,  oder  erscheint  ihm  das  Wort  als  zu 
trivial,  so  hilft  er  sich  mit  ferrum  oder  mit  mucro  (Schwert- 
spitze, Klinge),  indem  er  den  Teil  für  das  Granze  setzt. 

Die  in  den  romanischen  Sprachen  untergegangenen  Sub- 
stantiva  urbs  und  oppidum  hatten  schon  von  Plautus  an  Kon- 
kurrenz an  civitas  (Merc.  035  civ.  Eretriam,  Corinthum).  Wie 
das  Italienische  und  das  Spanische  beweist,  fiel  diesem  Worte 
die  rechtliche  Nachfolge  von  urbs  zu.  Anders  in  Frankreich  seit 
der  Zeit,  wo  man  die  Landhäuser  vor  den  Thoren,  die  villae, 
in  den  erweiterten  Stadtrayon  hineinzuziehen  begann:  denn  durch 
diese  Einverleibung  der  Vorstädte  konnte  nun  auch  villa  zu  der 
Bedeutung  von  Stadt  aufsteigen,   mit   der  Beschränkung  freilich, 


392  Kd.  VVölfflin: 

dafs  die  Altstadt  oder  die  Innenstadt  immer  noch  civitas  liiefs^ 
die  cite  von  Paris  wie  die  eity  von  London. 

So  haben  wir  nicht  nur  verschiedene  Lösungen  der  Probleme 
nach  den  verschiedenen  Ländern,  sondern  auch  verschiedene  in 
verschiedenen  Zeiten,  und  gar  oft  liegt  zwischen  den  klassisch- 
lateinischen und  den  vulgär -romanischen  Ausdrücken  mancherlei 
in  der  Mitte,  was  über  den  Versuch  nicht  hinausgekommen  und 
für  die  heutige  Lexikographie  in  Vergessenheit  begraben  ist. 
Zwischen  parvus  und  dem  italienischen  piccolo  (frz.  petit) 
liegen  minor,  minimus,  minutus,  dann  modicus,  exiguus,  pu- 
sillus,  brevis  (?),  was  sich  am  bequemsten  aus  der  Ubersetzungs- 
litteratur  nachweisen  liefse,  gerade  wie  neben  grandis  Wörter 
wie  ingens,  enormis,  immensus  als  Erben  von  magnus  konkiuTiert 
haben.  Vgl.  Rönsch,  semasiologische  Beiträge  II  3,  und  Arch.  IX  93. 
Die  Gründe  dieses  immerwährenden  Wechsels  im  Sprachschatze 
sind  sehr  verschieden,  wenn  auch  Kürze  des  Wortes  und  Zu- 
sammenfallen mit  einem  Homonymum  die  hauptsächlichsten. 
Nehmen  wir  mus,  muris,  die  Maus.  Das  Monosyllabuni  fiel, 
während  davon  musio  für  Katze  abgeleitet  wurde,  vielleicht  unter 
germanischem  Einflüsse,  da  man  eher  murio  erwartet.  Vgl.  Papias 
und  Isidor  orig.  12,  2,  38:  musio  appellatus,  quod  muribus  infestus 
sit;  hunc  vulgus  catum  .  .  .  vocant.  Als  Nachfolger  von  mus 
hätte  das  Deminutiv  musculus  sehr  gut  gepafst,  wie  apicula  für 
apis;  allein  die  Form  war  nicht  mehr  frei,  weil  musculus  sogar 
doppelt,  für  'Muskel'  und  'Muschel',  in  Beschlag  genommen  war. 
So  wählten  denn  die  Franzosen  die  Species  Spitzmaus,  sorex, 
souris;  die  Italiener  griflen  sogar  in  der  Verzweiflung  auf  talpa, 
der  Maulwurf,  ital.  topo,  und  die  Spanier  nennen  alle  Mäuse 
Hatten. 

Andererseits  sieht  man  von  formeller  Seite  aus  kaum  recht 
ein,  warum  das  Wort  für  Krankheit,  morbus,  nicht  auf  das 
Italienische  und  die  romanischen  Sprachen  übergegangen  ist. 
Heifst  corbo  (corvo)  der  Rabe,  warum  nicht  morbo  die  Krankheit? 
Der  Arzt  vermied  eben  das  Wort,  um  den  Kranken  nicht  zu  er- 
schrecken; er  sprach  lieber  v(m  einem  Schwächezustande,  einer 
infirmitas  (ital.,  altfranz.,  span.),  oder  einem  schmerzhaften  Leiden, 
einer  *dolentia  (portug.),  oder  einem  Ubelbefinden,  einer  xccxs^Ca 
(franz.  maladie  von  male  habitus).  Das  Latein  der  späteren 
Arzte  hat  aber  aufserdem  noch  die  Ausdrücke  passio,  aegritudo, 
Vitium,  inaequalitas,  affectus  (vgl.  Herzaffektion),  languor, 


Moderne  Lexikographie.  393 

querela  (etwas,  worüber  man  zu  klagen  hat),  malignitas,  in- 
commoditas  u.  a.  gebildet.  Vgl.  August,  eiv.  d.  14,  9  morbos  seu 
vitiosas  passiones.  Auch  causa,  ursprünglich  der  Grund,  aus 
welchem  einer  aus  dem  Militärdienste  entlassen  wurde  (woher 
causarius,  Tert.  pudic.  20),  ist  für  Krankheit  gebraucht  worden. 
Während  Min.  Fei.  Oct.  25,  8  noch  sagt  morbi  et  malae  valetu- 
dines,  verwendet  die  lateinische  Übersetzung  des  Muscio  Soranus 
das  einfache  valetudo  in  dem  nämlichen  Sinne.  Isid.  rer.  nat.  39 
languor  . . .  aegritudo.  Aufser  den  Medizinern  bietet  namentlich 
der  Astrolog  Finnicus  Matemus  reiches  Material,  und  ein  kleines 
Buch  darüber  zu  schreiben  wäre  keine  Kunst.  Vgl.  Münchener 
Sitz.-Ber.  3.  Juli  1880,  S.  386—394.  Wenn  nun  der  Artikel  mor- 
bus bei  Forcellini  ohne  Ausblick  in  die  Zukunft  schliefst,  so  wäre 
doch  zu  wünschen,  dafs  der  Thesaurus,  wenn  auch  nur  durch 
Verweisung  auf  diesen  Aufsatz  oder  meine  eben  angeführte  Aka- 
demieabhandlung, die  Leser  auf  den  überaus  reichen  Wechsel 
aufmerksam  machte.  Das  Interessante  daran  ist,  dafs  jedes 
Wort,  welches  zur  Hilfe  herangezogen  wird,  da  es  sich  doc^h 
nicht  verdoppeln  kann,  eine  Lücke  hinterläfst,  deren  Ausfüllung 
oft  einen  zweiten  und  dritten  Tausch  nötig  macht.  Causa  erfüllte 
doch  nicht  alle  Bedingungen,  um  bleibend  morbus  zu  vertreten. 
Denn  da  das  einsilbige  res  unterging,  bot  causa  (chose,  cosa) 
den  natürlichsten  Ersatz;  dann  konnte  es  aber  auch  nicht  mehr 
den  *Grund'  bezeichnen  (cause  ist  mot  savant),  sondern  wurde 
durch  ratio  (raison)  ersetzt,  wie  dieses  selbst  wieder  in  der  Be- 
deutung von  'Art  und  Weise'  durch  modus  (maniere)  abgelöst, 
und  modus  (Mafs)  nochmals  durch  mensura.  Oder  hätte  8i<"h 
passio  für  Krankheit  festgesetzt,  dann  konnte  es  nicht  daneben 
die  Leidenschaft  oder  die  Leidensgeschichte  Christi  bezeichnen. 
Diese  Verschiebungen,  diese  grofsartige  sprachliche  Bilanz  werden 
uns  später  die  Lexikographie  und  die  Semasiologie  darzustellen 
haben,  wenn  es  durch  den  Thesaurus  möglich  werden  wird,  die 
Wörter  nicht  isoliert,  sondern  in  ihrem  Zusammenhange  mit  ihrer 
Verwandtschaft  zu  betrachten. 

Um  noch  an  einem  Beispiele  zu  zeigen,  was  wir  alles  zu 
leisten  haben,  wählen  wir  das  Wort  ^dere,  essen.  Form  wie 
Etymologie  sind  durchsichtig;  denn  es  entspricht  dem  griechischen 
idfo,  womit  zugleich  auch  die  Quantität  gegeben  ist  im  Gegen- 
satze zu  edo  =  ex-do,  herausgeben. 

Ob  man  nun  die  sogenamiten  unregelmäfsigen  Formen  esse 


394  Ed.  Wölfflin: 

=  edere,  essem  =  ederem,  est  =  edit,  estur  =  editur^  edim  =  edam 
(eserim  oder  esserim  =  ederim  ist  falsche  Lesart  bei  Apul.  met. 
4,  22),  edundo  =  edendo  im  Thesaurus  nochmals  aufführen  soUe^ 
während  sie  doch  bereits  in  der  Formenlehre  von  Neue  zu  finden 
sind,  ob  alle  Belege  beizuschreiben  seien  oder  nur  ausgewählte^ 
ob  nur  die  Namen  der  Autoren  oder  auch  die  Titel  der  Werke, 
sowie  die  Buch-,  Kapitel-  und  Paragraphenzahlen,  darüber  könnte 
man  verschiedener  Ansicht  sein;  wenn  der  Thesaurus  das  ganze 
oder  doch  ein  sehr  reichliches  Material  giebt,  so  geschieht  es^ 
weil  in  der  Regel  einzelne  bei  Neue  oder  bei  George«  (Wort- 
formen) fehlende  Beispiele  hinzukommen  oder  andere  bisher  auf- 
geführte gestrichen  werden  müssen.  Notwendig  aber  ist  unt^r 
allen  Umständen,  dafs  die  Angaben  über  die  Bedeutungen  aus  den 
lateinischen  Glossaren  zusammengefaTst  werden,  da  dies  bisher 
nicht  geschehen  isi 

Dann  wird  der  intransitive  Gebrauch  als  der  ältere  an  die 
Spitze  zu  stellen  und  mit  den  ältesten  Beispielen  zu  belegen  sein, 
z.  B.  mit  Plautus  bibite  este,  namentlich  mit  denjenigen,  wo  durch 
Gegensätze  oder  Synonyma  die  Bedeutung  besonders  klar  hervor- 
tritt; auch  Cicero  wird  nicht  fehlen  dürfen,  z.  B.  edit  et  bibit 
iucunde.  Aber  ebenso  wäre  der  bekannte  Spruch  des  Sokrates 
aufzunehmen:  non  ut  edam  vivo,  sed  ut  vivam  edo,  teils  weil  hier 
das  Verbum  einen  andern  Gegensatz  hat,  teils  weil  Beispiele  mit 
abgeschlossenem  Sinne  den  erst  aus  dem  Zusammenhange  ver- 
ständlichen vorzuziehen  sind  und  in  sprichwörtlichen  Redensarten 
das  Gemeinlatein,  befreit  von  jeder  individuellen  Färbung,  zum 
Aus<lrucke  zu  gelangen  pflegt.  Klotz  und  Mühlmann,  welche  das 
Beispiel  haben,  führen  es  aus  dem  Citate  bei  Quintilian  9,  3,  85 
an,  wo  auch  die  Ausgabe  Halms  keine  ältere  Quelle  nachweist, 
während  wir  besser  auf  den  nahezu  zwei  Jahrhunderte  älteren 
(;omificius  4,  28,  B9  (ut  edas  etc.,  wo  Codex  H  die  Konjunktiv- 
form ^edis'  giebt)  zurückgreifen  Averden.  —  Die  öfter  befolgte 
Praxis,  von  den  Verbindungen  mit  Objekt  auszugehen  \md  dann 
mit  einer  Rubrik  zu  schliefsen  ^omisso  obiecto*,  erweist  sich  ge- 
wölmlich  als  unhistorisch;  a  priori  ist  sie  nicht  berechtigt  und 
nur  da  zulässig,  wo  aus  der  Prüfung  sämtlicher  Beispiele  der 
absolute  Gebrauch  des  Verbums  als  der  jüngere  sich  ergiebt. 

Nach  einer  neuerdings  beliebten  Methode  würden  nun  die 
Subjekte  zu  unterscheiden  sein,  miles,  puella,  luppiter  edit  u.  ä,, 
allein  dies  hat  für  den  wissenschaftlichen  Lexikographen  durchaus 


Moderne  Lexikographie.  395 

keine  Bedeutimg;  wohl  aber  hat  der  Thesaurus,  was  bisher  nicht 
geschehen  ist,  anzugeben,  wie  weit,  abgesehen  von  den  Menschen,, 
das  Wort  edere  auf  Tiere  Anwendung  findet.  Edere  und  essen 
im  Gegensatze  zu  fressen  decken  sich  nicht,  da  die  Tiere,  welche 
grünes  Futter  fressen  (pabulmn,  pasci)  doch  nur  einen  Teil  bil- 
den; Mäuse  oder  Raben,  welche  sonst  für  Menschen  bestimmte 
Speisen  geniefsen,  haben  im  Lateinischen  Anteil  an  dem  edere. 
Ja  in  den  Prodigialaufzeichnungen  wurde  nach  Lirius  30, 2,  9 
von  Raben  berichtet:  aurom  edisse. 

Bei  der  Darstellung  des  transitiven  Gebrauches  spielen 
selbstverständlich  die  Objekte  die  Hauptrolle;  indessen  kann  es 
doch  kaum  unsere  Aufgabe  sein,  alle  Speisen,  welche  gegessen 
werden,  in  einer  alphabetischen  oder  historischen  Reihenfolge  auf- 
zuzählen. Beispiele  der  verschiedenen  Arten  von  Lebensmitteln^ 
wie  edere  panem,  caseum,  camem,  pisces,  ova,  mala,  werden  ge- 
nügen, da  eine  Übersicht  der  Reichhaltigkeit  römischer  Menüs  in 
die  Privat-  oder  Kochaltertümer  gehört.  Allenfalls  mögen  aus 
kulturhistorischen  Rücksichten  Delikatessen,  welche  erst  die 
Kaiserzeit  kultiviert  hat,  wie  muraenas  edere  bei  Seneca  dem. 
18,  2,  boletos  (Champignons)  bei  Juvenal  und  Martial,  durch  die 
früheste  Stelle  des  Vorkommens  zu  markieren  sein;  oder  es  mögen 
Gerichte,  welche  halb  fest,  halb  flüssig  (sorbilia)  sind,  wie  weich- 
gesottene Eier,  in  den  Lexikonartikel  Aufnahme  finden,  weil  hier 
edere  mit  sorbere  konkurrieren  kann  (vgl.  Suppe  essen ),  möglicher- 
weise ein  Brei  (puls)  in  verschiedenen  Jahrhunderten  verschieden 
zubereitet  sein  kann,  wodurch  sich  das  Verbum  verändert.  Nur 
der  noch  nicht  ganz  ausgerotteten  Vorstellung,  als  ob  es  ein  Ver- 
dienst und  eine  Erweiterung  der  Philologie  sei,  zu  zwei  Belegen 
von  caseum  edere  einen  dritten  hinzuzufügen,  müssen  wir  mit  aller 
Entschiedenheit  entgegentreten. 

Bei  dem  bildlichen  Gebrauche  des  Verbums  wird  vor  allem 
darauf  zu  achten  sein,  ob  der  Tropus  im  Lateinischen  zuerst  auf- 
tritt, oder  ob  er  im  Griechischen  vorgebildet  ist,  wie  sich  das 
horazische  ^si  quid  est  animum'  (animam  bei  Georges  scheint 
Druckfehler)  offenbar  an  Homer  anschliefst,  zumal  schon  Cicero 
Tusc.  3,  63  das  homerische  bv  ^vfibv  xccriSav  mit  ipse  suum  cor 
edens  übersetzt  hatte.  Hier  ist  es  ein  Vorrecht  der  Dichter,  den 
Sprachgebrauch  zu  erweitem,  wie  es  Vergil,  Horaz  und  Ovid  ge- 
than  haben,  und  darum  müssen  auch  die  Belege  zahlreicher  sein 
als  bei  dem  allgemein  üblichen  Sprachgebrauche,  weil  hier  Indi- 


396  Ed.  Wölfflin: 

viduelles  hervortritt.  Wenn  also  unsere  Lexika  die  Phrase  des 
Vergil  Aen.  4,  66  ^est  mollis  flamnia  medullas'  von  der  Liebe  der 
Dido  zu  Aeneas  anführen,  so  fehlt  zweierlei,  einmal,  dafs  dieselbe 
schon  dem  älteren  CatuU  gehört  (35,  14.  66,  23),  welcher  auch 
medullas  an  das  Ende  des  Hexameters  gestellt  hat,  zweitens,  dafs 
das  Vorbild  bei  den  Griechen  zu  suchen  ist,  wie  bei  Theokrit 
30,  21  6  xöd^og  TOP  iaa  (ivsXbv  iö^ui. 

War  das  Bisherige  nur  Kritik  der  bestehenden  Lexikographie, 
80  haben  wir  noch  auf  unsere  zukünftigen  Aufgaben  einzugehen. 
Über  das  erste  Auftreten  des  Wortes  können  wir  uns  kurz  fassen, 
da  es  so  alt  ist  als  die  lateinische  Sprache  und  bereits  bei  Nae- 
vius  vorkommt;  dagegen  ist  es  schwierig  und  darum  auch  noch 
nicht  versucht,  das  Ableben  zu  beobachten.  Abgestorben  ist  edere 
sicherlich,  da  es  in  sämtlichen  romanischen  Sprachen  fehlt;  es 
fragt  sich  nur,  wann  und  warum,  und  wie  wir  dies  beweisen  sollen. 

Nun  fehlt  sowohl  in  der  um  das  Jahr  525  geschriebenen 
Diätetik  des  Anthimus  als  auch  in  den  acht  Büchern  des  afrika- 
nischen Arztes  Caelius  Aurelianus,  welcher  im  fünften  Jahrhundert 
nach  Chr.  schrieb,  das  Wort  gänzlich,  was  unmöglich  auf  Zufall 
beruhen  kann.  Denn  wenn  auch  Caelius  als  praktischer  Arzt  bei 
der  Regulierung  der  Diät  meist  von  dem  'Verordnen'  der  Speisen 
spricht  (dandus  cibus,  dandi  porcini  pedes,  dabimus  ostrea  u.  ä.), 
nicht  von  dem  Genüsse  seitens  der  Kranken,  so  kommt  doch  der 
Begriff  'essen'  an  Dutzenden  von  Stellen  vor,  ohne  dafs  er  übrigens 
je  mit  edere  ausgedrückt  wäre.  Bei  Anthimus  wird  vollends 
gegen  60  mal  vom  Essen  gesprochen.  Aber  schon  in  der  um  385 
geschriebenen,  ohne  zwingende  Gründe  der  Silvia  beigelegten 
Peregrinatio  nach  Jerusalem,  in  welcher  doch  oft  vom  Essen  die 
Rede  ist,  wird  man  das  Wort  vergeblich  suchen,  was  so  viel  be- 
deutet, als  dafs  es  in  der  Umgangssprache  Galliens  fehlte,  wäh- 
rend der  gelehrtere  Gregor  von  Tours,  welcher  Litteratur-  und 
Volkssprache  mischt  und  daher  als  Mafsstab  weniger  in  Betracht 
kommt,  das  Verbum  mehrfach  verwendet  hat.  Noch  bedeutsamer 
indessen  ist  das  auffallende  Zurücktreten  in  den  um  200  ent- 
standenen lateinischen  Bibelübersetzungen.  Denn  obschon  das 
iöd-io  der  Septuaginta  (welches  freilich  frühzeitig  durch  xQ<a}'(Oy 
nagen,  zurückgedrängt  worden  ist,  vgl.  Hausleiter  in  Arch.  IX, 
Heft  2)  und  des  Xeuen  Testamentes  das  lateinische  edere  schützen 
mulste,  weil  man  es  liebte,  griechische  Wörter  mit  lateinischen 
desselben  Stammes  wiederzugeben  (vgl.  Arch.  IX  83),  so  ist  doch 


Moderne  Lexikographie.  397 

edere  viel  seltener,  als  man  glauben  sollte,  und  wo  es  in  einzelnen 
Rezensionen  auftritt,  bieten  andere  Varianten  und  Konkurrenz- 
ausdrücke. Die  Vulgata  des  Alten  Testamentes  hat  edere  kaum 
30 mal,  comedere  über  500 mal,  und  nicht  selten  als  Gegensatz 
zu  bibere. 

Es  giebt  übrigens  noch  andere  Mittel  und  Wege,  den  Krebs- 
gang eines  Wortes  zu  konstatieren.  Wenn  der  bekannte  Aus- 
spruch des  Appius  Claudius  Pulcher,  als  er  die  Hühner  der  Auguren 
ersäufen  liefs,  lautete:  ut  biberent,  quoniam  esse  noUent,  nach 
Cic.  nat.  deor.  2,  7  (die  Stelle  fehlt  bei  Merguet  s.  v.  edo,  weil  der 
Sammler  esse  von  sum  ableitete),  Val.  Max.  1 ,  4,  3,  Suet.  Tib.  2, 
sodafs  höchstwahrscheinlich  auch  Livius  diesen  Ausdruck  gebraucht 
hatte,  nach  der  Periocha  Livii  19  dagegen:  pullos,  qui  cibari 
nolebant  etc.,  so  wird  der  in  die  letzten  Jahre  des  Tiberius  fallende 
Epitomator  von  der  Überlieferung  abgegangen  sein,  weil  für  seine 
Leser  esse  nicht  schön  oder  nicht  deutlich  genug  war.  Auch 
mufs  es  ja  befremden,  dafs  in  Glossaren  edere  und  die  davon 
abgeleiteten  Wörter  so  oft  erklärt  werden,  so  Corp.  gloss.  V  164, 
21  ff.  esus,  esum  (Particip),  V  565,  6  edit]  comedit,  V  192,  7 
edulium. 

Nun  besafs  das  einen  Tribrachys  bildende  edere  nicht  die 
nötigen  Eigenschaften  zum  Fortleben;  im  Spanischen  wäre  es  zu 
*er'  zusammengeschmolzen,  da  ja  aus  comedere  geworden  ist 
comer;  zudem  aber  kollidierte  es,  seitdem  man  die  Quantität  zu 
vernachlässigen  begonnen  hatte,  mit  dem  daktylischen  edere;  end- 
lich hatte  es  Nebenformen  ohne  Bindevokal,  es,  est,  esse,  essem, 
welche  mit  Formen  von  sum  zusammenfielen  —  Grund  genug,  ein 
so  trügerisches  Wort  aufzugeben. 

Den  nächsten  Ersatz  hätte  das  Frequentativum  esitare 
bieten  köimen,  nach  unsem  oben  S.  389  gegebenen  Darlegungen. 
Diese  Form  ist  auch  gebildet  worden,  doch  hat  sie  nie  die  fre- 
qnentative  Bedeutung  ganz  abgelegt  und  auch  wegen  der  Kom- 
bination von  Supinalableitung  und  dem  Suffixe  -it  die  Pflicht 
gehabt,  etwas  mehr  auszudrücken  als  das  Verbum  simplex.  Was 
mir  Schmitz  einmal  schrieb,  esitare  sei  nicht  durchgedrungen 
wegen  der  Konkurrenz  mit  haesitare,  klingt  mir  nicht  sehr  wahr- 
scheinlich, da  beide  Verba  verhältnismäfsig  selten  sind. 

.  Lieber  griff  man  auf  das  Kompositum  comedere,  ursprüng- 
lich zusammenessen,    aufessen,    sodafs  nichts  mehr  übrig  bleibt. 

Die  Volkssprache,  welche  gern  übertreibt,  macht  von  solchen  ver- 
Archiv für  lat.  Lexikogr.    XH     Heft  S.  <il 


398  Kd.  Wölfflin: 

stärkenden  Zusammensetzungen  so  unmäfsigen  Gebrauch,  dafs  sie 
dadurch  an  Wert  verlieren.  Vergl.  oben  S.  390.  Und  siegreich 
durchgedrungen  ist  comedere  in  Spanien  und  Portugal  mit  com  er, 
und  schon  dem  Bischof  von  Sevilla,  dem  gelehrten  Isidor,  fühlt 
man  es  nach,  dafs  für  ihn,  wenn  er  auch  gelegentlich  das  klassische 
edere  gebraucht,  doch  comedere  der  Normalausdruck  ist;  schreibt 
er  doch  Orig.  20,  1,  1  a  comesu  mensa  (spanisch  ohne  Nasal 
mesa);  20,  1,21  coctum  usui  comestionis  aptum;  20,2,37  favum 
comeditur  magis  quam  bibttiir]  ipaysiv  (woher  er  favum  ableitete) 
enim  comedere  10,58;  und  aus  dem  von  ihm  zuerst  gebrauchten 
comestibilis,  efsbar,  hat  die  gelehrte  Sprache  des  XVI.  imd  XVII. 
Jahrhunderts  franz.  comestibles,  spau.  comestibiles  abgeleitet.  So 
stimmt  das  spanische  Latein  mit  dem  modernen  Spanisch.  FreiUch 
wäre  es  ein  Irrtum,  zu  glauben,  dafs  nur  auf  der  iberischen  Halb- 
insel dieses  Wort  als  Ersatz  benützt  worden  sei;  vielmehr  tritt 
es  auch  bei  Anthimus  und  anderen  Autoren  kräftig  auf,  und  wer 
darüber  mehr  zu  wissen  wünscht,  vergleiche  nur  die  alten  latei- 
nischen  Übersetzungen  des  Irenaeus,  des  Hirten  des  Hermas,  des 
Clemensbriefes  an  die  Korinther  (Arch.  IX  81  flf.)  mit  den  griechi- 
schen Originalen,  um  den  Gebrauch  und  den  Wert  von  comedere 
kennen  zu  lernen. 

Durchgedrungen  ist  comedere  nördlich  der  Pyrenäen  aller- 
dings nicht,  sondern  diese  Länder  haben  das  Problem  auf  anderem 
Wege  gelöst.  Denkbar  wäre  zunächst,  dafs  man  den  für  die 
Tierwelt  gültigen  Ausdruck  auf  die  Menschen  übertragen  hätte, 
etwa  wie  das  Volk  *  fressen'  oder  ^futtern'  (intrans.)  für  'essen' 
gebraucht,  oder  wie  das  Lateinische  pellis  fiir  cutis,  dorsum  für 
tergum,  rostrum  (Schnabel,  span.)  für  os,  oris.  Dergleichen  mag 
von  Einzelnen  versucht  worden  sein;  allein  in  den  romanischen 
Sprachen  finde  ich  keine  Spuren,  welche  auf  eine  allgemein  betretene 
Landstrafse  hinwiesen.  Nur  im  Griechischen  ist  tQ(oy(o  (nagen) 
frühzeitig  als  Konkurrent  von  iö&i^o  aufgetreten.  Der  Occident 
hat  sich  eines  anderen  Hilfsmittels  bedient. 

Das  ^Essen'  zerfällt  nämlich  in  drei  Akte:  das  Beifsen,  was 
zunächst  in  edere  lag  nach  der  Etymologie  dens  =  edens  =  dÖovgj 
der  Zahn  (Vergil.  Gramm,  p.  100,  38  H.);  das  Kauen  oder  Mischen 
mit  Speichel,  endlich  das  Schlucken.  Aufgabe  war  es,  eine  Be- 
zeichnung eines  Teilbegrifi'es  frei  zu  machen  und  mit  der  Figur 
^pars  pro  toto'  zum  Ganzen  zu  erheben.  Vgl.  oben  S.  391. 
Mord  er  e  könnte  nicht  aushelfen,    da   es    seinen    ursprünglichen 


Moderne  Lexikographie.  399 

Platz  zu  schützen  hatte  und  auch  in  den  romanischen  Sprachen 
für  'beifsen'  erhalten  ist.  (Dialektisch  kenne  ich  zürch.  *hüre- 
beifs'  von  heuer  =  primitiae.) 

Dafür  war  ^kauen'  mindestens  doppelt  besetzt,  durch  m an- 
dere und  das  von  manducus  (vgl.  cadere,  caducus)  abgeleitete 
manducare  (vgl.  Verg.  Gramm,  p.  102,  1.  2  H.),  und  dieses  letztere 
ist  durch  Bedeutungserweiterung  der  Erbe  von  edere  geworden, 
itaL  mangiare,  franz.  manger.  Diese  Yerba,  zu  denen  noch  die 
Komposita  commandere  und  commanducare  hinzukommen,  iden- 
tisch mit  griech.  iia6do(iai,  kauen,  essen,  sind  übrigens  nicht  erst 
zur  Zeit  des  Absterbens  von  edere  herangezogen,  sondern  schon 
in  der  alten  Volkssprache  in  diesem  Sinne  gebraucht  worden,  wie 
das  Substantiv  mando,  mandonis  bei  Lucilius  beweist;  deshalb 
besafs  auch  das  Stammwort  mardere  die  gleichen  Erbschafts- 
ansprüche. Beispielsweise  hat  der  oben  genannte  Caelius  Aure- 
lianus  mandere  für  essen,  manducare  gar  nicht,  und  für  ^kauen' 
das  jüngere  masticare.  So  blieb  den  einzelnen  Autoren  ein 
grofser  Spielraum  übrig,  ihre  Wahl  unter  den  verschiedenen  kon- 
kurrierenden Ausdrücken  zu  treflfen;  doch  sind  die  beiden  vul^ren 
Worte  für  essen  erst  in  der  Kaiserzeit  in  die  gute  Litteratur 
eingedrungen.  Wenn  Augustus  (Suet.  76)  schrieb  Muas  bucceas 
manducare',  so  geschah  dies  eben  in  einem  Briefe,  dessen  volks- 
tümliche Färbung  auch  buccea  verbürgt,  und  mit  derselben  Frei- 
heit, mit  welcher  er  in  einem  andern  Briefe  comedere  für  edere 
gebrauchte;  aber  bei  dem  Naturforscher  Plinius  wird  mandere 
mehrfach  von  dem  Essen  zubereiteter  Speisen  gebraucht  (8,  210. 
22,  92),  wie  bei  anderen  umgekehrt  von  dem  nicht  Gekochten. 
Siegreich  ist  manducare  beispielsweise  in  den  vorhieronymianischen 
Übersetzungen  des  Neuen  Testamentes  imd  in  der  Peregrinatio  ad 
loca  sancta. 

Von  den  Verben  des  Schluckens  konnten  gluttire  imd  [de]- 
vorare  in  Betracht  kommen  und  sind  auch  wohl  versuchsweise 
an  die  Stelle  von  edere  eingerückt;  schon  Cicero  sagte  nat.  d. 
2,  122  von  den  Tieren:  alia  carpunt,  alia  vorant,  alia  mandimt; 
doch  behielten  die  Worte  in  den  romanischen  Sprachen  die  ur- 
sprüngliche Nuance  ihter  Bedeutung,  wie  auch  Caelius  Aurelianiis 
den  letzten  Akt  mit  transvorare  bezeichnet. 

Wenn  wir  nun  in   den  romanischen  Sprachen  den  sauberen 

Rechnungsabschlufs  vor  Augen  haben,    indem   comedere  jenseits 

der  Pyrenäen  fortlebt,  manducare   im   Osten,  so   ist  doch   damit 

27* 


400  Ed.  Wölfflin:    Moderne  Lexikographie. 

das  Ringen  der  Sprache  von  ferne  niclit  zur  Anschauung  gebracht. 
Wir  wollen  nicht  von  gustare,  ysveöd^ai,  sprechen,  welches  eine 
Specialität  des  Essens,  unser  'kosten',  d.  h.  mit  Genufs  essen,  be- 
zeichnet, auch  nicht  von  Wörtern  wie  prandere,  cenare,  meren- 
dare  (Isidor,  Orig.  20,  2,  12,  eigentlich  von  dem  Mittags-  oder  dem 
Abendbrote,  welches  man  erst  durch  die  Tagesarbeit  verdienen 
mufs).  Die  Sprache  hat  auch,  wie  wir  schon  oben  sahen,  auf 
cibari  gegriffen,  und  so  heifst  die  Essenszeit  für  den  Kranken 
bei  Caelius  Aurelianus  acut.  2,  204.  207.  chron.  1,  171  tempus 
cibandi,  und  schon  früher  sagte  Commodian  instr.  2,  20,  19  'laute 
cibatum'  für  laute  cenatum.  Ein  vulgäres  Wort  war,  da  es  nur 
bei  Plautus  imd  Persius  (abgesehen  von  den  Glossen,  vgl.  Index 
gl.  emend.)  vorkommt,  pappare,  welches  im  Corp.  gloss.  II  141,  53 
mit  [laöaxai  (kauen)  erklärt  wird  imd  in  den  romanischen  Sprachen 
zwischen  'essen'  und  ^fressen'  schwankt.  Vgl.  auch  Varro  de 
liberis  educandis  bei  Nonius  81,  ?n  cum  cibum  ac  potionem 
pappas  ac  buas  vocent. 

Der  vorstehende  Aufsatz  ist  nicht  als  Reklame  für  den 
Thesaurus  geschrieben;  wir  bedürfen  derselben  nicht,  da  der  Ab- 
satz schon  jetzt  das  Dreifache  dessen  beträgt,  was  Sachverständige 
gerechnet  hatten.  Wohl  aber  möchten  wir  gegenüber  dem  stark 
entwickelten  Sammelfleilse  der  Philologen  betonen,  dafs  nicht  die 
Quantität  die  Wissenschaft  ausmacht,  sondern  der  Standpunkt  des 
sprachgeschichtlichen  Ausblickes,  und  wir  sind  noch  viel  zu  wenig 
daran  gewöhnt,  unsere  Augen  nach  der  Feme  zu  richten.  Vor 
Jahrhunderten  sind  die  Holländer  mit  vorwiegend  stilistischen 
'Observationen'  vorangegangen;  es  gilt,  dieselben  auf  die  höhere 
Stufe  der  Sprachentwicklung  zu  heben  und  statt  des  einzelnen 
Autors  die  ganze  Latinität  zum  Objekte  zu  nehmen. 

München.  Eduard  WSIfilin. 


Besta;  similitudinarie;  inft*agifer;  anxio. 

Das  zur  Erklärung  der  romanischen  Formen  vielgesuchte  besta 
findet  sich  bei  Lact.  inst.  5,  23,  3.  mort.  persec.  52,  2;  similitudi- 
narie, Arch.  Xn  284  besprochen,  in  den  Scholien  zu  Lucan  6,  63; 
infrugifer  Vict.  Tun.  de  paonit.  20;  infructifer  (vgl.  Arch.  XII  287) 
bei  [August.]  ad  fratr.  ereni.  serm.  3;  anxio  bei  [Ambros.]  serm. 
37,  6.     Greg.  M.  dial.  1,  4  u.  s.  w. 

Cambridge.  John  E.  B.  Major. 


Zur  Mulomedicina  Chironis. 

I. 

Die  Entdeckung  der  Mulomedicina  Cliirouis  verdanken  wir 
W.  Meyer *)^  die  Herausgabe  der  entsagungsvollen  Arbeit  Oders**), 
nachdem  bereits  Wölflflin  auf  die  sprachliche  Bedeutung  dieses 
Stückes  der  antiken  Litteratur  hingewiesen  hatte.***)  Die  Bedeu- 
tung, welche  dem  Werke  nicht  nur  sprachlich,  sondern  auch 
sachlich  (als  ältestes  erhaltenes  Werk  über  Tierheilkunde  und 
Hauptquelle  der  Bücher  des  Vegetius)  zukommt,  und  die  Sorgfalt, 
mit  welcher  sich  Oder  seiner  dornenvollen  Aufgabe  unterzogen 
hat,  dabei  namentlich  von  Bücheier  unterstützt,  werden  es  recht- 
fertigen, wenn  das  Archiv  eine  über  den  Rahmen  einer  gewöhn- 
lichen Besprechung  hinausgehende  Würdigung  der  Ausgabe  und 
des  Werkes  selbst  bringt. 

Die  Handschrift  (Cod:  Mon.  lat.  243),  aus  dem  15.  Jahrhundert 
stammend,  enthält  die  Mulomedicin  fol.  104' — 159.f)  Sie  ist  in 
10  Bücher  eingeteilt,  am  Anfang  verstümmelt,  ohne  Überschrift; 
den  Titel  geben  einige  Subskriptionen:  Buch  I  nennt  (Itirouis 
centanri,  II  Chirmis  c.  vetcrimani  liber-,  Buch  LX  giebt  Chiron 
centaurus  et  Absi/rtits,  endlieh  am  Schlufs  des  Werkes  die  wichtige 
Subscriptio  (p.  291  Od.):  Clmulius  Hermeros  Veterinär  ins  Über  deci- 
mus  Explicit  felicit^r.  Die  noch  folgenden  §§  977 — 999  sind  aus 
anderen  Rezeptbüchem  hinzugefügt  ff),  wie  ja  ähnliche  Werke  von 
selbst  zur  Ergänzung  einladen. 

Es  werden  also  drei  Namen  genannt:  Chiron,  Apsjrtus, 
Claudius    Hermeros.     Unter   den   Werken    des   Chiron    erwähnt 


*)  Sitzungsber.  Münch.  Akad.  1885,  p.  395. 

*•)  Claudii  Hermori   mulomedicina  Chironis   edidit  E.   Oder.     Lipsiae, 
B.  G.  Teubner  1901. 

*♦*)  in  diesem  Archiv  X  (1898),  p.  413—426. 
t)  Oder  p.  VI.    Über    eine    verschollene    Handschrift    im    Besitz    des 
(j.  ThomasiuH,  ebd.  p.  VII,  1. 

ff)  Hie   iterum    exjJicat    fhwm   operis  heilst   es   zu   §   980;     nichil  fuü 
plus  in  exemplari  sed  /hu's  rohiminis  huius  f'uit  carta  .7^'  autecedenti  zu  §  999. 


402  ^\'  Lommatzsch: 

Suidas*)  iTCTtiatQixov  dtb  xal  KsvravQog  arofidödi].  Auch  Colu- 
mella**)  scheint  eine  griechische  Mulomedicin  unter  dem  Namen 
des  Centauren  Ch.  vorgelegen  zu  haben,  wie  die  Zusammen- 
stellung mit  Melampus  zeigt.  Oder  ist  nun  geneigt,  Chiron  für 
den  Namen  eines  wirklichen  Mulomedicus  zu  halten  (p.  XV  ss.), 
der  aliquanto  antiquior  (p.  XVI  n.  2)  als  Apsyrtus  gewesen  sei, 
zumal  er  bei  Vegetius  stets  nur  als  'Chiron*  citiert  werde  und 
wir  ihn  in  unserer  Mulomedicin  analog  den  anderen  Autoren  be- 
handelt sehen;  der  Zusatz  ^centauriis^  mufs  dann  durch  spätere 
Identifikation  hinzugekommen  sein.  Doch  scheint  mir  dieser 
Schlufs  nicht  zwingend.  Dafs  es  ein  altes  Werk  über  Tierheil- 
kunde unter  Chirons  Namen  gab,  zeigt  jene  Stelle  des  Columella; 
vielleicht  ist  es  nicht  zufällig,  dafs  die  Zusammenstellung  des 
Chiron  und  Melampus  sich  in  gleicher  Weise  bei  Vergil  findet, 
georg.  3,  550:  cessere  magistri,  Fhülyrides  Chiron  AynyÜiaoniusquc 
Melampus.  ***) 

Dies  Werk  des  Chiron  wurde  verbunden  mit  einer  R^ihe 
anderer  Schriften  über  Tierarznei,  vor  allem  des  Apsyrtus,  dessen 
Name  neben  Chiron  in  der  Überschrift  erscheint;  dieselben  beiden 
werden  zusammen  genannt  in  der  Stelle  des  Vegetius f)  ^Chiron 
vero  et  Apsyrtus  diligentia  (quam  Pelagonius  et  ColumeUä  seil.) 
cuncta  rimati  eloquenf^iae  inapia  ac  sermonis  i2)sius  v^ilifafe  sor- 
descunt\  Dafs  Vegetius  hier  ein  lateinisch  geschriebenes  Werk 
meint,  ergiebt  sich  ohne  weiteres  aus  seinem  Urteil  über  die 
Sprache  im  Hinblick  auf  Pelagonius  und  Columella,  auch  sagt 
er  selbst  ausdrücklich,  dafs  er  sein  Buch  zusammengestellt  habe 
comluctis  in  unum  Latinis  dumtaxat  auctoribus  unioersis,  adhihitis 
etiam  tmdomedicis  et  medicis  non  omissis  (praef.  §  G).  Das  von 
Vegetius  genannte  Werk  ist  die  Mulomedicina  Chironis;  das 
stellen  die  vielen,  zum  Teil  wörtlichen  Entlehnimgen  ganzer  Par- 
tien  aufser    allen  Zweifel  ff),  und  bei   genauerem  Eingehen  auf 

*)  s.  V.  Xtigbjv. 

**)  praef.  §  3*2:  in  pecoris  cidiu  doctrinam  Chironis  ac  Melampodis. 
***)  Die  Stelle  citiert  auch  [Lactanz]  mort.  perrf.  33,  4. 
f)  mul.  praef.  §  3. 

tt.)  wenn  auch  von  den  Stellen,  die  Vegetius  ausdrücklich  als  au» 
Chiron  [1,  17,  16  =  109;  6,  8,  1  =  201 ;  6,  14,  1  =  902.  3;  6,  27,  6  =  634; 
6,  13,  2J  und  Apsyrtus  [2,  10,  5  =  157;  6,  13,  4;  14,  5;  22,  1;  27,  1]  stam- 
mend angiebt,  einige  dort  nicht  vorkommen;  es  ist  also  einiges  weggelassen 
worden,  cf.  199  p.  60,  27  sicitt  in  alio  libro  docui.  Die  Bearbeitung  des 
Vegetius  erstreckt  sich,  wie  es  scheint,  nur  auf  die  er8t<in  sechs  Bücher. 


Zur  Mulomedicina  Chironis.  403 

die  Quellen  des  Yegetiu^  zeigt  es  sich,  dafs  er  die  Hauptmasse 
seines  Materials  jener  Mal.  Chironis  et  Apsyrti  verdankt*),  trotz 
seiner  vielfachen  Beteuerungen  (Oder  p.  XI  n.  2),  dafs  er  ^omnes* 
^diversos*  etc.  Autoren  herangezogen  habe:  er  citiert  auch  nur 
diese  vier.**) 

Durch  die  Benutzung  des  Yegetius  ist  zugleich  ein  terminus 
ante  quem  gegeben;  einen  terminus  post  quem  giebt  die  That- 
sache,  dafs  Pelagonius  jene  Übersetzung  des  Apsyrtus  noch  nicht 
kennt  bezw.  benutzt,  sondern  die  betreffenden  Partien  anders 
tibersetzt***),  sodafs  die  Mulomedicina  um  das  Jahr  400  verfafst 
sein  mufs.  Sie  liegt  natürlich  nicht  in  der  ursprünglichen 
Fassung  vorf):  diese  ist  noch  kenntlich  in  einigen  zusammen- 
hängenden Stücken  (c.  115  flf.  266  flf.),  welche  die  Namen  der 
Autoren  als  Lemma  tragen:  Sotion,  Apsyrtus,  Polycletus,  Chiron, 
Famax.  Die  Zusammenarbeitung  dieser  Autoren  dürfte  bereits 
auf  die  griechische  Vorlage  zurückgehen.  Chiron  ist  bei  weitem 
nicht  am  häufigsten  citiert  (Oder  p.  XV  n.  3);  wenn  er  also  in 
dem  Titel  der  Schrift  neben  Apsyrtus  besonders  genannt  wird, 
80  scheint  sich  mir  auch  daraus  der  Schlufs  zu  ergeben,  dafs  wir 
in  Chirons  Werk  ein  den  Namen  des  alten  magister  Achillis 
tragendes  anonymes  Buch  zu  sehen  haben,  nicht  einen  späteren 
Vorläufer  des  Apsyrtus.  Am  Schlufs  des  Werkes  c.  976  nennt 
sich  der  Bearbeiter  des  lateinischen  Werkes:  Claudius  Hermeros 
veterinarius.  Es  wird  schwer  sein,  seinen  Anteil  aus  dem  Wüste 
herauszuschälen.  Das  ursprüngliche  W^erk  hat  sicher  im  Laufe 
der  Zeiten  mannigfache  Überarbeitungen,  Zusätze,  Veränderungen 
der  Anordnung  etc.  erfahren;  durch  den  Vergleich  mit  Vegetius 
läfst  sich  vieles  feststellen,  auch  Sprachliches.  Denn  dafs  Clau- 
dius Hermeros,  trotzdem  er  sermonis  vilitate  sordescit,  doch  nicht 
in  diesem  barbarischen  Latein  geschrieben  hat,  wie  es  die  Hand- 
schrift bietet,  scheint  mir  sicher;  mit  Recht  warnt  Oder  davor 


*;  Daneben  kommen  nur  noch  Pelagonius  und  Columella  (für  Buch  IV  Sehn .  i 
in  Betracht. 

**)  Zweimal  hat  er  aus  seiner  Quelle  ein  Citat  herübergenommen: 
Celsus  (4,  15,  4)  aus  Columella  .6,  14,  6);  aus  Chiron  160  Famax  (2,  10,  10, 
wo  vulg.  pharmaco.  de  la.rif>  .  .  .  Das  richtige  hat  ein  Florentiner  Codex: 
Fanicuc  de  laxis). 

***)  Darüber  die  Gegenüberstellung  mit  der  Übersetzung  bei  Vegetius 
bei  Oder  p.  14()  tf. 

f)  cf.  Oder  p.  XVIII  n.  2. 


404  ^^-  Lommatzsch: 

(p.  XXI),  Fehler  der  Handschrift  für  vulgäre  Formen  zu  halten; 
wir  haben  eben  noch  keinen  rechten  Mafsstab,  nach  dem  wir 
die  Volkssprache  um  400  messen  könnten.  Denn  wes  Geistes 
Band  der  Verfasser  ist,  zeigt  jene  köstliche  Übersetzung  (p.  XXI): 
xcd  rovto  dl  ix  r&v  FeaiQyix&v  Mdymvog  tov  KuQiriöoviov 
BVQr^riu:  et  hoc  quod  a  rnsticis  magis  {y,  ficcyiov)  inventum  est  von 
prdetennittamus  quod  appellant  ostium  churcedonium  (dörov  K.). 
Bei  dieser  Unsicherheit  in  der  Beurteilung  des  Möglichen  dürfte 
das  von  Oder  eingeschlagene  Verfahren  das  richtigste  sein,  die 
Handschrift  möglichst  intakt  wiederzugeben,  wobei  er  mit  Recht 
manches  ohne  weiteres  korrigiert  hat  (p.  XXII);  falsche  Wort- 
trennung, y  und  i,  e  und  ae.  Schwanken  der  Aspiration  u.  ä., 
wie  überhaupt  in  solchen  Fällen,  wo  die  Handschrift  die  gewöhn- 
liche Form  neben  der  barbarischen  hat. 

Die  sprachliche  Ausbeute  des  Autors  hat  Oder  durch  seine 
musterhaften  Indices  auf  serordentlich  erleichtert:  auf  den  index 
nominum  folgte  ein  index  grammaticus  p.  300 — 314  und  ein 
reichhaltiger  index  verborum  p.  315 — 455,  endlich  ein  index 
specierum. 

Ich  hebe  das  Wichtigste  hervor  und  beginne  mit  dem 
Wortschatz.  Bei  der  Ungeschicklichkeit,  mit  der  der  Übersetzer 
zu  Werke  geht,  ist  es  natürlich,  dafs  er  viel  griechische  Worte 
mit  einmengt,  nicht  nur  technische  Ausdrücke*)  für  Krankheiten, 
Arzneimittel**)  u.  a.,  die  sich  zum  Teil  auch  in  den  anderen 
medizinischen  Schriften  finden,  sondern  selbst  in  dem  Text  hat 
er  ohne  weiteres  das  griechische  Wort  stehen  lassen.  So  c.  491  ***) 
umor  .  .  a  eine  tos  faeit  nervös,  wofür  Vegetius  an  der  entsprechen- 
den Stelle  (5,  21,  2)  immobiles  hatf);  ähnlich  hat  er  c.  249 
qiiaseumque  valitudines   aterapeutae    sunt    et   cronia   und    456 


*)  unter  denen  sich  manches  neue  griechische  Wort  befindet:  SiTtkaym- 
aTQoetd7]g,  intl.a\ntd6iov  ^  Xi7tccQOY.riQ(ar6i\  Xi^ovXuog^  n^coxoxouiov.  Nur 
Hellen  werden  diese  Ausdrücke  erklärt;  z.  B.  venae  mesocincte  quae  latine 
clavicidae,  426.  ecedermia  quod  latine  corraginem  appellant  404.  clerocoelids 
hoc  est  qui  non  solvuntur  11.  heterosceles  .  .  qui  alterna  genua  habetU  753. 
Aber  auch  umgekehrt:  pupilla  core  quae  dicitur  G8.  corruptio  sanguinis 
quam  Oraeci  diaftoram  appellant  256.  266. 

**)  Interessant  c.  252  ex  onzn  cel  ex  rafanida  agrea  (<iypta). 
***)  Ich  citiere  nach  cap.,  da  diese  Citierweise  auch  im  Thesaurus  1.  1. 
durchgeführt  ist. 

t)  Auf  diese  Ersetzung  der  griechischen  Worte  durch  lateinische  bei 
Vegetius  komme  ich  unten  zurück. 


Zur  Mulomedicina  Chironis.  405 

tanquam  halani  jüenitudinem  das  griechische  Wort  übernommen; 
544  cJiamum  (Maulkorb,  xr^^ög).  37.  110  chiesis.  acontiyare  9.  24. 
25  (Veg.  1,  22y  5.  1,  26,  4.  1,  27,  2).  Nicht  selten  sind  lateinische 
Weiterbildungen  griechischer  Worte:  bohdare  und  holiitailo  (von 
ßolLTov  gebildet)  148.  433.  139.  hotronatim  (=  ßoxQvdov)  213. 
236.*)  bubomdum  (=  ßovßüv)  lib.  E,  19.  VII  51  tit  98**). 
100.  649.  caustkare  222.  444.  594.  606.  997  (davon  camtieatio 
654).  cenietalis  (xsvthv)  679.  708.  402  (Veg.  5,  24,  4).  cretiare, 
creticus,  cretiatims  {xQi^iav)  öfters.  emplastellum  402.  679. 
epitogium  318.  463.  fantasiari  {(pavra6iat,a6^ai)  304.  para- 
staticare  393.  41(5  (=  lenire).  percatapsare  161.  216.  341. 
spasmare  {öTtaöfiög)  329.  339.  526.  733.  stremmare  (örQeniKc) 
443.  662  (daraus  bei  Veg.  1,  26,  4  herzustellen).  tragonatio 
(xQccyavov)  183.  354.  687.  Bemerkenswert  femer  Zusammen- 
setzungen wie  aerovariciits  294. 

Was  den  lateinischen  Wortschatz  anbetrifft,  so  finden  wir 
nur  wenig  ganz  neue  Worte:  ncceus,  circius,  va'ogo  165  als  Name 
ansteckender  Krankheiten  bei  den  Tieren  genannt;  blaiteia  (479. 
655.  656.  684)  und  blatieiare  (734.  739),  davon  jenes  bereits  aus 
Glossen  (blafta :  blattia  d-gö^ßog  oL^arog)  bekannt,  capus  (=  sca- 
diis  i.  veretrum  Veg.  5,  14,  17)  461.  cliendio  (Marienkäfer?)  225. 
185.  236.  curcHha  (corbis  sparteus)  23.  296.  545  (Veg.  3,  33,  2). 
tarcimen  und  -inalis  und  -inostis  passim.  lacca  26  (Veg.  1,  27). 
pilupia  (717)  Name  der  unbekannten  Krankheit  pispisa  (687.  689. 
707.  992).  c.  544  werden  die  dentes  columellares  (Veg.  3,  33) 
colomelli  genannt,  eine  Form,  die  nach  Isid.  orig.  11,  1,  52  ein 
vulgärer  Ausdruck  dafür  war. 

Bei  weitem  überwiegen  unter  den  neuen  Worten  die  Neu- 
bildungen***); ich  stelle  sie  nach  Gruppen  zusammen: 

Verba: 

alimentäre  277.     experimentare  198.  893.  935. 

ameniatus  260  (danebeif ,  aber  zweimal  amens), 

axungiare  661. 

butlizare  630  (statt  bidlescere).     stercorizare  461  (neben  sterrorare). 


*)  Veg.  2,  24  coUectos. 

**)  bubo<^nac{ay  qua^i  idiotae  huculas  appdlant. 

***)  Oder  bat  die  sonst  unbelegtcn  Wörter  mit  *  bezeichnet:  ich  habe 
einige  weggelassen,  anderes  zugefügt.  Wo  Vegetius  das  Wort  üliernommtii 
hat,  ist  die  Stelle  beigefügt. 


406  £•  Lommatzsch: 

caldare  381  intransitiv,  798  transitiv  gebraucht. 

can^erare  184.  523. 

discoriare  509. 

excalig(u)larc  733.  629.     eacarnarc  574.     cxU'^üinarc  493. 

fasciolare  544  (Veg.  3,  33  dafür  fnsciare ). 

forfic/ire  62. 

ö^are  =  offam  dare  öfters. 

pituitare  140. 

sulphorare  673. 

Dazu  die  Composita: 

circumhaerere  312. 

compisare  769.     comiodure  Verknorpeln'  596.     consnh'ujete  790. 
(lepurare  571. 
exfervefaeere  614.  761. 
interamiitere  648. 

percmifirmare  654.     perfrußdare  214.     iwnjyrare  214.     perinf mo- 
dere 264.    persalire  258  (Veg.  3,  53,  3  salire), 
pracdureHcerc  653.   661.   699.    pravfjyrare  420.  261  (Veg.  3,  5,  2 

profricare  212.  232.  320.  455. 
$uhnai<ire  115.  147.  311.     sugijluttio  420. *j 
superohlinirc  343. 
ifnpra  venire  132. 

Substantiva: 

dedurta  987  cf.  Oder  im  Index  s.  v. 

€///m/e  427.  501.  69H.    Daneben  (•(//(//<'. 

öWo/a  102.     viricfdae  =  Yires  133.  411. 

aliitia  700.  36  (daneben  altitudo). 

vennicles  (=  vennigo)   II   39   tit.   (i!>7    (davon    vemiiciosus   l>r>0. 

i>42). 
dodimen  173  (sonst  daudigo  bezw.  chdigo).  ocdunmi  ()28.     sHsp- 

ramentam  115. 
amlmlatura  261    (Veg.  3,  5.   (>,  6,  6);   öfters  amhnlatlo,     decodnra 

893. 
^7^y;/f?//o  12.    foUicatio  736.  502.     /bv/fe  472.  771.     .7//m//ö   122 
(Veg.  2,  2j.  371  (Veg.  5,44).     inhahilitailo  118.     nioles'.atio  III  7 

*i  Ühersotzun^sfohler,   durch  Verwechselung    von   xa^Trroi  und   xcL-?rrfo 
entstanden,  den  Veg.  5,  59,  1  übernommen  hat. 


Zur  Mulomedicina  Chironis.  407 

tit.   244.     reversatio]  475.     sinapidiatio  254.      viscatio   659.     snu- 

cursio  187.  349.  396. 
limositas  94.    lyituitas  350. 
laritudo  763.     muccihido  169. 
spartilago  503.     tilillago  393    (titillatio   Veg.  5,  64,  4  =  Chiron 

c.  214). 

Dazu  dieComposita:  concavationes  371.    stibüia  461.    s?/^;er- 
rew«  682.     supragamha  45  (Veg.  5,  19.  3,  47,  1). 

Adiectiva: 
commissuralis,  von  cotnnmsura  'Gelenk'  52  (Veg.  3,  51).  59  (Veg. 

3,13,4).  654.     complemifudis  776.     subnervalis  119.     visceraJis 

439.  694.     v/to//s  613. 
dorsanus  452. 
hracchiolaris  19.    curricidaris  504.    iugülaris  284  (Veg.  3,  12).  291. 

mldaris  250  (Veg.  3,  6,  3  calidam), 
liciaria  vena  584. 
hrumaticus  IIb.     dodicus  468  (daudtis  41).     morsicus  977.     ne- 

fr Ulcus  28.     oleaticus  57. 
canceraticius  570  (Veg.  3,  43  canceraÜcus),     extrusicius  22  (Veg. 

1,  26).  734.    sujfusicius  694  und  sonst,    uficticius  473.    vulsicius 

25.  28.  242.     [?co;wjpo5i7fM5  6  (Veg.  1,  22,  3  comjwsiVws)]. 
patidus  97  (Veg.  3,  27  patens).  117.     Daneben  einmal  patulus. 
productilis  112.  620.  641.   pandatile  639  (Name  einer  Krankheit). 

veterilis  392. 
caelestinus  930  (ri^ytia  c).     ficurninus  587.    posterinus  146.     i?ß/e- 

mms  555.  835. 
circum<nsorius  22  (Veg.  1,  26,  2.  ;r£()tT0/ii£i'5).    succissorium  58.  85 

(Veg.  3,  22,  1).    potimiatmiiis  818. 
distentiosus   17   (distenUis  Veg.  1,  25).     fartosus  IV,  48  tit.  403. 

feforosus  992.     fleminosus  873.      gambosus  693.   47.      laccosus 

46  (Veg.  5,  18).     vermiciosus  (neben  vermiculosus)  630.  942. 

Composita:  S2iim//s  125  (=8ubcutaneu8),  sublacrimans  121 
(Veg.  2,  2).     siibturbidefitKs  306. 

Adverb ia  bieten  nichts  Merkwürdiges;  ich  notiere: 
craticidatim   187.  676.   689  (Veg.  5,  2,  5,  aber  nicht  aus  Chiron). 
praesta(n)tim  811.     metraliier  223  (Veg.  2,  15,  3  or/  menmram), 
securifer  736. 

Unter  den  Präpositionen  fallen  die  vielen  mit  f/c  zusammen- 
gesetzten auf:  decotitra  391.     deintro  135.     deiuxta  135.     deretro 


40^^  ^-  Louimatzsch: 

113.  624.  G40.  desub  oft,  desuhfus  455.  desnper  Hl.  (567;  ferner 
antepridie  6.  73.  393.  683.     adidji  495.  625.  705.     incofrtm  52.  113. 

Zur  Semasiologie  ist  zu  bemerken  der  Gebrauch  von 
dormüio  =  Lager  481  (  Veg.  5,  4,  2),  compendium  =  Heilmittel 
4,  32,  indignatio  =  Entzündung  568.  699.  Die  'Krankheit'  heifst 
neben  morbus  gewölinlich  causa y  auch  einmal  cura  (sonst  =  'die 
Kur*j.  fictns  =  vesanus  9S2.  creptdae  ungulae  fmut  =  crepant 
'bersten'  664.  admiseere  =  coitum  facere,  attrahere  =  extrahere, 
amUre  =  reagieren,  efficere  =  leben,  aushalten  119. 

Die  grammatischen  Formen  sind  von  Oder  in  einem 
besondern  Index  grammaticus  p.  300 — 314  zusammengestellt.  Ge- 
rade auf  diesem  Gebiete  zeigt  sich  die  Unsicherheit  im  weitesten 
Umfange:  ist  das,  was  wir  hier  vor  uns  haben,  Vulgärlatein  aus 
dem  Anfang  des  5.  Jahrhunderts  oder  Verhunzungen  eines  un- 
gebildeten oder  mehrerer  ungebildeter  Schreiber?  Es  ist  schwer, 
eine  bestimmte  Grenze  zu  ziehen;  ich  hebe  das  heraus,  was  mir 
sicher  vulgärlateinisch  zu  sein  scheint.  Dafs  die  griechischen 
Neutra  auf  -a  meist  als  Feminina  behandelt  werden,  ist  selbst- 
verständlich, wie  wir  überhaupt  hier  ein  Durcheinandergehen  der 
Genera  und  Deklinationen  haben,  das  ans  Unglaubliche  grenzt; 
davon  wird  viel  auf  Rechnung  des  Schreibers  zu  setzen  sein, 
nicht  jedoch  Formen  wie:  colenhus  (zu  colera,  -ae),  siran^fmrihus 
(zu  stranguiria),  hnnbn'dhus  (wie  von  lumbrcx  zu  lumbricus), 
fleminum  (zu  flemen),  unguine,  unguinibus  (zu  unguis).  Auch 
(ludere  wird  überwiegend  geschrieben,  dagegen  claudicare  etc.; 
bilibrae  neben  bilibres,  so  auch  acrum  neben  eure*  stets  paupero 
loco,  pauperi  pedes.  Dasselbe  gilt  für  die  Konjugation  der  Verba; 
auch  hier  macht  das  Schwanken  ein  sicheres  Urteil  unmöglich. 
Ich  hebe  hervor  nngu^as  u.  a.  Formen  nach  dec  2.  Deklin.,  misciio, 
miscis  etc.  nach  der  3.,  die  ziemlich  häufig  vorkommen;  Futura 
wie  lenibis,  munibis,  sitiebit  dürften  gleichfalls  der  Vulgärsprache 
augehören,  so  gut  wie  battere,  dccndit,  imndit  etc.,  difpremes  etc., 
perscdiet  und  axJspargem, 

Dem  Gebrauch  der  späteren  Zeit  entspricht  ierno  die  für  tertio 
d.  427.  Die  Unsicherheit  in  den  Komparationsformen  (acerrimus, 
(icrissiiHus  und  arerissimus  u.  ä.)  ist  ebensogut  auf  Rechnung 
des  Cl.  Hermeros  zu  setzen,  wie  diejenige  in  den  Komparations- 
graden, für  die  ihm  jedes  (jefülil  abhanden  gekommen  zu  sein 
scheint.  Man  sehe  die  Zusammenstellung  p.  309:  celeritis  etc. 
f.  celeriter,  c(ddr  . . .  quam  etc.,  daneben  Ausdrücke  wie:  magis  de- 


Zur  Miilomedicina  Chironis.  409 

terior,  magis  niaior,  m.  plm,  sogar  mag^is  maxime,  maxime  plus, 
nimis  amarioribus^  hierher  gehört  auch  der  Gebrauch  von  inferms 
quam  mit  Accus.  =  infra:  z.  B.  qtme  (vmae)  sunt .  .  ad  latus  oculo- 
rum  .  .  inferms  qwim  hos  16,  von  foris  quam  =  extra  18  und 
deorsum  quam  =  sub  593. 

Dem  Streben  nach  Deutlichkeit,  vielleicht  auch  der  Unge- 
schicklichkeit des  Verfassers,  werden  wir  den  häufigen  Gebrauch 
der  figura  etymologica  zuschreiben  (p.  310)  und  pleona- 
stische  Ausdrücke  wie  appellationis  nomen,  dnritatem  hicis,  mtium 
morbi;  foras  excludere  u.  ä.;  deinde  postmodum  u.  ä.,  die  p.  310 
— 311  zusammengestellt  sind:  wie  ja  natürlich  in  syntaktischen 
Fragen  mehr  Verlafs  auf  die  Handschrift  ist  als  in  grammati- 
scher und  lautlicher*)  Beziehung.  Durchaus  der  Umgangssprache 
angehörig  ist  die  Stellung  des  Relativums  hinter  dem  betonten 
Wort:  gypsodes  qua^,  dicitur,  ilia  ubi  cinguntur  u.  a.;  so  werden 
auch  die  Konjunktionen  gestellt:  altius  eyiim  si  penctraveris ,  in 
oculo  albor  si  erit,  de  visceribus  cum  mitterc  voles,  facito  i2)S0  dir 
ne  m^nducet.  Dahin  gehört  auch  der  Gebrauch  des  Infinitivus 
imperativus. 

IL 

Die  Untersuchung  der  Sprache  der  Mulomedicina  Chironis 
hat  durchaus  das  Urteil  des  Vegetius  (praef.  §  3)  bestätigt:  elo- 
quepitiae  inapia  ac  sermofiis  vilitate  sordescunt.  Selbst  wenn  wir 
von  den  Fehlern  der  Handschrift  noch  so  viel  abziehen,  recht- 
fertigt  das  Übrigbleibende  vollauf  jenen  Tadel.**)  Ob  auch  das, 
was  Vegetius  in  sachlicher  Beziehung  an  Chiron  und  Apsyrtus 
auszusetzen  hat***),  in  gleicher  Weise  berechtigt  ist,  das  zu  be- 
weisen bedürfte  es  zunächst  einer  Herstellung  der  Mulomedicina 
Chironis  in  ihrer  ursprünglichen  Form,  d.  h.  in  derjenigen,  welche 
dem  Vegetius  vorgelegen  hat.f)     Was  uns  hier  interessiert,   ist 


*)  Formen  wie  cretellae,  scarpellum ,  crunes,  hersellum  sind  möglicher- 
weise alt. 

**)  Der  griechische  Apsyrtus  entschuldigt  sich  übrigens  wegen  seiner 
vilitas  sermonis:  Hippiatr.  p.  1:  iv  a){ßißXico)  ftr)  ini^riti^orjg  XoyiotTira,  cclXu 
Tjfjv  ix,  ri)s  Tttlgceg  q>vafiir}%'  i^LichiQiav  iniyvbid'i. 

***)  §  4  praeterea  indigesta  et  confusa  sunt  omnia,  ut  partem  aliquam 
curationis  quaerenti  uecesse  sit  errare  per  titulos,  cum  de  eisdem  passionibus 
alia  remedia  in  capite,  cdia  inveniantur  in  fine. 

t)  Wie  Vegetius    sein   'digercre'   verstanden    hat,    mag   ein  Beispiel 
verdeutlichen.     3,  12  handelt  de  insania  in  der  gewöhnlichen  Reihenfolge: 


410  S>  Lommatzsch:  Zur  Mulomedicina  Chironis. 

die  sprachliche  Seite  der  Umarbeitung.  Vegetins  will  offenbar 
die  beinahe  unverständliche  Sprache  der  Mulomedicina  umsetzen 
in  die  Umgangssprache  seiner  Zeit:  cuitis  —  sagt  er  von  seinem 
Buch  IV  praef.  §  1  —  erit  praecipua  felicitas,  si  cum  nee  schola- 
sticus  fastidiat  et  hvbulcus  intellegat  Ein  Vergleich  des  Vegetius 
mit  der  Mulomedicina  Chironis  mufs  also  wenigstens  das  Resultat 
ergeben,  uns  zu  lehren,  was  Vegetius  für  unangemessen  hielt; 
vielleicht  läXst  sich  dadurch  ein  Mafsstab  für  die  Beurteilung  des 
Vulgärlateins  im  4.  Jahrh.  gewinnen.  Ich  setze  zunächst  eine 
Stelle  her,  die  deshalb  von  Wichtigkeit  ist,  weil  Apsyrtus  citiertwird: 

§  157  Apsyrtttö  de  coactionibus.  si  eqiius  de  via  coactus  venerii, 
sie  intelligis:  oculi  eim  intro  erunt  sive  versabufUiir,  et  spirai  cali- 
dum  crebre,  et  ociUos  tensos  habebit  et  auriculas,  et  reliquum  corpus 
extensum  erit  et  suspirat  graviter.  Vegetius  transkribiert  das 
folgendermafsen  (2,10,5)*): 

A,  huiusmodi  de  coactionibus  prodidit  medidnas,  si  equus,  in- 
quit,  coactus  de  via  vetierit,  ocidi  eius  intro  abibunt  vel  versa- 
buntur,  spirat  calidum  frequenter  atque  suspirat ^  auriculae  ac  rdi- 
quum  corpus  extensum  erit. 

Wir  sehen,  wie  Vegetius  das  Zusammengehörige  zusammen- 
gestellt hat;  anstatt  crebre  schreibt  er  frequenter**),  und  durch 
Änderung  des  erunt  in  abibunt  erhält  das  *  intro'  seine  richtige 
Beziehung.  Die  Änderungen,  welche  Vegetius  vorgenommen  hat, 
beziehen  sich  also  einmal  auf  die  Syntax,  sodann  —  und  das 
ist  das  wichtigste  —  auf  den  Wortschatz  durch  das  Ersetzen 
vulgärer  Worte  und  Bildungen  durch  solche  der  korrekteren 
Ausdrucks  weise;  nach  diesen  beiden  Gesichtspunkten  haben  wir 
im  weiteren  die  Umarbeitung  der  Mulomedicina  Chironis  durch 
Vegetius  zu  prüfen.     (Schlufs  folgt.) 

erst  die  sigtia^  darauf  die  curae;  die  Mulomedicin  giebt  c.  284  ff.  Stücke  aus 
Sotion  und  Polyclet,  sodafs  füniinal  signa  morbi  vorkommen,  darunter  drei- 
mal aus  Sotion.  Vegetius  giebt  einen  Teil  nach  Polyclet  288  p.  85,  23 — 27, 
den  andern  nach  Sotion  290  p.  86,  16.  292  p.  86,  29.  In  den  curae  hat  er 
folgende  Reihenfolge:  §  2  =  c.  284.  291.  293.  §  3  =  291.  §  4  =  289.  §  ö 
=  286.  §  6  =  288.  —  3,  22,  1—3  ist  aus  Chiron  c.  85.  86;  ebenso  3,  23—30 
(=  Chir.  87 — 98);  dazwischen  ist  ein  Stück  aus  Pelagonius  geschoben 
(3,  22,  4—16  =  Pelag.   412—434). 

*)  Wo  der  Text  des  Vegetius  von  dem  der  Ausgaben  abweicht,  beruht 
er  auf  den  Lesarten  der  Handschriften. 

**)  cf.  E.  Wölfflin,  Sitzungsber.  Münch.  Akad.  1880,  p.  410  ss. 

Freiburg  i.  B.  £.  Lommatzsch. 


Miscellen. 


Brnta. 


Bei  Deutung  der  Glosse  Heronalacah  (-aiacah  Epinal.,  -iacaJi 
Amplon.)  brufae  (butre  Epinal.)  diuersarum  würde  ich  Büchelers  Vor- 
schlag Ilero  machinarum  structor  diuersarum  zustimmen,  wenn  ich 
nicht  in  brutae  den  festen  Punkt  für  eine  andere  Lösung  sähe.  Bru- 
iae  ist  das  durch  die  Römer  entlehnte  germanische  Wort,  dessen  Be- 
deutung und  bisher  bekannte  Beispiele  ich  in  Kluges  Zeitschrift  für 
deutsche  Wortforschung  I  (1900)  240  flf.  behandelt  habe.  Das  voran- 
gehende Wort  ist  sichtlich  griechisch,  aber  nicht  rig^vai  und  nicht 
eine  Glosse  zu  Ovid,  etwa  zu  Amores  2,  18,  19  ff.  28.  Vielmehr  ist 
T^Qiocav  aXoxoL  brutae  diucrsorum  vermutlich  Glosse  zu  Od.  11,  329 
oCöag  4iQ(6iov  akoxovg  töov  rjöh  Wyarpag  oder  zu  Od.  11,  227  oaaat 
igiarrjatv  SIoxol  ?Cav  i}di  ^yaxQSg,  Die  ursprüngliche  und  bei  der 
Entlehnung  noch  lebendige  Bedeutung  des  germanischen  Wortes  „junge 
Frau"  ist  hier  besonders  deutlich.  In  diuersarum  soll  man  nicht  etwa 
diuinorum  suchen  wegen  ähnlicher  Erklärung  von  h^ros  in  den  Glossen. 
Hesych  mit  seiner  Glosse  i]Q(06g'  ot  öutcpiQOvxBg  aqBxri  "^^  Gloss.  11 
276,  31  öuKfBQtü  praesto^  43  diraipoQog  diuersus  praestantior  weisen 
den  Weg.  In  der  ursprünglich  rein  griechischen  Glosse  war  'fjQcjiov 
durch  öuetpoQoav  erklärt,  in  der  griechisch-lateinischen  wurde  öuxtpoQoav 
zu  diuersarum.  Schottenmönche,  auch  in  diesen  Glossaren  (V  337  ff.) 
durch  angelsächsische  Zusätze  kenntlich,  wie  in  den  ^Glossae  nominum' 
(11563 ff.),  haben  in  ihren  Übersetzungen  aus  dem  Griechischen  so 
manches  Rätsel  aufgegeben. 

Griefsen.  G.  Gundermann. 


Oruia. 

Erst  aus  den  Glossaren  ist  das  Wort  Oi'uia  ans  Licht  gekommen. 
Aber  weder  seine  Herkunft,  noch  seine  genaue  Bedeutung  war  bisher 
bekannt;  nicht  einmal  die  einzelnen  Glossen  sind  sicher  gedeutet. 
Diese  lassen  sich  in  zwei  Gruppen  scheiden.  In  der  ersten  Gruppe 
heifst  es  Orbia:  getius  qnoddam  escnrum,  quod  quidam  Saturn i  obiam 
uocant  (Placidus)  und   kürzer   Orbia:  genus  escarum  (Gl.  N.);   in   der 


412  ^-  Gundermann: 

zweiten  dagegen  heilst  es  0.  sifanatunda  (Amplon.)  und  0.  ftffaninda 
(Lib.  Gloss.). 

Die  Bedeutung  scheint  in  der  zweiten  Gruppe  spezieller  an- 
gegeben zu  sein  als  mit  dem  allgemeinen  genus  quo d dam  escanim 
der  ersten  Gruppe;  eine  Vermutimg,  die  sich  sofort  bestätigt.  Bei 
Hesych  ist  oQova'  xoqöi]'  xal  aiwtQifinoc  TtohnTiov^  slg  o  ^Emjagfiov 
dgäfici  „Wurst"  und  an  anderer  Stelle  genauer  dgva'  xoQÖrj  i(pd^  „ge- 
kochte Wurst".  Das  ist  gerade  die  Erklärung  der  zweiten  Gruppe. 
Denn  sifa  (ßffii)  ist  i/;t^«,  wie  die  Hesychglosse  t\)icpd'  Itp^ra  Xsnxa  lehrt 
In  nutunda  (runda)  =  rutunda  liegt  wahrscheinlich  nicht  Adjektiv, 
sondern  Substantiv  „Magenwurst"  vor,  wie  bei  den  Medizinern  rotuffda, 
rotundula  „Klofs"  bedeutet. 

Aus  dem  eben  Gesagten  ergiebt  sich  schon  die  Herkunft:  oruia 
ist  ein  latinisiertes  OQva,  Das  Lehnwort  gehört  der  Volkssprache  an. 
Es  wiurde  übernommen  vermutlich  schon  beim  ersten  Vordringen  der 
Römer  nach  Unteritalien  und  Sicilien.  Auf  das  Sprachgebiet  mit 
griechischem  Untergrund  weist  auch  die  zweite  Glossengruppe  mit  der 
Erklärung  sifa  =  t/^t^a.  Hesych  nennt  Epicharm  als  Gewährsmann 
für  das  Wort  in  übertragenem  Sinne.  Einen  schlagenden  Beweis 
daflir,  dafs  OQva  in  Sicilien  besonders  heimisch  war,  liefert  Athenaios 
III  94'.  ioq6G)v  xb  fiifivijrai  ^EjiC^aQ^og^  ag  OQvag  övo(id^st^  iTtr/Qciiffag 
TL  oial  T€i)v  dgcc^ccToai'  ^ÖQvav^  ebenso  IX  366^.  Nach  zwei  Citaten 
aus  Epichann,  deren  erstes  ö^i»«,  deren  zweites  x^Q^^^  enthält,  fährt 
er  fort:  vvv  6  ^EnixcnQ^og  x«l  xoqö^v  ojvofiacev^  ad  noxE  OQvav 
xaAwv;  vgl.  Eustathios  1915,  22.  Also  volkstümlich  und  dialektisch 
OQVce^  gemeingriechisch  und  litterarisch  x^Q^V- 

Die  Form  orhia,  die  sich  im  Lemma  aller  Glossen  findet,  beruht 
auf  dem  Übergange  von  rv  zu  rh  im  Spätlatein.  Volksetymologische 
Angleichung  an  orbis  ist  aufserdem  möglich  wegen  der  Erklärung 
mit  rutunda.  Für  die  ältere  Zeit  ist  nur  die  Form  orvia  berechtigt 
Ungewöhnlich  ist  aber  die  Wiedergabe  des  griechischen  v  durch  uL 
Bei  einem  frühen  Lehnwort  wäre  zwar  nicht  y  oder  i,  aber  u  zu  er- 
warten. Lateinisches  ui  für  griechisches  v  steht  sonst  nur  nach 
Gutturalen  (Schuchardt  II  273  ff.),  nicht  wie  hier  zwischen  r  und 
Vokal.  Von  Wörtern  wie  caryon,  Caryae  und  ähnlichen  scheidet  sich 
oruia  gewifs  nicht  inmaer  durch  das  Alter  der  Entlehnung.  Man 
könnte  in  oruia  den  Beleg  sehen  für  Meinekes  Vermutimg  (Philol. 
Exerc.  in  Athen.  I  (1843)  S.  10),  dafs  es  griechisch  ogvue  gelautet 
habe  nach  der  Angabe  bei  Theognost.  can.  (Gramer,  Anecd.  Oxon.  II) 
106,  21  AglaxaQxog  övCxikXeir  xb  a  %al  ixxelvei  xb  v  %al  ngon^tgo^vvEi^ 
fvaXkayriv  xopov  7t£7T0i,Y}}i(og^  üg  cprjölv  ^Hgcoöiavog.  Aber  der  Wortlaut 
hier  führt  doch  nur  auf  oQva.  Herodian  selbst  (I  303,  10.  306,  29 
Lentz)  hat  jedenfalls  ogva  betont  und  in  dieser  Betonung  sehe  ich  den 
Anlafs  der  auffälligen  Wiedergabe:  -v-  mufs  dem  römischen  Ohr  wie 
-ui-  geklungen  haben.  Denn  dieselbe  Erklärung  gilt  zweifellos  auch 
für  das  einsilbige  t/i,  die  lateinische  Benennung  des  Buchstabens  v. 
Vielleicht  finden  sich  zii  diesen  zweien  noch  weitere  Beispiele  von 
lateinischem    ui  +  Vokal  =  griechischem    betontem    v  +  Vokal.      Die 


Miscellen.  413 

Form  oQOva  der  ersten  Hesjchglosse  darf  man  schwerlich  für  die  Aus- 
sprache orwa  gegen  orua  verwerten,  zumal  die  Herkunft  nicht  an- 
gegeben ist  wie  bei  xdgova'  otaQva  AaxcDVBg,  Die  handschriftliche 
Lesart  oQsa  bei  Athenaios  (II  300,  11  Kaibel)  giebt  die  spätgriechische 
Aussprache,  wie  sie  in  nachchristlichen  lateinischen  Inschriften  belegt 
ist  (Schuchardt  U  264). 

In  dem  Zusatz  der  Placidusglosse  quod  guidam  Saturni  ohiam 
uocanf  liegt  dasselbe  Wort  mit  Schwund  des  r  vor.  Ob  hierbei  Dissi- 
milation gewirkt  hat,  weil  Safurni  oi'uiam^  unter  einem  Accent  ge- 
sprochen, zwei  auf  einander  folgende  mit  r  auslautende  Silben  hat, 
oder  ob  r  durch  palatale  Aussprache  —  sonst  nur  in  unmittelbarer 
Berührung  r  +  y  wie  in  peiuro  —  verdrängt  oder  dialektisch  {qui- 
dam)  nur  ganz  schwach  hörbar  war,  wie  in  Fotunate  =  Fortunatac 
und  anderen  inschriftlichen  Formen  Mittelitaliens,  läfst  sich  schwer 
entscheiden.  Für  die  zweite  Möglichkeit  könnte  der  Umstand  sprechen, 
dafs  auch  das  Lenmia  in  Gloss.  V  377,  24,  obwohl  in  der  Ör-Reihe 
stehend,  Ohia  lautet. 

Zur  Deutung  des  Sinnes  von  Saturni  ouia  kann  satura  „allerlei'^ 
nicht  helfen.  Wurde  der  mit  Fleisch  und  Blut  vom  selben  Körper 
gefüllte  Darm  im  Scherz  benannt  nach  Satumus,  der  seine  eigenen 
Kinder  verschlang? 

Giefsen.  G.  Gundermann. 


Glos.    Glnttit.   Olnma. 

Die  Bedeutung  dieser  Wörter  läfst  sich  schärfer  fassen,  wenn  in 
den  Glossen  Gloss.  II  34,  29 — 32  die  Verwirnmg,  die  auch  der  The- 
saurus glossarum  nicht  beseitigt  hat,  aufgeklärt  wird.  Die  Glossen 
lauten:  29  Glos  >/  tov  avögog  aösXtprj  yakiog  naga  TtkBvtu).  30  GJuitii 
%qo%%u  OQPig.  31  Gluma  kenvgov  XQi&qg.  32  Glumea  ikGiQctg  aöeXcptj 
yafuxrj  (og  nkavrog,  Dafs  in  32  zwei  Glossen  zusammengeflossen  sind 
und  vor  ad£X(ptj  als  Lemma  Glos  gehört,  hat  man  längst  erkannt. 
Die  Wiederkehr  desselben  Lemma  mit  ähnlicher  oder  derselben  Er- 
klärung kurz  hinter  einander  fällt  in  diesem  Glossar  nicht  auf.  Diese 
Erscheinung  hat  Dammann  (de  Festo  Pseudo-Phüoxeni  auctore,  Jena 
1892,  p.  12flf.)  genügend  aufgehellt.  So  wäre  auch  das  Plautuscitat 
am  Ende  sowohl  von  29  wie  von  32  nicht  auffällig.  Merkwürdig 
ist  nur,  dafs  es  in  29  nccga  TcAcvrco,  aber  in  32  co^  TtXavtog  heifst. 
Wenn  man  von  anders  gearteten  Citaten,  wie  24,  38  Kätcc  Buqqcopu 
und  32,  64.  34,  10  iv  to5  (3'  r&v  recoQytx&v^  absieht,  haben  alle  Citate 
die  Form  wie  in  32,  z.  B.  cog  Ulavtag  13,  9;  üg  JIwKovßiog  18,  32; 
&g  "Epviog  18,  33;  16,  3;  wg  Tirlvinog  18,34;  &g  Nalßiog  17,34; 
mg  AovKlkhog  20,37;  üg  BtgyiUog  26,  18;  mg  'Oßolötog  22,40;  mg 
'lovßBvdlLog  1,19;  19,29;  21,42;  22,16;  &g  Hofinriiog  8,21  und 
so  überall.  Auch  in  20,  42  Äntelahra  eiöri  axenov  mg  xaißovxmv 
liegt  wohl   ein    Citat  vor   und  ist  wegen  des  eng  verwandten  Festus 

Archiv  für  lat.  Lexikogr.    XTT.    Heft  3.  28 


414  ^-  Gundermann  —  J.  M.  Stowasser: 

(Paul.  11,  11),  der  för  Sakralwesen  öfter  Capito  citiert,  vielleicht  zu 
schreiben  Anclahria  höi]  axeva)v  mg  Kamrcov,  Schon  die  Ausdrucks- 
weise in  29  TtaQa  nlsvxG)  hätte  also  Verdacht  erwecken  müssen. 

Wenn  naga  Ttlevroa  in  29  stört,  so  fehlt  andrerseits  etwas  in 
Glosse  30,  die  Danimann  (p.  39)  mit  Recht  aus  Festus  ableitet:  Paul. 
98,  6  Gluitire  et  glocidare  galUnnrum  proprium  est,  cum  ouis  in- 
cuhlturac  sunt.  Den  letzten  Worten  entspricht  in  unserer  Glosse 
genau  ein  aus  naga  7tlivx(o  gewonnenes  naga  veorrw.  Vgl.  die  Glossen 
unter  Nitlus  imd  PuUus  im  Thes.  gloss. 

Wie  aus  Raummangel  in  30  nach  oben,  so  ist  in  31  nach  imten 
abgebrochen  worden:  32  x^atgag  gehört  zu  31  Kgi&rjg.  Durch  diesen 
Zusatz  wird  die  grüne  Frucht  auf  dem  Halme  von  der  reifen  auf  der 
Tenne  wie  bei  Varro  r.  r.  I  48 — 50  geschieden:  ijluma  bedeutet  nicht 
etwa  die  Schale  um  das  Mehl  des  Kerns,  sondern  die  Hülse,  in  der 
das  Korn  der  Ähre  steckt.  Glumva  ist  Nebenform  von  gluma  wie 
glutteum  von  gluium. 

Solches  Abbrechen  längerer  Zeilen  nach  oben  oder  unten  kommt 
gerade  in  Glossarhandschriften,  die  gern  mit  Raum  sparen,  sehr  oft 
vor  und  hat  zahlreiche,  aber  meist  recht  durchsichtige  Irrtümer  ver- 
anlafst.  Ein  einfaches  Beispiel  in  unserem  Glossar  ist  11  4,  52  Ah- 
scdif  anoicogei  ccTieKgvtlJSVj  wo  aneTigvil^Bv  natürlich  aus  der  voran- 
gehenden Zeile  51  Äbscondit  anoKgvTtxsi  wegen  Raimimangels  nach 
unten  abgebrochen  wurde;  dadurch  hat  sich  schon  der  Schreiber  der 
Hs.  von  Laon  irreführen  lassen,  als  er  seine  Glosse  II  554,  50  ano- 
XogsL  a:T£xgv\l>ev  absedit  aus  derjenigen  4,  52  mit  allen  Fehlem  getreu 
abschrieb.  Dieses  Beispiel  und  die  oben  behandelten  verraten,  dafs 
irgend  ein  Vorfahr  unserer  Handschrift  schmales  Format  oder  schmale 
Kolumnen  hatte.  Früher  noch,  als  Glosse  30  nach  oben  abgebrochen 
wurde,  in  einem  älteren  Exemplare,  ist  auf  demselben  mechanischen 
Wege  Glosse  29  gespalten  imd  im  zweiten  Teile  hinter  32  gesetzt 
worden.  Vor  diesen  Wirren  haben  also  die  Glossen  folgendermafsen 
gelautet:  29  Glos  7}  rov  avdgog  adekcp}}  yalcog  aöektpr]  yafisxt]  (og  TlXav- 
rog.  30  Gluttit  x(>oxxa  ogvig  nctgct  veoxxco,  31.  32  Gluma  Glum<a 
ksTtvgov  Tigid'jjg  x^^Q^9' 

Nach  der  bisherigen  Auffassung  war  glos  in  zwei  verschiedenen 
Bedeutungen  aus  Plautus  belegt,  'Schwester  des  Gatten'  und  'Gattin 
des  Bruders':  es  waren  also  mindestens  zwei  verschiedene  Plautus- 
stellen  anzunelimen.  Nunmehr  gilt  das  Plautuscitat  vielleicht  nur  der 
letzten  Bedeutung  allein. 

Giefsen.  G.  Gundermann. 


Die  sogenannte  Interjektion  EN. 

Noch  Lindsay  weifs  (S.  708)  über  sie  nichts  zu  sagen  als:  =  gr. 
fjv.  —  Es  wird  sich  zeigen,  dafs  dies  völlig  verfehlt  ist.  Zuletzt  hat 
ferner  A.  Köhler  (Nürnberg)  im  Archiv  VI  25  ff.  diesem  Worte  eine 
Monographie  gewidmet,  die  als  Materialiensaramlung  recht  verdienstlich 


Miscellen.  415 

ist,  dem  Worte  aber  auch  im  entferntesten  nicht  beikommt.  Da  bleiben 
wir  lieber  auf  unserem  Standpunkt  und  vertrauen  den  eigenen  Augen. 

Bibbeck  (Beiträge  zur  Lehre  von  den  lat.  Partikeln  S.  34)  hat 
zuerst  erkannt,  dafs  in  dem  Worte  zwei  ursprünglich  getrennte  Par- 
tikeln liegen,  ein  interrogatives  und  ein  deiktisches  en,  also 
scharf  zu  trennen  sind.  Er  hätte  aber  noch  weiter  gehen  müssen, 
denn  in  einem  en  age  rumpe  moras  kann  weder  dies  noch  jenes  liegen, 
er  mufste  also  —  wie  Heinichen- Wagener  —  ein  drittes,  ein  horta- 
tives  en  annehmen.  Sie  alle  aber  sind  gewifs  nichts  als  volle  Wort- 
formen. 

Ich  gehe  zuerst  an  die  Betrachtung  des  Wortes  als 

Interrogatives  en. 

Wenn  dieses  Wort  Fragesätze  und  nur  solche  einleitet  und  dabei 
auf  n  ausgeht,  so  ist  der  Schlufs  nahe  gelegt,  dafs  es  wie  am,  leiden, 
vin,  dan  u.  a.  selbst  Fragesatz  ist.  Daher  nun  frage  ich:  Wenn  die 
Komiker  Sätze  bilden,  wie  estne  haec  patera?  Fl,  estne  hie  Famphi- 
Itts?  Ter,,  wie  hat  man  dieses  fünfbuchstabige  estne  thatsächlich  aus- 
gesprochen? Die  Antwort  ist  leicht  zu  finden;  denn  wenn  postne  zu 
pöne  wird,  so  ist  estne?  gesprochen  worden  ene?,  antevokalisch  en? 
Und  dieses  ist  das  interrogative  en.  Es  bedeutet  also  en  so  viel  als 
fot*  Touro;  ,4st's  möglich?"  ,ja  kann  das  sein?" 

Die  Exemplifikation  ist  einfach.     Trin.  588 

0  pater,  en?  umquam  aspiciam  te? 

Vater,  ist's  möglich?  werd'  ich  dich  sehen? 

Besonders  deutlich  ist  Vergil.  Aen.  VI  346 

en?  haec  pr amissa  fides  est? 

Ist's  möglich?  Ist  das  die  verheifsene  Treue? 

Und  so  begreift  sich,  dafs  die  Konmientatoren  das  Wort  als 
Ausdruck  der  Empörung*)  bezeichnen  (*ew'  habet  vim  indignationi^ 
Donat  zu  Phorm.  348): 

en?  umquam  quoiquam  contumeUosius 
audistis  factam  iniuriam  quam  nunc  mihi? 

Noch  deutlicher  ist  dies  in  den  späteren  Dichterstellen,  wie  Ovid 
met  VI  206 

en?  ego  vestra  parens 

an  dea  sim  duhitor! 

Ist's  möglich?  Man  zweifelt,  dafs  ich  Göttin  bin! 

Oder  Aen.  VTI  452,  wo  Allecto  den  Turnus  ironisierend 

en?  ego  victa  situ  . .  . 

sagt,  ganz  unser  ironisches:  „Ist's  möglich?" 


•)  Sueton  Aug.  40:  visa   quondam  pro  coniione  pullatorum  turha  in 
dignabundus  et  clamitans:  en?  — 

^ Bomanos  rerum  domiiws  gefitemque  togatam' 

negotium  aedilibus  dedit  e.  q.  s. 

28* 


41f5  J.  M.  Stowasser: 

Hortatives  hi. 

Vergilisches  en,  age,  seines  rumpe  moros  läfst  wohl  kaum 
eine  andere  Deutung  zu  als  die,  dafs  dem  durch  das  eingeschobene 
age  ohnedies  eingeleiteten  Imperativ  noch  ein  Fragesatz  vorausgeschickt 
ist.  Man  würde  nin?  age,  segnes  rumpe  moros  ganz  gut  verstehen. 
Welches  Verb  liegt  nun  in  solchen  Wendungen?  Antwort:  tm  ist  nichts 
als  Aussprachevariante  von  In  (=isne,  eisne)*).  Ich  brauche  blofs 
auf  die  Doppeldarstellung  im  Dativ  hinzuweisen,  wo  Iimonei,  arborei 
als  Innoni  und  lunone  erscheint,  um  dies  plausibel  zu  machen.  Der 
Verffilvers  sagt  also  gerade  so  viel,  wie  wenn  im  Griechischen  i^t  dem 
Imperativ  vorausgeht.  Ob  ich  i,  age,  rumpe  moros  oder  ein?  age, 
rumpe  moros  sage,  bleibt  sich  im  wesentlichen  gleich.  Ribbeck  hat 
insofern  Recht,  diese  hortative  Anwendung  des  en  mit  der  interroga- 
tiven zu  verknüpfen,  als  ja  thätsächlich  auch  hier  ein  Fragesatz  vor- 
liegt* aber  die  Entstehung  ist  eine  andere. 

Übrigens  scheint  dieses  en  auf  die  Verbindung  en  age  beschränkt 
zu  sein,  und  en  incipe  oder  en  perage  (Seneca)  sind  erst  späte  Um- 
bildungen. Viel  wichtiger  aber  ist  die  Frage,  ob  nicht  ein  thatsäch- 
lich  erhalten  ist  (in  dieser  Orthographie)  und  zwar  bei  Vergil  selbst 

Wenn  nämlich  die  Hss.  georg.  III  42  konstant  en  age  rumpe 
moros  haben,  so  stimmt  damit  Aen.  IV  569  nicht,  wo  zu  lesen  steht 

eia,  age,  rumpe  moros. 

Hätte  ich  einen  Vergil  zu  edieren,  ich  schriebe 

ein?  age,  rumpe  moros, 

Deiktisches  en. 

Dieses  —  in  der  Quantität  völlig  verschieden  —  isk  die  Sandhi- 
form  für  em.  Bekanntlich  habe  ich  in  der  Z.  f.  ö.  G.  em  als  isolierten 
Imperativ  (=  ewc)  erklärt,  eine  Annahme,  die  eine  litterarische  Pole- 
mik von  Köhler  und  Maurenbrecher  hervorrief.  Ich  schwieg  und 
dachte  mir:  audientes  audiant.  Skutsch  aber  führte  die  Sache  im 
Philologiis  LIX  481  ff.  siegreich  durch,  nachdem  schon  Lindsaj  sie 
aufgenommen  hatte. 

Solange  man  die  Saudhierscheinungen  nicht  beachtete,  mochte  wohl 
zwischen  em  und  en  sich  keine  Brücke  schlagen  lassen.  Aber  heute, 
wo  es  ganz  sicher  steht,  dafs  em  nunc  en-nunc,  em  tibi  en-tibi  ge- 
sprochen wurde,  wird  man  begreifen,  dafs  diese  Aussprache  auch 
graphisch  dargestellt  wurde,  so  auf  der  beifsenden  Grabschrift: 

profuit  —  en  tibi!  —  quod  fana  coluisii  deorum. 

„Da  hast  Du's."  Daraus  erklären  sich  die  hundertfachen  Beispiele 
für  en  tibi,  variiert  nachmals  zu  en  vobis^  und  zwar  zuerst  bei  dem 
^ataviner''  en  vobis  iuvenem  V  18,  3. 

Wenn  Sallust  en  illa  .  .  .  libertas  schreibt,  so  schrieb  er  zwar 
80,  sprach  aber  ella.  Und  so  begreifen  sich  Cicerostellen  wie  en 
causa,  cur  ...  da  hast  du  den  Grund,  weshalb. 

*;  Ein  Beleg  der  Form  'eis'  ist  wohl  nicht  nachzuweisen.     Die  Red. 


Miscellen.  417 

Naturgemäfs  beschränkt  wäre  also  en  auf  konsonantisühen  Nach- 
laut (adsum  en,  C.  Cotta  Sali.  hist.  II  41,  10  verglichen  mit  em,,»ad' 
sum  bei  Varro  r.  r.  I  56);  Sallust  schreibt  es  auch  vor  h,  das  er  offen- 
bar konsonantisch  (man  denke  an  die  toskanische  Aussprache)  las, 
lug.  IX  2:  en!  hahes  virum  .  .  .  Nimm  ihn  hin,  du  hast  an  ihm  . . ., 
gesprochen  efwhahes. 

ENIM  und  NEMPE. 

Lexikographie  föhrt  unbedingt  zur  Etymologie,  und  viel  eher 
kann  der  wissenschaftliche  Lexikograph  der  etymologischen  Basis  ent- 
raten,  als  der  Schulwörterbuchmacher,  dem  fttr  das  Bestreben,  die 
Wortgeschichte  in  nuce  darzustellen,  die  Aufstellung  des  richtigen 
Etymon  nötig  ist  wie  das  tägliche  Brod.  Nim  ist  weder  enim  noch 
nempe  bis  heute  erklärt,  die  Linguistik  hat  ratlos  Halt  gemacht. 
Also  will  ich  die  Sache  philologisch  angehen  imd,  meinem  bekannten 
horror  Oangeticus  folgend,  wieder  einmal,  wie  Nettleship  sagte,  „Latein 
mit  Latein  erklären^^ 

Enim  ist  ein  Affirmativum*)  —  ich  vermeide  absichtlich  das 
Wort  „Partikel"  —  und  ist  nie  etwas  anderes  gewesen  oder  gewor- 
den. Die  alte  Litteratur  bis  auf  Terenz  und  Lucilius  kennt  keinen 
andern  Gebrauch  als  den  rein  affirmativen.  In  nachscipionischer  Zeit 
hat  sich  dieser  affirmative  Gebrauch  namentlich  in  den  Formeln 
enimvero,  enimtamen,  etenim  forterhalten;  daneben  aber  haben*  sich 
zwei  weitere  Gebrauchsweisen  des  Wortes  gebildet:  1.  War  der  Ge- 
danke, in  den  man  das  enim  einschob,  eine  Exegese  des  Voraus- 
gehenden, so  diente  es  ebenfalls  nur  der  Bekräftigung;  aber  die  Be- 
deutung, die  wir  dem  Ausdruck  heute  beilegen,  ist  die  unseres 
*nämlich'.  2.  War  andererseits  in  dem  nachtretenden  Gedanken  eine 
bekräftigte  Begründung  ausgesprochen,  so  gewann  der  ganze  Satz 
Kausalitätssinn,  und  daher  kommt  es,  dafs  wir  heute  dem  Worte  die 
Bedeutung  'denn'  beilegen. 

Aber  was  wir  an  Bedeutung  dem  Worte  heute  beilegen,  ent- 
scheidet blutwenig  für  den  BegriflFsinhalt,  der  ursprünglich  in  der 
Wurzel  des  Wortes  liegt.  Ausgehen  mufs  man  immer  von  den  alten 
Anwendungen  bei  Plautus,  und  das  A  und  0  bleibt: 

enim  ist  ein  Affirmativum. 

Die  Stellung  von  enim  ist  ursprünglich  frei.  Es  steht  in  der 
Komödie  satzeinleitend  ebenso  gut  wie  eingeschoben.  Und  so  hat  sich 
diese  Stellung  am  Satzanfang  gleichfalls  durch  die  ganze  Litteratur 
erhalten  in  enimvero,  enimtamen  imd,  wie  ich  ausdrücklich  bemerke, 
auch  in  etenim;  denn  da  et  ursprünglich  'auch'  ist,  so  ist  eigentlich 
hinter  et  ein  Doppelpunkt  zu  denken,  und  der  Satz  beginnt  mit  enim. 

Sonst  aber  steht  enim  genau  in  der  Stellung  eingeschobener 
Sätze:  regia,  crede  mihi,  res  est  —  oder  die,  sodes,  araice  —  oder 
tu,   puto,   nihil  invenies  und  was  dergl.  mehr  ist.      Dies  erweckt  die 


*)  Priöcian.  XVI  p.  103,  28  H.  nennt  es  coniunctio  aifirmativa. 


418  J.  M.  Stowasser  —  Ed.  Wölfflin: 

Vorstellung,  dafs  enim  selbst  ein  eingeschobener  Satz  affirmativer  Be- 
deutung ist.     Man  vergleiche  die  drei  Verse: 

regia,  crede  mihi,  res  est  succurrere  lapsis 
regia  res,  puta,  sit  niiseris  succurrere  lapsis 
regia,  enim,  res  est  miseris  succurrere  lapsis. 

Sie  sagen  alle  drei  „mit  etwas  andern  Worten"  dasselbe.  Und  wenn 
man  sie  vergleicht  und  bedenkt,  dafs  enim  sich  mit  Adverbien  ver- 
binden kann  (enimvero),  so  liegt  der  Schlufs  nahe,  zu  sagen:  enim 
ist  ein  eingeschobener  Satz,  mufs  demnach  verbalen  Ursprungs  sein, 
und  kann  als  nachdrückliche  Bekräftigung  genau  wie  crede  oder  puta 
nur  Imperativ  sein.     Aber  woher? 

Es  ist  mir  seinerzeit  gelungen,  in  em  den  Imperativ  eme  wieder- 
zuerkennen, und  schon  vor  Jahren  habe  ich  in  den  Wiener  Studien 
darauf  auftnerksam  gemacht,  dafs  die  sog.  „Partikel"  immo  nichts  ist 
als  die  isolierte  erste  Person  Praesentis  von  *in-emo,  *in-imo,  die 
nach  dem  Muster  von  como,  promo,  demo,  sumo  zu  inmo  (wie  die 
Nonius-  und  Plautushss.  noch  oft  haben)  und  zu  immo  regelrecht 
sinkt.  Ich  ziehe  hier  den  Schlufs  aus  den  beiden  Prämissen  in  der 
Aufstellung  der  paradoxen  These: 

ENIM  ist  der  Imperativ  von  IM3I0. 

Die  Erörterung  beginne  ich  mit  dem  Formellen.  Vor  der  allgemein 
rezipierten  Lautgestalt  in  lautet  die  Präposition  en  (iv),  so  noch  in 
endo,  so  auf  der  columna  rostrata  und  anderswo  (Lindsay  257). 
Grundform  ist  also  ^en-emo,  Imperativ  dazu  +en-eme,  apokopiert 
^en-em:  Im  Umbrischen  heifst  das  Wort  enem.  In  der  alten  Laut- 
gestalt der  Präposition  aber  mit  bereits  geschwächtem  Stammvokal 
des  Verbs  haben  wir  +en-imo,  ^enime,  +enim.  Im  Lateinischen 
heifst  das  Wort  enim.  Tritt  schliefslich  auch  in  der  Präposition  die 
Lautschwächung  ein,  so  haben  wir  ^in-imo,  ^in-ime,  *inim.  Im 
Oski  sehen  heifst  das  Wort  in  im,  sicher  ebenso  zu  inimo  (immo) 
gehörig,  wie  em  zu  emo.  Das  steht  fest  wie  der  bekannte  rocher  de 
bronze. 

Bleibt  die  Bedeutung.  In(ijmo  heifst  und  kann  nur  heifsen:  an- 
nehmon,  glauben.     Wenn  also  es  heifst: 

§  numquid,  Simo,  peccatumst?  §  immo  maxume,  so  sagt  das: 
Ist  denn  ein  Fehler  geschehen?  Ich  glaube,  ein  sehr  grofser.  Darüber 
habe  ich  in  den  Wiener  Studien  geschrieben.  Hier  braucht  also  nur 
mehr  aufmerksam  gemacht  zu  werden,  dafs  enim  die  gleiche  Bedeu- 
tung hat,  wie  crede  oder  puta,  somit  ein  Affirmativum  ersten  Banges 
ist.  Den  Zusammenhang  von  immo  und  enim  hat  übrigens  Spengel 
zu  Andria  91  schon  geahnt  auf  Grund  von  Pers.  670,  Stich.  600, 
Cist.  V  4.  Ja  im  Pseudolus  stehen  die  Wörter  direkt  neben  einander 
V.  31.     Cetera  proferre  taedet. 

Wenn  ich  noch  ein  paar  Worte  über  nempe  beifüge,  so  will  ich 
mich  auch  hier  aller  Kürze  befleifsigen ;  denn  viel  reden  macht's  nicht  aus. 

Ich  halte  nämlich  nempe  (gesprochen,  wie  Skutsch  erwiesen  hat, 
nemp)    überhaupt  nicht   für   lateinisch,   sondern   für  umbrisch,  in  die 


Miscellen.  419 

Litteratiir    eingedrungen    offenbar   durch    einen    grofsen    Umbrer,   den 
Sarsinaten,  den  Maccius  Plautus. 

An  umbrisches  enem  tritt  nämlich  pe,  das  umbrische  Äquivalent 
von  lat.  que;  so  wird  *enenipe  die  gleiche  Bedeutung  zu  teil  wie 
«tenim.  Aber  dieses  Wort  hat  den  Anlaut  eingebüfst:  *nempe',  viel- 
leicht das  älteste  Beispiel  für  derartige  Prokope,  die  ja  im  Italieni- 
schen und  Vulgärlateinischen  und  Yulgärgriechischen  so  häutig  ist: 
^  Tccv  K(o  nemico  'st,  's,  'ste  ('sta,  'stud)  u.  dgl. 

Wien.  J.  M.  Stowasser. 


Das  SnfBx  -aster. 

Dafs  die  Adjektiva  auf  -aster  fast  nur  in  der  Volkssprache 
lebten,  zeigt  ihr  Fehlen  in  der  klassischen  Litteratur;  denn  surdaster 
bei  Cic.  Tusc.  5,  116  wird  ja  von  den  Erklärem  als  tcia^  si^tjuivov 
in  der  guten  Latinität  bezeichnet.     Arch.  I  404. 

Wie  man  deminutive  und  augmentative  Suffixe  unterscheidet,  so 
hat  man  in  neuerer  Zeit  -aster  als  ein  deterioratives  Suffix  bezeichnet, 
und  Etienne  hat  in  einer  Dissertation  von  Nancy  1883  De  noraini- 
bus  in  malam  partem  abeuntibus  gesprochen,  während  Meyer-Lübke, 
Gramm,  der  roman.  Sprachen  II  56  J,  sich  vorsichtiger  äufsert:  -aster 
ist  im  Lateinischen  meist  verschlimmernd.  Man  wird  jedoch  besser 
thun,  den  Ausiruck  ^Verschlechterung'  (pejoratif)  überhaupt  zu  ver- 
meiden, schon  aus  dem  Grunde,  weil  man  kein  verbesserndes  Suffix 
kennt.  Die  Widerlegung  kann  sich  kurz  fassen.  Der  oben  genannte 
surdaster  ist  doch  nicht  schlimmer  daran  als  der  surdus;  im  Gegen- 
teile leidet  er  nur  an  partieller  Taubheit,  er  ist  5?f6surdus.  Ebenso- 
wenig ist  der  calvnster  im  Nachteile  gegenüber  dem  calvus;  um- 
gekehrt hat  er  nur  eine  halbe  Glatze.  Der  claudaster  ist  noch  nicht 
olaudus;  crudastrum  bei  Anthim.  21  ist  *paene  crudum',  wie  in  einem 
Codex  erklärt  wird. 

So  haben  denn  die  alten  Grammatiker  nicht  so  ganz  Unrecht, 
oder  doch  besseres  Recht,  wenn  sie  das  Suffix  zu  den  deminutiven 
gerechnet  haben.  Priscian  3,  27  stellt  neben  einander:  tantulus,  agel- 
lus,  codicillus,  homullus,  parasitaster,  nepotulus.  Das  Beispiel 
stammt  aus  Ter.  Ad.  779  est  alius  quidam  parasitaster  paululu.^  und 
die  von  Schlee  herausgegebenen  Schollen  erklären  mit  parvus  para- 
situs.  Im  Corp.  gloss.  V  585,  16  heifst  es:  parasitaster  diminutivum 
nomen  est  a  parasito.  Da  Priscian  auch  noch  an  anderen  Stellen 
auf  den  Vers  des  Terenz  verweist,  so  lieferte  dieser  offenbar  das 
Musterbeispiel  der  Schule.  Nach  dieser  Auffassung  ist  poetaster  ein 
kleiner  oder  halber  Dichter,  *medicaster  ein  schlechter,  d.  h.  eben 
kein  ganzer  Arzt,  *matrastra  nicht  die  wahre  Mutter  (franz.  maratre), 
Antoniaster  ein  Antonius  en  miniature,  mit  demselben  Rechte  dann 
aber  auch  calvaster  nur  ein  halber  Kahlkopf,  avnq)akavTlag,  mit  kahlem 
Vorderkopfe.  Schon  Dio  Cassius  67,  11  erwähnt  einen  lovkiog  Kct- 
XovdaxQogj  und  loannes  Diaconus  in  der  vita  Gregorii  Magni  (vol.  IV 


420  Kd.  Wölfflin: 

edit.  Maurin.  1705)  erklärt  genauer:  ita  (nur  insoweit)  calvaster,  ut 
in  media  fronte  gemellos  cincinnos  rarusculos  habeat.  Über  medius, 
mediaster,  mediastrinus  vgl.  Arch.  VIII  38.  Statt  des  Begriffes  der 
Deminution  kann  man  auch  den  der  ^Annäherung'  substituieren:  pal- 
liastnim,  was  einem  ordentlichen  pallium  einigermafsen  ähnlich  sieht; 
Oleaster,  wilder  Olivenbaum;  mentastrum,  wilde  Münze  (fitV^t/);  mula- 
ster,  halb  Esel  halb  Pferd,  Arch.  IV  412  (Mulatte  von  der  Kreuzung 
zweier  Bässen);  filiaster,  Stiefsohn,  Grofssohn,  Konkubinenkind  nach 
Paul  Meyer,  röm.  Konkubinat;  patraster  Schwiegervater,  auf  Inschriften 
mit  bene  merenti  verbxmden.  So  auch  alydövQiog  =  at;  aygtog  Etymol. 
Gud.  col.  14  Sturz.  Arch.  VI  508. 

Wenn  wir  beobachten,  dafs  sich  im  Französischen  das  Sufiix 
namentlich  für  Farbenbezeichnungen  erhalten  hat,  rougeatre,  bleuätre, 
ital.  biancastro,  so  können  wir  nachweisen,  dafs  ein  Ähnliches  schon 
im  Lateinischen  der  Fall  war.  Vgl.  fulvast^r,  canaster,  nigraster 
Firm.  Mat.  math.  3,  4,  1,  nigellaster  Gloss.  *gravaster  (gravastellus, 
Graukopf?).     Über  miniastrum  vgl.  Arch.  XII  78. 

Zu  den  späten  Neubildungen  gehört  franz.  opiniätre,  *opiniaster, 
franz.  acariätre,  *achariaster  von  äxaQLg:  beide  mit  verwischter  Derai- 
nutivbedeutung,  da  das  Suffix  in  opiniast«r  eher  augmentativen  Sinn 
zu  haben  scheint.  Ein  solcher  Gegensatz  ist,  so  sehr  er  auf  den 
ersten  Blick  befremden  mag,  in  der  Sprachgeschichte  nicht  ohne 
Beispiel.  Das  lateinische  -o,  -onis  gilt  allgemein  als  augmentativ; 
dann  schwächt  sich  die  Bedeutung  ab,  und  furone  in  einer  Epitome 
des  Codex  Theodosianus  entspricht  dem  für  des  römischen  Rechtes, 
vgl.  Du  Gange.  Endlich  aber  bezeichnet  Teverone  einen  Neben fiufs 
des  Tiber,  camevalone  den  kleinen  Karneval  (Nachfastnacht)  und 
franz.  aiglon  den  jungen  Adler.  Und  nicht-s  anderes  ist  es,  wenn 
Studemund  bei  Paulus  Festi  379,  8M.  emendiert:  ungulastros  (cod. 
ungulatros)  magnos  atque  asperos  Cato  appellavit,  nur  dafs  wir  die 
beiden  verschiedenen  Bedeutungen  als  gleichzeitig  annehmen  müssen. 
Vgl.  Arch.  I  116.  Übrigens  bedarf  es  wohl  der  Emendation  nicht, 
wenn  wir  an  die  inschriftlich  bezeugte  Nebenform  patrater  erinnern. 
Man  wird  es  dann  auch  fllr  möglich  halten,  bei  Augustin  unter  philo- 
sophaster  einen  grofsen  Philosophen  zu  verstehen,  civ.  dei  2,  27  vir 
gravis  et  philosophaster  Tullius;  ibid.  6,  18  acutus  et  dialecticus  et 
philosophaster  vult  videri.  Vielleicht  ist  dann  auch  Corp.  gloss.  IV 
487,  43  (=  Thes.  gloss.  emend.  126)  balastrum:  balneum  mit  dem 
Suffixe  ein  grofses  Bad  bezeichnet,  jedenfalls  kein  kleines,  da  sonst 
deminutive  dabei  stehen  würde. 

Um  aber  nochmals  die  allgemeine  Regel  zu  fixieren,  so  bezeichnet 
das  Suffix  (die  Präpos.  ad)  eine  Annäherung  an  etwas.  Ist  dieses 
etwas  Wünschenswertes  oder  etwas  Gutes,  dann  ergiebt  sich  der  Be- 
griff der  Verringenmg;  drückt  dagegen  das  Nomen  etwas  Unerwünschtes 
aus,  so  bringt  das  SufÜx  eine  Verbesserung. 

Der  Gefälligkeit  des  H.  Prof.  Dr.  Herrn.  Stadler  verdanke  ich 
den  Stoff  zu  einem  inhaltsreichen  Nachtrage.  Aus  dem  latein.  Galen 
ad  Patemum  Cap.  171:  lapis  galactitis  est  quasi  ceraster  (cod.  Palat.), 


Miscellen.  421 

oder  richtiger  nach  cod.  Lucc.  und  Cam.  (Chartres)  cineraster,  über- 
einstimmend mit  Dioscor.  5,  149  Xvxitpqoq  zi\v  iQoav,  Cap.  192  malo- 
bathrum  ...nigrastrum;  232  radix  nigrastra.  Cap.  213  radix  colore 
obfuscastra.  Cap.  170  lapis  Phrygius  .  .  .  pallidaster.  Cap.  274 
ratyrium  .  .  .  flos  purpurastrum,  exalbidum.  Cap.  201  omfacium 
subeastrum.  Dazu  kommen  noch  Cap.  246  odore  cepastrum;  Cap. 
216  odore  mellastrum;  Cap.  272  Smymium  semen  .  .  .  nigrum  mur- 
rastrum;  Cap.  203  opobalsamum  .  . .  5u5rubeum  et  resinastrum; 
Cap.  90  diptamnus  .  .  .  semen  nigrum  et  similastrum.  Auch  hier 
bezeichnet  das  Suffix  (ad  +  tro)  die  Annäherung  an  etwas. 

München.  Ed.  Wölfflin. 


Propitins,    Komparativ  propior. 

Propitius  hat,  soviel  wir  wissen,  weder  einen  Komparativ  noch 
einen  Superlativ  gebildet,  während  wenigstens  das  archaische  Latein 
einen  Superlativ  egregüssimus  aufweist.  Über  industrius  und  neces- 
sarius  vgl.  Neue-Wagener  lat.  Formenl.  II  113  =  11^  203.  Dafs 
Quintilian  10,  1,  91  geschrieben  haben  sollte:  quem  praesidentes  stu- 
diis  deae  propitius  (die  Handschriften  propius)  audirent?  glaubt 
heute  kein  Mensch  mehr,  da  derselbe  Autor  4,  praef.  5  korrekt  ge- 
schrieben hat:  quo  nee  studiis  magis  propitium  numen  est.  Es 
scheint  nun,  dafs  man  propior  für  propiti-ior  gebraucht  hat,  in  der 
Meinimg  natürlich,  propitius  sei  kein  Compositum  (wie  compitum), 
sondern  eine  blofse  Suffixerweiterung  von  propis.  Wenn  man  be- 
kanntlich bildete  ferus,  ferocior  (statt  ferior),  und  fidus,  fidelior,  so 
wäre  propitius,  propior  als  Analogon  dazu  aufzufassen.  Schon  Becher 
im  Philol.  39,  181  machte  auf  die  Parallelstelle  bei  Verg.  Aen.  1,  526 
aufmerksam,  wo  es  von  der  Dido  heifst:  parce  pio  generi  et  propius 
res  aspice  nostras,  da  hier  der  Begriiff  der  Nähe  in  den  der  Teil- 
nahme imd  Hilfe  übergeht.  Auch  den  Martial  dürfen  wir  hierher 
ziehen,  welcher  1,  70,  15  schreibt: 

Nulla  magis  toto  ianua  poste  patet. 
Nee  propior  quam  Phoebus  amet  doctaeque  sorores. 

Giebt  man  dies  zu,  so  werden  bei  Quintilian  die  Konjekturen  promp- 
tius,  pronius,  propitiae,  potius  überflüssig.  Jedenfalls  darf  man  die  Kon- 
jektur propitius  bei  Quintilian  nicht  mit  Juvenal  sat.  11,  12  verteidigen: 

egregius  cenat  meliusque, 

da  Juvenal  ein  Dichter  ist  und  der  folgende  Komparativ  melius  die 
ungewöhnliche  Form  entschuldigt.  Dafs  Quintilian  sein  propius  audi- 
rent im  Sinne  von  magis  propitie  verstanden  habe,  beweist  er  uns 
4,  2,  27  ut  propitius  iudex  defensionem  axaUat^  und  7,  1,  12  ut  id 
. .  .  audire  propitius  incipiat.  [Über  proprior  als  Komparativ  von  pro- 
prius  vgl.  Neue,  Formenl.  IP  206.] 

München.  Ed.  Wölfflin. 


422  Karl  Brugmanu  —  Friedr.  Vogel: 


Salus. 

Es  ist  merkwürdig,  was  für  Anstrengungen  immer  wieder  ge- 
macht werden,  die  Bildung  dieses  Substantivimis  zu  erklären.  Um 
nur  die  zwei  neuesten  Deutungen  zu  erwähnen:  Ciardi-Dupre  in 
Bezzenbergers  Beitr.  26,  207  meint,  von  *sal€UO-  (Isitsaliws  saJvos^  umbr. 
saluHom)  sei  das  Abstraktum  * saleuo-tüt-  *salouo-tiit-  gebildet  worden, 
hieraus  durch  Synkope  *saloutüt-^  dann  *salüiUt-^  schliefslieh  durch 
haplologische  Kürzung  salüt-,  und  Prellwitz  in  einer  Fufsnote  zu  dieser 
Aufstellung  bemerkt,  vielmehr  stecke  das  altind.  Substantiv  üii' 
(^Labung,  Stärkung,  Erquickung,  Hilfe')  im  zweiten  Teil.  Man  braucht 
doch  wohl  nur  an  die  morphologische  Gleichartigkeit  von  salübcr  salütäir 
SaWta  mit  volühiUs  voVutäre  voUnnrn,  sccfffus,  lovTdus  u.  dergl.  zu 
denken,  um  zu  sehen,  dafs  snlüs  ein  primilres  //-Abstraktum  von 
derselben  Art  ist,  wie  saüm  -ätis  neben  satiäre  satiübili^,  quies  -vih 
neben  quiesco  qnictus,  dös,  mens,  ars  u.  s.  w.  (Verf.  Grundr.  2,  282  f., 
Stolz  Hist.  Gramm.  1,  545,  Lindsay-Nohl  Die  lat.  Spr.  389  flf.);  vgl. 
auch  die  Adverbia  auf  -/im,  wie  solütim,  iolUtim,  certätim,  exqu'isUim, 
sccretim,  vacsim,  partim,  die  ja  nichts  anderes  als  Akkusative  eben 
solcher  mit  -//-  gebildeter  Abstrakta  sind  (Delbrück  Vergleich.  Syntax 
1,  6<)8ff.).  Natürlich  gehören  das  Element  -uo-  von  sahios  und  das 
Element  u  von  sftlüs  etymologisch  zusammen,  vgl.  voluo  volvo  und 
volniam,  ron-secnos  und  secütus*)  u.  dergl.  Aber  das  lange  u  von 
Salus  war,  wie  das  von  saluher  volütum  u.  s.  w.,  ein  urindogermani- 
sches ?/,  nicht  Fortsetzung  eines  urlateinischen  ?/ -Diphthongs;  es  mag 
genügen,  auf  homerisch  iikvicti  etkvfia  und  auf  Solmsen  Stud.  zur  lat. 
Lautgesch.  2  f..  Untersuch,  zur  gr.  Laut-  und  Versl.  232  ff.  und 
Osthoff  in  V.  Patrubanys  Sprachwiss.  Abhandlungen  2,  62  ff.  zu  ver- 
weisen. 

Die  richtige  Auffassung  von  sahls  bietet  bereits  Corssen  Krit. 
Beitr.  (1863)  S.  51i»,  freilich  vermischt  mit  Unhaltbarem,  und  gerade 
seine  Zusatzbemerk nng,  dafs  das  ü  von  salüs  möglicherweise  eine 
Kontraktion  aus  dem  ho  von  sahios  sei,  mag  späteren  Forschem  den 
l^lick  getrübt  haben. 

Leipzig.  Karl  Brugmann. 


Ipse  etiam.    Domo.    Latro. 

1.  Ipse  etiam.  Cicero  war  kein  Staatsmann,  vielleicht  auch  kein 
Mann  in  des  Wortes  strengster  Bedeutung;  aber  seine  menschlichen 
Tugenden  sollte  man  ihm  lassen.     Einer  der  schlimmsten  Vorwürfe  in 


*)  Dafs  "man  *}<ectus^  das  alte  Parti cip  zu  seguor  :=  ^no^uti  (vgl.  sectorj, 

gegen  secutus  zun'ickHtellte  und  fallen  liefs,  daran  war  augenscheinlich  die 
[omonymität  mit  sn-tus  ^geschnitten'  schuld.    Neben  *sectw  'Folge'  (secütio) 
lag  aufser  sectio  Mas  Schneiden'  auch  noch  In-sectio  'ErzJlhlung'  {znin-sque). 


Miscellen.  423 

dieser  Beziehung  gründet  sich  auf  ep.  ad.  Att.  IV  1,  1.  Auch  der 
neueste  Erklärer  Bardt  schreibt  darüber  (Kommentar  S.  43):  *Der 
erste  Brief  nach  der  Heimkehr  (aus  der  Verbannung  Sept.  57)  beginnt 
nicht,  wie  man  erwarten  sollte.  Nur  Dank,  heifsen  Dank  erwartet 
man  für  den  treuen  Freund,  der  mit  Rat  imd  Trost  neben  dem  Ver- 
zweifelnden gestanden  hat,  .  .  .  und  was  kommt?  Nach  kurzem  Danke 
folgt  die  Vorhaltung,  dafs  er  nicht  mehr  Mut  und  Klugheit  gezeigt 
habe  als  der  Gefährdete  selbst,  dafs  der  Freund  für  seine  Rettung 
nicht  so  bemüht  gewesen  sei,  wie  er  es  nach  seinen  Aufinerksam- 
keiten  für  ihn  hätte  erwarten  dürfen,  und  erst  dann  die  Anerkennung, 
dafs  er  doch  recht  viel  gethan.' 

Dafs  Cicero  in  seinen  Briefen  aus  der  Verbannung  oft  recht 
bitter  und  ungerecht  gegen  Atticus  wird,  ist  nicht  zu  bestreiten,  aber 
in  anbetracht  seiner  verzweifelten  Lage  doch  zu  entschuldigen;  dafs 
er  aber  jetzt  nach  seiner  glücklichen  Heimkehr  dem  Freunde,  dem  er 
zum  gut^n  Teil  seine  Rückberufung  zu  danken  hat,  Vorwürfe  machen 
soll,  weil  er  sich  nicht  genug  um  seine  Rettung  bemüht  habe,  gegen 
eine  solche  Annahme  sträubt  sich  unser  Gefühl,  und  wenn  wir  näher 
zusehen  und  vor  diesen  anstöfsigen  Worten  lesen,  dafs  er,  kaum  in 
Rom  angekommen,  nichts  Eiligeres  zu  thun  habe,  als  dem  Freunde 
zu  schreiben  und  zu  danken,  und  ebenso  hinter  denselben  die  Ver- 
sicherung finden,  dafs  zur  Vollkommenheit  seines  Glückes  nur  das 
eine  fehle,  dafs  er  seinem  Freunde  ins  Auge  blicken  oder  vielmehr 
in  die  Arme  sinken  könne,  so  lehnt  sich  auch  unser  Verstand  gegen 
eine  solche  ungleiche  Gedankenverbindung  auf  Der  Stein  des  An- 
stofses  liegt  in  folgenden  Worten:  cognoram  enim,  ut  vere  scribam, 
te  in  consiliis  mihi  dandis  nee  fortiorem  nee  prudentiorem  quam  me 
ipsum  nee  etiam  propter  meam  in  te  observantiam  nimium  in  custo- 
dia salutis  meae  diligentem  eunderaque  te,  qui  primis  temporibus 
erroris  nostri  aut  potius  furoris  particeps  et  falsi  timoris  socius  fuisses, 
acerbissime  diseidium  nostrum  tulisse  plurimuraque  operae  studii  dili- 
gentiae  laboris  ad  confieiendum  reditum  meum  contulisse.  Der  logische 
und  psychologische  Anstofs  wird  gehoben,  wenn  ^dr  nee  streichen 
und  hinter  me  interpungieren ,  sodafs  sieh  die  gut  ciceronianische 
Verbindung  ipsum  etiam  ergiebt  statt  der  kaum  eriräglichen  Zusammen- 
stellung nee  etiam  (Fr.  Hofmann  sehrieb  dafür  me  etiam).  Alsdann 
tadelt  Cicero  nicht  seinen  Freund,  weil  er  nicht  genug  für  seine 
Rettung  gethan  habe  (was  mit  den  folgenden  Worten  plurimum  operae 
studii  diligentiae  laboris  contulisse  in  direktem  Widerspruch  stände), 
sondern  er  entschuldigt  seine  Mutlosigkeit  und  Kopflosigkeit  damit, 
dafs  er  zu  sehr  auf  die  Erhaltung  seines  Lebens  bedacht  war.  Was 
das  heifst,  lehren  die  vorausgehenden  Briefe,  besonders  der  Brief  ad 
Att.  in  15,  worin  er  sich  und  seinem  Freunde  Vorwürfe  macht,  dafs 
er  seinen  Feinden  nicht  Trotz  bot  und  so  leichten  Kaufes  das  Feld 
räumte;  hätte  Atticus  ihm  den  Mut  gestärkt,  so  wäre  er  entweder 
mit  Ehren  untergegangen  oder  freute  sich  jetzt  seines  Sieges  (aut 
occubuissem  honeste  aut  vietores  hodie  viveremus).  So  aufgefafst 
sind  auch  die  Worts  propter  meam  in  te  observantium  durchaus  sinn- 


424  Friedr.  Vogel  —  Uv.  Densusianu: 

gemäfs,  während  bisher  die  Herausgeber  sie  in  pro  praeterita  mea  in 
te  observantia  ändern  zu  müssen  glaubten.  Cicero  hält  also,  wie 
schwache  Leute  zu  thun  pflegen,  an  seiner  Torgefalsten  Meinung  fest, 
dafs  man  mit  mehr  Mut  den  Sturm  hätte  beschwören  können,  im 
übrigen  aber  läfst  er  den  guten  Absichten  und  Verdiensten  seines 
Freundes  um  ihn  volle  Gerechtigkeit  widerfahren. 

2.  Domo.  In  der  1.  Phil.  Rede  sucht  Cicero  das  Thun  des 
Antonius  als  bare  Willkür  nachzuweisen.  Während  er  auf  der  einen 
Seite  wichtige  und  regelrecht  zustande  gekommene  Gesetze  Caesars 
abschaffe,  trotz  des  Beschlusses  acta  Caesaris  servanda  esse,  erlaube 
er  sich  andererseits  mit  Berufung  auf  die  hinterlassenen  Schriften  und 
Konzepte  Caesars  allerlei  Eigenmächtigkeiten;  fClr  jene  Notizen,  die  er 
dem  Senat  vorlege,  biete  er  keine  andere  Beglaubigung  als  sein 
Zeugnis,  ja  manchmal  bekomme  sie  der  Senat  überhaupt  nicht  zu 
sehen.  Zornig  fragt  daher  Cicero  (Phil.  I  16):  an  in  commentariolis 
et  chirographis  et  libellis  se  (=  Antonio)  uno  auctore  prolatis,  ne 
prolatis  quidem,  sed  tantum  modo  dictis  acta  Caesaris  firma  erunt: 
quae  ille  in  aes  incidit,  in  quo  populi  iussa  perpetuasque  leges  esse 
voluit,  pro  nihilo  habebimtur?  Den  nämlichen  Gedanken  wiederholt 
er  §  24:  ergo  haec  uno,  verum  optimo  auctore  domo  prolata  defendi- 
mus;  eas  leges,  quas  ipse  nobis  inspectantibus  recitavit  pronuntiavit 
tulit,  .  .  '.  evertendas  putamus?  Halm-Laubmann  bemerkt  zu  domo  pro- 
lata: *Im  Gegensatz  zu  dem  folgenden  quas  ipse  nobis  inspectantibus 
tulit\  und  dieselbe  Anmerkung,  nur  umgestellt,  macht  Eberhard: 
^Caesar  hat  vor  unsern  Augen  (im  Gegensatz  zu  domo  prolata)  das 
Gesetz  zur  Abstimmung  gebracht*.  Das  ist  nicht  falsch,  enthüllt  aber 
die  boshafte  Pointe  nicht,  die  in  dem  doppelsinnigen  domo  liegt.  Mit 
domo  zielt  Cicero  nicht  sowohl  auf  das  Haus  des  Antonius,  worin  dieser 
den  schriftlichen  Nachlafs  Caesars  verwahrt,  sondern  er  will  damit 
vielmehr  die  von  Antonius  vorgelegten  Schriftstücke  als  selbst fcibri" 
zierte  bezeichnen,  da  domo  auch  heifsen  kann  ^aus  eigenen  Mitteln, 
aus  eigenem  Vorrat,  aus  eigener  Fabrik'  (cf.  Brix  zu  Plaut,  mil.  194). 
Dadurch  erhält  unsere  Stelle  erst  die  richtige  Beleuchtung  imd  zugleich 
die  angefochtene  Stelle  Cic.  or.  186  domo  depromebatur  eine  neue  Stütze. 

3.  Latro.  Die  Sage,  dafs  Rom  von  Räubern  gegründet  worden 
sei,  ist  doch  zu  eigenartig,  als  dafs  sie  ganz  frei  erfunden  sein  könnte. 
Ich  wenigstens  kann  den  Gedanken  nicht  los  werden,  dafs  dahinter 
ein  sprachliches  ^lifs Verständnis  steckt,  das  auf  dem  Bedeutungswandel 
des  Wortes  latro  beruht:  während  das  Wort  bei  Plautus  imd  Ennius 
noch  Söldner  oder  Heisläufer  bedeutet,  nimmt  es  später  den  bekannten 
üblen  Sinn  an.  Nun  erscheinen  Bomulus  und  Remus  in  der  Sage 
als  Führer  bewaffneter  Jünglinge,  die  in  der  alten  Sprache  wohl  als 
latrones  bezeichnet  werden  konnten.  Später  verstand  man  darunter 
fälschlich  Räuber,  und  daraus  mag  sich  weiterhin  die  Sage  vom  Asyl 
gebildet  haben,  wie  denn  das  Wort  asylum  erst  spät  in  der  lateini- 
schen Litteratur  auftritt. 

Fürth.  Friedr.  Vogel. 


Miscellen.  425 

Zn  'bubia'  Arch.  X  228. 

Lindsaj  hat  zuerst  auf  dieses  Wort  auftnerksam  gemacht,  wel- 
chem er  die  Bedeutung  von  *  männliche  Brust'  vindiciert.  [Vielleicht 
w&re  besser  ^Brustwarze'  zu  übersetzen,  da  die  Redensart  ^a  bubia 
usque  ad  imgulas',  welche  bei  der  Besprechimg  von  Längenmafsen 
Torkonmit,  einen  bestimmten  Punkt  voraussetzt,  von  welchem  aus  ge- 
messen wird.  Die  Red.]  Die  Existenz  eines  vulgärlateinischen  bubia 
läfst  sich  wohl  auch  durch  die  rumänische  Sprache  stützen,  und  zwar 
durch  das  Verbum  imbuibare,  welches  weder  =  imbibere  sein  kann 
(L.  Säineanu,  Dict.  romin.- german.,  Bukai-est  1889,  p.  200),  noch  das 
slavische  b^bn^ti  (Cihac,  Dict.  d'etymologie  daco-romane,  Frankfurt 
1879,  21).  Vielmehr  setzt  es  ein  yulgärlateinisches  *imbubiare  voraus, 
und  seine  Bedeutung  ^übersättigen,  sich  satt  essen'  hat  sich  leicht  aus 
der  von  bubia  entwickeln  können.     Vgl.  das  franz.  se  gorger. 

Wenn  man  das  ital.  bogia  vergleicht,  so  darf  man  daran  er- 
innern, dafs  auch  papilla  sowohl  Brustwarze  als  EQtzbläschen  be- 
deutet. [In  letzterem  Sinne  gebraucht  man  im  Baseldeutschen :  Bibeli 
(=bubula).     Die  Red.J 

Bukarest.  Ov.  Densusianu. 


Carrns,  das  Sternbild  des  Bären. 

Diese  Bedeutung  von  camis,  welche  dem  griechischen  cfiaga  und 
dem  deutschen  ^ Wagen'  entspricht,  findet  sich  in  keinem  lateinischen 
Wörterbuche  verzeichnet.  Und  doch  ist  sie  uns  erhalten  in  den  Her- 
meneumata  Vaticana  (Corp.  gloss.  III  425,  '20 — 23),  ohne  dafs  freilich 
das  Wort  in  den  Thesaurus  gloss.  emend.  übergegangen  wäre.  Die 
Stelle  lautet: 

aqv,xoq  septentrio 

ovyiva  (ovTtva  d.  Red.)   quemque 

KaiaxQ£aiLK(og  vulgo 

afia^av  (a^ia^av)  KakovOiv  carrura  vocant. 

Auch  in  allen  romanischen  Sprachen  hat  sich  carrus  in  dieser  Be- 
deutung erhalten.  Wir  haben  in  imserer  Histoire  de  la  langue  rou- 
maine  (Paris  1901,  §  92)  bereits  citiert:  rumän.  car,  ladin.  (Muggia, 
Archivio  glottologico  XII  329)  car^  franz.  charioty  hisp.  portug.  carro'^ 
wir  könnten  noch  hinzufügen:  istr.  caro,  trientin.  car  (G.  Vesnader, 
Usi,  costumi  e  credenze  del  popolo  di  Postole,  Pola  1901,  176. 
G.  Azzolini,  Vocab.  pei  distretti  Roveretano  e  Trentino,  Venedig 
1855,  p.  72). 

Bukarest.  Ov.  Densusianu. 


Litteratur  1900.  1901. 

Car.  Lessing:   Scriptorum  historiae  Augustae  lexicon«     Fase.  I. 
Lips.  1901.  ni,  80pgg.  Lex.-8^ 

So  grofs  und  anerkannt  auch  der  Nutzen  von  Specialwörter- 
büchern ist,  so  werden  doch  wenige  mehr  gedruckt.  Die  Arbeit  ver- 
langt so  viel  Entsagung,  dafs  der  Fleifs  oft  nicht  aushält;  die  Verleger 
machen  schlechte  Geschäfte,  und  das  kaufende  Publikum  tröstet  sich 
jetzt  mit  dem  Credanken,  im  Thesaurus  linguae  latinee  alles  beisammen 
zu  finden.  Um  so  mehr  freuen  wir  uns,  dafs  ein  Wunsch  von 
Mommsen  in  Erfüllung  gegangen  ist,  und  zwar  in  Berlin  selbst.  Vgl. 
Arch.  X  4  53.  Reichte  die  erste  Probe  nur  bis  adytum,  so  umfafst 
die  erste  Lieferung-  den  Wortschatz  bis  congero  und  das  gesamte 
Manuskript  bis  P  liegt  druckfertig  vor.  Ausgeschlossen  sind  die  Eigen- 
namen, welche  man  in  Peters  Index  oder  auch  in  der  Prosopographia 
finden  kann.  Dagegen  hat  sich  der  Herausgeber  eifrig  bemüht,  alles 
zu  sagen,  was  für  die  Bestimmung  der  Verf.  der  einzelnen  Bio- 
graphien in  Betracht  kommt,  beispielsweise,  dafs  Spartian  barbaricus 
nicht  gebraucht  hat.  Es  werden  weder  sämtliche  Beispiele  vorgefElhrt, 
noch  weitschweifige  Erklärungen  gegeben;  bei  codicillaris  mufs  man 
mit  einem  Verweise  auf  Herzogs  Rom.  Staats verf.  zufrieden  sein.  Nur 
so  ist  es  möglich,  das  Werk  auf  einen  mäfsigen  Umfang  einzuschränken. 

Bei  der  Berechnung  des  Gesamtpreises  (36  Mk.)  scheint  ein 
Irrtum  untergelaufen  zu  sein:  höchstens  8  Liefenmgen  zu  3  Mk. 
60  Pf.  würden  kaum  30  Mk.  ergeben.  Der  Verfasser,  als  tüchtiger 
Latinist  geschätzt,  bietet  volle  Bürgschaft  för  die  Gediegenheit  des 
Inhaltes.  —  Durch  den  Vorsprung,  welchen  der  Verf.  gewonnen  hat, 
wird  der  Thes.  ling.  lat.  für  das  Litteraturpensum  gedeckt  sein. 

P.  Scr.  Da  uns  bereits  Fase  2  und  3  vorliegen,  so  können  wir 
beifügen,  dafs  dieselben  bis  'honor'  reichen.  Daraus  läfst  sich  der 
Gesamtumfang  auf  7 — 8  Lieferungen  berechnen. 


loa.  Fred.  Lederer:  Fragmentum  indicis  ( verborum)  in  O.  lulii 
Solini  collectanea  rerum  memofabiliiun.  Progr.  Bayreuth. 
1901.    90  col.    8^. 

Die  Latinität  Solins  bietet  uns  namentlich  dann  eine  interessante 
Seite,  wenn  sie  von  der  seiner  Hauptquelle  Plinius  abweicht,  weil 
man    daran   erkennt,    welche   Veränderungen    in    dem   Sprachbestande 


Litteratur.  427 

zwei  Jahrhunderte  hervorgebracht  haben.  Da  Verf.  diesen  Vergleich 
nie  aufser  Acht  läfst,  auch  die  Überlieferung  des  Textes  in  den  ver- 
schiedenen Handschriften,  sowie  die  Leistungen  der  Konjekturalkritik 
gewissenhaft  berücksichtigt,  hat  die  von  cacumen  bis  continuus 
reichende  Probe  einen  wissenschaftlichen  Wert  erhalten,  welcher  dem 
Thesaurus  linguae  latinae  zu  gute  kommen  wird.  Für  die  mit  A 
und  B  anfangenden  Wörter  hat  der  Verfasser  bereits  früher  reichliche 
Materialien  der  Redaktion  zur  Verfügung  gestellt,  und  wir  können  es 
nur  mit  Dank  begrüfsen,  wenn  sein  Privatfleifs  den  Vorsprung  vor 
dem  naturgemäfs  langsam  erscheinenden  grofsen  Werke  beibehalten  wird. 


J.  S.  Speyer:    SdepoL    Leiden  1901  •    (Festschrift  zum  Jubiläum  von 
Prof.  Boot.    8.  55—60.)  4^. 

Der  Groninger  Philologe  Sp.  behandelt  in  den  zu  Ehren  des 
Ciceronianers  Boot  herausgegebenen  Abhandlungen  die  Etymologie  der 
Schwurformel  edepol,  welche  man  bisher  nach  dem  Vorgange  des 
Varro  imd  Gellius  (11,  6)==  per  Pollucem  gedeutet  hat.  Dafs  die 
Analogie  von  ecastor  die  Form  epoUux  ergeben  hätte,  übersah  man; 
noch  viel  weniger  aber  bemühte  man  sich,  die  zwei  ersten  Silben  'ede' 
zu  erklären.  Vergleicht  man  mehercules  =  ita  me  Hercules  amet 
(iuvet)  und  die  Doppelformen  mecastor  und  ecastor,  mediusfidius  und 
ediusfidius  (Charis.  p.  198  Keil),  so  kommt  man  auf  die  Etymologie 
(m)ed-epol,  wobei  man  med  als  Accus,  sing,  fassen  mufs,  wie  in  der 
fibula  Praenestina  (Manios  med  fefaced  Numasioi).  Dann  aber  mufste 
der  Gott,  bei  welchem  geschworen  wurde,  vokalischen  Anlaut  haben, 
nicht  konsonantischen.  Dafs  es  ein  griechischer  Gott  war,  ist  von 
vornherein  anzunehmen,  da  'equirine'  (Paulus  Festi  81,  13  M. )  eine 
Ausnahme  bildet.  Aber  trotz  der  scheinbar  nahe  liegenden  Parallele 
ecastor  (wie  die  Frauen  schwuren,  indem  sie  an  castus  dachten),  ist 
es  nicht  Pollux,  sondern  Apollo,  die  ursprüngliche  Form  also  med- 
apol.  Durch  die  Komposition  in  die  nicht  accenttragende  Mittelsilbe 
gerückt,  mufste  freilich  das  a  zu  6  oder  i  sinken,  was  zu  erläutern 
überflüssig  ist.  Eine  einzige  Schwierigkeit  bleibt  bestehen,  dafs  die 
Komiker  Sdepol  messen,  während  wir  edepol  zu  erwarten  berechtigt 
wären.  Allein  in  der  Volkssprache  werden  bekanntlich  die  Quantitäts- 
regeln vielfach  verletzt. 

Zum  Schlüsse  vergleicht  Verf.  den  Schwur  mediusfidius,  den 
er  (im  Gegensatze  zu  dem  ecastor  und  edepol  der  Komiker)  der 
höheren  Litteratur  zuweist,  wenigstens  für  die  klassische  Zeit.  Er 
glaubt  diese  Form  auch  bei  Apul.  met.  1,  18  zu  finden,  wo  'medici 
fidi'  überliefert  ist.  Der  Leser  vermutet  anfänglich,  Sp.  werde  einen 
Accus,  med  (med  lovis  fidius)  herauskonstruieren;  doch  begnügt  sich 
dieser  mit  der  Bemerkung  *in  quo  Summi  Tonantis  nomen  inest',  ohne 
sich  auf  die  Diskussion  der  weiteren  Fragen  einzulassen.  Über  die 
Statistik  des  Gebrauches  von  mediusfidius  liefse  sich  natürlich  viel 
mehr  sagen. 


428  Litteratur. 

C.  Wagen  er:    Formenlehre  der  lateinisohen  Sprache.     I.  Band. 
Dritte,  sehr  vermehrte  Auflage.     Leipzig  1901.    1019  Seiten.    8^ 

Nachdem  schon  Friedr.  Neue  die  zweite,  auf  692  Seiten  er- 
weiterte Auflage  ohne  Vorwort  in  die  Welt  gesandt  hatte,  folgt  auch 
die  dritte  diesem  Beispiele.  Der  erste  Band  enthält  bekanntlich  die 
Deklination  des  Nomens  nebst  der  Lehre  von  dem  Genus.  Wenn 
auch  Franz  Büchelers  Grundrifs  nicht  übertroffen  werden  kann,  so  ist 
doch  das  Werk  von  Neue- Wagener  unentbehrlich  durch  die  Fülle  der 
Gitate  aus  der  goldenen,  silbernen  imd  späteren  Latinität.  Ohne 
Noten,  ohne  Fettschrift  und  Kursive,  in  blofser  Antiqua  und  mit  Hilfe 
des  gesperrten  Satzes  wird  das  Riesenmaterial  so  übersichtlich  vor- 
gelegt, dafs  man  Indices  entbehren  kann.  Vielleicht  hätten  sich  zur 
schnelleren  Orientienmg  oben  neben  den  Seitenzahlen  kurze  Inhalts- 
angaben anbringen  lassen.  Dem  Leser  wird  seine  Aufgabe  erleichtert, 
indem  in  den  Citaten  die  Abkürzungen  auf  ein  Minimum  reduziert 
sind,  z.  B.  Hieronym.  =  Hieronymus,  Senec.  =  Seneca.  Die  Plautus- 
stellen  werden  sowohl  nach  Akt,  Scene  und  Vers  als  nach  der  Zählung 
Leos  citiert.  Diskrepanzen  der  Handschriften  werden  in  reicher  Fülle 
mitgeteilt;  doch  möchten  wir  bemerken,  daijs  für  die  Kritik  des  Bell. 
Hispan.  der  Leidensis  keinen  Wert  mehr  besitzt  Neue  Beispiele  für 
Gen.  plur.  barbarum  giebt  Rand  in  den  Supplem.  der  Jahrb.  f.  class. 
Phil.  26,  449.  450. 

Wünschenswert  wäre  eine  Übersicht  der  excerpierten  lateinischen 
Schriftsteller.  Die  Patrologie  von  Migne  scheint  (mit  Recht)  nicht 
benützt,  wogegen  die  bisher  erschienenen  Bände  des  Wiener  Corpus 
verwertet  sind. 


C.  L.  Babcock:    A    study    in    case    rivalry.      Comell  Studies    of 
Classical  Philologj  Nr.  XIV.    Ithaca  NY.,    1901.    74  pgg.    8^ 

Der  Verfasser  untersucht  die  Konkurrenz  zwischen  Akk.  und  Gen. 
im  Gebrauch  der  Verba  des  Erinnems  und  Vergessens  bis  in  die 
Zeit  der  silbernen  Latinität  hinein  und  kommt  dabei  zu  folgenden 
Resultaten  (S.  73): 

I.  Bei  Beziehung  auf  Personen 

a)  stehen  persönliche  und  reflexive  Pronomina  im  Gen.  bei  me- 
mini  und  obliviscor,  ausgenommen  im  Altlatein, 

b)  andere  Beziehungen  auf  Personen  stehen  regelmäfsig  im  Gen. 
bei  obliviscor,  zu  allen  Zeiten. 

Bei  memini  ist  der  Akk.  die  Regel  bis  zum  ciceron.  Zeitalter; 
dann  der  Gen. 

(Selten  ist  die  Person  bei  memini  eingeführt  durch  den  Abi.  mit 
de).  Reminiscor  wurde  selten  gebraucht.  Wahrscheinlich  bekam  es 
mit  Beziehung  auf  Personen  den  Akk. 

IL    Bei  Beziehung  auf  Sachen: 

Memini,  reminiscor  und  obliviscor  haben  bald  den  Gen.,  bald  den 
Akk.,    ohne    augenscheinliche    Bedeutungsunterschiede.      Memini    imd 


Litteratur.  429 

reminiscor  zeigen  eine  entschiedene  Hinneigung  zum  Akk.,  auilser  im 
späteren  Latein.  Obliviscor  dagegen  bevorzugt  den  Gten.,  aufser  im 
Alüatein.     Reminiscor  wird  selten  gebraucht. 

a)  Doch  stehen  die  Neutra  der  Pronomina  und  substantivierte 
Adjj.  im  Neutrum  regelmälsig  im  Akk. 

b)  Nomina  im  Neutrum  bei  memini  stehen  zu  Giceros  Zeit  eben- 
falls im  Akk. 

m.  Recordor  nimmt  niemals  den  Gen.  zu  sich.  Es  nimmt  nie- 
mals ein  direktes  Objekt  mit  Beziehung  auf  Personen  zu  sich. 

Anmerkung:  Bisweilen  regiert  recordor  den  Abi.  mit  de,  dabei 
kann  es  sich  auf  Personen  wie  auf  Sachen  beziehen. 

IV.  Hierher  gehört  auch  die  Verbindung  Venit  mihi  in  mentem', 
welche  bisweilen  den  Grenetiv  regiert,  wahrscheinlich  nach  Analogie  von 
memini  und  obliviscor.   Die  Verbindung  gehört  der  Umgangssprache  an. 

Anmerkung:  Man  findet  sie  etwa  hundertmal  bei  Plautus, 
Terenz  imd  Cicero,  während  sich  weniger  als  ein  Dutzend  Beispiele 
in  der  übrigen  Latinit&t  einschliefsrich  der  augusteischen  Periode  finden. 
Im  allgemeinen  ist  das  Ding,  an  welches  man  sich  erinnert,  das 
Subjekt  zu  venit,  und  zwar  entweder  das  Neutr.  ehies  Pronomens  oder 
ein  Infinitivsatz.     Selten  regiert  die  Phrase  de  mit  Abi.  H. 


Frank  Fr.  Abbott:  The  use  of  repetition  in  latin.  Studies  in 
classical  philology,  vol.  IIL  University  of  Chicago  1900,  p.  67 
—87.    gr.  8^ 

Die  amerikanischen  Philologen  haben  in  der  letzten  Zeit  auf 
dem  Felde  der  lateinischen  Grammatik  eine  rege  Thätigkeit  entwickelt, 
teils  indem  sie  auf  bisher  unbebauten  Gebieten  selbständige  Forschungen 
anstellten,  teils  indem  sie  Bekanntes  zusammenfafsten  und  unter  ein 
neues  Licht  zu  bringen  versuchten.  Zu  der  letzteren  Gattung  ist 
auch  die  vorliegende  Studie  zu  rechnen,  deren  voller  Titel  lautet: 
the  use  of  repetition  in  latin  to  secure  emphasis,  intensity,  and 
distinctness  of  Impression.  Denn  wie  wäre  es  möglich,  auf  20  Seiten 
die  Wiederholung  (Gemination)  im  Lateinischen  gründlich  und  quellen- 
mälsig  darzustellen,  namentlich  wenn  man  den  Begriff  so  weit  faüst, 
dals  auch  magis  maior,  perpetuo  gestare  und  parva  fabella  imter  den- 
selben fallen?  Spricht  man  aber  von  quisquis  und  quamquam,  so 
müfste  man  vielleicht  bis  auf  die  Perfektreduplikation  zurückgehen,  in 
welcher  man  eine  mangelhafte  Form  der  Wiederholung  finden  könnte. 
Ob  das  italienische  subito  subito,  piano  piano  mit  lente  et  lente,  sen- 
sim  sensim^tie,  longe  longe^tie  direkt  zusammenhänge,  bleibt  nach  wie 
vor  imklar,  da  kein  neues  lateinisches  Material  beigebracht  ist.  (In 
Zürich  sagt  man:  wowohl  =  wohl  wohl  =  ja  ja.)  Auch  kann  bezweifelt 
werden,  ob  tum  deinde,  deinde  postea  emphatische  Wiederholungen 
seien,  da  die  ursprüngliche  Bedeutung  wahrscheinlich  ist:  dann  im 
Anschluis,  unmittelbar  darauf. 

Der  Ver&sser  leitet  alle  diese  Ausdrucksformen  wohl  mit  Reoht 

ArohiT  tat  Ut.  Lezikogr.   Xn.    Heft  S.  %^ 


430  Litteratur. 

aus  der  Umgangssprache  ab  und  will  sie  nur  insofern  auch  als 
'rhetorisch'  bezeichnet  wissen,  als  die  Rhetorik  ein  Mittel  der  Volks- 
sprache sich  angeeignet  habe.  Eine  erschöpfende  historische  Darstellung 
der  genannten  Probleme  könnte  freilich  nur  in  einem  Buche  gegeben 
werden  und  müfste  noch  viel  weiter  ausgedehnte  Beobachtungen  zur 
Voraussetzung  haben.  Über  parva  fabella  imd  Verwandtes  vergleiche 
man  meine  Anmerkimg  zu  Bell.  Afr.  27,  1  lapillos  minutos,  piscicoli 
minuti,  bestiolae  minutae. 


Jules  Lebreton:    ifetudes  sur  la  langae    et   la   grammaire    de 
Cicöron.     Paris  1901.    XXTV,  472  pgg.    gr.  8^. 

Eine  ^Syntaxis  Tulliana',  welche  schon  Orelli  im  Kopfe  ge- 
tragen, welche  aber  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  Baiter  hätte  aus- 
arbeiten müssen,  liegt  heute  vor  ims,  hervorgegangen  aus  der  Feder 
eines  Franzosen.  Obschon  ^Sprache  und  Grammatik'  nicht  identisdi 
sind  mit  ^Syntax',  so  dürfen  wir  doch  das  Buch  von  L.  mit  dem 
Plane  Orellis  in  Verji^leichimg  setzen,  da  thatsächlich  der  Schwerpunkt 
in  der  Syntax  liegt.  Die  Formenlehre  vdrd  gar  nicht  berührt,  was 
auch  nach  Neues  Leistung  kaum  nötig  ist;  ebenso  wenig  der  Delectus 
verborum.  Abgesehen  von  einer  Einleitung  über  die  Kongruenz,  sind 
es  ein  halbes  Dutzend  grofser  Kapitel  über  die  Syntax  der  Redeteile, 
Substantiv,  Pronomen,  Verbum  (Tempora,  Modi,  transitive  Kraft)  und 
Partikeln,  wobei  also  Adjektiv  imd  Zahlwort  leer  ausgehen.  Von  den 
Präpositionen  wird  nur  ah  behandelt,  und  dieses  nur  in  Verbindung 
mit  passiven  Verben  (der  Thesaurus  wird  noch  nicht  citiert),  von  den 
Konjimktionen  nur  que,  ve,  ne,  insofern  sie  einem  auf  kurzes  S 
schliefsenden  Worte  angehängt  werden  können.  Die  ganze  Syntazis 
casuum  wird  kaum  gestreift.  Aus  diesem  Grunde  hat  der  Verf.  sein 
Buch  als  etudes  betitelt,  da  die  Darstellimg  nicht  systematisch  voll- 
ständig ist,  sondern  sich  auf  eine  Auswahl  besonders  wissenswerter 
Partien  beschränkt.  Darin  sehen  wir  übrigens  so  wenig  einen  Nach- 
teil, dalJs  wir  mit  Dank  annehmen,  was  ims  geboten  wird. 

Andrerseits  läfst  sich  wohl  die  Frage  aufwerfen,  ob  die  Latinität, 
wie  sie  uns  in  den  verschiedenen  Schriften  Ciceros  vorliegt,  eine  ein- 
heitliche genannt  werden  dürfe.  Man  kann  dieselbe  fär  den  Gebrauch 
der  Modi  und  die  Consecutio  temporum  vielleicht  mit  besserem  Ge- 
wissen bejahend  beantworten,  obwohl  es  auch  hier  nicht  an  Unter- 
schieden fehlt;  denn  die  Ausdehnung  des  Konjimktivs  und  der  sub- 
ordinierten Sätze  ist  Produkt  der  Reflexion,  also  mehr  der  littera- 
rischen Prosa  eigentümlich,  während  die  Umgangssprache,  und  der 
dieselbe  getreu  wiedergebende  Redner,  sich  mit  dem  Indikativ  begnügt, 
z.  B.  nunc  quid  respondemus?  quid  ad  haec  dicimus?  Der  Wortschatz 
zeigt  bedeutendere  Abweichungen,  wie  denn  dem  quicquid  in  buccam 
venerit  der  Briefe  in  den  Beden  imd  philosophischen  Schriften  ent- 
spricht quicquid  in  meutern  venit;  oder  die  nachlässige  Formel  des 
Briefstiles:  de  villa,  laudo,  müfste  in  korrektem  Latein  lauten:  quod 
pertinet  ad  villam.     In  einem  Falle  freilich    wo  L.  einen  Unterschied 


tiitteratar.  431 

anerkennt,  vermögen  wir  demselben  kein  (Gewicht  beizulegen.  Denn, 
wenn  er  S.  97  schreibt,  Konstruktionen  wie  hac  vestrum  freqnentia^ 
dixit  in  oontione  vestrum,  consensns  vestrum ,  splendor  vestrum 
kftmen  nur  (selten)  in  den  Reden  vor,  in  den  rhetorisch-philosophischen 
Schriften  gamicht,  so  geht  dies  darauf  zurück,  dafs  nur  der  Redner 
(jelegenheit  hat,  sein  Wort  an  die  anwesenden  Zuhörer  zu  richten. 
Und  nochmals  dürfen  wir  dem  Verf.  des  Buches  entgegenhalten, 
dafs  der  Verf.  de  ofßciis  nicht  mehr  derselbe  ist  wie  der  Verf.  de  in- 
ventione.  Der  Jüngling  hatte  noch  abs  te  geschrieben,  während  der 
senex  bei  ^a  te'  anlangte.  Wenn  wir  aber  auch  an  diesen  beiden 
Gresichtspunkten  theoretisch  festhalten  müssen,  so  werden  wir  doch 
gerne  zugeben,  dafs  in  ihnen  nicht  alles  Heil  liegt,  ja  dafs  sie  nur 
nebensächlich  sind  und  dafs  Tyrrell  in  der  Trennung  deir  Briefs  von 
den  übrigen  Schriften  zu  weit  gegangen  ist,  so  wenn  er  die  figura 
etymologica  gaudium  gaudere  mehr  den  Briefen  und  den  Komikern 
zuweist.  Jedenfalls  darf  man  über  den  Unterschieden  das  Gleichartige 
der  Sprache  nicht  vergessen. 

Die  Übersicht  der  benützten  Litteratur,  d.  h.  die  Titelangabe  der 
Bücher  füllt  die  Seiten  XIX  bis  XXVm  und  flöM  dem  Leser  Achtung 
ein.  Obenan  stehen  die  Arbeiten  der  Deutschen,  dann  folgen  die 
Franzosen,  denen  man  Riemann  wohl  beizählen  mufs,  die  Italiener, 
die  Engländer,  die  Amerikaner,  die  Russen,  die  Schweden  u.  s.  w. 
Vermifst  haben  wir  nur  die  Untersuchungen  von  Thielmann  u.  a.  über 
den  Einflufs  der  Sprache  des  Comificius  auf  die  Bücher  de  inventione. 

Die  Regeln  über  die  Syntaxis  congruentiae  (ein  Verbum  auf 
mehrere  Subjekte  bezogen)  gehen  darum  auseinander,  weil  man  die 
Hunderte  und  Tausende  von  Beispielen  doch  nicht  studiert,  sondem- 
aus einer  willkürlich  getroffenen  Auswahl  Schlüsse  zieht.  Daher  ist 
es  nötig,  die  Sachnamen  (Konkreta  und  Abstrakta)  nebst  den  Kollek- 
tiven von  den  Personennamen  zu  trennen,  worauf  man  finden  wird, 
dafo  im  ersteren  Ealle  der  Singular  überwiegt,  wie  im  letzteren  der 
Plural,  vgl.  xarha  iöUj  oiroC  Biaiv,  Schwierigkeiten  entstehen  natür* 
lieh  durch  die  Mischung  verschiedener  Subjekte;  doch  bleibt  die  Regel 
bestehen,  dafs  das  dem  Verbum  näher  stehende  Subjekt  einen  stärkeren 
Einfluis  ausübt  als  das  entferntere.  Da  aut,  vel,  ve,  sive  nicht  ver- 
binden, sondern  auseinanderhalten,  so  ist  selbstverständlich  hier  der 
Singular  als  Regel  zu  betrachten. 

Eine  zweite  Kontroverse  betrifft  die  Attraktion  des  relativen  und 
demonstrativen  Pronomens,  welche  schon  Riemann  in  den  M^langes 
Renier  S.  311 — 318  behandelt  hatte,  imd  zwar  abweichend  von  Dräger, 
Kühner  und  Schmalz.  Verf.  hat  noch  mehr  Beispiele  gesammelt  als 
Riemann  und  die  Umstände  der  vollzogenen  oder  nicht  vollzogenen 
Attraktion  (affirmative,  negative  Sätze)  genauer  studiert.  Nach  ihm 
steht  ganz  vereinzelt  or.  Phil.  1,  26  quod  ita  erit  gestum,  id  lex  erit; 
Rose.  Am.  106  dagegen:  nihil  est,  quod  suspicionem  hoc  putetis,  früher 
als  Musterbeispiel  verwendet,  ist  sehr  zweifelhaft  geworden. 

Im  Gebrauche  der  Substantive  hat  namentlich  der  Plural  der 
Abstr&kta  die  Aufinerksamkeit  auf  sich  gezogen;   denn  schon  Dräget' 


432  Litteratur. 

gab  eine  sechs  Seiten  lange  Liste,  und  Biemann  liat  mit  Recht  aus 
gesprochen,  dsü  kein  Autor  diesem  Plural  mehr  huldige  als  Cicero. 
Wenn  wir  denselben  am  meisten  in  den  philosophischen  Schriften 
finden,  so  dürfen  wir  annehmen,  dafs  die  griechische  Philosophie  einen 
starken  Einflufs  ausgeübt  hat,  ja,  dafs  beispielsweise  medietates 
(Tim.  23)  nichts  anderes  ist  als  eine  Übersetzung  von  fucorrfteg.  Noch 
eingehender  wird  die  Personifikation  der  Abstrakta  und  der  Gebrauch 
derselben  in  konkretem  Sinne  imtersucht,  wobei  L.  die  Verbalsubstan- 
tiye  nach  den  Suftixen  gliedert,  also  Suff,  «io,  advocatio  =  advocati, 
vgl.  Klägerschaft  (nicht  Suff,  -tio  oder  -sio,  weil  auch  coUutIo,  con- 
dicio,  regio,  religio  hierher  gezogen  werden);  Suff,  -tus,  fetus;  Suffl 
-ura,  armatura  levis  (nicht  -tura  oder  -sura  wegen  figrura)  u.  s.  w. 

Der  kollektive  Singular  von  Personenbezeichnungen  scheint  sich 
unter  dem  Einflüsse  der  Soldatensprache  entwickelt  zu  haben,  wenig- 
stens ist  das  früheste  und  allgemeinste  Beispiel  hostis  (noch  nicht 
adversarius  bei  Cicero),  dann  miles,  und  zwar  nicht  nur  unter  dem 
Einflüsse  der  Konzinnität  wie  Tusc.  2,  61  eosdem  labores  .  .  .  impera- 
tori  et  militi;  eques,  abgesehen  von  der  zweifelhaften  Stelle  Epist.  8, 1, 4 
(Caelius)  equitem  perdidisse,  wo  vielleicht  eine  Zweideutigkeit  (kollek- 
tiv—  strenger  Singular)  beabsichtigt  ist,  nur  noch  Epist.  9,  25,  1,  ein 
Gebrauch,  den  Livius  gewaltig  ausweitet.  Daneben  stellen  sich  dann 
die  Völkemamen,  wie  Parthus;  auch  sie  sind  später  stärker  ent- 
wickelt, doch  unter  Umständen  zweideutig,  indem  man  Poenus  =  Poeni 
oder  =  Hannibal  interpretieren  kann. 

Auch  das  Problem  des  Ersatzes  f&r  den  fehlenden  bestimmten 
Artikel  wird  hier  erörtert.  Die  ängstlichen  Grammatiker  von  Grellius 
an  haben  bekanntlich,  wenn  sie  ein  Wort  nicht  in  seiner  Satzfunktion, 
sondern  f[lr  sich  allein  verstanden  wissen  wollen,  statt  des  griechischen 
t6  zu  der  Umschreibung  *id  quod  est'  gegriffen,  welche  dann  auch 
moderne  Stilisten  angenommen  haben,  während  die  älteren  Philologen, 
wie  die  holländischen  Editoren  und  Kommentatoren  herzhaft  t6,  rot), 
Tf9  dem  lateinischen  Worte  vorsetzten.  Keines  von  beiden  ist  cicero- 
nianisch,  sondern  Cicero  erlaubte  sich  entweder  zu  schreiben  ain  pro 
aisne,  exin  pro  deinde  (Orat.  154;  doch  schwerlich  vor  Declinabilia, 
in  welchem  Falle  der  Ablativ  folgen  mufste),  oder  er  bediente  sich 
der  abgeschwächten  Pronomina  hoc,  istud,  illud,  denen  sich  auch 
ipsum  angereiht  hat.  Vgl.  Arch.  III  73  ff.:  Die  Substantivierung  des 
lateinischen  Infinitivs.  Mehr  findet  man  in  dem  Buche  von  Meader; 
vgl.  oben  S.  365. 

Aus  dem  Kapitel  über  die  Pronomina  möchten  wir  folgenden 
Punkt  herausheben.  Biemann  hatte  behauptet,  dafs,  wenn  ein  Belativ- 
satz  durch  eine  Kopula  (que,  et)  eine  Fortsetzung  erhält,  das  Pro- 
nomen ^le  plus  souvent^  in  das  Demonstrativ  (is,  selten  ille)  zurück- 
sinke. Dies  mufs  einem  Vertreter  der  historischen  Syntax  befremdlich 
erscheinen,  da  doch  die  Sprache  des  ciceronianischen  Zeitalters  nicht 
mehr  auf  dem  Standpunkte  Homers  steht.  Eine  genauere  Statistik 
lehrt  jedoch  das  Gegenteil,  indem  20  Beispielen  von  is  84  von  wieder- 
holtem   Relativum    gegenüberstehen.      Denmach  ist  Brut.  258   omnes 


Litteratur.  433 

qui  nee  extra  urbem  hanc  yixerant  nee  eos  aliqua  barbaries  in- 
fiiseaverat,  reete  loquebantur  zwar  nicht  anzufechten,  aber  auch  nicht 
gerade  zu  empfehlen,  schon  darum  nicht,  weil  weder  Caesar  noch 
Sallust  den  Bückfall  in  das  Demonstrativiun  kennen.  Ja  wenn  man 
Cicero  mit  Cicero  vergleicht,  mufs  man  die  homerische  Konstruktion 
als  die  nachlässigere  bezeichnen,  weil  aus  den  Reden  nur  zwei  Bei- 
spiele, und  zwar  aus  den  eine  Sonderstellung  einnehmenden  philippi- 
schen, dafür  notiert  sind,  während  ein  Dutzend  aus  den  besten  Beden 
das  Belatiyum  wiederholen.  Den  Übelstand,  dafs  die  Formen  cuius- 
que,  cuique,  quemque  mit  quisque  kollidierten,  muDste  man  mit  in 
den  Kauf  nehmen;  denn  in  diesem  Falle  war  que  die  Normalkopula, 
et  fast  so  selten  als  autem,  häufiger  nee  (neque);  ac  vor  qui  nicht 
belegt,  und  auch  ac  quam  Leg.  agr.  2,  98  Sna^  sig,  —  In  ähnlicher 
Weise  wird  über  fireien  Gebrauch  von  quisque,  über  alii  =  ceteri  und 
das  Beflexivpronomen  gehandelt,  z.  B.  über  se  ipse  und  se  ipsum. 
Das  suus  sibi  der  Komiker  hat  man  zu  oft  bei  Cicero  finden  wollen 
und  nicht  bemerkt,  dafs  die  äufserlich  gleichartigen  Beispiele  dem 
Sinn  nach  verschieden  sind.  Übrigens  hätte  schon  das  Fehlen  der 
Ausdrucksweise  in  der  guten  Prosa  zur  Vorsicht  mahnen  können. 
Vgl  Arch.  XI  137. 

Das  erste  Kapitel  des  dem  Yerbum  gewidmeten  Hauptteiles  be- 
trifft die  Verba  transitiva  ohne  (ausgesprochenes)  Objekt;  doch  kann 
die  Darstellung  nicht  abschliefsend  sein,  weil  es  fQr  die  annähernd 
gleichzeitigen  Prosaiker  an  guten  Vorarbeiten  fehlt  und  auch  Delbrück 
(vgl.  Synt.  I  376)  sich  mit  einer  Verweisung  auf  Schmalz  genügen 
l&Tst.  Darauf  folgt  dann  eine  Betrachtung  der  bald  transitiv  bald 
intransitiv  gebrauchten  Verba. 

Den  Kern  des  Buches  bildet  die  Tempus-  und  Moduslehre,  welche 
durch  die  neuesten  Forscher  ebenso  sehr  verwickelt  als  aufgeklärt 
worden  ist.  Jedermann  kennt  diese  Streitfragen  und  die  Namen  der 
beiderseitigen  Vorkämpfer.  Ein  Urteil  in  wenige  Zeilen  zusammen- 
zufassen dürfte  kaum  möglich  sein,  und  die  ganze  Diseiplin  hat  auch 
mit  dem  Thesaurus  nur  wenig  zu  thun.  Es  sei  nur  bemerkt,  dafs  in 
der  Behandlung  der  Kondizionakätze  L.  nicht  überall  mit  Blase  (Arch. 
Band  9  und  10)  übereinstimmt;  darin  aber  geht  er  mit  ihm  zusammen, 
dafs  er  die  Reden,  die  Dialoge,  die  rhetorischen  Schriften  imd  die 
Briefe  sondert. 

Noch  glauben  wir  ein  Wort  über  die  Erklärung  des  Gerundiums 
imd  Gerundiviuns  (Verbaladj.  auf  -ndus)  beifügen  zu  sollen.  L.  billigt 
weder  die  von  Weis  weil  er,  welcher  der  Form  einen  Futuralsinn  zu- 
weist, noch  die  von  Dosson,  welcher  in  ihr  eine  präsentische  Kraft 
anerkennt;  sie  ist  nach  ihm  frei  von  jeder  Tempusbedeutung;  nur  die 
Verba  dare,  tradere,  committere,  attribuere  u.  ä.  mit  Accus,  gerundivi 
bezeichnen  eine  destination  oder  intention.  —  Reiche  Indices  rerum 
und  locorum  machen  den  SchluTs. 

Wir  fassen  kurz  zusammen:  Der  Verf.  hat  fleifsig  gesammelt  und 
scharf  beobachtet;  seine  Darstellimg  zeugt  von  Besonnenheit  und  Be- 
scheidenheit; seine  Polemik  liegt  oft  in  dem  einzigen  Worte   malheu- 


434  Litteratnr. 

rausement;  wir  glauben  ihm  also  kein  besseres  Lob  spenden  ^u  können, 
als  wenn  wir  es  aussprechen,  dafs  er  durchaus  selbständig  auf  den 
Grundlagen  von  Otho  Riemann  weitergebaut  hat,  welcher  ihm,  wie 
es  scheint,  nicht,  mehr  Lehrer,  sondern  nur  durch  seine  Schriften  Vor- 
bild gewesen  ist. 

Jul.   Lebreton:    Caesariana   syntaxia   quatenus   a    Cioeronlanä 
differat.     Paris  1901.  Vn,    118  pgg.    8^ 

Wie  Verf.  mit  Recht  bemerkt,  hat  man  bisher  mehr  das  der 
Sprache  des  Cicero  und  Caesar  Gemeinschaftliche  hervorgehoben,  als 
das,  worin  sie  auseinandergehen.  Und  das  ist  auch  ganz  nat&rlich, 
da  Cicero  im  grofsen  Ganzen  dasselbe  anstrebte,  was  er  dem  Caesar 
nachrühmt:  rationem  (Analogie)  adhibentem  consuetudinem  vitiosani 
.  .  .  emendasse.  Dies  zeigt  sich  sowohl  im  Delectus  verborum  als  in 
der  Syntax.  Caesar  kannte  also  kein  Adverb  deinceps,  weil  ihm 
diese  Bildungen  wie  princeps,  manceps,  auceps  persönliche  Substantive 
waren;  «r  billigte  weder  nescio  noch  nequeo,  weil  er  die  Komposition 
von  ne  mit  Verben  (doch  nec-lego)  verwarf,  also  Formen  wie  nevis 
'oder  das  plautinische  neparcunt,  und  mit  non  po'sse,  ignorare  voll- 
kommen ausreichte,  auch  je  an  einer  Stelle  non  scire  und  haud  scire 
gebrauchte;  er  hat  et  und  etiam  streng  geschieden  und  nicht  das 
erstere  für  das  letztere  gesetzt. 

Schwieriger  ist  es,  die  Erklärungen  der  syntaktischen  Eigentüm- 
lichkeiten xmter  einen  Hut  zu  bringen.  Womit  hängt  es  zusammen, 
dafs  Caesar,  wie  schon  Riemann  beobachtete,  auf  erzählendes  Tempus 
im  Hauptsatze  öfters  das  Perf.  coniunet.  im  Nebensatze  folgen  läCst, 
Cicero  angeblich  nirgends?  Allerdings  liebt  er  die  Kürze,  aber  nicht 
um  den  Preis  der  Undeutlichkeit.  Die  Vorliebe  für  Wiederholung  des 
Substantivs  im  Relativsatze  fafst  L.  als  Konzession  zu  Gunsten  der 
perspicuitas ,  wogegen  zu  bemerken  ist,  dafs  in  den  meisten  Fällen 
ein  Mifsverständnis  immöglieh  war  (itinera  duo,  quibus  itii^eribus). 
Deutlicher  liegt  die  Sache  bei  den  vermiedenen  Neutralformen  der 
Fürwörter,  an  deren  Stelle  die  Umschreibungen  mit  res  treten.  Wenn 
eo  mit  Komparativen  verbunden  wurde  als  ablativus  mensurae,  wenn 
es  daneben  so  viel  als  'dahin'  bedeutete,  so  konnte  es  nicht  auch  noch 
für  'darum'  gebraucht  werden,  weshalb  auch  ideo  (mit  Ausnahme 
einer  Stelle  des  bellum  civile)  fehlt.  Im  Ganzen  glaubt  L.  herzhaft 
behaupten  zu  können,  dafs  Caesar  mehr  als  Cicero  die  Ausdrucks- 
formen der  Umgangssprache  vermieden  habe;  freilich  müfste  man 
dann  billigerweise  die  Briefe  Ciceros  in  Abzug  bringen.  —  Der  Verf. 
hat  fleifsig  gesammelt,  die  Arbeiten  der  neueren  Gelehrten  genau  studiert, 
\md   seine  Darstellung  zeugt  durchweg  von  Ruhe  und  Bescheidenheit. 

Aug.  Thiel:  luvenalis  graeoissans  sive  de  vooibus  graeois  apud 
luvenalem.     Vratisl.  1901.    X,  153  pgg-    8®. 

Die  Schrift  darf  als  das  Ergebnis  sehr  eingehender  Studien  be- 
trachtet werden,   wenn   auch   die  Methode  aus  verschiedenen  Gründen 


Litteratur.  435 

anfechtbar  ist.  Als  Grundlage  dient  ihr,  was  die  alten  Grammatiker 
und  die  neueren  Philologen  über  die  in  die  lateinische  Litteratur  auf- 
genommenen griechischen  Fremdwörter  geschrieben  haben,  wobei  wir 
nur  den  Aufsatz  von  Gabel -Weise  im  Arch.  VIII  359 — 368  vermissen. 
Yerf.  geht  von  dem  Gedanken  aus,  dafs  die  Satire  von  Anfang  an 
mehr  Graeca  aufgenommen  habe  als  eine  andere  Litteraturgattung, 
und  Juvenal  mehr  als  Horaz  (Sat.  und  Episteln)  imd  Persius.  Dies 
bestätigt  sich,  wenn  man  bei  Juvenal  über  700  Fremdwörter  zählt; 
«8  bestätigt  sich  durch  die  Fragmente  des  Lucilius,  wie  durch  die 
Änlserungen  von  Hör.  sat.  1,  10,  20  ff.  Verf.  bespricht  die  Wörter 
einzeln,  indem  er  sie  nach  Litteraturgattungen  sondert;  die  Bedeutung 
von  elenchus  als  ^Respektsperle'  ist  ihm  trotz  Friedländer  unklar;  da- 
gegen erklärt  er  Psecas  anders,  wenn  auch  seh wei lieh  besser.  Den 
Unterschied  in  dem  Gebrauche  von  moechus  und  adulter  hätt«  er  aui 
besten  dahin  definiert,  dafs  moechus  aus  metrischen  Gründen  die  casus 
obliqui  zu  adulter  liefert. 


Prosper    Spindler:    De  Amobii   genere    dioendi.      Diss.   inaug 
Strafsburg  i.  E.  1901.  78  pgg.  8^ 

Der  Verfasser  dieser  Dissertation  hat  es  sich  zur  Aufgabe  ge- 
macht, den  Stil  des  Arnobius  genauer  zu  analysieren,  als  es  bisher 
geschehen  war.  An  Vorarbeiten  ist  nur  das  Programm  von  Stange, 
de  Amobii  oratione,  Saargemünd  1893,  zu  nennen,  der  die  aus  der 
archaischen  und  der  Umgangssprache  entlehnten  Wörter  bei  Arnobius 
zusammenstellt  und,  wenn  auch  nicht  glücklich,  den  Rhythmus  be- 
handelt.*) Der  Verfasser  handelt  im  1.  Kapitel  über  die  Vorbilder 
des  Arnobius,  d.  h.  über  die  poetischen  und  auch  von  diesen  nur 
über  Lucrez  und  Vergil.**)  Diese  Beschränkung  hat  hie  und  da  zu 
schiefen  Urteilen  Anlafs  gegeben;  so  sollte  z.  ß.  zu  ^pausam  facere* 
181,  28  eher  Enn.  ann.  572  V.  oder  Lucil.  16  Lachm.  angefahrt  wer- 
den als  die  Lucrezstellen.  Auch  ist  der  Stoff  nicht  durchaus  voll- 
ständig behandelt.  So  vermifst  man  die  archaische  Form  \safiguen\^ 
die  Arnobius  mit  Lucrez,  aber  auch  mit  Ennius  und  andern  gemein- 
sam hat.  Auch  ^comptus^  172,  8,  das  Reifferscheid  (ind.  lect.  Breslau 
1877/78)  selbst  als  richtig  erkannt  hat,  sucht  man  vergeblich.  Für 
Vergil  erklärt  der  Verf.  ausdrücklich,  nur  das  Wichtigste  geben  zu 
wollen.  Dazu  hätte  aber,  meine  ich,  ^pellax^  gehört,  das  sich  auTser 
bei  Vergil  und  Arnobius  nirgends  findet.  Auch  zu  Arnobius  132,  12 
^nulln   soror  et  coniunx  omnipotentis  reperietur  lovis*  hätte  auf  das 


•)  Die  Görzer  Programme  von  Schamagl,  de  Amobi  latinitate,  sind 
mir  hier  nicht  zugänglich.  Der  Verf.  scheint  sie  auch  nicht  benutzt  zu 
haben.  [Vgl.  eine  Anzeige  der  beiden  Programme  Archiv  X,  Seite  30!i  und 
460.     Die  Red.] 

**)  ^Querquera*  sucht  man  allerdings  bei  Lucrez  vergeblich;  aber  dafs 
bei  Stange  p.  5  Liu^,  Druckfehler  für  Lucil.  ist,  konnte  ein  Blick  in  das 
Lexikon  lehren.  Zu  Amob.  p.  157,  24  sei  noch  bemerkt,  dafs  ^i-  vutu^  von 
Ehwald,  Philol.  LI  (1892)  p.  747  wohl  mit  Recht  als  Glossem  getilgt  wird. 


436  Litteratur. 

Yergilische  Vorbild  verwiesen  werden  müssen.  So  ist  der  Abschnitt 
über  Vergil  eine  ziemlich  willkürliche  Auswahl  von  imitationes. 
Vielleicht  wäre  es  überhaupt  besser  gewesen,  wenn  der  Verf.  sich 
nicht  mit  der  einfachen  Aufzählug  der  gemeinsamen  Wörter  und 
Redensarten  begnügt,  sondern  die  Stellen  mehr  hervorgehoben  hätte, 
die  von  Amobius  wörtlich  ausgeschrieben  sind,  vgL  z.  B.  283,  16  und 
Lucr.  n  428.  Manches  wird  auch  als  speziell  amobianisch  bezeichnet, 
was  in  der  spätem  Latinität  allgemein  üblich  ist;  so  ^ tarier  =  schwarz. 

Das  zweite  Kapitel  behandelt  den  rhetorischen  Schmuck  der  Rede 
hauptsächlich  nach  den  drei  Kriterien  der  Kunstprosa:  Figuren,  poe- 
tische Sprache,  Rhythmus.  Die  Figuren  werden  übersichtlich  durch 
gut  gewählte  Beispiele  erläutert.  Die  poetische  Diktion  kommt  etwas 
kurz  weg.  Hier  wäre  vielleicht  ein  passenderer  Platz  gewesen  für 
die  poetischen  Vorbilder,  die  ja  besonders  in  der  Wortwahl  für 
Amobius  bestinmiend  gewesen  sind.  Man  vermiüst  hier  noch  eine 
Behandlung  der  gelehrten  Worte.  Denn  solche  Reihen  wie  121,  18 
^capitones  cilunculos  frontofies*  etc.  und  257,  12  apexaones  hirciae  sUi- 
cemia  longavi  u.  ä.  stammen  nicht,  wie  Stange  p.  11  anzunehmen 
scheint,  aus  der  Umgangssprache,  sondern  aus  einem  gelehrten  Werk. 
Bei  der  Behandlung  der  Klausel  sind  ein  paar  kleine  Mifsverständ- 
nisse  untergelaufen.  So  bemerkt  der  Verfasser  zu  der  Klausel  facultas 
possefj  47,  2  ^hic  hohes  (üiam  clau$ulam*\  es  ist  aber  der  ganz  regu- 
läre Dispondeus.  ^ odiis  nos  esse^  3,  15  i  ^  l  -  ^  l  ist  wohl  ein  Ver- 
sehen. Natürlich  konnte  der  Verfasser  nur  Beispiele  geben,  die  ja 
genügen,  um  die  Thatsache,  dafs  Amobius  in  rhythmischer  Prosa 
schreibt,  zu  beleuchten.  Indes  wären  noch  einige  Stellen  erwünscht 
gewesen,  in  denen  die  Wortstellung  und  die  Wortformen  sich  dem 
Rhythmus  angepafst  haben.  Übrigens  macht  der  Verf.  mehrmals 
richtig  darauf  aufmerksam. 

Das  dritte  Kapitel  handelt  über  den  Satzbau.  Das  vierte  bringt 
hübsche  Zusammenstellungen  über  die  Wariatio';  das  letzte  ist  der 
Wortstellung  gewidmet,  die  sich  natürlich  nicht  nach  den  Gesetzen 
der  Deutlichkeit  und  Klarheit  regelt,  sondern  nach  rhetorischen  Rück- 
sichten. 

Das  Latein  ist  leider  nicht  einwandfrei.  Ein  öfters  wieder- 
kehrender Fehler  im  Satzbau  ist  folgender:  bei  der  Dispositionsangabe 
heifst  es:  ^postqu^m  .  .  tractavimits,  agemtis*  p.  2,  p.  3  u.  a.  Unzulässig 
ist  unter  anderm  p.  30  ingressi  .  .  transcribam.  Auch  eine  verhältnis- 
mäfsig  grofse  Anzahl  von  Dmckfehlem  findet  sich,  die  besonders  in 
den  Gitaten  unangenehm  stören. 

Man  mufs  dem  Verf.  das  Zeugnis  ausstellen,  dafs  er  den  Stoff 
im  ganzen  übersichtlich  dargestellt  hat.  Der  Einflufs  von  Nordens 
Werk  macht  sich  in  vorteilhafter  Weise  geltend.  Wir  sehen,  dafs 
nicht  die  ^glühende  Sonne  Afrikas'  den  Stil  des  Amobius  beeinüufst 
hat,  sondern  die  rhetorische  Schulung. 

München.  Alfred  Klotz. 


Litteratur.  437 

H.  Glaesener:  Grammatik  und  Lexikon  des  Laetanz.  Musee 
Beige,  1900,  S.  26 — 37:  L'emploi  des  modes  chez  Lactance; 
S.  223 — 235:  La  syntaxe  des  cas  chez  Lactance  (mit  Nachtrag, 
1901,  S.  316f.);  1901,  S.  5 — 27:  Les  changements  de  significa- 
tion  dans  Lactance  (Mots  du  domaine  religieux,  Mots  du  domaine 
profane);  S.  293 — 315:  Les  neologismes  de  Lactance  (Les  mots 
^grecs,  Les  mots  nouveaux). 

Es  ist  anzuerkennen,  dafs  der  Verf.  seinen  Autor  genau  studiert 
hat,  sodafs  sich  Beobachtungen  und  Stellenangaben  bei  ihm  finden, 
die  im  Lidex  der  Wiener  Ausgabe  fehlen.  Auch  versprach  die  Be- 
handlung der  Partien,  die  er  gewählt  hat,  einen  guten  Ertrag,  nur 
dafs  die  Kasussyntax  des  Laetanz  bereits  von  Limberg  (vgl.  Archiv 
X  302),  und  zwar  genauer  als  hier,  untersucht  worden  ist.  Doch 
können  wir  der  Methode  dieser  Abhandlimgen  in  zwiefacher  Hinsicht 
nicht  beistimmen.  Einmal  ist  das  Verfahren  in  den  beiden  ersten 
allzu  eklektisch:  weder  die  sämtlichen  hier  in  Betracht  kommenden 
Erscheinungen  werden  besprochen,  noch  werden  die  besprochenen  er- 
schöpfend und  mit  dem  vollständigen  Stellenmaterial  behandelt;  die 
„concordance  des  temps^^  bei  L.  läfst  sich  nicht  in  drei  Zeilen  und 
mit  zwei  Citaten  erledigen  (1900,  S.  29).  Sodann  werden,  abgesehen 
von  Anfahrungen  aus  Draeger  und  Goelzer  (ffieronymus),  die  granima- 
tischen  und  lexikalischen  Aufstellungen  nicht  durch  Hinweise  auf  die 
Fachlitteratur  und  auch  nicht  durch  Mitteilung  von  Belegstellen  aus 
den  hier  zu  vergleichenden  lateinischen  Autoren  in  weiteren  wissen- 
schaftlichen Zusammenhang  gebracht  imd  gestützt;  das  Kapitel  „Mots 
du  domaine  religieux^'  z.  B.  hätte  sich  durch  Anlehnung  allein  schon 
an  Boensch  und  Koffmane  ganz  anders  gestalten  lassen.  Lnmerhin 
aber  sind  namentlich  in  den  beiden  letzten  Abhandlungen  nützliche 
Materialien  enthalten,  Beiträge  zu  einer  Darstellung  der  Sprache  von 
Laetanz. 

Heidelberg.  S.  Brandt. 

Gas  im.  Morawski:    Bhetoruni   Romanorum    ampnllae.      Cracov. 
1901.    20pgg.    8^ 

Li  einer  Reihe  von  kleineren  Schriften  und  Aufsätzen  hat  Verf. 
ein  Thema  behandelt,  dessen  hohe  Bedeutung  immer  mehr  hervortritt, 
den  Einflufs  der  Bhetorenschule  auf  die  silberne  Prosa  und  sogar 
auch  auf  die  Poesie.  Li  dem  Mittelpxmkte  der  Betrachtung  steht 
natürlich  der  Philosoph  Seneca.  Dafs  der  Vater  auf  den  Sohn  ein- 
gewirkt hätte^  wäre  an  sich  schon  wahrscheinlich;  genauer  genommen 
aber  sind  es  die  Phrasen  und  Sentenzen  der  Rhetoren,  welche  Vater 
(Controv.,  Suas.)  und  Sohn  verbinden,  und  am  üppigsten  blühen  diese 
^ampuUae'  in  der  Consolatio  ad  Helviam.  Man  vergleiche  etwa  Sen. 
tranq.  an.  11,  4  saepe  causa  moriendi  est  timide  mori  mit  Sen.  suas. 
7,  4  causa  illis  vivendi  fuit  fortiter  mori.  Durchmustert  man  aber 
die  Parallelen  über  das  Lob  des  Selbstmordes,  so  findet  man  weiter, 
dafs  auch  der  ältere  Plinius  in  diese  Gesellschaft  gehört;  man  gelangt 


438  Litteratur. 

eu  Lucan  u.  a.,  ja  man  sieht  kaum  ein  Ende.  Und  auch  die  Be- 
stimmung des  Anfanges  (Yalerius  Maximus?)  ist  nicht  so  leicht.  So 
werden  uns  die  Variationen  von  Sen.  Oed.  98  (occidere  est  vetare 
cupientem  mori)  vorgeffthrt,  an  deren  Spitze  wir  Hör.  epist.  2,  3,  467 
stellen  möchten:  invitum  qui  servat,  idem  facit  occidenti.  In  endlosen 
Lichtbrechimgen  strahlt  auch  die  Antithese  von  vincere  und  vinci, 
welche  wir  oben  S.  346  in  anderem  Zusammenhange  besprochen  haben. 
Dafs  die  Geschichte  der  rhetorischen  Phrasen  der  Lexikographie  Licht 
bringt,  ist  selbstverständlich;  als  Beispiel  nennen  wir:  nocentem 
facere  S.  5  ff. 


Max  Ihm:   Biohard  BentleyB  Suetonkritik.     Sitz.-Ber.  der   BerL 
Akad.  d.  Wiss.  1901.     N.  XXVH. 

Näheres  über  die  Vorarbeiten  Bentleys  zu  einer  Ausgabe  der 
Caesares  des  Sueton  ist  durch  Gustav  Beckers  Quaestiones  criticae 
(Memel  1862)  in  die  Öffentlichkeit  gedrungen.  Ihm  hat  nun  die  im 
Britischen  Museum  befindlichen  Handexemplare  des  grofsen  Gelehrten 
nebst  deren  zahlreichen  Randnoten  vollständig  ausgebeutet  und  den 
Ertrag  seiner  Arbeit  dem  philologischen  Publikum  vorgelegt.  Bentl. 
besafs  die  Kollation  einer  Reihe  minderwertiger  Handschriften,  welche 
heute  gegenüber  dem  Memmianus  nichts  mehr  bedeuten.  Von  seinen 
eigenen  Konjekturen  sind  manche  bestechend,  wenige  brauchbar. 

Sollten  sich  an  dem  Rande  des  Handexemplares  von  Karl  Lud- 
wig Roth  noch  Notizen  finden,  so  müfste  man  wohl  auf  der  Stadt- 
bibliothek St.  Gallen  nachforschen,  an  welche  die  Bibliothek  des 
Baseler  Philologen  verkauft  worden  ist;  sein  Kollegienhefb  über  Suetons 
Augustus  wird  auf  der  Basler  Universitätsbibliothek  liegen.  —  Eine 
neue  kritische  und  dem  Vernehmen  nach  auch  exegetische  Ausgabe 
dürfen  wir  von  Ihm  erwarten.  Einen  Vorläufer  derselben  finden  wir 
im  Hermes  36,  343.  364. 


Josef  Sorn:  Bemerkungen  zum  Liber  memoriaUs  des  L.  Ampe- 
liuB.     Progr.  Laibach  1901.    15  S.  gr.  8®. 

Der  in  den  spätlateinischen  Historikern  wohlbelesene  und  imsern 
Lesern  wohlbekannte  Verfasser  bietet  uns  hier  eine  übersichtliche  Be- 
trachtung der  Latinität  des  Ampelius  nebst  einer  grofsen  Anzahl  von 
Verbesserungsvorschlägen.  Wenn  der  Schriftsteller  um  das  Jahr  200 
nach  Chr.  angesetzt  wird,  so  können  wir  uns  einverstanden  erklären, 
da  wir  unter  dem  Macrinus,  welchem  das  Büchlein  gewidmet  ist,  den 
Kaiser  der  J.  217.  218  verstehen.  Die  Schrift  ist  dann  ein  Vorläufer 
der  von  Rufin  und  Eutrop  auf  Wunsch  von  Kaisem  verfafsten  Bre- 
viarien,  imd  da  beide  Verfasser  magistri  memoriae  waren,  so  fällt 
auch  ein  Licht  auf  den  Titel  Liber  memorialis.  Charakteristisch  für 
den  Verf.  sind  die  zahlreichen  griechischen  Wörter,  auch  wo  sie  nicht 


Litteratur.  439 

nötig  waren  (z.  B.  carcinus  für  Cancer),  und  die  griechischen  Easus- 
'endungen;  gegen  die  Annahme  von  Afrikanismen  sind  wir  dagegen 
mifstrauisch.  Von  den  kritischen  Bemerkungen  schliefsen  wir  uns  am 
liebsten  denen  an,  welche  die  handschriffcliche  Überlieferung  verteidi- 
gen; unter  den  neuen  Vorschlägen  ist  zwar  manches  beachtenswert, 
namentlich  zu  den  wichtigen  Kapiteln  8  (miracula  mondi)  und  9 
(quot  fuere  loves  etc.);  doch  ist  nicht  zu  verschweigen,  dafs  Verf. 
manchmal  zu  kühnen  Mitteln  greifen  und  viele  Glosseme  und  Rand- 
glossen annehmen  mufs. 


£ug.  Oder:    Claudli   Hermeri    mulomedicina  Chironis.      Lipsiae 
1901.     Bibl.  Teubn.  XXXVII,    467  pgg.    8^ 

Zur  rechten  Zeit  kommt  diese  bisher  imbekannte  Schrifb  des 
-4.  Jahrhunderts  nach  Chr.,  die  Hauptquelle  des  Vegetius  und  für  uns 
ein  lehrreiches  Denkmal  des  Vulgärlateins.  Da  Ref.  die  Aushänge- 
bogen des  Textes  schon  1899  besafs,  so  konnten  schon  damals  die 
nötigen  £xcerpte  für  den  Thesaurus  gemacht  werden.  Mittlerweile 
\sind  die  Praefatio  sowie  die  reichhaltigen  Indices  verborum  gedruckt, 
und  der  Leser  kann  nun  selbst  an  der  Untersuchung  teilnehmen, 
welche  auch  heute  noch  nicht  ganz  abgeschlossen  ist. 

Die  Hoffnung,  welche  der  Entdecker  des  Autors,  Prof  W.  Meyer, 
Jahre  lang  mit  sich  herumgetragen  hat,  eine  zweite  Handschrift  auf- 
zufinden, hat  sich  leider  nicht  erfüllt.  Den  erhaltenen  Cod.  Monac. 
lat.  243  saec.  XV  zu  entziffern  war  nicht  leicht,  nicht  dafs  er  be- 
schädigt wäre,  sondern  weil  jenes  Jahrhundert  zahlreiche  und  an 
Willkür  streifende  Abkürzungen  zuläfst,  welche  auch  einem  geübten 
Philologen  nicht  bekannt  sein  dürften.  Indessen  ist  für  die  Kollation 
80  viel  Sorgfalt  aufgewendet  worden,  dafs  von  einer  Nachprüfung  nichts 
naehr  zu  hoffen  ist;  für  die  Emendation  hat  Bücheier  so  viel  beige- 
■steuert)  als  etwa  von  drei  Herausgebern  zu  erwarten  wäre;  Prof 
Oder,  der  Kenner  der  griechischen  Hippiatriker,  hat  die  gerade  in 
diesem  Falle  ungewöhnlich  grofsen  Mühen  des  Herausgebers  auf  sich 
genommen. 

Wir  sind  mit  dem  künftigen  Herausgeber  der  Mulomedicin  des 
Vegetius,  E.  Lommatzsch  (vgl.  oben  S.  402  ff.),  darin  einig,  dafs  wir 
in  Chiron  nicht  einen  Verfassemamen  erkennen  möchten,  sondern  ein 
altes  Kompendium  über  Tierheilkunde,  welches  sich  mit  dem  Namen 
des  berühmten  Centauren  schmückte.  Da  Vegetius  unser  Buch  stoff- 
lich benützt,  aber  zugleich  in  stilistischer  Hinsicht  verbessert  hat,  so 
müssen  die  chronologischen  Untersuchungen  noch  weiter  geführt  wer- 
den. Oder  begnügt  sich  (Praef  p.  XIII),  unsere  Schrift  um  400  nach 
Ohr.  anzusetzen;  wir  möchten  auf  Christ.  Schöner  verweisen, 
welcher  (vgl.  Arch.  V  6021)  die  Abfassung  der  Mulomedicina  des 
Vegetius  etwa  in  das  Jahr  387  gesetzt  hat. 


440  Litteratur. 

Grani    Lioiniani    quae    aupersunt   rec.    et    com.    instruxit    Guido 
Camozzi,  ex  off.  tjpogr.  Forocomeliensi  MDCCCC. 

Für  die  vorliegende  Ausgabe,  die  einem  dringenden  Bedürfnis 
entgegenkommt,  seitdem  die  dem  gegenwärtigen  Stande  der  Granius- 
forschung  übrigens  ja  nicht  mehr  entsprechende  Ausgabe  der  Bonner 
Heptas  (Leipz.  1858)  nun  auch  vergriffen  ist,  wftre  eine  neue  Kolla- 
tion des  Londoner  Palimpsestes  äufserst  wünschenswert  gewesen. 
Nachdem  eine  solche  aber  durch  die  zerstörenden  Wirkung^,  welche 
die  von  K.  Pertz  angewendeten  Reagenzien  auf  die  Pergamentblatter 
ausgeübt  haben  (vgl.  Zeitschr.  f.  d.  Gjmnasialw.,  12.  Jahrg.,  p.  341  ff.), 
unmöglich  gemacht  ist,  mufste  sich  der  Herausgeber  mit  einer  Revi- 
sion des  von  der  Heptas  zwar  verbesserten,  aber  immer  noch  sehr  im 
Argen  liegenden  Pertzschen  Textes  begnügen.  Er  hat  sich  dieser 
Aufgabe  mit  grofser  Gewissenhaftigkeit  unterzogen  und  durch  sorg- 
fältige Verarbeitung  der  bis  zum  Jahre  1900  in  verschiedenen  Fach- 
schriften veröffentlichten  konjekturalkritischen  Beiträge,  sowie  durch 
eigene  Emendationsversuche  einen  in  manchen  Punkten  nicht  un- 
wesentlich verbesserten  Text  geliefert.  Leider  waren  ihm  aber  die  im 
Jahre  1900  erschienenen  Arbeiten  (eine  Miscelle  von  Wölfflin  im 
1.  Heft  der  Jahrb.  des  arch.  List,  und  eine  Dissertation  des  Unter- 
zeichneten: Granius  Licinianus,  eine  text-,  sprach-  und  quellenkritische 
Untersuchung,  gedr.  im  Auerschen  Verlag  in  Donauwörth)  noch  nicht 
bekannt,  und  so  kommt  es,  dafs  manche  Konjektur  in  den  Text  auf- 
genommen oder  aus  demselben  nicht  entfernt  worden  ist,  die  dem  mit 
grofser  Umsicht  zu  Werke  gehenden  italienischen  (belehrten  bei  Kenntnis 
der  genannten  Arbeiten  wohl  weniger  zuverlässig  erschienen  wäre,  dala 
auch  manche  Lücken  stehen  geblieben  sind,  die  auf  Grund  dieser 
jüngsten  Beiträge  zum  Teil  wenigstens  wohl  hatten  ausgefElllt  werden 
können.  Auch  in  manchen  Punkten  des  sachlichen  Konunentars,  sowie 
in  der  Gesamtbeurteilimg  des  Granius  wäre  der  Herausgeber  vielleicht 
zu  einer  andern  Ansicht  gekommen.  Es  trifft  z.  B.  nicht  zu,  wenn  in 
der  Einleitimg  (p.  IX)  anscheinend  im  Anschlufs  an  die  Dieckmannsche 
Abhandlung  ^de  fontibus  et  auctoritate  Grani  Liciniani'  von  einer 
'incredibilis  negligentia  et  imperitia  scriptoris'  gesprochen  wird,  *qui 
aut  tempora  confundit  aut  facta  transponit  aut  tam  inepta  brevitate 
auctorem  suum  contrahit,  ut  saepe  obscura  potius  canere  quam  histo- 
riam  narrare  videatur'.  Der  wirkliche  Sachverhalt  dürfte  wohl  in 
der  oben  angeführten  Dissertation  des  Unterzeichneten  annähernd 
richtig  festgestellt  sein. 

Kann  darum  die  vorliegende  Ausgabe  mit  Rücksicht  auf  den 
eben  besprochenen,  übrigens  nicht  in  dem  Verschulden  des  Heraus- 
gebers gelegenen  Mangel  einer  vollständigen  Verarbeitung  des  ge- 
samten Materials  nur  bedingten  Wert  für  sich  in  Anspruch  nehmen, 
so  hat  doch,  soweit  es  sich  um  Verarbeitung  des  dem  Herausgeber 
bekannten  Materials  handelt,  das  Wort  der  Einleitung  zu  gelten: 
'cum  adhibuerim  ac  diligenter  perpenderim  in  duplici  commentario, 
quo  has  Licinianeas  reliquias  instruxi,  quidquid  ad  eas  sive  supplen- 


Litteratur.  441 

das  siye  emendandas  sive  illustrandas  eruditi  yiri  usque  ad  hoc 
tempus  disputaverunt,  nemo  certe  aequus  iudex  negabit  me  expolitio- 
rem  materiam  praebuisse  facilioremque  Tiam  quodammodo  aperuisse 
si  quifl  posthac  in  scriptorem  tarn  din  neglectum  novas  aliquas  curas 
Gonferre  yelit'*  Namentlich  ist  die  Ausgabe  in  ihrer  in  Form  eines 
textkritischen  Kommentars  sich  darbietenden  Zusammenstellung  aller 
bis  zum  J.  1900  veröffentlichten  Konjekturen  für  den  Unterzeichneten 
ein  schätzbares  Mittel,  um  in  einer  neuen,  auch  die  jüngsten  Arbeiten 
berflcksichtigenden  und  dadurch  dem  Mangel  der  italienischen  ab- 
helfenden kritischen  Ausgabe  ein  Gesamtbild  der  auf  dem  Gebiete  der 
Textkritik  wohl  zu  einem  vorläufigen  AbschluTs  gekommenen  Granius- 
forschung  zu  geben. 

Was  die  äufsere  Form  des  aus  Einleitung,  Text,  einem  text- 
kritischen uud  sachlichen  Kommentar,  sowie  einem  Index  bestehenden 
Buches  anbelangt,  so  wird  man,  nachdem  dieKonjekturalkritik  für  absehbare 
Zeit  geleistet  hat,  was  sie  unter  den  gegebenen  Umständen  wohl  leisten 
konnte,  es  nicht  vermissen,  dafs  die  von  der  Heptas  noch  beigegebene 
Pertzsche  Kollation  weggeblieben  ist.  Aber  als  nicht  sehr  günstig  mufs  die 
Anordnung  des  Stoffes  bezeichnet  werden.  Dadurch,  daJDs  der  Heraus- 
geber hinter  die  einzelnen  Textseiten,  deren  Umfang  den  Palimpsest- 
seiten  entspricht,  den  einschlagigen  doppelten  Kommentar  setzt,  wird 
der  Zusammenhang  zerrissen,  ein  MiTsstand,  der  sich  besonders  beim 
35.  Buch,  das  im  allgemeinen  eine  zusammenhängende  Darstellung 
des  marianischen  Bürgerkrieges  giebt,  in  störender  Weise  geltend 
macht.  Der  textkritische  Kommentar,  dessen  ziemlich  bedeutender 
Umfang  in  der  korrupten  Überliefenmg  der  Fragmente  begründet  ist, 
wäre  besser  anhangsweise  an  das  Ende  des  Buches,  der  sachliche 
Kommentar  zweckdienlicher  unter  den  Text  gesetzt  worden.  Unnötig, 
weil  zwecklos,  ist  wohl  die  Begistrierung  aller  derjenigen  Seiten  des 
Palimpsestes,  auf  denen  schon  Pertz  ein  zusammenhängendes  Wort 
nicht  mehr  entziffern  konnte.  Der  Index  verborum  der  Heptas  ist 
vielleicht  mit  Unrecht  auf  einen  Index  nominum  et  rerum  zusammen- 
geschrumpft. 

Lohr.  M.  Flemisch. 


Edw.  Kennard  Rand:  Der  dem  Boethius  BTigeschriebene  Traktat 
de  flde  oatholioa.  Münchner  Doktordissertation  =  Sep.-Abdr. 
aus  den  Jahrb.  ftlr  klass.  Philol.  XXVI.  Suppl.-Band.  Leipz.  1901. 

Das  hyperkritische  neunzehnte  Jahrhundert  war  gerade  so  weit 
gekommen,  dem  Boethius  einige  theologische  Traktate  abzusprechen, 
als  eine  Entdeckung  Holders  diese  ganze  Weisheit  zu  Schanden 
machte.  Und  wenn  die  grofsen  Gelehrten  gefunden  hatten,  dafs  die 
CSonsolatio  philosophiae  nur  eine  dramatische  Darstellung  der  Lehren 
der  alten  Philosophie  sei,  so  werden  sie  durch  Band  beschämt,  welcher 
diese  Auffassung  schon  bei  einem  frühmittelalterlichen  Autor  nach- 
weist.     Zweifelhaft   blieb    allerdings    der    Traktat    De   fide   catholica. 


442  Litteratnr. 

An  Urteilen  fehlte  es  freilich  nicht,  und  man  sprach  sie  herzhaft  aus, 
ohne  sich  zu  bemühen,  die  handschriftliche  Überlieferung  und  die 
Latinität  zu  studieren.  Diese  klaflfende  Lücke  hat  B.  ausgefüllt.  Die 
Echtheitsfrage  wird  durch  die  Karlsruher  Handschrift  saec.  IX  ent- 
schieden, welche  den  dritten  Traktat  mit  den  Worten  AGTENYS 
BOETIYS  schUefst  und  darauf  die  Schrift  De  fide  cath.  folgen  lä(st 
Die  Ausrede,  dafs  diese  Worte  späterer  Zusatz  seien,  erweist  sich 
nach  Einsicht  eines  photographischen  Abdruckes  als  eine  Lächerlich- 
keit. Das  Latein  zeigt  starke  Verwandtschaft  mit  Augustin;  die 
Theologie  aber  weicht  von  der  des  Boethius  ab,  wie  nicht  minder  die 
Sprache,  was  u.  a.  an  dem  Gebrauch  von  igitur,  itaque,  ergo  nach- 
gewiesen wird.  Verf.  geht  noch  einen  Schritt  weiter,  den  Autor  der 
Schrift  De  fide  catholica  vermutungsweise  zu  bestimmen.  Er  glaubt 
ihn  in  der  Person  des  Johannes  Diaconus  zu  finden-,  welchem 
Boethius  die  Tract.  1  (?),  2,  3,  5  gewidmet  hat.  Ein  zuerst  von 
Mabillon  herausgegebener  Brief  dieses  Mannes  («=»  Migne,  Patr.  59, 
399  ff.)  zeigt  nämlich  einige  auffallende  Berührungen  mit  dem  Traktate 
De  fide  catholica.  Ein  SchluTskapitel  giebt  noch  Beiträge  zur  Kritik 
der  verschiedenen  Traktate.  —  Einen  kritisch  gesicherten  Text  mit 
Beifügung  des  Apparatus  criticus  und  des  noch  ungedruokten  Kom- 
mentars des  Johannes  Scottus  wird  Verf.  in  der  Wiener  Sammlung  der 
lateinischen  Kirchenväter  geben. 


Bich.  Webster:  The  elegiee  of  Maximianus.    The  Princeton  Press, 
1900.  126  pgg.  8<^. 

Die  Ausgabe  führt  uns,  abgesehen  von  ein  paar  Einzelheiten  im 
Konmientar,  nicht  weiter.  Was  vor  allem  zu  leisten  war,  die  Dar- 
legung der  Überlieferungsgeschichte,  fehlt  vollständig;  W.  kehrt  zwar 
(das  betont  er  selbst  im  Vorwort)  von  Petschenigs  prinzipiell  auf 
dem  Etonensis  allein  beruhender  Ausgabe  zu  Bährens'  eklektischem 
Standpimkte  zurück,  aber  auch  das  ist  nur  ein  Spiel:  von  ernsthaftem 
Erwägen  ist  hier  keine  Bede.  Geradezu  kindlich  sind  die  Gründe, 
die  er  S.  17  gegen  den  Etonensis  vorbringt  (Fehlen  von  Ä,  Ver- 
tauschung von  h  und  ?*),  und  in  Wahrheit  unterscheidet  sich  sein 
Text,  wenn  es  überhaupt  der  Mühe  wert  ist,  davon  zu  reden,  niu:  an 
wenigen  Stellen  von  dem  bei  Petschenig,  und  nicht  zu  Gunsten  der 
neuen  Ausgabe,  ja  er  acceptiert  hie  und  da  (z.  B.  I  142  mit  Recht) 
eine  Lesart  des  Etonensis  gegen  Petschenig.  Was  er  in  der  Vorrede 
bemerkt:  „I  have  admitted  no  conjectural  reading^^  und,  wie  es  scheint, 
für  einen  Vorzug  hält,  verrät  in  dieser  Form  auch  eine  zum  minde- 
sten merkwürdige  Anschauung.  Wenn  ich  noch  hinzufüge,  dafs  im 
Text  eine  Reihe  von  groben  Druckfehlem  (I  111  inutüe,  I  283  ipse) 
steht,  dafs  der  Apparat  ohne  neue  Kollationen,  nur  mit  neuen 
Fehlem  aus  den  älteren  Ausgaben  zusanmiengestellt,  dafs  der  Kom- 
mentar recht  dürftig  ist,  dafs  in  der  Einleitung  mit  nichtigen  Grün-- 
den  die  Beziehung  zu  Boethius,  ja  der  Name  des  Dichters  selbst  ver- 


Litteratur.  443 

flüchtigt  wird  (dies  nicht,  ohne  dafs  der  nie  vorhandene  Grammatiker 
Maximianus  des  12.  Jahrh.  hineinspukt *):  so  erhellt,  denke  ich,  zur 
Genüge,  dafs  das  vorliegende  Buch  keinen  Fortschritt  bedeutet. 

Ich  möchte  mm  aber  nicht  die  Ansicht  aufkommen  lassen,  dafs 
ich  Petschenigs  radikalen  Standpimkt  teile.  Der  Etonensis  ist  nicht 
die  einzige  imd  allein  zu  gebrauchende  Quelle  für  unsem  Text.  An 
einigen,  wenn  auch  nur  wenigen,  Stellen  (z.  B.  V  55,  V  57;  auch 
I  272?)  haben  die  sonst  stark  interpolierten  jüngeren  Hss.  altes  Gut. 
Andererseits  verrät  sich  der  traditionell  als  „langobardisch"  bezeich- 
nete Etonensis,  von  dem  eine  neue  Kollation  vor  allem  not  thut,  ganz 
deutlich  als  unmittelbare  Kopie  einer  alten,  wahrscheinlich  insularen, 
Hs.  des  IX.  Jahrh.  durch  seine  Orthographie  (16  otror  41  ospes 
137  perhenni  245  anela  u.  s.  w.;  I  109  trait  215  contraimur  u.  s.  w.; 
176  hiduo  106  iübenile  133  ntbeo  135  nerhi  109  voluuUe  u.  s.  w.; 
I  28  traici  si  tragici  35  pluiasque  und  besonders  I  46  oposUas  68 
efugiens  93  dimisaque  211  gresus  268  iasa  11  41  posunt  III  36  supli- 
cHs  m  52  aloquiis  und  I  89  suffussa)]  von  ihm  hat  also  durchaus 
die  Textgestaltung  auszugehen,  und  namentlich  an  Stellen,  wo  die 
jungen  Hss.  oflfen  die  Interpolation  verraten  (z.  B.  V  138,  wo  etwa  zu 
lesen  ist  non  requies  poenis,  non  es  amica  inälis?)^  in  erster  Linie 
seinen  Spuren  zu  folgen.  So  ist  die  von  Traube  (Rh.  Mus.  48,  1893, 
284  ff.)  geratene  Vorsicht  im  höchsten  Grade  zu  empfehlen,  zumal  da 
uns  die  sechs  Verse  des  Manno-Godex  (Paris.  2832  saec.  IX  ex.)  deut- 
lich verraten,  dafs  vor  dem  Etonensis  noch  eine  ältere  und  reinere 
Textform  liegt;  denn  auch  v.  2  ist  nicht,  wie  Traube  meinte,  verderbt, 
sondern  sicher  sind  die  beiden  ersten  Verse  so  zu  lesen: 

Äemula  quid  tardas  mortem  properare  senedus? 
an  et  in  effeto  corpore  pigra  venis? 

an  als  Länge  ist  in  dieser  Zeit  unbedenklich  (vgl.  Thes.  ling.  lat.  11 
p.  1,  24),  und  effeto  hat  Traube  trefflich  aus  effesso  des  Paris,  ge- 
bessert (vgl.  Boeth.  cons.  3  v.  12).  Die  als  Eugenii  de  sene  früh,  vor 
dem  Einzug  Maximians  in  die  Schule,  abgetrennten  sechs  Verse  haben 
die  reine  alte  Fassung  gewahrt.  Wenn  wir  unter  diesen  Umständen 
die  Hoffnung  hegen  können,  je  den  echten  Wortlaut  Maximians 
wiederzugewinnen,  so  beruht  sie  im  wesentiichen  auf  der  Erwägung, 
däfs  der  Anfang  eines  jeden  Werkes  (und  bei  Max.  stehen  die  ersten 
sechs  Verse  als  eine  Art  von  Programm  besonders  gefährdet)  unter 
der  Hand  des  Interpolators  stärker  zu  leiden  hat,  während  spätere 
Teile  besser  wegkommen,  genau  so  wie  der  Scholienschreiber  zuerst 
kaum  Platz  zu  finden  pflegt  für  seine  Glossen,  gegen  Ende  aber  nur 
noch  spärlich  seine  Weisheit  auskramt. 


•)  Denn  dafs  er  je  existiert,  können  auch  die,  übrigens  von  W.  nicht 

Ssnannten,  Mitteilungen  von  Schatz  (Zeitschr.  des  Ferdinandeums,  UI.  Folge, 
eft  41,  Innsbruck  1897,  S.  15—20)  aus  der  Innsbrucker  Hs.  A  35  saec.  XV 
über  ein  Geschichtenbuch  Über  de  nugis  Ma<cimiani  nicht  erweisen. 

München.  Fr.  Vollmer. 


444  Litteratur. 

Hermann    Stadler:    Diosoorides  Iiongobardus.     [Fünftes  Buch.] 
=  VollmöUer  Eoman.  Forsch.  Xm  161—243.    Erlang.  8®. 

Der  in  der  Geschichte  der  alten  Botanik  wohlbewanderte  Heraus- 
geber, jetzt  Privatdocent  am  Polytechnikum  in  München,  bietet  uns 
hier  den  Schlufs  der  lateinischen  Dioscoridesübersetzung.  Leider  ist 
es  für  den  klassischen  Philologen  etwas  umständlich,  das  Ganze  in 
fünf  Bänden  einer  romanistischen  Zeitschrift  zusammenzusuchen,  da 
für  Separatabdrücke  unseres  Wissens  nicht  Sorire  firetrairen  worden  ist. 
Um  so'  .ehr  sind  wir  den.  Hsgb.  zu  Dank  fer/fliÄ,  da  es  Dun 
gelungen  ist,  die  bedeutenden  Lücken  in  der  Überlieferung  des  CSodex 
Monacensis  lat.  337  wenigstens  zum  grofsen  Teile  aus  Codex  Parisinus 
9332  zu  ergänzen.  Wenn  der  Thesaurus  reiche  Mitteilungen  aus 
dieser  Quelle  zu  machen  im  stände  ist,  so  verdankt  er  es  dem  Ent- 
gegenkommen des  Herausgebers.  Das  gedruckte  Buch  enthält  in  seiner 
ersten  Hälfte  eine  Beschreibung  der  verschiedensten  *vina',  welche  die 
Weinkarte  eines  groOsen  Hotels  in  den  Schatten  stellt.  Eine  Be- 
schreibung der  benützten  Handschriften,  ein  Neudruck  der  ersten  30 
Kapitel  mit  vervollständigtem  Apparate  und  ein  sachlich-sprachliches 
Register  sollen  nachfolgen. 

Adriano   Cappelli:    Lexioon    abbreYiatararum.      Leipzig    1901. 
LI,  548  pgg.  kl.  8^ 

Die  Entzifferung  geschriebener  Schrift  hat  schon  manchem  Ge- 
lehrten grofse  Verlegenheiten  bereitet;  heutzutage  klagt  man  über 
Sudelschrift,  während  im  Mittelalter  die  einzelnen  Buchstaben  zwar 
deutlicher  hervortreten,  aber  ein  weitverzweigtes  System  von  Ab- 
kürzungen uns  nötigt,  viele  ungeschriebene  Buchstaben  zu  ergänzen. 
Diese  Aufgabe  ist  eine  andere  für  den  Epigraphiker,  den  Philo- 
logen, den  Historiker;  Inschriften,  Klassikerterte,  Urkunden  sind 
unter  sich  verschieden,  und  die  vorkarolingische  Schrift  anders  als 
die  der  Reformation.  Was  nun  Verfasser  geben  will,  verrät  sein 
Titel:  Archivar  in  Mailand;  die  von  ihm  ausgebeuteten  Denkmäler 
reichen  vom  8.  Jahrh.  hinab  bis  in  das  achtzehnte,  und  um  seine 
Nationalität  nicht  zu  verleugnen,  hat  er  den  lateinischen  Abkürzungen 
auch  italienische  beigemischt.  Das  1899  in  italienischer  Sprache  er« 
schienene  Werk  erscheint  jetzt  in  deutscher  Übersetzimg,  durch  zahl- 
reiche Nachträge  vermehrt.  Vielleicht  werden  nun  die  deutschen 
Leser  auch  deutsche  Abkürzungen  suchen,  allein  umsonst.  Die  theo- 
retische Einführung  ist  in  eine  Vorrede  verwiesen;  das  Werk  selbst 
ist  als  Nachschlagebuch  alphabetisch  angeordnet,  ähnlich  den  Werken 
von  Walther  und  Ohassant.  Die  römischen  und  arabischen  Zahlen 
sind  in  einem  Anhange  besonders  behandelt.  Der  Abkürzungen  sind 
es  mehr  als  16000;  die  graphische  Wiedergabe  ist  anerkennenswert, 
wenn  auch  nicht  die  Eigentümlichkeiten  der  verschiedenen  Jahrhunderte 
und  Länder  reproduziert  werden  konnten. 


Zur  Latinität  der  Epitorae  Oaesarum. 

Nachdem  wir  in  neuerer  Zeit  von  den  Caesares  des  Aurelius 
Victor,  von  dem  Liber  de  viris  illustribus  sowie  von  der  Origo 
gentis  Romanae  Spezialausgaben  erhalten  haben,  ist  nur  noch  die 
sogen.  Epitome  im  Rückstande  geblieben.  Da  indessen  die  kri- 
tische Ausgabe  aller  vier  Schriften,  welche  Prof.  Franz  Pichl- 
mayr  für  die  Bibliotheca  Teubneriana  übernommen  hat,  noch 
geraume  Zeit  auf  sich  warten  lassen  dürfte,  seien  hier  einige  Be- 
merkungen zur  Charakteristik  der  Epitome  gestattet. 

Während  Aurelius  Victor  seine  Caesares  im  Jahre  360 
nach  Chr.  geschrieben  hat,  mufs  die  Abfassung  der  Epitome 
mindestens  eine  Generation  später  fallen,  da  sie  bis  auf  den  Tod 
des  Theodosius  (395)  hinabreicht,  und  gerade  in  dieser  Schlufs- 
partie  (cp.  40 — 48)  zeigt  sich  das  eigene  Latein  des  von  seinen 
Quellenschriftstellem  verlassenen  imd  seine  Erlebnisse  mit  seinen 
eigenen  Worten  erzählenden  Verfassers;  seine  Sprache  sinkt  unter 
das  Niveau  Victors.  Aber  auch  sein  geschichtlicher  Standpunkt 
ist  ein  anderer.  Die  Caesares  wollen  vier  Jahrhunderte  der  rö- 
mischen Monarchie  darstellen,  die  Epitome  löst  das  Ganze  in  Kaiser- 
bilder auf;  jene  Schrift,  historia  abbreviata  betitelt,  steht  auf 
der  Seite  des  Tacitus  und  Ammian,  diese,  mit  der  Überschrift 
de  vita  et  moribus  imperatorum,  gehört  zu  Sueton  und  den 
Scriptores  historiae  Augustae.  Wie  dort  stilistische  Anklänge  an 
Tacitus  nachgewiesen  sind  (Rhein.  Mus.  29,  302  flf.),  so  hat  der 
Epitomator  in  den  julisch-flavischen  Kaisem  cap.  1 — 11  nichts 
Besseres  zu  thun  gewufst  als  die  den  Caesares  entnommenen 
Stellen  mit  Excerpten  aus  Sueton  zu  versetzen;  und  auf  diese 
Partie  pafi^t  dann  der  Titel  Epitome  ganz  besonders,  während  für 
die  Mittelpartie  das  Verhältnis  des  Verfassers  zu  seinen  Quellen 
weniger  klar  vorliegt. 

Dafs  die  grammatische  Schulung  des  Epitomators  manches 
zu  wünschen  übrig  läfst,  fällt  umsomehr  auf,  als  er  in  Rom  ge- 
lebt zu  haben   scheint.     Wenigstens   schreibt  er  20,  6  über   die 

Archiv  für  lat.  Lexikogr.    XII.    Heft  4.  äO 


446  Ed.  Wölfflin: 

Bauten  des  Septimius  Severus  wie  ein  Augenzeuge:  aedibus 
memoratu  dignis^  quarum  praecipuas  videmus  Parthomm  quae 
dicuntur  ac  Laterani.  Vergl.  auch  15,  7:  apud  Lorios,  villa 
propria,  milibus  passuum  duodecim  ab  urbe,  wie  40,  3  sepulcro, 
quod  ab  urbe  abest  per  Appiam  milibus  noTem;  40,  2  in  villa 
sex  milibus  ab  urbe  discreta  itinere  Lavicano.  3,  9.  13,  13.  14, 1. 
31,  2.  40,  7.  Die  Art,  wie  er  seine  Quellen  benutzt  hat,  ist  lehr- 
reich, nicht  für  die  Historiographie  des  Altertums  (denn  das  Ver- 
allgemeinem bleibt  immer  ein  Fehler),  wohl  aber  für  die  Licenz 
minderwertiger  Autoren  des  fünften  Jahrhunderts  nach  Christus. 
Schon  die  klassischere  Färbung  des  Lateins  der  ersten  vier  Fünfkel 
des  Werkchens  kann  nur  aus  strenger  Anlehnung  an  ältere  Ge- 
währsmänner erklärt  werden;  die  Sorglosigkeit  der  Kopie  wird 
aber  noch  durch  ein  schlagendes  Beispiel  illustriert.  Epit.  5,  5 
folgt  auf  die  Einverleibung  von  Pontus  und  der  cottischen  Alpen 
in  das  römische  Reich  der  Satz:  eo  namque  dedecore  (Nero)  re- 
liquum  vitae  egit,  ut  pudeat  memorare  huiuscemodi  quemquam. 
Inwiefern  die  Sittenlosigkeit  mit  der  Erweiterung  des  Reiches 
zusammenhänge,  vermag  niemand  einzusehen,  doch  wird  alles 
plötzlich  klar,  sobald  man  die  Quelle  Caes.  5,  6  vergleicht:  omissam 
adulescentiae  legem  pemiciosius  repeti.  Namque  eo  dedecore 
reliquum  vitae  egit,  uti  pigeat  pudeatque  memorare  huiuscemodi 
quemquam. 

Wenn  wir  im  Folgenden  grammatisch -stilistische  Eigentüm- 
lichkeiten des  Anonymus  besprechen,  so  wünschen  wir  das,  was 
er  abgeschrieben  hat,  aus  dem  Spiele  zu  lassen,  imd  vielmehr  das 
herauszusuchen,  was  ihm  angehört,  sei  es,  dafs  wir  es  in  den 
SchluTskapiteln  finden,  sei  es,  dafs  es  in  den  ersten  auftritt,  von 
Aurelius  Victor  aber  abweicht.  Bei  dem  mäfsigen  Umfange  des 
Materiales  freilich  werden  wir  genötigt,  unser  Augenmerk  auf 
Ausdrucksformen  zu  lenken,  welche  sich  öfters  wiederholen;  denn 
nur  aus  einer  Fülle  von  Beispielen  kann  das  sprachliche  Eigen- 
tum des  Verfassers  mit  einiger  Sicherheit  erkannt  werden.  Wenn 
wir  in  philologischen  Erstlingsschriften,  welche  ähnliche  Fragen 
behandeln,  so  oft  lange  Listen  der  Substantiva  auf  -tor,  -tas,  -tio 
u.  s.  w.  lesen  müssen,  aus  denen  man  absolut  nichts  lernt,  so 
möchten  wir  hier  zugleich  eine  Anleitung  geben,  wie  man  beob- 
achten mufö.  Zu  einer  Probe  eignen  sich  zunächst  die  Prono- 
mina und  Präpositionen,  und  unsere  Beobachtungen  sollen  zugleich 
Beiträge  zur  historischen  Grammatik  der  lateinischen  Sprache  sein. 


Zur  Latinität  der  Epitome  Cacsarura.  447 

Das  Pronomen  possessivum  suus  (resp.  mens,  tuus)  setzt 
der  Lateiner  bekanntlich  nur  dann  zu  Verwandtschaftsnamen, 
wenn  ein  Gegensatz  bezeichnet  werden  soll,  sodafs  also  patrem 
suum  zu  übersetzen  ist  mit  'seinen  eigenen  Vater',  patrem  mit 
'seinen  Vater'.  Während  nun  Aurelius  Victor  die  Regel  der 
Grammatiker  befolgt,  huldigt  der  Epitomator  yielfach  dem  mo- 
dernen (romanischen)  Gebrauche;  denn  in  den  Schlufskapiteln  40 
bis  48  wird  suus  fast  ebenso  oft  zugesetzt  als  weggelassen. 
41,  4  sororem  suam  Constantiam  Licinio  coniimgit  filiumque 
suum  Crispum,  item  Constantinum  .  .  .  Caesares  eflFecit.  41,  11 
Fausta  coniuge  suggerente  Crispum  filium  necari  iubet.  Dehinc 
uxorem  suam  Faustam  interemit,  cum  eum  mater  Helena  .  .  . 
increparet.  42,  1  Constantms  Gallum  fratrem  patruelem  Caesarem 
pronuntiat,  sororem  Constantiam  illi  coniungens.  Magnentius 
consanguineum  suum  trans  Alpes  Caesarem  creavit.  45,  4  Va- 
lentem  consanguineum  suum  sibi  socium  in  imperio  adscivit .  . . 
Gratianum  filium  Augustum  creavit.  46,  1  cum  Valentiniano 
germano  suo  regnavit.  47,  1  regnayit  cum  patre  Valentiniano 
annos  octo,  cum  patruo  et  fratre  tres.  48,  19  rem  publicam 
filiis,  id  est  Arcadio  et  Honorio,  quietam  relinquens.  Mit  der 
verschiedenen  Stellung  von  Eigennamen  und  Appellativum  hängt 
der  Zusatz  oder  Wegfall  des  Pronomens  nicht  zusammen. 

Da  nun  aber  der  Gebrauch  von  suus  in  den  Kapiteln  1 — 39 
der  Epitome  nicht  viel  seltener  ist,  so  raufs  man  annehmen,  das 
Pronomen  gehöre  hier  dem  Epitomator,  und  die  Vergleichung  der 
Caesares  bestätigt  dies  in  der  That.  Vgl.  Epit.  3,  3  sorores  suas 
stupro  maculavit  =  Caes.  3  sororum  stupro.  Ep.  4,  10  Agrippinam 
Germanici  fratris  sui  filiam  =  Caes.  4,  12  fratris  filiam.  Ep.  20,  3 
filios  SU  OS  successores  reliquit  zu  vergleichen  mit  Caes.  9,  4 
successores  fidebat  liberos  fore.  Epit.  10,  7  Berenicen  nuptias 
suas  sperantem  =  Suet.  Tit.  7  cui  (Berenicae)  nuptias  poUicitus 
ferebatur.  Und  damit  ist  dann  so  viel  als  bewiesen,  dafs  Epit.  10 
uxoris  suae,  23  consobrinum  suum,  29.  32.  32.  33  (fraude  servi 
sui)  die  Pronomina  von  dem  Epitomator  geschrieben  sind.  Einen 
ähnlichen  Luxus  in  dem  Gebrauche  von  suus  wird  man  finden, 
wenn  man  Pseudofrontin  lib.  4  mit  Frontin  lib.  1 — 3  vergleicht. 
Hermes  9,  72flF. 

Bevor   wir    indessen    diesen    Punkt   verlassen,    möchten    wir 

daran    erinnern,    dafs    die    Verwandtschaftsnamen    im    Spätlatein 

allerhand    Veränderungen    erfahren    haben.      Denn    Epit.    11,    1 

30* 


448  Ed.  WOlfflin: 

Domitianus  germanus  Titi  =  Caes.  11  Domitianus  fratris  nece 
weist  auf  das  spanische  hermano  hin^  und  weil  das  Wort  in  der 
Schlufspartie  cap.  46,  1  cum  Yalentiniano  germano  suo  wieder- 
kehrt, gehört  es  eben  dem  Epitomator.  Ahnlich  wird  consan- 
guineus  =  Bruder  Epit.  41.  42.  45  zu  beurteilen  sein,  während 
jenes  in  den  Caesares  nur  an  einer  Stelle,  16,  5  vorkommt:  alterum 
(vulvae  frustum)  germano  porrexit.  Das  Vorkommen  des  Wortes 
in  dieser  Bedeutung  bei  Cic.  Att.  2,  23,  3  deutet  auf  Vulgärlatein. 
Auch  consobrinus  hat  seine  Bedeutung  verschoben,  und  es  wird 
nicht  Zufall  sein,  dafs  es  in  den  Caesares  fehlt,  in  der  Epit.  14.  23, 
1.  4.  48,  10  vorkommt. 

Werfen  wir  einen  Blick  auf  die  Pronom.  demonstrativa, 
so  muTs  die  Verbindung  von  hie  mit  ei!nem  Eigennamen  auffallen. 
41  hie  Licinius,  45  hie  Valentinianus,  46  hie  Valens,  48  hie 
Eugenius.  Dann  haben  wir  aber  auch  in  Epit.  19  ab  hoc  Severo, 
21  hie  Bassianus,  34  hie  Claudius  den  Stil  des  Epitomators  zu 
erkennen.  Dieser  Gebrauch  ist  in  dem  schönen  Buche  von 
Meader:  the  Latin  pronouns  (is.  hie.  iste.  ipse.  New- York  1901) 
mit  Stillschweigen  übergangen. 

Noch  mehr  jedoch  überrascht  uns  das  massenhafte  iste, 
welches  geradezu  mit  hie  wechselt.*)  Dafs  in  der  biographischen 
Litteratur  hie  auf  den  geschilderten  Helden  zurückweist,  ist  aus 
Cornelius  Nepos  zur  Genüge  bekannt  und  schon  in  den  satur- 
nischen Grabschriften  der  Scipionen  vorgebildet;  neu  und  auch 
von  Meader  nicht  beobachtet  ist,  dafs  der  Epitomator  iste  in 
gleichem  Sinne  gebraucht.  Ich  habe  bereits  im  Rhein.  Mus.  29, 295 
darauf  aufmerksam  gemacht,  dafs  in  den  ersten  elf  Kapiteln  die 
Excerpte  aus  Victor  mit  iste,  die  Zusätze  aus  Sueton  mit  hie 
eingeführt  werden,  und  Herrn.  Peter  hat  dies  in  seiner  geschicht- 
lichen Litteratur  über  die  römische  Kaiserzeit  II  361  Note  eine 
*feine'  Beobachtung  genannt.  Die  Caesares  sind  von  diesem  Ge- 
brauche vollkommen  frei.  Der  Wechsel  beider  Pronomina  zieht 
sich  nun  aber  durch  die  ganze  Epitoma  hindurch,  ohne  dafs  wir 
hier  freilich  die  verschiedenen  Quellen  zu  benennen  imstande 
wären.  Als  Beispiel  genüge  cap.  35  ( Aurelian):  iste  haud  dissi- 
milis  fuit  Alexandro  Magno  -  iste  victor  fuit  —  huius  tem- 
pore —  iste  —  hie  —  hie  Tetricum  provexit.    Jedenfalls  dürfen 

*)  Ei)it.  40,  2  quoruni  exitus  iste  fuit,  worauf  die  Angaben  über  die 
Todesarteu  folgen. 


Zur  Latinität  der  Epitome  Caesarum.  449 

wir  diese  Pronominalyerwirrung  nicht  den  Quellen  des  EpitomatorS; 
sondern  nur  diesem  selbst  zuschreiben. 

Bei  der  Präposition  *ob'  ist  es  vor  allem  der  gegen  die 
Präposition  propter  geführte  Kampf,  welcher  unser  Interesse  in 
Anspruch  nimmt.  Seitdem  man  weifs,  dafs  Tacitus  in  seinen 
historischen  Schriften  mit  Ausnahme  vielleicht  einer  zweifelhaften 
Stelle  hist.  1,  65  (Arch.  XI  141)  ausschliefslich  ob  gebraucht  hat, 
und  dafs  sein  Fortsetzer  und  Nachahmer  Ammianus  Marcellinus 
sich  in  demselben  Falle  befindet  (Arch.  I  161  ff.  XII  141),  kann 
es  nicht  mehr  überraschen,  wenn  sowohl  die  Epitome  mit  nahezu 
20  Stellen  als  auch  die  Caesares  einzig  für  ob  eintreten.  Dafs 
Aurelins  Victor  den  Tacitus  gelesen  hat,  ist  im  Rhein.  Mus.  29,  302  ff. 
auseinandergesetzt,  imd  da  der  Verf.  der  Epitome  in  den  julisch- 
flavischen  Kaisem  von  ihm  abhängig  ist,  so  hat  er  auch  den 
Gebrauch  von  ob  von  ihm  angenommen.  Zwar  sind  manche 
Stellen  der  Epitome  so  geartet,  dafs  auch  wir  der  Präposition  ob 
uns  bedienen,  wenn  sie  nämlich  ausdrückt,  dafs  ehrende  Aus- 
zeichnungen *im  Hinblicke  auf  gewisse  Verdienste  (z.  B.  ob  res 
bene  gestas)  erteilt  werden;  gleichwohl  gehörte  ein  gewisser  Ent- 
schlufs  dazu,  wenn  beide  Autoren  propter  konsequent  vermieden 
haben.  Dies  wird  deutlich,  wenn  wir  die  Worte  der  Epit.  2,  2: 
Caldius  Biberius  Mero  ob  vinolentiam  nominatus  est,  mit  der 
Quelle  vergleichen:  Suet.  Tib.  42  propter  vini  aviditatem  pro 
Tiberio  Biberius  etc. 

Unter  den  neuen  Anwendungen,  welche  sub  schon  im  sil- 
bernen und  noch  mehr  im  Spätlatein  gefimden  hat,  tritt  die 
Verbindung  mit  Kegentennamen,  bezw.  Namen  von  Oberfeld- 
herm,  besonders  hervor,  und  der  Gebrauch  ist  so  allgemein  ge- 
worden, dafs  Schmalz  im  Antibarbarus  die  angehenden  Stilisten 
zu  warnen  für  nötig  erachtet  hat.  Man  kann  einen  zwiefachen 
Gebrauch  unterscheiden;  denn  entweder  bedeutet  sub  Augusto, 
sub  Gorbulone  so  viel  als  sub  imperio  Augusti,  auspiciis  Augusti, 
und  der  Satz  enthält  eine  Thatsache,  für  welche  der  Regent  oder 
der  General  gewissermafsen  verantwortlich  ist,  welche  ihm  zum 
Lobe  oder  zum  Tadel  angerechnet  werden  kann,  oder  sub  Augusto 
ist  nichts  weiter  als  eine  Zeitbestimmung.  Beide  Anwendimgen 
sind  nachklassisch.  Tac.  hist.  3,  24  ut  sub  Gorbulone  Armenios 
pepulissent;  Agr.  45  praecipua  sub  Domitiano  miseriarum  pars 
erat.  Wie  verhält  sich  nun  der  Epitomator  dazu?  Er  hat  in 
zahlreichen  Fällen  den  Gebrauch  der  Pniposition  vermieden  durck 


450  Ed.  Wölfflin: 

Ausdrücke  wie:  huius  tempore,  huius  (horuin)  temporibus,  hoc 
tempore,  32,  5  his  imperantibus.  Allein  auch  sub  taucht  auf  die 
Oberfläche,  zunächst  in  der  Form  24,  2  sub  hoc  imperante,  und 
dann  ohne  Particip  Epit.  2,  3  satis  fortunatus  ante  sumptum 
imperium  sub  Augusto  fuit;  10,  5  iura  (die  Justiz)  sub  patre 
venundata;  13,  12  eo  tempore  multo  perniciosius  quam  sub  Nerra 
Tiberis  inundavit;  20,  2  sub  eo  Albinus  occiditur,  wo  Closs  ohne 
Grund  übersetzt  Velcher  durch  ihn  seinen  Tod  fand';  31,  1  sub 
his  Aemilianus  in  Moesia  imperator  effectus  est;  48,  5  Hunnos 
et  ßothos,  qui  rem  publicam  sub  Valente  defatigassent.  Da 
der  Epitomator  diesen  Sprachgebrauch  schon  bei  Sueton  fand 
(Claud.  25  religionem  sub  Augusto  interdictam;  Calig.  21  opera 
sub  Tiberio  semiperfecta;  Tit.  8  sub  eo  tristia  accidenmt),  so 
können  wir  ihm  keinen  Vorwurf  machen;  der  Vergleich  mit 
Aurelius  Victor,  welcher  denselben  vermeidet,  zeigt  nur  dessen 
Reinheit  in  hellerem  Lichte. 

Damit  stimmt  überein,  dafs  der  Epitomator  auch  sonst  sub 
nach  der  Licenz  der  silbernen  Latinitat  gebraucht  hat:  42,  16 
lulianus  mandatis  moUioribus  refert  se  sub  nomine  celsi  imperii 
(so  lange  er  den  Augustustitel  trage)  multo  officiosius  pariturum. 
Vgl.  das  spätlateinische  sub  titulo,  sub  specie  u.  ä. 

Apud  hat  sich  nicht  nur  zur  Bezeichnung  der  Ortsruhe  bei 
Ländernamen  eingedrängt,  es  hat  auch  den  Lokativ  der  Städte- 
namen nahezu  ausgerottet.  Nach  dem  Thes.  tauchen  die  Länder- 
namen zuerst  bei  Tacitus  auf,  imd  sie  scheinen  in  der  Volks- 
sprache namentlich  beliebt  gewesen  zu  sein,  da  die  Itala  die 
Stelle  des  zweiten  Korintherbriefes  1,  8  {iv  ry  läöLa)  mit  apud 
Asiam  übersetzt,  die  Vulgata  mit  in  Asia.  Das  Erscheinen  des 
Vogels  Phoenix  in  Ägypten  unter  Kaiser  Claudius  hatte  schon 
Aur.  V.  Caes.  4,  14  mit  den  Worten  Visus  apud  Aegyptum'  be- 
richtet, welche  dann  auch  in  die  Epit.  4,  9  übergegangen  sind; 
allein  dies  steht  doch  ziemlich  vereinzelt,  und  umsomehr  muls 
auffallen,  dafs  der  Vf.  der  Epit.  in  den  letzten  Kapiteln,  d.  h.  da, 
wo  er  auf  eigene  Faust  schreibt,  die  Konstruktion  regelmälsig 
angewandt  hat.  37,  3  apud  Moesiam;  39,  3  a.  Aegyptum  imper- 
atores  eflfecti;  41,  7  a.  Bithyniam;  42,  13  in  campis  Argentora- 
tensibus  apud  Gallias;  45,  7  a.  Mauretaniam  regnum  invadens; 
47,  7  a.  Britamiiam  tyrannidem  arripuisset.  Wir  werden  daraus 
schliefsen  dürfen,  dafs  Aur.  V.  die  Ausdrucksweise  absichtlich 
vermied^  während  der  Verf  der  Epitoma  sie  als  die  regelmäfsige 


Zur  Latinität  der  Epitome  Caesarum.  451 

anerkannte.  Das  korrekte  ^in  Campania'  findet  sich  in  der  Epit. 
nur  selten:  10^  12  in  Campania^  wie  entsprechend  in  den 
Caes.  42,  15  in  ßallia.  Der  Ersatz  ist  offenbar  von  den  Yölker- 
namen  hergeholt:  Ep.  10,  15  apnd  Sabinos  interiit;  35,  3  a.  Dal- 
matas  imperator  effectus;  32,  4  a.  Macedonas  dominatam  invasere. 
Caes.  12,  2  a.  Sequanos  (Sequania  nicht  gebildet,  so  wenig  als 
Parthia)  imperium  capere;  42,  13  ne  quid  a.  Gallos  novaretur, 
und  die  Gleichstellung  beider  Wendungen  verbürgt  uns  Tacitus 
aim.  4,  5  in  Pannonia  ...  in  Moesia  . . .  apud  Delmatiam  (legiones 
collocatae).  Mit  apud  konkurrierte  übrigens  auch,  obschon  mit 
weniger  Glück,  per:  Tac.  1,  47  per  Germaniam  (ursprünglich  in 
ganz  Germanien)  . . .  apud  Pannoniam.  Aur.  V.  Caes.  27,  1  per 
Africam  (Augustum  creavere).  Epit.  40,  1  creatis  Caesaribus  per 
Italiam,  gleichbedeutend  mit  31,  1  in  Moesia  imperator  effectus 
est;  32,  3  in  Gallia  imperatores  effecti  sunt.  Fragt  man  aber 
schliefslich,  warum  ^in  Campania'  nicht  mehr  gefallen  habe,  so 
wird  es  die  Kollision  mit  ^in  Campaniam'  sein,  dessen  Schlafs- 
konsonant  sich  in  der  Ansprache  verflüchtigte. 

Was  die  Städtenamen  betrifft,  so  sind  die  Beispiele  nach  den 
Verben  auseinanderzuhalten.  Denn  es  macht  einen  grofsen  Unter- 
schied, ob  von  einer  Schlacht  die  Rede  ist  (welche  in  der  Nähe 
einer  Stadt  geschlagen  wird),  oder  von  einem  Todesfalle  oder 
einer  Gefangennehmung.  Da  man  diese  Stellen  sowohl  mit  'in' 
als  auch  mit  'bei'  übersetzen  kann,  so  läfst  sich  nicht  leugnen, 
dafs  oft  eine  Zweideutigkeit  des  Ausdruckes  entsteht.  Wir  dürfen 
jedoch  für  das  Spätlatein  annehmen,  dafs  apud  im  Sinne  des 
Lokatives  stehe.  Vgl.  Aur.  Caes.  16,  14  Vendobonae  interiit  (M.  An- 
tonius) mit  Epit.  16,  12  apud  Vendobonam  morbo  consumptus. 
Spart.  Hadr.  25,  6  apud  ipsas  Baias  perit  =  Spart.  Anton,  phil.  6, 1 
Hadriano  Baus  absumpto.  Capitol.  Max.  Balb.  12,  5  otiosus  apud 
Ravennam  =  Herod.  8,  17  öiaxQißoav  iv  'Paßivvri,  Von  den  Loka- 
tiven haben  sich  die  auf  -ae  am  besten  erhalten,  namentlich 
Romae  (Epit.  41,  2  in  urbe  Roma);  Epit.  1,  26  Nolae  interiit  deckt 
sich  mit  Caes.  1,2  Nolae  consumptus,  aufserdem  14,  1  Adriae 
orto;  28,  2  Veronae  interfectus;  29,  1  Bubaliae  natus;  38,  1  natus 
Narbonae;  21,  1  Lugduni  genitus;  32,  4  Mediolani  (dominatum 
invasit);  47,  1  genitus  Sirmii.  Viel  häufiger  sind  dagegen  die 
Umschreibungen,  besonders  in  den  Schlufskapiteln:  38, 2  apud 
Ctesifonta  interiit;  39,  5  apud  Nicomediam  fasces  relinquens 
40,  5  apud  Carthaginem  imperator  fit;  40,  5  a.  Massiliam  obsessus; 


452  Ed.  Wölfflin: 

40,  8  a.  Tarsum  periit;  41,  23  a.  Helenam  interficitur;  41,  25  im- 
perium  a.  Marsiam  corripuit;  42,  6  a.  Lugdunum  coangnstatus; 
42,  17  a.  Mopsocrenen  interiit;  45,  8  a.  Bergentionem  exspiravit: 
48,  1  a.  Sirmium  Imperator  effectus;  48,  19  a.  Mediolanum  ex- 
cessit.  Für  den  Ersatz  des  Lokatives  konnte  die  Präposition  ad, 
welche  später  im  Jb^ranzösischen  den  Sieg  davongetnigen  hat, 
so  lange  nicht  in  Betracht  kommen,  als  sie  die  Bewegung  nach 
einem  Orte  hin  bezeichnete.  Dafs  die  Wahl  auf  apud  fallen 
konnte,  erklärt  sich  aus  einer  Licenz  des  archaischen  Lateins,  welche 
zwar  Varro  getadelt  hat;  denn  schon  im  S.  C.  de  Bacanalibus 
heifst  es:  cos.  senatum  consoluerunt  apud  aedem  Duelonei.  Darauf 
bezieht  sich  Corp.  gramm.  lat.  VII  31,  7:  vitiose  dicitur  ^senatum 
habere  apud  aedem  ApoUinis',  quod  *in  aede'  dici  oportet.  Oft 
wird  auch  der  Lokativ  eines  Städtenamens  umschrieben,  wie  41,  4 
natum  oppido  Arelatensi;  35,  4  in  urbe  Roma  rebellarunt. 

Bei  den  Adverbialbildungen  auf  -iter  fällt  auf,  dafs  manch- 
mal die  Umschreibung  mit  modo  vorgezogen  wird;  also  finden 
wir  neben  pariter  (20,  0.  39,  1)  sowohl  pari  modo  (32,4.  40,2) 
als  pari  tenore  (26,2),  ähnlich  simili  modo  40,2.  Die  Ver- 
mutung liegt  nahe,  dafs  der  Proceleusmaticus  similiter  mifsbeliebig 
gewesen  sei,  da  doch  9,  10  vulgariter  unbedenklich  gebraucht  ist. 
So  wird  in  der  Astrologie  des  Firmicus  Matemus  frequenter  an 
unzähligen  Stellen  gebraucht,  während  simili  ratione  (3, 5, 29. 
30.  37)  und  simili  modo  (3,  5,  38)  übliche  Umschreibungen 
sind. 

Die  Entwertung  des  Komparativs  und  Superlativs  hat  be- 
kanntlich schon  früh  begonnen;  Victor  selbst  hat  sich  dem 
modernen  Gebrauche  angeschlossen,  z.  B.  Caes.  2,  1  Tiberius  sub- 
dolus  et  occultior  =  Tac.  aun.  0,  57  occultum  ac  subdolum.  Die 
imverdorbenen  Naturmenschen  heifsen  auch  bei  den  Kirchenvätern 
oft  simplices,  simpliciores,  simplicissimi  (Epit.  41,  25).  Einmal 
hat  der  Epitomator  sogar  korrigiert,  indem  er  für  Caes.  4  pavi- 
dus  animi  et  ignavior  abänderte  in:  ignavus  ac  pavidus.  Nur 
auf  einen  Punkt  möchten  wir  noch  hinweisen.  Das  unklassische 
atrocius  longe,  longe  tetrior  (Epit.  0,  5.  12, 10)  statt  multo  wird 
wohl  damit  zusammenhängen,  dafs  multum  mit  dem  Positiv  (ital. 
molto)  statt  valde  eindrang.  Epit.  1,  22  vini  multum  abstinens; 
32  stolidus  et  multum  iners;  42,  18  somno  multum  temperans; 
48,  1 1  multum  diligens  u.  s.  w.  In  der  Aussprache  aber  fiel 
multum  mit  schwindendem  Schlufskonsonant  mit  multo  zusammen. 


Zur  LatinitrU  der  Epitonio  Caesaruni.  —  Matrem  gerere.     453 

Die  Proben  können  genügen,  um  den  Kanon  für  die  Be- 
stimmung des  Sprachgebrauches  des  Epitomators  aufzustellen. 
Derselbe  kann  darum  nicht  aus  Epit.  cap.  1 — 39  abstrahiert  wer- 
den, weil  in  diesen  Abschnitten  manches  wörtlich  aus  den  Quellen 
herübergenommen  ist.  In  erster  Linie  kommen  also  die  Cap.  40 
— 48  in  Betracht,  in  zweiter  alles,  was  sich  durch  die  ganze 
Epitome  gleichmäfsig  hindurchzieht,  namentlich  wenn  es  von 
Sueton  imd  Victor  abweicht.  Dahin  gehört  das  in  der  Epitome 
16  mal  gebrauchte  imperator  effectus  (efficitur),  wofür  der 
Verf.  der  Caesares  nur  f  actus  sagt.  D  eh  ine  findet  sich  min- 
destens ein  dutzendmal  von  Cap.  3  —  42,  imd  von  40  an  fünf- 
mal. Aber  4,  5  dehinc  atrocius  accensa  ist  wörtlich  aus  den  Cae- 
sares abgeschrieben,  deren  Verf.  selbst  die  Partikel  aus  Tacitus 
übernommen  hatte.  Mit  ajca^  elgr^^ava  der  Cap.  1 — 39  ist  nicht 
viel  anzufangen;  eher  kann  man  sich  darauf  stützen,  wenn  sie  in 
der  Schlufspartie  vorkommen;  41,  2  Constantinus  iuvenculus;  41,9 
agraris  =  agrarius;  41,  20  nationes  circumsocias.  So  darf  aus 
Epit.  42,  18  felix  bellis  civilibus,  extemis  lacrimabilis ;  46,  2  cum 
GoOiis  lacrimabili  hello  commisso  wohl  geschlossen  werden,  dafs 
dem  Verf.  der  Vergilvers  Aen.  7,  604  sive  iTetis  inferre  manu 
lacrimabile  bellum  im  Sinn  lag.  Was  wir  aber  alles  dem  Epito- 
mator  zuteilen,  das  wird  um  das  Jahr  400  nach  Chr.  in  Rom 
geschrieben  sein. 

München.  Ed.  WSlfflhi. 


Matrem  gerere. 

In  der  Erzählung  des  Florus  von  Romulus  und  Remus  las  man 
früher  1,  1,  3:  lupa  ubera  admovit  infantibus  matrem que  se  ges- 
sit  (cod.  Nazar.  secessit),  während  Rofsbach  nach  dem  Vorgange  von 
Jahn  und  Halm  mit  cod.  Bamberg,  matrem  que  egit  schreibt.  Dies 
ist  insofern  eine  Verbesserung,  als  sich  die  Konstruktion  matrem  se 
gerere  überhaupt  nicht  nachweisen  läfst,  sondern  nur  pro  colono  se 
gerere.  Schmalz,  Antibarb.  I  509.  Es  bleibt  nur  das  eine  Bedenken, 
dafs  der  Ausdruck  matrem  agere,  von  der  Bühne  hergenommen,  wört- 
lich bedeutet:  die  Rolle  der  Mutter  spielen,  nicht  Mutterpflichten  er- 
füllen. Vgl.  Tac.  bist.  1,  30  cum  Otho  aniicum  imperatoris  (Galhae) 
ageret,  als  er  den  Freund  spielte,  wie  ein  Komödiant.  Und  so  ver- 
stand es  auch  Florus  selbst,  als  er  von  dem  Könige  Antiochus  schrieb 
(2,8,9):  ne  non  aliquo  genere  ducem  agere  videretur,  virginum 
pueronimque   dilectus   habebat,   was   das   gerade   Gegenteil    von   ducis 


454  Ed.  Wölfflin:   Miscellen. 

ofQcia  praestare  ist.  Zugehen  muls  man  allerdings,  daTs  das  Spät- 
latein an  dieser  Bedeutung  nicht  mehr  festgehalten  hat,  was  indessen 
flir  Florus  kaum  mafsgehend  sein  kann.  Vgl.  Liv.  per.  52  Mummius 
abstinentissimum  virum  egit.  Aur.  Vict.  Caes.  39  Diocletianus  domi- 
num dici  passus  parentem  ejs^it.  Wollte  man  aber  diese  Bedeutung 
zugeben,  so  wäre  egit  zum  mindesten  zweideutig. 

Somit  wird  es  sich  empfehlen,  einen  dritten  Weg  einzuschlagen 
imd  die  Wendung  matrem  gessit  näher  zu  prüfen.  Sie  mufs  sich 
parallel  mit  agere  entwickelt  haben,  da  Cicero  neben  dem  bekannten 
personam  agere  auch  schreibt  personam  gerere,  de  offic.  1,  115.  124; 
nur  verlor  sie  frühe  den  Theatergeschmack.  Vgl.  Val.  Max.  4,  1,  4 
Cincinnatus  qualem  consulem  gessit!  (=  qualem  consulem  se  praebuit). 
Plin.  pan.  44  principem  geris,  meliorem  immo  te  praestiis^  quam  tibi 
alium  precabare.  Sen.  Troad.  715  gere  captivum  posito  genu.  Apul. 
met.  1 ,  24  annonam  curamus  et  aedilem  gerimus  (=  aedilis  munere 
fungi).  Claud.  IV  cons.  Hon.  294  tu  civem  patremque  geras.  Diesen 
Gedanken  brauchen  wir,  imd  matrem  gessit  ist  der  richtige  Ausdruck 
dafür.  Auch  Jordanes  mufs  so  gelesen  haben,  da  er  die  ihm  un- 
bekannte Konstruktion  umschrieb  mit:  matrisque  gessit  officium.  Die 
im  Bamberg,  erhaltene  Lesart  beruht  nicht  auf  einem  Lesefehler, 
bezw.  Schreibfehler,  sondern  geht  auf  einen  Grammatiker  zurück, 
welcher  glaubte,  matrem  agere  sei  der  korrektere  Ausdruck. 

München.  Ed.  Wölfflin. 


Agricola  =  agricolas. 

Neuerdings  erklärt  Lindsay  agricola  als  Femin.  =  agricultura, 
Ackerbau,  welches  erst  später  die  konkrete  Bedeutung  von  'Acker- 
bauer' angenommen  habe  (Lat.  Spr.  cap.  5,  §  2;  cap.  6,  §  1.)  Ent- 
sprechend Stolz,  bist.  Gramm.  417  scriba  =  Schreibthätigkeit,  dann  die 
Gesamtheit  der  dieselbe  Ausübenden,  endlich  der  einzelne  Schreiber. 
Dem  gegenüber  dürfte  es  nicht  überflüssig  sein,  daran  zu  erinnern, 
dafs  als  älteste  Form  von  paricida  bei  Paul.  Fest.  p.  221  überliefert 
wird  paricidas,  welchem  noch  bei  Paul.  102  ein  hosticapas]  hostium 
captor  zur  Seite  steht.  Dies  giebt  schon  Bücheier  an,  doch  in  einer 
Note,  wo  es  leicht  übersehen  werden  konnte.  Wagener-Neue  fügt 
noch  Agrippas  hinzu  aus  Corp.  inscr.  lat.  III  14,  19,  was  möglicher- 
weise Neubildung  nach  griechischem  Muster  ist,  und  Nov^tag  {No^t&g) 
=  Nmna,  nonhuoXag  u.  ä.  sind  ja  allgemein  bekannt. 

München.  Ed.  Wölfflin. 


über  das  Alter  der  Martial-Leniniata  in   den 

Handschriften  der  Familie  B. 

Die  Martialhandschrifken  der  Familie  B  gehen  bekanntlich 
auf  eine  im  Jahre  401  n.  Chr.  von  einem  gewissen  Torquatns 
Gennadius  yeranstaltete  Recensio  dieses  Dichters  zurück  (vgl. 
Friedländer  in  der  Einl.  seiner  Ausgabe  S.  69  und  78  ff.).  Eine 
neue  wertvolle  Handschrift  dieser  Familie  (saec.  XII)  hat  kürzlich 
die  Berliner  Bibliothek  (lat.  fol.  612)  erworben  (=  L),  ja  W.  M. 
Lindsay^  der  sich  schon  durch  frühere  Arbeiten  um  die  Er- 
forschung der  Textesquellen  unseres  Dichters  sehr  verdient  ge- 
macht hat;  steht  nicht  an^  in  einem  eben  erschienenen  Aufsatz 
der  Classical  Review  (Nov.-Heft  1901,  S.  413  ff.)  L  als  'codex 
optimus'  des  Martial  zu  bezeichnen.  Uns  soll  hier  nicht  der 
Text  des  Martial  selbst  beschäftigen,  sondern  die  in  den  Hss.  der 
GennadiusfamiUe  den  Epigrammen  beigegebenen  Überschriften. 
Die  Anregung  wie  das  Material  zu  dieser  Untersuchimg  verdanke 
ich  Herrn  Professor  Lindsay  an  der  Universität  St.  Andrews 
(Schottland),  dem  ich  auch  an  dieser  Stelle  meinen  verbindlich- 
sten Dank  für  seine  liebenswürdige  Unterstützung  ausspreche. 
Ebenso  schulde  ich  Herrn  Dr.  Heraeus  in  Offenbach  a.  M.  vielen 
Dank  für  eine  Reihe  wertvoller  Bemerkungen  und  Nachweise 
von  noch  nicht  bekannten  Belegen  seltener  Wörter  und  Verbin- 
dungen. 

Während  die  Überschriften  in  unseren  den  Familien  A  und 
C  angehörigen  Hss.  „sämtlich  den  Epigrammen  entnommen  sind 
imd  nur  den  Namen  des  Angeredeten  oder  eine  kurze  Inhalts- 
angabe oder  beides  verbunden  enthalten"  (Friedländer  S.  71, 
Note  1  und  S.  86,  Note  1),  stimmen  die  Lemmata  in  den  Codd. 
der  Familie  B  nur  in  den  Büchern  I — IV  im  ganzen  mit  denen 
der  beiden  anderen  Handschriftenfamilien  überein,  von  Buch  V  an 
jedoch  sind  sie  viel  wortreicher  und  „verraten  sich  durch  ihre 
in  Form  und  Inhalt  ganz  abweichende  Fassung   als  Machwerk^ 


456  Gustav  Landgraf: 

einer  sehr  späten  Zeit"  (Friedl.  S.  78,  Note  1).  Wir  wollen  im 
Folgenden  die  Sprache  dieser  Lemmata  prüfen  und  versuchen,  ob 
wir  aus  einer  solchen  Prüfung  Anhaltspunkte  für  eine  Fixierung 
der  Ahfassungszeit  derselben  gewinnen  können.  Dabei  hoffen  wir 
auch  dem  Thesaurus  linguae  Latinae  nützlich  sein  zu  können, 
indem  wir  ihm  einiges  neue  Material  zuführen. 

Wortbildung.  Die  Komposition  mit  male  wird  im  Spätlatein 
unter  dem  Einfluüs  des  Griechischen  immer  häufiger,  vgl.  W.  Heraeus, 
die  Sprache  des  Petronius  und  die  Glossen  (1899)  S.  29.  So 
bietet  die  lat.  Dioscoridesübersetzung  aus  dem  6.  Jahrhundert  die 
sonst  nicht  belegte  Bildung  mcUe-f actio  (Arch.  X  566),  vgl.  franz. 
malfaire,  malfaisance.  Ein  Analogon  dazu  ist  male-tradatio  in  den 
Lemmata  5, 57.  7, 41.  9,  77.  11,  11  maletractatio  SardanapallL 
Natürlich  ist  maletractatio  nur  die  Vorstufe  zur  Form  maltractatio 
(franz.  maltraiter,  maltraitement),  wie  wir  in  Cod.  L  aUerding« 
fehlerhaft  5,65  lesen  ^Laus  Augusti  in  malparcUione  (st.  com- 
paratione)  Herculis'.  Bemerkenswert  ist  auch  die  in  L  und  f 
der  B-Familie  und  in  den  besseren  Hss.  der  C- Familie  sich  fin- 
dende Form  2,  56,  1  malaudii  für  male  audit  (Lindsay,  Cl.  Rev. 
1. 1.  S.  416,  Note  2).  Übrigens  findet  sich  das  Subst.  maletracUk- 
iio  bereits  bei  Amobius.  Dagegen  bieten  die  Lemmata  5,  47  de 
Philone  foriscenio  und  12,  55  de  Aegle  vendp-lingia  (so  emendiere 
ich  für  mendilingia),  zwei  bis  jetzt  nicht  belegte  Komposita; 
ersteres  ist  nach  dem  Muster  des  martialischen  Komp.  domi- 
cenium  (5,  78,  1  u.  ö.)  gebildet  und  bezeichnet  jem.,  der  ^foris 
cenat'  (2,  53,  3.  69,  1.  9,  10,  1),  letzteres  verdankt  seinen  Ursprung 
dem  Schlufsvers  des  citierten  Epigramms  ^Gratis  lingere  non 
recusat,  Aegle'  „und  hat  zum  Vorbild  wohl  cunnüinguSj  das 
aufser  bei  Martial  und  Priap.  noch  auf  einer  tessera  Rh.  Mus. 
52,  393  {cunilinge  Voc.)  und  Pompej.  Wandinschr.  Anth.  lat. 
epigr.  359  rmiüin<fUH  steht"  (Heraeus).  Der  Lemmatist  gebraucht 
auch  dieses  Wort,  aber  immer  in  der  Form  cimnüingius  6,  26. 
9,4.  67.  11,47.  61.  85.  12,85. 

In  den  Scholien  zu  Horaz,  Juvenal  und  Persius,  sowie  in 
rein  lateinischen  Glossen  begegnet  häufig  das  Substantiv  heredi- 
peta  =  Erbschleicher.  Auch  unsere  Lemmata  gebrauchen  es  5, 39 
(heredepeta),  11,  44  und  12,  90  (heredipeta).  Diese  Bildungen 
waren  in  der  Umgangssprache  beliebt;  Heraeus  1.  1.  S.  26  zahlt 
folgende  auf:  honoripeta  (Apul.),  cornijwta  oder  comupeta  (Vulgata, 
Augustin),  lucrlpeta  (Argument.  Most.  Plaut.  6),  oAjripeUi  (Cic.  ad 


üb.  das  Alter  d.  Martial-Lemmata  i.  d.  Hss.  d.  Familie  B.    457 

Att.),  oclopeia  =  Augenzieler  (Petron.)  und  veneripeta  in  den 
Glossen.  Dazu  kommt  als  sonst  noch  nicht  nachgewiesenes  Kom- 
positum aus  den  Martial-Lemmaten  2,  37  cenipeta  (in  A  und  G^  da- 
gegen celipeta  in  B).  —  Von  anderer  Art  ist  das  Kompositum 
scutopecta  9,  38  (Q:  de  Agatino  scutopaecta^  L:  de  A.  scutopectr>) 
=  scutopaeetay  eine  hybride  Bildung  für  6xlo7caLxr7}g,  das  Corp.  Gloss. 
in  308,  65  und  66  mit  Ventilator,  bezw.  armilusor  erklärt  wird 
und  auch  Not.  Tir.  107,  59  Schra.  von  Schmitz  in  der  Über- 
lieferung oplectes  (unter  Arten  von  Jongleuren  stehend)  erkannt 
ist.  Über  andere  Komposita  mit  -xoctxrrjg  s.  Schmitz,  Beitr.  zur 
lat.  Sprachkunde,  S.  277—282. 

Das  Suffix  'Osus  erfreute  sich  in  allen  Perioden  der  lat 
Sprache  grofser  Beliebtheit,  und  auch  das  späteste  Latein  war 
hier  noch  schöpferisch.  Unsere  Lemmata  verwenden  Adjektiva 
auf  -osus  mit  Vorliebe,  sowohl  alte  wie  neugebildete.  Vim  jenen 
erwähnen  wir  aestuosus,  clanwmsy  curiosus,  gylosus  (=  gulosus), 
verbosus,  von  diesen  bedürfen  einer  eingehenderen  Besprechung: 
himeosus,  pruriosus,  caharioms,  funeroi^us.  Das  Adjektiv  Jumeosus 
(=  bruchleidend)  findet  sich  in  dieser  Form  3,  24  und  12,  83, 
und  so  ist  es  auch  Verg.  catal.  13  (5),  39  (Ribbeck  Jiernwsüs), 
Porphyr,  ad  Hör.  sat.  1,  1,  105  (Meyer  hemiosu^,  Holder  himeosus), 
Lampr.  Hei.  25  (Peter  Jiemiosus)  überliefert,  nur  Marc.  Emp.  c.  33 
Jieniiof^us,  „Die  Glossen  schwanken.  Not.  Tir.  111,60  u.  61  ist 
himia,  bezw.  liirniosus  überliefert.  Ahnlich  steht  es  mit  hirneci 
selbst.  Dagegen  giebt  der  einzige  inschriftliche  Beleg  Anth.  lat. 
epigr.  358, 2  *eniiaat.%  was  bei  Georges  nachzutragen  ist"  (Heraeus). 
—  pniriosus  10,  67  (de  anicula  Plotia  pruriosa)  gehört  zu  den 
wenigen  Adjektiven  auf  -osus,  die  von  Verben  abgeleitet  sind 
(cf.  Arch.  V  203);  es  wird  sonst  nur  belegt  aus  Priap.  63,  18,  wo 
Bücheier  pruriens  vermutete.  —  ÜI^;ra|  elQr^^iva  sind  calvariosus 
12,  7,  funerosus  8,  43  und  culosus  von  cülus  11,  99:  de  Lesbia 
gulosa,  wofür  Lindsay  richtig  culosa  emendiert.  Die  obscöne 
Bedeutung  des  Adj.  ersehe  man  aus  dem  Epigramm  selbst.  Er- 
wähnt sei  zum  Schlüsse  die  Form  fornwnsus  9,  66,  vgl.  Archiv 
V  195  ff.  XI  312. 

Von  den  Substantiven  mit  dem  Suffix  -tor  (sor)  kommen 
besonders  in  Betracht  detrador,  eversw  und  fnsor.  Das  Subst. 
detractor  hat  in  der  Vulgata  häufig  die  Bedeutung  von  ^Ehrab- 
schneider, Verleumder',  ebenso  z.  B.  August,  de  civ.  dei  5,  29  osores 
vel  detractores.     Mit  ihm  teilt  diesen  Gebrauch  unser  Lemmatist 


458  Gustav  Landgraf: 

7,  10  de  Olo  detraeiore.  Für  das  bis  jetzt  nur  aus  Inschriften 
nachgewiesene  Subst.  fellatrix  (C.  I.  L.  4,  1389.  2292)  bieten 
unsere  Lemmata  erwünschte  Belege:  9,22.  11,40.  12,79.  Wir 
kommen  nun  zu  dem  Subst.  eversar.  An  den  beiden  Stellen  5,  77 
und  11,  70  hat  es  die  Bedeutung  =  Verschwender,  eine  Bedeutung, 
die  zuerst  bei  den  Juristen  aufkam,  in  der  Folge  aber  auch  in 
der  gewöhnlichen  Sprache  Aufiiahme  fand,  besonders  oft  bei 
Augustinus,  vgl.  Confess.  3,  3,  G  remotus  ab  eversiofiibus,  quas  facie- 
bant  eversores  —  hoc  enim  nomen  scaevum  et  diabolicum  velut 
insigne  urbanitatis  est.  Das  davon  abgeleitete  Subst.  eversio 
=  Vergeudung  belegt  Georges  nur  aus  Hier.  ep.  108,  18.  Hier  sei 
die  Besprechung  des  sonst  nicht  belegten  Subst.  masturhio  ein- 
geschoben aus  Lemma  11,  29  de  Phyllidis  (Q,  Phyllis  L)  mastur- 
bione.  Das  Epigramm  läfst  keinen  Zweifel  darüber,  dafs  mastnr- 
bio  hier  nomen  actionis  ist  und  nicht  agentis.  Mit  Hilfe  imserer 
Stelle  kann  nun  auch  der  Streit  darüber,  ob  Petron.  134  propier 
mascarpionem  von  der  Handlung  oder  von  der  Person  zu  ver- 
stehen sei  (vgl.  hierüber  Archiv  I  288.  IH  541.  V  77),  zu  Gunsten 
der  ersteren  Auffassung  entschieden  werden.  —  Ahnlicher  Pro- 
venienz wie  eversor  scheint  das  spätlateinische  Subst.  fusor  in  der 
Bedeutung  =  Erzgiefser  zu  sein:  wenigstens  belegt  es  Georges 
nur  mit  Cod.  Just.;  in  der  Bedeutung  =  Ausgiefser,  z.B.  vini,  ist 
es  bei  den  Ekklesiastikern  häufig,  vgl.  Paucker,  Supplem.  lex.  lat. 
S.  305.  In  der  ersteren  Bedeutung  steht  es  im  Lemma  9,  43  Laus 
Lysippi  fmoris. 

Mit  dem  Suffix  -arim  ist  gebildet  das  bei  Georges  fehlende, 
aber  Archiv  I  194  aus  TertuU.  de  an.  55  (cum  puerariis  Piato- 
nis) und  aus  Glossen  (cf.  Thes.  gl.  em.  s.  v.)  nachgewiesene  Subst. 
puerar'ms  =  (piXÖTcatg,  jtatdsQaörrlg  (Petron.  43  liest  man  jetzt 
pullarius,  s.  Friedl.  z.  St.).  Zwei  neue  Belege  für  dieses  seltene 
Wort  geben  die  Lemmata  11,28  und  11,44.  —  Das  bei  Georges 
nur  aus  Plaut.  Aul.  512  nachgewiesene  Subst.  calceolarius  taucht 
bei  unserem  Lemmatisten  wieder  auf  9,  73  und  zwar  in  der  Form 
calc/olarius.  —  Das  Lemma  12,  15  de  donariis  Capitolii  zeigt 
uns  das  Subst.  donaria  in  der  spätlat.  Bedeutung  =  Weihge- 
schenk, die  Georges  nur  aus  Aur.  Vict.  Caes.  35,  7  (donariis 
Omans  fanum)  und  Amob.  7,  9  belegt.  Auch  in  den  Glossen 
=  ävcc^ij^ara^  IsQa  ävad^iifiata,  munera  erklärt. 

Von  den  Deminutivis  kommt  nur  eines  hinsichtlich  der 
Chronologie  der  Lemmata  in  Betracht,  nämlich  das  Adj.  iactanU- 


üb.  das  Alter  d.  Martial-Lemmata  i.  d.  Hss.  d.  Familie  B.    459 

ciilus  =  etwas  prahlerisch.  Es  begegnet  in  der  Überschrift  zu 
9,  59  de  Mamurra  tenui  iactanticulo  und  12,  70  de  Apro  divite 
facto  iactanticulo.  Auch  dieses  Wort  scheint  besonders  dem 
Augustin  gefallen  zu  haben,  aufserdem  wird  nur  noch  Schol.  luv. 
11,34  citiert.  Deminutiva,  die  von  einem  Partie.  Praes.  abge- 
leitet sind,  giebt  es  sehr  wenige.  Heraeus  verdanke  ich  den 
Hinweis  axxt  prudenticulus  Anecd.  Helv.  236,  19  H.,  valentulus  Plaut. 
Cas.  852  und  dolmtulus  auf  einer  afrik.  Inschrift  VIII 9969;  vgl.  auch 
infantulus  und  infantula.  Unter  den  von  J.  Schwab  im  XXIV. 
Suppl.-B.  der  N.  Jahrb.  f.  Phil.  S.  714  f.  aufgeführten  deminuti vischen 
Eigennamen,  die  von  Part.  Praes.  abgeleitet  sind,  finden  wir  keines 
auf  -culus;  am  nächsten  kommen:  Constaniiola  und  Sperayxtiohis. 
Eine  grofse  Rolle  spielen  in  den  Lemmaten  die  griechischen 
Lehnwörter.  Wir  besprechen  hier  folgende:  philopygista  (=  pe- 
dico)  6,  33.  7,  62.  9,  63  de  Phoebo  penito  philopygista,  1 1,  78  de 
marito  philopygista.  Georges  belegt  das  Wort  nur  aus  Schol.  luv. 
9, 1.  —  Nicht  sicher  ist  die  Bedeutung  von  paradoxtis  im  Lemma 
5,  23  de  Basso  paradoxo  divite  effecto.  Fafst  man  es  im  Sinne 
der  Glossen  IV  267,  26.  373,  41  qui  se  ad  gloriam  parat*),  so 
könnte  es  *  putzsüchtig'  heifsen;  vielleicht  bedeutet  es  aber  auch 
*Mime,  Schauspieler',  wie  Schol.  luv.  8,  184.  —  Zu  5,  77  überliefern 
die  Hss.  das  Lemma  ad  Marullum  pedarisiam]  Scriver  vermutete 
paederastam,  was  sicher  falsch  ist,  Lindsay  vielleicht  richtig  pspu- 
darescam,**)  Das  Wort  ist  weder  im  Griech.  noch  im  Lat.  belegt, 
wohl  aber  ifSvöagsöxeLa  =  erheuchelte  Wohldienerei.  Wir  haben 
dann  in  dem  Lemma  eine  schöne  Bestätigung  der  Erklärung  von 
Crusius  (Rhein.  Mus.  44  p.  457,  vgl.  Otto,  Sprichwörter  S.  47), 
dafs  der  sprichwörtliche  Ausdruck  des  Martial  'qui  te  ferre  oleum 
dixit  in  auricula^  auf  einen  gemünzt  sei  *qui  perattente  alteruni 
audiendo  germanum  se  praestat  assentatorem'.  —  Häufig  begeg- 
net das  Subst.  parabohty  nämlich  5,  31  p.  tauri;  10,  11  p.  de  caris 

*)  „Die  Erklärung  ist  wohl  wegen  ihrer  etymologisierenden  Tendenz 
nicht  verwendbar  (hybrid:  qni  se  parat  ad  66^av).  Das  Wort  scheint,  wie 
naffddo^os  (s.  Steph.  thes.),  erst  für  Sieger  in  Spielen,  dann  allgemeiner 
gebraucht  worden  zif  sein"  Heraeus. 

•*)  Dagegen  bemerkt  Heraeus:  „Es  müfste  doch  wenigstens  pseuda- 
rescum  lauten.  Auf  -agsanog  und  -agsatog  endigen  die  Komposita  der 
Art.  Die  Überlieferung  führt  eher  auf  ein  griechisches  Nomen  personale 
auf  -QiöTTJg  (-ristam).  Beispielsweise  setze  ich  petauri^tum ,  in  welchem 
Falle  der  Lemmatist  das  'in  auricula  oleum  ferre'  wörtlich  von  einem 
Jongleur  gefafst  hätte." 


460  Gustav  Landgraf: 

amicitiis;  11,26  p.  de  Ganymede;  11,42  p.  de  scriptis  suis,  und 
zwar  immer  in  dieser  Form  mit  lateinischer  Endung,  wie  durch- 
gängig in  der  Vulgata,  aber  auch  bei  Macrobius,  z.  B.  5,  13,  26. 

Damit  sind  wir  bereits  auf  das  Gebiet  der  Formenlehre 
übergetreten,  aus  der  Erwähnung  verdient  der  Abi.  Plur.  mula- 
hus  im  Lemma  11,79  de  mulabus  miseri  Paeti.  Neue -Wagener 
P  p.  45 f.  citieren  für  diese  Form:  Tertull.  ad  ux.  2,  8;  Capitol. 
Ver.  5,  4;  Ambros.  Serm.  49,  2;  ferner  die  Überschriften  (!)  von 
Claudian  carm.  min.  22  (60)  Jeep  de  mulabus  Gallicis  und  von 
Ennod.  carm.  2,12,4  adversas  Claudianum  de  mulabus;  Anecd. 
Helv.  93,  32.  —  Der  auch  sonst  im  Spätlatein  vorkommende  Über- 
gang des  Verbs  tofulere  aus  der  2.  in  die  3.  Konjug.  (vgL  Neue- 
Wagener  IIP  p.  277)  erhält  einen  neuen  Beleg  in  dem  Lemma 
8,  47   de  eo  qui  tondit. 

Syntaktisches  läfst  sich  naturgemäfs  nicht  viel  an  diesen 
kurzen  Inhaltsangaben  beobachten.  Immerhin  fugen  sich  die  hier 
ins  Auge  fallenden  Erscheinungen  dem  Bilde,  das  wir  bis  jetzt 
von  der  Sprache  der  Lemmata  gewonnen  haben,  gut  ein.  Der 
Gebrauch  der  Praep.  circa  =  erga,  in  gehört  der  nachklass.  Lati- 
nität  an,  vgl.  Archiv  VIII  179.  IX  550.  Er  begegnet  uns  zwei- 
mal in  der  gleichen  Verbindung:  7,  7  amor  omnium  circa  Caesa- 
rem  und  8,  11  de  nimio  amore  Komae  ci/ra  Caesarem;  ganz  ähn- 
lich heifst  es  in  einer  afr.  Inschrift  (829)  ob  eximium  aniarem 
circa  patriam.  —  Die  Voranstellung  von  catisa  vor  den  Genetiv 
findet  sich  zwar  schon  vereinzelt  bei  Terenz  und  Qnintilian 
(Arch.  1  174),  wird  aber  doch  erst  im  Spätlatein  häufiger.  Unsere 
Lemmata  bieten  dafür  einen  Beleg  11,  56  Philosophus  cat4^a  pau- 
pertatis  professus.  —  Das  interessanteste  Lemma  in  syntaktischer 
Beziehung  steht  6,  58  Amicum  de  ])eregre  reversum  alloquitur. 
Wir  haben  darin  einen  Vulgarismus  zu  erblicken,  den  auch  der 
Grammatiker  Charisius  p.  111,  21  K.  (vgl.  Serv.  ad  Verg.  Aen.  2,  15) 
als  solchen  bezeichnet,  wenn  er  sagt:  ^Peregre  venit'  sine  prae- 
positione  dicendum.  Vim  enim  adverbii  habet.  Cui  praepositio 
non  adicitur,  ut  *rure  venit',  non  ^a  rure'  nee  ^a  peregre\  Die 
getadelte  Verbindung  begegnet  bei  Vitruv  5,  6,  8  una  a  foro, 
altera  a  pereg^rp,  und  es  stimmt  dieses  Vorkommen  schlecht  mit 
der  immer  noch  allgemein  festgehaltenen  Annahme,  Vitruvs  Werk 
stamme  aus  der  augusteischen  Zeit,  dagegen  weit  eher  mit  Ussings 
(vgl.  Arch.  X  301)  Aufstellung,  „dafs  der  Autor  viel  später  ge- 
schrieben habe".     Denn  abgesehen  von   der  Vitruvstelle  gehören 


üb.  das  Alter  d.  Martial-Lemmata  i.  d.  Hss.  d.  Familie  B.      461 

die  Belege  für  diesen  Vulgarismus  dem  späteren  Latein'*')  an. 
Georges  citiert  in  peregrc  aus  Orelli  inscr.  7383  (=  C.  I.  L.  XIII 
1897),  Vulg.  Eccl.  29,  29,  Pastor  Hermae  tom.  I  p.  69,  60  HUg., 
Heraeus  aulserdem  aus  Not.  Tir.  67,  58  Schm.;  vgl.  Schmitz,  Bei- 
trage S.  291  ff.;  Neue -Wagener  IP  p.  647  in  peregri  aus  Anthol. 
lat.  ed.  Biese  485  y.  54  (vgl.  a  niani  bei  Plautus  Most.  534  und 
dazu  Lorenz).  Docli  angenommen,  man  habe  a  peregre  schon  in 
der  augusteischen  Zeit  in  der  Umgangssprache  gesagt,  wie  a  niane 
sich  sogar  einmal  bei  Cic.  ep.  9,  26,  3  findet  (die  übrigen  Stellen 
sind  gesammelt  bei  Neue -Wagener  P  p.  356  f.),  so  giebt  uns  der 
Umstand,  dafs  man  im  Spätlatein  auch  de  mane  (=  frz.  demain) 
sagte,  z.  B.  Augustin.  confess.  11,  23,  20,  Vulg.  öfters),  einen  deut- 
lichen Fingerzeig  dafür,  in  welcher  Zeit  de  peregre  für  a  (und 
wohl  auch  e)  peregre  eintrat.  Bei  den  Scriptt.  bist.  Aug.  (3.  —  4. 
Jahrb.)  beginnt  der  Gebrauch  der  Praep.  de  für  ex  zuerst  häufiger 
zu  werden,  vgl.  Gapitol.  Pert.  4  de  castris  cum  venisset,  Vulcat. 
GalL  6  de  castris  submovit,  Vop.  Firm.  5  de  Carris  redeunte  und 
ebenso  Eutrop.  (2.  Hälfte  des  4.  Jahrb.)  9,  19  rediens  de  Per- 
side.  Und  so  finden  wir  denn  auch  de  peregre  nicht  vor  dem 
4.  Jahrhundert,  zuerst  bei  Firm.  Mat.  3,  4,  14  cito  de  peregre  revo- 
cabitur  ad  patriam  und  in  der  Expos,  totius  mundi  §  55  (p.  120, 
16  Riese),  deren  barbarische  Übersetzung  aus  dem  Griech.  ins 
Lat.  man  ins  5.  Jahrb.  setzt:  quae  veniunt  de  peregre  (wofür  die 
abgeglättete  Recension  e  peregrinin  bietet).  Als  dritter  Beleg 
reiht  sich  nun  gut  unser  Lemma  ein:  reversiis  de  jyeregre. 

Phraseologie.  a)Substantiva.  Ein spätesWort ist Cf>rtc?«ire**) 
=  concubina.  Der  erste  bekannte  Beleg  stammt  aus  einem  Briefe 
(37,6)  des  Papstes  Innocentius  (401 — il7)  und  giebt  uns  damit 
auch  für  die  Datierung  unserer  Lemmata  einen  wichtigen  Anhalts- 
punkt: 12, 86  lautet  Me  eo,  qui  non  arrigebat  et  commbas  habebat'.  — 
Derselben  Zeit  gehört  an  das  Subst.  didcia  5,  39,  Plur.  von  dul- 

*)  Der  älteste  Beleg  für  'iw  peregre*  wird  aus  Plautu«'  Caecus  oder 
Praedones  citiert  von  Charis.  p.  212,  20,  en^-eist  aber  gerade,  wenn  er  richtig 
überliefert  ist,  die  Unechtheit  der  betreffenden  Komödie,  deren  Entstehung 
wohl  lange  nach  Plautus  fällt;  PL  selbst  kennt  diese  Konstruktion  nicht. 
Übrigens  deutet  Leo  Plautus  ü  S.  ö28  vielleicht  richtig  in  als  isne.  Skutach 
in  der  Festschrift  für  C.  F.  W.  MiQler  p.  99. 

**)  Heraeus  vergleicht  die  ebenfalls  späten  Wörter  accuha  und  succuba, 
ersteres  Corj).  Gl.  L.  V  589,  35  mit  letzterem  erklärt,  letzteres  aufser  Prud. 
und  Apul.  in  den  Glossen  (s.  Thes.  s.  v.),  Not.  Tir.  35,  71,  Gregor.  Tur.  bist. 
Franc.  I  25. 

Archiv  für  lat.  Lexikogr.    XII.    Heft  4.  31 


462  Gustav  Landgraf: 

cium  =  Kuchen,  Backwerk,  das  Georges  belegt  mit  Stellen  aus 
Lampr.  Heliog.,  Vop.  Tac,  Prud.  psych.,  Schol.  luv.  —  refributio 

9,  9  ist  ein  in  der  Vulgata  häufig  gebrauchtes  Subst.  In  dem 
Lemma  11,59  de  Charino,  qui  anuinrem  non  habebat  mufs  ^ann- 
laris^  dem  Ausdruck  dactyliotheca  bei  Ttfartial  entsprechen,  also 
die  Bedeutung  =  Ringkästchen  haben.  Die  lat.  Sprache  scheint 
dafür  kein  eigenes  Wort  gehabt  zu  haben,  in  den  griech.-lat 
Glossen  steht  11,266,  12  daxrvXiod'Tlxrj  ohne  lat.  Interpretament. 
Wir  haben  also  in  anularis  wohl  einen  Versuch  zu  sehen,  dieses 
Adjektiv  mit  der  substantivischen  Bedeutung  *  Ringkästchen'  zu 
begaben,  wobei  man  etwa  arca  zu  ergänzen  hat,  nach  Analogie 
von  vinarium,  salinum  sc.  vas  oder  caldaria,  caroenaria  sc.  olla. 

b)  Adiectiva.  Das  Adjektiv  penitus  ist  bis  jetzt  im  Lat. 
nur  in  Verbindung  mit  offa  nachzuweisen  =  Schwanzstück.  Li 
unseren  Lemmaten  steht  es  in  obscönem  Sinne  9,  63  de  Phoebo 
penito  philopygista  (s.  oben)  und  11,51  de  Titio  penito,  —  Ein 
Produkt  des  4.  Jahrh.  scheint  das  Wort  tussicwf  (=  zum  Husten 
geneigt)  zu  sein;  bei  Georges  finden  wir  Belege  aus  Firm.  Mat., 
Sext.  Emp.  und  Vegetius.  Dazu  kommt  jetzt  Lemma  11,86  de 
gyloso  tnssiro.  —  Derselben  Zeit  gehört  das  Adjektiv  inprae- 
siaffilis  an,  das  man  bislang  nur  aus  Firm.  Mat.  8,  29  und  Salv. 
gub.  dei  4  §  53  kennt.      Den    dritten  Beleg   liefert  uns   Lenimia 

10,  27  de  Diodoro  inpracHUibili  in  L,  während  in  Q  steht  ^qui 
praestare  nolebat'. 

c)  Verba.  Erwähnung  verdienen  febrire  und  manducare  12, 
17;  insinuare  Carmen  alicui  7,99;  arrigere  absolut  gebraucht  im 
obscönen  Sinne  sc.  penem  12,  86  (s.  oben  imter  concuba),  wie 
schon  Sueton  Aug.  69  fin.  und  oft  bei  Martial  (s.  den  Index  von 
Friedländer),  und  besonders  tristari  5,  78  =  traurig,  betrübt  sein: 
wie  sein  Vorkommen  bei  lul.  Val.  (Konsul  338),  Schol.  luv.  imd 
in  der  Vulgata  beweist,  ebenfalls  ein  Erzeugnis  des  4.  Jahrh.*) 

Unsere  Analyse  hat  ergeben,  dafs  die  Sprache  der  Lemmata  die 
meisten  Berührungspunkte  mit  der  des  Augustin  (detractor,  eversor, 
iactanticulus),  Amobius  (maletractatio,  donaria),  Macrobius  (para- 
bola),  den  Scriptt.  hist.  Aug.  (dulcia),  Firmicus  Matemus  (de  peregre, 
inpraestabilis,  tussicus)  imd  der  Vulgata  (retributio)  aufweist, 
alles  Schriftwerke  des  4.  und  5.  Jahrh.  n.  Chr.     Dagegen  findet 

*)  Heraeus  citiert  noch  Fuljr.  p.  iö6,  14  u.  169,  10  Helm,  Schol.  Ter. 
p.  125,  21  Schlee,  oft  in  den  späten  Sortes  Sangallenses  ed.  Winnefeld 
(Bonn  1887),  Gloss.  s.  v.  maoreo  (raaeret :  tristatur). 


üb.  das  Alter  d.  Martial-Lemmata  i.  d.  Hss.  d.  Familie  B.    463 

sich  kein  Wort  oder  eine  sprachliche  Erscheinung,  die  über  die- 
sen zeitlichen  Rahmen  hinausführte.  Wir  sind  im  Gegenteil  in 
der  Lage,  die  Entstehungszeit  innerhalb  der  angegebenen  Be- 
grenzung noch  genauer  zu  fixieren.  Das  Subst.  conaiba  gebraucht 
nachweislich  zuerst  Papst  Innocentius,  der  von  401 — 417  episcopus 
urbis  Romae  war.  Stimmt  das  nicht  auffallend  zu  der  Thatsache, 
dafs  die  Gennadiusrecension  (s.  oben)  im  J.  401  n.  Chr.  veran- 
staltet wurde?  Und  weiter  —  Claudianus,  der  bald  nach  404 
starb,  verfafste  ein  Gedicht  (Nr.  22  bei  Jeep)  mit  der  Überschrift 
*efe  muJahus  Gallicis'  —  scheint  nicht  nach  diesem  Muster  die 
Überschrift  zu  Mart.  11,  79  ^de  mulahus  miseri  Paeti'  gemacht 
zu  sein?  Nicht  genug,  wir  finden  sogar  unter  den  Episteln  des 
Claudian  eine  (Nr.  IV  bei  Jeep)  epistula  ad  Gennadium  procon- 
sidenr^  nach  Cod.  Theod.  XIV  27,  1  war  dieser  Gennadius  im  Jahre 
396  praef.  Augustalis.  (Vgl.  über  ihn  Chatelain  ^Paleogr.  Class.' 
II  pl.  152).  Mufs  man  da  nicht  unwillkürlich  an  einen  Zusammen- 
hang zwischen  diesem  Gennadius  und  dem  Korrektor  des  Mar- 
tialis  vom  Jahre  401  denken?  Nichts  steht  somit  meiner  Ansicht 
nach  der  Annahme  entgegen,  dafs  die  Lemmata  in  den  Hss.  der 
Familie  B  entweder  von  Gennadius  selbst  verfafst  wurden  oder  in 
seinem  Auftrag  von  seinen  Gehilfen  bei  der  Arbeit,  die  er  ja 
selbst  am  Schlufs  des  XIII.  Buches  erwähnt:  ^Emendavi  ego  Tor- 
quatus  Gennadius  cum  caeteris  Gennadi  vatibusJ^  Mifsverständ- 
nisse  allerdings  wie  7,  55  de  superbia  Chrcstesii  (aus  dem  ersten 
Vers  dieses  Epigramms  entstanden:  nulli  munera  Chrcste  si  re- 
mittis)  oder  Verst(>fse  wie  9,  1  de  Caesare  et  Domitiano  lassen 
uns  den  oder  die  Lemmatisten  eher  in  den  Reihen  der  Gehilfen 
des  Gennadius  suchen. 

München.  (jnstav  Land^af. 


Perens. 

In  der  eben  erschienenen  vierten  Lieferung  des  Thesaurus  1.  1.  II,  2 
wird  unter  den  Epitheta  der  Ära  caelestis  angemerkt  (p.  388,  79): 
„Manu,  V  340  ferens  iuris''.  Das  ist  eine  irrige  Angabe,  hervor- 
gegangen aus  einer  unrichtigen  Interpretation  jenes  Verses,  die  ihrer- 
seits wieder  veranlafst  ward  durch  die  hier  von  vielen,  auch  dem 
Kommentator  Stoeber,  verkannte  Bedeutung  des  Participiums  ferens. 
Der   Vers   lautet  in   den   Handschriften:   Ära  ferens  iuris  sifllis  imi- 


464  Hans  Moeller:  Miscelle. 

iantibus  ignem]  von  imüautibus  ist  abhängig  i^nem  turis^  das  lehrt 
die  Überlegung,  da  zu  imitari  ein  Objekt  gefordert  wird,  und  die 
nämliche  Ausdrucksweise  in  Vers  417  (Belphinus)  squamam  stellis 
imitaniihtis  exU,  Somit  steht  ferens  absolut  imd  zwar,  wie  bereits 
Scaliger  zu  dieser  Stelle  anmerkte  (p.  388  der  Ausgabe  des  Jahres 
1655),  in  der  Bedeutung  von  avatptqo^dvri^  d.h.  als  Participium  zu 
ferri.     Der  ganze  Vers  bedeutet  also  Ära  turicrema*)  surgens. 

Dieser  passive  Gebrauch  von  ferens  war  seither  nur  aus  Corne- 
lius Nepos  Datam.  IV,  5  bekannt  (cf.  Forcellini  II  279  s.  v.  ferens; 
Dräger,  histor.  Synt.  I*  141;  Neue -Wagener,  lat.  Formlehre  III'  12),  aber 
er  läfst  sich  noch  an  einer  zweiten  Stelle  des  Manilius  und  noch  bei 
einem  Dichter  der  Republik  nachweisen.  Denn  man  wird  in  dem 
Vers  395  desselben  Buches  wohl  besser  (mit  Scaliger  p.  398)  ferens 
absolut  fassen,  als  aus  dem  vorhergehenden  Verse  ^se'  ergänzen,  wie 
es  z.  B.  Stoeber  thut,  da  dieses  dann  einmal  zu  dem  verbum  finitum 
und  das  andere  Mal  zu  einem  infinitum  treten  würde. 

Der  vierte  Beleg,  von  Scaliger  a.  a.  0.  p.  388  beigebracht,  bietet 
besonderes  Interesse,  da  er  zeigt,  wie  jener  auf  den  ersten  Blick  den 
Inhalt  und  die  Form  eines  Fragmentes  erkannte,  lun  dessen  Verständnis 
noch  heute  die  Neueren,  denen  (wie  auch  dem  Macrobius- Herausgeber 
Ejfsenhardt)  seine  verborgene  Erklärung  unbekannt  blieb,  ringen.  Macro- 
bius  bringt  aus  des  Egnatius  Gedicht  de  verum  fmtura  zwei  Fragmente, 
deren  erstes  VI  5,  2  lautet  ^Benique  MiUciber  et  ipse  ferens  aUissima 
caeli  Conüngunf,  Bergk  (Opp.  I  430.  Abhandlung  aus  dem  Jahre 
1846)  und  Bährens  (Anal.  Catull.  p.  45)  sahen  zwar,  dafs  et  zu 
streichen  war,  das  auch  im  Cod.  Paris,  fehlt,  aber  sie  verstanden 
durchaus  nicht  den  Inhalt  der  Worte,  was  ihre  Konjekturen  erweisen. 
Denn  jener  schlug  vor  ^furens  —  conüngif  imd  dieser  ^petens  —  continuo  i/'. 
Scaliger  schreibt  ohne  weitere  Erklärung  Denique  Mulciber  ipse  ferens 
altissima  caeli  Contingit  und  fügt  als  Erläuterung  hinzu  ^significat 
ignis  regionem  in  supremo  loco  esse'.  Diese  Ausscheidimg  des  Feuers 
aus  dem  Chaos  und  sein  Emporsteigen  in  den  höchsten  Weltraum 
erwartet  man  mit  Recht  in  einem  Gedicht  ^de  rerum  natura'  be- 
schrieben (cf.  Ovid.  mei  I  26  sq.  Manil.  I  149),  und  man  wird  daher 
wohl  zugeben  müssen,  dafs  Scaliger  den  Gedanken  des  Dichters  er- 
fafst  und  ihm  den  richtigen  Ausdruck  gegeben  habe. 

Es  ist  also  das  Maniliuscitat  in  dem  Thesaurus  zu  streichen, 
doch  mufs  man  an  seine  Stelle  ein  anderes,  dort  vergessenes  setzen. 
Denn  I  420  giebt  er  dem  Sternbild  mit  Bücksicht  auf  die  Sage  das 
Epitheton  'victrix'. 

*)  Man  Rieht,  Manilius  umschreibt  mit  den  Worten  t.  st.  i.  i.  das  tori- 
bulum,  aber  dafs  ihm  dabei  die  Darstellung  der  Ära  als  Weihrauchbecken 
nicht  notwendigerweise  vorgeschwebt  haben  mufs,  lehrt  Hygin  p.  a.  III  38 
Ära  habet  in  summo  cacumine  tunbüli  qtiod  formatur  Stellas  IL 

Marburg  i.  H.  Hans  Moeller. 


Herrn  Gehelmrat  Ed.  von  Wölfflin  zum  71.  Geburtstage. 

Die  Hegesippus -Frage. 

Die  Entscheidung  über  die  Frage,  ob  Ambrosius  der  Ver- 
fasser der  unter  dem  Namen  des  Hegesippus  gehenden  lateini- 
schen Bearbeitung  des  Geschichtswerkes  des  Josephus  über  den 
jüdischen  Krieg  sei  oder  nicht,  kann  nur  durch  eine  eingehende 
Prüfung  und  Vergleichung  der  Sprache  dieses  Buches  mit  den 
Schriften  des  Ambrosius  herbeigeführt  werden.  Alle  anderen  Argu- 
mente, die  bis  jetzt  gegen  die  Autorschaft  des  Ambrosius  ins  Feld 
geführt  wurden,  haben  sich  als  nicht  ausschlaggebend  oder  als  nicht 
stichhaltig  erwiesen,  vgl.  die  Besprechung  der  Dissertation  von 
F.  Vogel y  De  Hegesippo  qui  dicitur  losephi  interprete  (Erlangen 
1880)  durch  K  Bönsch  in  der  Philol.  Rundschau  1881  Sp.  602  flF. 
und  dazu  31,  Ihm  in  seinen  gehaltvollen  *Studia  Ambrosiana' 
1889  S.  62  ff.  Während  nun  die  Heranziehung  des  ambrosiani- 
schen  Schriftkomplexes  von  Seiten  Vogels  zur  Lösung  der  Frage 
als  unzureichend  gelten  mufste,  verzichtet  der  neueste  Gegner 
der  Verfasserschaft  des  Ambrosius,  E.  Klebs,  in  der  Festschrift 
für  Friedländer  1895  S.  210  ff.  überhaupt  auf  eine  solche  Ver- 
gleichung, dagegen  giebt  er  die  Nachahmungen  des  sog.  Hege- 
sippus aus  Sallust  gesichteter  und  vollständiger  als  Vogel  (in 
den  Act.  Erlang.  I  550 ff.;  H  409),  aus  Tacitus  und  Cicero  aber 
nur  in  spärlicher  Auswahl.  Und  doch  hatte  bereits  H,  liönsch 
in  seinem  überaus  fleifsigen  Aufsatz  „Die  lexikalischen  Eigen- 
tümlichkeiten der  Latinität  des  sog.  Hegesippus"  in  Vollmöllers 
Romanischen  Forschungen  I  S.  256 — 321  (wieder  abgedruckt  in 
den  Collectanea  philologa  S.  32  ff.)  reiches  Material  zur  Lösung 
der  Frage  auf  dem  oben  angedeuteten  Wege  vorgelegt,  ja  am 
Ende  seiner  Untersuchung  förmlich  dazu  aufgefordert,  „unter 
Benutzung  des  vorliegenden  Materials  die  Beantwortung  der 
Hegesippus-Frage  zu  übernehmen".  Seitdem  sind  zwei  Decennien 
verflossen,  ohne  dafs  dieser  Aufforderung  Folge  geleistet  wurde. 


466  Gustav  Landgraf: 

Wenn  ich  im  Folgenden,  zunächst  auf  Gh:nnd  eigener  Beobach- 
tungen und  Sammlungen,  dann  aber  auch  unter  gelegentlicher 
Beiziehung,  Berichtigung  und  Vervollständigung  der  Abhand- 
lungen von  Rönsch  und  Ihm,  die  Frage  wieder  aufnehme,  so 
liegt  die  äufsere  Veranlassung  in  dem  Umstände,  dafs  wir  jetzt 
wenigstens  für  einen  grofsen  Teil  der  Schriften  des  Ambrosius 
die  zuverlässige  Ausgabe  von  K.  Schcnlcl  besitzen  (die  in  den  bis 
jetzt  erschienenen  zwei  Bänden  enthaltenen  Schriften  werden  hier 
einfach  mit  I  und  U  und  Seitenzahl  citiert);  andrerseits  glaube 
ich  das  bei  Rönsch  und  Ihm  gesammelte  sprachliche  Material 
durch  einige  neue,  wie  mir  scheint,  beweiskräftige  Berührungen 
vermehren  zu  können. 

Ihm  bemerkt  mit  Recht  S.  82,  dafs  sich  die  Nachalimung 
des  Ambrosius  besonders  auf  drei  Schriftsteller  erstrecke,  nämlich 
auf  Verf/il,  Sallust  und  Cicero.  Ist  also  Ambrosius  der  Ver- 
fasser der  lateinischen  Bearbeitung  des  losephus  de  hello  ludaico, 
so  mufs  auch  die  Sprache  dieses  Schriftwerkes  eine  starke  An- 
lehnung an  jene  drei  Autoren  zur  Schau  tragen.  Dafs  dies  be- 
züglich des  Sallust  in  ausgedehntestem  Mafse  der  Fall  ist,  haben 
die  Analysen  von  Vogel  und  Klehs  ergeben.  Für  Veryil  zahlt 
eine  Reihe  von  Nachahmungen  auf  Ihm  S.  83,  vgl.  Klehs  S.  230; 
doch  können  diese  noch  bedeutend  vermehrt  werden,  wie  folgende 
Liste  zeigt  (einige  Nachweise  verdanke  ich  meinem  Freunde  Prof. 
Dr.  Weyman): 

I  3  inde  mali  prima  oborta  est  labes  und  IV  6,2  haec 
(1.  hinc  mit  C)  prima  labes  malorum  =  Aen.  2,  97  hinc 
mihi  prima  mali  labes. 

I  8  und  V  23  fin.  si  qua  est  pietas  =  Aen.  2,  536. 

I  19,  2  quos  ubi  confertos  Alexander  vidit  =  Aen.  2,  347. 

II  2,4  haec  est  promiss/  fides:  zu  verbessern  nach' Aen. 
6,346  en  haec  promissa  fides  est?;  vgl.  11  5  fin.  promissa 
moderatioris  imperii  fides  est. 

in  11,  1  fenestram  daret  =  Aen.  2,  482. 

in  18,  3  certabant  capto  inludere  =  Aen.  2,  64. 

IV  10, 1  und  23,  2  dives  opum  =  Aen.  1,  14.  2,  22. 

V  15  curru  sublimis  et  equis  =  Aen.  7,  285  sublimes 
in  equis. 

V  23  fin.  fortasse  quisquam  hostium  miserebitur  =  Aen. 
2,  645  miserebitur  hostis. 

Es  bleiben  noch  die  Stellen  übrig,  die  sowohl  im  Bell.  lud. 


Die  Hegesippus-Frage.  467 

als  auch  in  anderen  Schriften  des  Anibrosius  aus  Vergil  eni- 
nommen  sind.  Dahin  gehören:  furens  animi  Bell.  lud.  I  38^5 
und  40,9,  Ambr.  ep.  1,20  =  Aen.  5,202;  integer  aevi  Bell, 
lud.  V  22,  Ambr.  ep.  53,  3  =  Aen.  2,  638;  manifesta  fides  Bell, 
lud.  I  41,  Ambr.  I  p.  572,  3  =  Aen.  2,  309;  telorum  seges  Bell, 
lud.  V  1,  Ambr.  I  218, 17  =  Aen.  3,  46;  Bell.  lud.  V  23  ut  ipso 
inter  eins  manus  supremum  exhalaret  spiritum  .  .  ille  Ulti- 
mos ore  anhelitus  legeret,  ille  oculos  morientis  clauderet]  Ambr. 
de  exe.  fr.  I  19  (ed.  Schenkl,  Mailand  1897)  halitus  supremus 
evanuit . . .  extremum  spiritum  ore  relegebam  (1.  legebam!) 
. . .  Ultimi  hanelitus  tui  vigor  =  Aen.  4,  684  extremus  si  quis 
super  halitus  errat  ore  legam.  Die  Phrase  oculos  morientis 
claudere  kehrt  auch  de  exe.  fr.  I  c.  36  einmal  mit,  einmal  ohne 
den  Zusatz  Ton  'morientis'  wieder.  —  BeU.  lud.  HI  17  in  form  em 
leti  laqueum  homines  inyenerunt,  ib.  IV  10,4  informis  laquei 
nodus  etiam  probro  datur,  ib.  V  50  ni  praeacuto  gladio  nodum 
informem  intercidisset;  Ambr.  11  p.  524,  2  informis  laquei 
nodum  stringitis,  ib.  p.  544,  22  deformis  nodum  mortis  ex- 
pressit  =  Aen.  12,  603  nodum  informis  leti  trabe  nectit  ab  alta. 
Ehe  wir  zu  Cicero  übergehen,  sei  je  eine  Terenz-  und  Ovid- 
nachahmung  hier  eingeschoben,  die  gleichfalls  dem  Bell.  lud.  mit 
den  echten  Ambrosiusschriften  gemeinsam  sind:  Bell.  lud.  IV  7 
latrocinio  sumptum  exercent  suum;  Ambr.  11  p.  475,  23  rapinis 
sumptum  exercent  suum;  ib.  p.  214,  8  üt  mercede  sumptum 
exerceret  suum;  in  Psalm.  43  qui  vendendis  mancipiis  sumptum 
exercent  suum.  Wie  schon  die  konstant  beibehaltene  Wort- 
stellung zeigt,  ist  das  Vorbild  Ter.  Haut.  143,  allein  hier  lesen 
die  neueren  Texte  mit  einer  kleinen,  aber  sehr  bemerkenswerten 
Abweichung  *qui  opere  rustico  faciundo  facile  sumptum  exer- 
c?'rent  (=  exsercirent,  nach  Fest.  p.  81  =  sarcirent)  suum,  während 
der  Bembinus  exerc^rent  bietet.  Daraus  folgt,  dals  Ambrosius 
in  seinem  Terenzexemplar  ebenfalls  die  Lesart  exercerent  vorfand 
und  in  dieser  Form  die  Verbindung  in  seine  Schriften  nicht  nur 
herübemahni,  sondern  —  ein  deutliches  Zeichen,  in  welchem 
Sinne  er  die  Wendung  auffafste  —  sogar  Variationen  dazu  bildete, 
wie  de  Virgin.  I  vi c tum  operibus  exercent.  Ist  es  nun  wahr- 
scheinlicher anzunehmen,  dafs  der  unbekannte  Verf.  des  lat.  Bel- 
lum lud.  auf  demselben  Wege  wie  Ambr.  zu  der  sonst  nicht 
belegbaren  Wendung  sumptum  exercere  kam  und  infolge  der 
gleichen    Auffassung    die    der    ambrosianischen    ähnliche    Phrase 


468  Gustav  Landgraf: 

Titam    exercere   bildete,    die    wir   IV  4,  1    lesen    *qui    latrocinio 
vitam   exercerent  suam',  oder  liegt  nicht  vielmehr  in  diesem 
einzigartigen    ZusammentreflFen    ein    zwingender   Beweis    für   die 
Identität   des  Verfassers?     Das    gemeinsame   Orrrfcitat,   zu  dem 
wir  jetzt  kommen,  wird  uns  in  dieser  Annahme  nur  bestärken. 
Ambros.  11  p.  112,5  lesen  wir  scyphum  misit  ut  fratrem  (Ben- 
iamin)    quem    diligebat   pia  fraude   revocaret  in  Nachahmung 
von    Ovid  Metam.   9,  712    inde    incepta    pia    mendacia    fraude 
latebant.      Sollte   es  nun  wirklich  ein   blofser   Zufall  .sein,  dafs 
auch    der   Verfasser    des   Bell.    lud.  V  15    diesen    ovidianischen 
Ausdruck  gebraucht  und  zwar  in  dem  gleichen  Zusammenhang: 
Beniamin   pid    fraude    germani   retentus?     Auch    an   anderen 
Stellen   finden   wir   bei    Ambr.   Anklänge    an  Ovid,   so    z.  B.  II 
p.  346,  2  tacito  vultu  alterum  innocentem  pronuntiavit,  altemm 
peccatorem,   vgl.    amor.  1,  11,  IH    e   tacito   vultu   scire  futiira 
licet.    An  einer  zweiten  Stelle  ist  dieses  Citat  mit  einem  cieero- 
nianischen  verquickt,  nämlich  I  491,  27  si  quidem  etiam  tacito 
vultu    pietas    (sc.    patema)    frequenter    offenditur.     Dieser 
Ausspruch  geht  zurück  auf  Cic.  p.  Rose.  Am.  §  37  vultu  saepe 
laeditur   pietas.     In   höchst   charakteristischer  Weise  finden  wir 
nun  denselben  auch  im  Bell.  lud.  I  38,  3  verwendet,  wo  es  heifst: 
'oifendebatur    Herodes    vel    tacito    filiorum    ingenio    excitatiore 
quam  patema  pietas  pati  posset,  quae  etiam  vultu  frequenter 
laeditur'  —  also  nicht  nur  ist  in  beiden  Stellen  'etiam'  bei- 
gefügt,,  sondern  für  saepe  tritt  hier  wie  dort  frequenter  ein, 
ein  Lieblingswort    des  Ambrosius,    das    mehr   imd    mehr  in  die 
Stelle    des    untergehenden   saepe    einrückt.     Nachahmungen   der 
Rosciana  Ciceros  finden  wir  wiederholt  im  Bell.  lud.,  so  I  15  fin. 
und    ni   15,  1    primo    diluculo  =  Rose.   Am.  §  37;   III  3,  4 
affinis  crimini,  IV  10,  1  affinis  sceleri  (vgl.  Ambr.  ep.  63,59 
flagitiis    affinis)  =  Rose.   Am.  §  18    affinis   culpae,    SuU.  §  17 
affinis  sceleri;  II  10,  1  praeruptae  vir  audaciae  =  R.  Am.  §  68 
praenipta   audacia.     Auf  andere   Schriften   Ciceros    sind   zurück- 
zuführen die  Ausdrücke  I  15,  1  und  V  6  fin.  de  manibus  amit- 
tere  =  Verr.  lU  §  33,   IV  §  44  u.  ö.;   BeU.   lud.  V  46   ut  ad 
triumphi  cumulum  ipse'oceanus  accederet  =  Cluent.  §  74.    In 
den   ambrosianischen   Schriften  hat  Schenkl  zahlreiche  Anklänge 
an  Cicero  notiert,  doch  sind  ihm  einige  entgangen,  wie  I  352,  12 
dies  nie  citius  defecerit  =  Verr.  IV  §  59;  11  338, 1  delibu- 
tus   unguentis,  redimitus  floribus  =  de  rep.  IV  5  redimitus 


Die  HegeRippuB-Frage.  469 

coroniB  et  delibatus  ungaentis;  I  510, 12  eligendi  optio  =  de 
fin.  I  §  33^  Bmi  §  189.  Dafs  auch  die  Aufdecknng  einer  Nach- 
ahmimg  für  die  Textkritik  wichtig  werden  kann  (ygl.  oben  S.  466 
promissa  fidesi);  zeigt  eine  Stelle  im  I.  Buche  de  ezc.  fr.  §  44, 
wo  Schenkl  schreibt  nullum  ad  referendam  gratiam  maius 
esse  officium  unter  Verwerfung  der  von  CAa  gebotenen  Lesart 
referenda  gratia,  welche  durch  Vergleich  mit  der  Quelle,  nämlich 
Gic.  off.  I  §  47  ^nullum  enim  officium  referenda  gratia  magis 
necessarium  est'  als  die  allein  richtige  erwiesen  wird. 

Wir  yerlassen  hiermit  die  imitatio  Ambrosiana  und  gehen 
zu  den  lexikalischen  Berührungen  zwischen  dem  Bell.  lud.  und 
dem  Corpus  Ambrosianum  über,  wobei  wir  jedoch  nur  das  Wich- 
tigste und  Frappanteste  herausgreifen  wollen. 

Aus  der  Formenlehre  yerdient  zunächst  jBrwähnung  die 
nach  Rönsch  1.  1.  S.  H2  und  Georges  im  Lexikon  der  lat.  Wortf 
nur  Bell.  lud.  II  10,  6  (immane  quantum  insoleyerat);  III  13  in. 
(insoleverat);  II  1,  2  (insolevisset)  und  Ambros.  in  Psalm.  118 
serm.  10  (nimium  insoleyerat)  sich  findende  Perfektform  in- 
soleyi.  Noch  auffallender  ist  die  Übereinstimmung  im  Gebrauche 
der  (sonst  sehr  seltenen)  Form  adorsus  für  adortus.  Rönsch 
zahlt  S.  78  die  in  Betracht  kommenden  Stellen  auf;  übersehen 
ist  Bell.  lud.  5,  53,  1  hunc  sermonem  adorsus  est,  doppelt 
wichtig,  weil  si^  sich  deckt  mit  Ambr.  epist.  20,  14  und  25 
hunc  sermonem  adorsus  sum,  vgl.  I  169,  12  sermonem 
adorsus.  Rönsch  will  in  solchen  Verbindungen  adorsus  von  dem 
sonst  nicht  belegten  Deponens  adordior  ableiten;  das  ist  nicht 
nötig,  denn  adorior  teilt  mit  adgredior  die  Bedeutimg  =  jem., 
etwas  angreifen,  sich  an  etwas  machen,  etwas  beginnen,  daher 
man  auch  Bell.  lud.  I  32,  5  die  Verbindung  liest  trepidantes  hoc 
sermone  adorsus  est.  Von  den  übrigen  Verbindungen  ist  am 
interessantesten  die  mit  bellum,  weil  sie  wiederum  eine  über- 
raschende Konkordanz  uns  bietet,  nämlich  Bell.  lud.  V  16  quos 
inconsulto  domino  bellum  adorsos  =  Ambr.  off.  I  35,  177 
nunquam  nisi  consulto  domino  bellum  adorsus. 

Wortschatz.  Eine  eigentümliche  Verwendung  zeigt  der 
Abi.  des  Substantivs  contuitus  =  in  Hinsicht,  Rücksicht  auf: 
B.  lud.  I  3  morum  contuitu;  ib.  12,  4  bonorum  c;  3^,  6  recon- 
ciliatoris;  44,  3  eins  c;  V  22  patriae,  ib.  sacramentonim,  ib.  46  fin. 
contuitu  regalis  fastigii,  womit  man  vgl.  Ambr.  II  p.  317,  13 
contuitum  regalis  potentiae  non  habendum,  für  den  Abi.  con- 


470  Gustav  Landgraf: 

tuitu  Ambr.  I  p.  515,  19  nollo  c.  pudoris  moTentur,  p.  501, 16 
huius  viri  c,  de  exe.  fr.  11  17  necessitatis  c.  und  in  Luc.  10,  51 
e.  utilitatis.  —  Nach  Rönsch  S.  81  f.  findet  sich  sedulitas  in 
der  Bedeutung  =  Freundlichkeit,  Artigkeit,  Zuvorkommenheit  nur 
bei  dem  sog.  Hegesippus  und  Ambrosius.  Es  genüge  hier,  zwei 
Belege  zu  geben.  Bell.  lud.  2,  4  delectatum  eins  sedulitate  et 
pudicitia  —  Ambr.  I  614,  10  angelus  venit  ad  Mariam  et  cum 
sedulitate  et  gratia  venerat.  In  gleicherweise  hat  das  Adjektiv 
sedulus  die  Bedeutung  =  zuvorkommend,  gefällig:  BelL  lud. 
3,  16  in.  quid  sibi  volunt  tam  sedula  subito  invitamenta  hostium? 
Ambr.  oflf.  II  7,  32  David  quam  sedulus  corde,  facilis  affittu.  —  ^...^^ 
Das,  wie  es  scheint,  von  Vergil  geneuerte  Adjektiv  accommodas  P^- 
findet  sich  bei  Heges.  wie  bei  Ambros.  gerne  in  Verbindung  mit 
dem  Subst.  usus,  so  BeU.  lud.  3, 20,  1  quae  usui  praedonum 
accommoda  forent;  4,  11  in.  ex  usu  vulgi  accommodum  — 
Ambr.  in  Psalm.  36,  15  accommodum  ad  usum  vivendi.  Be- 
liebt ist  bei  beiden  die  Verwendung  des  Subst.  usus  im  Plural, 
vgl.  Ambr.  I  p.  77,7  in  hos  vivendi  usus,  ib.  p.  12,5  und 
Exhort.  virg.  I  25  in  hos  usus  —  Bell.  lud.  1,  29,  9  ad  hos 
usus;  ib.  30,3  in  hos  usus;  1,40,12  in  usus  suos.  —  Das 
Adjektiv  perfunctorius  kommt  wohl  auch  bei  anderen  späten 
Schriftstellern  vor,  doch  ist  für  unseren  Fall  besonders  charakte- 
ristisch das  Auftreten  des  Adjektivs  wie  des  Adverbs  in  Ver- 
bindung mit  einer  Negation:  BeU.  lud.  2,  9  non  perfunctoria 
bellorum  materia;  Ambr.  I  445,  17  non  -a  consideratio;  p.  501, 16 
non  -um;  11  544,  12  non  novum  nee  -um  hoc  malum  est,  ep.  37,33 
non  -a  opera;  non  perfunctorie:  BelL  lud.  1,  17,  2,  Ambr.  I 
253,  13.  318,  12.  342,  4.  577,  9.  II  12,  8,  de  exe.  fr.  H  33,  ep. 
19,10.  73,1;  haud  perfunctorie:  Bell.  lud.  1,37,5;  nee  p.  ib. 
1,  44,  8.  Beiläufig  erwähnt  sei  hier  noch  der  sowohl  bei  Heges. 
wie  bei  Ambros.  auffallend  oft  in  die  Erscheinung  tretende  Er- 
satz von  omnis  durch  universus,  bes.  im  Gen.  Plur.  univer- 
sorum.  Wir  haben  z.  B.  nur  aus  dem  V.  Buch  des  Bell.  lud. 
folgende  Stellen  hierfür  notiert:  p.  284,  12  W.  338,41.  343,27. 
348,  12.  361,  35.  368,46.  376,20  ac  prope  universorum  stragem 
fecisset,  und  aus  dem  I.  Bande  des  Ambrosius:  p.  89,  18.  163, 10. 
182,  16.  204,  13  tanto  non  paucorum,  sed  universorum  iudicio. 
205,4.  248,10.  358,22.  507,14  singulorum  —  universorum  etc. 
Weder  bei  Rönsch  noch  auch  bei  Georges  finde  ich  den  eigen- 
tümlichen Gebrauch   von  convenire  =  commonere,    admonere 


Die  Hegesippiis-Frage.  471 

erwähnt;  der  unseren  Schriftwerken  gemeinsam  ist.  Es  i8t  des- 
halb nötig;  eine  gröfsere  Anzahl  von  Stellen  hier  vorzuführen. 
Zuerst  aus  dem  Bell.  lud.:  1,41,3  conveniri  se  ac  perurgeri 
peremtorum  qnerellis,  ut  tarn  ätrox  flagitium  ulcisceretur; 
5,  15  fin.  at  ille,  qui  oratiöne  non  flectebat  indomitos,  scripturarum 
quoque  testimoniis  cbnveniehdos  arbitrabatür;  ib.  16  con- 
ventus  propheta  tantae  miseriae  deformitate;  4,  23,  3  at  ille 
dorus,  qui  nullius  affectu  conveniretur  (=  permoveretur); 
5, 12  Simon  suos  urgebat  terrore  et  formidine,  Titus  pudore 
Bui  quam  maxime  conveniebat;  5,  27  nam  usitati  operis  ad- 
hortatio  non  solum  conventis,  sed  etiam  convenientibus 
afifert  pudorem  —  Ambr.  de  virgin.  I  1  nüllo  affectu  (wie.  B. 
lud.  4,  23,  3,  s.  oben)  conventa  matemo;  de  ob.  Valent.  20  cum 
patemo  conveniretur  exemplo;  I  48,  3  eins  contemplatione 
conventus;  322,  2  suprema  voce  convenit  filium,  ut;  336,  8 
horum  commemoratione  conventus;  p.  567,4  postulabis  dila- 
tionem,  cum  coeperis  conveniri  in  tempore  praescriptae  solu- 
tionis. Unter  die  Wörter,  die  Hegesippus  nicht  mit  Ambrosius 
gemeinsam  haben  soll,  zählt  Bönsch  mit  Unrecht  incentivum 
S.  40  (vgl.  Ambr.  I  p.  131,  4  und  ep.  4,  8  i.  libidinis;  U  p.  420,  8 
und  de  virg.  I  18  i.  vitiorum;  de  oflF.  11  28  i.  misericordiae)  und 
S.  45  diloricare,  vgl.  Bell.  lud.  1,  25,  2  Antipater  scidit  vestem 
et . .  diloricato  amictu  =  Ambr.  de  exe.  fr.  1112  discisso 
amictu,  diloricata  veste. 

Daran  schliefsen  wir  die  Besprechung  einer  weiteren  Reihe 
ungewöhnlicher  Verbindungen,  als  da  sind:  iniurias  inrogare 
BeU.  lud.  in  2.  IV  7  —  Ambr.  ofF.  EI  6,  39  nulli  inrogatur 
iniuria;  ep.  6,  19.  —  dolorem  absorbuit  Bell.  lud.  5, 40  —  Ambr. 
de  exe.  fr.  I  c.  51.  II  211,  17.  —  Mit  BeU.  lud.  5,  44,  1  qui  tunc 
temporis  a  Romanis  per  id  locorum  publica  agitabat  negotia 
vergleiche  auch  Ambr.  de  exe.  fr.  I  47  forte  ad  id  locorum 
(=  Sali.  lug.  63,  6)  in  schismate  ecclesia  erat:  Lucifer  enim  se 
a  nostra  tunc  temporis  communione  diviserat.  —  Die  an  die 
Stelle  der  klassischen  Redensart  nullo  negotio  tretende  spätlatei- 
nische facili  negotio  treffen  wir  sowohl  im  Bell.  lud.  1,30,3. 
2,  18  als  Ambr.  ep.  19,  22.  —  Die  mir  sonst  aus  keinem  Schrift- 
werke bekannte  Verbindung  liquido  claret  steht  sowohl  B.  lud. 
I  1  fin.  als  Ambr.  II  288,  1,  und  zwar  beidemal  das  Verbum  in  der 
nämlichen  Form  clareat.  Desgleichen  dürfte  nur  bei  beiden  sich 
finden    die   Phrase    incerto    haeret,    nämlich   B.    lud.  1,16,3 


472  Gustav  Landgraf:  Die  Hegesippns-Frage. 

haesit  animi  dubio  sententiaeque  incerto,  ib.  130,9  rex  in- 
certo  haesit  —  Ambr.  de  ob.  Theod.  45  incerto  haeret  nt 
mulier. 

DaTs  auch  von  den  rhetorischen  Klangmittehi  der  Allitte- 
ration  und  des  Reimes  (Homoioteleuton)  in  den  beiderseitigen 
Werken  ausgiebiger  Gebrauch  wird,  beweist  fast  jede  Seite.  Von 
vielen  Beispielen  nur  ganz  wenige:  Bell.  lud.  5,  23,  9  miserabili 
quidem  sorte  sed  tolerabili  tarnen  —  Ambr.  exe.  fr.  I  c.  8  nox  tam 
mea  virtute  habilis,  quam  tua  patientia  tolerabilis,  ib.  c.  19  fin. 
quae  non  lacrimabili  dolore  percuteret  adfectum,  sed  memora- 
bili  gratia  commendaret  heredem.  —  Bell.  lud.  I  36,  2  huie  con> 
tinuo  honorem  contulit  et  mortem  intulit  (Paronomasie)  — 
Ambr.  exe.  fr.  I  37  iam  nuUa  mihi  verba  referentem,  iam  nulla 
offerentem  oscula.  —  Bell.  lud.  I  36  fin.  nihil  occultum 
nihilque  inultum  patiebatur  —  Ambr.  11  96,  20  sera  quidem 
ista  est,  sed  utinam  vera  confessio  (nach  Ovid.  Pont.  2, 6,  7 
Vera,  sed  sera).  Den  BeschluTs  mache  eine  schöne  Assonanz, 
die  in  gleicher  Form  sich  hüben  wie  drüben  findet:  BelL  lud. 
5,  2  m.  misericordia,  quae  sola  solet  ablevare  miserias, 
solari  aerumnas  —  Ambr.  de  exe.  fr.  I  c.  37  qui  solus  maeren- 
tem  solari  solebas.  Beachtenswert  ist  hierbei  noch,  dafs  das 
an  der  Hegesippusstelle  gebrauchte  Yerbimi  ablevare  =  ab- 
nehmen, erleichtem  nach  Rönsch  S.  81  zu  den  Wörtern  gehört, 
die  nur  bei  Hegesippus  und  Ambrosius  vorkommen;  er  citiert 
dafür  noch:  Bell.  lud.  11  4  vestimenta  ablevat  —  Ambr.  de  bono 
mort.  5,  16  ablevemus  animam  nostram;  de  faga  saec.  7,38 
ablevare  se  a  saeculo,  ablevare  a  corpore;  epist.  68,  3  ex.  und 
de  exe.  fr.  I  75  maestitiam  fratemae  mentis  ablevare  properabas; 
vgl.  de  vid.  I  36  dolorem  ablevat. 

Ich  meine,  die  im  Vorstehenden  gesammelten  Konkordanzen 
sprechen  für  sich  selbst  und  bestätigen  nur  aufs  neue  den  alten 
Ausspruch  Reifferscheids:  „Dafs  der  Verfasser  dieses  Auszuges 
aus  Josephus  Ambrosius  ist,  hätte  nie  bezweifelt  werden 
sollen",  zumal  „derselbe  durch  die  Autoriföt  der  ältesten  Hand- 
schriften*) als  solcher  beglaubigt  ist'^ 

München,  Weihnachten  1901.  Gnstav  Landgraf. 

♦)  Dagegen  Vogel,  Z.  f.  österr.  Gymn.  1883,  S.  244  ff.  Ders.  in  den 
Roman.  Forsch.  I  416  ff.    Die  Red. 


Zur  Geschichte  der  Pronomina  demonstrativa.  I Y. 

FortBetzong  von  S.  866  ff. 

In  den  letzten  Kapiteln  seines  Werkes  bespricht  Header 
S.  193  ff.  den  Ersatz  des  Pronomen  determinativum  is  durch  ille, 
idem,  ipse,  auch  hie,  und  die  yerschiedenen  Versuche,  mit  Hilfe 
der  Pronomina  einen  bestimmten  Artikel  zu  gewinnen,  den  die 
Lateiner  Jahrhimderte  lang  entbehrt  hatten.  —  Wie  das  klang- 
lose Pronomen  is  in  der  Poesie  immer  mehr  vermieden  wurde, 
war  schon  im  ersten  Kapitel  (vgl.  Arch.  XI  369  ff.)  gezeigt  wor- 
den, und  so  war  die  notwendige  Folge,  dafs  kräftigere  Formen 
an  die  Stelle  treten  mufsten. 

Die  interessantere  Erscheinung  in  der  Sprachgeschichte  sind 
übrigens  die  Ansätze  zur  Bildung  eines  bestimmten  Artikels. 
Wie  ille  siegreich  aus  dem  Kampfe  hervorgegangen  ist  (vgl.  ital. 
il  und  lo),  so  tritt  es  auch  zuerst  als  Bewerber  auf,  und  zwar, 
abgesehen  von  Plautus  Mil.  819  (Sorbet.  lUud  *stertit'  volui  di- 
cere),  schon  in  Ciceros  Übersetzung  der  Aratea.  Denn  wenn  er 
Nat.  deor.  2,  114  schreibt: 

fervidus  ille  Canis  stellarum  luce  refulget, 

so  entsprechen  in  dem  griechischen  Texte  nur  Kwög^  KaQxCvov^ 
KQibg,  TavQou),  welche  sogar  als  Eigennamen  des  bestimmten 
Artikels  entbehren,  sodafs  man  in  Ciceros  Ausdruck  ille  noch 
nicht  als  bestimmten  Artikel,  sondern  nur  als  abgeschwächtes 
Demonstrativ  bezeichnen  wird.  Auch  die  Stellung  ist  noch  nicht 
die  des  Artikels,  wie  auch  der  Typus  Medea  illa  =  i}  MrjdeLu 
zeigt.  Da  indessen  diese  Entwicklimg  allgemein  bekannt  ist,  so 
hält  sich  Meader  nicht  lange  dabei  auf.  Auch  Quintil.  1,4,11 
(conicit  est  ab  illo  iacit)  wird  gewöhnlich  hierher  gezogen,  ebenso 

8,  6,  32  laureati  postes  pro  illo  laurea  coronati,  wo  das  Pronomen 
die  Stelle  unseres  Gänseföfschens  vertritt.     Ja  vielleicht  ist  auch 

9,  3,  17  zu  lesen:  quäle  est  illud  ^amat  fieri'. 


474  Meader-Wölfflin: 

Auch  für  hie  =  Artikel  konnte  anf  Rönsch  (Itala  und  Vul- 
gata.  Semasiologische  Beiträge  zum  lateinischen  Wörterbuch  II, 
S.  17ff.)j  auf  Kaulens  Handbuch  der  Vulgata  u.  s.  w.  verwiesen 
werden.  Die  Grammatiker  liefsen  deklinieren:  hie  piscis,  huius 
piscis,  huic  pisci,  hune  piscem,  hoc  pisee,  hi  pisces,  horum  piscium, 
his  piscibus,  hos  piscis,  wodurch  sie  die  drei  gleichlautenden 
Kasusformen  piscis  unterschieden  und  besser  fuhren  als  mit  ille, 
dessen  Dativ  sing,  und  Nomin.  plur.  masc.  lautlich  zusammen- 
fielen. Schon  bei  Cicero  orator  73  ist  hoc  decere  =  tö  7tQh:cHv, 
der  Ausdruck  deeet;  bei  Persius  6,  39  sapere  nostrum  hoc  =  i^ 
i}li€rBQa  0oq>Laj  wie  schon  der  alte  Scholiast  bemerkte. 

Für  seine  Beweisführung  geht  Verf.,  wie  wir  bereits  früher 
gesehen  haben,  am  liebsten  von  den  lateinischen  Übersetzungen 
griechischer  Schriften  aus,  und  da  war  es  denn  leicht,  an  der 
Stelle  des  griechischen  6  xoö^og  ein  lateinisches  hie  mundus,  hoc 
saeculum  u.  ä.  nachzuweisen,  wie  es  in  der  lateinischen  Patristik 
an  zahllosen  Stellen  wiederkehrt.  Ein  dringendes  Bedürfnis 
wurde  der  bestimmte  Artikel  für  die  Behandlung  der  indeklinabeln 
Eigennamen,  wie  lacob,  Isac,  Abraam,  deren  Kasusformen  am 
besten  durch  hie  bezeichnet  wurden,  z.  B.  huic  lacob.  Und  so 
bürgerte  sich  hie  auch  in  anderen  Redewendungen  als  Über- 
setzimig  des  griechischen  Artikels  ein,  z.  B.  in:  ex  hoc  nunc  =  axb 
Tov  vvv.  Wo  wir  mehrere  lateinische  Übersetzungen  besitzen, 
gehen  dieselben  natürlich  oft  auseinander,  und  es  ist  von  Interesse, 
den  sprachliehen  Standpunkt  der  einzelnen  Übersetzer  zu  beob- 
achten. Und  da  nun  iste  durch  seine  Ablösung  von  der  zweiten 
Person  schon  frühe  der  Konkurrent  von  hie  geworden  ist  (vgl. 
oben  S.  355  ff.),  so  konnte  es  auch  Ansprüche  auf  die  Artikel- 
bezeichnung erheben,  wie  es  die  verschiedenen  Übersetzungen  des 
Pastor  Hermae  bestätigen,  z.  B.  Vis.  3,  3,  1  rä  XQayyLata]  versio 
Palatina  res  istae,  Vulg.  hae  res.  Vgl.  Ignat.  epist.  ad  Tars.  ex 
Philippis  1  Töv  Sblv&v]  iniquorum  istorum,  wobei  man  die  Stel- 
lung beachte. 

Wenn  auch  idem  als  bestimmter  Artikel  verwendet  wird,  so 
ist  dies  natürlich  nur  ein  neuer  Beweis  seiner  abgeschwächten 
Bedeutung;  e^  liefert  denselben  die  versio  Palatina  desPast.  Herm. 
simil.  5,  6,  5  tö  TtvBv^a  .  . .  rc5  ;ri/£v/x«Tt]  Palat.  eidem  spiritui 
. .  .  eundem  spiritum;  Vulg.  ei  (edit.  princ.  illi)  spiritui  .  . .  spiri- 
tum  illum. 

Die  Grenzen    von   ipse    als    bestimmter  Artikel,    bezw.    das 


Zar  Geschichte  der  Pronomina  demonstrativa.  IV.        475 

ZuBammenstofsen  mit  ille  sind  nach  Meyer-Lübke,  Gramm,  der 
roman.  Sprachen  11 129  f.  noch  nicht  festgestellt;  sicher  findet  es 
sich  auf  Sardinien.  Verf.  vergleicht  wieder  die  beiden  Über- 
setzungen des  Pastor  Hermae,  findet  jedoch^  dafs  der  Gebrauch 
yielfach  schwankt.  In  beiden  Versionen  findet  sich  ipse  als  be- 
stimmter Artikel: 

Palat.  Vulg. 

Sim.  8, 1,  18  6  &yyeXog  nuntius  ipse  nuncius  ipse 

9^  2,  1  ix  rot)  fieilov      de  ipso  campo         de  ipso  c. 
9,  6, 1  xov  jcvQyov  ipsam  turrem  ipsani  turrim. 

Der  Gebrauch  findet  sich  blofs  in  der  Palatina: 

Vis.     3,  2,  5  6  xvgyog  ipsa  turris  turris 

Sim.    5^  6y  3  tov  deöJtörov  ipsius  pater  fami-     illius  p. 

liae 

1,  8,  18  6  xoifii^v  ipse  pastor  pastor  ille 

9;  2,  2  VI  dh  JtvXri  porta  ipsa  porta  illa 

9, 2, 3  rflg  ycvlrjg  portam  ipsam  eam  portam 

9,  1^  4  TOV  ^Qovg  montis  ipsius  eins  (montis) 

9,  3, 1  tfig  Tcvkrjg  portam  ipsam  fehlt. 

Der  Gebrauch  fiudet  sich  blofs  in  der  Vulgata: 

Sim.  9, 4,  G     t&v  avÖQiov  virorum  ipsis  viris. 

Besonders  in  Sim.  8,  1,  18  zeigt  sich,  wie  frei  die  beiden 
Übersetzer  in  dem  Gebrauche  der  Pronomina  und  wie  inkonse- 
quent sie  sind. 

Augustin  gebraucht  in  seinen  Predigten  ipsum  vor  folgendem 
Infinitiv  oft,  um  das  griechische  rö  auszudrücken:  z.  B.  ipsum 
vivere,  ipsum  concupiscere.  Vgl.  Arch.  III  74.  Aus  profaner 
Litteratur  vergleiche  man  den  Satz  des  Gh-ammatikers  Pompeius, 
p.  133,  27  K.:  'Tityre  maxime'  duo  sunt  dactyli,  ecce  nihil  super- 
est;  sed  ipsi  pedes  finiunt  ipsam  elocutionem. 

Da  nun  Meyer-Lübke  ipse  als  Artikel  auch  auf  den  Balearen 
und  am  Fulse  der  Pvrenäen  findet,  so  kommt  ihm  Verf.  mit  dem 
Itinerarium  Burdigaleuse  und  der  Peregrinatio  der  sog.  Silvia 
aus  Aquitanien  zu  Hilfe.  Vgl.  Itinera  Hierosolymitana,  ed. 
P.  Geyer,  1898,  im  39.  Bande  des  Corp.  scr.  eccles.  latin.  — 
Ein  Abschnitt  'Summary  and  Conclusion'  schliefst  das  Ganze 
ab.  Der  Verf.  protestiert  gegen  die  Ausdrücke  'Barbarismus'  und 
'Verwilderung',  als  ob  alle  Pronomina  ineinandergeflossen  wären. 


476  Meader-Wölfflin: 

vielmehr  zeigt  er  uns  die  verschiedenen  Stufen  der  Bedeutungs- 
entwickelung,  ohne  indessen  erklären  zu  wollen,  wie  diese  zu- 
stande gekommen  ist;  er  will  also  mehr  Lexikograph  sein  als 
Semasiologe,  und  mit  dieser  Erklärung  wird  die  Bezeichnung  des 
Titelblattes  ^a  semasiological  study'  einigermafsen  eingeschränkt. 
Aber  seine  historische  Auffassung  führt  ihn  doch  darauf^  nach 
dem  Vorgange  von  Diez  und  Meyer-Lübke  die  romanischen  For- 
men mit  den  lateinischen  zu  vergleichen.  Denn  wenn  ille  zum 
bestimmten  Artikel  herabsank^  was  sagen  dann  die  Franzosen 
oder  Italiener  für  ixstvog*^  Die  Sprache  hat  sich  mit  Zusammen- 
setzungen geholfen,  wie  ecce  illum  =  ital.  quello;  ecce  ille  =  franz. 
cel,  woraus  weiter  celui-ci  und  celui-lä.  geworden  sind.  Und 
wenn  idem  seine  Bedeutung  von  *der  nämliche'  verlor,  so  mufste 
ein  neuer  Ausdruck  an  die  Stelle  treten:  das  italienische  stosso 
=  istum  ipsum;  das  französische  meme  =  met  ipsimus,  was  selbst 
wieder  eine  verkürzte  Superlativbildung  =  ipsissimus  ist.  So  geht 
es  weiter,  und  an  der  Stelle  von  hie  finden  wir  das  italienische 
questo  =  eccum  istum.  Dem  Romanisten  sind  diese  Dinge  ge- 
läufig, weniger  dem  Latinisten,  sodafs  eine  kurze  Hinweisung 
nichts  schaden  dürfte.  Denn  unser  Denken  hat  sich  noch  lange 
nicht  daran  gewöhnt,  bei  jeder  Veränderung  oder  Verschiebung 
die  Konsequenzen  im  sprachlichen  Haushalte  zu  vergegenwärtigen. 
Die  Bilanz  mufs  immer  stimmen,  und  alles  Geld,  welches  aus- 
gegeben wird,  mufs  durch  Neuprägungen  ersetzt  werden.  Bei- 
spielsweise lehrt  man  uns,  dafs  soliculus,  apicula,  auricilla  ihre 
Deminutivbedeutung  verloren  und  zu  *  Sonne,  Biene,  Ohr'  herab- 
sanken. Nur  darf  man  dabei  nicht  stehen  bleiben;  man  sollte 
immer  sofort  fragen:  wie  bezeichnet  nun  der  Romane  die  Demi- 
nution, wenn  er  von  dem  Adjektiv  'klein'  absehen  will?  Dann 
würde  man  finden,  dafs  eine  Reihe  von  Suffixen,  wie  -inus,  demi- 
nutive Bedeutung  angenommen  haben,  welche  sie  ursprünglich 
nicht  hatten.  Vgl.  ital.  villino  =  kleine  Villa.  Das  ist  der  Aus- 
gleich der  Sprache,  welche,  was  sie  wegnimmt,  nie  zu  ersetzen 
vergifst;  das  ist  die  Sprachgeschichte,  welche  ohne  Verbindung 
von  Latinistik   und  Romanistik   ein  Ding  der  Unmöglichkeit  ist. 

Zum  Schlüsse  verdeutlicht  der  Verfasser,  um  den  Ausdruck 
'Verwilderung'  abzuwehren,  seine  eigene  Auffassungsweise  an 
einem  Satze  von  Tertullian  de  spect.  21,  in  welchem  idem  und 
ipse  in  gleichem  Sinne  wechseln. 

Auf  S.  21  rt — 220  erhalten  wir  eine  Liste  der  von  dem  Verf. 


Zur  Geschichte  der  Pronomina  dcmonstrativa.  IV.        477 

gelesenen  (excerpierten)  Autoren^  beziehungsweise  der  gelesenen 
Teile  (Bücher).  Selbstyerständlich  kann  sie  nicht  vollständig 
sein,  aber  sie  genügt  vollkommen,  um  einen  historischen  Über- 
blick zu  gewinnen.  Für  die  Schrift  De  viris  illustribus  wäre 
nicht  die  Ausgabe  von  Tauchnitz,  sondern  besser  die  von  J.  R. 
Wijga  (Groningen  1890)  zu  benützen.  Kein  Leser  aber  wird 
ohne  Belehrung  von  dem  Buche  scheiden,  welches  in  München 
entstanden  und  halbvollendet,  in  Amerika  ausgearbeitet  und  ver- 
öffentlicht worden  ist.  Zu  beziehen  ist  es  auch  durch  die  Buch- 
handlung Macmillan  Comp,  in  London. 

München.  Ed.  WSlfflin. 


Orieula. 

Diese  in  der  Appendix  Probi  und  von  G^eorges,  Wortform.  Col.  83, 
erwähnte  Orthographie  läfst  sich  auch  mit  Donat.  Eun.  539  belegen: 
'in  hoc  proloquio  insinuatio  eius  personae  est,  cui  narraturus  est 
Chaerea,  quae  a  se  post  scaenam  gesta  sunt.  Fit  autem  hoc  populi 
causa,  ut  spectator  +oculis  aspiciat,  quod  subicere  oculis  poeta  non 
potuit*.  Für  das  offenbar  verderbte  oculis  aspiciat  schrieb  die  Editio 
princeps  auribus  accipiat,  dem  Sinne  nach  gewifs  richtig.  Nur 
ftlhrt  die  Überlieferung,  worauf  mich  Fr.  SchÖll  freundlichst  aufmerk- 
sam machte,  auf  oriculis  accipiat,  wodurch  sich  ein  Wortspiel  mit 
oculis  ergiebt,  dem  zuliebe  vielleicht  die  vulgäre  Form  gewählt 
wurde.     Vgl.  Heraeus,  Sprache  des  Petron.  S.  7,  Amn.  2. 

Bremerhaven.  P.  W essner. 


Amusus. 

Während  ich  kürzlich  (oben  S.  284)  einige  Beispiele  dafür  zu- 
sammengestellt habe,  wie  die  italienischen  Gelehrten-  des  15.  Jahr- 
hunderts den  Donattext  um  neue  Wörter  bereicherten,  möchte  ich 
heute  auf  einen  Fall  hinweisen,  wo  sie  mit  ihren  wüsten  Korrekturen 
einen  hübschen  Beleg  beseitigt  haben.  Schlagen  wir  die  letzte  Donat- 
ausgabe von  Klotz  zu  Eun.  III  3,  31  auf,  so  lesen  wir:  Vide  non  esse 
otiosum,  quod  omnia  praetenta  (praetemptata  richtig  Bentlej)  sunt 
potius,  quam  res  importuna  iieret,  ut  ad  militis  domum  Ghremes  de- 
duceretur.  neque  enim  hoc  conveniebat  personae  Bacchiali:  quoniam 
aut  infacetum  et  praeter  usum  aut  importunum,  ideo  hoc  ipsiim 
Doriae   praecepit.     Das  ist  der  Text  der  interpolierten  Handschriften; 

Archiv  für  Ut.  Lexikogr.    XII.    Heft  4.  '62 


478  P.  WeBsner  —  Ed.  Wölfflin:  Miscellen. 

die  beiden  zuverlässigen,  auf  den  verlorenen  Mainzer  Codex  zurück- 
gehenden haben  für  den  zweiten  Teil  des  Scholions  Folgendes:  neque 
enim  conveniebat  personae  bacchiali  auidam  usum  aut  infacetum  aut 
akayron.  Die  Verbesserung  der  Komiptel,  die  fast  nur  in  falscher 
Wortabteilung  besteht,  ist  leicht:  neque  enim  conveniebat  personae 
Bacchi  aliquid  amusum  aut  infacetum  aut  ütmciqov.  Mit  den  drei 
Ausdrücken  wird  Chremes  charakterisiert,  den  die  Dienerin  Pythias 
auf  jede  Weise  abhalten  wollte,  das  festliche  Gelage  des  Thraso  und 
der  Thais  zu  stören;  der  junge  Mann  war  ja  amusus,  roh  und  un- 
gebildet. 

Bremerhaven.  P.  Wessner. 


Os  umerosque  deo  similis. 

Dieser  bekannte  Halbvers  des  Vergil  Aen.  1,  589  steht  bei 
Dräger,  bist.  Synt.  I*  370  unter  den  *Adjektiva  mit  dem  Akkus,  der 
Richtung'  eingereiht,  womit  die  Entstehung  der  dichterischen  Kon- 
struktion nicht  erklärt  ist.  Da  man  nicht  gesagt  hat  doctrinam  oder 
ingenium  alicui  similis,  so  ist  zu  betonen,  dafs  der  Akkusativ  einen 
Körperteil  betrifft,  wodurch  wir  an  indutus,  exutus  bracchia  erinnert 
werden.  Wie  man  aber  von  nudatus  bracchia  zu  nudus  br.  Tac. 
Germ.  17  gekommen  ist,  ebenso  mufs  man  in  similis  die  Kraft  von 
assiniilatus  suchen,  und  Venus  hatte  den  Aeneas  einem  Gotte  ähnlich 
gemacht,  indem  sie  ihm  gleichsam  eine  Göttermaske  anzog  und 
Schulterstücke  anlegte.  Vgl.  Verg.  Aen.  4,  558  omnia  Mercurio  simi- 
lis ..  .  crines  flavos  et  membra  decora  iuventa«.  So  ist  denn  auch 
Ovids  nuda  pedem  Met.  7,  182  hev orgegangen  aus  nudatus,  und  die 
von  Dräger  genannten  Adjektiva  sind  eben  nur  Variationen  der  Par- 
tie, perf.  pass.  der  Verba  induendi  und  exuendi.  Insofern  deren  Kon- 
struktion im  Lateinischen  mit  dem  Griechischen  zusammenhängt,  be- 
merkt Servius  zu  os  umerosque  deo  similis  richtig:  est  graeca  figura, 
ut  diximus  supra,  nämlich  zu  Aen.  1,  320  nuda  genu]  est  graeca 
figura. 

Eine  andere  Freiheit,  welche  Dräger  nicht  erklärt,  gestattet  sich 
Tacitus  Annal.  6,  9  clari  genus.  Sie  entstammt  der  poetischen  Sprache. 
Verg.  8,  114  qui  genus V  unde  domo?  12,  25  nee  genus  indecores. 
Ovid  fast.  4,  66  Graecus  uterque  genus.  Prop.  1,  22,  1  unde  genus? 
Val.  Flacc.  2,  317.  Sil.  Ital.  14,  288,  wozu  griechische  Parallelen  an- 
zuführen überflüssig  ist.  Die  lateinische  Prosa  verlangte  den  Ablativ. 
Livius  22,  52,  7  cl.  genere.  Tac.  Agr.  29  genere  praestans. 

München.  Ed.  Wölfflin. 


Studien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Römern. 

I.  Allgemeines.*) 

hordea]  nsurpative  metri  causa  dixit. 
Servius  zu  Vergil  Ecl.  5,  36. 

Aurea  mella  —  in  tua  colla  —  curribus  exit  —  ad  limina 
templi  —  silentia  rumpe  —  dieser  Gebrauch  des  Plurals  ist  eine 
charakteristische,  vielleicht  (wenn  wir  von  der  Wortstellung  ab- 
sehen) sogar  die  am  meisten  charakteristische  syntaktische  Eigen- 
tümlichkeit der  lateinischen  Dichtersprache.  Und  da  die  Haupt- 
eigenschaft dieses  Gebrauches  seine  Beschränkung  auf  die 
Dichtersprache  ist,  so  dürfte  wohl  auch  die  Benennung  „poeti- 
scher Plural"  den  übrigen  vorzuziehen  sein.  Nur  möge  jenes 
vage  ästhetische  Urteil,  das  man  gewöhnlich  mit  dem  Wort 
„poetisch"  verbindet,  hier  fürs  erste  völlig  aus  dem  Spiel  bleiben.  — 

Was  ist  ein  poetischer  Plural?    Wir  müssen  unser  Thema 


*)  Litterator:  J.  K.  Köne,  über  die  Sprache  der  römischen  Epiker, 
Münster  1840,  S.  58f.  —  C.  G.  Jacob,  Commentatio  de  usu  numeri 
ploralis  apud  poetas  latinos,  Naumburg  1841  (=  Jahns  Archiv  für  Philo- 
logie Vin,  1842,  p.  165 ff.).  —  Ph.  Spitta,  Quaestiones  Vergilianae,  Sonders- 
hausen 1867.  —  F.  Sa  SS,  De  numero  plurali,  Kiel  1873  (mir  nicht  erhält- 
lich; doch  genügen  mir  die  Citate  bei  E.  Juhl  de  num.  plur.  usu  Homerico  und 
sein  Urteil:  „Sassius,  qui  Spittae  librum  examinavit  neque  tamen  supera- 
vit").  —  F.  C.  Hultgren,  Die  Technik  der  röm.  Dichter  im  ep.  und  eleg. 
Versmafs,  Neue  Jahrbücher  f.  Philol.  u.  Pädag.  Bd.  107  (1873;,  S.  759  ff.  — 
A.  Dr&ger,  Historische  Syntax  der  lateinischen  Sprache  I*,  Leipzig  1878, 
§  6.  —  R.  Kühner,  Ausführliche  Grammatik  der  lateinischen  Sprache  U, 
Hannover  1878,  §  23.  —  E.  Seyfs,  Über  den  Plural  der  Substantiva  abs- 
tracta  in  Vergils  Aeneis,  Iglau  1882.  —  E.  Appel,  De  genere  neutro 
intereunte  in  lingua  latina.  Erlangen  1883,  p.  16—26.  —  0.  Keller, 
Grammatische  Aufsätze,  Leipzig  1895,  S.  189—218:  „Pluralis  poeticus".  — 
F.  Neue,  Lateinische  Formenlehre  I  dritte  Aufl.  bearbeitet  von  C.  Wage- 
ner, Leipzig  1902,  §  103  f. 

Für  verschiedene  Litteratumachweise  und  mannigfache  Förderung 
möchte  ich  meinen  verehrten  Lehrern,  den  Herren  Prof.  W.  v.  Christ  und 
E.  V.  Wölfflin,  auch  an  dieser  Stelle  meinen  herzlichsten  Dank  aus- 
sprechen. 

32* 


480  Vau!  Maas: 

scharf  umgrenzen  und  legen  deshalb,  freilich  etwas  proleptisch, 
jene  wesentlichste  Eigenschaft  der  Erscheinung  auch  der  Defini- 
tion zu  Grunde:  „poetisch"  ist  ein  Plural  in  der  Dichtersprache 
dann,  wenn  die  Prosa  in  demselben  Fall  den  Singular  gefordert 
hätte  —  notabene:  die  von  der  Poesie  unbeeinflufste  Prosa. 
Danach  sind  die  zu  Beginn  erwähnten  und  alle  denselben  gleich- 
artigen Plurale  „poetisch".  Aber  zwei  andere  bisher  diesen  gleich- 
geordnete Erscheinungen  fallen  bei  unserer  Definition  aus. 

Einmal  die  Fälle,  die  einen  Vergleich  mit  dem  prosaischen 
Gebrauch  ausschliefsen;  also  z.  B.  der  Plural  in  poetischen  Wör- 
tern wie  oblivia  contagia  (vgl.  Neue  P  S.  644)  ieiunia  latices 
lymphae;  in  poetischen  Metaphern  wie  templa  caeli  (vgl.  Varro 
L.  lat.  6,  11),  marmora  pelagi;  und  wohl  auch  jener  kühne,  den 
Griechen  nachgeahmte  Gebrauch  des  Plurals  in  Appositionen, 
wie  Minotaurus  inest,  Veneris  monimenta  nefandae  Verg.  Aen. 
6,  26,  oder  clipeum,  Didymaonis  artes  Verg.  Aen.  5,  359  (vgl- 
Kühner  §  23,  3).  —  Es  könnte  möglich  scheinen,  auch  diese 
nah  verwandte,  nur  etwas  komplicierte  Erscheinung  hier  einzube- 
greifen,  wenn  man  nicht  den  durch  den  Sprachgebrauch,  son- 
dern den  durch  die  Logik  erforderten  Numerus  als  Norm  setzte. 
Einer  solchen  Definition,  obwohl  ich  sie  noch  nirgends  ausge- 
sprochen gefunden  habe,  folgt  offenbar  0.  Keller,  wenn  er  bei  der 
Behandlung  des  pluralis  poeticus  mit  dem  „naiven  Sprachgefühl" 
im  Gegensatz  zu  dem  „Unlogischen"  der  poetischen  Licenz  operiert 
(S.  199,  204,  207  etc.).  Gesetzt  nun,  wir  könnten  wirklich  für 
Fälle  wie  clipeum,  Didymaonis  artes  den  Numerus  des  Begriffes 
finden;  dann  müfsten  wir  aber  jedenfalls  bei  zwei  der  wichtigsten 
Wortklassen  auf  eine  solche  Feststellung  und  damit  auf  ihre 
Einreihung  von  vornherein  verzichten:  bei  den  Begriffen  der 
Masse  wie  farra,  cineres,  arenae  etc.,  und  bei  den  Abstrakten  wie 
taedia,  silentia,  amores  etc.;  denn  diese  stehen  als  Begriffe  ge- 
wissemiafsen  aufserhalb  des  Numerus  und  gewinnen  einen  solchen, 
wenn  überhaupt,  erst  durch  den  sprachlichen  Ausdruck.  Aber 
auch  l)ei  andern  Wortklassen:  was  ist  „logischer'^,  cervices  (in 
der  klassischen  Latinität)  oder  cervix  (in  der  silbernen)?  litte- 
rae  (der  Brief)  oder  la  lettre?  got.  brusts  oder  unser  Brust?  Da 
wird  doch  stets  der  Sprachgebrauch  entscheiden,  und  die  Wechsel- 
beziehungen zwischen  Begriff  und  Ausdruck  sind  so  schwankend, 
maimigfaltig  und  dunkel,  dafs  es  geraten  scheint,  sich  filr  einst- 
weilen womöglich  nur  an  das  Reale  zu  halten.  — 


Studien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Römern.  481 

Aufser  jenen  verhältnismäfsig  seltenen  Fällen  müssen  wir 
aber  noch  eine  sehr  verbreitete  Eigentümlichkeit  im  Gebrauche 
des  Plurals  von  dem  „poetischen'^  trennen,  weil  dieselbe  auch  der 
Umgangssprache  und  zwar  schon  der  ältesten  eigen  ist:  den  so- 
genannten „generellen"  Plural  bei  Personennamen,  Verwandt- 
schafts- und  Gattimgsbezeichnungen  (vgl.  Dräger  P  §  6).  Kühner 
n  §  23,  7  und  8  ordnet  ihn  dem  „dichterischen"  Gebrauch  des 
Plurals  zu  und  beginnt  mit  Belegen  aus  —  Plautus  imd  Terenz; 
z.  B.  quos  tu  mihi  luscos  libertos,  quos  Summanos  somnias? 
(Cure.  546),  obwohl  doch  nur  der  eine  luscus  libertus  Sum- 
manus gemeint  sei;  es  folgen  dann  zwischen  den  Belegen  aus 
den  Epikern  noch  vereinzelte  aus  Cicero  und  Nepos.  Es  wird 
sich  zeigen,  dafs  dieser  Gebrauch  des  Plurals  deun  auch  wirklich 
mit  dem  „poetischen"  nicht  das  geringste  gemein  hat. 

Nach  diesen  Ausscheidungen  haben  wir  eine  einheitliche 
Masse  von  Material  zur  Behandlung  vor  uns  und  können  so  an 
die  Frage  herantreten,  was  diese  merkwürdige  Vertauschung  der 
Numeri,  wie  sie  die  zu  Beginn  gegebenen  Proben  veranschau- 
lichen, denn  eigentlich  bedeute. 

Pluralis  maiestaticus!  —  leuchtet  uns  aus  den  Hand- 
büchern entgegen.  Dieser  stolze,  leider  einer  ganz  barbarischen 
Latinität  entsprungene  Name  ist  kein  der  lateinischen  Syntax 
eigenes  Gut;  er  ist  vielmehr  der  hebräischen  entlehnt.  Um 
den  Plural  der  Gottesbezeichnungen  *®16him,  'adonim,  qMosim 
und  'osim  zu  erklären,  griffen  die  rabbinischen  Bibelkommen- 
tatoren (z.  B.  Abraham  ihn  Esra  zu  Gen.  1,  1,  Raschi  und 
David  Kimchi  zu  Josua  24,  19)  zu  Bezeichnungen  wie  lason 
(lingua)  kabod  (honoris),  lasön  tiph'ereth  (maiestatis)  oder  sem 
(nomen)  s^rara  (excellentiae).  Reuchlin  in  seinen  Institutiones 
grammaticae  (zu  'adönim)  gab  es  dann  lateinisch:  „dicunt  Hebraei 
hoc  fieri  propter  divinae  maiestatis  reverentiam."  Heutzutage 
denkt  man  bei  dieser  Benennung  wohl  mehr  an  das  bei  den  Er- 
lassen von  Fürstlichkeiten  übliche  „Wir  .  .  .".  Da  es  nun  auf  den 
ersten  Blick  nicht  recht  klar  scheint,  was  diese  Dinge  mit  dem 
poetischen  Gebrauch  von  mella  und  colla  zu  thun  haben,  so 
müssen  wir  schon  näher  zusehen,  was  unter  dem  pluralis  maie- 
staticus in  der  lateinischen  Grammatik  zu  verstehen  sei.  „Nicht 
allein  in  den  Fällen,  in  welchem  die  Prosaiker  die  Pluralform 
gebrauchen,  bedienen  sich  die  Dichter  derselben,  sondern  sie  wenden 
auch  den  Plural  an,  um  den  Ausdruck  zu  amplifizieren,  d.  h.  das 


482  Paul  Maas: 

Grofse,  Erhabene,  Feierliche  und  Aufserordentliche  oder 
auch  die  Ausbreitung  der  Gegenstände  darzustellen  (Pluralis 
majestaticus)/^     Kühner  U  §  23,  1. 

Also  der  Plural  mit  der  Kraft  eines  Epitheton  ornans. 
Diese  Erklärungs weise  war  zuerst  systematisch  angewendet 
worden  von  C.  6.  Jacob,  der  das  dritte  Kapitel  seiner  com- 
mentatio  über  den  poetischen  Plural  betitelt:  de  ploralibus 
magnitudinis,  grayitatis,  praestantiae  et  pulchritudinis.  Die  aus- 
führlichste Behandlung  einzelner  Stellen  fand  ich  jedoch  bei 
Ph.  Spitta;  hier  ist  die  Theorie  am  unzweideutigsten  ausgesprochen, 
die  Praxis  mit  erschreckender  Konsequenz  durchgeführt:  „Quid 
vero?  si  apud  Vergilium  saepissime  numero  plurativo  posito  ad- 
iectiyum  significetur,  quod  notioni  distinctius  iudicandae  atque 
extollendae  inserviat?  Quid  si  portüs  idem  fere  sint  ac  tutus 
portus,  volnera  ad  yolnus  letale  quam  maxime  accedant,  ora 
saepe  ab  ore  lato  et  rustico  haud  multum  discrepant?  Si  in 
enuntiato  quod  est  coelestia  corpora  (Vergil  Aen.  11,  276;  das  ist 
übrigens  ein  genereller  Plural)  non  ex  coelesti  solum  adiectivo, 
sed  ex  plurali  quoque  notio  originis  divinae  intelligenda  sit?" 
(p.  4).  Ja,  das  wäre  schön!  Aber  ist  es  denn  der  Fall?  Hier  ein 
paar  Proben: 

Aen.  8,  366  . .  .  angusti  supter  fastigia  tecti. 
„Quod  pluralem  invenimus,  quamquam  de  angusto  tecto  agi- 
tur,    id   inde   explicandum   est,    quod    vocabulum    fastigii  per   se 
ipsum  gradationem  quandam  continet."  p.  8. 
Georg.  4,  467  .  . .  alta  ostia  Ditis. 

„Hie  latitudo  spectatur,  id  quod  haud  parvum  facit  ad 
augendum  horrorem.''  p.  10. 

Aen.  6,  26  Minotaurus   inest,  Veneris  monimenta  nefandae. 
„Solo  plurali  indicatur,  Minotaurum  monstrum  fuisse  horri- 
bile."  p.  11.  - 

Unter  den  einzelnen  dem  poetischen  Plural  unterworfenen 
Wortklassen  fanden  eine  besondere  Behandlung  die  Begriffe  der 
Masse.  Neue  schreibt  den  dichterischen  Pluralformen  derselben, 
soweit  sie  sich  der  Deutung  auf  verschiedene  Teile  oder  Arten 
der  betreffenden  Masse  entziehen,  den  Ausdruck  „reicherer  Fülle" 
zu  (S.  GOO).  Freilich  wird  bei  der  vollständigen  Aufzählung 
aller  hierher  gehörigen  Fälle  (§  103  f.)  für  diese  Bedeutung 
kein  einziger  Beleg  gegeben,  sodafs  man  schliefsen  mufs,  Neue 
meine    damit    diejenigen    Plurale,    bei    denen    er   selbst   auf  die 


Studien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Römern.         483 

andern  beiden  Deutungen  entweder  ausdrücklich  verzichtet  (z.  B. 
zu  Tina  S.  600^  musta  S.  601  ^  papavera  S.  614,  tura  S.  616^  lanae 
S.  622)  oder  keine  solche  verzeichnet  (z.  B.  zu  cruores  S.  603, 
spumae  S.  604,  harenae  S.  616,  cineres  S.  628).  Die  erste  dieser 
Stellen  wäre  (S.  600  zu  vina)  Lucret.  2,  391  f. 

Et  quam  vis  subito  per  colum  vina  videmus 

Perfluere,  at  contra  tardum  cunctatur  olivum  .  . . 
Also   mehr  Wein   als  Ol;   da   wird   das   Phänomen   noch    inter- 
essanter. —  VgL  Rothstein  zu  Properz  1,  14,  2. 

Zum  Schlufs  noch  eine  Blüte  aus  der  phantasievollen  Be- 
handlung der  Abstrakta  bei  Seyfs: 

Aen.  4,  646  f.  ensemque  recludit 

Dardanium,  non  hos  quaesitum  munus  in  usus. 

„Diente  an  der  oben  citierten  Stelle  (v.  642)  der  Plural  coeptis 
zur  Hervorhebung  des  Entsetzlichen,  das  in  Didos  Beginnen 
lag,  so  wird  durch  den  Plural  usus  die  Vorstellung  des  Abnor- 
men, das  in  der  von  Dido  beabsichtigten  Anwendung  des 
Schwertes  liegt,  urgiert." 

Abnorm  imd  entsetzlich!  —  Das  ist  der  pluralis  maiestaticus. 

Wenn  man  mm  sieht,  dafs  eine  derartige  Deutung  in  so 
vielen  Fällen  zum  Absurden  führt,  in  keinem  einzigen  aber  durch 
den  Zusammenhang  erfordert  wird,  so  muTs  sich  auch  ohne 
jeden  Hinweis  auf  die  grammatische  Ungeheuerlichkeit  dieser  Er- 
klämngsweise  der  Schlufs  ergeben,  dafs  ein  pluralis  maiestaticus 
in  der  lateinischen  Dichtersprache  nicht  existiert. 

Man  hat  es  aber  auch  gar  nicht  versucht,  alle  der  Dichter- 
sprache eigentümlichen  Plurale  so  zu  erklären;  eine  grofse  An- 
zahl davon  wurde  mit  Bezug  auf  die  einzelnen  Teile  des 
Begriffes  gerechtfertigt.  Freilich  finden  sich  bei  Kühner  und  an- 
deren diese  Deutungen  von  den  bisher  behandelten  nicht  getrennt; 
aber  die  Verschiedenheit  leuchtet  doch  ein  und  —  divide  et 
impera. 

Diese  zweite  Erklärungsweise  ging  wohl  von  den  Begriffen 
der  Masse  aus,  bei  denen  ja  die  Teile  unter  sich  und  mit  dem 
Ganzen  gleichartig  sind.  Es  ist  bekannt,  dafs  dieselben  im  Latei- 
nischen wie  in  den  meisten  andern  Sprachen  als  singularia  tan- 
tum  auftreten;  sie  stehen  aber  im  Plural,  wenn  verschiedene 
Arten  ausgedrückt  werden  sollen  (vinum,  vina  —  Wein,  Weine), 
oder  wemi  der  Name  des  Stoffes  auf  einen  Gegenstand  übertragen 
wird,   der   aus   diesem    Stoffe    besteht   (cerae  Wachstafeln,   aera 


484  Paul  Maas: 

Geldmünzen  —  Glas,  Gläser);  vgl.  Meyer-Lübke,  Gramm,  d.  roman. 
Sprachen  III  S.  32.  Nun  liat  besonders  Neue  §  103  und  nach  ihm 
Kühner  II  §  21  die  Auffassung  durchgeführt,  der  Plural  könne 
auch  die  einzelnen  Teile  eines  Stoffes  bezeichnen  (§  103).  So 
bedeutet  rores  (S.  006)  „Tautropfen",  farra  und  ordea  (S.  608) 
„Körner'',  papavera  (S.  614)  „Mohnköpfe'',  mella  (S.  615)  „Honig- 
klumpen, Honigmassen",  sales  (S.  616)  „Salzkömer",  aera  (S.  619) 
„Erzstücke",  electra  (S.  620)  „Bemsteintropfen",  marmora  „Mar- 
morblöcke", cerae  „Stücke  Wachs",  sulpura  (S.  621)  „Schwefel- 
stücke", sucina  „Bemsteinstücke",  pices  „Pechklumpen**,  lanae 
„Wollflocken",  cames  (S.  622)  „Fleischstücke,  Fleischteile"  etc. 
Freilich  meint  Neue  damit  keine  dichterische  Licenz  zu  erklären; 
er  hat  übersehen,  dafs  yon  all  den  Fällen,  wo  er  diese  Erklärung 
anwendet,  der  voraugusteischen  Prosa  nur  zwei  entnommen  sind, 
und  diese  zwei  beweisen  nichts.  Erstens  (S.  620  zu  cerae)  Cicero 
de  nat.  deor.  1, 26,  71  si  in  ceris  fingeretur  aut  fictilibus  figuris;  hier 
ist  übertragene  Bedeutung  anzunehmen:  Wachsbilder.  Zweitens 
(S.  616  zu  sales)  Vano  R.  rust.  2, 11,6  qua  spargi  solent  sales, 
melior  fossiles  quam  marinus.  Wie  man  nun  auch  emendiere 
(„fort,  qui  aspergi  solet  sal,  is  melior  fossilis  quam  marinus" 
Keil),  jedenfalls  ist  hier  nicht  von  verschiedenen  „Salzkömem", 
sondern  Salzarten  („Salzen")  die  Rede.  Vielmehr  ist  die  Bezeich- 
nung einzelner  Teile  eines  Stoffes  durch  den  Plural  des  Stoff- 
namens der  Schriftsprache*)  fremd;  es  ist  da  eine  Umschreibung 
notwendig,  z.  B.  Cato  Agr.  70:  sanis  dato  salis  micas  tres  ...  all 
spicas  III,  turis  grana  tria,  vitis  albae  caules  III . . .  Die  Er- 
klärungen Neues  betreffen  also  solche  Formen,  die  sich  haupt- 
sächlich bei  Dichtem  finden;  ich  weifs  nicht,  ob  er  nach  Er- 
keimtnis  dieser  Thatsache  bei  allen  darauf  bestanden  hätte.  Hier 
nur  ein  Beispiel: 

Ov.  Art.  1,  748  e  medio  flumine  mella  petai 

„Honigklumpen,  Honigmassen". 

Einer    ähnlichen    Interpretation    verfielen    naturgemäfs    die 
poetischen  Plurale  der  Abstrakt».    Leider  hat  Neue  I  §  106  ff.  bei 


*)  Von  der  silbernen  Prona  sehe  ich  ab,  da  sie  in  dieser  wie  in  anderen 
Beziehungen  von  der  Poesie  abhängt;  hingegen  verhält  sich  die  Komödie 
(und  wahrHchoinlich  auch  Lucilius)  dem  poetischen  Plural  gegenüber  ab- 
lehnend, muCs  also  als  normal  gelten;  über  einige  Reste  archaischen  und 
vulgären  Sprachgebrauchs,  die  jene  von  Neue  angenommene  Bedeutung 
wirklich  zeigen,  vgl.  S.  500  f. 


Stadien  zum  poetisclien  Plural  bei  den  Römern.  485 

der  Aufzählung  aller  Plurale  von  solchen  Abstrakten^  die  in  ihrer 
allgemeinen  Bedeutung  singularia  tantum  sind;  zwischen  poeti- 
schem und  prosaischem  Gebrauch  nicht  unterschieden  und  sich 
auf  Einzelerklärung  gar  nicht  eingelassen.  Es  dürfte  ihm  auch 
schwer  gefallen  sein,  seine  Deutung  auf  eine  Mehrheit  von  Thätig- 
keiten,  Eigenschaften,  Zuständen  etc.,  auch  bei  den  nur  oder  fast 
nur  in  der  Dichtersprache  gebräuchlichen  Pluralen  wie  otia, 
silentia,  fastidia,  taedia  in  allen  Fällen  anzuwenden.  Wie  man 
die  als  poetisch  anerkannten  Plurale  erklärt  hat,  möge  zunächst 
ein  Beispiel  aus  unseren  Dichterkommentaren  zeigen: 

Horaz  Carm.  4,  15,  15  ad  ortus  solis. 
„pluralis  locum  significat,  quo  cotidie  iteratur  ortus  solis.'' 
Dillenburger.  —  „ortus  poetischer  Plural .  .  .;  ortum  zeigt  den 
Ort(?),  ortus  zeigt  Morgenröten''  C.  W.  Nauck  (Leipzig  1885).  — 
,yDer  Plural  steht  nicht  ohne  Bedacht,  denn  von  einem  Punkte 
ausgehend,  hat  die  römische  Herrschaft  sich  in  mannigfaltigster 
Weise  über  den  Osten  verzweigt."     Kiefsling*. 

Am  ausführlichsten  behandelt  die  Abstrakta  Seyfs,  der  Wun- 
derdinge über  die  Macht  des  Plurals  verkündet: 

Verg.  Aen.  284  quae  prima  exordia  sumat. 
„Ohne  Zweifel  bezeichnet  der  Plural  an  dieser  SteUe  jene  vielen 
Umschweife,   welche  Aeneas  machen  mufste,    um  der  Dido  den 
Plan  seiner  Abreise  in  allmählicher  und  schonender  Weise  mit- 
zuteilen."    S.  4. 

Verg.  Aen.  11,  54  hi  nostri  reditus  expectatique  triumphi. 
„Es  kommen  durch  den  Plural  alT  die  Gefahren  und  Widerwärtig- 
keiten zum  Ausdruck,  mit  denen  die  Rückkehr  verbunden  ist."    S.  5. 
Vgl.  Kiefsling  zu  Horaz  epod.  16,  35. 

Und  conubia  bei  Vergil  bedeutet  nach  Braumüller  (Über 
Tropen  und  Figuren  in  Vergils  Aeneis  1877,  I  S.  16)  „Heirats- 
anträge". 

Noch  seltsamer  mutet  diese  Erklärungsweise  an,  wenn  sie 
auf  solche  Konkreta  angewandt  wird,  die  zwar  aus  Teilen  be- 
stehen (und  welches  Ding  besteht  nicht  aus  Teilen?),  ohne  dal's 
jedoch  diese  Teile  unter  sich  oder  mit  dem  Ganzen  gleichartig 
wären.     So  soU  in  Ovid  Met.  1,  527 

Tum  quoque  visa  decens  (Daphne);  nudabant  corpora  venti. 
nach  Bachs  Kommentar  der  Plural   die   einzelnen  Teile  des  Kör- 
pers bezeichnen.     Den  Verfechtern   des   pluralis  maiestiiticus   ge- 
nügte das  übrigens  nicht;  Kühner  (nach  Jacob,  S  hinzu: 


486  Paul  Maas: 

„die  ganze  Schönheit  des  Körpers",  sodafs  hier  dem  einen  Plural 
zugemutet  wird,  zugleich  die  Teile  heryorzuheben  und  das  Ganze 
auszuzeichnen. 

Wenn  die  Teile  nicht  ausreichten,  so  konstruierte  man  sich 
eine  Mehrheit  auf  andere  Weise.  So  notiert  Conington  zu  Verg. 
Aen.  11,  844 umero  gessisse  pharetras. 

„the  plural,  which  seems  to  indicate  the  number  oftimes, 
that  Camilla  was  so  equiped  . . .". 

Ganz  wild  phantasiert  Spitta  zu  Aen.  7,  394 

yentis  dant  colla  comasque. 

„pluralis  non  ponitur  propter  plures  matres^  sed  humeros 
pectus  quoque  (sie)  nudata  indicat"  p.  7,  und  ebenda  zu  10,  838 

colla  fovet. 
„coUorum  vocabulo  simul  et  Caput  significatur^^ 

Genug.  Man  sieht,  diese  Erklärungsweise  giebt  an  Gewalt- 
samkeit dem  pluralis  maiestaticus  nichts  nach;  nur  können  wir 
nicht  behaupten,  dafs  sie  an  keiner  einzigen  Stelle  durch  den 
Zusammenhang  gefordert  würde;  es  finden  sich  nämlich  deren 
drei :  Moretum  89  quattuor  alia,  Ovid  Fast.  2^  573  tria  tura,  und 
gleich  darauf  576  septem  fabas.  Aber  wenn  diese  Fälle  auch 
keine  besondere  Erklärung  fänden  —  wir  werden  im  nächsten 
Kapitel  (S.  506  f.)  darauf  zurückkommen  — ,  so  würden  sie  dennoch 
nichts  beweisen  für  die  vielen  Hunderte  der  übrigen  Plurale, 
statt  deren  in  Prosa  einfach  der  Singular  eingetreten  wäre.  Viel- 
mehr sind  all  diese  mit  Beziehung  auf  einzelne  Teile  erklärten 
Plurale  denjenigen,  in  die  man  den  Ausdruck  irgend  einer  Eigen- 
schaft hineininterpretiert  hat,  vollständig  gleichartig.  Sie  sind 
„poetisch^'  —  was  sie  ja  nicht  wären,  wenn  sie  wirklich  die  ein- 
zelnen Teile  bezeichneten,  da  die  Prosa  in  solchen  Fällen  eine 
Umschreibung  verlangt  (vgl.  S.  484).  Wir  müssen  daher  auch 
diese  Erklärungs weise  verwerfen,  weil  kein  hinreichender  Grund 
vorlianden  ist,  sie  überhaupt  zu  verwenden,  und  keine  Möglich- 
keit, sie  regelmäfsig  zu  verwenden. 

Da  ich  aber  durch  meine  völlige  Ablehnung  dieser  beiden 
Versuche,  den  poetischen  Plural  zu  erklären,  mich  selbst  mit 
denen  in  Widerspruch  setze,  die  einen  richtigeren  Weg  dazu 
schon  eingeschlagen  haben,  so  will  ich  nun  versuchen  zu  zeigen, 
dafs  jede  Auffassung,  die  dem  poetischen  Plural  die  Kraft  einer 
Bedeutungsnuancierung  zuschreibt  (welcher  Art  diese  auch  sei), 
notwendig  falsch  sein  muis. 


Studien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Römern.         487 

Man  hat  seltsamerweise  noch  nicht  bemerkt,  dafs  alle  im 
Gebrauch  des  poetischen  Plurals  sich  zeigenden  Eigenschaften 
desselben  die  landläufigen  Erklärungen  einfach  ausschliefsen. 
Schon  seine  Beschränkung  auf  die  Dichtersprache  hätte 
Bedenken  erregen  müssen.  Denn  warum  hätte  sich  die  Schrift- 
sprache die  Möglichkeit,  einem  Begriff  eine  besondere  Eigenschaft 
beizulegen  oder  seine  Teile  hervorzuheben,  entgehen  lassen  sollen, 
wenn  der  Plural  diese  Kraft  besass?  Femer  die  Beschränkung 
auf  einzelne  Wortklassen,  wie  Begriffe  der  Masse,  Körper- 
teile etc.:  warum  soll  pectora  eine  besonders  schöne  Brust  be- 
zeichnen, aber  niemals  viri  einen  besonders  schönen  Mann?  Drittens 
die  Ausschliefsung  vieler  Wörter  innerhalb  derselben 
Wortklasse,  z.  B.  bei  den  Stoffhamen  lac  merum  nectar  ferrum  tri- 
ticum  und  einer  Menge  anderer,  deren  „gröfsere  Fülle"  oder  „einzelne 
Teile"  gegebenen  Falles  doch  dasselbe  Recht  auf  Ausdruck  durch 
den  Numerus  verlangen  konnten,  das  man  den  nahverwandten  Be- 
griffen vinum  mustum  aes  hordeum  etc.  zugestand.*)  Endlich 
die  Beschränkung  auf  einzelne  Kasus  und  die  häufig 
vollständige  Verdrängung  des  Singulars  in  diesen:  man 
halte  mit  den  zu  Hör.  Carm.  4,  15,  15  ad  ortus  solis  vorgebrachten 
Deutungen  (vgl.  S.  485)  —  auf  die  übrigens  niemand  verfallen 
wäre,  hätte  nicht  Bentley  mit  einigen  Handschriften  ortum  ge- 
schrieben —  die  Thatsache  zusammen,  dafs  für  den  Begriff 
„Sonnenaufgang^^  im  Akk.  der  bei  den  Dichtem  (bis  Ovid  inkl.) 
allein  gebräuchliche  Numerus  der  Plural  ist  (Lucrez  5,  696  Cicero 
im  Marius  [de  divin.  1,  106]  v.  8  Verg.  Georg.  3,  277.  4,  544 
=  552  Aen.  4,  118.  6,  255  Paneg.  ad  Mess.  157  Ovid  oft,  ortum 
nur  Verg.  G.  1,  441  [übertr^en  =  Scheibe]),  im  Abi.  dagegen  nur 
der  Singular  vorkommt,  der  demnach  zur  Verteidigung  von  ortum 
nicht  herangezogen  werden  darf,  wie  es  Bentley  und  Lucian 
Müller  (1900)  thun.  Überhaupt  ist  fast  bei  allen  Wörtern,  die 
den  poetischen  Plural  annehmen,  im  Akkusativ  dieser  häufiger 
als  der  Singular,  während  er  z.  B.  im  Genetiv  fast  ganz  fehlt. 
Bedeutungsnuancen  aber  würden  doch  nicht  an  Kasus  gebun- 
den sein. 


*^)  Reisig  (Vorl.  üb.  lat.  Sprachwissenschaft  §  89,  2)  vermut^to,  die  Edel- 
metalle auram  und  argentum  würden  deshalb  nicht  im  Plural  gebraucht, 
„weil  es  nicht  so  viel  clavon  giebt".  Aber  ferrum  und  plumbumV  —  Haase 
verbesserte  (Anm.  1431)):  „wohl  eher,  weil  diese  Metalle  meistens  in  ge- 
münzter oder  verarbeiteter  Gestalt  vorlagen".    Aber  aera? 


4^8  Paul  Maas: 

Nun  können  wir  noch  einen  dritten  Weg  einschlagen,  der 
uns  zu  demselben  negativen  Ziel  führt,  zugleich  aber  darüber 
hinaus  auf  die  richtige  Strafse.  Es  ist  eine  wenig  bekannte  und 
vielleicht  noch  nicht  klar  genug  ausgesprochene  Thatsache,  daTs 
nach  den  seit  der  suUanischen  Zeit  bei  fast  allen  Dichtem  zu 
Tage  tretenden  Elisionsgesetzen  von  allen  Neutren  auf  um,  die 
einen  Trochäus  vor  der  Endung  haben,  nur  eine  Form  im 
daktylischen  Yersmafs  vorkommen  kann:  die  auf  ä  ausgehende; 
von  Wörtern  wie  hordea  pocula  silentia  war  also  der  ganze 
Singular  aus  Hexameter  und  Pentameter  so  gut  wie  aus- 
geschlossen, abgesehen  von  den  ganz  vereinzelten  Fällen,  wo 
die  Dichter  den  Genetiv  hineinzwangen  (wir  werden  dies  noch 
näher  ausführen,  S.  508  ff.).  Hier  war  es  also  ebenso  unmöglich, 
dafs  der  Dichter  in  einen  vom  Zusammenhang  nicht  erforderten 
Plural  etwas  Besonderes  hineinlegte,  wie  dafs  das  Publikum  es 
empfand.  Wenn  dies  aber  für  eine  solche  Fülle  von  Wörtern  aller 
Grattungen  zutrifft,  so  mufs  man  allein  daraufhin  auch  in  allen 
übrigen  Fällen  dem  poetischen  Plural  jeden  Einflufs  auf  die  Be- 
deutung absprechen.  Denn  wie  konnte  ein  Dichter  seinem  Publi- 
kum zumuten,  dafs  es  sich  bei  jedem  derartigen  Plural  frage,  ob 
Verszwang  vorliege  oder  nicht,  und  dann  im  letzteren  Falle  die 
besondere  Nuance  empfinde,  die  er  hineinlegen  wollte,  im  ersteren 
jedoch  in  Gedanken  den  Singular  substituiere?  — 

Bedenken  gegen  die  herrschenden  Erklärungen  des  poetischen 
Plurals  werden  an  dieser  Stelle  nicht  zum  erstenmal  vorgebracht. 
Wenn  sie  aber  bisher  wirkimgslos  verhallt  sind,  so  dürfte  dies 
daher  kommen,  dafs  sie  immer  nur  auf  Grund  weniger  imter- 
suchter  Fälle  und  mit  inkonsequenten  Konzessionen  an  die 
landläufige  Auffassung  ausgesprochen  worden  sind.  So  haben 
Köne,  Hultgren  und  Appel  aus  vereinzelten  Beobachtungen  über 
Neutra,  Keller  sogar  nur  aus  solchen  über  den  fünften  Fufs  des 
Hexameters*),  ihre  Schlüsse  gezogen.  Unter  den  vier  durchgehenden 


*)  Formen  wie  limina  numina  etc.  sind  im  5.  Fufa  sehr  häufig;  ebenso 
limine  numine  etc.;  liminibus  numiuibus  etc.  fehlt  im  5.  Fufs;  daraus  schlierst 
Keller  S.  204,  207  etc.,  dafs  da  für  den  Plural  metrische  Gründe  vorlagen. 
Er  verpfifst,  dafs  choriambische  Formen  wie  liminibus  von  der  ganzen 
zweiten  Hälfte  des  Hexameters  ausgeschlossen  sind;  selbst  mit  numinibus- 
que  hätte  Vergil,  trotzdem  Keller  es  will  (S.  207\  keinen  Vers  geschlossen. 
Auch  das  Vorwiegen  der  daktylisch  schliefsenden  Plurale  (wie  numina  si- 
lentia   fastidia)  im  5.  Fufs  ist  selbstverständlich;  aber  nicht,   weil  so  der 


Studien  zum  poetiBchen  Plural  bei  den  Römern.         489 

charakteristischen  Beschränkungen  fand  ich  die  Ausschliefsung  ein- 
zebier  Worte  von  Keller  (S.  216)  an  einem  unglücklichen  Beispiel 
gestreift  —  er  wundert  sich,  dafs  er  wohl  classes,  aber  unter  ande- 
rem nicht  civitates  (_  u  >!)  und  exercitus  (desgl. )  im  poetischen  Plural 
finde — ;  die  Ausschliefsung  einzelner  Kasus  bei  Appel  und  Keller 
für  einige  Neutra  angedeutet,  auf  den  Verszwang  von  Köne  und 
anderen  hingewiesen,  ohne  dafs  die  Ausdehnimg  des  Elisionsver- 
botes bei  den  genannten  Neutren  erkannt  worden  wäre  —  sonst 
hätte  Keller  nicht  behauptet,  oblivium  komme  (in  daktylischen 
Versen)  „fast"  nie  vor  (S.  211)  und  sibilum  sei  „ungeschickt" 
(S.  212)  — ,  und  so  war  das  Resultat,  dafs  Köne,  der  es  immer- 
hin noch  am  besten  gewufst  hat,  vom  pluralis  maiestaticus  nur 
die  „Not  der  Dichter"  in  Abzug  bringen  wollte,  Appel  die  Ab- 
lehnung solcher  Deutungen  auf  die  Mehrzahl  der  Neutra  beschränkt 
(S.24f.),  und  Hultgren  (S.  760),  ja  auch  noch  Keller  (S.  205) 
meinen,  der  Plural  in  incendia  könne  die  „ungeheuren  Dimen- 
sionen" eines  Brandes  bezeichnen. 

Wir  hoffen  aber,  solche  Deutungen  endgültig  beseitigt  zu 
haben  und  müssen  uns' jetzt  nach  einer  besseren  umsehen. 

„Metrisches  Bedürfiiis!"  sagt  Keller  und  andere,  die  gegen 
den  pluralis  maiestaticus  auftreten.  —  Auch  ich  halte  aufser- 
ordentlich  viel  von  der  Berücksichtigung  des  „metrischen  Be- 
dürfnisses", das  man  vielleicht  hübscher  Verszwang  nennt,  und 
es  wäre  sehr  wünschenswert,  dafs  dieser  Standpunkt  besonders 
bei  der  Behandlung  der  lateinischen  Dichtersprache  viel  schärfer 
vertreten  werden  möchte,  als  dies  bisher  (auch  von  Keller)  ge- 
schehen ist;  es  würde  manche  geistvolle  Erklärimg  eines  Gräzis- 
mus, eines  für  das  Kompositum  eintretenden  Simplex  u.  s.  w.  aus 
den  Kommentaren  und  Monographien  verschwinden;  es  würde 
vielleicht  nicht  mehr  vorkommen,  dafs  jemand,  ohne  den  Vers- 
zwang zu  erkennen,  ernsthaft  die  Frage  behandelt,  warum  der 
„luvenalis  graecissans"  für  ÖQ6^ig  nicht  die  „vox  vere  latina 
appetitus"  verwendet   habe.     Unschätzbar  und    unübertroffen    ist 


Vers  zu  Daktylen,  Bonderu  weil  so  diese  Wörter  in  den  Vers  kamen.  For- 
men wie  sXlentia  waren  nämlich  vom  ganzen  übrigen  Vors,  solche  wie 
fastidia  vom  1.  bis  3.  Fufs,  alle  vom  2.  und  3.  ausgeschlossen;  und  dafs 
z.  B.  Vergil  daktylische  Schlüsse  auch  im  1.  und  4.  Fufse  beschränkte,  hat 
Th.  Birt  (ad  histor.  hexam.  lat.  symb.  p.  40)  gezeigt.  So  beruht  die  Bew^eis- 
führung  Kellers  auf  Thatsachen,  die  nicht  dem  Wesen  des  poetischen 
Plurals,  sondern  dem  des  Hexameters  entspringen. 


490  Paul  Maas: 

für  solche  Fragen  das  Buch  von  Köne  über  die  Sprache  der 
römischen  Epiker.  Auch  wir  werden  als  Motiv  bei  der  Anwen- 
dung des  poetischen  Plurals  den  Verszwang  erkennen;  aber  die 
Möglichkeit  dieser  poetischen  Licenz  erklären  —  das  kann 
der  stärkste  Verszwang  nicht.  Die  römischen  Dichter  haben  auf 
Hunderte  von  Wörtern,  auf  Tausende  von  Formen  verzichten 
müssen,  weil  sie  der  Vers  ausschlofs  —  warum  sollten  sie  auf 
jene  Neutren  nicht  auch  verzichten?  warum  brauchten  sie  es  nicht? 

Ich  will  versuchen,  soweit  es  diese  allgemeinen  Darlegungen 
erfordern,  die  Umstände  vorzuführen,  die  bei  der  Entstehung 
des  poetischen  Plurals  mitgewirkt  haben  dürfken;  wie  grolE  der 
Einflufs  jedes  einzelnen  Momentes  anzuschlagen  sei,  wage  ich 
nicht  zu  entscheiden. 

Man  wird  zunächst  nach  Analogien  in  der  Prosa  suchen. 
Wir  haben  vor  uns  ein  Schwanken  vom  Singular  nach  dem  Plural 
ohne  Einflufis  auf  Bedeutung  und  Zusammenhang.  Unsere  Syntax 
bringt  nichts  Ahnliches  bei ;  trotzdem  kann  ich  mich  bei  verschiede- 
nen Pluralen  von  Abstrakten  (z.  B.  irae)  und  Begriffen  der  Masse 
(z.  B.  nives)  nicht  überzeugen,  dafs  sie  immer  aus  Rücksicht  auf 
Bedeutung  und  Zusammenhang  gebraucht  werden.  Jedenfalls  sind 
in  diesen  beiden  Wortklassen  die  Unterschiede  zwischen  den 
Numeri  oft  so  gering,  dafs  ich  den  Gebrauch  des  poetischen 
Plurals  mit  diesen  Schwankungen  in  Zusammenhang  bringen 
möchte.  Den  sog.  pluralis  concinnitatis  (Dräger  P  §  7,  4)  zieht 
auch  Appel  (p.  16)  heran.    Ich  mufs  diese  Frage  noch  offen  lassen. 

Wir  haben  ferner  im  poetischen  Plural  meistenteils  plura- 
lischen Ausdruck  für  singularische  Begriffe  (man  verzeihe  die 
Brachylogie).  Auch  hierfür  giebt  es  Analogien:  eine  grofse  Zahl 
der  sogenannten  pluralia  tantum.  „Vel  apud  oratores  latinos 
[=  Prosaiker?]  nonnulla  vocabula  pluralia  tantum  enuntiabantur, 
in  quibus  numeri  vis  temporis  diutumitate  in  oblivionem  data 
erat*',  vergleicht  sehr  richtig  schon  Appel  p.  16,  leider  ohne  das 
näher  auszuführen.  Es  ist  in  der  That  kaum  zu  bestreiten,  dafs 
diese  Worte  einen  grofsen  Einflufs  auf  den  poetischen  Plural 
übten:  man  sagte  colla  ora  rostra  corda  guttura  terga,  wie  cer- 
vices  nares  praecordia  fauces  nates,  plaustra  currüs  (&Q(iaTa)  wie 
bigae  quadrigae,  animae  umbrae  (Verg.  Aen.  5,  81)  wie  manes, 
arae  (ßo^oi)  wie  altaria  (auch  von  Dräger  P  §  5,  2  verbunden), 
portae  atria  ostia  limina  fastigia  ianuae  (Catull  63,  65,  von 
Baehrens  als  Analogie  zu   fores  erklärt)  wie  aedes  fores  obices, 


Studien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Römern.         491 

fimera  (tccg)cci)  conubia  (yd^oi)  convivia  (deinva)  wie  exsequiae 
nuptiae  epulae  und  viele  Namen  von  Festen,  Capitolia  Palatia 
wie  viele  Namen  von  Städten ,  vielleicht  auch  silentia  wie  tene- 
brae  etc.  Hinzuzufügen  ist  noch,  dafs  eine  grofse  Zahl  der 
pluralia  tantum  in  der  Poesie  auch  singularisch  gebraucht  wird, 
was  zur  Gleichberechtigung  der  Numeri  bei  solchen  Begriffen  bei- 
getragen haben  mag  (vgl.  S.  500  ff.). 

Die  auffällige  Häufigkeit  des  poetischen  Plurals  bei  Begriffen 
der  Masse  und  Abstrakten  läfst  vermuten,  dafs  bei  den  Wörtern 
dieser  Klassen  noch  ein  besonderes  Moment  mitspielte.  Sie  waren 
bekanntlich  in  ihrer  allgemeinen  Bedeutung  singularia  tan- 
tum imd  konnten  in  Prosa  nur  dann  in  den  Plural  treten,  wenn 
sie  in  spezialisierter  Bedeutung  gebraucht  wurden  (die  Übertragung 
auf  Gegenstände  bei  Stoffiiamen  ist  ja  auch  Spezialisierung). 
Solche  Plurale  waren  dann  aber  nicht  rein  zahlenmäfsig  vom 
Singular  unterschieden,  was  sonst  das  Wesen  des  Plurals  ist 
(Meyer-Lübke,  Gramm,  d.  rom.  Spr.  DI  S.  36),  sondern  sie  stellten 
eine  Mehrheit  solcher  Einzelbegriffe  dar,  welche  dem  durch  den 
Singular  ausgedrückten  Begriff  untergeordnet  waren.  Wenn  nun 
die  Dichter  diese  Formen,  soweit  dieselben  überhaupt  in  Prosa 
gebraucht  wurden,  für  den  Singular  eintreten  liefeen,  so  bedeutete 
dies  nicht  eigentlich  eine  Vertauschimg  der  Numeri,  sondern  nur 
eine  weitere  Bedeutungsverschiebung,  gewissermafsen  eine  Re- 
generalisierung  der  Pluralformen.  Freilich  finden  sich  auch  solche 
Formen  die  in  Prosa  gar  nicht  bezeugt  sind  (z.  B.  silentia  niella); 
da  wäre  denn  anzunehmen,  dafs  die  Dichter  glaubten,  sie  ruhig 
für  ihre  Zwecke  verwenden  zu  dürfen,  weil  ihr  Publikum  solche 
Neubildungen  nicht  nach  Art  unserer  Grammatiken  mifsverstand, 
sondern  sie  in  der  Bedeutung  auffafste,  die  der  Zusammenhang 
am  nächsten  legte. 

Ich  mufs  gestehen,  dafs  mir  all  diese  Umstände  zusammen 
zur  Erklärung  einer  so  ausgedehnten  Licenz  nicht  ausreichend 
scheinen.  Sie  mögen  gerade  genügen,  um  die  Sprache  zur  Auf- 
nahme eines  Gräzismus  zu  prädisponieren.  Denn  in  der  Nach- 
ahmung des  Griechischen  sehe  ich  das  wichtigste  Moment  bei 
der  Entstehung  des  poetischen  Plurals. 

Hier  wird  wohl  ein  Seitenblick  auf  diese  verwandte  Syntax, 
die  so  mancherlei  Eiilflufs  auf  die  lateinische  Sprache,  besonders 
auf  die  der  Dichter  geübt  hat,  nicht  unstatthaft  sein.  —  Für 
Homer  existiert  eine  Spezialarbeit  von  E.  Juhl,  De  num.  plur.  usu 


492  Paul  Maas: 

Hoi^erico,  Halle  1879  (teilweise  auf  dem  Standpunkt  der  Schrift 
von  Spitta  über  das  Lateinische) ;  für  die  Tragiker  eine  ganz  kümmer- 
liehe  Statistik  von  R.  Kummer  er,  über  den  Gebrauch  des  Plur. 
statt  des  Sing,  bei  Soph.  und  Eurip.,  Klagenfurt  1869;  ausführ- 
licher bei  E.  Volp,  De  usu  numeri  pluralis  Aeschyleo  et  Sophocleo, 
Marburg  1888  (z.  B.  zu  yd^oi  p.  69:  pluralem  ita  explico,  ut  in 
notione  matrimonii  quasi  rerum  iucundarum  varietas  respicia- 
tur);  vgl.  E.  Bruhn,  Anhang  zu  Schneidewins  Sophokles,  1899, §3. 
Die  Darstellung  bei  Kühner-Gerth,  Griech.  Gr.  IP  1,  1898, 
§  348  Anm.  2  (vgl.  auch  §  348,  3a  und  b)  ist  recht  unklar; 
pluralia  tantum,  generelle,  poetische  Plurale,  solche  in  übertragener 
Bedeutung  und  in  Appositionen  werden  in  der  einen  Anmerkung 
gemeinsam  abgethan;  der  pluralis  maiestaticus  erhält  auch  seine 
Klammer.  K.  Brugm ann  (Iw.  v.  MüUers  Handb.  U  P,  1900,  §  430, 4) 
meint,  „dafs  die  Dichter,  besonders  die  Tragiker,  die  Pluralform 
sCg  Syxov  rrig  Is^eog  bevorzugten  .  .  .  sog.  pluralis  maiestaticus; 
z.  B.  ^dxcciQui^  öxfjxtQa^  d'QÖvoc^^. 

Elg  byxov  rijg  l^^scog  stammt  aus  Aristoteles  Rhet.  3,  6 ;  und  da 
wir  auf  das  Verhältnis  der  Rhetorik  zu  unserer  Frage  doch  noch 
zurückkommen  werden,  will  ich  diese  Stelle  hier  kurz  behandeln. 

Eig  öyxov  dl  tilg  l^scjg  öv(ißcckkstac xal  t6  <]?v)>  noXXä  ytoutv^ 

onsQ  Ol  Ttoirjtal  noiovcw  evbg  üvtog  hfievog  ofL(og  kiyovöiv  ^kifie- 
vag  €Lg  ^A^aXxovg^  [fr.  adesp.  83  N.^J  xai  'dekrov  ^iv  aide  tcoIv- 
^xfQoi  dianxvxaC  [Eur.  Iph.  T.  727].  Man  hat  beide  Beispiele  als 
„poetische"  Plurale  angesehen.  Aber  das  erste  erweist  sich  schon 
durch  das  Beiwort  ^A%a\'KOvg  als  „genereller"  Plural,  der  in  der 
That  in  die  Rhetorik  gehört  (vgl.  S.  499);  man  kann  sich  etwa 
einen  Orakelspruch  als  Folie  denken  wie  Verg.  Aen.  7,  98  extemi 
venient  generi.  Über  die  Verwendung  genereller  Plurale  zu  rheto- 
rischen Zwecken  handelt  auch  der  Auetor  tcbqX  v^ovg  cap.  23  und 
bringt  als  Beleg  z.  B.  Soph.  Oed.  T.  1405  xaTiBdaCE^axB  nategag  ddeX- 
(povg  Tcaidag  .  . .  vv^q)ag  yvvcctxag  ^rjtBQag  (Oedipus  —  Jocaste).  — 
Auch  das  zweite  Beispiel  des  Aristoteles  zeigt  keine  direkte  Ver- 
tauschung der  Numeri ;  SianxvxaC  („Gef  alt")  :tSQi7txv%al  xxvxal  kom- 
men gar  nicht  im  Singular  vor  (vgl.  den  Gebrauch  von  yoval  dvöfud 
avxoXal  in  Prosa) ;  Aristoteles  hat  auch  nokv^vQOi  nicht  übersehen, 
wie  Hermann  erklärt;  er  empfiehlt  vielmehr  die  Umschreibung 
eines  singularischen  Begrift'es  {ösXxov)  durch  feinen  pluralischen  Aus- 
druck (ßiXxov  öianxvxaC)  als  rhetorisches  Mittel.  An  solchen  Um- 
schreibungen ist  Euripides  sehr  reich;  Aristophanes  parodiert  sie 


Studien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Römern.  493 

Acharn.  479  xXfje  nr^xrä  dcjiidtcov  (vgl.  Schol.)  und  Vögel  1241 
xal  dö^cDV  TCSQijtrvxocg  xaraid-aXciesL  (vgl.  Kock).  Für  die 
Theorie  giebt  wieder  der  Aiictor  TtSQil  iitpovg  die  Parallele:  er 
nennt  umgekehrt  singularische  Umschreibung  für  den  Begriff 
einer  Mehrheit  wie  €lg  daxQva  €jts6s  rb  d-irixQov  (Herod.  6,  21 ; 
„ai/rl  Tov  ot  d'£ca(i£voi'')  unter  den  iva},},ä^Big  aQi^fiöv  —  wohl 
nach  Caecilius;  vgl.  Tiberius  Rhet.  Gr.  III  80,  18  und  27  Sp.  —  und 
als  roifvavlov  zu  dem  ivixä  dvö^ata  ytolXä  noulv  (cap.  24).  Mit 
den  „poetischen"  Pluralen  wie  nccxaiQcci  6xfinxQa  etc.  haben  diese 
Rhetoriker  also  nichts  zu  thun. 

Wie  steht  es  nun  mit  dem  Verhältnis  dieser  Plurale  zu  den 
lateinischen?  Die  Frage  scheint  noch  nicht  behandelt  zu  sein.*) 
Kühner  setzt  in  beiden  Grammatikon  einige  Parallelen  in  Klammer; 
in  der  lateinischen  fügt  er  ein  „so  auch  im  Griechischen"  ausdrück- 
lich hinzu.  Keller  (S.  199  Anm.  und  S.  216)  bestreitet  unglaub- 
licherweise sogar  die  Parallele;  die  Griechen  hätten  für  Reichtum 
überhaupt  keinen  Plural  {7tkovroi\  Kühner- Gerth  II  1  §  348 
Anm.  1),  für  Hals^  Mund,  Kehle  u.  s.  w.  nur  dann,  wenn  es  sich 
um  mehrere  handle  {av%ivig  Soph.  fr.  593  6z6iLaxa  Theoer.  20, 26 
kaifLol  6(payal  ya^q)rilai  yiwsg  x6Xnoi  ^QÖöona  örtQva  ötrjd'rj 
vöralj.J.Brenous' schöne  „Etüde  surleshell^nismes  dans  la  syntaxe 
latine"  (Paris  1895)  schliefst  in  dem  Augenblick,  wo  wir  viel- 
leicht gerade  etwas  hierüber  erfahren  hätten  (p.  438,  vgl.  p.  78). 
In  den  sprachwissenschaftlichen  Darlegungen  von  L.  Tob  1er  „Über 
den  Begriff  und  die  besondere  Bedeutung  des  Plurals  bei  Substantiven" 
(Zeitschr.  f.  Völkerpsychol. IV,  1883,  S. 410—434)  und  B.  Delb  rück 
(Vergl.  Syntax  der  indogerm.  Spr.,  1893,  S.  147 — 172j  figurieren  die 
der  lateinischen  Dichtersprache  entnommenen  Beispiele  als  denen 
der  übrigen  Sprachen  gleichgeordnet. 

Zunächst  ist  zu  konstatieren,  dafs  die  Wortklassen,  die  den 
poetischen  Plural  im  Griechischen  wie  im  Lateinischen  aufweisen, 
identisch  sind  mit  denjenigen,  bei  denen  Delbrück  S.  148  auch 
in   der   Ursprache    Schwankungen    in   Bezug    auf  den   Numerus 


♦)  Anfser  in  der  erwähnten  Dissertation  von  Volp.  Da  behauptet  ein 
vir  doctissimus  hisque  in  rebus  experientissimns,  der  verschwiegen  sein  will, 
in  einer  Klammer  (p.  6):  ,,nam  poetae  latini  in  his  rebus  Graecos  imitati 
sunt";  die  übrigen  Indogermanen  keimten  solche  Schwankungen  nicht, 
wohl  aber  die  Semiten  (hebr.  pänim,  misk'^nöth  etc.),  die  dann  wohl  bei  der 
Entstehung  der  vorhomerisehen  epischen  Sprache  der  Griechen  mitgeholfen 
hätten.     An  verschiedenen  Stellen  werden  dann  Parallelen  genannt. 

Archiv  für  Ut.  Lexikogr.    XU.    Heft  4.  33 


494  I'^'u!  Maas: 

annimmt:  1)  Begriffe  der  Masse^  2)  Körperteile,  3)  Gerate  und 
Lokalitäten,  4)  Zeitabschnitte,  Feste,  Mahlzeiten,  5)  Vereinzeltes, 
6)  Abstrakte,  welche  in  die  konkrete  Bedeutung  hinüberschwanken. 
Dieselben  Wortklassen  mit  geringen  Varianten  finden  sich  bei 
Juhl  p.  3,  Kühner  Lat.  Gr.  §  23,  Brugmann  §  430,  4.  Diese  That- 
sache  ist  für  das  Griechische  entscheidend  und  mulis  bei  einer 
Behandlung  desselben  als  Ausgangspunkt  dienen;  für.  das  Latei- 
nische beweist  sie  wenig  oder  nichts.  Denn  während  sich 
bei  Homer  jene  Schwankungen  in  den  genannten  Wortklassen 
noch  so  vollständig  vorfinden,  dafs  sie  dort  kaum  als  „poetisch^  be- 
zeichnet werden  dürfen  —  das  prius  dürfte  übrigens  in  sehr  vielen 
Fällen  der  Plural  sein  — ,  so  hatte  in  der  lateinischen  Sprache 
zu  der  Zeit,  wo  die  ersten  „poetischen"  Plurale  auftreten,  der 
Sprachgebrauch  sich  bereits  für  einen  Numerus  als  Regel  ent- 
schieden (abgesehen  von  einigen  Stoffnamen  imd  Abstrakten).  Die 
poetischen  Plurale  treten  also  von  Anfang  an  in  Gegensatz  zu 
der  Umgangssprache,  finden  aber  ihre  Analogie  im  Griechischen. 
Ich  will  nur  kurz  ein  paar  Fälle  erwähnen,  wo  mir  die  Nach- 
ahmung auch  im  einzelnen  deutlich  scheint.  Zunächst  bei  den 
Wörtern,  die  den  poetischen  Plural  aus  dem  Griechischen  mit- 
brachten: sceptra  antra  thalami  electra  u.  a.  Femer  bei  denjenigen, 
die  im  Lateinischen  keine  naheliegende  Analogie  finden,  dem 
Griechischen  aber  genau  entsprechen:  arcus  (erst  seit  Properz)  röS«, 
tela  ßsXrjy  foedera  6icovöal^  litora  axzal^  portus  kvfi^veg^  tori  (erst 
Statins)  X^XV  «^v«^?  enses  (Ovid  Her.  3,  108)  ^Cqnj  fidxaiQai, 
cruores  (Verg.  Aen.  4,  687)  aifucray  cames  edgxag  Kgiara^  lanae 
iQia^  caedes  ö(payai  tpövoc,  ortüs  occasüs  avarokaC  Svöfua  pul- 
veres  (Horaz)  xovlri6i  u.  s.  w.  Ferner  bei  den  Körperteilen: 
denn  bei  diesen  kommt  der  poetische  Plural  erst  zu  Beginn  der 
suUanischen  Epoche  vor  (siehe  S.  534  ff.)  und  bleibt  bis  nach 
Ciceros  Tod  auf  die  beiden  Wörter  pectora  {exsQva  ötfj^aa)  und 
terga  (v&ta)  beschränkt.  Endlich  bei  Stoffimmen  wie  hordea 
farra  tura  arenae,  die  zuerst  bei  Vergil  auftreten;  denn  haben  wir 
Zeugnisse,  wie  fremd  allein  schon  diese  Pluralformen  dem  Sprach- 
gefühl waren:  Plurale  wie  arenae  hat  z.  B.  Caesar  (bei  (JeUius 
19, 8, 8)  für  unstatthaft  erklärt;  und  hordea  hat  man  gar  verhöhnt: 
„hordea  qui  dixit,  superest  ut  tritica  dicaf '  ist  ein  jener  Zeit  zu- 
geschriebener Spottvers  (Servius  zu  Verg.  G.  1,  210;  Cledonius 
Gramm,  lat.  V  43,  3),  der  vielleicht  verschuldet  hat,  dafs  man  wirk- 
lich tritica  nicht  wagte  und  tritlcüm  auf  allerlei  Weise  umschrieb 


Studien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Römern.  495 

(triticeam  in  messem  Verg.  G.  1,  219,  triticeos  fetus  Ovid  Fast. 
1,693,  triticeas  messes  Met.  5,  486;  vgl.  Köne  S.  61).  Wir  werden 
auf  den  Ursprung  dieser  Formen  zu  Beginn  des  nächsten  Kapitels 
zu  sprechen  kommen.  —  Und  wo  fand  Vergil  die  Vorbilder  für 
seinen  Gebrauch  von  hordea  farra  tura  arenae?  Bei  den  Griechen. 
^Akeiara  ^si^ai  XQi^ai  ovloxvrag  dXvQag  oviat  d^ea  sind  bei  Homer 
noch  Pluralia  tantum,  aXfpita  hat  den  Singular  nur  im  Genetiv 
(und  da  wohl  wegen  des  Verszwanges)  und  tlfUfid^oiöL  ist  ganz 
gewohnlich.  Ich  verzichte  darauf,  diese  Parallelen  noch  weiter 
auszuführen;  es  wird  dies  leicht  geschehen  können,  sobald  jemand 
für  das  Griechische  eine  umfassende  Behandlimg  gegeben  hat. 

Hierdurch  möge  die  Hauptmasse  der  poetischen  Plurale  bei 
den  versehiedenen  Wortklassen  erklärt  sein.  Eine  grofse  Zahl 
jedoch  bildete  sich  dann  einfach  nach  Analogie  der  bestehenden; 
wir  werden  noch  verschiedentlich  Gelegenheit  haben,  zu  zeigen, 
wie  die  Zahl  der  im  poetischen  Plural  gebrauchten  Wörter  innerhalb 
einer  Wortklasse,  wie  die  Zahl  der  ihm  unterworfenen  Kasus  inner- 
halb eines  Wortes  und  wie  die  verhältnismäfsige  Häufigkeit  dieser 
Formen  (im  Vergleich  zum  Gebrauch  des  Singulars  bei  demselben 
Kasus)  immer  zunimmt:  die  meisten  Formen  haben  auch 
in  Bezug  auf  ihr  Verhältnis  zum  poetischen  Plural 
eine  Entwicklung,  deren  Beginn  und  einzelne  Phasen 
man  oft  deutlich  erkennt:  nur  in  den  seltensten  Fällen 
wird  diese  unter-  oder  abgebrochen  —  Thatsachen,  die  für 
die  Textkritik  wie  für  die  Interpretation  von  grofser  und  bisher 
noch  gar  nicht  erkannter  Bedeutung  sind  und  uns  zwingen,  bei 
jeder  zweifelhaften  poetischen  Pluralform  zu  fragen,  ob  dies  Wort 
und  ob  diese  Form  des  Wortes  zu  der  betreffenden  Zeit  im 
poetischen  Plural  bezeugt  ist.  —  Erfreulicher  Weise  scheint  sich 
der  Thesaurus  linguae  latinae  auch  für  diese  historische  Wort- 
forschung vorbildlich  zeigen  zu  wollen:  hier  zuerst  wird  für  die 
wichtigsten  Wörter  ihr  erstes  nachweisbares  Auftreten  im  poetischen 
Plural  notiert  (ara  H  358,  84  und  arcus  H  476,  7).  Zu  wünschen 
bliebe  nur,  dafs  diese  wertvollen  Bemerkungen  immer  an  derselben 
Stelle  zu  finden  wären  und  bei  Wörtern  wie  accessus  adeps 
aditus  anima  antrum  aqua  apsinthium  aratrum  nicht  ganz  fehlen 
möchten.  Vielleicht  ist  es  auch  möglich,  für  die  einzelnen  Kasus 
(es  handelt  sich  in  der  Regel  nur  um  einen  oder  zwei)  dieselben 
Daten  zu  geben. 

Jetzt  können  wir  nach  den  Motiven  fragen,  d^«**"  'lie  Dichter 


496  Paul  Maas: 

im  Gebrauch  des  poetischen  Plurals  folgten.  Wir  haben  gezeigt, 
dafs  diese  rein  formeller  Natur  sein  müssen,  da  für  Bedeutung  und 
Zusammenhang  zwischen  Singular  und  poetischem  Plural  kein 
Unterschied  besteht.  Hier  konnten  nun  im  Einzelfall  die  mannig- 
faltigsten Umstände  mitspielen.  Das  Streben  nach  Deutlichkeit 
in  der  Konstruktion  konnte  den  einen  der  beiden  Numeri  passen- 
der erscheinen  lassen,  weil  der  andere  schon  in  mehreren  Wörtern 
des  Satzes  in  demselben  Kasus  vertreten  war,  während  in  anderen 
Fällen  die  Gleichheit  der  Numeri  dem  Streben  nach  Konzinni- 
tat  diente.  Auch  von  euphonischem  Standpunkt  aus  konnte 
manchmal  der  Plural  (etwa  wegen  seiner  volleren  Formen),  manch- 
mal der  Singular  (z.  B.  bei  den  Akkusativen  der  Nicht -Neutra, 
wenn  ein  oder  mehrere  S-Laute  in  der  Nähe  standen)  im  speziellen 
Fall  den  Vorzug  verdienen.  Aber  die  Hauptrolle  dabei  spielen 
metrische  Rücksichten;  das  läfst  sich  mit  Zahlen  beweisen, 
indem  wir  den  Gebrauch  des  Singulars  in  den  entsprechenden 
Kasus  vergleichen. 

Dieser  Vergleich  ist  am  einfachsten  da,  wo  der  Plural  direktem 
Verszwang  entspringt.  Zunächst  bei  den  schon  erwähnten 
Neutren  wie  hordea  silentia  etc.;  hier  ist  es  sogar  unmöglich, 
andere  Kasus  heranzuziehen,  da  von  all  diesen  Worten  mit  sel- 
tenen Ausnahmen  in  Hexametern  und  Pentametern  nur  diese  eine 
Form  vorkommen  kann.  Dafs  es  sich  aber  nur  um  Verszwang 
handelt,  beweist  Horaz  in  seinen  Oden:  hier  ist  fast  stets  für  einen 
Kretikus  Platz,  hier  treten  denn  auch  die  Singulare  otium  (aber 
otia  in  Satiren)  silentium  lilium  fastidium  (aber  fastidia  in  Satiren), 
taedium  Capitolium  dolium  (vom  Fafs  der  Danaiden;  aber  dolia 
in  demselben  Sinne  Prop.  2,  1, 67  TibuU  1,  3, 80),  poculum  etc.  auf, 
während  die  entsprechenden  poetischen  Plurale  fehlen  (aber  incen- 
dia  in  Asklepiadeen  4,  8,  17  ist  Verszwang).  Vielleicht  haben 
manche  dieser  Singulare  eben  dadurch  gewirkt,  dafs  man  sie 
sonst  in  solcher  Poesie  nicht  zu  hören  bekam.  —  Dafs  der  Plural 
bei  diesen  Worten  dem  Verse  dient,  hat  übrigens  schon  Servius 
erkannt,  der  zu  hordea  bei  Vergil  Ecl.  5,36  notiert:  usurpavit 
metri  causa. 

Direkter  Verszwang  verlangt  den  Plural  aufserdem  noch  im 
Dativ  der  trochäischen  nach  der  dritten  Deklination  flektierten 
Stämme.  Schon  Köne  S.  105  hat  die  Unfügsamkeit  von  aequori 
für  den  Plural  bei  Ovid  Met.  4,525  imminet  aequori bus  scopulus 
verantwortlich   gemacht.      Keller   S.  217   Anm.    schreibt   es    ihm 


Studien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Römern.  497 

stillschweigend  nach^  setzt  aber  statt  unftigsam  ^^ungeschickt'';  was 
wieder  den  Beweis  schwächt.  Es  ist  eben  unmöglich^  einen 
Kretikus  in  Hexameter  zu  bringen;  und  ihn  zu  elidieren,  war  ver- 
boten. —  In  gleicher  Weise  sind  die  Dative  aequoribus  Ov.  Met. 
13,  921  litoribus  Vergil  Aen.  4,  628.  7,  1  vultibus  Ovid  Art. 
2,  202  Trist.  4,  3, 19  pectoribus  Trist.  1,  6,  3.  3,  6,  10  liminibus 
TibuU  1,  2,  84  roboribus  Ov.  Met.  7,  632  curribus  Met.  5,  643 
Fast.  2,  858  (?)  4,  497  numinibus  Fast.  3,  776.  5,  328  graminibus 
Med.  fac.  37  Her.  15,  66  und  wahrscheinlich  auch  Her.  5,  153, 
u.  a.  zu  erklären.  Lehrreich  ist  hier  der  Vergleich  mit  dem  gleich- 
lautenden Ablativ:  da  finden  sich  dieselben  Formen  entweder  gar 
nicht  im  poetischen  Plural,  oder  nur  äufserst  selten  im  Vergleich 
zum  Singular*),  oft  erst  später  als  im  Dativ. 

In  allen  übrigen  Fällen  kann  man  den  poetischen  Plural  auf 
direkten  Verszwang  nicht  zurückführen.  Wenn  also  auch  hier 
die  Rücksicht  auf  den  Vers  den  Ausschlag  gab,  so  mufs  für 
jeden  Kasus  die  verhältnismäfsige  Häufigkeit  des  Plurals 
seiner  verhältnismälsigen  Fügsamkeit  für  den  dakty- 
lischen Vers  entsprechen.  Es  mufs  also  z.  B.  vinä  und 
hßderae  viel  häufiger  sein  als  das  schwerfällige  vinum  und 
das  nur  mit  Elision  fugbare  h^d^ra;  aber  auch  die  trochäischen 
Singulare  länä  cera  viel  häufiger  als  die  spondeischen  Plurale 
länäe  ceräe.  Und  wir  werden  im  nächsten  Kapitel  an  einer  Reihe 
von  Beispielen  zeigen,  dafs  dies  Verhältnis  in  der  Regel  gewahrt 
bleibt  und  sich  somit  die  Forderungen  des  Verses  als  das  Haupt- 
motiv im  Gebrauch  des  poetischen  Plurals  geltend  machen. 

Aber  in  einer  geringen  Zahl  von  Fällen  wird  dies  Ver- 
hältnis überschritten;  so  treten  z.  B.  mehrere  Ablative  auf  Is  für 
die  Formen  auf  ö  oder  ä  ein,  auch  ohne  dafs  der  Vers  es  irgend- 
wie erforderte,  und  ein  Gleiches  wird  man  auch  bei  anderen 
Formen  hie  und  da  konstatieren  können.  Warum  haben  die 
Dichter  da  nicht  den  Siogular  gewählt,  den  die  Prosa  verlangte? 
Weil  ihn  die  Prosa  verlangte,  glaube  ich.  Der  poetische  Plural 
war  zu  einer  Eigentümlichkeit  der  Dichtersprache  geworden;  die 
Dichter  gewöhnten  sich  diese  Licenz  an,  die  ihren  Versen  ein  für 
die    Poesie    charakteristisches    Kolorit   verlieh,    sie   betonten  den 


*)  Litoribus  (statt  des  Abi.  sg.)  fehlt  zwar  nicht,  wie  Keller  S.  217 
meint,  sondern  es  kommt  bei  Catnll  Properz  Ovid  zusammen  zehnmal  vor; 
litore  dagegen  in  derselben  Zeit  zehnmal  so  oft. 


498  Pftul  Maas: 

Gegensatz  zur  Sprache  des  Alltagslebens  (wie  auch  unsere  Modern- 
sten gern  durch  ungewohnte  Pluralformen  zu  wirken  suchen): 
die  „Not  der  Dichter''  (Köne)  wurde  zur  Tugend.*)  Es  ist  schwer- 
lich Zufall,  dafs  in  den  von  Horaz  (Sat.  1,  4,  60)  als  Muster  hoch- 
poetischer Diktion  zitierten  Versen  des  Ennius 

postquam  Discordia  taetra 
belli  ferratos  postes  portasque  refregit 

portas  im  poetischen  Plural  steht. 

Resultat:  Die  Dichter  gebrauchen  in  gewissen  Fällen  auch 
da,  wo  die  Prosa  den  Singular  fordern  würde,  den  Plural  bei 
Substantiven,  ohne  dafs  dieser  auf  die  Bedeutung  des  betreffenden 
Wortes  irgend  welchen  Einflufs  übte.  Diese  Licenz  ist  im 
Wesentlichen  der  entsprechenden  Erscheinung  im  Griechischen 
nachgebildet,  fand  aber  eine  Stütze  in  den  lateinischen  Wörtern, 
die  pluralisch  gebraucht  wurden,  obwohl  die  Vorstellung  einer 
Mehrheit  bei  denselben  verdunkelt  war.  Der  poetische  Plural  ist  an 
einzelne  Wortklassen,  Wörter  imd  Easus  gefesselt  und  zeigt  eine 
klare  Entwicklung.  Er  dient  den  Dichtem  dazu,  erstens  gewissen 
Wörtern  und  Kasus,  deren  prosodische  Beschaffenheit  den  Singular 
vom  daktylischen  Vers  ausschliefst,  Eingang  in  die  Dichtersprache 
zu  verschaffen ;  femer  ihnen  im  einzelnen  Fall,  wenn  es  das  Metrum 
oder  das  Streben  nach  Wohlklang  und  Deutlichkeit  forderte,  eine 
Nebenform  fär  den  Singular  zu  liefern;  endlich  die  Dichtersprache 
gegen  die  Umgangssprache  abzuschliefsen. 

Nun  zum  Vergleich  ein  paar  Worte  über  den  „generellen*' 
Plural.  Wir  haben  ihn  von  der  Betrachtung  des  „poetischen"  fem- 
gehalten, weil  er  nicht  der  Dichtersprache  allein  angehört  (S.481); 
er  ist  aber  auch  sonst  grundverschieden.  Während  der  poetische 
Plural  nie  bei  Personennamen,  Verwand tschafts-  und  Gattungs- 
bezeichnungen auftritt,  so  findet  sich  der  generelle  in  der  Regel 
bei   solchen;   von   einer   Beschränkung   auf  einzelne  Worte   und 


*)  Man  kann  auch  dies  als  slg  öyxov  tf}g  Xi^eag  bezeichnen;  nur  mufs 
man  sich  klar  bleiben,  dafs  nicht  der  Begriff,  sondern  nur  die  Form  be- 
rührt wird.  —  Die  Prosaiker  erkannten  diese  Absonderung  übrigens  nicht 
lange  an:  es  scheint  mir  zweifelhaft,  ob  nicht  schon  die  voraugusteische 
Prosa  Spuren  solcher  poetischer  Plurale  aufweist  (vgl.  S.  544  flf.);  in  der 
silbernen  Zeit,  besonders  bei  dem  älteren  Plinius,  dringen  sie  unaufhaltsam 
ein;  im  Spätlatcin,  z.  B.  bei  Apuleius,  wird  auch  in  diesem  Punktes  der 
unterschied  zwischen  Poesie  und  poetischer  Prosa  minimal;  vgl.  Wölfflin, 
Hexameter  und  silberne  Prosa,  Archiv  XI  613. 


Stadien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Römern.         499 

Formen^  sowie  von  einer  formalen  Entwicklung  zeigt  er  nichts. 
Der  Gmndnnterscliiecl  liegt  aber  in  dem  rhetorischen  Charakter 
des  generellen  Plurals;  er  kann  ein  geheimnisvolles  Dunkel  über 
den  Ausdruck  giefsen: 

Verg.  Aen.  7,  98  extemi  venient  generi  . . . 
Verachtung  und  Entrüstung  ausdrücken: 

Verg.  Aen.  7,  359  exulibusne  datur  ducenda  Lavinia  Teucris? 
ja  sogar  ironisch  wirken;  köstlich  verwendet  ihn  so  Ovid  Trist.  2,533 

Aeneidos  auctor 
Contulit  in  Tyrios  arma  virumque  toros. 
Aufser  diesem  wäre  den  von  Kühner  II  §  23,  7  und  8  und 
Bothstein  zu  Prop.  2,  24,  25  gesammelten  Beispielen  noch  hinzu- 
zufügen u.  a.:  Accius  fr.  207  R.,  Verg.  Aen.  11,  276  (vgl  Homer 
E  404),  EcL  6,  42  (von  Ladewig  nach  Art  der  poetischen 
Plurale  total  mifs verstanden;  vgl.  Prop.  2,  25,  14  und  Rothstein 
daselbst).  Hör.  Sat.  1,  7,  8  Ovid  Art  2,  124.  —  Hierher  gehört 
auch  der  Gebrauch  von  vos  und  vester  in  der  Anrede  an  eine 
Person,  deren  Handlungsweise  dadurch  als  typisch  (meist  für  ihr 
Geschlecht)  bezeichnet  wird,  z.  B.  Catull  99,  5 

nee  possum  fletibus  uUis 
tantillum  vestrae  demere  saevitiae, 
wo  Baehrens  einige  Parallelen  giebt  (Terenz  Adelph.  165  Ovid 
Her.  1,  75  Prop.  3,  15,  44),  denen  man  z.  B.  Prop.  2,  29,  32 
zur  Seite  stellen  kann.  Für  einen  ganz  abgeschwächten  gene- 
rellen Plural  halte  ich  den  sog.  pluralis  modestiae  (Plural  statt 
Singular  in  der  ersten  Person),  der  von  den  Dichtem  sehr  frei 
behandelt  wird.  —  Des  generellen  Plurals  hat  sich  auch  die  rheto- 
rische Theorie  bemächtigt,  wie  wir  schon  för  Arist.  Rhet.  3,  6 
und  den  Auctor  nsQl  vij^ovg  cap.  23  (iöd"^  57tov  TtQoöTcCTCxsL  xä 
Tckr^&wxixä  fisyaXo^^tiiwviötBQa  Tcal  avx&  do^oxoTtovvxa  xg»  &yxa} 
xov  iQid'iiov)  nachgewiesen  haben  (vgl.  Beda  p.  609,  1  Halm); 
sie  hat  auch  den  pluralis  modestiae  verwertet:  Cic.  de  orat.  3,  168 
Quintilian  8,  6,  20  Herodian  nsgl  öxrjfi.  Rhet.  Graec.  3,  88  Sp. 
Pseudoplutarch  de  vita  et  poesi  Homeri  2,  56;  vgl.  Plutarch  Praec. 
reip.  ger.  20  D  und  Servius  zu  Verg.  Aen.  2,89.*) 

*)  Etwas  Zusammenhängendes  über  die  Frage,  wie  die  Rhetoren  den 
Kameras  behandeln,  fand  ich  nirgends.  Eine  gute  Zusammenstellung  von 
Zeugnissen  bietet  das  wenig  bekannte  Hauptwerk  eines  jüngst  verstorbenen 
Gelehrten:  Gustav  Gerber,  Die  Sprache  als  Kunst,  2  Bde ,  2.  Aufl.,  Berlin 
1885,  I  480,  600  ff.,  11  33  ff. 


500  Paul  Maas: 

Also  ein  „rhetorischer"  Plural  im  Gegensatz  zum  „poetischen". 
Andererseits    dürfte    auch    ein    Hinweis   auf   eine   verwandte 
Jlrscheinung   am    Platze    sein.      Schon   Keller    S.  217    (mit    dem 
!^aterial   aus  Köne  S.  48  und  105)  vergleicht  mit    dem    „pluralis 
poeticus"   den   entsprechenden,    gegen    „die    strenge   Logik    und 
Grammatik"  verstofsenden  Gebrauch  des  Singulars  statt  des 
Plurals.     Er   giebt   als   Beispiel    Ovid  Met.  11,  599    soUicitive 
canes    canibusque    sagacior    ans  er    (Köne    erwähnt    auch    noch 
multa  victima  Verg.  Ecl.  1,  33  und  quatit  ungula  campum  Verg. 
Aen.  8,  596);   femer  den  Gebrauch  von  littera  tibia  curia  carcer 
statt  litterae  tibiae  curiae  carceres.  —  Da  sind  wieder  zwei  ganz 
verschiedene    Erscheinungen     zusammengeworfen.      Jenes    anser 
victima    ungula    gehört    zu    dem    sog.    kollektiven    Singular 
(Dräger  P  §3  und  Kühner  1I§  19;    vgl.  Nägelsbach,  Stüistik  für 
Deutsche   §    11)    und    entspricht   somit    einem    prosaischen    Ge- 
brauch,   den    die   Dichter    nur    weiter    ausgebildet   haben;   z.  B. 
Cicero  Cato  mai.  56   abimdat  porco  haedo  agno.     Man  könnte 
nach    Analogie    des    generellen    Plurals     auch    diesen    Singular 
„generell"   nennen.     Denn  wie  jener   die  Einzelerscheinung  ver- 
allgemeinernd  zur   (Jattung    erweitert,    so   vereinigt   dieser   eine 
Summe    von    gleichartigen    Einzelerscheinungen   durch    den    Aus- 
druck   der   Einheit    zum    GattungsbegriflT.      Auch    der    generelle 
Singular  ist  von  der  rhetorischen  Theorie  notiert  worden,  die  sich 
freilich  auf  die  Völkemamen  beschränkt:  Dion.  Hai.  :tSQl  Sovx, 
lÖLOfL.  p.  798  (vgl.  auch  p.  936;  ich  danke  den  Hinweis  auf  Dionys 
Herrn  Prof.  Ammon)  Auct.  ad  Herenn.  4,  45  Cicero  de  orat.  3,  168 
Quintilian  8,  6,  20;  vgl.  Beda  p.  608,  35.  —  „tö  eoc  rör  diriQrifidviov 
dg  tä  rivco^iva  iitiövötQEilfca  rov  &QLd'(ibv  6<o(iaro£tds6T6Qov^' 
sagt  der  Autor  nsQl  vil^ovg  (cap.  24)  über  einen  nahverwandten  Ge- 
brauch des  Singulars.  — 

Etwas  ganz  anderes  ist  der  Gebrauch  des  Singulars  bei 
den  sog.  pluralia  tantum,  also  etwa  carcer  statt  carceres.  Das 
ist  eine  der  klassischen  Prosa  fremde  Vertauschung  der  Numeri 
ohne  jeden  rhetorischen  Charakter;  also  genau  das  Gegenstück  zum 
poetischen  Plural.  Nur  in  der  Entstehung  sind  diese  beiden  Er- 
scheinimgen  verschieden.  Dieser  Singular,  den  wir  nun  auch 
„poetisch"  nennen  wollen,  ist  im  Geiste  der  Sprache  begründet, 
die  für  einheitlich  in  die  Vorstellung  tretende  Gegenstände  auch 
den  Ausdruck  der  Einheit  erstrebt.  Zwischen  cervices  und  cervix 
liegt  dieselbe  Entwicklung,  wie  zwischen  got.  brusts  und  unserem 


Studien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Römern.  501 

Bmst.  —  Aber  im  Gebrauch  des  poetischen  Singulars  bei  den  römi- 
schen Dichtem  lassen  sich  dieselben  drei  Phasen  unterscheiden,  wie 
in  dem  des  poetischen  Plurals.     Erstens:    Singular  aus  direktem 
Verszwang:  z.  B.  littera  tibia  carcer  statt  litt^räe  tibläe  cärceres 
(Eöne  a.  a.  0.^;  ebenso  naris  faucis  carceris  statt  närlüm  fäüclüm 
carc^rüm  etc.     Zweitens:    Singular  als   willkommene   Nebenform 
fQr  den  jeweiligen  Bedarf:   z.  B.  casse  clune  fide  (Leier)  neben 
cassibus    clunibus  fidibus  etc.     Drittens:    Singular  im  Gegensatz 
zum  Sprachgebrauch  der  Prosa.     Das   läfst   sich   am   besten   an 
dem  Wort  cervices  demonstrieren.    Dafs  dies  Wort  (ebenso  wie 
nares)  bei  Kühner  einerseits  unter  die  pluralia  tantum  (I  §  115), 
andererseits  unter  die  poetischen  Plurale  geraten  ist  (II  §  23,  2  b), 
ist  eine  unglückliche  Folge  davon,  dafs   er  das  erstere  aus  Neue 
(I  §  111),    das   letztere  aus  Dräger  (P  §  5,  2)   entnommen  hat. 
Natürlich  schliefst  das  eine  das  andere  aus.     Cervices  ist  in  der 
Umgangssprache  bis  Cicero  (incl.),  auch  in  Bezug  auf  ein  Indi- 
viduum,  plurale   tantum:    Cato  Agr.  157,  10    Plautus    Mil.   722 
Terenz  Heaut.  372  Lucilius  ine.  101  M.   Auct.  ad  Herenn.  3, 26  Bell. 
Hispan.  20,  5;  Varro  bezeugt  es  ausdrücklich  L.  lat.  8,  14.  10,  78. 
Auch  in  Ciceros  rheterischen  und  philosophischen  Schriften  kommt 
nur  der  Plural  vor   (10 mal);    der  Singular   hingegen    findet    sich 
in  der  Umgangssprache  bis  dahin  nur  einmal:  Afranius  fr.  414  R^ 
hat    cervicem    fingam    (sfingam    Wolfenb.    cervices?    Ribbeek). 
Gerade  umgekehrt  in  der  Dichtersprache;  hier  ist  der  Singular 
Regel:    Ennius    Ann.    510  M,    Pacuvius    fr.    3    und    152  (?)  R, 
Hortensius   nach   dem   Zeugnis   Varros    (8,  14):    „Ortensius    in 
poematis  cervix",  Lucrez  1,  35.  6,  744   CatuU  63,  83    Cicero 
Aratea  (Baehrens    Poet.    lat.    min.    I)    v.  56,  fr.  9,  5.    v.  385. 
474.  479    Prognost.  fr.   6,   (>,    im    Marius    (de  div.   1,    10)    und 
wahrscheinlich    auch    Aratea   295    (cervicum    edd.    durch    Kon- 
jektur:   cervicem  DHm.  1;   cervicis  Hm.  2,    was    ich    für    gute 
Überlieferung    halte;    vgl.    S.  537   Anm.);    der   Plural    hingegen 
findet   sich    in  Bezug  auf  ein  Individuum    nur    einmal   vor  den 
augusteischen    Dichtem:    Cicero    Aratea  358    cervicibus.      Dafs 
hier    eine    Absicht    der   Dichter   vorliegt,     sich    gegen    die    ge- 
wohnte Ausdrucks  weise  abzuschliefsen,   bedarf  nach  den  Belegen 
aus  Cicero  keines  Beweises  mehr.    Vielleicht  liegt  diese  Erkenntnis, 
schon  in  Varros  Worten:  Ortensius  in  poematis  cervix.  —  Noch 
stärker   als    die   poetischen  Plurale    sind    diese   Singulare    in  die 
Schriftprosa  eingedrungen.    Für  cervix  wird  als  erf»*^'*  T'^ius  citiert; 


502  Paul  Maas: 

doch  fand  ich  den  Singular  schon  in  Varros  R.  rust.  (nach  Ciceros 
Tod)  2,  2,  3.  3,  2.  7,  5:  ein  sicherer  Beleg  für  die  Einwirkung  der 
Poesie,  deren  Vorrecht  Varro  selbst  in  früheren  Jahren  noch  an- 
erkannt hatte.  Die  spätere  Prosa  hat  dann  den  Singular  sogar  be- 
vorzugt; auch  die  Dichtersprache  behielt  ihn:  bei  den  augusteischen 
Dichtem  findet  er  sich  etwa  70 mal,  der  Plural  (von  einem  Indi- 
viduum) nur  5  mal  und  nur  in  der  Form  cervicibus  (Verg.  Aen. 
11,  496  Prop.  2,  14,  11  Ovid  Met.  1,  542.  4,  717.  6,  175).  — 
Aufidius  Bassus  (bei  Seneca  suas.  6,  18)  berichtet,  Cicero  habe  zu 
seinem  Mörder  gesagt:  incide  cerviceml  So  soll  der  grofste 
„goldene''  Lateiner  gefallen  sein,  auf  den  Lippen  ein  Zugesiändnis 
an  die  neue,  an  die  „silberne''  Sprache!  Galt  das  unserer  Schul- 
stilistik?*) 

Der  poetische  Singular  harrt  noch  einer  ausführlichen  Unter- 
suchung; ich  halte  es  nicht  für  ausgeschlossen,  dafs  eine  solche 
„vulgäre"  Bestandteile  darin  entdeckt.  Bis  jetzt  ist  er  in  die 
Formenlehren  verbannt  geblieben  —  zu  seinem  GlQck.  Denn 
wäre  er  als  Gegenstück  zum  poetischen  Plural  erkannt  worden, 
so  hätte  man  ihn  auch  entsprechend  interpretiert.  Wenn  „ora 
saepe  ab  ore  lato  et  rustico  haud  multum  discrepant",  so  muTs 
nare  eine  ganz  kleine  feine  Nase  bedeuten;  und  die  plurales 
magnitudinis,  gravitatis,  praestantiae  et  pulchritudinis  hätten  not- 
wendig zu  singularibus  parvitatis,  levitatis,  mediocritatis  et  pravi- 
tatis  geführt.  Das  Pendant  zum  pluralis  maiestaticus  aber  wage 
ich  mir  nicht  einmal  auszudenken. 

So  viel  im  Allgemeinen;  jetzt  wollen  wir  zwei  Wortklassen, 
die  Namen  von  Begriffen  der  Masse  imd  von  Körperteilen,  ein- 
gehender behandeln  und  dabei  besonders  den  formellen  Charakter 
des  poetischen  Plurals  sowie  das  Moment  der  Entwickelung  ins 
Auge  fassen. 


*)  Die  bisherigen  Darstellungen  dieser  Frage  sind  unzu^nglich.  Es 
wird  gelehrt,  nach  Varros  Zeugnis  hätte  Hortensius  zuerst  den  Singular 
gebraucht;  in  den  Texten  steht  nur  contra  usum  veterem;  „primus*^  hat 
erst  Quintilian  8,  3,  3ö  hinzugefügt.  Femer:  Cicero  kenne  nur  den  Plural;  das 
soll  heifsen :  die  Indices  zu  Cicero.  Zwischen  dichterischem  und  prosaischem 
Gebrauch  wird  nicht  unterschieden.  Wer  zwei  Seiten  mit  Belegen  für  cer- 
vices  und  cervix  füllt  (Neue -Wagencr  P  672  f.;  dabei  sind  70  vöUig  wert- 
lose Stellen  aus  Statins  und  Lucan\  sollte  Cato,  Lucilius,  Ciceros  Aratea, 
Varros  R.  rust.  und  Senecas  suas.  (auf  welch  letztere  schon  bei  Reisig, 
Vorl.  über  Sprachw.  §  92  Anm.  154  hingewiesen  ist)  nicht  ganz  vergessen. 


Stadien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Römern.         503 


n.  Begriffe  der  Masse.*) 

Über  das  Syntaktische  im  poetischen  Plural  bei  Begriflfen  der 
Massen  ist  das  Notwendige  gesagt  (S.  483 f.  491.  494f.);  nun  bleibt 
noch  die  Frage,  woher  denn  diese  Pluralformen  selbst  stammen. 
Denn  wenn  solche  singularia  tantum  in  Prosa  bei  übertragener 
Bedeutung  oder  zur  Bezeichnung  mehrerer  Arten  eines  Stoffes  den 
Plural  annehmen  konnten,  so  waren  doch,  ebenso  wie  im  Deutschen, 
nur  von  den  wenigsten  diese  Formen  in  Gebrauch.  So  ist  ims  aus 
der  Yoraugusteischen  Prosa  der  Plural  mit  Bedeutungsübertragung 
überliefert  nur  für  aera  (N[eue  S.]  619),  sales  =  urbanitas  (N  616), 


•)  Neue -Wagener  Formenl.  der  lat.  Spr.  I'  (im  Text  durch  N  abge- 
kiSrzt)  stellt  die  Zeugnisse  der  alten  Grammatiker  zusammen  (§  101  und 
einige  verstreut  §  103  f.)  und  giebt  eine  Aufzählung  der  Pluralformen  (§  103  f). 
Leider  bleibt  dabei  sehr  viel  zu  wünschen  übrig.  Abgesehen  davon,  dafs 
eine  Masse  dazu  gehöriger  Wörter  überhaupt  nicht  erwähnt  wird  (u.  a.  ap- 
sinthium  casia  castanea  favilla  frons  glacies  glans  lilium  nebula  pabulum 
purpura  rosa  stipula  vestis  viola),  fehlen  auch  bei  den  behandelten  Wörtern 
viele,  oft  die  wichtigsten  Belege  für  den  Plural.  So  korrigierte  ich  aus  zu- 
fälligen Notizen  zu  vina  (600)  Varro  L.  lat.  9,  67  Hör.  epist.  1,  7,  28  Prep.  1, 
14,  2.  2,  33,  36.  3,  17,  10.  4.  2,  30.  6,  73.  86.  7,  36,  zu  unguenta  (S.  602)  Ta- 
bulae  Censoriae  bei  Varro  L.  lat.  6,  87  Varro  L.  lat.  9, 66  sq.  R.  rust.  3,  16,  6, 
zu  frumenta  (607)  Cato  fr.  65  I.  Agr.  37,  5.  141,  2  (Gebetformel).  155,  2 
Auct.  ad  Herenn.  4,  63  Varro  R  rust.  1 ,  37 ,  1 ,  zu  avenae  (608)  Dirae  15  und 
19,  zu  apium  (612)  die  bei  Neue  S.  790  genannten  Plurale,  zu  rutae  (613) 
Priap.  61,  21,  zu  porris  (613)  Petron.  137,  zu  alia  (514)  Moret.  102,  zu  lac- 
tucae  (616)  Priap.  51,  19,  zu  paleae  (615)  Cato  Agr.  14,  3.  33,  3,  37,  2.  54, 
2.  92.  128  Varro  R.  rust.  1,  57,  2.  69,  1  (?).  2,  8,  2  Lucilius  9,  47  Cicero  Verr. 
8,  114  Vitruv.  2,  3,  1,  zu  mella  Varro  Ata<jin.  fr.  20  Baehrens,  zu  lanae  (521) 
Charisius  I  35,  5  Petron.  78,  zu  panes  (623)  Varro  R.  rust.  2,  9,  11,  zu  soles 
(626)  Fragm.  Bobiense  Gramm,  lat.  V  558,  17.  Unsicherheit  der  Lesart  hätte 
angemerkt  werden  müssen  z.  B.  zu  cerae  (620)  Varro  R.  rust.  3,  17,  4  (cetera 
codd.),  zu  lanae  (621)  Varro  L.  lat.  7,  24  (lana  Spengel  nach  Ribbeck),  zu 
alia  (614)  Lucilius  14,  15  (ala  cod.),  zu  sales  (616)  Varro  R.  rust.  2.  11,  6 
(sal,  is?  Eeil).  Von  besonders  störenden  Druckfehlem  ist  zu  berichtigen 
z.  B.  S.  685  Z.  11  V.  u.  barca  lies  barba;  S.  589  Mitte  maria  lies  muria; 
S.  614  Z.  8  nomen  lies  novem;  der  letzte  Satz  der  Seite  gehört  zu  hederae; 
S.  623  Z.  7  fab.  lies  libr.  —  Die  Zahl  der  Ausstellungen  liefse  sich  leicht 
verdoppeln.  Eine  solche  Nachlässigkeit,  die  in  anderen  Partien  der  Neu- 
bearbeitung noch  stärker  hervortritt,  sollte  in  einem  so  notwendigen,  so 
breit  angelegten  und  so  —  teuem  Handbuch  nicht  vorkommen.  Es  ist  sehr 
zu  hoffen,  dafs  dem  in  Aussicht  gestellten  Index  ein  vollständiges  Verzeichnis 
der  Druckfehler  und  ein  Nachtrag  wenigstens  der  wichtigsten  addenda  bei- 
gefügt werde. 


504  Paul  Maas: 

c  e  r  a  e  =  Wachsbilder  (vgl.  S.  484 ;  N  620),  g  1  a  n  d  e  s  =  Wurfgeschosse 
(fehlt  bei  N;  doch  glans  =  Eicheln  wird  von  den  Klassikern  der 
Prosa  stets  im  Singular  gebraucht),  in  derselben  Bedeutung  rumices 
(N  6 13 f.)  und  ad ip es  =  Schwerfälligkeit  (N  622);  mit  Beziehung  auf 
mehrere  Arten  nur  für  vina  unguenta  aquae(vgl.VarroL.  lat.  9,67 
und  69;  N  600,  602,  605)  und  brassicae  (N  614);  vgl.  Charisius  I 
35,  2  et  si  pluraliter  declinata  fuerint,  non  ad  quantitatem,  sed  ad 
genus  referuntur,  velut  „mella'',  ut  sint  multae  species  . . .  similiter 
et  „lanae",  ut  sint  multae  species;  aber  da  mella  in  dieser  Be- 
deutung überhaupt  nicht  bezeugt  ist  (N  615),  lanae  nur  bei  Plinius 
NH  8,  193  (N  621),  so  kommt  das  Zeugnis  des  Charisius  —  viel- 
leicht ein  Versuch,  die  poetischen  Plurale  nach  Analogie  von  vina 
und  unguenta  zu  rechtfertigen  —  für  die  Prosa  der  Republik  kaum 
in  Betracht.  Die  meisten  Formen  der  hierher  gehörigen  poetischen 
Plurale  (worunter  wir  die  nicht  rechnen,  die  auch  in  Prosa  ohne 
sichtlichen  Bedeutungsunterschied  vorkommen)  fehlen  also  der  Um- 
gangssprache, wie  uns  dies  übrigens  ausdrücklich  von  Zeitgenossen 
überliefert  ist  für  harena  (Caesar  de  analogia  I  bei  Gellius 
19,  8,  8;  N  616),  faba  (Varro  L.  lat.  9,  38;  N  610),  pix  (Varro  de 
similitud.  verb.  II  bei  Charis.  I  91,  26  N  621),  und  hordenm 
durch  den  S.  494  genannten  Spottvers  (N  609).*) 

Man  könnte  nun  annehmen,  dafs  die  Dichter  die  ihnen 
eigentümlichen  Pluralformen  nach  Analogie  der  bestehenden  neu 
geschaffen  hätten,  und  sich  dabei  auf  Prisciian  6r. lat. U  176  be- 
rufen, der  zum  Beweis  dafür,  dafs  solche  Plurale  nur  „usus", 
nicht  „regula"  ausschliefse,  die  Thatsache  bringt,  „quod  quidam 

*)  Bei  dem  Streit  um  die  Analogie  spielte  die  Ausnahmsstellung  der 
wenigen  des  Plurals  Hlhigen  Begriffe  der  Masse  natürlich  eine  grofse  Rolle. 
Varro  L.  lat.  9,  67 ff.  versucht  folgende  Erklärung:  ,,.  .  .  si  item  discrimina 
magna  essent  olei  et  aceti  et  sie  ceterarum  rerum  eiusmodi  in  usu  com- 
munis dicerentur  sie  olea  et  aceta  ut  vina."  Fronto  (bei  Gellius  19,  8,  13  sq.), 
der  durch  die  zu  seiner  Zeit  auch  in  Prosa  üblichen,  der  Poesie  entlehnten 
Plurale  wie  mella  pulveres  fomi  irre  geworden  war,  verzweifelte  an  der 
Lösung  dieser  Frage  mit  der  drastischen  Ausrede:  „<iu^^i  inquam,  ista 
omnia  et  enucleari  et  extundi  ab  hominibus  negotiosis  in  civitate  tam 
occupata  non  queunt.*'  —  Von  den  auch  bei  Dichtem  fehlenden  Formen 
werden  als  ungebräuchlich  genannt:  der  Plural  von  triticum  bei  Caesar 
(Gellius  19,  8,  8),  von  oleum  garum  acetum  bei  Varro  L.  lat.  9,  68,  cicer 
und  siser  8,  48,  femer  von  mulsum  bei  Quintilian  1,  ö,  16,  lac  bei  Fronto 
(1.  c).  Ganze  Tabellen  von  singularia  tantum  geben  die  späteren  Gramma- 
tiker (N  §  101),  die  aber  für  die  klassische  Prosa  nichts  Sicheres  mehr 
liefern. 


Studien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Römern.  505 

propria  confisi  auctoritate  plurali  quoque  haec  protulerunt 
numero  (und  zwar  ohne  Bedeutungsunterschied:  tarn  singulariter 
quam  pluraliter  prolata  idem  possunt  significare).  Wenn  wir 
nun  eine  Formenlehre  der  lateinischen  Dichtersprache  hätten,  so 
würde  wohl  klar  werden,  dafs  sich  verhältnismäfsig  wenig  Neu- 
bildungen darin  finden;  hingegen  ist  hinreichend  bekannt,  dafs 
sie  viel  Archaisches  bewahrt  hat.  Das  war  denn  auch  in  diesem 
Fall  die  Meinung  der  übrigen  Grammatiker,  die  sich  bisher  zu 
dieser  Frage  geäufsert  haben.  Gharisius  I  93,  9  Nam  quod 
auctores  dixerint  „frumenta''  „hordea"  „mella^*,  nos  non  moveat. 
Abusi  sunt  enim  licentia  vetustatis  et  tamen  alios  casus 
eorum  non  protulerunt.  Phocas  V  427,  21  ex  his  multa  veteres, 
auctoritate  licentiae  lai^ientes,  pluraliter  extulerunt,  haec  frumenta, 
hordea,  farra,  mella,  defruta;  vina  etiam  usus  recipit.  Nun  geben 
diese  keinen  einzigen  Beleg  (was  vielleicht  für  das  Alter  ihrer 
Behauptung  spricht),  und  auch  in  den  erhaltenen  Resten  der 
älteren  Schriftsprache  fand  ich  für  den  Plural  von  solchen  Begriffen 
der  Masse,  die  später  singularia  tantum  sind,  nur  eine  Stelle,  die 
aber  nirgends  erwähnt  ist:  pabula  (fehlt  bei  Neue)  Cato  Agr.  30. 
Dennoch  spricht  für  die  Richtigkeit  jener  Behauptung  einmal  die 
Erscheinung,  dafs  paleae  und  stramenta,  die  bei  Cato  noch  plura- 
lia  tantum  sind  (Keil  im  Kommentar  S.  68),  bei  den  Klassikern 
sehr  oft  singularisch  gebraucht  werden  (die  Stellen  für  palea  bei 
Varro  R.  rust.  giebt  Keil  im  Kommentar  S.  121,  vgl.  Cic.  de  Fin. 
4,  76,  zu  stramentum  vgl.  Varro  R.  rust.  1,  48,  3.  50),  und  femer 
der  Umstand,  dafs  die  Zahl  der  verschiedenen  von  demselben 
Worte  gebildeten  Kasus  des  Plurals  in  vorklassischer  Zeit  gröfser 
war  als  später.  So  sagt  Priscian  II  310,  15:  maria  aera  vina 
mella  hordea  genetivos  et  dativos  plurales  in  usu  raro  habent 
nisi  apud  vetustissimos,  apud  quos  multa  praeterea  de- 
ficientia  invenies.  Dies  bezieht  sich  wohl  auf  Formen  wie 
aerum  und  aeribus  Cato  fr.  84  (bei  Priscian  II  319,  2),  vinis 
Cato  Agr.  147  =  148,  2  (in  einem  Gesetz),  marum  Naevius  v.  16  M. 
bei  Priscian  U  352,  5  und  iurum  Cato  Origin.  7  fr.  14  bei  Charis.  I 
93,  21  und  Plautus  Epid.  523  (beide  in  der  Verbindung  iurum 
legumque),  die  der  klassischen  Prosa  sämtlich  fehlen  (vgl.  Neue 
I  §  1 19). 

Aber  obgleich  mir  damit  sehr  wahrscheinlich  gemacht  zu 
sein  scheint,  dafs  wirklich  viele  poetische  Pluralformen  identisch 
mit  archaischen  sind,  so  dürfte  doch  ein  bewufstes  Archaisieren 


506  Paul  Maas: 

der  Dichter  in  allen  Fällen  nicht  anzunehmen  sein.  Hingegen 
glaube  ich  zeigen  zu  können,  dafs  die  Vulgär  spräche  jene  von 
der  klassischen  Prosa  aufgegebenen  Formen  bewahrt  und  der 
Dichtersprache  übermittelt  hat.  Betrachten  wir  zu  diesem  Zwecke 
jene  vereinzelten  Dichterstellen,  wo  der  Plural  die  Deutung  auf 
die  Teile  einer  Masse  verlangte  (vgl.  S.  486).    Ovid  Fast.  2,  573  ff.: 

Et  digitis  tria  tura  tribus  sub  limine  ponit, 
qua  brevis  occultum  mus  sibi  fecit  iier; 

tunc  cantata  ligat  cum  fusco  licia  rhombo 
et  Septem  nigras  versat  in  ore  fabas. 

Also  eine  dem  Volksaberglauben  entstammende  Beschwörungs- 
ceremonie;  vgL5,438:  „his  redimo  meque  meosque  fabis".  Femer 
Moretum  89 

quattuor  educit  cum  spissis  alia  fibris. 

Also  eine  Schilderung  des  Bauemiebens.  Dazu  kommen  mm  noch 
einige  Stellen,  wo  dieselbe  Deutung  angewandt  werden  mufs,  weil  für 
poetischen  Plural  keine  Möglichkeit  vorliegt.  Das  ist  zunächst 
die  von  Charisius  I  42,  8  u.  a.  (N  616)  überlieferte  Schwurformel 
per  hos  sales  („Salzkömer^^ ;  und  dann  das  alte  Bauernlied 

hibemo  pulvere  vemo  luto  grandia  farra  Camille  metes 

(Servius  zu  Verg.  G.  1,  101  Macrobius  5,  20,  18;  Lucian  Müller^ 
Der  satumische  Vers  S.  83,  Baehrens  poet.  lat  min.  VI  p.  58, 
E.  Norden,  Antike  Kunstprosa  159).*)  —  Wenn  wir  nun  sehen, 
dafs  von  den  der  Prosa  fehlenden  Pluralformen  die  meisten  zuerst 
in  den  Bucolica  \md  Georgica  des  Vergil  auftreten,  z.B.  de- 
fruta  avenae  farra  ordea  fabae  balsama  und  andere  Pflanzennamen 
alia  (vgl.  Anm.)  papavera  lilia  (vgl.  S.  508)  tura  harenae  electra 
cerae  sulpura  pices  violae  stipulae  (die  Reihenfolge  ist  die  Neues 
§  103  f.,  viola  und  stipula  fehlen  daselbst;  doch  ist  mir  aus  der 
Prosa  der  Republik  für  den  Plural  noch  kein  Beleg  bekannt;  zu 
viola  vgl.  Cicero  Tusc.  5,  73  Varro  R.  rust.  1,  23,  5;  zu  stipula 


*)  Hierher  gehört  vielleicht  auch  Lucilius  14,  16  bei  Charis.  I  79,  18; 
aus  der  Überlieferung  caseus  alamollit  (oder  alumolliet)  hat  Douza  alia 
mollit  gemacht,  was  auch  im  Moretum  102  steht  (zu  der  Luciliusstelle 
notiert  L.  Müller:  cenae  rusticae  descriptio);  in  den  Ausgaben  wird  alium 
ölet  verbessert.  Als  poetischer  Plural  würde  sich  alia  bei  Lucilius,  wenn 
er  es  geschrieben  hat,  nicht  erklären  lassen,  da  bei  seiner  Elisionstechnik 
alium  möglich  war  und  er  sonst  keine  poetischen  Plurale  bei  Begrififen  der 
Masse  aufweist  (sabulis  [fehlt  bei  NJ  und  fima  [N  618]  bei  Baehrens 
fr.  305  und  710  sind  falsche  Konjekturen). 


Stadien  zum  poetischen  Plnral  bei  den  Römern.  507 

▼gl.  1,49, 1.53.2, 11,2  Terenz  Adelph.  848)  —  so  werden  wir  dies, 
obgleich  auch  die  entsprechenden  Singularformen  vorher  nur  ver- 
einzelt sind,  nicht  fQr  Zufall  halten,  um  so  weniger,  als  Ecl.  5, 36 

grandia  saepe  quibus  mandavimus  hordea  campis 
sehr   an  das  grandia  fanra   des   erwähnten  Bauemliedes   erinnert 
and  Georg.  1,  101  (von  Ribbeck  einer  späteren  Bearbeitung  durch 
Yergil  zugeschrieben) 

hibemo  laetissima  pulvere  farra 
direkt  daran  anschlielst.  Auch  weist  der  Spottvers  „hordea  qui 
dixit^  superest  ut  tritica  dicat''  wohl  darauf  hin,  dafs  farra  arenae 
tnra  avenae  etc.  ebenfalls  neu  waren;  sonst  hätte  das  vom  Vers 
erzwungene  hordea  nicht  auffallen  können.  Der  Hohn  scheint 
gegen  den  Bauern  söhn  aus  Mantua  gerichtet  zu  sein,  der  jene 
Formen  von  dem  Gehöfte  seines  Vaters  an  den  Hof  des  Augustus 
verpflanzt  hatte;  „anne  latinum?  —  non;  vero  .  . .  sie  rure  locun- 
tur"  (Poet.  lat.  min.  VI  p.  341)  bekam  der  Verfasser  der  Bucolica 
anch  wegen  anderer  Neuerungen  zu  hören. 

Aber  das  sind  Vermutungen,  die  ihren  Zweck  erfüllt  hal)en, 
wenn  sie  zeigen,  dafs  auch  dies  Gebiet  der  Formenlehre  einer 
wissenschaftlichen  d.  i.  historischen  Behandlung  fähig  ist;  wir 
wenden  uns  jetzt  zum  Gebrauch  des  poetischen  Plurals  bei  Be- 
griffen der  Masse  und  wollen  durch  Vergleich  der  entsprechenden 
Singularformen  zu  erkennen  suchen,  welche  Momente  dabei  mit- 
gewirkt haben.*) 


*)  Ich  greife  im  Folgenden  aus  jeder  der  nach  den  Endungen  ge- 
trennten Gruppen  einige  charakteristische  Wörter  heraus;  eine  vollständige 
Behandlung  aller  im  poetischen  Plural  vorkommenden  Begriife  der  Masse 
ist  für  unsem  Zweck  nicht  nötig.  Sie  würde  aufserdem  eine  Vorunteiv 
Buchung  voraussetzen,  die  ich  im  Rahmen  dieser  Studien  gar  nicht  geben 
könnte:  diese  müfste  die  Behandlung  der  Numeri  (d.  h.  des  Singulars  und 
des  Plurals)  bei  allen  Begriffen  der  Masse  in  der  Prosa  darlegen.  Denn 
mit  der  mehr  oder  minder  voUständigen  Autzählung  der  Pluralformen  von 
einer  Reihe  dieser  Begriffe,  wie  sie  Neue -Wagener  giebt,  ist  in  sehr  vielen 
Fällen  nur  die  Hälfte  gethan:  es  fehlen  die  Belege  für  den  normalen  Ge- 
brauch, ohne  die  wir  über  den  anomalen  „poetischen*^  Plural  nicht  handeln 
können.  Dazu  kommt,  dafs  zu  Yarros  Prosa,  Ciceros  Korrespondenz  und 
die  fragmenta  oratorum  noch  keine  Wortindices  existieren;  ein  Register  der 
Wortformen  hat  auch  Krumbiegel  in  seinem  Index  zu  dem  ältesten  Denk- 
mal der  Prosa,  zu  Cato  Agr.,  zu  geben  unterlassen;  hoffentlich  finden  wir 
es  in  dem  seit  acht  Jahren  versprochenen  Index  zu  Varro  R.  rust.  Dafs 
jene  Untersuchung  auch  Entwicklungen  konstatieren  wird,  scheint  mir  nach 
dem  S.  505  zu  paleae  und  stramenta  Bemerkten  kaum  zweifelhaft. 


508  Paul  Maas: 

Unter  den  Wörtern,  die  für  den  daktylischen  Vers  überhaupt 
in  Betracht  kommen  (alle,  deren  Stamm  drei  Kürzen  hinter- 
einander oder  einen  Kretikus  enthält,  sind  ja  davon  ausgeschlossen), 
nehmen  die  Neutra  der  zweiten  Deklination,  die  einen 
Trochäus  vor  der  Endung  haben,  eine  besondere  Stellung 
ein;  wir  müssen  sie  deshalb  getrennt  von  den  anderen  behandeln 
(vgl.  S.  488,  49G).  Von  den  Begriffen  der  Masse  gehören  hierher 
z.B.  alia  (N  614),  apsinthia  (fehlt  bei  Neue;  die  Prosa  kennt 
nur  den  Singular,  was  im  Thesaurus  II  321  hätte  notiert  werden 
sollen;  der  Plural  bei  Lucrez  fünfmal,  bei  Ovid  dreimal),  lilia 
(fehlt  bei  N;  vgl.  Caesar  BG.  7, 73, 8  VarroR.rust.  1,35,1),  balsama, 
cinnama  und  andere  Namen  von  Gewächsen  (N612f.),  defruta 
(N  601),  (h)ordea  (N  609),  pabula  (fehlt  bei  N;  der  Plural 
häufig  seit  Lucrez;  vgl.  S.  505)  u.  a.  Aber  was  wir  im  Fol- 
genden über  diese  aussagen,  gilt  wörtlich  für  alle  derartigen 
Wörter  anderer  Gattungen,  z.  B.  für  fastidia  gaudia  otia  silentis 
taedia  Capitolia  Palatia  Pergama  atria  fastigia  ostia  cingula 
dolia  spicula  etc.  etc. 

Dafs  von  diesen  Wörtern  im  daktylischen  Vers  die  kretischen 
Formen  auf  orum  und  is  fehlen  müssen,  ist  ohne  weitere«  klar; 
desgleichen  ist  bekannt,  dafs  Formen  wie  päbüli  päbülö  nicht 
elidiert  wurden  (ausgenommen  ist  „Lucilius,  Catullus  praeter  hexa- 
metros  continuos,  Horatius  in  saturis"  Lucian  Mueller  de  re 
metrica  poet.  lai*  342)  und  folglich  für  den  Epiker  und  Elegiker 
nicht  in  Betracht  kamen.  So  bleiben  nur  noch  die  Formen  auf  a 
und  um.  Bezüglich  letzterer  steht  fest:  „dactylica  qualia  sunt  arduum, 
militum,  plurimum,  timuerunt  cum  vocalibus  committere  TibuUus 
Grattius  Columella  Homerus  Latinus  [Statins]  .  .  .  adeoque  ab 
Augusti  certe  aetate  vel  durioribus  usi  modulis  rarissime  ad- 
hibuerunt  elisionem  de  qua  agitur  nee  fere  extra  primum  vel 
quintum  pedem.  itaque  ter  eademst  usus  Catullus  in  hexametris 
continuis  ...  bis  Ovidius  [fluminum  amores  Am.  3,6,  101;  dies 
Gedicht  steht  auch  sonst  technisch  unter  den  übrigen;  vii^inem 
et  unam  Met.  6,  524],  bis  luvenalis,  semel  Lucanus  . .  .*'  Lucian 
Mueller  o.  c.  347.  „timuerunt  cum  vocalibus  committere''  ist  nicht 
ohne  Grazie  gesagt;  in  die  Wirklichkeit  übersetzt  bedeuten  diese 
Thatsachen  z.B.  für  Tibull  und  Ovid  in  Heroid.  Ars  am.  Remed.  Fast 
Ibis  Trist,  ex  Pont.,  dafs  sie  alle  Genetive  wie  narium  corporum 
onmium,  alle  Akkusative  wie  militem  litteram  divitem,  alle  Verbal- 
formen wie  audiam  invocem,  und  endlich,  was  für  uns  die  Haupt- 


Studien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Römern.  509 

Sache  ist;  alle  Formen  wie  solatiiim  poculum  arduum  nirgends 
angewandt  haben*);  im  letzten  Buch  seiner  Metamorphosen  hat 
Ovid  zwei  solche  Formen  durch  Synizese  eingezwungen:  promun- 
turium  709,  wenn  da  nicht  mit  L.  Mueller  d.  r.  m.*  302  promuntü- 
rium  zu  lesen  ist,  imd  Antium  718.  Aber  auch  bei  Lucrez,  Ver- 
gil,  Properz  und  in  den  Episteln  des  Horaz  kommt  jene  Elision 
nur  ganz  vereinzelt  vor,  und  legitim  ist  sie  nur  bei  einem 
Wort,  und  zwar  in  einem  Eigennamen,  und  auch  nur  bei  Vergil: 
Ilium,  das  der  Sänger  der  Aeneide  weder  missen,  noch  mit 
der  Mutter  des  Romulus  gleichlautend  machen  wollte,  wird  sieben- 
mal vor  et  und  einmal  (1,  68)  vor  in  elidiert  (vor  diesen  beiden 
Wörtern  werden  sonst  gemiedene  Elisionen  am  leichtesten  zu- 
gelassen); Ovid  schrieb  Ilion  (so  auch  Properz  3,  13,  8  cinnamon.) 
Noch  eines  bleibt  zu  erledigen.  Bei  den  io-Stämmen  alium 
atrium  solatium  etc.  hatte  ja  der  Genetiv,  wenn  man  unseren 
Ghrammatiken  traut,  bis  auf  die  „Zeit  des  alternden  Augustus'^  ein 
einfaches  i.**)  Wir  wollen  die  sprachwissenschaftliche  Seite  der 
Frage  (vgl.  F.  Leo,  Plautinische  Forsch.  311  f.)  beiseite  lassen  und 


•)  Appel  (vgl.  S.479  Anm.)  p.  18  brauchte  sich  also  für  seine  Behauptung, 
Ovid  habe  gaudium  nie  geschrieben,  nicht  auf  den  index  Burmanni  zu  be- 
rufen, der  auch  für  gaudia  ein  Dutzend  Stellen  zu  wenig  hat.  Aber  Appel 
hat  überhaupt  eine  unrichtige  Ansicht  über  diesen  I^nkt:  „elisioneni 
autem,  praesertim  si  terminationi  vocalis  antecossit,  Optimum 
qnemque  poetam  vitasse  vel  inde  cognoscimus,  quod  ea  in  neutris  plura- 
libus  raro  poeta  usi  sunt"  (p.  15).  Dies  letztere  beweist  natürlich  gar  nichts, 
da  Wörter  wie  gaudia  ja  auch  ohne  Elision  sich  dem  Vers  fügen.  Und 
die  Behauptung,  der  Vokal  vor  der  Endung  erschwere  diese  Elision  (wohl 
einer  mifsverstandenen  Bemerkung  Könes  S.  68  entsprungen),  widerlegt 
Vergil,  bei  dem  ich  nur  folgende  Elisionen  dieser  Art  fand:  Ilium  (7 mal), 
omnium  audiam  abluam  eruam  limitem  (Aen.  1,  599.  4,  387.  6H4.  10,  öl4. 
12,  669).  Leider  ist  für  die  Dichter,  die  solche  Elisionen  aufweisen,  eine 
Aufzählung  derselben  noch  nicht  gegeben,  aufser  für  Ovid  und  Juvenal. 
Überhaupt  ist  das  Buch  über  die  Elision  bei  den  Römern  noch  zu  schreiben  — 
oder  vielleicht  nur  zu  veröffentlichen.  I.  Hilberg  hat  es  seit  sechs  Jahren 
in  Aussicht  gestellt  (Zeitschr.  f.  Österreich.  Gymn.  1896  S.  868),  und  hier  ist 
Beine  Statistik  wirklich  am  Platz. 

♦*)  Dem  Folgenden  liegt  zu  Grunde  die  Materialsammlung  von  Neue- 
Wagener  P  134—154,  die  freilich  trotz  ihres  Umfanges  an  sehr  vielen 
Stellen  vollständig  versagt.  Es  wäre  Papierverschwendung,  die  Unordnung, 
Lücken  und  Druckfehler  darin  alle  hier  ausdrücklich  zu  notieren;  die  Frage 
bedarf  so  wie  so  noch  einer  systematischen  Behandlung,  besonders  des  die 
Prosa  betreffenden  Teiles.  Ich  habe,  was  für  unseren  Zweck  nötig  schien, 
stillschweigend  verbessert. 

Archiv  fttr  lat.  Lexikogr.    XII.    Heft  4.  34 


510  Paul  Maas: 

die  Belege  für  den  Genetiv  dieser  Wörter  im  daktylischen  Vers 
anschauen^  abgesehen  von  Eigennamen ^  die  fast  stets  einfaches  i 
haben  (vgl.  Mommsen,  Hermes  I  462 ff.),  griechischen  Wörtern, 
die  freier  behandelt  werden,  und  solchen,  die  adjektivischen  Cha- 
rakter tragen  (wie  nuntii  Catull  9,  5;  vgl.  Bücheier- Windekilde, 
Grundr.  der  lat.  Dekl.^  S.  72). 

Da  ist  denn  zunächst  zu  konstatieren,  daJjs  im  daktylischen 
Vers  das  einfache  i  sich  nur  dann  findet,  wenn  das  doppelte  im- 
möglich wäre;  also  nie  in  fluvi  foli  geni  gladi  gremi  lani  odi 
preti  radi  soli  viti  etc.,  nur  in  Formen  wie  oti  (ötli)  und  remedi 
(r^m^dli)*);  aber  auch  bei  diesen  letzteren  nur  selten  (die  Stellen 
bei  Neue  140f.):  Ennius  hat  dispendi  und  praemi,  Lucilius  tri- 
clini  (ine.  145)  oti  dupundi,  Lucretius  stilicidi  remedi  dispendi 
bracchi  incendi,  Vergil  (nicht  in  der  Aeneis)  peculi  oti  tuguri, 
Horaz  (nur  in  Satiren)  oti  negoti  patrimoni  (zweimal)  silenti 
peculi,  Ovid  sacrifici;  also  nur  bei  14  von  allen  solchen  Wörtern 
auf  ins  und  ium  kommt  der  Genetiv  im  daktylischen  Vers  bis 
zu  den  augusteischen  Dichtem  vor  und  bei  diesen  14  nur  in 
20  Fällen.**)  Dafs  diese  Seltenheit  nicht  Zufall  ist,  möge  ein 
Vergleich  zwischen  synonymen  Wörtern  zeigen:  Vergil  hat  filins 
lOmal,  natus  in  dieser  Bedeutung  nie,  nati  (gnati)  12mal,  fili 
nicht;  ähnlich  läfst  sich  proelium  und  pngna  vergleichen.  Da- 
mit scheint  mir,  was  für  unseren  Zweck  genügt,  erwiesen  zu  sein, 
dafs  auch  die  Genetive  der  hier  behandelten  Neutren  für  den 
daktylischen  Vers  so  gut  wie  nicht  in  Betracht  kamen.  Es  möge 
dennoch  zur  Beleuchtung  dieser  Frage  ein  knrzer  Exkurs  ge- 
stattet sein. 

Ich  will  natürlich  nicht  behaupten,  der  Genetiv  solcher  Wör- 
ter sei  mit  doppeltem  i  ausgesprochen  worden;  im  Gegenteil,  ich 
bin  sogar  der  Meinung,  dafs  in  allen  Texten  der  Prosa  bis  zur 
Kaiserzeit   die   Schreibung   mit   einfachem  i   als   der  Aussprache 

*)  Dasselbe  gilt  aufserhalb  des  daktylischen  Verses  ffir  cisi  Verg. 
Catal.  10  (8),  3  auxili  venefeci  desideri  Horaz  Epod.  1,  21.  17,  68.  80  im- 
peri  und  ingeni  Horaz  Carm.  1,  2,  26.  2,  18,  9;  aber  nicht  für  ingeni  con- 
sili  imperi  Hör.  Carm.  1,  6,  12.  3,  4,  65.  4,  15,  14,  die  nach  dem  Vorgang 
der  erstoren  jedoch  leichter  zu  erklilren  sind. 

**)  Auch  später  bleiben  diese  Formen  in  Daktylen  selten;  unter  den 
Dichtem  bis  Sammonicus  (die  Stellen  bei  Neue  146  f.)  zeigt  Manilius  negoti, 
Copa  (23)  tuguri,  Aetna  silenti  incendi  (dreimal),  Persius  ali,  Consol.  acl 
Liviam  (6)  fili,  was  sonst  im  daktylischen  Verse  fehlt  und  zur  Datierung 
berücksichtigt  werden  kann,  Sammonicus  (620.  644.  919)  pulei. 


Stadien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Römern.  511 

näher  stehend  eingeführt  werden  mufs.  Dafilr  spricht  erstens 
der  ausnahmslose  Gehrauch  der  Komödie^  die  massenhaft  Belege 
hietet  (die  Stellen  hei  Neue  138  ff.);  femer  alle  epigraphischen 
Zeugnisse  (Mommsen,  Hermes  I  461  ff.;  Ritschi,  Die  Tesserae  gla- 
diatoriae  der  Römer,  Kleine  Sehr.  4,  623 f.);  femer  die  Hand- 
schriften, die  fast  allen  Grammatikertheorien  (auch  Caesars  und 
Varros)  zum  Trotz  sehr  oft  die  Schreibung  mit  einfachem  i  gewahrt 
haben  (natürlich  nur  diejenigen,  die  es  regelmäfsig  nur  im  Genetiv 
der  Substantiva  aufweisen,  nicht  z.  B.  die  des  Auetor  ad  Heren- 
nium,  vgl.  Marx  prolL  164;  über  Cicero  de  republ.  vgl.  Köne, 
Museum  des  rhein.-westf.  Schulmännervereins  I  2  [1841]  S.  70  ff.): 
der  Archetypus  von  Cato  de  agr.  hat  die  Hälfte  dieser  Genetive 
mit  einfachem  i:  preti  mortari  viti  14, 5.  22, 1.  107  gegen  triennii  alii 
negotii  dolii  5,  6.  70,  1.  156,  4.  162,  1;  Eigennamen  und  griechische 
Wörter  regelmäfsig  (hier  auch  alle  Apographa):  apsinthi  Manli  (zwei- 
mal) melanthi  102.  144,  2  (vgl.  145,  2).  159.  Keil  hat  das  Doppel-i 
seltsamerweise  gerade  in  alii  und  dolii  in  den  Text  gesetzt,  sonst 
richtig  das  einfache.*)  Über  Korruptelen,  die  auf  ursprünglich  ein- 
faches i  hinweisen,  vgl.  M.  Bonnet,  Revue  des  etudes  grecques 
XVH  (1893)  p.  116.  Die  Entscheidung  würde  eine  Untersuchung 
von  Ciceros  Kunstprosa  geben,  auf  die  schon  Bentley  ad  Terent. 
Andr.  2,  1,  20  hingewiesen  hat:  „Cicero  igitur  sie  semper  locutus 
est;  quod  maxime  attendendum  est  eis,  qui  numeros  oratorios 
cupiunt  intellegere".  Dieser  letzteren  sind  nun  leider  äufserst 
wenige,  und  so  haben  sich  denn  die  Ciceroherausgeber  (mit  Aus- 
nahme Clarks  in  der  Oxforder  Ausgabe  der  Reden  1900)  durch  die 
von  6.  Wüst,  De  clausula  rhetorica  1881  p.  79  [305]  sq.  vorgebrachten 
Beispiele  pro  Cn.  Pomp.  54  imperi  caruit,  pro  Mil.  76  exiti  fuerit, 
Phil.  2, 57  principi  similes**)  nicht  überzeugen  lassen,  das  einfache 


•)  Dieselbe  Überlieferung  hat  jedoch  in  Varro  de  re  nist.  nur  fili  con- 
vivi  1,  2,  22.  3,  16,  5  gegen  pretii  (zweimal)  praedii  vitii  convivii  seminii 
aedificii  nasturcii  ingenii  opificii  1,  7,  4.  13,  6.  15,  1.  45,  1.  50,  2.  2,  9,  5. 
3,  5,  4.  9,  13.  16,  3.  20;  in  Personennamen  aber  regelmäfsig  einfaches  i: 
1,  2,  6.  2,  1,  2.  10  (dreimal).  5,  11.  7,  6.  3,  3,  10.  6,  8.  7,  1.  17,  7  gegen  das 
vereinzelte  Fundanii  1,  2,  26;  im  Lokativ  Lavini  2,  4,  18  gegen  Brundisii 
3,  6, 8  (vgl.  Ennius  Sat.  54).  Keil  schreibt  doppeltes  i  nur  an  dieser  letzteren 
Stelle;  seminii  2,  9,  5  in  der  kleinen  (postumen)  Ausgabe  ist  wohl  Versehen. 
*♦)  Die  übrigen  von  Wüst,  Ernst  Müller  (De  numcro  Ciceroniano  1886 
p.  31),  Jul.  Wolff  (De  clausula  Cicer.,  Jahrb.  f.  klass.  Phil.  Suppl.  26,  1901, 
S.  662)  vorgebrachten  Beispiele  beweisen  nicht  mehr  als  die  genannten, 
teilweise  gar  nichts. 

84* 


512  Paul  Maas: 

i  in  den  Text  zu  setzen.  Vielleicht  spricht  deutlicher  der  in  den 
Ausgaben  fast  als  Pentameter  erscheinende  Satzschlufs  Rep.  G,  12 
lumen  aninii  ingenii  consiliique  tui  oder  die  fünfthalb  reinen  lambeu 
am  Schlufs  von  Rep.  1,  1  volup-tatis  otiique  vicerit.  Aber  da  noch 
nicht  einmal  Ciceros  sämtliche  Reden  auf  die  Zulässigkeit  der  selte- 
neren Klauseln  untersucht  sind,  läfst  sich  auf  Grund  der  bisher  be- 
kannten „Klauselgesetze"  ein  sicheres  Resultat  nicht  erzielen.*)  — 
Am  stärksten  jedoch  beweist  gegen  die  Annahme  des  doppelten  i  der 
Umstand,  dafs  die  Dichter  der  Republik  keinen  sicheren  Beleg 
für  den  Genetiv  eines  anapästisch  oder  choriambisch  schliefsenden 
Substantives  auf  ium  oder  ius  im  daktylischen  Vers  bieten  (den 
unsicheren  ist  Thestii  Trag,  fragm.^  ine.  ine.  243  R.  und  pedarii 
Com.  fragm.^  Laberius  88  R.  hinzuzufügen).  Auch  später  sind 
diese  Genetive  nie  ganz  legitim  geworden.  Sie  traten  zuerst  bei 
solchen  Wörtern  auf,  die  mit  einfachem  i  im  daktylischen  Vers 
unmöglich  waren:  Properz  hat  zuerst  imperii  ingenii,  dann  auch 
opprobrii  (opprobri  war  nicht  unmöglich),  zusammen  4  Stellen. 
Erst  bei  Ovid  werden  diese  Formen,  freilich  ganz  allmählich**), 

*)  Dennoch  können  wir  uns  einstweilen  noch  nicht  für  einverstanden  er- 
kliiren  mit  dem,  was  Th.  Zielinski  (Deutsche  Litteraturzeitung  li)01  Sp.  3244) 
in  einer  äufserst  lehrreichen  Benpvechung  der  genannten  Schrift  Wolffs  über 
diese  Frage  bringt.  Zielinski,  der  freilich  über  die  rhythmische  Prosa  Ci- 
ceros mehr  weifs,  als  veröffentlicht  ist,  will  dem  von  der  Grundklausel  ge- 
forderten Kretikus  zulieb  in  Schlüssen  wie  Clodii  mors  Miloni  (Mil.  84)  die 
Schreibung  mit  Doppel-i  beibehalten.  Aber  da  so  viel  für  das  einfache  i 
spricht,  und  Schlüsse  nach  dem  Typus  Clodi  mors  Miloni  allein  in  der  Mi- 
loniaua  sechsmal  vorkommen,  so  sehe  ich  noch  keinen  Grund,  die  Ansicht 
aufzugeben,  dafs  Cicero  niemals  im  Genetiv  dieser  Wörter  (geschweige  denn 
in  einem  Eigennamen)  ein  doppeltes  i  gesprochen  habe. 

**)  Die  Entwickelung  zeigt  sich  deutlich;  in  den  Am.  2,  18  erwähnten 
Heroides  steht  nur  das  schwer  entbehrliche  coniugii,  und  dies  nur  zweimal 
(2,  34.  7,  178),  also  ein  Beispiel  in  ca.  700  Versen,  in  den  Amores  3  Wörter 
an  4  Stellen  (ingenii  1,  1),  32.  15,  2,  auspicii  1,  12,  28,  adulterii  3,  5,  44),  also 
^^'  \r,ooi  ^^  ^^^  -^^  ^  Wörter  (officii  1,  155,  ingenii  2,  112,  latrocinii  207, 
supercilii  3,  201),  also  Vq^oi  ^^  ^^^  Remedia  3  Wörter  (auxilii  107,  veneficii 
251,  imperii  496),  also  %-o,  in  den  Metamorph.  U  Wörter  in  12  Fällen  (of- 
ficii 2,  286,  servitii  3,  16,  indicii  4,  190.  15,  503,  hospitii  5,  45,  discidii  5,  530, 
consilii  6,40.  9,746.  11,  415,  navigii  11,  561,  auxilii  13,  648  (?),  coniugii  14, 
298),  also  ca.  ^  ,ooo;  hingegen  in  den  Fasten  ca.  V'sgoi  den  Tristien  Vtoo»  <^en 
Epist.  ex  Pont,  (eingerechnet  das  unsichere  mancipii  4,  5,  40)  Vi  so  5  ^°  ^^^ 
Heroides  (nach  Merkels  Zählung)  12.  15. 16.  20  ca.  Vioo-  ^^  Heroid.  12  stehen 
3  Beispiele  innerhalb  74  Versen  (86.  142.  160),  was  bis  zu  den  Metamor- 
phosen (incl.)  nicht  vorkommt  und  schwer  glauben  macht,  dafs  dieser  Brief 


Stadien  zum  j^octischcn  Plural  bei  den  Römern.  513 

häufiger^  aber  z.  B.  von  Manilius  Persius  Martial  gemieden 
(Neue  147  f.). 

Noch  zurückhaltender  war  man  bei  tribrachi sehen  Wörtern, 
wo  der  Vers  die  kontrahierten  Formen  (aufser  in  studi  spati  spoli) 
zugelassen  hätte.  Solche  finden  sich  in  gröfserer  Zahl  nur  bei 
Oyid  (die  Stellen  bei  Neue  146),  und  auch  dieser  hat  in  den 
Heroides  und  den  ersten  beiden  Büchern  der  Amores  noch  kein 
Beispiel,  im  dritten  der  Amores  eines  (vitii),  in  der  Ars  zwei 
(odii  zweimal),  in  den  Remedia  zwei  (vitii  odii),  in  den  Metam. 
fünf  (spatii,  studii  zweimal,  odii  gladii),  in  den  Fasten  eines  (mi- 
lii),  in  den  Trist,  imd  Pont,  vierzehn  Beispiele  für  pretii  studii 
vitii  (also  durchschnittlich  doppelt  so  viel  als  in  den  früheren 
Gedichten);  davon  kehrt  spät.er  im  daktylischen  Vers  nur  gladii 
(Lucan.  Sammon.)  und  spatii  (Terent.  Maur.)  wieder. 

Resultat:  der  Genetiv  der  lateinischen  Appellativa  auf  ins  und 
ium  wird  im  daktylischen  Vers  vor  Ovid  möglichst  gemieden,  seit 
Ovid  in  choriambisch  schliefsenden  Wörtern  von  einigen  Dichtem 
(Lucan  Silius  Statins  Juvenalj  anstandslos  zugelassen.  Der  Grund 
dieser  auffilligen  Thatsache  mag  wohl  darin  zu  suchen  sein,  dafs  die 
Aussprache  weder  mit  der  von  nati  noch  mit  der  von  egregii 
vollständig  übereinstimmte,  sondern  zwischen  denselben  lag,  wenn 
auch  bis  zur  Kaiserzeit  näher  an  dem  einfachen  i.  Da  aber  der 
daktylische  Vers  wegen  des  rationalen  Verhältnisses  zwischen 
Senkung  und  Hebung  eindeutige  Silbenwerte  fordert,  so  scheuten 
sich  die  Elegiker  und  Epiker  solche  Formen  anzuwenden,  die  sie 
erst  nach  einer  oder  der  anderen  Seite  für  ihren  Vers  zurecht- 
machen mufsten.*)    Am  wenigsten  vorsichtig  war  von  den  Früheren 

vor  den  Amores  und  der  Ars  geschrieben  sein  kann.  Die  verhältnismäfsige 
Häufigkeit  in  den  Remedia  kann  bei  der  geringen  Verszahl  und  dem  weiten 
Abstand  der  einzebien  Beispiele  Zufall  sein. 

*)  Ähnliche  Bedenken  hat  Wölfflin-Meader  Archiv  XI  375  für  den 
Aosschlufs  gewisser  Pronominalformen  (wie  elus  oder  eius)  verantwortlich 
gemacht.  Dasselbe  gilt  wohl  auch  für  die  Vermeidung  der  mit  sp  nnd  st 
beginnenden  Wörter  nach  kurzem  Endvokal  (ipse  stndet;  vgl.  L.  Mueller 
d.  r.  m.*  386).  Auch  scheint  mir,  als  ob  Vergil  die  ins  Schwanken  geratene 
Quantität  der  schliefsenden  o  in  Verben  (amö)  dadurch  zu  verhüllen  ge- 
strebt habe,  dafs  er  sie  von  den  meisten  gar  nicht  anwandte,  wie  co  habeo 
premo  puto  tcgo  etc.,  oder  nur  mit  Elision,  wie  amo  confugio  conspicio 
corripio  cupio  dissimulo  invenio  r^fero  repeto  supero  violo  —  amitto  defendo 
edico  —  ccdo  spero  tango  —  audeo  nuntio  (ebenso  Pollio  4  mal;  ago  wird 
dreimal  elidiert  [Ecl.  1,  13.  9,  37  Aen.  10,  (i7ö],  agu  4,  634,  wo  Donat  viel- 
leicht richtig  agam  las;,   oder  nur  am  Versende,  wie  adsto  ccrto   curro 


514  Paul  Maas: 

Horaz,  der  in  seinen  Satiren  verhältnismäfsig  die   meisten  dieser 
Genetive  aufweist:  die  waren  eben  sermoni  propiora. 

Doch  kehren  wir  zum  poetischen  Plural  zurück.  Es  ei^ebt 
sich:  von  den  Neutren  der  zweiten  Deklination,  die  einen  Tro- 
chäus vor  der  Endung  haben,  sind  andere  Formen  als  die  auf  a 
schliefsenden  nur  ausnahmsweise  im  daktylischen  Vers  möglich; 
wollten  die  Dichter  also  diese  Wörter  verwenden,  so  mufsten 
sie  zum  Plural  und,  wo  diesen  der  Zusammenhang  nicht  zuliefs, 
zum  poetischen  Plural  greifen. 

Bei  den  übrigen  Wörtern  wird  es  sich  darum  handeln,  das 
numerische  Verhältnis  zwischen  den  poetischen  Pluralen  und  den 
entsprechenden  Singularen  in  den  einzelnen  Kasus  zu  verfolgen.*) 
Hier  nimmt  eine  besondere  Stellung  der  Akkusativ  ein  (bei  den 
Neutren  auch  der  Nominativ,  weil  in  beiden  Numeri  mit  dem 
Akk.  gleichlautend),  da  er  in  allen  Deklinationen  fast  regelmäfsig  den 
poetischen  Plural  zuerst  annimmt  und  ihn  so  an  sich  fesselt,  dafs 
der  Singular  ganz  dagegen  zurücktritt.  Die  Hauptrolle  spielt 
dabei  wohl  der  Umstand,  dafs  fast  alle  Wörter  im  Akkusativ  Plural 
sich  für  den  daktylischen  Vers  durchschnittlich  besser  eignen  als 
im  Singular.  Doch  mag  bei  der  erstaunlichen  Häufigkeit  dieser 
poetischen  Pluralformen  auch  die  absichtliche  Bevorzugung  un- 
prosaischen Stiles  mitgewirkt  haben. 


disco  figo  fingo  lustro  opto  pando  servo  signo  vito  etc.  Dafs  dies  nicht 
Zufall  ist,  zeigt  der  Vergleich  mit  den  entsprechenden  nicht  auf  o  schliefsen- 
den  Verbalformen.  Hierfiir  nui  ein  Beispiel:  dem  fehlenden  puto  steht  reor 
mit  6  Belegen  gegenüber,  während  sonst  die  Formen  von  putare  doppelt 
so  hänüg  sind  als  die  von  reri  —  ein  Beweis,  wie  eng  Formenlehre  imd 
Synonymik  in  der  lateinischen  Dichtersprache  verbunden  sind. 

*)  Ich  beschränke  mich  auf  die  Dichter  bis  Ovid,  da  bei  den  8i>äteren 
die  Anlehnung  an  frühere  Muster  und  die  auch  in  Prosa  stets  zunehmen- 
den Schwankungen  der  Numeri  das  Verhältnis  stören.  Meine  Angaben  be- 
ruhen auf  den  Wortindices ,  soweit  solche  vorhanden  waren;  die  Poetae 
latini  minores  und  Ciceros  Aratea  haben  noch  keinen.  Störender  war,  dafs 
auch  zu  Lucrez,  Vergil,  Properz  und  Ovid  seit  Lemaire  diese  wichtigen  Hilfs- 
mittel nicht  mehr  hergestellt  worden  sind;  bei  der  vollständigen  Umge- 
staltung des  Ovidischen  Textes  durch  Merkel  ist  besonders  bei  diesem 
Autor  ein  neues  Wortregister  notwendig  geworden.  Ich  habe  aus  der 
Lektüre  verschiedenes  nachgetragen;  da  die  Zahlen  an  und  für  sich  keinen 
Wert  haben,  sondern  nur  ihr  Verhältnis,  so  heben  sich  die  kleineren  Fehler 
auf.  Wir  wollen  keine  Gesetze  finden,  sondern  eine  Neigung  konstatieren 
—  und  die  Resultate  sind  derart,  dafs  sie  durch  einige  Stellen  mehr  oder 
weniger  nicht  getrübt  würden. 


Stadien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Hörnern.  pl5 

Beginnen  wir  mit  den  Nicht-Neutren;  wir  können  die  drei 
Deklinationen  zusammen  behandeln,  da  für  den  Vers  das  Ver- 
hältnis der  Numeri  im  Akkusativ  bei  allen  derselbe  ist:  wo  der 
Singular  einen  kurzen  Vokal  mit  schliefsendem  m  hat,  da  zeigt 
der  Plural  einen  langen  mit  schliefsendem  s.  Nun  mufs  m  vor 
Vokalen  elidiert  werden;  eine  Elision  ist  fast  nie  besonders  schön 
und  gesucht;  da  bot  also  die  Pluralform,  wenn  sie  in  den  Vers 
pafste,  einen  Vorteil.  Dasselbe  gilt  aber  auch  für  alle  Attribute 
der  hier  in  Frage  kommenden  Begriffe.  Bedenkt  man  nun,  dafs 
&8t  der  vierte  Teil  aller  Wörter  mit  Vokalen  beginnt,  so  wird 
man  verstehen,  wie  oft  die  konsonantisch  schliefsende  Pluralform 
bevorzugt  werden  mufste;  hier  zwei  Beispiele: 

Verg.  Ecl.  8,  101  fer  eine  res,  Amarylli,  foras. 

Georg.  2,  232  pedibus  summas  aequabis  harenas. 

Aber  wir  finden  den  poetischen  Plural  in  diesem  Kasus  oft 
auch  dann,  wenn  der  Vers  mit  dem  Singular  hätte  bestehen 
können;  dennoch  glaube  ich  auch  hier  die  Wirkung  der  Plural- 
formen zu  erkennen.  Vergleicht  man  vom  euphonischen  Stand- 
pimkt  bei  folgendem  Verse  Vergils  (Aen.  4,  427): 

nee  patris  Anchisae  einer  es  manesve  revelli, 
diese  vom  Palatinus  und  Servius  überlieferte  Lesart  mit  der  des 
Mediceus: 

nee  patris  Anchisae  cinerem  manesve  revelli, 
so  wird  man  sicher  in  der  zweiten  eine  geringere  Klangwirkung 
finden;  die  von  Natur  kurze,  nur  durch  einen  Konsonanten  ab- 
geschlossene Endsilbe  füllt  den  halben  Versfufs  lange  nicht  so 
ganz  aus,  wie  die  naturlange;  sie  ist  weniger  geeignet,  den  Vers- 
ton zu  tragen  imd  an  Quantität  zwei  Kürzen  aufzuwiegen.  Das 
schliefsende  m  scheint  noch  besonders  schwach  geklungen  zu 
haben,  da  es  vor  Vokalen  seine  Eigenschaft  als  Konsonant  verlor; 
da  ist  also  nicht  zu  verwimdem,  dafs  man  die  voller  und  schöner 
klingenden  Pluralformen  auch  dann  vorzog,  wenn  sie  von  den 
Grundgesetzen  der  Metrik  nicht  direkt  verlangt  wurden.*) 


*)  Ich  möchte  hier  eine  Beobachtung  anschliefsen,  die  zeigt,  dafs  auch 
sonst  unter  Umständen  Endungen,  die  nicht  an  sich  schon  einen  HalbfuTs 
füllen  können,  ungern  als  Längen  verwandt  werden,  wenn  es  möglich  ist 
sie  zu  Kürzen  zu  gebrauchen  (was  bei  Wörtern  auf  m  nicht  angeht).  So 
sind  Formen  wie  scriptor,  dignus  im  ersten  Fufs  des  Hexameters  vor  Kon- 
sonanten selten.  In  ca.  100  Hexametern,  die  in  Yergil  £clog.  Aen.  1.3.4, 
Horaz  Ars  poet.,  Ovid  Amor,  mit  einem  spondeischen  Wort  beginnen,  finden 


516  Paul  Maas: 

Hingegen  sollen  im  Folgenden  einige  der  wichtigsten  Mo- 
mente behandelt  werden,  die  bei  der  Anwendung  der  Singular- 
formen in  Betracht  kamen.  Zimächst  war  deren  Elisionsfähigkeit 
unter  Umständen  Ton  Vorteil;  denn  so  sehr  man  die  Anhäufung 
von  Verschleifungen  im  allgemeinen  mied,  so  wurde  doch  oft 
durch  die  Anordnung  der  übrigen  Wörter  im  Vers  die  Elision 
zur  Notwendigkeit. 

So  hat  z.  B.  Vergil  einer  es  (Neue  618)  10  mal,  cinerem 
4mal:  G.  1,  81  Aen.  4,  34.  5,  743.  11,  211  stets  elidiert;  also 
dürfte  an  der  erwähnten  Stelle  Aen.  4,  427  die  Lesart  des  Pala- 
tinus  cineres  sicher  stehen. 

spumas  (Neue  604)  hat  Vergil  5 mal*),  spumam  nur  Aen. 

3,  567 

ter  spumam  elisam  et  rorantia  yidimus  astra, 

die  doppelte  Elision  wohl  nicht  ohne  versmalerische  Absicht. 

Violas  (vgl.  S.  506)  Verg.  Ecl.  2,  47  Prop.  3,  13,  29  Horaz 
Epist.  2,  1,  207  Ovid  Met.  5,  392.  10,  190  Fast.  1,  346.  5,  317; 
violam  nur  Fast.  5,  272 

sich  nur  13  Ausnahmen,  die  sich  meist  gegenseitig  decken;  es  folgt  ein 
gleichsam  enklitisches  se:  Ecl.  G,  20  Aen.  1,  587.  4,  142;  ein  Eigenname: 
Aen.  1,  602.  3,  108.  420  Amor.  1,  15,  9 ;  der  erste  Fufs  besteht  aus  einem 
Eigennamen:  Ecl.  7,  58.  8,  83  Aen.  1,  624;  aus  dem  Wort  inter:  Ecl.  8,  13 
(vgl.  Georg.  1,  413.  3,  488.  4,  845);  es  folgt  eine  starke  Interpunktion:  Aen. 

4,  453.  492.  —  In  anderen  Büchern  kommt  oft  die  Nachahmung  früherer 
Stellen  in  Betracht.  Dafs  jene  Seltenheit  im  ersten  Fufs  Absicht  ist,  zeigt 
der  vierte,  wo  dieselben  Formen  zugelassen  sind:  Horaz  AP  136.  191.  262. 
382.  453  etc.;  femer  der  erste  Fufs  in  weniger  ausgefeilten  Versen:  Horaz 
Sat.  2,  8, 18.  46.  60.  81  etc.;  endlich  die  bei  Horaz  stets  spondcische  irrationale 
Basis  in  Asklepiadeen  und  Glyconeen:  Cami.  1,  1,  8.  9.  17.  21.  22.  3,  5.  12. 
16  etc.  —  Ich  habe  Vergil  Aen.  1,  734  adsit  laetitiae  Bacchus  dator  über- 
gangen, weil  nach  dem  Gesagten  dort  die  von  Servius  bezeugte  Lesart  adsis 
vorzuziehen  sein  dürfte. 

*)  Neue  bringt  für  den  Plural  auch  aus  der  voraugusteischen  Prosa 
zwei  Stellen:  erstens  Varro  L.  lat.  5,  63  poetae  quod  .  .  dicunt  .  .  natam  e 
spumis  Venerem;  doch  dürfte  diese  Form  direkt  den  Dichtem  entnommen 
sein  (vgl.  Ovid  Fast.  4,  62  a  spumis  est  dea  dicta  maris),  da  Cicero  vorzog, 
für  denselben  Begriff  den  Singular  zu  setzen :  de  deor.  nat.  3,  59  Venus  . . . 
spumä  procreata.  —  Die  zweite  Stelle  ist:  Cic.  Verr.  4,  148  spumas  ageret 
in  ore ;  dieselbe  Redensart  bei  EnniuH  Ann.  462  und  Lucrez  3,  487 ,  sodafs 
wir  es  vielleicht  auch  hier  mit  einem  poetischen  Ausdruck  zu  thun  haben. 
Andere  Belege  für  den  Gebrauch  der  voraugusteischen  Umgangssprache 
konnte  ich  in  den  Indices  zu  Cato,  den  Komikern  und  Historikern,  dem 
Autor  ad  Herennium,  Lucilius,  Cicero  und  Caesar  nicht  finden,  mufs  also  die 
Frage  offen  lassen,  ob  dieser  Plural  „poetisch**  ist. 


Studien  zum  poetiflchen  Plural  bei  den  Römern.  517 

ad  Tiolam  et  cytisos  et  thjma  cana  voco*), 
also  sogar  der  Eonzinnität  zum  Trotz^  und 

iam  violam  puerique  legunt  hilaresque  puellae 
rustica  quae  nullo  nata  serentc  yenit. 
Diese  Stelle  zeigt-,  dafs  der  Vers  aucli  dann  den  Singular  ver- 
langen konnte,  wenn  ein  Konsonant  folgte;  hier  ist  der  folgende 
Relativsatz  schuld.     Das  Gleiche  gilt  für  Prop.  4,  7,  79 

pelle  he  der  am  tumulo,  mihi  quäe  pugnante  corymbo 
moUia  contortis  alligat  ossa  comis. 
hederas  (N  615)    Prop.  3,  3,  35  Verg.  Ecl.  4,  19   G.  4,  124  Ovid 
Trist.  1,  7,  2.     hederam  nur  noch  Verg.  Ecl.  8,  13 

inter  victrices  ederam  (hederas  Charisius)  tibi  serpere  laurus. 
Dies  fuhrt  uns  auf  ein  drittes  Moment,  das  oft  den  Singular 
fordert:  die  Deutlichkeit  in  der  Konstruktion;  hederas  würde 
sie  zerstören.  —  Ebenso  Ovid  Met.  6,  19 

sive  rudern  primos  lanam  glomerabat  in  orbes. 
lanas  (N  621)  Ovid  Her.  3,  70  Art.  2,  220  Met.  4,  34.  0,  9.   15, 
118.     lanam   bei  Ovid   sonst  nur  Met.  2,  411.  6,  19,  beidemal  in 
der  Redensart  lanam  moUire.  —  Vergil  G.  2,  72 
omusque  incanuit  albo 
flore  piri,  glandemque  (glandes  y)  sues  fregere  sub  ulmis. 
Ovid  Am.  3,  10,  9    sed  glandem  quercus  oracula  prima  ferebant, 
hier  und  an  vielen  andern  Stellen  wird  bei  vorangesetztem  Ak- 
kusativ der  vom  Nominativ   verschiedene   Singular  der  Deutlich- 
keit  wegen   vorgezogen,     glandes  acc.    (vgl.  S.  504)   Verg.  G.  1, 
148(?),  305    Ovid  Art.  3,  149   Fast.  4,  402.  509;    glaudem   nur 
noch  Horaz  Sat.  1,  3,  100  elidiert  und  Verg.  G.  1,  8  (wegen  pin- 
gui  arista?).  —  Ovid  Met.  8,  197  f. 

modo  quas  vaga  moverat  aura 
captabat  plumas,  flavam  modo  pollice  ceram. 
ceras  (N  620)  Verg.  G.  3,  450.  4,  57.  162.  241    Ovid  Met.  8,  226. 
13,818.  14,  532;  ceram  (abgesehen  von  Met.  9,  522,  wo  es  Wachs- 
tafel bedeutet)  nur  noch  Am.  2,  15,  16 


*)  Ebenso  wird  nives  (der  Plural  auch  in  Prosa;  N  606)  behandelt: 
den  24  Pluralstellen  von  Lucrez  bis  Ovid  stehen  zwei  Singulare  gegenüber: 
Catull.  68,  53  elidiert  und  Paneg.  ad  Messallam  156  Attribut  elidiert.  — 
So  hat  Vergil  17 mal  frondes,  frondem  nur  Georg.  2,  435  frondem  aut 
(das  Wort  fehlt  bei  Neue,  ist  aber  ursprünglich  singulare  tantum;  der 
Plural,  in  Prosa  vereinzelt  und  wohl  erst  bei  Cicero  (Cael.  42),  ist  in  der 
Poesie  seit  Ennius  im  Akkusativ  Kegel). 


518  Paul  Maas: 

neve  tenax  ceram  siccaque  gemma  trahat. 
Das  führt  uns  wieder  auf  ein  neues  Moment:  vor  8  liat  sich  die 
Singularform  oft  erhalten,  damit  der  Sigmatismus  yermieden 
werde.  So  auch  Ovid  Art.  3,  179  ille  er o cum  simulat  trotz  des 
folgenden  hie  Paphios  mjrthos.  Aber  crocos  (N  614)Prop.  4, 1, 16 
Ovid  Ibis  200  Fast.  4,  442  Aemilius  Macer  fr.  13  (Baehrens  p.  345); 
crocum- sonst  nicht. 

Ovid  Rem.  731    cinerem  si  sulphure  tangas. 

Fast.  4,  725  cinerem  stipulasque  fabalis. 

Trist.  3,  11,  26    quid  cinerem  saxis  bustaque*)  no- 

stra  petis. 
cineres  (N  618;  vgl.  S.  516)  Vergil  lOmal,  Horaz  4mal,  Prop. 
2 mal,  Ovid  17 mal;  cinerem  sonst  noch:  Vergil  4 mal  (elidiert); 
Tibulll,9,12  (elidiert)  in  cinerem vertat;  Prop.  2, 13,31  cine- 
rem me  fecerit  ardor  (wegen  me?);  Horaz  Epist.  1,  15,  39  verterat 
in  fumum  et  cinerem;  Ovid  Met.  8,  539 

post  cinerem  cineres  haustos  ad  pectoru  pressant^ 
also  der  Deutlichkeit  wegen  (ex  Pont.  4,  16,  3  post  cineres  vor 
Konsonant);  Met.  2,  216  in  cinerem  vertunt  und  8,  641  inde  foco 
tepidum  cinerem  dimovit,  wofür  ich  keine  wahrscheinliche  Er- 
klärung finde.  Dennoch  scheint  mir  klar,  dafs  vor  s  und  in  der 
Redensart  in  cinerem  vertere  (also  wie  lanam  mollire,  vgl.  S.  517) 
der  Singular  zulässig  ist;  in  cineres  vertere  nur  Trist.  5,  12,  68 
vor  Vokal.  Ich  habe  dies  näher  ausgeführt,  weil  daraufhin  bei 
Ovid  Her.  1,  24 

versa  est  in  cineres  sospite  Troia  viro 
die   Lesart   des    Etonianus    cinerem   wohl    den   Vorzug   verdient 
(cineres  PG  edd.).  —  Verg.  Georg.  1,  85 

atque  levem  stipulam  crepitantibus  urere  flammis. 
stipulas  (vgl.  S.  506)  G.  1,321  Ovid  Fast.  4,  725,  beidemal  vor 
Konsonanten  und  neben  Singularen;  stipulam  sonst  nur  Lucrez 
5,  606  segetes  stipulamque  videmus,  also  trotz  segetes.  Hier 
spielt  nun  die  Entwicklung  des  poetischen  Plurals  herein:  diese 
Lucrezstelle  zeigt,  dafs  er  bei  stipula  damals  noch  nicht  gebräuch- 
lich war.  —  Ebenso  fabam  bei  Ennius  Ann.  604,  wofür  bei  Ovid 
fabas  eintritt  Med.  fac.  70(?)  Fast.  5,  509.  6,  180  (N  610;  vgl. 

*)  Hier  ist  also  nicht  der  Plural  busta  (so  regelmäfsig  bei  Ovid  statt 
bustum)  neben  cinerem  eine  Konzession  an  den  Vers,  wie  Church  Archiv 
Xn  235  (aus  „Beiträge  zur  Sprache  der  lat.  (xrabinschr."  München  1901,  S.  90) 
annimmt,  sondern  cinerem  ist  der  seltenere  Numerus,  der  der  Erklärung  bedarf. 


Studien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Römern.  519 

S.  506).  So  auch  cinerem  Lucr.  1,  891  Catull.  101,  4;  cinerea 
(N  618)   im  poetischen  Plural   findet  sich  erst  bei  Vergil   (vgl. 

5.  516  und  518);  denn  bei  Catull.  68,  98  nee  prope  cognatos  com- 
positum cineris  wird  der  Plural  wohl  in  übertragener  Bedeutung 
(=  Corpora)  aufzufassen  sein.  —  Erst  gegen  Ende  der  hier  be- 
sprochenen Periode  scheint  der  Plural  von  favilla  (fehlt  bei  Neue) 
gebildet  worden  zu  sein;  ich  fand  ihn  zuerst  in  der  Eleg.  in 
Maecen.  2,  21  (vgl.  zu  deren  Datierung  J.  Ziehen  Rhein.  Mus.  LII 
[1897]  S.  450fiF.)  cineres  interque  favillas  (also  wohl  Analogie- 
bildung nach  cineres);  somit  ist  favillam  Lucr.  2,  676.  6,  690  Verg. 
Aen.  6,  227.  9,  76  Hör.  C.  2,  6,  23  Ovid  Met.  2,  231  (auch  hier 
mit  cineres  verbunden)  nicht  auffällig.  In  Ovids  späteren  Schriften 
fehlt  auch  der  Acc.  sing.,  doch  macht  sein  favillae  Fast.  3,  561 
(wegen  des  folgenden  accipiuntque)  wahrscheinlich,  dafs  der  Plural 
inzwischen  legitim  geworden  war.  —  Ebenso  hat  Lucrez  2,  376. 

6,  726  arenam;  arenas  (N  617)  erst  Vergil  Georg.  2,  232.  3,  350 
(beidemal  Attribut  vor  Vokal);  doch  hat  auch  Vergil  arenam  noch 
6  mal  Bei  Horaz  (Carm.  3,  4,  31)  und  Properz  (3,  3,  23.  4,  6,  83) 
steht  nur  arenas,  bei  Ovid  steht  es  doppelt  so  oft  (13:6)  wie 
arenam.  Hier  wird  der  Gebrauch  des  Singulars  also  nicht  auf 
die  Fälle  beschränkt,  wo  der  Plural  nicht  am  Platze  wäre,  nimmt 
jedoch  zusehends  ab.  Ein  ähnliches  Schicksal  hatte  die  Form 
vestem  (fehlt  bei  N,  obwohl  schon  Kühner  Lat.  Gr.  II  §  19,  3 
darauf  hingewiesen  hat),  die  Lucrez,  Catull,  Horaz  dreimal  so 
oft  gebrauchen  als  den  Plural  (15 : 5),  Vergil,  Properz  (vgl.  Roth- 
stein zu  2,  5,  21)  imd  Ovid  kaum  halb  so  oft.*) 

Es  ist  natürlich  nicht  unsere  Sache,  alle  Singularformen  zu 
erklären;  ich  bezweifle  auch,  dafs  sich  alle  in  Gesetze  bringen 
lassen.  Die  Abtönung  der  Klangfarbe  von  Vokalen  und  Kon- 
sonanten, die  Verteilung  der  Numeri,  das  Streben  nach  schlichter 
prosaischer  Darstellungsweise,  nach  Abwechslung,  nach  Prägnanz 
und  Deutlichkeit  des  Ausdrucks,  die  Erinnerung  an  stehende  Ver- 
bindungen und  an  vorhergegangene  Stellen,  die  bewufste  Nach- 
ahmung älterer  Muster,  endlich  die  Laune  des  Dichters  —  all 
das  sind  Momente,   die  bei  der  Bevorzugung  der  Singularformen 


*)  So  auch  nebulam  (fehlt  bei  N)  bei  Lucrez  3 mal  (vor  Konsonanten) 
nebnlas  2 mal  (2,  481.  6,  477);  später  findet  sich  nebulam  nur,  wo  nebulas 
nicht  praktisch  wäre,  Verg.  G.  2,  217  (Attribut  elidiert)  Aen.  10,  82  (eli- 
diert) und  Hör.  Carm.  3,  15,  6  (vor  s);  nebulas  Quintus  Cicero  (PLM  p.  316 
Baehrens)  v.  13,  Ovid  ümal. 


520  Paul  Maas: 

mitspielen  konnten,  sich  aber  jetzt  nur  schwer  im  einzelnen  nach- 
wägen lassen.  Es  genüge  zu  konstatieren,  dafs  das  Streben  nach 
den  Pluralformen  vorherrscht.*)  Eine  Ausnahme  möge  die  R^el 
bestätigen:  es  ist  leicht  verständlich,  dafs  Vergil  in  einer  der  grofs- 
artigsten  Partien  seiner  Aeneis  eine  neue  Pluralform  schuf  (4,687): 

cum  genitu  atque  atros  siccabat  veste  cruores; 
aber  es  ist  höchst  auffällig,  dafs  unter  den  augusteischen  Dichtem 
keiner  diese  Form  wieder  aufgenommen  hat  (N  603),  auch  Vergil 
selbst  nicht  (oder  sollte  sie  von  ihm  erst  bei  späterer  Bearbeitung 
eingefügt  sein?),  während  cruorem  sehr  häufig  ist.  Dafs  des  Horaz 
cruoribus  (Carm.  2, 1,  5)  dasselbe  Schicksal  hatte,  beweist  nichts, 
da  diese  Form  sich  dem  Pentameter  gar  nicht  und  dem  Hexa- 
meter schlecht  fügt  (nur  |uiuu|i».uu_u,  also  mit  dem  sonst  mög- 
lichst gemiedenen  vierten  Trochäus;  vgl.  Cavallin  de  caesuris  quarti 
et  quinti  troch.  Lund.  1896,  p.  8  sq.)  und  deshalb  hinter  cruore  zu- 
rückstehen mufste.  Mir  ist  aus  dieser  Wortklasse  ein  analoger 
Fall  für  das  zeitweise  Verschwinden  eines  metrische  Vorteile  bieten- 
den poetischen  Plurals  im  Akkusativ  eines  häufig  gebrauchten 
Wortes  nicht  bekannt.**) 

*)  Man  hat  in  der  Textkritik,  wo  nicht  das  Verhältnis  der  Handschriften 
entschied,  bei  Varianten  zwischen  Singular  und  poetischen  Plural  in  der 
Regel  den  letzteren  als  die  lectio  difficilior  stehen  lassen;  bei  Ovid  herrscht 
in  der  schlechteren  Überlieferung  vollständige  Anarchie,  sodafs  deren  Va- 
rianten nur  ausnahmsweise  in  Betracht  gezogen  werden  dürfen.  Ich  will 
bei  dieser  Gelegenheit  eine  Stelle  erwähnen,  wo  alle  Herausgeber  von  der 
guten  Überlieferung  abgewichen  sind,  um  einem  poetischen  Plural  zu  ent- 
gehen: epist.  Sapph.  23 

sume  fidem  et  pharetras:  fies  manifestus  Apollo. 
So  hat  die  Frankfurter  Handschrift,  die  allein  mafsgebend  ist;  pharetram 
g  edd.  Aber  pharetra  im  poetischen  Plural  ist  ganz  gewöhnlich;  z.  B.  Ovid 
Met.  4,  306  (sume  pharetras  neben  iaculum).  308.  10,  508.  15,  634;  also  ist 
fidem  et  pharetras  nicht  anzutasten:  im  Gegenteil,  der  poetische  Plural 
neben  dem  poetischen  Singular  ist  nicht  ohne  Reiz.  —  Ähnlich  ist  es  dem- 
selben Wort. noch  an  einer  andern  Stelle  gegangen:  Verg.  Aen.  11,  844 

aut  nostras  umero  gessisse  pharetras. 
sagittas  M  und  Ribbeck,  gegen  pharetras  P  Rybm;  aber  auch  die  Anhäufung 
der   Zischlaute   (worauf  mich    Herr  Prof.  v.  Wölfflin    aufmerksam   macht) 
kennzeichnet  die  Glosse. 

**)  In  letzter  Stunde  finde  ich,  dafs  schon  I.  Hilberg,  Die  Gesetze  der 
Wortstellung  im  Pentameter  des  Ovid,  Leipzig  1894,  die  Bevorzugping  natur- 
langer Silben  aus  anderen  Momenten  erschlossen  hat.  Er  beschränkt  sie 
jedoch  auf  die  Silbe  vor  der  Cäsur  (Gesetz  G).  Es  ist  möglich,  dafs  an 
dieser  Versstelle  sich  eine  besondere  Vorliebe  dafür  zeigt:    Hilberg  jeden- 


Studien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Römern.  521 

Gehen  wir  nun  zu  den  Neutren  über.  Die  Bevorzugung  der 
Formen  auf  ä  ist  schon  längst  erkannt  (besonders  von  Appel  de 
genere  neutro  intereunte)  und  auch  der  Grund  ausgesprochen:  die 
römische  Sprache  hat  wenig  kurze  Silben,  der  daktylische  Vers 
braucht  viele,  das  Neutrum  bietet  sie  in  den  Pluralfornien  auf  u: 
also  treten  diese  für  den  Singular  ein  und  noch  in  höherem 
Mafse,  als  bisher  bekannt  ist. 

Unter  den  noch  übrigen  Neutren  der  zweiten  Deklination 
kommen  hauptsächlich  vina  (Neue  600),  musta  (601)  und  electra 
(620)  in  Betracht.  Der  Plural  ist  Regel:  vina  hat  Lucrez  2 mal, 
Vergil  18 mal,  Horaz  23 mal,  TibuU  (Lygdamus  etc.  einbegriflfen) 
3 mal,  Ovid  SOmal;  vinum  Catull  Imal  (50,  6  per  iocum  atque 
vinum  in  Elfsübem),  Horaz  3  mal  (Sat.  2,  2,  58.  4,  60  Epist.  1,  14, 
24),  Ovid  6mal  (Amor.  1,  6,  37.  59  Met.  7,  594  Fast.  1,  301.  4, 
935  Pont.  4, 2,41).  musta  haben  Tibull  und  Ovid  zusammen  11  mal, 
electra  Vergil  und  Ovid  zusammen  3mal;  mustum  und  electnim 
fehlen.  Also  90  poetische  Pluralformen  (ich  rechne  hier  wie 
S.  522  bei  aera  auch  diejenigen  Plurale  bei  Dichtern  zu  den  poe- 
tischen, wo  die  Deutimg  als  Mehrheit  möglich,  aber  nicht  not- 
wendig ist)  gegen  10  Singularformen. 

Eine  Form  wie  vinum  in  der  Mitte  des  Verses  führt  not- 
wendig entweder  zu  einem  Spondeus  oder  zu  einer  Elision;  es 
braucht  wohl  kaiun  wiederholt  zu  werden,  dafs  dem  gegenüber 
eine  Form  wie  vina  durchschnittlich  den  Vorzug  verdient.  Frei- 
lich ist  unter  Umständen  eine  lange  Endsilbe  erwünscht,  beson- 

falk  hat  es  mit  seinem  Umstellungsprinzip  nicht  bewiesen.  Die  Wahl  einer 
bestimmten  Wortstellung  kann  für  solche  Behauptungen  nur  dann  ver- 
wertet werden,  wenn  sie  eben  aus  keinem  anderen  Grunde  geschehen  sein 
kann,  nicht  aber  wenn  die  übrigen  Stellungsmöglichkeiten  den  Grund- 
gesetzen der  Technik  widersprechen;  und  das  letztere  ist  fast  bei  allen  von 
Hilberg  S.  490  ff.  597  ff.  ausgeschriebenen  Versen  der  Fall.  —  Auf  Grund 
dieses  „Gesetzes"  hat  Hilberg  auch  verschiedene  Pluralformen  gegen  die 
gute  Überlieferung  für  ursprünglich  erklärt,  so  Art.  2,  G22  (S.  546) 

sed  quere  US  tecta  cibumque  dabant  (statt  dabat), 

worunter  die  Deutlichkeit  der  Konstruktion  leidet  (auch  ist  der  generelle 
Singular  dichterischer)  und    Amor.  3,  12,  40  (S.  621) 

duraque  percussas  (statt  -am)  saxa  secuta  lyras  (statt  -am), 

wodurch  ein  wenig  empfehlenswerter  Sigmatismus  entsteht.  Hingegen  ist 
an  einigen  Stellen  (S.  547.  027)  aus  der  Bevorzugung  der  Pluralformen 
richtig  auf  das  Streben  nach  naturlangen  Silben  geschlossen;  das  beweist 
allerdings  mehr  als  alle  Umstellungen  Hilbergs. 


522  Paul  Maas: 

ders  vor  der  Penthemimeres;  also  z.  B.  Ov.  ex  Pont.  4,  2,  41 
nam  quia  nee  vinum  nee  nie  tenet  alea  fallax.*) 

Unter  den  Neutren  der  dritten  sind  besonders  erwähnens- 
wert  farra  (N  608j,  mella  tura  (N  615),  aera  (N  619j.  Diese 
Formen  finden  sich  von  Vergil  bis  Ovid  167  mal,  die  entsprechen- 
den Singulare  13  mal.**) 

Die  Stellen  für  den  Singular  sind:  far  2 mal  (farra  20 mal): 
Hör.  Sat.  1,6,  112  Ovid  Fast.  1,  338;  mel  2 mal  (meUa  38 mal): 
Ovid  Fast.  1,492  ex  Pont.4, 2, 9;  tus  3 mal  (tura  63 mal):  Hör.  epist. 
1,  14,  23.  2,  1,  269  Ovid  Med.  fac.  85;  aes  hatte  Lucrez  noch 
10 mal  angewandt  (aera  3 mal);  bei  den  augusteischen  Dichtem 
steht  aes  6 mal  (aera  46 mal):  Verg.  Aen.  8,  445  Hör.  Sat.  1,  5, 13 
Carm.  1,  3,  9  Ovid  Met.  12,  96  Fast.  4,  351.  405. 

Nun  kann  man  nicht  behaupten,  dafs  Formen  wie  aes  tus 
mel  far  wegen  ihrer  prosodischen  Beschaflfenheit  für  den  Vers 
nicht  taugten;  hier  scheinen  vielmehr  euphonische  Gründe  zur  Ver- 
meidung der  Singularformen  geführt  zu  haben:  die  Monosyllaba, 
die  nur  die  Hälfte  eines  Versfufses  füllen,  in  Fällen  wie  Ov.  Pont. 
4,  2,  9  quis  mel  Aristaeo  .  .  .  nur  den  vierten  Teil,  also  in  ihrer 
Klangwirkung  Konjunktionen,  Partikeln  und  Präpositionen  gleich- 
stehen, mufsten  den  volleren,  schöner  klingenden  trochäischen 
Pluralformen  weichen.     Dafs  Horaz  Epist.  1,  14,  23 

Angulus  iste  feret  piper  et  tus  ocius  uva 

und  Sat.  1,  6,  112 

percontor,  quanto  olus  ac  far 

(vgl.  Epist.  2,  1,  269  Ovid  Med.  fac.  85)  die  prosaische  Form 
anwandte,  wird  nicht  auffallen.  Hier  würde  der  „poetische"  Plural 
einfach  komisch  wirken. 

Weniger  zahlreich  sind  die  Pluralformen  marmora  (N  620; 
auffällig  Ovid  Met.  7,  790  duo  marmora  =  zwei  Marmorgestalten), 

*)  Ebenso  wird  frumenta  und  unguenta  behandelt  (N  602,607);  viel- 
leicht gehört  auch  venena  hieher  (fehlt  bei  N),  das  bei  Lucrez  noch  fehlt 
(venenum  6  mal),  bei  Vergil  gerade  so  häufig  ist  wie  venenum  (jedes  2  mal), 
bei  Ovid  überwiegt  (venenum  2 mal,  venena  7 mal):  venenum  war  im  Penta- 
meter unmöglich,  da  es  dort  nicht  elidiert  werden  darf  (T.  Hilberg  Zeitschr.  f. 
österr.  Gymn.  181)6  S.  866).  Doch  ist  bei  diesen  Worten  auch  in  Prosa  der 
Plural  sehr  häufig  (zu  frumenta  vgl.  sarmenta  caementa  u.  a.  in  Prosa). 

**)  Ähnlich  rura,  das  den  Plural  aber  auch  in  Prosa  zuläfst  (N  626, 
wo  z.  B.  Varro  L.  lat.  5,  40  R.  rust.  1,  10,  1.  2,  prooem  1  fehlt).  Bei  den 
Dichtem  steht  rura  ca.  6  mal  so  oft  wie  ms. 


Stndien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Römern.  52B 

sulpura  (N  621;  z.  B.  bei  Ovid  sulpura  4mal,  sulpur  nur  Art.  2, 
330)  paparera  (N  614).*) 

Bei  solchen  Wörtern  bot  die  Singularform  an  sich  gar  keinen 
Nachteil  und  war  nur  in  der  Mitte  des  Veraes  vor  Konsonanten 
unfügsamer  als  der  Plural. 

Doch  mufs  noch  ein  Moment  behandelt  werden  ^  das  bei  der 
Häufigkeit  der  neutralen  Pluralformen  von  grofsem  Einflufs  war. 
^dde  quod^  plurali  posito,  adiectiva  quoque^  cum  illis  neutris 
coniuncta^  si  secunda  declinatione  flectebantur,  pro  ancipiti  syl- 
laba  extrema;  quae^  si  trochaeus  velut  in  ^Optimum'  et  ^pessimum' 
anteibaty  hexametro  inseri  nuUo  modo  poterant',  brevem  accipie- 
bant^  . . .  .'^  sagt  Appel  p.  16  unelegant,  aber  sehr  richtig.  Also 
humida  vina,  Candida  mella,  lurida  sulfura  etc.  ist  auch  gewisser- 
mafsen  direkter  Verszwang.**)  Ebenso  gilt  dasselbe,  was  wir  über 
vinnm  mustum  et<;.  gesagt  haben,  auch  für  altum  magnum  etc., 
und  wenn  man  bedenkt,  dafs  die  zweite  Hälfte  des  Pentameters 
weder  Spondeus  noch  Elision  zuläfst,  so  ist  z.  B.  nuUa  .  .  .  musta 
Ov.  Pont.  2,  9,  32  ebenfalls  als  vom  Verse  erzwungen  zu  be- 
trachten. 

Dem  gegenüber  kommen  kaum  die  Fälle  in  Betracht,  wo 
dem  Adjektiv  zulieb  der  Singular  eintreten  mufs.  Es  würde 
dies  hauptsächlich  die  Adjektiva  wie  viridis  medius  etc.  betreffen, 
die  in  den  Formen  auf  ä  nur  mit  Elision  in  den  Hexameter 
passen;  also  etwa  papaver  soporiferum  Verg.  Aen.  4,  486;  modi- 
cum  vinum  Ov.  Am.  1,  6,  37.***)     Auch  zeigt  sich  in  den  Fällen, 


*)  Ähnlich  wird  das  verwandte  robora  behandelt  (N  658;  auch  Lei 
Cicero);  Vergil  hat  es  12 mal  (robur  8 mal),  Ovid  15 mal  (robur  3 mal).  Auch 
gramen a  gehört  wohl  hieher  (fehlt  bei  N;  graminibus  Cato  Agr.  151,  2;  aus 
der  klassischen  Prosa  habe  ich  keinen  Beleg);  z.  B.  Vergil  hat  gramen 
2 mal,  gramina  10  mal.     Im  Ablativ  steht  stets  der  Singular. 

**)  Man   betrachte  von   diesem  Standpunkt   aus  die  bekannte  Horaz- 
stelle  C.  4,  7,  21  ff. 

cum  semel  occideris  et  de  te  splendida  Minos 

fecerit  arbitria, 

non,  Torquate,  genus,  non  te  facundia  .  .  . 
und  dann  die  Konjektur  von  J.  J.  Hartmann  (Mnemosyne  1901,  p.  104) 
splendide.  Von  der  abscheulichen  Wortstellung  zu  schweigen :  hätte  Horaz 
die  sonst  im  ganzen  Gedicht  gewahrte  Sjnaphie  zwischen  den  Zeilen  durch 
eine  ganz  unnötige  poetische  Pluralform  zerstört  (arbitria  —  non),  wenn 
ihn  nicht  splendida  dazu  gezwungen  hätte? 

***)  Hier  möge  auf  die  interessante  Entwicklung  des  poetischen  Plurals 
bei  einem  verwandten  Substantiv  dieser  Form  hingewiesen  sein.     VAroil. 


524  Paul  Maas: 

wo  7A\  einem  Acc.  neutr.  sing,  ein  Adjektiv  tritt,  eine  Bevor- 
zugung der  beiden  genannten  Arten.  Deutlicher  spricht  aber  die 
Thatsache,  dafs  in  den  23  Dichterstellen  für  die  Formen  far  mel 
tus  aes  überhaupt  nur  einmal  ein  Epitheton  zugefügt  ist:  aes  triplex 
bei  Horaz  C.  1,  3,  9  (tripliciä!),  einmal  ein  Prädikat  mel  —  dulcius 
Ovid  Fast.  1,  192  (dülclöra!).  Endlich  kann  in  den  Fällen,  wo 
solch  ein  Begriff  Subjekt  wird,  die  Gestalt  des  Verbums  auf  den 
Numerus  Einflufs  haben;  so  wäre  bei  Horaz  Sat.  1,  f),  13  dum 
aes  exigitur  der  Plural  nicht  möglich  (vgl.  Ov.  Fast.  1,  338). 

Aber  auch  das  euphonische  Moment  spielt  bei  den  von  einem 
solchen  Wort  abhängigen  Satz  teilen  mit;  besonders  die  neutralen 
Formen  der  Partizipien  und  der  Adjektiva  einer  Endung  wie 
candens  felix  gewinnen  im  Plural  bedeutend  an  Wohllaut  und 
Fülle.  Man  braucht  nur  eine  jener  herrlichen  Verbindungen  wie 
fragrantia  raeUa,  liquentia  vina,  vivacia  sulfura  durch  den  stumpfen 
und  plumpen  Singular  zu  ersetzen,  um  zu  erkennen,  welche  Klang- 
schönheit der  poetische  Plural  dem  Vers  der  römischen  Elegiker 
und  Epiker  verliehen  hat. 

Mit  den  übrigen  Kasus  können  wir  uns  kurz  fassen;  sie 
sind  seltener  und  zu  verschiedenartig  in  der  Form;  dennoch  lassen 
sich  auch  hier  Regelmäfsigkeiten  finden,  die  zweifellos  mit  dem 
formellen  Charakter  der  Erscheinung  zusammenhängen. 

Der  Genetiv  kommt  bei  poetischen  Pluralen  so  gut  wie  nicht 
vor;  wir  werden  Formen  wie  cämiüm  vestiüm  gländiüm  (vgl. 
S.  508 f.)  etc.  nicht  vermissen;  auch  solche  mit  drei  Längen  wie 
länärüm  arenärüm  etc.  würden  schwerlich  dem  Singular  gegen- 
über für  den  Vers  haben  in  Betracht  kommen  können;  bei  andern 
mag  man  in  Zweifel  gewesen  sein,  ob  der  Genetiv  auf  um  oder 
ium  zu  bilden  sei,  wie  bei  aes  mel  far  tus  etc.  (so  auch  in  Prosa; 
vgl.  Neue -Wagener  P  S.  750);  jedenfalls  genügten  die  geringen 
Vorteile,  die  unter  Umständen  eine  Pluralform  im  Genetiv  für 
den  Vers  bieten  konnte  (wie  etwa  cinerum  vor  Vokal),  nicht, 
um  der  Prosa  unbekannte  Formen  neu  zu  bilden.     Ich  fand  nur 


der  Elisionen  nicht  scheute,  hat  den  Plural  maria  16  mal  angewandt  (mare 
25 mal),  sei  es  den  Epitheta  zulieb,  sei  es  um  die  haltlose  pyrrhichische 
Singularform  zu  ersetzen;  Properz,  Tibull  Horaz  und  Ovid,  die  mare  über 
100 mal  schreiben,  haben  die  Pluralform  nur  noch  3 mal  zugelassen:  Prop. 
2,  18,  38  am  PentameterschluTs ,  also  nicht  elidiert,  26,  52  maria  alta  und 
Ovid  Pont.  4,  11,  IG  tot  maria  et  terras.  So  spiegelt  sich  hier  in  der  auf- 
fälligen Abnahme  des  i)oeti8chen  Plurals  der  Fortschritt  der  Verstechnik. 


Stadien  zum  poetiscLen  Plural  bei  den  Römern.  525 

das  vereinzelte  hederarum  Ov.  Met.  6,  599.  Vielleicht  gehört 
hieher  das  allerdings  am  Versende  sehr  gut  verwendbare  rosarum*) 
Lucr.  2,  627  Hör.  Carm.  3,  29,  3  Ovid  Met.  2,  113  (fehlt  bei  N; 
bei  Plautus,  Varro  R.  rast.  1,  35,  1  und  Cicero  fand  ich  nur  den 
Singular). 

Im  Nominativ  spielt  natürlich  die  Form  des  Haupt  verbums 
mit,  sodafs  die  des  Stofihamens  selbst  nicht  immer  rein  zur  Geltung 
kommt;  und  so  läfst  sich  nicht  sagen,  ob  es  Zufall  ist,  dafs 
eineres  im  Nominativ  nie  für  den  Singular  eintritt  (Ovid  Art. 
3,  21  eineres  miscebimur  ist  von  zweien  die  Rede,  vgl.  S.  519), 
während  cinis  bei  Vergil  2  mal,  bei  Properz  3  mal,  bei  Horaz  und 
TibuU  je  Imal,  bei  Ovid  sogar  9 mal  vorkommt.**)  Jedenfalls 
sind  die  Verba  durchschnittlich  in  der  dritten  Person  sing,  füg- 
samer als  im  Plural  (Formen  wie  devöränt  dectderunt  sind  über- 
haupt ausgeschlossen). 

Doch  bei  zwei  Wortgruppen  bleibt  die  Form  der  Substantive  für 
den  Gebrauch  des  Plurals  mafsgebend,  und  glücklicherweise  nach 
zwei  entgegengesetzten  Seiten.  Bei  denjenigen  Femininen  der  ersten 
Deklination,  die  zwei  kurze  Silben  vor  der  Endimg  haben,  wo 


*)  So  ist  auch  aquarum  (N  605)  schon  bei  Lucrez  sehr  häufig  und  bei 
Ovid  sogar  häufiger  als  der  Singular;  doch  ist  schon  bei  Varro  und  Cicero 
der  Plural  ganz  gewöhnlich,  in  der  Bedeutung  „Sprudel"  sogar  Regel,  wie 
Varro  L.  lat.  9,  68  des  längeren  erklärt  (diese  Stelle  sowie  jeder  Hinweis 
auf  den  Pluralgebrauch  fehlt  im  Thesaurus  11  363).  Auch  bei  den  poeti- 
schen Wörtern  latex  und  lympha  kommt  der  Genetiv  Plural  vor:  laticum 

Lucr.  4,  1085.  1091   Ovid  Pont.  4,  10,  59,  lympharum  ( !)  Lucrez  1,496. 

Überhaupt  sind  die  poetischen  metaphorischen  Bezeichnungen  für  „Ge- 
wässer**, „Flut(en)"  meistens  von  Natur  pluralisch:  so  flustra  (N  696)  flu- 
mina  (Qh&Qo)  fontes  (nriycci  Flut,  vgl.  Wilamowitz  zu  Herakles  390)  freta  rivi 
(Tibull  1,1,  28)  stagna  vada,  auch  maria  in  der  Verbindung  maria  ponti 
(Laevius  fr.  1).  Hier  scheint  der  Plural  die  Bedeutungsübertragung  vermittelt 
zu  haben:  die  Form  fretum  =  Meer  findet  sich  erst  bei  Ovid,  vadum  in 
dieser  Bedeutung  erst  nach  Ovid. 

**)  Ähnlich  ist  es  dem  Wort  rogus  ergangen.  Das  hatte  wohl  zuerst 
Vergil  im  poetischen  Plural  gebraucht,  als  er  seine  Dido  sterben  liefs  (4, 
646).  Tibull  und  Properz  schreiben  noch  rogum  (rogos  nur  von  mehreren); 
Ovid  übernahm  in  seiner  Didoepistel  mit  dem  Stoffe  auch  den  poetischen 
Plural  (193);  er  gebraucht  dann  rogos  statt  rogum  doppelt  so  oft  wie 
rogum  (7:4);  im  Nominativ  hingegen  bleibt  rogus  Regel  (6  mal).  —  Wenn 
andererseits  der  Plural  fron  des  bei  Ovid  die  Form  frons  (oder  fros;  vgl. 
Neue  P  746,  wo  Cato  Agr.  4  fehlt)  vollständig  verdrängt,  so  mag  die 
Unsicherheit  oder  Zweideutigkeit  (frons  frontis)  des  einsilbigen  Singulars 
mitgespielt  haben. 

Archiv  für  lat.  Lexikogr.    Xn.    Heft  4.  ^'^ 


526  Paul  Maas: 

der  Singular  also  nur  mit  Elision  möglich  war,  ist  der  Plural 
Regel:  violae  (vgl.  S.  506)  Vergil  Ecl.  10,39  Oyid  Art.  2,  115 
Fast.  2,  539.  6,469;  viciae  (N  612)  Ovid  Fast.  5,  267;  stipu- 
lae  (vgl.  S.  506)  Verg.  G.  1,  289  Met.  1,  492;  casiae  (fehlt  bei  N) 
Verg.  G.  4,  30;  castaneae  =  Früchte  (fehlt  bei  N;  Singular 
Varro  R.  nist.  3,  15,  1.  2:  nuces  aut  castaneam)  Verg.  Ecl.  1,  81. 
7,  53  Ovid  Met.  13,  819;  inulae  (fehlt  bei  N)  Moret.  73;  hederae 
Verg.  G.  2,  258  Hör.  C.  1,  1,  29  Prop.  1,  2,  10.  2,  5,  26  Eleg. 
cad  Mae  1,  64  Ovid  Art.  3,  411  Met  3,  664.  10,  99.*)  Eine  Singu- 
larform findet  sich  nur  für  hedera  und  nur  Ovid  Fast.  3,  767 

hedera  est  gratissima  Baccho; 
also  die  leichteste  Elision,  und  notwendig  wegen  des  Super- 
lativ. —  Genau  umgekehrt  ist  das  Verhältnis  bei  denjenigen  Femi- 
ninen der  ei*sten  Deklination,  die  eine  lange  Silbe  vor  der  Endung 
haben,  im  Plural  also  spondeisch  auslauten;  hier  herrscht  der 
Singular:  spuma  Ovid  Med.  fac.  73  Met.  3,  74.  4,  538.  8,  288; 
lana  Verg.  Ecl.  4,  42  G.  2,  465  Horaz  Carm.  3,  5,  28  Epist.  2,  1, 
207  Lygdamus  3,  18  Prop.  3, 11,  12  Ovid  Art.  3, 170.  222  Her. 
12,  128.  14,  66  [Met.  13,  849]  Fast.  2,  742.  3,  876.  4,  773;  cera 
Verg.  Ecl.  8,  80  Horaz  Sat.  2,  5,  54  Properz  3,  23,  8  Ovid  17  mal; 
diesen  38  Singularformen  stehen  7  Plurale  gegenüber:  lanae 
(N  621)  Horaz  C.  2,  16,  37.  3,  15,  13  Ovid  Met.  7,  541,  cerae 
(N  620)  Ovid  Am.  1,  12,  23 

hae  capiant  vadimonia  garrula  cerae 
wo  den  Singular  der  Vers,  aber  nur  zum  Schaden  von  Euphonie 
und  Deutlichkeit,  zugelassen  hätte,  Art.  2,  89  =  Met.  8,  227  Met. 
3,  488  (Am.  1,8,65  heifst  es  Wachsbilder);  spumae  (N  604)  fehlt, 
was  um  so  auffälliger  ist],  als  spumas  und  spumis  den  Singular 
ganz  verdrängt  haben.  —  Häufiger  ist  der  Plural  bei  arena  (N  617), 
das  im  Hexameter  sowieso  in  der  Regel  an  den  Versschlufs  hätte 
treten  müssen  (da  amphibrachische  Formen  in  der  Mitte  des  Verses 
selten  sind) ;  dort  wurde  es  dann  fast  regelmäfsig  durch  den  voller 
klingenden  Plural  ersetzt:  Verg.  G.  2,  106.  Aen.  3,  557.  9,  714  Ovid 
Am.  2,  11,  47  Art.  3,  395  Met.  10,  701;  arena  im  Hexameter  nur 


*)  Ich  sehe  ab  von  paleae  Verg.  G.  3,  134,  weil  auch  die  Prosa  den 
Plural  hat  (vgl.  S.  505).  Aber  parallel  ist  der  Gebrauch  von  nebulae  (vgl. 
S.  519  Anm.):  Lucrez  hat  nebulä  noch  3mal  (3,429.  437.  6,1119),  nebulae 
8,431.  G,  103.  1097;  später  aber  verschwindet  der  Singular,  während  nebulae 
bei  Verg.  G.  1,401  Horaz  C.  1,  22,  19.  3,  8,  66  Ovid  Met  1,  267.  11,695 
steht;  also  analog  der  Zunahme  des  Singulars  bei  mare  (vgl.  S.  523). 


Stadien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Römern.  527 

Vei^.  G.  3,  493  (VersschluTs)  und  Prop.  3,  11,  35  (im  4ten  Fufs, 
wodurch  der  unschöne  Schlufs  detraxit  arena  triumphos  entsteht*)). 
Im  Pentameter  dagegen  hat  arenae  keinen  Platz;  arenä  Prop.  1, 
17,  8.  3,  7,  26.  4,  8,  76    Ovid  12mal. 

Den  Dativ  behandeln  wir  gesondert  nur  in  den  Fällen,  wo 
er  nicht  in  beiden  Numeri  für  den  Vers  mit  dem  Ablativ  kon- 
gruent ist,  also  bei  den  Nomina  der  dritten  Deklination;  und  bei 
diesen  fehlt  er  so  gut  wie  ganz,  was  wohl  aus  der  Seltenheit 
dieses  Kasus  bei  diesen  Begriffen  zu  erklären  ist;  zu  cineri,  das 
noch  am  häufigsten  ist,  wäre  der  Plural  im  Vers  unmöglich  ge- 
wesen. Dativ  ist  vielleicht  papaveribus  (statt  des  unmöglichen 
papävSn,  obwohl  auch  papavere  im  Pentameter  keinen  Platz  findet) 
bei  Prop.  1,20,  37  f.: 

surgebant  liHa  prato 
Candida  purpureis  mixta  papaveribus. 

Über  graminibus  und  roboribus  vgl.  S.  502  Anm.  und  S.  497.  — 
Deutlich  jedoch  zeigen  sich  die  Forderungen  des  Verses  bei  dem 
Dativ  von  vestis  (vgl.  S.  519);  hier  wird  der  spondeische  Singular 
fast  regelmäfsig  durch  den  daktylischen  Plural  ersetzt:  Horaz  C.  4, 
9, 14  aurum  vestibus  illitum,  Ovid  Art.  3,  131  insuto  vestibus 
auro,  also  in  derselben  Verbindung,  dann  Met.  1,  372.  3,  556. 
6,  166   Her.  18,  31;  vesti  nur  Met.  4,  117  (am  Versschlufs). 

Im  Ablativ  müssen  wir  die  Nicht-Neutra  von  den  Neutren 
trennen.  Bei  den  ersteren  entspricht  die  Häufigkeit  des  Plurals 
meistens  den  Vorteilen,  die  er  im  einzelnen  Falle  dem  Verse  bot. 
Von  den  Nomina  der  dritten  Deklination  kommen  hauptsächlich 
glandibus  (vgl.  S.  504),  vestibus  (vgl.  S.  519),  camibus  (N  622)  rori- 
bus  (N  606)  und  faecibus  (fehlt  bei  N)  in  Betracht;  cinöribus  war 
unmöglich.  Nun  sind  die  daktylischen,  konsonantisch  auslautenden 
Formen  lange  nicht  so  geeignet  fiir  den  daktylischen  Vers,  wie  die 
troehäischen,  vokalisch  schliefsenden  (came  veste  glande  rore  faece), 
da  sie  erstens  nur  vor  Vokalen  und  zweitens  nur  an  weniger  Stellen 
des  daktylischen  Verses   möglich   waren    (vgl.   S.  488  Anm.)   als 


•)  Über  die  Abneigung  gegen  solche  Schlüase  vgl.  Joh.  Heinr.  Voss 
im  Kommentar  zu  Yergil  Ecl.  8,  45;  Th.  Birt  ad  historiam  hexametri  latini 
Bjmbola,  Bonn,  1878,  p.  28 f.;  Cavallin  de  caesuris  qnarti  et  quinti  trochae- 
omm  hexametri,  Norcopiae  1896.  Der  Grund  dürfte  wohl  derselbe  sein, 
den  0.  Brugmann  richtig  zur  Erklärung  des  Luchsschen  Jamben gesetzes  ge- 
geben hat:  Schlüsse  wie  !u_u|u_u  und  u-|u_  nehmen  gleichsam  das 
Versende  vorweg  und  stören,  wie  zwei  gleiche  Schlufsakkorde  hintereinander. 

35  • 


528  Paul  Maas: 

jene  trochäischen,  deren  Gebrauch  nur  im  dritten,  vierten  und 
sechsten  Fufs  des  Hexameters  beschränkt  war  (über  cruoribus  vgL 
S.  520).  So  erklärt  sich  die  Seltenheit  der  Pluralformen:  roribus 
tritt  sogar  erst  nach  Ovid  (Lucan  7,  837)  auf,  obwohl  schon  Cicero 
(de  div.  1,  14  =  Prognost.  fr.  6  Baehrens  PLM  VI  p.  28)  rores  ge- 
schrieben hatte  und  rore  bei  den  Dichtem  von  Lucrez  bis  Ovid 
ca.  25  mal  vorkommt.  Deutlich  zu  beobachten  ist  die  Entwicklung 
bei  vestis;  vestibus  findet  sich  im  Ablativ  zuerst  bei  Ovid  Met. 
5,  601,  obwohl  vestes  schon  bei  Lucrez  legitim  und  veste  vor  jener 
Ovidstelle  sehr  häufig  ist  (über  50 mal);  das  ist  doppelt  auffällig,  da 
im  Dativ  schon  vorher  die  Form  vestibus  Regel  war  (vgl.  S.  527); 
der  poetische  Plural  ist  also  anfangs  an  den  Kasus  gefesselt  ge- 
blieben, dessen  seh  werf  äUigere  Singularform  ihn  hervorgerufen  hatte; 
Ovid  zeigt  dann,  sobald  er  vestibus  einmal  im  Ablativ  angewandt 
hat,  eine  besondere  Vorliebe  für  diese  Form:  sie  steht  in  den 
letzten  zehn  Büchern  der  Metamorphosen  6  mal  (6,  288.  8,  448. 
778.  10,263.  11,654.  13,901),  veste  nur  4mal  (7,  848.  8,859. 
10, 176.  432);  in  den  Fasten  tritt  dann  das  natürliche  Verhältnis 
(4 :  10)  ein.  Bei  den  übrigen  Wörtern  herrscht  jedoch  dieses  von 
Anfang  an;  carnibus  Ennius  Annal.  343  Ovid  Met.  7,  269,  came 
bei  Horaz  und  Ovid  je  2mal;  glandibus  Ovid  Met.  10,  94,  glande 
Vergil  Tibull  Horaz  Ovid  zusammen  6mal;  faecibus  Hör.  AP 
277),  faece  Sat.  2,  4,  55  (und  zweimal  im  Oden),  Ovid  Met.  8,  665. 
Viel  häufiger  sind  die  Plurale  von  Nicht-Neutren  in  den 
Formen  auf  Is.  Diese  sind  für  den  Vers  vom  Dativ  imd  Ablativ 
Singular  nur  vor  Vokalen  verschieden,  dann  aber  auch  von  Vor- 
teil. Und  wenn  z.  B.  hederä  10 mal  vorkommt  (Verg.  Hör.  Tib. 
Prop.  Ov.),  hederis  aber  nur  2  mal  (Horaz  Carm.  1,  36,  20  Ovid 
Met.  6,  128)  und  beidemal  vor  Vokal,  so  werden  wir  auch  hierin 
den  Einflufs  des  Verses  erkennen.  Aus  demselben  Grunde  tritt 
ceris  Ov.  Art.  2,  47  Met.  8,  193.  670  (Attribut  vor  Vokal).  9,  529 
(desgl.).  Trist.  5,  4,  30  Fast.  4,  546  für  cera  ein,  das  bei  Verg.  Hör. 
Tib.  Ov.  8  mal  vorkommt  (Ov.  Art.  3,495  heifst  ceris  Wachstafebi). 
Zufall  mag  sein,  dafs  zu  violä  (Hör.  Verg.  Ov.  3 mal)  und  lanä 
(Verg.  Hör.  Prop.  Ov.  7 mal)  der  Plural  fehlt;  lanis  Ov.  Am.  3, 
7,  79  ist  zu  unsicher  überliefert,  als  dafs  man  die  sonst  vor 
Petron.  78  nicht  bezeugte  Form  in  den  Text  setzen  dürfte.  Bei 
andern  tritt  aber  sehr  oft  die  Form  auf  is  ein,  ohne  dafs  es  der 
Vers  verlangt;  spumis,  zuerst  bei  Catull  64,  13  (vor  Vokal),  ver- 
drängt den  Singular  vollständig  (Vergil  3 mal,  Ovid  7 mal);    vor 


Studien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Kömern.  529 

Konsonant  z.  B.  Verg.  G.  3,111  spumis  flatuque.  Ebenso  Verg.  G. 
1,  215  fabis  satio;  2, 139  turiferis  Panchaia  pinguis  harenis;  3,  99 
in  stipulis  magnus  . .  (aber  bei  Ovid  stipulis  nur  vor  Vokal  Met. 
8,630  Fast.  4,  797,  stipulä  7 mal).  Hier  hat  also  das  Streben 
nach  unprosaischen  Formen  (vgl.  S.  497  f.)  den  Singular  zurück- 
gedrängt, wenn  wir  nicht  auch  in  der  Bevorzugung  der  geschlossenen 
Silben  vor  den  offenen  ein  euphonisches  Moment  erkennen. 

Und  nun  zum  SchluTs  noch  einige  Worte  über  den  Ablativ 
(resp.  auch  Dativ)  bei  den  Neutren.  Hier  kommt  derselbe  näm- 
lich nur  ausnahmsweise  vor.  Die  bedeutenden  Vorzüge,  die  ge- 
rade bei  den  Neutren  der  Nominativ  und  Akkusativ  Plural  bot, 
haben  die  poetische  Freiheit  hier  an  diese  beiden  Kasus  gebunden ; 
farribus  mellibus  turibus  sind  nie  gebildet  worden  (N.  P  S.  749); 
über  papaveribus  vgl.  S.  526;  marmoribus  kennt  erst  Juvenal 
(6,  430.  14,  90);  aeribus  steht  vereinzelt  bei  Lucrez  2,  637  pul- 
sabant  aeribus  aera,  also  durch  den  Zusammenhang  und  die  über- 
tragene Bedeutung  (Erzklappem)  erzwungen;  vinis  hat  sich  Ovid 
zweimal  gestattet  (Art.  1,  244  Fast.  6,  673),  mustis  derselbe  ein- 
mal (Ovid  Am.  1,  15,  11);  diese  letztere  Neubildung  fiel  besonders 
auf:  Servius  zu  Verg.  Georg.  2,  7  (fehlt  bei  Neue). . . .  licet  Ovi- 
dius  abusive  dixerit  musta:  sed  hoc  ille  plus  fecit,  quod  et  mu- 
stis dixit  ....  Kein  Dichter  hat,  wenn  wir  Neues  (748  ff.)  Samm- 
lungen trauen  dürfen,  aeribus,  vinis  oder  mustis  wieder  ange- 
wendet. Hier  bleibt  also  der  poetische  Plural  weit  hinter  dem 
zurück,  was  der  Vers  verlangt  hätte;  trotzdem  zeigt  sich  sein 
Einflufs  auch  noch  in  den  drei  Fällen,  wo  Ovid  die  Formen  vinis 
und  mustis  verwendete:  es  folgt  jedesmal  ein  Vokal.  —  Warum 
gerade  die  Neutren  jene  Ausnahmestellung  einnehmen?  Die  Er- 
klärung giebt  eine  entsprechende  Erscheinung  der  Umgangssprache, 
die  freilich  selbst  noch  der  Erklärung  harrt:  aera  und  vina  sind 
auch  in  der  klassischen  Prosa  „aptota"  (vgl.  S.  505);  und  da  dies 
diejenigen  der  hieher  gehörigen  Neutren  sind,  die  zuerst  im  poe- 
tischen Plural  vorkommen  (schon  bei  Lucrez),  so  dürfte  deren 
Analogie  auf  die  übrigen  gewirkt  haben.  Übrigens  werden  auch 
sonst  als  aptota  der  zweiten  und  dritten  Deklination  nur  Neutra 
genannt:  rura  iura  maria  pura  murmura  ora  (Neue  749);  also 
liegt  diese  Sonderstellung  der  Neutra  im  Sprachgefühl  begründet. 
Einiges  neues  Material  zu  dieser  Frage  werden  wir  sofort  aus 
einer  andern  Wortklasse  beizubringen  haben. 


530  F&n\  Maas: 


IIL   Körperteile. 

Brust  Rücken  Hals  Mund  Herz  Antlitz  Busen  Kinn  Kehle 
Schnabel  —  das  ist  ein  engerer  Kreis  von  BegriflFen  als  die 
Unmenge  der  StoflEhamen  Metalle  Elemente  Gewächse  Flüssig- 
keiten u.  s.  w.,  aus  der  wir  im  vorigen  Kapitel  Auswahl  treffen 
mufsten;  hier  läfst  sich  die  gesamte  Erscheinung  in  ihren  An- 
fängen und  in  ihrer  Entwicklung  überblicken;  hier  ist  auch  der 
normale  Sprachgebrauch  leicht  zu  vergleichen:  man  weifs^  dafs 
die  Prosa  (von  der  spätesten  natürlich  abgesehen)  die  Plurale 
pectora  terga  colla  ora  corda  vultus  sinus  menta  gut- 
tura  rostra  niemals  dann  verwenden  darf^  wenn  von  einem 
dieser  Körperteile  in  Bezug  auf  ein  Individuum  die  Rede  ist. 

Dennoch  wird  es  vielleicht  auch  hier  gut  sein,  sich  zuerst 
über  den  Gebrauch  der  Pluralformen  in  der  Umgangssprache 
ein  wenig  zu  unterrichten.  Es  ist  nämlich  absolut  nicht  selbst- 
verständlich, dafs  sie  dort  überhaupt  vorkommen.  Bei  uns 
werden  Brust  (=  pectus)  Rücken  Mund  Antlitz  Busen  Kinn  und 
mehrere  andere  Körperteile,  die  an  einem  Individuum  nur  in 
einem  Exemplar  vertreten  sind,  nur  singularisch  gebraucht.  Den 
Grund  hiefür  sehe  ich  (nebenbei  bemerkt)  in  Folgendem:  Diesen 
Begriffen  fehlt  in  unserer  Vorstellung  die  für  unser  Sprachgefühl 
zur  Annahme  des  Plurals  notwendige  Eigenschaft  des  raumlichen 
oder  zeitlichen  Geschlossenseins:  sie  treten  nur  als  nie  selbständige 
Teile  eines  Ganzen  auf  und  kommen  nur  in  ihrem  Verhältnis  zu 
diesem  Ganzen  in  Betracht.  —  Wenn  wir  nun  etwas  Ähnliches 
im  lateinischen  Sprachgebrauch  nachweisen  könnten,  so  würden 
diese  Körperteile  bezüglich  des  Plurals  mit  den  Begriffen  der 
Masse  und  der  Abstrakta  Verwandtschaft  zeigen,  die  aus  ähn- 
lichen Gründen  eines  regelmäfsigen  Plurals  nicht  fähig  sind,  und 
so  fände  die  Ausbreitung  der  poetischen  Freiheit  bei  dieser  Klasse 
von  Konkreten  eine  begründete  Analogie. 

Die  Syntax  hat  noch  nicht  viel  danach  gefragt;  man  hat 
notiert,  dafs  Caesar  (BG  1,  32,  2)  mehrere  Sequaner  „capite  de- 
misso"  zur  Erde  blicken  läfst,  und  hat  bei  einem  solchen  „un- 
regelmäfsigen''  Singular  Ciceros  (pro  Mil.  79)  quid  vultu  extimu- 
istis?  aus  der  Not  eine  Tugend  gemacht  durch  die  Erklärung: 
hier  wäre  der  Plural  unlateinisch  gewesen  wegen  des  gleichen  Ge- 
sichtsausdruckes (Dräger  §  7,  3  S.  20f.     Kühner  H  §  22  Anm.  2). 


Studien  znm  poetischen  Plural  bei  den  Römern.  531 

Aber  was  wäre  denn  der  Plural  an  folgender  Stelle  gewesen: 
Cic.  Mur.  44  et  ex  vultu  candidatorum  coniecturam  faciant^ 
quantum  quisque  animi  et  facnltatis  habere  videatur?  —  Glück- 
licherweise hat  die  Frage,  ob  vultibus  oder  vultubus  zu  schreiben 
sei,  zu  einer  Sammlung  der  Belege  für  diese  Formen  geführt. 
Neue  P  558  bringt  aus  der  Prosa  vor  Petronius  keine  von  beiden; 
immerhin  beweist  das  nur,  dafs  sie  vorher  selten  sind;  vultibus 
steht  schon  bei  Cestius  Pius  in  Senecas  Controv.  2,  5,  3  camifices, 
in  quorum  vultibus  tormenta  erant.  Hier  dürfte  nun  der  Gesichts- 
ausdruck nicht  als  wesentlich  verschieden  aufgefafst  sein  —  und 
doch  steht  der  Plural:  der  Unterschied  besteht  eben  nicht  darin, 
dafs  das  eine  lateinisch  ist  und  das  andere  nicht,  sondern  darin, 
dals  Cicero  einer  früheren  Generation  angehörte.  Er  hat  die 
Form  vultibus  nicht  nur  nicht  angewendet,  sondern,  wie  die  oben 
genannten  Stellen  zeigen,  vermieden. 

Noch  deutlicher  wird  dies  bei  dem  Plural  von  os.  Neue  749 
bringt  für  oribus  aus  der  Prosa  vor  Apuleius  nur  zwei  Belege,  von 
denen  der  eine  dem  Dichter  Accius  gehört,  der  andere  dem  Philologen 
Zumpt.  Erstens:  Yarro  L.  lat.  7,  64  Miraculae  a  miris,  id  est  mon- 
stris;  a  quo  Accius  ait  „personas  distortas  (distortis  edd.)  oribus 
deformis  Miriones*'.  Spengel,  Lucian  Müller  (Lucilius  p.  306)  und 
Baehrens  (PLM  VI  p.  271)  schreiben  freilich  dem  Accius  nur  das 
Wort  „miriones"  zu;  sie  nehmen  damit  an,  Varro  habe  ait  mit  dem 
doppelten  Akkusativ  konstruiert  und  durch  eine  möglichst  un- 
deutliche Stellung  dieses  Wortes  (es  würde  doch  zwischen  die  Ak- 
kusative  gehören)  und  prononciert  trochäischen  Rhythmus  des 
Satzschlusses  unentschieden  lassen  wollen,  wieviel  davon  dem 
Dichter  gehöre.  Ich  kann  mich  damit  nicht  einverstanden  er- 
klären. Dem  Varro  gehört  jedenfalls  dies  oribus  nicht;  aber  mög- 
licherweise auch  nicht  dem  Accius,  der  trag.  fr.  511  ore  obscena 
dicta  segregent  gesagt  hat;  oribus  ist  sonst  vor  Vergil  auch  bei 
Dichtem  nicht  bezeugt.  Das  Fragment  ist  sowieso  korrupt  über- 
Uefert,  da  distortas  in  diesem  Zusammenhang  nicht  richtig  sein 
kann  und  auch  das  Metrum  eine  Änderung  verlangt;  distortus  und 
deformis  verbindet  Ammian.  Marcell.  14,  6,  17  distortaque  linea- 
mentorum  compage  deformes.  —  Zweitens  Curtius  7,  5,  7  Ergo 
quidquid  vini  oleique  erat  oribus  ingerebatur,  tantaque  dulcedo 
bibendi  fuit ....  Überliefert  ist  hominibus;  zu  schreiben:  in  utri- 
bus  (notwendig  als  nähere  Bestimmung  zu  erat;  ingerere  absolut 
wie  gleich  nachher  egerere).  —  Es  ist  das  Verdienst  Neues,  die 


532  Paul  Maas: 

Vermeidung  der  Form  oribus  durch  die  Häufigkeit  von  Ver- 
bindungen wie  in  omni  um  animis  atque  ore  versaris  (Cicero 
pro  Scaur.  50)  erwiesen  zu  haben.  Dafs  dasselbe  für  den  Genetiv 
gilt,  zeigt  Cic.  de  deor.  nat.  2,  122  cibumque  partim  oris  hiatu 
.  . .  arripiunt .  .,  partim  aduncitate  rostrorum. 

Neue  war  auch  der  einzige,  der  beobachtet  hat,  ^afs  die  Form 
colli  8  fehlt  (P  501);  er  scheint  dies  auf  die  Seltenheit  des  Ge- 
brauches von  coUa  zurückgeführt  zu  haben;  wenigstens  meint  der 
Herausgeber  seines  Werkes,  eine  solche  Ansicht  widerlegen  zu 
müssen,  indem  er  zum  Beweis  der  Häufigkeit  von  coUa  fünfzig 
Stellen  vorbringt  —  aus  den  Indices  zu  Statins  und  Lucan  (I'  750); 
es  wird  dann  coUorum  aus  Cic.  de  deor.  nat.  2,  122  hinzugefugt 
(die  Stelle  pro  Sext.  Rose.  80  fehlt).  Ob  coUis  vorkommt  oder 
nicht,  wird  nicht  mehr  verraten.  Ich  kenne  keinen  Beleg  dafür, 
nicht  einmal  bei  Dichtem.  In  den  Texten  steht  freilich  bei  Ovid 
ex  Pont.  2,  1,  43 

totque  tulisse  duces  captivis  addita  collis 
vincula,  paene  hostis  quot  satis  esse  fuit; 
aber  überliefert  ist  captivos;  und  da  doch  emendiert  werden  mufs, 
so  wird  man  nicht  die  singulare  Form  collis  stehen  lassen;  Ovid 
sagt  auch  in  Bezug  auf  mehrere  coUo:  Met.  11,  358  celsoque 
instant  super  aequora  collo  (vgl.  Verg.  Aen.  9,  436  Hör.  Carm. 
3,  3,  15).  Also  wird  auch  an  jener  Stelle  collo  zu  schreiben  sein; 
in  captivos  steckt  captivo;  saddita  ergiebt  subdita.  Dieser  Ge- 
brauch von  sub  ist  etwas  ungewöhnlich  und  mag  die  Komiptel 
verschuldet  haben;  aber  einen  anderen  Weg  sehe  ich  nicht.*) 
Auch  hier  läfst  sich  die  negative  Beobachtung  stützen  durch 
Stellen  wie  Cic.  Verr.  5,  108  collo  et  cervicibus  suis  sustine- 
rent  (ebenso  Varro  R.  rust.  2,  9,  4).**) 


•)  Vgl.  Amor.  3,  7,  7  Bubiecit  ebumea  collo  bracchia;  Verg.  Aen.  7, 
347  inque  siniim  praecordia  ad  intuma  subdit;  8,  459  tum  lateri  atque 
umeris  Tegeaeum  subligat  ensem;  Ovid  Met.  12,  566  lateri  qua  subditur 
ala  (Merkel;  funditur  M);  Tac.  Ann.  12,  24  tauros  subdere  aratro  wohl 
übertragen  nach  iugo  subdere.  Aber  Tibull  1,  2,  90  vinclis  subdere  colla 
senem. 

•*)  Herrn  Dr.  L.  Traube  danke  ich  den  Hinweis  auf  eine  in  seinen 
Varia  libamonta  critica  (München  1883)  p.  11  sqq.  behandelte  Stelle  aus 
Ammian.  Marcell.  14,  6,  9  sudant  sub  ponderibus  lacemarum,  quas  in  collis 
inserta  singulis  ipsis  adnectunt  ....  Wenn  sich  für  collis  auch  aus  dieser 
Periode  keine  Parallele  findet,  so  dürfte  wohl  dort  die  Emendation  einzu- 
setzen haben. 


Studien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Römern.  533 

Völlig  unbekannt  scheint  zu  sein,  dafs  auch  der  Plural  von 
terga  ursprünglich  auf  diese  Form  beschränkt  war.  Ich  fand 
tergorum  weder  in  der  voraugusteischen  Prosa  noch  bei  den 
Dichtem,  tergis  erst  bei  Curtius  7,  7,  15  in  tergis  nostris  Scythae 
haerebunt;  Plinius  NH  9,  158  coeunt  tergis;  Plinius  Epist.  6, 
20,  13  densa  caligo  tergis  imminebat,  quae  nos  torrentis  modo 
infusa  terrae  sequebatur  (wo  vielleicht  terris  zu  lesen  ist).  Dafs 
Cicero  diese  Form  mied,  beweist  folgende  Stelle:  de  deor.  nat.  2, 
125  eaeque  (die  Kraniche)  in  tergo  praevolantium  colla  et 
capita  reponimt. 

Aber  auch  bei  den  übrigen  Namen  von  Körperteilen  findet 
sich  der  Plural  nicht  so  regelmäfsig,  als  es  unsere  Syntax  voraus- 
zusetzen scheint.  Ein  Beispiel  aus  Caesar  ist  schon  gegeben  (S.  530); 
post  tergum  hostium  ist  ganz  gewöhnlich;  Varro  R.  rust.  3,  10,  5 
abrumpunt  Collum  (Plinius  NH  10,  163  sua  colla  abrumpunt); 
perimbecillum  enim  id,  ut  caput  molle;  2,  2,  4  si  arietes  sint 
fronte  lana  vestiti  bene,  tortis  comibus  pronis  ad  rostrum  .  . . . 
amplo  pectore  ...  cauda  lata  (kurz  vorher  caudis  prolixis);  und 
80  liefsen  sich  besonders  für  den  Gebrauch  des  Singulars  im  Ab- 
lativ die  Belegstellen  häufen.*) 

Das  Resultat  dieses  Exkurses  über  den  Gebrauch  des  Plurals 
von  einem  Körperteil  in  Beziehung  auf  mehrere  Individuen  ist 
folgendes:  Die  Verwendung  der  Pluralformen  ist  unbeschränkt 
nur  im  Nominativ  und  Akkusativ,  während  sie  in  den  übrigen  Kasus 
nie  R«gel  und  bei  mehreren  Wörtern  (besonders  Neutren,  vgl.  S.  529) 
Ausnahme  ist.  Ich  schliefse  daraus,  dafs  diese  Wörter  bei  den 
Römern  ähnlichen  Charakter  hatten,  wie  bei  uns,  und  dafs  ihr 
Plural  nicht  so  sehr  die  Mehrheit  von  EinzelbegriflFen  ausdrückt, 
als  vielmehr  einer  Attraktion  seine  Existenz  dankt,  ähnlich  wie 
bei  den  Abstrakten  (odia  hominum  etc). 

Wenden  wir  uns  nun  zum  poetischen  Plural  bei  dieser  Wort- 
klasse und  zu  seiner  Entwicklung,  und  beginnen  wir  mit  den 
Resten  der  ältesten  römischen  Poesie. 

Dafs  die  Saturnier  „von  all  den  Sachen  nichts  wissen^^,  hat 
schon  Keller  (Gramm.  Aufs.  214)  behauptet;  er  wird  Recht  be- 
halten, obwohl  sein  urteil  durch  Sachkenntnis  nicht  getrübt  war. 

*)  Die  Bezeichnungen  für  Haar,  Bart,  Pelz,  Gefieder,  Wolle  und  Ver- 
wandtes gehören  zu  den  Begriffen  der  Masse  und  werden  bezüglich  der 
Numeri  teilweise  auch  in  Prosa  ganz  frei  behandelt:  ursprünglich  singularia 
tantum  sind  capillus  (X  653),  barba  (N  G52),  lana  (N  621),  vielleicht  auch 


534  Paul  Maas: 

Einstweilen  steht  in  dem  Text  der  Odissia  des  Livius  Andronieus 
fr.  38  Baehrens  pectora  als  poetischer  Plural. 

Nun  wäre  ja  a  priori  gegen  einen  poetischen  Plural  in  Sa- 
tumiem  nichts  einzuwenden;  die  Nachahmung  des  Griechischen, 
die  wir  besonders  bei  den  Körperteilen  ftir  ausschlaggebend  halten, 
wäre  sogar  nirgends  passender  als  in  einer  Übersetzung  aus  Homer 
(äuc  6r7}d'£aq}Lv  eXaööa  %  91).  Aber  wenn  irgendwo,  so  müssen 
wir  hier  das  historische  Moment  heranziehen.  Die  ersten  sicheren 
poetischen  Plurale  von  Körperteilen  werden  wir  in  Ciceros  Aratea 
finden.  Es  scheint  mir  völlig  ausgeschlossen,  dafs  Ennius,  die 
Tragiker,  Lucrez  und  Catull,  die  pectus  zusammen  15  mal  aufweisen, 
sich  des  poetischen  Plurals  bei  diesem  Wort  enthalten  haben 
sollten,  wenn  ihn  schon  Livius  anwenden  durfte  und  anwandte. 
Hinzu  kommt  nun  der  Zustand  der  Überlieferung: 

at  celer  hasta  volans  pernimpit  pectora  ferro. 

So  citiert  Priscian  (Gr.  lat.  H  335, 2)  diesen  —  Hexameter.  Lucian 
Müller  hat  darauf  verzichtet,  eine  satumische  Rekonstruktion  in 
seinen  Text  zu  setzen.  Im  übrigen  ist  an  solchen  Versuchen 
kein  Mangel;  Korsch  und  Havet  streichen  volans,  Hermann 
und  Baehrens  lesen  celeris  (als  Schlufs  des  vorhergehenden  Verses), 
Zander  (1890)  stellt  volans  vor  hasta,  pectora  vor  pernimpit  und 
streicht  ferro;  und  so  liefse  sich  mit  Grazie*)  in  infinitum  weiter 
„emendieren".     Ich    verstehe   nicht,   wie  auch  Lucian  Müller  so 

coma  pluma  squama  crista  palca;   plnralisch  crines  palearia  (N  674)  viUi 

saeti,  vielleicht  auch  pili  pinnae   vellera.    Hierher  gehört  auch  iubae  (vgl. 

Ovid  Amor.  3,  6,  24).  —  Die  falschen  Behauptungen  der  alten  Grammatiker, 

barba  werde  singularisch  von  Menschen,  pluralisch  von  Böcken  gebraucht, 

oder  singularisch    in  Bezug    auf  ein  Individuum,  plnralisch  in  Bezug  auf 

mehrere,  gehen  wohl  auf  Versuche  zurück,  den  Plural  bei  Verg.  Georg.  3,  111 

zu  erklären.     Vergil  sagt  dort 

barbas  incanaque  menta 

Cinyphii  tondent  hirci. 

hirci  ist  kollektiv;  doch  um  auch  die  Form  des  Plurals  zu  erhalten,  inter- 
pretierte Priscian  tondent  =  tondentur.  Die  Lesart  hircis  (Romanus)  hängt 
vielleicht  auch  damit  zusammen.  —  Bezüglich  des  Numerus  von  capillus 
scheint  man  schon  früher  in  Zweifel  gewesen  zu  sein.  Varro  epist.  3  (bei 
Charis.  I  104,  20)  hat  verlangt,  den  Plural  zu  meiden;  doch  hat  ihn  nicht 
nur  Cicero  in  Pison  25,  sondern  schon  Lucilius  27,  19  (fehlt  bei  N). 

*)  pectora  färro  soll  einen  Saturnier  des  Livius  schliefsen;  die  Heraus- 
geber trauen  ja  diesen  Dichtem  alles  zu;   aber  die  Unterdrückung  einer 
Senkung  bei  vorausgehendem  kurzen  Endvokal  sollte  man  wenigstens  von 
Rekonatraktion^n  femhalteu, 


Studien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Römern.  535 

unmethodiscli  sein  konnte,  eine  „aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
ursprüngliche''  Fassung  finden  zu  wollen  (nämlich  durch  Strei- 
chung von  at  und  volans),  da  er  doch  selbst  eine  metrische 
Umarbeitung  durch  spätere  Grammatiker  annimmt  (Der  satur- 
nische Vers  S.  112).  Für  diese  Hypothese  ist  der  poetische  Plural 
pectora  ein  starker  Beweis. 

Übrigens  steht  auch  ein  zweiter  Beleg  für  poetischen  Plural 
bei  Livius  Andronicus  in  einem  Vers,  den  noch  Cicero  als  Hexa- 
meter gelesen  hätte  (fr.  26  Baehrens,  vgl.  L.  Müller  1.  c): 
inferus  an  superus  tibi  fert  deus  funera  TJlixes? 
Ich  verzichte  darauf,  die  Rekonstruktionsversuche,  die  sämtlich 
das  poetische  funera  beibehalten  (der  Vers  soll  aus  x  64  über- 
setzt sein),  namentlich  aufzuzählen.  Die  Technik  des  überlieferten 
Hexameters  erinnert  an  das  bekannte  Epigramm  des  Eunius 

nee  funera  fletu 
faxit;  cur?  volito  vivus  per  ora  virum. 

Und  der  dritte  poetische  Plural  in  Satumiern,  wenn  es  über- 
haupt einer  ist,  beruht  auf  Konjektur.  In  der  Scipioneninschrift 
CIL  I  34,  V.  6  ergänzte  Mommsen 

annos  gnatus  viginti  is  l[oce]is  mandatus. 
Church  m  seiner  sonst  sehr  richtigen  Behandlung  des  poetischen 
Plurals  auf  Grabinschriften  (Archiv  XH  236  vgl.  S.  518  Anm.) 
hält  loceis  für  eine  „metrische  Variante'^  Aber  deren  bedurfte  die 
Technik  des  Satumiers  nicht  und  an  dieser  Stelle  gewifs  nicht. 
Wenn  sich  loca  nicht  auch  aus  der  Prosa  in  der  Bedeutimg 
„Stätte"  bezeugen  läfst,  dann  ist  jene  Ergänzung  dem  sonstigen  Stil 
der  satumischen  Verse  nicht  entsprechend. 

Um  zum  poetischen  Plural  bei  Körperteilen  zurückzukehren, 
so  bleiben  noch  einige  Fälle  aus  der  Zeit  vor  Cicero  zu  erledigen. 
Den  Niptra  des  Pacuvius  teilt  Ribbeck  folgenden  von  Censorinus 
ohne  Nennung  eines  Autors  als  metrisches  Paradigma  vorge- 
brachten Vers  zu  (trag,  fr.^  ine.  ine.  96): 

quae  tam  terribilis  tua  pectora  turbat,  sollicito  sonitu  impulit? 
Für  Pacuvius  spricht  so  gut  wie  nichts,  aber  tua  pectora  be- 
weist dagegen. 

Pacuvius  334  steht  undaeque  e  gremiis  oder  unde  eque 
gremiis  in  schwer  korrupter  Umgebung,  sodafs  nicht  zu  erkennen 
ist,  ob  undae  als  Genetiv  aufzufassen  sei;  gremium  kommt  im 
poetischen  Plural  nicht  vor,  doch  würde  ihn  hier  die  übertragene 
Bedeutung  entschuldigen. 


536  Paul  Maas: 

Caecilius  Statins  217  ist  bei  Nonius  96,  31  überliefert: 
tantam  (tanta  H^)  hiiic  invasit  in  corda  (corollia  Urbin.  307)  in- 
dnlcitas.     Ribbeck  hat  seine  Konjektur 

tantan  binc  inrasit  in  tua  corda  duicitas 
in  der  folgenden  Auflage  selbst  unter  den  Text  verbannt;  der  bei 
einem   Komiker   unerhörte   poetische    Plural    (corda   pps*)   steht 
zuerst  bei  Vergil  Aen.  1,  721)   dürfte  ihr  wohl  den  letzten  Rest 
von  Wahrscheinlichkeit  nehmen. 

Lucilius  26,  15  M.  (fr.  503  Baehrens)  ist  bei  Nonius  351,  4 
überliefert: 

mihi  quidem  non  persuadetur,  publices  (publices,  pulices) 

mutem  meos. 
publice,   pulices,   publiceis,    Publi   utei    edd.   Baehrens    schreibt 
mit  kühner  Phantasie  podices.     Diesem  „poetischen"  Plural  ant- 
wortet man  am  besten  mit  dem  Wortlaut  der  Überliefenmg. 

Laevius  fr.  IIa  Baehrens  (PLM  VI  p.  289),  v.  3 
pressaque  iam  gravida  crepitant  tibi  terga  pharetra. 
Dieser  Vers  wird  von  Terentianus  Maurus  v.  1913  f.  mit  einigen 
versus  rayuri  zusammen  dem  Livius  Andronicus  zugeschrieben 
(Livius  ille  vetus  graio  cognomine";  die  Umschreibung  nur  wegen 
des  im  Vers  unmöglichen  Andronicus,  also  meint  er  nicht  den 
Laevius  Melissus,  wie  H.  de  la  Ville  de  Mirmont,  Revue  des  etudes 
anciennes  1900  p.  316  meint);  Hermann,  Haupt,  Ribbeck  (Liv. 
Andron.  unter  Ino)  und  Lucian  Müller  nehmen  eine  Umarbeitung 
des  Livius  durch  Caesius  Bassus  an;  Scaliger,  Baehrens,  Havet 
(Revue  de  Philol.  1891,  p.  10)  und  de  la  Ville  de  Mirmont  (1.  c.) 
sehen  in  Laevius  den  Autor;  wenn  dem  so  ist  und  wenn  des 
Laevius  Lio  vor  Ciceros  Aratea  geschrieben  ist,  dann  wäre  dies 
der  früheste  Beleg  für  einen  poetischen  Plural  bei  Körperteilen. 

Cicero  de  deor.  nat.  2, 109  (Phaenom.  fr.  15  Baehrens  PLM  I  p.  5) 
namque  virum  medium  serpens  sub  pectora  cingit. 
Freilich  schreibt  Baehrens  stillschweigend  pectore,  und  eine 
schlagende  Parallele  für  den  Akkusativ  kenne  ich  nicht  (vgl.  Keil 
zu  Varro  2,  3,  2;  Verg.  Aen.  8,  538.  12,  811?);  sub  pectora  „unter 
der  Brust  hin"  drückt  die  Bewegung,  die  in  der  ganzen  Schil- 
derung liegt,  besser  aus. 

Aratea  267  iste  (Leo) 

pectoribus  validis  atque  alvo  possidet  orbem. 


*)  ppa  möge  von  jetzt  ab  den  poetischen  Plural  abkürzen. 


Stadien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Römern.  537 

Das  ist  die  erste  sichere  Stelle  Jiir  den  poetischen  Plural  bei 
pectus  (öT^d'sa)]  aber  der  Gebrauch  des  Ablativs  setzt  den  des 
Dativs  als  wahrscheinlich,  den  des  Akkusativs  als  sicher  vorher- 
gegangen voraus. 

460  f.  et  simul  eflfert 

sese  clara  fides  et  promit  pectora  Cepheus. 
So  hat  Hg*),  während  Hj  D  und  die  Texte  pectore  bieten;  das  letz- 
tere laTst  sich  nur  halten,  wenn  man  sese  auch  zu  promit  zieht, 
was  sehr  unpoetisch,  wenn  nicht  unmöglich  ist.  Hier  scheint 
mir  der  Akkusativ  zweifellos;  vgl.  Ovid  Fast.  5,  379  promit  sua 
sidera  Chiron. 

Auch  terga  (yclna)  pps  steht  zuerst  in  den  Aratea:  152  ad 
Pistricis  terga;  216  ad  terga  Nepai  und  278  tergaque  Centauri. 

Ob  der  junge  Cicero  diese  poetischen  Plurale  in  die  latei- 
nische Poesie  eingeführt  hat?  Bei  Arat  fand  er  sie  nicht;  an 
den  sechs  erwähnten  Stellen  steht  im  Original  der  Singular  (v.  83. 
492.  674.  364.  445.  515).  Doch  sind  die  Aratea,  die  schon  eine 
ziemlich  ausgebildete  Technik  zeigen,  nicht  seine  ersten  Verse; 
aufserdem  kann  die  Erinnerung  an  Homer  und  die  Tragiker  auch 
indirekt  gewirkt  haben.**) 


*)  Den  Wert  der  Korrekturen  von  H,  hat  Baehrens  vollständig  ver- 
kannt,  wenn  er  (p.  2)  schreibt  „.  .  .  correctorem ,  qui  ut  nonnullos  et 
archetjpi  et  primae  manns  errores  recte  emendavit,  ita  locis  longe  plu- 
ribuB  coniecturas  insulsas  reposuit".  Von  soviel  Konjekturen  des  Korrektors, 
der  an  mehr  als  40  Stellen  mit  der  Handschrift  D  übereinstimmt,  kann  keine 
Rede  sein;  er  hatte  eine  andere  Handschrift  als  Vorlage.  Glücklicherweise 
zeigt  Baehrens  in  der  Konstitution  des  Textes  vor  H,  mehr  Respekt: 
in  zwei  Drittel  der  Fälle,  wo  er  zwischen  H^  und  H,  die  Wahl  hat,  von 
orthographischen  Varianten  abgesehen,  folgt  er  dem  Korrektor,  der  ca.  zwölf- 
mal die  einzig  richtige  Lesart  hat  (gegen  DHj),  während  H^  gegen  DH, 
nur  V.  426  befolgt  wird.  Nun  liefsen  sich  für  H,  gegen  DHj  noch  andere 
Fälle  zufügen,  vgl.  S.  601;  doch  verzichte  ich  darauf,  solange  die  Kollation 
von  H  nicht  wiederholt  ist.  Denn  da  Baehrens  die  Handschrift  D  erwiesener- 
mafsen  sehr  nachlässig  kollationiert  hat  (Manitius  Rhein.  Mus.  1897  S.  134), 
so  liegt  der  Verdacht  nahe ,  dafs  es  um  H  nicht  viel  besser  steht.  In  der 
That  fehlt,  wie  die  Reproduktion  bei  Ottley  Archeologia  Britannica  XX VT 
p.  156  zeigt,  die  Angabe,  dafs  138  H^  candit  hat  (wie  D;  siehe  Manitius 
1.  c),  32  vulga;  dafs  136  prora  a^  caelisum  korrigiert  ist;  zu  181. 
188  u.  a.  wird  nicht  gesagt,  welche  Hand  in  Korrektur  geschrieben  habe.  Es 
ist  wirklich  seltsam,  dafs  man  sich  bei  dem  ältesten  zusammenhängenden  Stück 
lateinischer  Poesie  seit  23  Jahren  mit  einem  Baehrensschen  Texte  begnügt. 

••)  Auch  Corpora  {6aniccra)  pps  findet  sich  in  den  Aratea,  natürlich, 
wie  terga  und  pectora,  bei  Namen   von  Sternbildern   (91.  103.  436);   hier 


538  Paul  Maas: 

Lange  vor  Cicero  dürfen  wir  jedenfalls  die  Entstehung  dieses 
Gebrauches  nicht  aiifietzen;    denn   sonst  wäre  die  Zurückhaltung 
der  übrigen  voraugusteischea  Dichter  nicht  zu  erklären.     Catull 
hat  63;  10  terga  tauri  übertragen  =  tjmpanum  und  dann  terga 
pps  von  einem  Löwen  63,  81  age  caede  terga  caudä  (wo  Baehrens 
T*  170  ovqTj   äi  ^kevQag  .  .  .  diiq)orBQa)d'sv  (uasturat  vergleicht), 
sonst  keinen  poetischen  Plural  von  Körperteilen.    Lucrez,  der  die 
Aratea  Ciceros  kannte  (Munro  zu  5,  619),  hat  die  syntaktische 
Freiheit  nicht   übernommen;   der  einzige  Beleg  dafür  wäre  G,  14 
divitiis  homines  et  honore  et  laude  potentis 
affinere  atque  bona  natorum  excellere  fama, 
nee  minus  esse  domi  cuiquam  tamen  anxia  corda 
15       atque  animi  ingratis  vitam  vexare  querelis. 

Aber  überliefert  ist  cordi,  wozu  Wakefield  bemerkt  „L  e.  quasi 
sponte  foveret  aegritudines  -cor  humanum;  adeo  curis  insessum 
tenebatur.  Efficax  est  dicendi  genus  et  volgatum  corda  multis 
parasangis  post  se  relinquit."  Lemaire  liefs  sich  überzeugen  mit 
Verweis  auf  5,  1387  nam  tum  sunt  omnia  cordi.  Die  Neuem 
behalten  die  alte  Konjektur  corda  bei,  Lachmann  mit  folgendem 
Kommentar:  „haec  (nämlich  cordi)  perversa  cum  sint,  Wakefieldo 
placent  .  .  .  recte  Marullus  corda  neque  Lambinus  haerere  debebat 
in  plurali:  nam  ita  de  Sibylla  Vergilius  .  .  .  neque  aliter  ceteri 
poetae."  Aber  aus  Vergil  und  den  ceteri  poetae  dürfen  wir  uns  die 
Parallele  für  den  poetischen  Plural  nicht  holen:    er  kommt  eben 


ist  der  Plural  jedoch  auch  aus  dem  Wesen  der  Sache  zu  erklären,  da  jeder 
Stern  ein  corpus  ist.  So  sagt  Ovid  Fast,  ö,  414  (von  Chiron):  bis  septem 
stellis  Corpora  iunctus  eras.  Auf  lebende  Wesen  angewandt,  erscheint  Cor- 
pora pps  erst  später;  Vergil,  der  corpus  34 mal  hat,  kennt  es  noch  nicht 
(Aen.  7,  349  hat  es  H  gegen  pectora  MV  edd.,  eine  sehr  häufige  Änderung 
der  Handschriften,  vgl.  Aratea  58.  144.  291.  461  Hör.  Carm.  1,  37,  28  [Luc. 
Müller  d.  r.  m.*  567];  Corpora  Aen.  11,  276  ist  generell,  vgl.  S.  499);  hingegen 
hat  es  der  Autor  des  Culex  dreimal  (93.  206.  368),  was  sehr  dagegen  spricht, 
ihn  mit  dem  der  Aeneis  zu  identifizieren;  dann  vielleicht  Tibull  (1,  2,  25a. 
8,  52  [beidemal  generell?].  3,  17,  2  [Sulpicia]);  bei  Ovid  ist  es  ganz  ge- 
wöhnlich: Amores  2,  10,  24.  3,  7,  28  Art.  1,  728.  2,  68.  3,  269.  814.  743  Her. 
3,  145.  8,  113.  12,  47.  13,  32.  148  u.  s.  w.,  sodafs  Kellers  Behauptung 
(Grammat.  Aufs.  S.  203),  der  poetische  Plural  bei  corpora  sei  selten,  sehr 
in  der  Luft  schwebt.  —  Es  ist  nicht  unmöglich,  dafs  der  Ctebrauch  von 
corpora  bei  Sternbildern  den  von  terga  und  pectora  beeinflufst  hat,  während 
Corpora  pps  bei  lebenden  Wesen  erst  nach  der  Analogie  jener  angewandt 
wurde;  das  letztere  hat  schon  Dräger  (Hist.  Synt.  I*  §  6,  2)  erkannt:  „dafs 
80gar(?)   corpora   für   corpus   steht,    ist   Folge    einer  fal8chen(?)   Analogie". 


Studien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Römern.  539 

vorher  nicht  vor,  hingegen  cor  bei  Lucrez  viermal  und  in  Ciceros 
Versen  zweimal  (fr.  23,  2.  27,  1  Baehrens).  Ich  meine,  Lachmann 
wäre  mit  der  Verdammung  der  Überlieferung  vorsichtiger  gewesen, 
wenn  er  diesen  syntaktischen  Zweifel  in  betreflF  der  Konjektur  ge- 
kannt hätte.  Er  kannte  auch  den  Thesaurus  linguae  latinae  noch 
nicht,  wo  anxia,  wenn  auch  erst  aus  der  Orestis  trag.  559,  als 
substantivisch  belegt  ist*);  anxia  cordi  esse  möchte  ich  nicht  mit 
Wakefield  als  absichtliches  sich-Sorgen  auffassen,  sondern  in  etwas 
abgeschwächtem  Sinne,  ähnlich  wie  5,  1387,  „sich  seinen  Sorgen 
hingeben".  Auch  das  im  Gegensatz  zu  den  vorhergehenden  Versen 
gesetzte  domi  verträgt  sich  mit  der  Vulgata  schlecht;  denn  das 
Gemüt  ist  domi  kein  anderes,  wohl  aber  zeigen  sich  dort  die 
den  Seelenzustand  verratenden  Aufserungen. 

Chronologisch  folgt  noch  eine  Stelle  aus  Cicero,  wieder  in 
einer  Übersetzung:  Tusc.  2,  22  (Baehrens  fr.  33,  34) 

o  pectora,  o  terga,  o  lacertorum  tori 
aus  Soph.  Trach.  1080:  ä)  v&xa  xal  0tBQv\  &  q)Ckoi,  ßQaxCoveg, 
Hier  ist  der  Einfiufs  des  Griechischen  klar;  denn  o  pectus  o  tergum 
o  .  .  .  wäre  gerade  so  gut  in  den  Vers  gegangen.  —  Die  Um- 
stellung (statt  o  terga  o  pectora)  vermutlich,  weil  die  Elision  vor 
der  betonten  Silbe .  leichter  ist. 

So  fallen  von  den  neun  voraugusteischen  Belegen  für  den 
poetischen  Plural  bei  Körperteilen  (terga  fünfmal,  pectora  dreimal, 
pectoribus  einmal)  acht  auf  die  Übersetzungen  Ciceros,  einer  auf 
die  Galliamben  Catulls  (und  auferdem  noch  einer  auf  die  Be- 
arbeitung des  Livius  Andronicus?). 

Die  Reihe  der  augusteischen  Dichtimgen  führen  die  Eclogen 
Vergils;  dafs  sie  keinen  hierher  gehörigen  Plural  aufweisen,  be- 
weist nichts,  da  auch  die  entsprechenden  Singulare  fehlen.  Es 
folgt  das  erste  Buch  der  Satiren  und  die  Epoden  des  Horaz; 
nehmen  wir  gleich  seine  übrigen  Poesien  mit.    Horaz  bietet  für 

*)  Baehrens  ersetzt  es  durch  das  medizinische  angina;  doch  vgl.  Accins 
frag.  349.  Vollmer  (im  Thesaur.)  vermutet  ein  Femininum;  das  mul'ste  anxia 
in  den  romanischen  Sprachen  werden  (wie  fortia  etc.,  vgl.  Appel  de  genere 
neutro),  und  ist  es  vielleicht  schon  im  Orestes;  als  ursprünglich  würde  man 
auch  ohne  die  Lucrezstelle  ein  Neutrum  annehmen,  denn  von  Adjektiven  auf 
ins  werden  Substantiva  auf  ia  nur  ausnahmsweise  gebildet  (noxia),  die 
regelmäfsige  Bildung  ist  die  auf  ietas  (anxietas,  ebrietas  etc.).  Für  den 
poetischen  substantivischen  Gebrauch  des  neutr.  plur.  liefse  sich  tristia 
seria  turpia  (Owen  in  der  Ausgabe  der  Tristia  p.  X)  dulcia  (Cicero  fr.  1(5 
Baehrens)  caerula  (Lucrez  6,  482)  etc.  vergleichen. 


540  Paul  Maas: 

den  poetischen  Plural  bei  Körperteilen  ein  einziges  Beispiel:  Sat. 
2,  7,  92  eripe  turpi  colla  iugo;  hingegen  hat  er  pectus  11  mal, 
Collum  cor  os  je  3 mal,  voltum  9 mal.  Das  entscheidet  über 
die  Konjektur  Bentleys  (angenommen  von  Meineke,  Lehrs  u.  a,) 
Epod.  17,  21  f. 

fugit  iuventas  et  verecundus  color 

reliquit  ora  pelle  amicta  lurida. 

Überliefert  ist  ossa.  Dafs  Horaz  ora  pps  nicht  kennt,  führt  schon 
Lucian  Müller  gegen  Bentley  ins  Feld  (in  seinen  letzten  Text 
ist  durch  ein  Versehen  des  Herausgebers  dennoch  ora  geraten). 
Übrigens  ist  ora  pelle  amicta  auch  inhaltlich  unmöglich,  da  Ant- 
litz und  Haut  nicht  von  einander  getrennt  zu  denken  sind.*) 

Also  Horaz  hat  sich  der  poetischen  Freiheit,  die  seine  Zeit- 
genossen fast  zur  Regel  gemacht  haben,  enthalten;  sei  es,  weil 
er  sie  für  seine  Verse  nicht  brauchte  —  die  Hexameter  des  Horaz 
sind  ohne  Feinheit  der  Technik  und  bei  seiner  Bevorzugung  spon- 
deischer  Senkungen  in  den  Oden  war  ihm  mit  einer  Vermehrung 
der  Kürzen  nicht  so  gut  gedient  — ,  sei  es,  weil  ihm  diese  Verge- 
waltigung des  Sprachgebrauches  zu  stark  und  nicht  seines  Stiles 
schien.  Bei  StoflFnamen  und  Abstrakten  ist  er  dem  epischen  Ge- 
brauch gefolgt;  da  zeigt  er  sogar  solche  Pluralformen,  die  er  in 
keinem  daktylischen  Vers  gefunden  haben  kann,  wie  pulveres  Epod. 
17,  48  (wohl  nach  Analogie  von  cineres)  und  das  schöne  lividas 
obliviones  Carm.  4,  9,  33,  womit  er  den  Wohlklang  des  epischen 
oblivia  übertraf.  —  Es  heifst  den  ganzen  Reiz  dieses  wirklich 
poetischen  Plurals  verkennen,  wenn  man  „Aufserungen  des  Neides" 
darin  ausgedrückt  sehen  will.    Man  denke  sich  „Vergessenheiten" 

*)  Obwohl  ich  keine  wahrscheinliche  Emendation  weifs,  möchte  ich 
doch  bezüglich  der  Ül)erliefening  ein  Bedenken  nicht  verschweigen.  Sie  ist 
nur  zu  verstehen,  wenn  man  nach  color  interpungiert;  aber  das  ist  eine 
sehr  gewaltwame  Zertrennung  der  Wort«  et  verecundus  rubor  reliquit  ossa; 
das  Komma  wirkt  nur  für  unser  Auge.  Der  Singular  reliquit  nimmt  das 
doppelte  Subjekt  iuventus  et  color  schlecht  auf;  das  Asyndeton  bei  gleichem 
Subjekt  wirkt  inkonzinn  gegenüber  den  andersartigen  Asyndeta  v.  23.  24.  2^ 
und  retardiert,  während  in  den  folgenden  Versen  durch  neue,  Schlag  auf 
Schlag  folgende  selbständige  Sätze  eine  gute  Steigenmg  erzielt  wird.  Die 
Korruptel  liegt  wohl  in  reliquit;  aber  Scheibes  me  liquit  hätte  L.  Müller 
nicht  aufnehmen  sollen;  das  ist  nach  fugit  nichtssagend,  verursacht  einen 
häfslichen  Einschnitt  und  nimmt  dem  folgenden  ossa  pelle  amicta  lurida 
(sc.  sunt?)  jeden  Halt.  Man  erwartete  ein  Verbum,  zu  dem  ossa  Subjekt 
ist  (dem  Sinne  nach  etwa  marcent  tal)ent  languent  et). 


'        Studien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Römern.  541 

auf  „Ewigkeiten"  gereimt;  das  dürfte  der  Eindruck  gewesen  sein, 
den  diese  Neubildung  gemacht  hat. 

Bei  den  übrigen  augusteischen  Dichtem  breitet  sich  indessen 
der  Gebrauch  des  poetischen  Plurals  bei  Körperteilen  aufserordent- 
lich  schnell  aus.  Im  dritten  Buch  von  Vergils  Georgica  finden 
wir  zuerst  im  poetischen  Plural  ora  (188)  und  colla  (421);  im 
ersten  Buch  des  TibuU  wird  voltüs  und  sinüs  zugefügt  (6,  1. 
8,  36);  das  erste  der  Aeneis  bringt  cor  da  auf  (722),  das  sechste 
menta  (809  crinis  incanaque  menta  |  regis  Romani  in  Erinnerung 
an  Georg.  3,  311  barbas  incanaque  menta  |  Cinyphii  .  .  hirci,  wo 
der  Plural  durch  den  kollektiven  Gebrauch  von  hirci  gerecht- 
fertigt war);  bei  Properz  4,  5,  64  steht  zuerst  guttura  pps,  wäh- 
rend um  den  frühesten  Beleg  für  rostra  Properz  (4,  1,  96)  mit 
Ovid  (Am.  2,  6,  22)  streiten  kann.  Wir  wollen  darauf  verzichten, 
im  einzelnen  zu  zeigen,  wie  auch  hier  die  Rücksicht  auf  den  Vers 
das  Verhältnis  der  Singular-  und  Pluralformen  bestimmt;  es  ge- 
nüge zu  sagen,  dafs  von  dem  häufigsten  dieser  Worte,  von  tergum, 
sich  der  poetische  Plural  bei  Vergil  Tibull  (Lygd.  etc.)  Properz  Ovid 
60mal,  der  Singular  lOmal  findet  und  dafs  für  Collum  und  os 
dasselbe  Verhältnis  gilt,  während  pectora  vnltus  (acc.)  sinus 
(acc.)  (bei  den  letzteren  sind  die  Fälle  nicht  berücksichtigt,  wo 
vultus  „Blicke^^  und  wo  sinus  den  Bausch  des  Gewandes  l)edeutet) 
pps  erst  bei  Ovid  den  Singular  an  Zahl  überwiegen.*) 

Nur  auf  die  übrigen  Kasus  des  poetischen  Plurals  möge  noch 
ein  Blick  gestattet  sein;  diese  sind  ganz  vereinzelt;  sie  sind  es 
aber  auch  aufserhalb  des  poetischen  Plurals;  auch  dort  fehlt  der 

•)  Sinus  vielleicht  schon  bei  Properz,  der  sinum  nicht  hat;  sinus  pps 

1,  8,  38  meos  fugit  avara  sinus  und  wahrscheinlich  auch  3,  20,  10 

fidus  ero:  in  nostros,  curre,  puella  sinus. 

Hier  hat  freilich  die  „gute"  L  berlieferung  und  ebenso  die  Herausgeber  toros. 

Aber  das  geht  doch  als   erste  Aufforderung   an  eine  Dame,    von   der  ein 

Distichon  vorher  gesagt  war 

sunt  castae  Palladis  artes, 

splendidaque  a  docto  fama  refulget  avo, 
entschieden  zu  weit.  Rothstein  selbst  erklärt,  schwerlich  nur  aus  Rück- 
sicht auf  den  Leser,  „die  Geliebte  soll  in  seine  Arme  eilen".  So  Tibull  3,  9, 
24  in  nostros  ipse  recurre  sinus;  vgl.  [Ovid]  epist.  Sapph.  9ö.  Aufserdem 
kommt  torus  in  der  Bedeutung  Bett  erst  bei  nachaugustei sehen  Dichtern 
im  poetischen  Plural  vor  (über  Ov.  Trist.  2, 534  vgl.  S.  499) :  Ovid  hätte  torum 
nicht  über  20mal  angewendet,  wenn  Properz  mit  toros  pps  vorangegangen 
wäre.  —  Die  Korrupte!  mag  dem  toro  am  Schlufs  des  zweitfolgenden  (nach  Sca- 
ligers  und  Vahlens  Umstellung  des  nächstfolgenden)  Distichons  zu  danken  sein. 

Archiv  für  lat.  Lexikogr.    XII.    lieft  4.  *^^ 


542  Paul  Maas: 

Genetiv  bei  allen;  der  Dativ  ist  Verszwang  bei  pectoribus  Vei^. 
Aen.  4,  64.  Ovid  Art.  1,  759;  aufserdem  nur  noch  oribus  Vei^. 
Aen.  8,  486  (componens  oribus  ora);  der  Ablativ  nur  bei  cor- 
dibus  Ennius  Ann.  398  pectoribus  Lucrez  4,  1267  Verg.  Aen. 
7,  278.  10,  567.  11,  38.  615  oribus  10,  566  (quinquaginta  oribus) 
vultibus  Ovid  Met.  9,  410  Pont.  3,  1, 166  rostris  Verg.  Georg.  4,  74 
Ovid  Met. :),  249.  13,  613  Fast.  6,  137.  Und  im  poetischen  Plural 
kommt  nur  pectoribus  und  vultibus  vor.  Das  erstere  hatte  schon 
Cicero  gebraucht  (Aratea  v.  267);  doch  blieb  diese  Stelle  ohne 
Einflufs,  da  pectore  bei  Vergil  Tibull  Properz  etwa  achtzigmal  vor- 
kommt, pectoribus  pps  jedoch  erst  bei  Ovid;  im  Ablativ:  Am.  3, 
9,  42  Her.  11,  98  Met.  2,  656.  15,  512.  673  (an  den  letzten  beiden 
Stellen  statt  des  unmöglichen  pectore  tenus)  Trist.  3, 4,  63.  5,  20;  im 
Dativ  natürUch  nur  der  Plural  (vgl.  S.497):  Trist.  1,  6,  3.  3,  6,  10. 
Interessant  ist  die  Entwickelung  bei  vultibus;  diese  Form  war, 
auch  im  legitimen  Plural  (vgl.  S.  531),  vor  Ovid  in  Poesie  nicht 
bekannt.  Der  Vers  verlangte  sie  im  Dativ  Art.  2,  202;  erst  später 
tritt  sie  auch  für  vultu  ein:  Metam.  4,  141.*)  6,  35.  10,  359  Her. 
16,  148  (also  entsprechend  der  Entwickelung  von  vestibuB  vgl. 
S.  528),  bleibt  aber  viel  seltener. 

Andere  Körperteile  (frons  lingua  cauda  uterus  facies  etc.) 
kommen  im  poetischen  Plural  nicht  vor,  und  die  Häufigkeit  des 
Akkusativ  Singular  läfst  mit  Sicherheit  schliefsen,  dals  dies  kein 
Zufall  ist.    Man  könnte  nennen  Verg.  Georg.  3,  439  =  Aen.  2,  475 

Unguis  mirat  ore  trisulcis, 

doch   ist   hier  trisulcus  =  tres  zu   fassen  (vgl.  Ovid  Met.  3,  34. 

*)  Die  Hypothese  W.  Banniers  (Archiv  XI  258 ff.),  die  ersten  neun 
Bücher  der  Metam.  seien  vor  dem  Erscheinen  der  Aeneis,  die  Ars  erst  später 
geschrieben,  ist  vollständig  verfehlt;  es  genüge  die  Thatsache,  dafs  Met.  4, 
432  ff.  mit  wörtlichen  Anklängen  der  Aeneis  7,  823 ff.  nachgebildet  ist;  vgl. 
A.  Zingerle,  „Ovid  und  sein  Verhältnis  zu  den  Vorgängern"  11  S.  66  ff.,  wo  noch 
andere  schlagende  Parallelen  aus  den  ersten  Büchern  der  Metam.  genannt 
werden.  —  Ebenso  wie  vultibus  hat  sich  curribus  entwickelt;  Vergil  meidet 
die  Form  und  zieht  den  kontrahierten  Dativ  Singular  vor  (Ecl.  5,  29  Aen. 
3,  541;  vgl.  G.  3,  113  currus  et  equos  lungere j;  curribus  erst  Ovid  Art.  1,  6 
curribus  aptos,  also  Verszwang;  dann  auch  im  Ablativ  Met.  5,  511;  sonst 
aber  im  Ablativ  nur  Singular;  denn  Fast.  2,  858 

Marsque  citos  iunctis  curribus  urget  equos 

dürfte  wohl  die  Lesart  citis  iunctos  vorzuziehen  sein,  weil  diese  Wortstellung 
besser  pafst:  iunctos  .  .  equos  am  Schlufs  der  beiden  Hälften  verdient  den 
Vorzug  vor  iunctis  curribus,  das  durch  die  Cäsur  unschön  zerschnitten  w^ird. 


Studien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Römern.  543 

7,  150);  ebenso  wie  duplices  bei  Dichtem  oft  fiir  ambo  eintritt, 
eilie  dem  poetischen  Plural  verwandte  Erscheinung.  —  Femer 
wird  bei  Verg.  Aen.  3,  428 

delphinum  caudas  utero  commissa  luporum 
Ton  Ladewig  und  Sabbadini  caudas  als  ^,der  Schwanz  eines  Del- 
phins" erklärte;  doch  die  Scylla  hat  ihrer  mehrere,  worauf  auch 
der   Plural   delphinum    weist    (andererseits  utero    von  mehreren 
Leibern,  offenbar  weil  uteris  nicht  gebrauchlich  war). 

Bei  Properz  2,  22,  9 

sive  Vagi  crines  puris  in  frontibus  errant 
nimmt  A.  Wagner  Syntax.  Propert.  p.  6  poetischen  Plural  an;   in 
Wirklichkeit  ist  es  ein  genereller.     „Und  wo  die  Haare  lieblich 
flattern,  um  Menschenstirnen  freundlich  wehn  .  .  ." 

Bei  dem  Gebrauch  von  membra  statt  mentula  (Ovid  Amor. 
2,  15,  25.  3,  7,  13.  65)  kann  man  schwanken,  ob  „poetischer''  oder 
genereller  Plural  anzunehmen  sei;  ich  ziehe  das  letztere  vor.  Ein 
seltsames  Schicksal  traf  dieses  Wort,  als  es  von  dem  poetisieren- 
den  Apuleius  mit  anderen  sicher  poetischen  Pluralen  auch  in  Prosa 
angewendet  wurde:  H.  Koziol  (Stil  des  Apuleius  252)  bemerkt  zu 
Metam.  2,  7  steterunt  et  membra,  quae  iacebant  ante:  „membra, 
zur  Bezeichnung  der  Gröfse,  eine  eigentümliche  Prolepsis'*.  — 
Pluralis  maiestaticus! 

Das  wäre  nun  kein  schöner  Abschlufs;  und  da  wir  docli  ein- 
mal die  Prosa  berührt  haben,  so  will  ich  hier  noch  kurz  ein 
klassisches  Zeugnis  behandeln,  das  uns  über  die  Wirkung  eines 
poetischen  Plurals  aufserhalb  des  Verses  Aufschlufs  giebt;  ich 
habe  es  mir  zurückgelegt,  einmal  weil  es  die  historische  Behand- 
lung der  Körperteile  voraussetzt,  dann  weil  es  bisher  noch  nir- 
gends verwertet  ist  und  also  auch  nicht  in  den  bisherigen  Dar- 
legungen vermifst  werden  konnte,  endlich  weil  es  bedeutende 
Schwierigkeiten  macht,  deren  ich  noch  immer  nicht  ganz  Herr 
bin,  wenn  auch  etwas  mehr  als  anfangs. 

Auetor  ad  Herennium  4,  45  (unter  intellectio). 

Ab  uno  plura  hoc  modo  intellegentur: 

Toeno  fuit  Hispanus  auxilio,  fuit  immanis  ille  Transalpinus, 
in  Italia  quoque  nonnemo  sensit  idem  togatus'. 

A  pluribus  unum  sie  intellegetur : 

'Atrox  calamitas  pectora  maerore  pulsabat;  itaque  anhelans 
ex    imis    pulmonibus    prae    cura    spiritus    ducebat    (ducebatur  P^ 

n  CE)'. 


544  Paul  Maas: 

Nam  in  superioribus  plures  Hispani  et  Galli  [et  togati]  et 
hie  uniim  pectus  [et  nniis  pulmo]  intellegitur,  et  erit  illic  demi- 
uutus  numerus  festivitatis,  hie  adauctus  gravitatis  causa.*)  — 

Das  erste  Beispiel  ist  trotz  der  seltsamen  Latinitat  des 
Schlusses  verständlieh.  Es  führt  den  kollektiven  (resp.  gene- 
rellen) Singular  vor,  den  die  rhetorische  Theorie  häufig  verwertet 
(vgl.  S.  500).  Die  Ausbreitung  dieses  Kunstmittels  datiert  man 
gewöhnlieh  von  Livius  (0.  Riemann,  Etudes  sur  la  langue  et  la  gram- 
maire  de  Tite-Live  1885  p.  42  sqq.  J.  Lebreton,  Etudes  sur  la  langue 
et  la  gramm.  de  Ciceron  1901  p.  78  sqq.);  doch  hat  der  Autor  ad 
Herenn.  selbst  3,  8  eorum  qui  a  Poeno  circumsessi  deliberant, 
und  in  den  Resten  des  Historikers  Claudius  Quadrigarius  steht 
schon  miles  hostis  Poenus  sagittarius  und  funditor  (fr.  11. 58. 
60.  85)  kollektiv.  Hier  läfst  sieh  also  Theorie  und  Praxis  aus 
zeitgenössischen  Quellen  belegen. 

Aber  pectora  statt  pectus!  Ein  zweifellos  poetischer  Plural 
in  der  rhetorischen  Theorie!  Aristoteles  Dionysius  Caecilius  (resp. 
Auetor  tcsqI  vtlfoiyg  und  Tiberius  jcsqI  öxrnidrGiv)  Cicero  Quintilian 
etc.  wissen  nichts  davon;  sie  kennen  nur  den  generellen  Plural 
und  den  pluralis  modestiae  (vgl.  S.  499),  den  metonynischen  (vgl. 
S.  492)**)  und  die  eonstruetio  xar«  evvoiav^  wie  &q  (ptc6av  i] 
nXrj^vg    (bei    Lesbonax  ed.  R.  Müller  1890   cap.  15  als   Kv^uiov 

*)  Zur  Textkritik:  pulmones  ist  in  der  Bedeutung  Lunge  (ebenso  wie 
nares  in  der  Bedeutung  Nase)  plurale  tantum;  vgl.  Cato  Agr.  157,  7  Plautus 
Cure.  237  Lucilius  3,  66.  4,  21.  35  Cicero  Vatin.  18  Tuse.  1,  37. 2,  20  (in  einem 
Vers:  urguensque  graviter  pulmonum  liaurit  spiritüs).  44  de  deor.  nat. 
1,  92.  99.  2,  136.  138.  149.  Der  Singular  findet  sich  erst  in  einer  späteren 
Schrift  Ciceros:  de  divin.  1,  85.  2,  29  und  von  da  ab  häufig,  bei  den  Dichtem 
regelmälsig  (Verg.Aen.  9,  701.  10,  387  Ovid  Met.  2,  801.  6,  252.  12,  372  Pont. 
1,  3,  19;  pulmonibus  nur  Ovid  Met.  9,  201),  wodurch  wahrscheinlich  wird, 
dafs  diese  Entwicklung  genau  der  von  cervices  (vgl.  S.  501  f.)  entspricht. 
Also  giebt  jenes  et  unus  pulmo  (=  ein  Lungenflügel)  in  einer  Schrift  aus 
der  sullanischeu  Epoche  keinen  Sinn,  und  man  mufa  entweder  die  Datierung 
oder  die  Überlieferung  aufgeben;  mir  schien  das  letztere  leichter,  da  dann 
auqh  das  sinnlose  ot  togati  als  (llossem  derselben  Hand  gestrichen  werden 
mufs :  nonnemo  togatus  kann  doch  nicht  als  ab  uno  plura  aufgefafst  wenlen. 
**)  Hierher  gehört  auch  Quintilian  8,  6,  28  est  etiam  huic  tropo  (der 
^tTa}vvy.icc)  quaedam  cum  synecdoche  vicinia;  nam  cum  dico  vultüs  hominis 
pro  vultu,  dico  pluraliter  quod  singulare  est  (darin  liegt  die  vicinia  mit 
der  Synecdoche),  sed  non  id  ago,  ut  unum  ex  pluribus  intellegatur  (was 
das  Wesen  der  Synecdoche  ist)  —  nam  id  est  manifestum  —  sed  nomen 
iwiuuto  (/iftoovvnia;  also  vultüs  „Blicke'*,  „Züge"  pro  vultu  „Gesicht"). 


Studien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Römern.  545 

6xfiiia  bezeichnet;  vgl.  Dionys.  n^ql  Sovxvd.  Idian.  p.  798,  Auctor 
jtSQi  vi^ovg  cap.  23,  TiberiuB  [nach  Caecilius]  und  Alexander  7C6qI 
öxriiicixcDv  Rhet.  Gr.  III  34,  9.  80,  29  Sp.,  [Julins  RufinianusJ  de 
schemat.  lex.  p.  58, 21  Halm).  Aber  eine  Spur  des  poetischen  Plurals 
hat  sich  dennoch  erhalten:  Pseudoplutarch  de  vita  et  poesi  Homeri 
2, 22  und  ein  Anonymus  xsqI  yeoLr^XLX&v  xQdnov  Rhet.  Gr.  III 
210,  20  Sp.  bringen  fast  gleichlautend  unter  der  Rubrik  övvbX' 
dox'q  ....  &JCO  icoXX&v  rb  bv  als  Beispiel  J396 

Das  stimmt  nun  mit  dem  Auctor  ad  Herennium  4,  45  intel- 
lectio  .  . .  a  pluribus  unum  . .  .  pectora  genau  überein.  Freilich 
kompliziert  sich  die  Frage  dadurch,  dafs  öxri^ri  auch  in  Prosa 
(z.  B.  bei  Plato)  ganz  gewöhnlich  ist.  Dennoch  ist  möglich,  dafs 
die  Quelle  jener  beiden  Griechen  (die  ihrerseits  vielleicht  auf  eine 
grammatische  Bemerkung  zurückgeht,  vgl.  Aristarch.  zu  ^  14 
öxiiiiio)  auch  dem  Auctor  ad  Herenn.  vorlag. 

Wir  wollen  nicht  weiter  fragen,  ob  nicht  vielleicht  auch  das 
Beispiel,  das  der  Auctor  vorbringt,  und  seine  seltsame  Kritik  (ad- 
auctus  numerus  gravitatis  causa  =  dg  oyxov  xflg  kB%€(og  Aristot. 
Rhet.  3,  6)  von  einer  griechischen  Vorlage  mehr  oder  minder  ge- 
nau herübergenommen  ist  —  das  liefse  sich  auf  Grund  dieses 
einen  Falles  nicht  entscheiden;  für  uns  ist  die  Hauptsache, 
dafs  wir  hier  in  der  Kunstprosa  der  sullanischen  Epoche  einen 
poetischen  Plural  finden,  den  wir,  wäre  uns  der  betreffende  Satz 
ohne  andern  chronologischen  Anhaltspunkt  überliefert,  nicht 
zögern  würden  der  spätesten  silbernen  Zeit  zuzuweisen.  Also 
wäre  jenes  pectora  pps  bei  Dichtem  vielleicht  gar  kein  nach 
unserer  Definition  „poetischer"  Plural?  Dann  würden  wir  daran 
zweifeln  müssen,  mit  jener  Definition  das  Wesen  der  Sache  ge- 
troffen zu  haben.  Oder  wäre  vielleicht  jene  Prosa  nicht  prosaisch 
genug,  um  in  diesen  Dingen  als  normal  zu  gelten? 

Bei  der  Behandlung  stilistischer  Eigentümlichkeiten  des  An- 
nalisten sullanischer  Zeit  Claudius  Quadrigarius  bemerkt  Gell ius 
17,2,  22  H.*  „Miserrimas"  inquit  „vitas  (andere  Hss.  vias)  exe- 
gerunt"  et  „Hie  nimiis  in  otiis  consumptus  est"  (fr.  21  und  28 
Peter).  Elegantia  utrobique  ex  multitudine  numeri  quaesita  est.  — 
Sehen  wir  von  dem  unsicheren  ersten  Beispiel  ab,  so  bleibt  jeden- 
falls bestehen,  dafs  dieser  Claudius  den  Plural  von  otium  ge- 
braucht hat,  den  die  klassische  Prosa  nicht  kennt,  wohl  aber  die 
Dichtersprache  seit   Lucrez   und   CatuU   (die   Stellen  bei  Neue  P 


546  Taul  Maas: 

632);  das  allein  würde  jenes  pectora  pps  schon  decken;  aber  wir 
können  gerade  in  den  Rekten  des  Claudius  Quadrigarins  noch 
mancherlei  anderes  finden,  was  uns  sonst  nur  aus  der  Poesie  be- 
kannt ist.  Die  Häufigkeit  der  kollektiven  Singulare  (vgl.  S.  543) 
ist  den  Dichtem  eigen,  wenn  auch  die  Erscheinung  selbst  nicht 
rein  poetisch  ist  (Cicero  hat  sie  selten  und  bringt  de  orat.  3,  168 
ein  Beispiel  aus  Ennius  Annal.);  fr.  76  venit  cum  mortalibus 
multis  mufs  Gellius  selbst  (13, 29, 2)  gegen  den  Vorwurf  des  nimis 
poetice  schützen;  zu  fr.  22  illatebrant  sese  giebt  er  sogar  zu  (17, 
2,  3):  „verbum  poeticum  visum  est";  fr.  10  gegen  Ende  (Gellius  9, 
13,  17)  zeigt  die  vor  Livius  nur  aus  Dichtem  bekannte  Redensart 
pectus  hausit  =  perfodit;  auch  die  Häufigkeit  unregelmäfsiger 
Adverbia  auf  iter  (inimiciter  praeclariter  avariter  fr.  41.  88)  er- 
innert  an  dichterischen  Stil;  fr.  12  (gehört  zwar  nicht  sicher  dem 
Claudius,  entspricht  aber  sonst  genau  seinem  Stil)  hat  grandia 
Ingrediens  (Gellius  9,  11,  5),  was  man  sich  durch  que  verbunden 
ausgezeichnet  am  Beginn  eines  Hexameters  denken  kann.*)  (Ahn- 
liches aus  Com.  Sisenna  bei  Norden,  Antike  Kunstprosa  177.) 

Aber  nicht  nur  im  Stil,  sondem  sogar  im  Rhythmus  sucht 
Claudius  Quadrigarins  zu  poetisieren.  Der  rein  trochäische  Schlufs 
von  fr.  78  ist  schon  Peter  und  Norden  (Antike  Kunstprosa  179) 
aufgefallen;  es  liefse  sich  mancherlei  Ahnliches  beibringen,  doch 
genüge  auf  fr.  2  zu  verweisen,  das  mit  einem  regelrechten  Hexa- 
meter schliefst:  tanta  sanctitudo  fanist,  utnumquamquisquam 
violare  sit  ausus,  und  auf  den  Hendecasyllabus  fr.  77  grundi- 
bat  graviter  pecus  suillum.  (Ahnliches  aus  Coelius  Antipater 
bei  F.  Marx  in  der  Ausgabe  des  Auetor  ad  Herenn.  proll.  137.) 

Es  dürfte  eine  dankbare  Aufgabe  sein,  die  Einwirkung  der 
Dichter  auf  die  Kunstprosa  der  sullanischen  Zeit  im  einzelnen  zu 

*)  Ich  weifs  wohl,  dafs  man  vieles  davon  auch  als  Vulgariameu,  Ar- 
chaismen luid  Gräcismen  erklären  wird;  multi  mortales  hat  auch  Cato  ge- 
sagt  fr.  9  Jord.,  aber  Ennius  und  Lucrez  eben  viel  häufiger  (wohl  nach 
ßpoToi) ;  haurire  =  a  latere  occidere  soll  eine  elocutio  Italica  sein  (Servius  zu 
Aeu.  10,  314,  vgl.  Heraeus  Archiv  XII  269):  aber  Lucrez  5,  1322  und  Vergil 
1.  c.  dürften  wohl  eher  an  das  homerische  (JV507)  ^lä  S*  ivtsQcc  x^^^og  ijtpvcf 
gedacht  haben,  ebenso  wie  grandia  Ingrediens  =  nncxgä  ßißdg^  aber  darum 
nicht  minder  poetisch  ist.  Die  Dichtersprache  hat  alle  diese  Freiheiten 
nicht  geschaffen;  aber  wenn  wir  dieselben  in  Kunstprosa  wiederfinden,  so 
liegt  doch  nichts  näher,  als  die  Vermittler  in  denjenigen  zu  erkennen, 
welchen  „quidlibet  audendi  semper  fuit  aequa  potestas"  (Horaz  AP  10): 
die  Annalisten  waren  das  nicht. 


Studien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Kömern.  547 

verfolgen:  eine  Ergänzung  zn  der  schönen  Darstellung  Nordens, 
der  über  die  Poesie  hinaus  nach  hellenischen  Einflüssen  sucht 
und  den  Claudius  wohl  zu  sehr  durch  die  Augen  des  Gellius  an- 
geschaut hat.  Es  wird  sich  vielleicht  herausstellen,  dafs  wir  es 
mit  einer  Vorblüte  jenes  halbdichterischen  Stiles  zu  thun  haben, 
die  unter  dem  Purismus  des  ciceronianischen  Zeitalters  erstarren 
muTste,  um  dann  unter  dem  Individualismus  der  silbernen  Zeit 
zur  vollen  Entfaltung  zu  kommen.  Für  einstweilen  genüge  es, 
das  Milieu  gefunden  zu  haben,  in  dem  wir  das  für  den  Singular 
eintretende  pectora  des  Auetor  ad  Herennium  unterbringen  können, 
ohne  dafs  wir  in  diesem  Plural  etwas  anderes  als  die  dichterische 
Licenz  zu  erkennen  brauchten,  die  gerade  jene  Zeit  als  etwas  Neues 
und  „Hochpoetisches^^  empfinden  muTste. 


'Der  poetische  Plural  bei  den  römischen  Elegikem'  —  so 
lautete  die  Preisaufgabe,  die  im  Sommer  1900  von  der  philoso- 
phischen Fakultät  der  Münchener  Universität  gestellt  wurde. 
Schon  aus  der  Veränderung  des  Titels  geht  hervor,  dafs  vor- 
liegende 'Studien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Römern'  einer- 
seits viel  weniger,  andererseits  aber  auch  ein  wenig  mehr  bieten 
wollen,  als  jene  Aufgabe,  der  sie  entsprungen  sind,  gefordert  hatte. 
Das  'Mehr*  besteht  in  der  Heranziehung  der  übrigen  den  Ele- 
gikem gleichzeitigen  oder  vorangegangenen  Dichter,  ohne  die  sich 
die  historische  Entwicklung  des  poetischen  Plurals  nicht  hätte 
darlegen  lassen,  und  bedarf  wohl  keiner  weiteren  Rechtfertigimg. 
Das  'Weniger'  hingegen  möge  noch  mit  einigen  Worten  erklärt 
werden.  Die  Behandlung  einer  Eigentümlichkeit  der  Dichter- 
sprache raufs  nach  zwei  Richtungen  hin  Anschlufs  finden  können: 
damit  die  Möglichkeit  und  die  Entstehung  des  poetischen 
Gebrauches  klar  werde,  mufs  die  normale  sprachliche  Erscheinui]^, 
die  ihm  zu  Grunde  liegt  und  gegen  die  er  sich  abhebt,  in  ihrem 
ganzen  Wesen  genau  bekannt  sein;  und  zur  Darlegung  der  Mo- 
mente, die  die  Anwendung  jener  Licenz  beherrschen,  müfste 
man  auf  die  entsprechenden  Ursachen  bei  dem  Gebrauch  anderer 
dichterischen  Freiheiten  verweisen  können;  mit  anderen  Worten: 
es  hätte  für  unsere  Aufgabe,  wenn  wir  sie  vollständig  hätten  um- 
fassen wollen,  einer  Voruntersuchung  erstens  über  die  Numeri  in 
der  lateinischen  Prosa,  und  zweitens  über  die  lateinische  Dichter- 
^sprache  in  ihrer  Gesamtheit  bedurft. 


548  Vau!  Maas: 

Was  nun  unsere  Kenntnis  über  den  Gebrauch  des  Plurals 
und  Singulars  in  Prosa  betriflEt,  so  dürften  wenige  Teile  unserer 
Sprachkunde  so  stiefmütterlich  behandelt  worden  sein,  wie  dieser. 
Einmal   wohl,    weil    hier   mit  Schulregeln   absolut   nicht    auszu- 
kommen ist  (wie  man  denn  auch  auf  der  Schulbank  fast  nichts 
über  die  in  diesen  Studien  berührten  Dinge  zu  hören  bekommt); 
und  zweitens,  weil  wir  ims  mit  solchen  Fragen  in  das  Grenzland 
zwischen  Formenlehre  und  Syntax  (oder  besser:  zwischen  Neue  und 
Dräger)  begeben,  das,  wie  es  so  geht,  von  keiner  Seite  rationell 
bebaut  wurde.    Aber  diese  strenge  Scheidung  ist  bei  Fragen  über 
^ünregelmäfsigkeiten'  im  Gebrauch  der  Numeri  nicht  am  Platz; 
denn  dafs  der  Defekt  von  Pluralformen  nicht  unabhängig  von  der 
Frage  nach  deren   syntaktischen  Ersatzmitteln  behandelt  werden 
kann,  sollte  keines  weiteren  Hinweises  bedürfen;  und  es  ist  auch 
kaum  Folge  eines  Zufalls,  wenn  wir  die  poetischen  Freiheiten  im 
Gebrauch   des  Plurals    hauptsächlich    bei  eben  jenen  Defektiven 
fanden.    Am  notwendigsten  ist  auf  diesem  Gebiet  eine  eingehende 
Behandlung  der  Abstrakt a.     Ich  habe  das  Kapitel  über  den  po- 
etischen Plural  bei  dieser  Wortklasse  ungeschrieben  lassen  müssen; 
denn  das  Vollständigste,  was  bisher  über  die  prosaischen  Grund- 
lagen dieser  Erscheinung  hätte  herangezogen  werden  können,  war 
eine  Aufzählung  sämtlicher  von  Cicero  im  Plural  gebrauchter  Ab- 
strakta,  geordnet  nach  dem  Alphabet  und  geschmückt  mit  je  einer 
Belegstelle  für  jedes  Wort  (J.  Lebreton  p.  421—428;  vgl.  S.  544). 
Aufserdem  haben  wir  noch  einige  'Regeln',  von  denen  leider  keine 
einzige  Auskunft  darüber  giebt,  ob  Wörter  wie  gaudia  gemitus 
genera  gentilitates    gestus    gloriae    wirklich   so    gleichartig    sind, 
dafs  man  sie  nicht  anders  als  alphabetisch  gruppieren  kann,  femer 
ob  der  Gebrauch  des  Plurals  bei  Komikern,  Philosophen,  Rhetoren, 
Historikern  und  im  Briefstil  derselbe  ist,  ob   das  ganze  Moment 
der   Entwicklung   nur  in   numerischer   Zunahme    der   im    Plural 
gebrauchten  Abstrakta  beruht,   ob  die  verschiedenen  Kasus  (oder 
besser    Formen)    des    Plurals    nicht    ganz   verschieden    behandelt 
werden,  ob  die  gefundenen  Regeln  auch  regelmäfsig  befolgt  wer- 
den, oder  ob  nicht  vielleicht  eine  Vergleichung  der  entsprechen- 
den Singulare  eine  bedeutende  Freiheit  in  der  Anwendung  beider 
Numeri   erkennen  liefse,  und   was  dergleichen    indiskrete  Fragen 
mehr  sind.*)     Solange  hierüber    nicht  Klarheit  herrscht,  ist  es 

*)  Wenigstens  auf  einiges  zu  antworten,  schickt  sich  erfreulicherweise 
der  Thesaurus  linguac  hitinae  an.    So  bemerkt  Volbner  zu  accessus  (1287, 


Studien  zum  poetischen  Plural  bei  den  Römern.  549 

nicht  nur  unmöglich,  'poetische'  Anomalieen  auf  diesem  Gebiet 
umfassend  zu  behandeki,  sondern  schon  sie  überhaupt  nur  zu  kon- 
statieren; und  mit  kurzen  Exkursen  und  Anmerkungen,  womit 
wir  bei  denBegriflFen  der  Masse  und  den  Körperteilen  wenigstens  das 
Wichtigste  aus  der  Prosa  nachzutragen  versuchten,  wäre  bei  diesem 
umfassenden  und  kompUzierten  Thema  nicht  gedient  gewesen. 
Übrigens  mufste  ein  ähnlicher  Mangel  bei  den  behandelten  Wort- 
klassen, wo  er  sich  nicht  ebenso  stark,  aber  sich  dennoch  immer 
fühlbar  machte,  die  erstrebte  Vollständigkeit  sowohl  in  der  Samm- 
lung des  Materials  als  in  der  Argumentation  schwer  schädigen. 

Noch  schlimmer  steht  es  um  unsere  Kenntnis  der  lateinischen 
Dichtersprache;  ja  es  scheint  noch  nicht  einmal  deutlich  ausge- 
sprochen zu  sein,  dafs  eine  solche  überhaupt  als  ein  Ganzes  exi- 
stiert, streng  geschieden  gegen  die  Umgangssprache  durch  for- 
melle, syntaktische  und  lexikalische  Eigentümlichkeiten,  die  in 
ihrer  Gesamtheit  behandelt  sein  wollen.  Hier  steht  der  histori- 
schen Grammatik  noch  das  weiteste  Gebiet  zur  Erforschung  oflfen: 
sie  wird  zweifellos  auch  auf  den  poetischen  Plural  viel  neues 
Licht  werfen,  das  unsem  Weg  noch  nicht  erhellen  konnte. 

43):  „plur.  primum  apud  Ov.  (versehen  statt  Cic;  vgl.  epist.  9, 14,  7  de  dcor. 

nat.  3,  24)  legitur gen.  plur.  deest."     Schade,  dafs  solche  Notizen 

ganz  vereinzelt  bleiben;  ein  Synonymon  von  accessus,  aditus,  entbehrt  ihrer, 
obwohl  wir  sowohl  über  das  erste  Vorkommen  des  Plurals  überhaupt  als 
auch  im  besondem  der  Formen  adituum  und  aditibus  (vgl.  Neue  P  558) 
gern  Auskunft  hätten. 


Register. 

Seite.  Softe. 

Accius  fr.  29  B 531       Horatius  Epod.  17,  22 540 

Ammian.  Marc.  14,  6,  9 532  A.       Inscriptio  C.  T.  L.  I  34,  v.  6 5;i5 

Aristoteles  Rhetor.  3,  6 492 f.       Laevius  fr.  IIa  Baehr 536 

Auetor  ad  Herenn.  4,  45 543  ff.       Livius  Andr.  tr.  26  B 535 

Caecilius  Statins  217 535  „  „      fr.  88  B 534 

Cicero  Arat.  Überlieferung 637       Lucilius  11,  4  M.  (305  B.) 506  A. 

„           „         205 501  „          14,  15  M.  (351  B.) .  .  .  506  A. 

„         461 537  „         26,  15  M.  (503  B.) 536 

„       de  deor.  nat.  2, 109 536  „        30,  98  M.  (710  B.)  . . .  506  A. 

Claudius  Quadrigarius 645  f.       Lucretius  6,  14 538  f. 

Culex 537  A.'      Ovidius  Heroid.  1,  24 518 

Curtius  7,  5,  7 531  „  „       12   512  A.» 

Horatius  Carm.  4,  7,  21 523  A.»  „       Amores  3,  7,  79 528 

„              „      4,15,15 487  „              „        3,  12,  40...  520  A.« 


5Ö0    Paul  Maas:    Studien  zum  poet.  Plural  bei  den  Römern. 


11 


11 


Seite. 
Ovidius  Ars  amat.  2,  622  . . .  620  A.* 

Fast.  2,  858 642  A. 

ex  Pont.  2,  1,  43 532 

[Ovidius]  epist.  Sapph.  23 620  A. 

Pacuvius  334 586 

Poetae  fragmentum 616  A. 

Propertius  3,  20,  10 641  A. 

Quintilianus  8,  6,  28 644  A. 


Saite. 

Tragic.  fragm.  ine.  ine.  96 535 

Varro  L.  lat.  5,  63 616  A. 

M       7,64 681 

Vergilius  Aen.  1,  734 615  A. 

3,428 642 

4,427 516 

4,  534 513  A. 

11,  844 620  A. 


»1 


n 


n 


1» 


»1 


1» 


Seite. 

accessus  . . .  495.  648  A. 

adeps   495.  604 

aditus 496.  548  A. 

aes 503.  22.  29 

alium 606  A.  8 

anima 490.  95 

anxia 539  A. 

apsinthium . . .   496.  608 

aqua 495.  625  A. 

arbitrium 523  A.' 

avena   503  A.  506 

barba 533  A. 

brassica 604 

bustum 618  A. 

capillus 633  A. 

caro 528 

casia 526 

castanea 626 

cauda 543 

cera  .  484.  504.  17.26.28 

cervices 501  f. 

cinis 516.  18  f. 

cinnanum 608  f. 

Collum 632.41 

cor 538.  41  f. 

corpus 537  A. 

crocus 518 

cruor 494.  520 

currus 490.  542  A. 

defrutum 506.  8 

electrum 494.  521 

faba 604.6.18.29 

faex 528 

far 495.  506  f.  22 

favilla 519 

fimum 506  A. 

MüQQhen. 


Seite. 

fireta 626  A. 

frons,  -dis  .  617  A.  26  A.* 

frons,  -tis 543 

frumentum  .  503  A.  22  A. 

funus 636 

glans 504. 17.28 

gramen 497.  528  A. 

gremium 686 

guttur 641 

harena.504.  6. 19.26.29 

hedera 617.  26f.  28 

hordeum    .  496.  604.  8  f. 

Ilium 509 

inula 626 

ianua 490 

ieiunia 480 

iuba   633  A. 

lana.494.  504.  17.26.28 

latex 480.  526  A. 

lilium 506.8 

lingua 542 

litus 497  A. 

locus 585 

Ijmpha 480.  526  A. 

mare 523  A.'  26 A. 

marmor 480.  522.29 

mel 503A.  4.  22 

membrum 548 

mustum 521.  29 

nebula 519  A.  26  A. 

nix 490.  617  A. 

oblivia 480.640 

oblivio 540 

ortus 487.  94 

08 531.40 

otium 546 


Seite. 

pabulum 605.  8 

paieae 503  A.  6 

papayer 606.  23 

pectus 634  ff.  41  ff. 

pharetra 620  A. 

pix 604.6 

podex 536 

porta 498 

pulmones 544  A. 

pulvis 640 

robur 497.  623  A. 

rogus 526  A.* 

ros 628 

rosa 525 

rostrum 541  f. 

rumex 504 

rus 522  A.« 

sabulum 506  A. 

sal 484.503.6 

sinus 541 

spuma 516A.  26.  28 

stipula 606. 18.29 

sulpur 528 

tergum 538.  37  ff. 

torus 494.  541  A. 

trisulcus 542  f. 

tus 495.606.22 

unguentum  .  503  A.  4.  22 

Uterus 642  f. 

vada 626  A. 

venenum 522  A. 

vestis 619.  27  f. 

vicia 626 

vinum 504  f.  21.  29 

viola 506.  16.26.28 

vultus  ...  497.  631.  41  f. 

Paul  Maas. 


Zur  Mulomediciiia  Ohironis. 

U. 

Auch  wenn  Vegetius  nicht  ausdrücklich  sagte^  dafs  er  seiner 
Mulomedicin  lateinische  Schriftsteller  zu  Grunde  gelegt  hat 
(praef.  §  6),  so  würde  der  Vergleich  seiner  Darstellung  mit  der- 
jenigen Chirons  doch  ohne  weiteres  deutlich  machen,  dafs  er  sich 
auch  lediglich  auf  die  lateinische  Bearbeitung  beschränkt  hat, 
ohne  jemals  das  griechische  Original  zu  Rate  zu  ziehen.  So 
ist  es  ihm  begegnet,  dafs  er  Übersetzungsfehler  seiner  Quelle 
mit  übernommen  hat.  Zwar  das  Ubersetzungskunststück  c.  455*) 
war  ihm  doch  zu  bedenklich;  aber  die  Art  und  Weise,  wie  er 
sich  ausdrückt  (5,  14,  19:  ad  urinas  invmtus  est,  qui  affirmaret), 
zeigt  ebensowohl,  dafs  er  die  Stelle  nicht  verstand,  wie  dafs  es 
ihm  femgelegen  hat,  seinem  Verständnis  durch  Zurückgehen  auf 
das  Original  oder  wenigstens  auf  die  genauere  Wiedergabe  des 
Pelagonius**)  zu  Hilfe  zu  kommen.  Aber  an  Stellen,  welche  die 
falsche  Übersetzung  nicht  in  solcher  Deutlichkeit  zeigen,  ist  er 
seiner  Quelle  arglos  gefolgt:  ein  Umstand,  der  auf  seine  medizi- 
nischen Kenntnisse  kein  allzu  glänzendes  Licht  fallen  läfst.  So 
heifst  es  bei  Chiron  c.  385 :  et  horridum  et  fervens  hnhefis  totum 
corpuSy  bei  Vegetius  3,  53,  2:  et  ideo  fit  horridum  et  corpus  eius 
calebit,  während  Apsyrtos  das  sachlich  allein  richtige  öröfia***) 
hat  an  Stelle  des  von  Chiron  verstandenen  öa^a.  Ein  ähn- 
licher Fall  ist  Chiron  c.  420  sugglutit  doloribus]  Vegetius  5,  59 
hat  dolore  siibglutit  In  den  Hipp.  132  steht:  övyxaybnxei  iaxnov 
ddvv(b[i£vog.  Chiron  verwechselte  also  an  dieser  Stelle,  wie  Oder 
richtig  bemerkt,  X(ifi:tr(o  und  xcbtro, 

*)  Oben  p.  404.  Auch  die  rätselhaften  Worte  Chirons  c.  392 :  ilia  tibi 
cinguniur  intestina^  quod  qui  dam  sapientiam  (an  (pgh'ccg  denkt  Oder) 
vocant^  hat  er  5,  64,  2  weislieh  fortgelassen. 

**)  Pelag.  150:  alind  ad  eos  qui  non  meiant  Magonis  Carchedonii  quod 
8olu8   adseverarit.     Vegetius  hat    überhaupt  nie  seine  beiden  Vorlagen  zu 
derselben  Stelle  eingesehen  und  etwa  die  eine  aus  der  anderen  korrigiert. 
***)  Hippiatr.  164:  xcrl  rb  aröficc  ^^SQ^bv  Ijr«  xal  ncetd^riQOv. 


552  E.  LommatzBch: 

Die  Unbeholfenheit  des  Übersetzers  zeigte  sich  in  der  Unzahl 
griechischer  Fremdwörter*),  die  er  —  zum  Teil  wohl  ohne  sie 
selbst  zu  verstehen  —  aus  dem  Original  übernommen  hat.  Vegetius 
ist  ihm  darin  nicht  gefolgt.  Es  war  natürlich  unvermeidlich, 
eine  grofse  Menge  griechischer  Ausdrücke  beizubehalten:  Krank- 
heiten, Instrumente**),  Medikamente,  operative  Eingrifife***),  ana- 
tomische Details  u.  ä/ konnte  nicht  gut  anders  als  mit  dem  ur- 
sprünglichen griechischen  Terminus  bezeichnet  werden:  ja,  Vege- 
tius geht  in  dieser  Beziehung  noch  über  Chiron  hinaus;  er  giebt 
das  übliche  griechische  Wort,  wo  jener  eine  lateinische  Um- 
schreibung giebt:  5,  14,  2  foenum  melicratof)  adspersum  prae- 
hebis,  Chiron  459:  fenum  fwvum  ex  aqua  mulsa  adsperges  — 
oder  er  läfst  die  von  Chiron  gegebene  lateinische  Erläuterung 
weg:  c.  68  et  fit  platocoriasis  id  est  dilatatio  pupillae  cf.  Veg. 
3, 16.  —  370  mices  amaras  id  est  amigdalas  frictas,  während  Veg. 
5,  44,  6  nur  amygdalne  frixa^  hat.  Bisweilen  giebt  er  die  grie- 
chische Bezeichnung  neben  der  aus  Chiron  übernommenen  latei- 
nischen: Veg.  3,  6,  7  ear  radice  Dianaria  quam  Ärtemisiam 
dicimus  cf.  Chir.  c.  252  (ex  radice  lunaria).  5,  49  hüis  quae 
cholera  appellatur  viügo  cf.  Chir.  c.  382.  Selten  hat  er  von 
sich  aus  eine  lateinische  Verdeutlichung  hinzugefügt:  zu  longao 
2,  14, 1  (cf.  Chir.  213).  Peritoneum  2,  15,  3  (cf.  Chir.  223).  syncope 
2,  25,  3  (cf.  Chir.  240).  Zu  syrmaticus  bemerkt  er:  a  tragoedorum 
paUiis  5,  21,  1  cf.  Chir.  490.  colleticis  [Chir.  229]  wird  2,  18,  2 
richtig  erklärt  ^moc  glutinent'^  während  ihn  an  einer  anderen  Stelle 
die  Form  coUecticis  [relnis  coUecticis  et  stiptici^  Chir.  471]  zu  der 
Erklärung  veranlafst:  rebus  stypticis  et  his  quae  coUigefaciunt 
(5,  9,  2).  Im  allgemeinen  ist  das  Bestreben  des  Vegetius  darauf 
gerichtet,  entbehrliche  griechische  Worte  wegzulassen  bezw.  durch 
lateinische  zu  ersetzen.ff)  So  läfst  er  griechische  Bezeichnungen 
der  Krankheiten  weg:  1,  7  cf.  Chir.  179  (farcimen  quod  graece  ap- 
pellatur ferisoma).  1,  8  cf  Chir.  464  (morbus  subrenalis  quod  Vitium 
graece  ne freien  appellatur,  latine  subrenale).  3,  8,  1  cf.  Chir.  266 


*)  Oben  p.  404. 
♦♦)  Doch  läfst  er  manche  weg;  cf.  3,  17,  2  mit  Chir.  78.  6,  28,  3  mit  317. 
***)  So  namentlich  phlehoiomare  acontizare  etc.  stremmare  (1,  26,  4  aus 
Chiron  662). 

t)  Dies  steht  auch  bei  Pclag.  162. 

tt)  Ganz  singul&r  5,  64,  3  epati  [Chiron  408  iocinerijy  während  gleich 
nachher  §  4  und  sonst  regelmäfsig  iecur  erscheint. 


Zur  Mulomedicina  Chironis.  553 

(capitis  dolor  i.  cephaloponia).  3,  8,  2  ib.  (corruptio  sanguinis  i. 
diaftora)y  3, 5, 1  cf.  Chir.  52  de  impetigine  i.  licenas,  Chir.  c.  72  giebt 
die  griechische  Bezeichnung  für  candidus:  est  Candida  (ypochima) 
gypsodes  quae  diciiiir,  die  Veg.  3,  17,  1  wegläfst.  Sehr  einfach 
reduziert  er  die  Aufi&ählung  Chir.  394  lenes  et  catarroicas  et  simplices 
et  coIMicas  et  refrigerantes  potiones  durch  Auslassung  der  grie- 
chischen Benennungen:  5,  64,  7  lenem  et  simplicem  et  rofrUjera- 
toriam  (potionem),  ebenso  wie  Chir.  85  centro  ossi  bei  Veg.  3,22, 1 
vereinfacht  wird  zu  osse. 

Ersetzt  werden  Ausdrücke  wie  percatapsare  (i.  pencarail;äv 
Chir.  161  =  Veg.  2,  10,  12  cmfricare.  Chir.  216  u.  341  =  Veg. 
2, 14,  2  u.  5,  40,  2  perfricare),  pa/rastaticare  (Chir.  393  qune  res 
magis  leniter  parastaticari  potest  =  Veg.  5,  64,  5  quae  causac  lenis- 
simis  medicamentis  adiuvari  et  suspendi  possunt).  Für  das 
nur  einmal  Torkommende  spincterem  (Chir.  230)  schreibt  Veg.  2, 
19,  1  das  gewöhnliche  anum,  Chir.  318  epitogis  coperito,  Veg. 
5,  23,  6  sagis.*^  Chir.  249  valitudines  aterapeutae  et  cronia, 
Veg.  3,  6, 1  ofnnes  valetudines  capitis,  pra^ecipue  veteres,  peri- 
culosas,  Chir.  491  acinetos  facit  nervös,  Veg.  5,  21,  2  eos  reddit 
immobiles.  So  hat  Vegetius  die  entbehrlichen  Fremdwörter 
durchaus  gemieden:  ein  Verfahren,  welches  für  ein  Werk  an- 
gemessen war,  dessen  Zweck  erfüllt  war,  si  eum  nee  scholasticus 
fastidiat,  et  bubulcus  intelligat  (IV  praef.  2). 

Was  femer  das  Latein  anbelangt,  so  ist  es  selbstverständ- 
lich, dafs  die  vulgären  Formen  Chirons  sich  bei  Vegetius  nicht 
finden,  weder  cludo,  coda,  clodigo,  clodicare,  noch  caldaj  stentina] 
weder  plurissimus,  acrissimus,  tenerissimtis  {tenuissimus  Veg.  3, 
33,  1)  u.  a.,  noch  rarenter  (c.  33.  raro  Veg.  2, 22,  2).  Er  dekliniert 
weder  lumbricibtis  (453;  lumbricis  Veg.  5,  14,  11),  armoribus  (241; 
armis  Veg.  2,  25,  3),  noch  konjugiert  er  offerehis  (160;  öfteres 
Veg.  2,  10,  10).  Auch  für  den  Komparativ  setzt  er  an  der  rich- 
tigen   Stelle    den   Positiv,   z.  B.   forpitis    Chir.  23;   finniter  Veg. 

1,  26,  3. 

Doch    im    lateinischen   Wortschatz    hat    sich    Vegetius 

nicht  immer  von  seiner  Quelle  freigemacht;  aus  dem  Verzeichnis 

oben  S.  405 — 408  läfst  sich  leicht  ersehen,  sowohl  dafs  er  in  der 

Wortbildung,   namentlich  bei  Substantiven  und  Adjektiven,   hier 


•)  Ähnlich  5,  46,  11,  wo  aber  Vegetius  aas  Pelagonius  (269  p.  88,  7  Ihm) 
schöpft,  während  Chiron  (463)  gleichfalls  epitogis  hat. 


554  ^*  LommatzBch: 

und  da  Neubildungen  Chirons  übernommen,  als  auch  andererseits, 

daüs  er  unnötige  Formen,  Bedeutungen  oder  neue  Worte*)    ver- 
mieden hat. 

Die  ausgemerzten  Worte  sind  folgende: 

laUere:  Chir.  25.  caede  Veg.  1,  27,  2.  —  Chir.  418.  tundit  Veg. 
5,  58, 1. 

pausare:  Chir.  221.  requiescere  Veg.  2, 15,  2,  der  im  übrigen  wört- 
lich folgt. 

excastrare  Chir.  90.     eximere  Veg.  3,  24,  2. 

sanguinare  Chir.  5(>3.     donec  satiffuis  emanat  Veg.  3,  39,  2. 

viridicare:  Chir.  380  oculi  viridicabmü.     Veg.  5,  48,  1  virides  sunt. 

proximare:  Chir.  169.     vicinus  est  morti  Veg.  1,  3. 

eoncalescere:  Chir.  127,  dafür  Veget.  2,  5  das  gewöhnliche  fd)rire, 

rostrum:  Chir.  562.     os  Veg.  3,  39,  1. 

colomelli:  Chir.  544.    derites  columeUures  Veg.  3,  33  cf.  oben  p.  405. 

vernnm  (=  ver):  Chir.  497  vemo  incipiente.  Veg.  5,  74  inci- 
piente  vere, 

furia:  Chir.  68  platocwiasis  .  .  .  cofiüngit  a  furia.  Veg.  3,  16, 4 
evenit  equorum  furore. 

Für  pusillus  hat  Vegetius  das  von  Chiron  ganz  gemiedene  jxirvtis, 
cf.  Chir.  59;  Veg.  3,  13,  4.  Chir.  90;  Veg.  3,  24,  2,  oder  um- 
schreibt es  sonst:  teneris  aetatibus  2, 18,  1  (Chir.  228).  pamm 
Uquaminis  Veg.  5,  43,  2  (;>m^.  /.  Chir.  359),  während  sonst  in 
der  Bedeutung  *ein  wenig'  pus.  beibehalten  ist:  2,1,5  (117). 
2,  15,  2  (221).  5,  45,  4  (373).  5,  76,  4  (518). 

hotronatim  Chir.  236.     collectos  Veg.  2,  24. 

non  absimilis:  Chir.  53.  habent  similitudineni  Veg.  3,52,1'^  sogar 
male  odoratus  (Chir.  169)  wird  durch  male  olens  wiedergegeben 
Veg.  1,  3;  in  novissimo  (Chir.  180)  durch  in  fine  Veg.  1,  14,  2. 

Bei  weitem  überwiegt  die  Menge  der  von  Chiron  neu  gebil- 
deten bezw.  angewendeten  Worte,  bei  denen  Vegetius  die  gewöhn- 
liche Form  setzt  oder  die  er  sonst  irgendwie  vermeidet. 

a)  Substantiva: 
gravedo:  Chir.  260  intdligas   ex  yravedine,     Veg.  3,  8,  5  quotietis 

grave  est. 
(dhugo:  Chir.  77.     aJbum  Veg.  3,  18. 
alhmnnifum :  Chir.  83.     allmm  Veg.  3,  21 


*)  Ich  notiere  luccae  1,  27,  4  (Chir.  26);  während  die  Weiterbildung 
lactosae  (Chir.  4(i)  gleichfalls  durch  hiccae  wiedergegeben  ist  5,  18. 


Zur  Mulomedicina  Chironis.  555 

puUamina:  Chir.  195.    puüi  a  matre  deptdsi  Veg.  1,  9,  3. 

articxdamenta:  Chir.  329.     articuli  Veg.  5,  31,  1. 

conamentum:  Chir.  228.     cananien  Veg.  2, 18,  2. 

suspiramentum:  Chir.  115.     anhelitus  Veg.  2,  13. 

muccitudo:  Chir.  169.     muccus  Veg.  1,  3. 

r^mto^ium;  Chir.  172.     coniagio  Veg.  1,  5,  2. 

puUüia:  Chir.  89  glandtdae  fiunt  in  puUitia,     Veg.  3,  24,  1  /)rflk?- 

cipti«  pullis. 
fervura:  von  Chir.  86,  112  u.  sonst  überwiegend  anstatt  f er  vor  ge- 
braucht, welches  Vegetius  regelmäfsig  hat  cf.  3,  22,  2.  3,  48,  11. 
Für  die  Deminutiva  lamda  (Chir.  105)  und  viricuiae  (411)  hat 

Veg.  3,  48,  8  lana^  5,  54,  8  vires, 
b)  Adjektiva: 
succutamis:  Chir.  168  und  sonst,  cf.  363  suspirium  si  erit  umidum 

(aiH  vero   succtUaneum).     Daneben   succutis,  während  Vegetius 

stets  die  Form  succutaneiis  hat. 
interaneus:  Chir.  125.     internus  Veg.  2,  3. 
mediamis:  Chir.  127  mediana  vena,     Veg.  2,  5  media.    Jenes  bei 

Chir.  stets  Adjektiv,  medio  bedeutet  'm  der  Mitte*.     Veg.  nur 

einmal  3,  40,  2  inediano  digito  nach  Chir.  565. 
turbulentus:   Chir.  6  (turbattis  Veg.  1,  22,  3).  453    (turbidus  Veg. 

5, 14, 10). 
sanguüentus:  Chir.  155.     sanguinolentus  Veg.  2,  10,  3. 
rttfetciis:  Chir.  242.  vmZsiiä  Veg.  2,  25,  4.  —  Ähnlich  Chir.  226  in- 

flaticius,  Veg.  2, 16,  2  inflatus. 
flumatictis:  Chir.  264.     fluviatilis  Veg.  3,  7,  3. 
sideratieus:  Chir.  336.     sideraticitis  Veg.  5,  34. 
cinericia:  Chir.  378.     lianvium  Veg.  5,  47,  4. 
patidus:  Chir.  97.    i)afe»5  Veg.  3,  27,  4. 
flectibüis:    Chir.  239   flectibüibtis  cruribm   incedit,    Veg.  2,  25,  1 

fiectentes  crura  incedunt. 
veteräis:    Chir.  392  sn7/)  e5s«  veter  ihm  (tussim)  et  ex  interiorüms, 

Veg.  5,  64,  2  67*  lentis  pulsibus  ilia  dua:erit,  veterem  indicat  tussim 

de  interioribus, 
metrcUiter:  Chir.  223.     a^l  mensuram  Veg.  2,  15,  3. 
ccddaris:  Chir.  250  miites  eum  in  cellam  ealdarem.    Veg.  3,  6,  3 

in  cellam  balnei  calidam. 
articularius:  Chir.  173.     articidaris  Veg.  1,  6. 
Hierhin  gehört  auch  der  Gebrauch  von  cerebellum  =  Kopfbedeckung 

bei  Veg.  3,  7,  1.  3,  11,  3.  3,  12,  6  für  das  cereheUare  des  Chiron 


556  ^-  Lommatzsch: 

263.  281;  arietinum  (Chir.  125)  wird  durch  arietum  (Veg.2,3) 

umschrieben,      sine    iüla,    ypocinma    ohstanie    (Chir.  75)    durch 

sine  ullo  obstaciilo  ypodiysis  Veg.  3, 17,  3. 

Für  die  Komposita  hat  Yegetius  häufig  die  Simplicia: 
persalire:   Chir.  258;   saJire  Veg.  3,  53,  3.     affricare   Chir.  171; 

fricare  Veg.  1,  5,  1.   auriculis  dimiccU  Chir.  279;  miccU  Veg.  3, 10. 

excalfactio  Chir.  238.  385;  calfactio  Veg.  2,  24,  3,  calor  3,  53,  2. 
Auch  bei  Wörtern,  deren  Bildung  einen  vulgären  Anstrich 
hat,  nimmt  Vegetius  Korrekturen  vor,  weil  sie  der  Bedeutung 
nicht  zu  entsprechen  schienen.  So  braucht  Chir.  225  hianitaSy 
wofür  Veg.  2,  16,  2  das  genauere  ieiuna  animaiia  setzt;  für  cruditas 
(Chir.  452)  hat  Veg.  5,  14,  9  indigestio]  für  ptiiorem  (Chir.  368) 
Veg.  5,  44,  1  foetorem.  In  den  genera  verbi,  in  denen  bei  Chiron 
grofse  Verwirrung  herrscht  (Oder  p.  305),  hat  Vegetius  ausnahms- 
los das  grammatisch  richtigere.  Ich  notiere  einige  besondere 
Fälle:  vacillantur  Chir.  478;  vacillant  Veg.  5,  3.  nocet i  Chir.  563; 
ne  noceat  Veg.  3,  39,  2.  loco  refrigeranti  et  ienebricoso  Chir.  276; 
loco  refrigerato  et  opaco  Veg.  3,  9,  4.  nunqaam  dudit  Chir.  58; 
nunquam  clauditur  vtüntis  Veg.  3,  13,  3. 

Die  eloquentiae  inopia,  die  Vegetius  an  seiner  lateinischen 
Vorlage  tadelt,  zeigt  sich  aber  nicht  nur  in  solchen  mehr  for- 
mellen Aufserlichkeiten  des  Sprachschatzes:  die  Reinigung, 
welche  Vegetius  mit  den  sordes  der  Chironischen  Sprache  vor- 
genommen hat,  erstreckt  sich  in  noch  viel  höherem  Malse  auf 
die  gesamte  Darstellungsweise.  Ich  übergehe  die  vulgären  Kon- 
struktionen wie:  scio  quod,  quia  u.  ä.;  ne  =^  ut  non  etc.  Oben 
p.  410  ist  gezeigt,  wie  Vegetius  selbst  da,  wo  er  den  Chiron 
wörtlich  citiert,  sich  stilistische  Änderungen  und  Verbessenmgen 
erlaubt  hat.  Jedes  Kapitel  würde  ähnliche  Vergleichspunkte 
bieten.  Ich  begnüge  mich,  einiges  herauszuheben.  Die  signa 
marborum,  welche  Chiron  in  der  überwiegenden  Anzahl  der  Fälle 
durch  Aneinanderreihen  von  Ablativen  qualitatis  ausdrückt,  hat 
Vegetius  in  der  Regel  in  direkte  Sätze  umgewandelt,  z.  B.  Chiron  315 
erit  autem  cofistnctus  toto  corpore,  naribus  extevms  et  auriculis 
immobilibu^  et  rigidis,  cervice  recfa,  capiie  extenso,  Veg.  5,  23,  1 
totum  corpus  aihtridum,  extensae  sunt  nareSy  et  aures  rigida^, 
immobilis  eervix,  os  constrictum,  capat  extensum  .  .  .  Ähnlich 
Chir.  169  stridet  peciore,  Veg.  1,  3  stridet  peHus, 

Die  sich  bei  Chiron  häufig  findenden  Umschreibungen  ver- 
einfacht Vegetius:   so   ruptionem  pati  (Chir.  216.  471)  zu  mmpi 


Zar  Mulomedicina  Cbironis.  557 

(2, 14,  2.  5;  9,  2).  ut  digestionem  patiatur  (Chir.  410)  zu  ut  digerat 
(5,  54,  7).  appetere  quaerunt  (Chir.  331)  wird  zu  appetunt  (Veg. 
5,  32,  1).  Ahnlich  facere:  feni  odium  faciet  (Chir.  121),  fenimi 
fastidit  Veg.  2,  2.  mptionem  facere  ves^icae  Chir.  228,  vesica 
disrumpitur  Veg.  2,  18,  2.  aurictdae  habetUes  rigoreni  Chir.  326, 
rigidae  Veg.  5,  29.  Umgekehrt  finden  wir  bei  Vegetius  Erweite- 
rung eines  kurzen  Ausdrucks  bei  Chiron:  andndaturam  simm 
perdit  Chir.  261,  aber  ambtdaturae  gratiam  Veg.  3,  5,  3. 

Ein  bei  Chiron  sehr  beliebtes  Wort  ist  contingit,  entspre- 
chend dem  griechischen  6v(ißa(v€L]  es  kommt  bei  Vegetius  fast 
gar  nicht  vor.  Wo  es  bei  Chiron  mit  dem  Infinitiv  oder  mit 
ut  steht,  hat  Vegetius  die  einfache  Verbalform:  Chir.  3  periculum 
mtae  fecisse  contingit  Veg.  1,  21,  3  periculum  generahit  Chir.  14 
contingit  eis  enervari.  Veg.  1,  23  enervantur.  Chir.  451  Con- 
tingit intumescere.  Veg.  5,  14,  6  nascitwr  twmor,  Chir.  452 
contingit  pati,  Veg.  5,  14,  9  patiuntur.  cf.  Chir.  453  plerumque 
ea  res  eis  contingit,  bestiolus  . . .  Veg.  5,  14,  10  hestiölus  etiam  . . . 
anirnal  praefocabit.  Chir.  33  est  et  aliud  vitium  quod  sie  con- 
tingere  seiet,  ut  , . .  faciet,  Veg.  3,  18,  1  est  et  aliud  nitium  eius- 
modi  ut , , .  inducat.  Chir.  260  si  contingerit  ei  post  curationem 
ut  cUiqua  pars  cerd>ri  minuctbitur.  Veg.  3,  5,  2  st . .  aliqua  pars 
cerebri  fuerit  imminuia. 

Sehr  häufig  braucht  Chiron  contingit  mit  Nominativ,  Ve- 
getius hilft  sich  auf  verschiedene  Weise.  Nur  selten  behält 
er  es  bei:  Chir.  149  qitae  passio  coactio  dicitur  quod  a  labore 
et  cogendo  contingit  et  ex  primitione  (i.  pressione).  Veg.  2,  9,  1 
ideo  sie  appeihta  quod  ab  iniuria  vel  labore  et  coactimie  con- 
tingit Chir.  317  quod  contingit  ex  nimia  perfridione , .  unde  et 
tetanici  dicti  sunt  Veg.  5,  23,  2  hat  das  wörtlich  übernommen*); 
ebenso  Chir.  20  quidquid  simile  in  articidis  contigerit  =  Veg. 
1,  25,  6.  Chir.  228  vitium  in  pusillas  aetates  contingit  Veg.  2, 
18,  2  teneris  aetaiibus  contingit  An  anderen  Stellen  ersetzt  Vege- 
tius das  Wort  durch  ein  anderes  oder  modelt  die  Konstruktion 
um:  Chir.  83  quodcunque  in  oculo  contingerit  vd  suffusione  vd 
albumentis  =  Veg.  3,  21  si  dexter  ociüus  suffusione^n  susceperit  vel 
album  incurrerit  Chir.  9   cmitingere  periculum  solct    Veg.  1, 

22,  5  inferre  periculum  solet       Chir.  260  haec  simüis  ratio  toracis 


*)  Zu  Veg.  2,  12,  8  quae  valetudo  ex  nimia  sanguinis  ahumlantia  et  ar- 
dote  contingit  hat  Chiron  nichts  Entsprechendes. 

Archiv  für  lat.  Lexikogr.    XIJ.    Hoft  4.  ^1 


558  E.  LommatzBch: 

si  apioso  contingerit  Veg.  3,  5,  1  quodsi  appiosum  sifnüis  passio 
tluyracis  invenerit.  Chir.  68  contingit  a  furore.  Veg.  3,  16,  4 
evenit  quoque  furare*)  Chir.  116  cofUingunt  ex  mofftio  labore 
et  frigore.  Veg.  2,  1,  4  causa  huius  passionis  ex  m.  l.  est. 
Chir.  451  contingit  dysuria.  Veg.  5,  14,  6  ex  his  causis  passio 
descendit.  Chir.  389  contingit  vitium  sarcinaris  causa  magno- 
rum  pondenim.  Veg.  3,  54,  2  vitium  nascitur  ex  enormitate 
ponderum,  Chir.  219  quüms  contingit  dolor,  Veg.  2, 15, 1  quibus 
impendet  dolor. 

Ähnlich  verhält  es  sich  mit  henefido  c.  gen.,  von  Chiron  gern 
gehraucht,  von  Vegetius  fast  ganz''^)  gemieden;  weggelassen  ist 
es  5,  44,  1  (cf.  Chir.  368).  3,  33, 1  (Chir.  544);  durch  propter  er- 
setzt: Chir.  385  nofi  patiatur  doloris  aliquid  beneficio  huius  rationis, 
dum  . . .  nihil  concoquet,  cf.  Veg.  3,  53,  1  propter  dolorem  non  co- 
quunt  dbum***)]  durch  «cf):  Chir.  223  coadionis  longi  temporis 
beneficio  =  Veg.  2, 15,  5  ex  coactione  l.  t]  durch  Ahlatiy:  Chir.  181 
caloris  beneficio  =  Veg.  1,  14,  6  calorc]  durch  ein  anderes  Wort: 
Chir.  68  caloris  beneficio  =  Veg.  3,  16,  4  caloris  indignatione,  Chir. 
407  famis  beneficio  =  Veg.  5,  54,  1  fame  cogente. 

In  continenti  kommt  bei  Chiron  wiederholt  vor;  an  den  ent- 
sprechenden Stellen  setzt  Vegetius  continuo  (3,  33,  1  cf.  Chir.  544) 
und  statim  (5,  77  cf.  Chir.  506),  letzteres  auch  für  ipsa  Äöraff) 
(Veg.  5,  27,  3  cf.  Chir.  308). 

Was  die  Präpositionen  anbetrifft,  hält  sich  Vegetius  von 
dem  vulgären  Gebrauch  des  Chiron  fem:  dafs  er  sie  stets  richtig 
konstruiert,  braucht  nicht  besonders  betont  zu  werden.fff)     Er 


*)  Ähnlich  Chir.  150  ex  aestuatio  pnJvianis.  . . .  dolor  contingunt.  Veg. 
2,  10,  1  ex  aestu  evenit  .  .  .  dolor.  Chiron  braucht  evenii  auch  sjnonym 
mit  contingit. 

**)  Chir.  34  caloris  beneficio  dissolutum  =  Veg.  1,  28,  8  beneficio  ignis^ 
wo  b.  im  eigentlichen  Sinne  gebraucht  wird. 

***)  Chirons  Text  ist  hier  verwirrt;  wie  Vegetius  zeigt,  gehört  doloris 
und  beneficio  zusammen. 

t)  Ähnlich  steht  ex  fOr  causa:  Veg.  3,  54,  2  cf.  Chir.  889. 

tt)  Veg.  2,  24,  2  steht  ipsa  tibi  in  vianu  cohaerent  Chir.  286  ^f>sa  hora: 
dies  steht  auch  in  der  verkürzten  Recension  des  Vegetius  (codd.  Sambuci, 
cod.  Parisinus  u.  a.),  die  überhaupt  viel  vulgäre  Elemente  enthält. 

ttt)  z.  B.  Chir.  319  in  ore  mittito.  Veg.  5,  23,  7  in  os.  Chir.  419  in  ijjso 
foramine  immittito.  Veg.  5,  58,  1  in  anum  infundes  etc.  Dasselbe  gilt 
für  die  adverbia  loci  foras,  foris,  intro,  intus  etc.  cf.  oben  p.  410.  Die 
entsprechenden  Stellen  des  Vegetius  sind  mit  Hilfe  der  Oderschen  Fufs- 


Zur  Mulomedicina  Ghironis.  559 

vertauscht  ad  nnd  in  der  Deutlichkeit  halber:  Chir.  33  in  mo 
statu  revocat  Veg.  1,  28,  2  cul  statum.  Ebenso  meidet  er  den  Ge- 
brauch von  circa  =  de  (Oder  index  s.  v.):  er  hat  alle  diese 
Stellen  anders  gewendet:  z.  B.  Chir.  205  minus  intelligentes  circa 
Organum  veniris  veterinariorum  iudico  gtii  putant . . .  Veg.  2, 11,  2 
veterinorum  imperitia  putat . . .  Chir.  252  ut  intdligas  quomodo 
scnserit  corpus  circa  eam  valitudinem,  Veg.  3,  6,  7  ut  intdligas, 
quantum  vires  . . .  profecerint  Dagegen  finden  wir  bei  Vegetius 
ex  bei  Rezepten  in  der  Bedeutung  von  cum  oder  dem  blolsen 
Ablativ:  coquere  ex  aqua,  clisterimre  ex,  suffundere  ex  u.  ä.*) 
Inter  dies  (Chir.  402)  giebt  Veg.  5,  24,  5  durch  interdiu  wieder.**) 
de  fQr  den  ablat.  instrumenti  hat  Vegetius  nicht:  er  setzt  sogar 
1,  27,  2  caede  cum  tabdla  anstatt  des  chironischen  hattes  de  tahdla 
c.  25.  Doch  hat  er  Ausdrücke  wie  cerd)dlare  de  peUe  lanaia 
(Chir.  263)  übernommen  3,  7,  1.  Unnötige  Pleonasmen  werden 
fortgelassen,  z.  B.  Veg.  2,  16,  4  vermes  disdudü  a  corpore,  aber 
Chir.  227  vermes  dicutit  foras  a.  c. 

Die,  wie  bereits  hervorgehoben,  musterhaften  Indices  der 
Oderschen  Ausgabe  ermöglichen  es  leicht,  die  Anzahl  der  Bei- 
spiele zu  mehren.  Die  angeführten  Proben  werden  genügen,  um 
zu  zeigen,  welchen  Wert  die  Mulomedicin,  trotz  der  miserablen 
Überlieferung,  auch  sprachlich  hat:  sie  zeigt  uns  die  Sprache  des 
gewöhnlichen  Volkes,  für  das  sie  ja  auch  geschrieben  ist,  in  ihrer 
Verwilderung  und  jeder  Regel  spottenden  UngleichmäXsigkeit; 
mag  man  noch  so  viel  als  Eorruptelen  der  Handschrift  abziehen, 
es  bleibt  noch  genug  des  Gesicherten  übrig.  Vegetius  hat  da- 
neben nur  sprachlichen  Wert,  sachlichen  nur  insofern,  als  aus 
ihm  die  ursprüngliche  Mulomedicina  Chironis  wenigstens  zum 
Teil  rekonstruiert  werden  kann  (p.  403).  Über  die  Übersetzung 
Chirons  werden  wir  erst  völlig  urteilen  können,  wenn  die  Aus- 
gabe der  griechischen  Hippiatrica  von  der  Hand  Oders  vorli^. 
Mögen  es  seine  Kräfke  und  seine  Mufse  gestatten,  dieselbe  der 
Mulomedicina  Chironis  bald  folgen  zu  lassen! 


noten  (die  man   gern  in  einem  conspectus  locoram  vereinigt  sähe  wie  bei 
Ihm,  Pelagonins  p.  241)  leicht  zn  finden.  —  Ganz  singnlär  die  Umwandlang 
von  Chir.  492  miites  eum  in  sudibus  zn  m.  ei  sudes  Veg.  6,  22,  4. 
*)  Stellen  bei  Oder  index  s.  v. 

•*)  Oder   interpretiert  falsch  alia  vel  tertia  die,  —  Bei  Veg.  hat  die 
verkürzte  Recension  anch  hier  inter  dies, 

Freiburg  i.  B.  E.  Lommatzsch. 

37* 


560  Ed.  Wölfflin  —  J.  Cornu:   MiBcellen. 


Über,  ubera. 

Dem  Codex  Bambergensis  zuliebe  haben  Jahn  und  Halm  bei 
Florus  1,  1,  3  geschrieben:  lupa  secuta  vagitum  über  (die  übrigen 
Handschr.  ubera)  admovit  infantibus,  unter  Annahme  eines  kollektiv 
gebrauchten  Singulars.  Das  ist  an  sich  nicht  undenkbar,  nur  war  es 
ihre  Pflicht,  einen  solchen  nachzuweisen.  Nun  sagt  wohl  Ovid  fast. 
4,  459  ab  ubere  raptus  vitulus,  dem  Metrum  zuliebe.  Allein  schon 
die  beiden  Zwillinge  hätten  dem  Florus  den  Singular  verbieten  müssen. 
Hören  wir  daher,  wie  die  anderen  Historiker  und  Dichter  sich  aus- 
drücken. Verg.  Aen.  4,  367  admorunt  ubera  tigres  dürfte  das  Vor- 
bild des  Florus  für  die  Wahl  des  Verbums  sein.  Für  das  Subst.  vgl. 
man  Cic.  Cat.  3,  19  uberibus  lupinis  inhiantem.  Cic.  rep.  2,  4  silvestris 
beluae  sustentatus  uberibus.  Livius  1,  4,  7  lupam  summissas  infan- 
tibus praebuisse  mammas.  Sen.  contr.  10,  4,  9  lupa  .  .  ubera  praebuisse 
fertur.  Anon.  de  vir.  ill.  1  (mit  Florus  eng  verwandt)  ad  vaffUttm 
lupa  accurrit  eosque  uberibus  suis  aluit.  lustin.  38,  6,  8  conditores 
Romae  lupae  uberibus  altos;  42,  3,  5  distenta  ubera  exinanire  cupiens 
nutricem  se  infantibus  praebuit.  August,  civ.  d.  18,  21  nach  Florus 
ut  lupa  credatiu:  adinovisse  ubera  parvulis.  Origo  g.  R.  20  levan- 
dorum  uberum  gratia  mammas  praebuisse.  Ovid.  fast.  5,  466  ubera 
dedit;  2,  419  ubera  ducunt.  Gegenüber  dieser  Übereinstimmung  der 
Zeugnisse  sieht  sich  der  Herausgeber  des  Florus  genötigt,  an  dem 
Plural  ubera  festzuhalten;  in  der  Epitoma  Livii  mufs  er  auch  schon 
gestanden  haben. 

München.  Ed.  Wölfflin. 


FOEVEA  =  FOVEA. 

Alte  Beispiele  der  Attraktion  oder  des  Vorklanges  des  Halb- 
vokales^  i  konnte  Schuchardt  nur  in  geringer  Anzahl  nachweisen. 
Vok.  n  S.  528  —  530  hat  er  sie  zusammengestellt  und  erläutert.  Ich 
bin  in  der  Lage,  aus  dem  im  Corpus  Script,  eccl.  lat.  Bd.  XVIII  heraus- 
gegebenen Priscillian,  dessen  Handschrift  noch  dem  V.  oder  VI.  Jahr- 
hundert angehört,  ein  Beispiel  nachzutragen,  und  fQhle  mich  dazu  ver- 
pflichtet, weil  es  in  dem  Aufsatze,  welchen  der  Entdecker  und 
Herausgeber  des  Textes,  Georg  Schepfs,  der  Sprache  Priscillians  im 
Archiv  HI  S.  309 — 328  gewidmet  hat,  keiner  Erwähnung  gewürdigt 
wurde.  Zur  S.  56  Z.  10  wird  als  Lesart  der  Handschrift  FOEVEAM 
für  FOVEAM  angegeben.  FOEVEAM  =  FOIVIA,  wie  man  die 
Schreibung  zu  deuten  hat,  ist  meiner  Ansicht  nach  die  beachtens- 
werteste vulgäre  Schreibung  des  ganzen  Textes,  die  der  Herausgeber 
im  Index  zu  Priscillian  allerdings  nicht  übersehen  hat. 

Graz.  J.  Cornu. 


Die  Epitome  des  lulius  Exuperantius. 

I. 

Zu  den  zur  Rekonstruktion  der  Historien  des  Sallust  die- 
nenden QueUen  zählt  bekanntlich  auch  die  kurze  Darstellung  des 
ersten  Bürgerkrieges^  welche  ein  nicht  weiter  bekannter  Julius 
Exuperantius  (vgl.  über  letzteren  Namen  jetzt  J.  Schwab,  Jahrbb. 
f.  Phüol.  SuppL-Bd.  XXIV  [1898]  S.  692)  im  4.  oder  5.  Jahr- 
hundert n«  Chr.  verfafst  hat.  Das  Werkchen  ist  im  wesentlichen 
ein  Excerpt  aus  den  Historien  des  Sallust,  plündert  aber  auch 
die  beiden  vollständig  erhaltenen  Monographien  des  Historikers 
aus,  wie  besonders  G.  Linker  in  seinen  Emendationen  zu  SaUust, 
Wien  1854,  S.29f.  (Sonderabdruck  aus  den  Sitzungsber.  der  philos.- 
histor.  KL  der  Wiener  Akad.  XTH)  gezeigt  hat  und  unsere  An- 
merkungen noch  des  näheren  darthun  werden.  Der  Titel  des 
Schriftchens  ist  nicht  bekannt,  möglicherweise  war  es  als  Epitome 
bezeichnet  (Wölfflin,  Archiv  XH  339).  Wenn  nun  schon  der  letzte 
Herausgeber  des  Exuperantius  (s.  u.)  die  Vorrede  mit  der  Be- 
merkung beginnt  ^luli  Exuperanti  opusculum  . . .  quod  denuo 
typis  describendum  curavi  enmt  qui  mirentur,  cum  hunc  libellum 
et  prioribus  saeculis  et  hoc  quo  nos  agitamus  saeculo  saepius 
quam  par  est  typothetarum  operam  exercuisse  meminerint',  so 
wird  eine  abermalige  Ausgabe  auf  den  ersten  Blick  als  durchaus 
überflüssig  erscheinen.  Wir  glauben  aber  —  ganz  abgesehen 
davon,  dafs  die  jüngste  Ausgabe  selten  und  schwer  zugänglich 
ist  und  dafs  wir  den  (vermehrten)  Bestand  der  Historienfragmente 
jetzt  in  Maurenbrechers  Bearbeitung  bequemer  überblicken  — 
unserem  Neudrucke  durch  Heranziehung  zweier  erst  nach  der 
letzten  Edition  bekannt  gewordener  Textquellen,  durch  Verwertung 
der  im  Anschlufs  an  diese  Ausgabe  veröffentlichten  Besserungs- 
vorschläge und  durch  die  Beifügung  von  Anmerkungen  die  Exi- 
stenzberechtigung verliehen  zu  haben.  Zur  Konstituierung  des 
Textes  haben  wir  benützt: 


562  Gustav  Landgraf  —  Carl  Weyman: 

1.  Die  letzte  Ausgabe  des  ExuperantmS;  die  unser  früh- 
vollendeter Conrad  Bursian  als  Züricher  XJniversitatsprogramm 
im  J.  1868  hat  erscheinen  lassen.  Von  dieser  auf  einer  von 
WölflFlin  besorgten  Kollation  des  Cod.  Par.  6085  s.  XI  beruhenden 
Ausgabe  standen  uns  zwei  Exemplare  zur  Verfügung:  a)  das 
Handexemplar  WölflFlins  mit  einigen  sprachlichen  Randbemerkungen 
und  der  Kollation  des  unter  3.  näher  bezeichneten  Fragmentes, 
b)  das  Handexemplar  des  verstorbenen  gründlichen  Sallustkenners 
Adam  Eufsner  mit  eigenen  und  fremden  (s.  unter  4.)  Konjekturen. 

2.  Die  Vergleichung  der  auf  der  Bremer  Stadtbibliothek  be- 
findlichen, von  Melchior  Goldasts  (f  1635)  Hand  herrührenden  Ab- 
schrift des  Exuperantius  mit  dem  Texte  Bursians,  welche  F.  Lü- 
decke in  seiner  Anzeige  von  Bursians  Ausgabe  in  den  Grötting.  Gel. 
Anz.  1869  I  S.  76 — 80  mitgeteilt  hat.  Diese  Abschrift  ist  jeden- 
falls nach  einer  Handschrift,  nicht  nach  einem  Drucke  gemacht 
worden,  möglicherweise  nach  dem  (noch  vorhandenen?)  Baseier 
Codex,  von  dem  Johannes  Doringus  in  Herisau  in  einem  Briefe 
an  Vadianus  in  St.  Gallen  schreibt:  ^equidem  exemplar  (des  Lucius 
[sicl]  Exuperantius)  repperi,  dum  Basileae  agerem,  in  Coenobio 
illo  Praedicatorum  [vgl.  L.  Sutter,  Die  Dominikaner-Klöster  auf 
dem  Gebiete  der  heutigen  deutschen  Schweiz  im  13.  Jahrhundert, 
Luzem  1893,  Münchener  Dissertation,  S.  53  ff.],  certe  summae 
vetustatis,  verum  mutüum,  adeo  ut  nonnullis  in  locis  vix  Uterarum 
vestigia  liceat  deprehendere'  (Lüdecke  a.  a.  0.  S.  77  f.).  Jedenfalls 
ist  die  Hs.  nahe  mit  dem  Parisinus  verwandt,  wie  ihre  (im  Apparat 
nicht  mehr  eigens  notierte)  Übereinstimmung  mit  diesem  in  der 
Schreibung  'Sillam'  (cp.  2  Z.  15),  in  den  Lesarten  ^novis'  (1,  17), 
*Octavianus'  (4,  1),  'frustrationis'  (7,  26),  ^commissis'  (8,  16) 
und  in  der  Auslassung  von  'Cinnae'  (4,  24)  beweist,  doch  bietet 
sie,  wie  bereits  Lüdecke  erkannt  hat,  einige  gute  Sonderlesarten. 

3.  Das  mit  'in  quo'  (5,  3)  einsetzende  Münchener  Fragment, 
ein  jetzt  unter  der  Signatur  Cod.  lat.  Mon.  29019  aufbewahrtes 
Doppelblatt,  nach  Wölfflins  Schätzimg  s.  XI — XH.  Die  Mitteilung 
dieses  Gelehrten,  dafs  es  die  Korruptelen  des  Parisinus  um  einige 
neue  vermehre  und  nur  an  zwei  Stellen  beachtenswerte  Varianten 
aufweise,  7,  3  'tunc'  und  7,  15  'traditus'  (Philo!.  Anz.  I  [1869] 
S.  24  anläfslich  der  Anzeige  von  Eufsners  specimen  criticum 
s.  u.),  können  wir  wenigstens  zu  Gunsten  des  Fragmentes  dahin 
ergänzen,  dafs  es  7,  3  das  schon  von  Eufsner  vermutete,  u.  E. 
richtige  'Romanum'  bietet. 


Die  Epitome  des  Julius  Exuperantius.  563 

4.  Die  textkritischen  Beiträge  von  Adam  Eufsner^  Specimeu 
criticnm,  Würzburg  1868  (Dissert.),  p.  36  f.  und  PhUologus  XXVIII 
(1869)  S.  500  und  536;  von  H<ermann>  S<auppe>,  Philol.  Anz.  I 
(1869)  S.  21 — 23  (Anzeige  der  Ausgabe  von  Bursian);  von  Jacob 
Mähly,  Jahrbb.  f.  Phüol.  CV  (1872)  S.  143  f. 

5.  Kritische  (und  sprachliche)  Bemerkungen^  die  uns  Alfred 
EunzC;  der  Verfasser  der  gediegen«iL  Sallustiana  (vgl.  Archiv  VUI 
152;  608;  XI 139)  freundlich  zur  Verfügung  gesteUt  hat. 

Im  Kommentar  —  wenn  diese  stolie  Bezeichnimg  auf  unsere 
bescheidenen  Anmerkungen  anwendbar  ist  —  haben  wir  uns  be- 
strebt;  die  Entlehnungen  aus  Sallust  möglichst  vollständig  zu 
verzeichnen;  durch  Beibringung  von  Parallelen  aus  stark  von 
Sallust  beeinflufstenLitteraturwerken  (Ammianus  MarcellinuS;  dem 
jetzt  wieder  mit  Ambrosius  identifizierten  Hegesippus  [vgl.  Ar- 
chiv XII  S.  465  ff.];  Sulpicius  Severus)  auf  die  eventuell  sallu- 
stianische  Provenienz  des  eiäen  oder  anderen  Ausdrucks  hinzu- 
deuten und  die  entschieden  spätlateinischen  Bestandteile  der  Diktion 
des  Exuperantius  als  solche  hervorzuheben. 

Die  im  kritischen  Apparate  ohne  Angabe  des  Fundortes  an- 
geführten Lesarten  entstammen  dem  Codex  Parisinus. 

n. 

Incipit  Opusculum  lulii  Exuperantii. 

1.  Cum  Lucius  Metellus  proconsul  contra  lugurtham  in  Nu- 
midiam  exercitum  duceret;  Marium  ex  gregariis  militibus  genere 
ignobilem  set  virtute  praestantem  secum  habuit;  quem  cum  mili- 
tibus quaestorem  fecisset,  ita  se  factis  fortibus  promiserat;  ut 
hostibus  terrori;  Romano  imperatori  cai-us  esset.  Et  victimas  5 
inmolanti  numinibus  in  oppido  Numidarum  cui  nomen  est  XJtica 
haruspices  magna  quaedam  impendere  Mario  responderunt  atque 
hortati  simt;  ut  quae  vellet  änderet  peteretque  celsiora  natalibus 
meritisque  maiora,  siquidem  cuncta  videbatur  favor  spondere 
fortunae.  Tunc  <^eum^  capiendi  consulatus  invasit  magna  cupi-10 
ditaS;    ad    quem    petendum    paratis    suffragiis    relicta    provincia 

1^  4  promservLt  Sauppe  coli.  Verg.  Aen.  IJ  260  *cavo  86  robore  promunt', 
uhi  tarnen  J,  Kvieala,  Vergil-Sttidkn  (Pragae  187 S)  p.  177  sq.  praefert  lec- 
tionem  codicis  Pragenm  'produnt';  cf.  commentarium  ö  et  apographum 

GoldasU  prohante  Luedeckio:  sed  9  respondere  apogr.  Gold.  10  eum 

inseruimuü     hunc  (pro  tunc)  Kunze  11  paratis  apogr,  Gold.:  paratna 


564  Gustav  Landgraf  —  Carl  Weyman: 

[Metello]  Romam  venit  ibique  de  Metelli  rebus  loquendo  cor- 
ruptius  ac  suam  extolleudo  virtutem  effecit  animos  vulgi  cupidos 
novitatis^  in  suum  excitando  favorem  adiavantibus  tribimis  plebis; 

I5nam  eo  tempore  inter  patres  ac  populum  studio  dominaiionis 
erant  excitata  certaniina.  Ita  factum  est  ut  quasi  in  pemiciem 
nobilitatis  quam  lacerabat  iniuriis  Marius  novus  extolleretur  ho- 
uoribus.  Itaque  comitiis  consularibus  universus  populus  qui  ad 
eligendum  convenerat  Marium   consulem  iussit  et  erepta  Metello 

2eproYiiicia  in  Numidiam  missus  est. 

2.  Sed  is  accepto  consulatu  quasi  spolium  victoriae  superatis 
patribus  ostentabat  aperteque  se  eorum  potentiae  profitebatur 
adversum.  Sed  cum  militem  novum  scriberet,  primus  omnium 
capite  censos  cives  infidosque  atque  inutiles  duxit  ad  bellum ,  ut 

6  hac  ratione  cum  publico  detrimento  populo  graiiam  redderet  a 
quo  speratos  honores  acceperat.  Nam  populus  Romanus  per 
classes  divisus  erat  et  pro  patrimonii  facultate  censebatur  et  hi 
omnes  quibus  res  erant  ad  militiam  ducebantur;  diligenter  enim 
pro  victoria   laborabant  qui    cum   libertate  bona  patria  defende- 

lobant;  illi  autem  quibus  nullae  opes  erant  capud  suum  quod  solum 
possidebant  censebantur  et  belli  tempore  in  moenibus  residebant; 
facile  enim  poterant  existere  proditores,  quia  egestas  haud  facile 
habetur  sine  damno.  Hos  igitur  Marius  quibus  non  fuerat 
res  publica  committenda  duxit  ad  bellum.     Sed   forte  secum   L. 

16  Syllam  legatum  unum  de  nobilibus  in  provinciam  duxit;  atque 
ibi  confecto  feliciter  bello  et  lugurtha  capto  ad  urbem  rediere 
victores  atque  statim  virtute  cognita  Marius  in  Glalliam  missus 
est  quae  tunc  Romanos  fines  hostili  incursione  vexabat. 

3.  Eodem  tempore  Mithridates  cum  magnis  copiis  universam 
Asiam  urbesque  sociorum  expugnando  atque  vastando  coepit 
affligere;  ad  quem  cohercendum  L.  Sylla  est  cum  exercitu  desti- 


1,  12  Metello  del.  Sauppe  et  Maehly      13  contemptius  Sauppe  et  MaeJüy 

14  in  8.  e.  f.]  <^in  vulgo>  i.  s.  e.  f.  Bursian  dubitanter  i.  eorum  e.  favore 
Maehly  15  ac]  et  apogr.  Gold.  16  ita  —  honoribus  post  itaque  —  missus 
est  transpofii  iubet  Maehly  17  novus  Corte:  novis  2,  1  fortcisse  scri- 
hendum  acceptum  consulatum;  cf.  lug.  31,  10  'incedunt  ....  consulatus 
.  .  .  ostentantes'            4  cives]  viles  MaMy  \  infidos  apogr.  Gold.  fort,  rede 

8  erat  Maehly;    at  cf.  comment.  9    bona  patria  Eussner;    cf. 

cap.  0  lin.  6.     Sali.  Cut.  14 y  2:  bona  patriam  13  hos]  eos  apogr.  Gold. 

15  Sillam  18  est  tiuod  Kunze  ex  usu  Exuperantii  addidii  extai 
in  apogr.  Gold. 


Die  Epitome  des  lulius  Exuperantins.  565 

natus  cuius  in  Africano  bello  probata  erat  corporis  ^Yisi}  atqiie 
animi  magDitudo.  Hoc  ubi  Mario  compertum  est,  terminare  quod  5 
gerebat  praelium  festinavit  ei  homo  infinitae  oupidus  gloriae  iion 
patiebatur  libertatem  dignitateinque  Romanam  alterius  virtute 
defendi;  contusis  igitur  OcbXüb  vastataque  natione  penitus  barba- 
rorum Romam  iterum  yictor  intravit.  Itaque  instinctu  eius 
Sulpicins  tribunus  plebis  legem  tulit  ut  auferretur  Syllae  pro- 10 
vincia  ac  Mario  daretnr.  Hoc  Syllae  ubi  nnntiatum  est^  Mure- 
nam  legatum  suum  provinciae  Yalerianisque  praefecit  militibus 
quos  infidos  bellis  existimabat  esse  civilibus  et  cum  parte  exerci- 
tus  iniuriae  dolore  commotus  ad  extinguendam  Marianam  venit 
factionem.  Statim  ut  Bomam  venit^  resistentem  sibi  Sulpicium  et  15 
seditiosis  contionibus  rem  publicam  disturbantem  cum  multis  quos 
sibi  socios  adsciverat  trucidavit  atque  Marinm  ipsum  machina- 
torem  tantae  contumeliae  in  exilium  impetu  detrusit  armorum; 
atque  ille  —  quotiens  victor!  —  per  Gallorum  atque  Afrorum 
rura  quae  ipse  yastaverat  naufragus  atque  egenus  erravit.  20 

4.  Dum  haec  aguutur  Ginna  et  Octavius  facti  sunt  consules^ 
quorum  Ginna  de  partibus  Marianis  fuit.  Hie  legem  tulit ,  ut 
noyi  cives  qui  aliqua  ratione  Romanam  acceperant  civitatem  cum 
veteribus  nulla  discretione  sufiEragium  ferrent.  Hoc  videlicet  in 
eorum  gratiam  faciebat  qui  Marium  suffragiis  suis  extulerant  et  5 
amplissimis  honoribus  decorarant.  Sed  haec  lex  iniuriosa  erat 
in  veteres  cives  qui  meritum  dignitatis  videbantur  amittere^  si 
cum  novis  indignis  in  ferendo  suffragio  iungerentur.  Ob  hoc 
itaque  Octavius  collega  commotus,  ut  seditiouibus  <^res  publica)> 
privaretur,  collegam  suum  Ginnam  adnitentibus  veteribus  civibus  10 
in  exilium  misit  [armatus]  munitus  videlicet  copiis  Syllae.  Quae 
cum  agerentur,  maximus  ex  utrisque  partibus  civium  numerus 
interemptus  est.  Expulsus  igitur  Ginna  cum  vagaretur,  ad  Africam 
ubi   Marius   inops   erat   forte   pervenit;    atque    ibi    communicaio 

8^  4  vis  add.  Bursian;  cf.  Cat.  1,  5;  5, 1;  lug.  2, 2.  Hegesipp.  II  IS  extr. 
'memorabilis  iuvenis  ob  egregiam  fortitudinem  corporis  et  animi  magnitu- 
dinem'.  |  cura  peritia  a.  a.  m.  Maehly  8  natione  ]regione  Euasner;   at 

cf.  comment.  15  atque  vel  is  vel  hie  ante  statim  insermdum  pulat  Kunze 

19  aliquotiens   Bursian  dubitanter  totiens  Sylburg  et  Maehly  qui  to- 
tiens  Sauppe  qui  totiens  victor  erat  Kunze  \  Gallorum]  Italorum  Maehly 
4y  1  Octavianus  9  commotus  om.  apogr,  Gold.  \  res  publica  (R.  P.)  add. 

Kussner  et  Maehly;   cf.  comnient.    privaretur  <^populu8    Komanus^  (P.  R.) 
Kunze  praeveniretur  (jpro  privaretur)  Sauppe  11  armatus  iyicl.  Bursian 

14  erat]  errabat  Maehly  fort,  rette 


566  Gustav  Landgraf  —  Carl  Weyman: 

l5consilio,  sollicitatis  animis  perditorum  et  de  ergastnlis  eratis 
servis  exercitam  confecerunt  et  armata  yalidissima  manu  iuyeii- 
tutis  ad  urbem  venerunt  atque  Octavium  Syllae  satellitem  snpe- 
ratum  necayerunt.  Tunc  varia  crudelitas  pervagata  est^  ut  nobi- 
litas   omnis  ad  fngitivorum  trucidaretur  arbitrium;  atque  ea  in- 

20manis  saevitia  Cinnae  fait,  ut  nee  illis  parceret  quorum  opera 
erat  yictor  effectu8;  et  cum  hac  insolentia  in  omnis  commumter 
baccharetur,  cum  haberet  contiones  a  militibus  suis  ocdsus  est. 
Tum  Marius  <veritus>  ne  sine  socio  dominatum  sustinere  non 
posset^  in  locum  <^Cinnae)>  Carbonem   sibi  in   septimo  consulatu 

25collegam  subrogavit. 

5.  Tum  Sjlla  tanta  indignatione  commotus  contra  Marium 
atque  Carbonem  exercitum  duxit  et  inter  se  ferali  certamine  Ro- 
mani  exercitus  conflixere,  in  quo  bello  superatus  est  Marius. 
Tum    vero    Sylla   victor   quicquid    in  urbe  remanserat  crudeliter 

5  persecutus  est  et  rem  publicam  vindicatam  non  reddidit  legibus, 
sed  ipse  possedit,  ac  se  talem  praebuit  ut  Ginnana  ac  Mariana 
quam  ultum  ierat  dominatio  quaereretur.  Hinc  Sallustius:  ^Bonis 
iniiiis  malos  eventus  JiahuiV^  nam  fuerunt  bona  principia  quod 
oppressam  voluit  civium  defendere  libertatem,  mali  eventus  quod 

lOsuperatis  dominis  et  ducibus  saeris  gravius  ipse  ciyitatem  quas- 
savit  qui  se  publicae  calamitatis  fore  promiserat  defensorem. 
Hie  cum  teneret  imperium,  multas  leges  ac  iura  praescripsit^ 
multis  ciyitatibus  inmunitates  yectigalium  dedit,  multos  Romana 
civitate  donayit. 

6.  Huius  acta  cum  conatur  Lepidus  in  suo  consulatu  sub- 
vertere,  contra  coUegam  Catulum  ciyile  praelium  gessit  et  yictus 
est;  nam  congregatis  bis  in  quorum  possessiones  noyos  colonos 
de  suis  militibus  Sylla  victor   inmiait  ac  sibi  coniimctis  liberis 

ö  proscriptorum  ingentem  congregavit  exercitiun  pollicendo,  si 
vicissent^  se  bona  patria  restituturum;  plebi  quoque  multis  mune- 
ribus    publice   privatimque   largitis    carus   videbatur    ac  publicae 

5,  7  Cat.  11,  4. 

4^  16  iuventis  18  varie  Eussner  vero  ea  Maehly  19  eo  apo^.  Gold. 
prohante  Luedcch'o         21  et]  set  Bursian  duhit  22  contionem  Maehly 

23  veritus    inseruit  Eussner    metu   Kunze  24  Cinnae  hie  inseruit 

Bursian,  ante  locum  iam   Sylbnrg         5,  3  in  quo]  hie  incipit  fragmentum 
Monacen^e  7  Salustius  9    quod    Sylburgi  ut  6,  8    hiß  apogr. 

Gold.:    hiis   cf.  Bannet,   Le   Latin  de  Gregoire  de  Tours  p.  367 sq. 
7  ac  delet  Maehly  itUerpungens  post  carus 


Die  Epitome  des  lulius  Exnperantias.  567 

libertatis  assertor.     Et  in  Etmriae  litore  commisso  praelio  coe- 
perat  Lepidos  esse  snperior  per  armatam  multitudinem  quae  odio 
remm    Syllanarum    se   Lepidi  partibus   applicarat;  sed  Pompeinsio 
de  Grallia  rediens  non  passus  est  Lepidi  audaciam  cum  publicis 
detrimentis   impune   bacchari;   nam   fugientes   eins   copias  ac  se 
implicantes  festinatione  foipnidiiiis  ita  prostravit,  ut  maiore  numero 
privatuB  in  Sardiniam  confugeret  et  impedito  commeatn  populnm 
Romanum  fatigaret  inopia  ac  snas  vires  armis  copiisqne  et  omni  15 
instromento  reficeret.     Atque  ibi  com  Triario  propraetore  variis 
praeliis  gravibusque  conflixit;  nam  <^is^  soUertissime  tntando  pro- 
vinciam    effecit^   ut   Lepidi   consilia   vana   forent;   undique   enim 
prohibitus   et  mnnitionibns   a   civitatium   expugnatione   depulsus 
neqniyit    cogitata    perficere    ac    dum    multa   parat   morbo    gravi  20 
oppressus  et  mortuus  est. 

7.  Cuius  socius  et  administer  Perpenna  ob  delictum  tanti 
facinoris  supplicium  timens  ex  Sardinia  in  Hispaniam  transvectus 
est  ac  se  Sertorio  sociavit  qui  tum  Romanum  armis  quassabat 
iinperium.  Nam  hie  Sertorius  de  Marii  partibus  fait;  nam  Nor- 
bano  et  Scipione  consulibus  cum  ex  Asia  Sylla  contra  Marium  6 
atque  factionem  veniret  infestus^  timens  senatus  [iram]  ne  malo 
publico  certamina  inter  duces  orirentur,  statuit  ut  curarent  con- 
sules  ne  res  publica  acciperet  detrimentum.  Hoc  itaque  senatus 
consulto  excitati  consules  contra  venientem  Syllam  atque  Omni- 
bus exitium  minitantem  praesidia  sibi  cuiusque  generis  pararelO 
coeperunt  et  duces  idoneos  ad  quorum  industriam  pertineret  cura 
bellorum;  in  quis  elegere  Sertorium.  Parato  validissimo  exercitu 
processere  et  vetante  Sertorio  coUoquia  consules  permiserunt  inter 
suum  et  Syllae  exercitum^  et  facta  proditio  est  omnisque  exer- 
citus  Syllae  traditur.  Tunc  Sertorius  destitutus  atque  omni  copi-  15 
arum  nudatus  auxilio  in  Etruriam  confugit  iram  metuens  Syllae 

6^  8  Et  apogr.  Gold.  Sauppe  Maehly :  sed  |  Etruri     14  et  apogr.  Gold. :  nt 
16  cum  Triario  Burnouf  coli.  Ascon.  in  Scaur.  p.  16,  20  sqq.  K.-Sch. :  contrario  i 
c  Trario  apogr.  Gold,  cum  contrario  Corte  cui  adsiipülatur  Kunze        17  is 

tde 

supph  Bursian  19  civitatum  apogr.  Gold.  \  depulsus  fragm.  Mon.i  expuls* 
{superscr.  m.  pr.)  7,  3  tunc  fragm.  Mon.  \  Romanum  fragm.  Mon.  Eiissner: 
Romanis  |  Romanis  nostris  vel  R.  infestus  Maehly  6  iram  del.  Sylburg 

10  minantem  fragm.  Mon.  \  parere  fragm.  Mon.  12  elegere,   in 

quis  Sertorium  Kunze  dileta  interpunctione  post  bellorum  et  coli.  lug.  25,  4 
et  28,  4  I  et  ante   parato    inserendum   censet   Kunze  13   permiserunt 

fragm.  Mon.:  dimiserunt  {corr.  m.  pr.)  15  traditus  fragm.  Mon, 


568  Gustav  Landgraf  —  Carl  Weyman: 

iie  exigeret  gravem  quasi  de  superaio  hoste  yindictam.  Erat  autem 
Etruria  fidissima  partibus  Marianis,  quia  ab  ipsis  Romanam  quam 
antea  non  habebaut  acceperaut  civitatem;  iimeutes  igitur  Etrusci 

20  ue  beuiücium  tautae  diguitatis  a  Mariauis  acceptum  Sylla  revo- 
caret,  si  adversae  partes  esseut  amputatae,  peuitus  ad  Sertorium 
se  atque  alios  eiusdem  factiouis  duces  applicarout  omnia  qoae 
imperareutur  sine  recusatione  promittentes  esse  fjEhctnros:  itaque 
factum   est   ut   rursus   firmissimus  XL  cohortium  comportaretur 

25exercitus;  nam  et  multi  milites  qui  se  venienti  Syllae  tradiderant 
frustrati  omuibus  ad  priorum  ducum  castra  reyerterunt,  quae 
ante  prodideraut. 

8.  Inter  haec  facti  sunt  Marius  septies  et  Garbo  consules; 
tunc  Sertorius  de  Marii  potestate  securus  Romam  yenit  et  omnium 
coepit  accusare  segnitieni;  etiam  ex  multis  promptissimis  factis 
Syllae  industriam  yirtutemque  laudare,  cui  nisi  <pariter^  obyiam 

5  iretur,  actum  iam  ac  debellatum  foret.  Tum  ^eum^  consules 
principesque  alii  factionis  tanto  yerborum  pondere  eastigati^  siye 
ut  aemulum  ac  yehementem  neglegentiae  correctorem  ab  oculis 
removerent,  siye  ut  feroci  proyinciae  cuius  infidelitatem  timebant 
idoneum   praeponerent   ducem,    misere   in  citeriorem   Hispaniam, 

10  atque  ei  mandatum  est  ut  transiens  res  in  Gallia  transalpina 
componeret.  Sed  ubi  in  provinciam  yenit,  ita  strenue  sociorum 
animos  iam  deficientes  atque  alia  cupientes  in  &yorem  partium 
suarum  modeste  tuende  atque  blandiendo  perduxit,  ut  et  carus 
esset   et   tamen   ab    omnibus    timeretur.     Sed   in   urbe    Sylla    et 

15  Marius  confiixere  atque  in  ipso  certamine  Marius  interemptus  est, 
Garbo  perditis  rebus  aufugit.  Tum  Sertorius  concussis  atque 
deletis  partibus  quas  sequebatur  Optimum  consilium  credens 
exercitum   non   dimittere,   ne   nudatus   supplicia   yictoribus   pen- 


7,  23  promittentes  sese  facturos  Bursian  pr.  se  f.  W^oelffUny,  Lit.  Cen- 
tralbl.  1868  Nr.  41  cöl.  1114  se  pr.  esse  f.  Kunze;   at  cf.  comment. 
20  frustrati  omnibus  Bumauf:    frustrationis  |  frustrati   donis  Bursian  fr. 
omni  spe  vel  frustrationis  taedio  {cf.  lug.  62,  9)   Kunze  27  ä^  (i.  e. 

antea)  possiderant  apogr.  Gold.         8,  1  sunt  om.  apogr.  Gold.  3  etiam] 

et  apogr.  Gold.      praestantissimis  apogr.  Gold.  4  pariter  hie  inseruit 

Dietsch  ad  Sali.  hist.  I  fr.  58,  post  obviam  transponere  mavuU  Sauppe 

5  forc  Corte,  Dietsch,  Eussner;  at  cf.  comment.  eum  inseruit  Kunze 

13  fori,  modeste  <^8e^  tuendo;    cf   Cic.   de  or.  III  227  IG  concussis 

Kunze   coli.    Com.  Nep.   Epam.  6,  4  et  Kritzio  ad   VeU.  Fat.  II  121,  1: 

commissis  contusis  Sylburg 


Die  Epitome  des  Inlius  Exuperantius.  569 

deret;  collecta  Hispaniae  multitudine  contra  Romanum  exercitum 
statuit  dimicare;  mortno  itaque  Sylla  hostem  se  publicum  aperi;e20 
professus  est;  ad  quem  expugnandum  missi  sunt  Metellus  atque 
Pompeius  qui  eum  gravibus  atque  assiduis  pugnis  afSixere;  qui 
tarnen  dif&eile  yinceretur^  nisi  per  coniurationem  in  convivio  a 
suis  esset  occisus.  Postea  Pompeius  Perpennam  subegit,  Auxuraen, 
Gluniam^  Galagurrim  civitates  delevit  et  factis  in  Pyreneo  tropheis  25 
Romam  regressus  est. 

Finit  Opusculum  lulii  Exuperantii. 

8y  19  maltitudine  Hispaniae  fragm.  Mon.      22  qui  tc  fragm.  Mon. 
25  Clnniam   Corte  {cf.  Huebnerum  in  Wissowae  encyclop,  IV  col.  113  sq.): 
Clunium  27  in  fragm.  Mon.  omissa  subscriptione  sequitur  Multi  lietho- 

res  vocantor  atque  dialectici  propter  libros  cic<^ero^nis  propter   aristotelis 
quos  sese  vidisse  iactant  ac  legisse  praedicant. 


IIL 

Cap.  1  Z.  2ff.     Über  Marius  Vgl.  Sali.  lug.  63,  3  ff. 

2  ex  gregariis  müitibus]  Cat.  37,  6;  59,  3. 

genere  ignobilem  sei  viriute  praestantem]  Vgl.  Tac.  ann.  I  3  '>r. 
Agrippam,  ignobilem  loco,  bonum  militia\ 

4:  ita  se  factis  fortibus  promiser ai]  fortia  f.  Cat.  59, 6;  lug.  53,  8;  85, 
4.  21;  bist.  II  92  M.  —  Zu  'se  promittere'  haben  Sylburg  und  Bursian 
Plin.  nat.  bifft.  XVI  107  'nee  ulla  arborum  avidius  se  promiUi€  ver- 
gUcben.  Aber  an  dieser  Stelle  bandelt  es  sieb,  wie  Sauppe  erkannt  bat, 
um  ein  Versprechen,  nicbt  um  ein  (sieb)  Hervortbun.  Dagegen  läfst 
sieb  zu  Gunsten  der  Überlieferung  bei  Exuperantius  anführen  Paulinus 
von  Nola  carm.  XXXII  102  'quae  creat  (tempus)  absumit  rursusque 
absumpta  promittif  ('remittit'  Muratori)  und  Oros.  II  16,  15  'quan- 
tumque  meditatur  ira,  tantum  promiüU  audacia',  wo  Wachsmuth  (bei 
Zangemeister  ed.  maior)  die  Vermutung  ausgesprochen  ^promit  scrip- 
tum fuisse  si  non  ab  Orosio  at  in  eins  fönte'.  Auch  bei  Amob.  I  56 
p.  37,  23  f.  R.  'conscriptores  nostri  mendaciter  ista  promiserunt  (so 
cod.  P),  extulere  in  immensum  exigua  gesta'  (vgl.  Hildebrand  z.  St.) 
dürfte  Orsinis  Konjektur  'prompserunt'  hinfällig  sein.  (C.W.)  Nicht 
ausgeschlossen  scheint  übrigens  die  Möglichkeit,  den  Ausdruck  zu 
fassen  im  Sinne  von  ^tdkm  se  f.  f.  promiseraV  =  er  hatte  solche 
Hoffnungen  von  sich  erregt,  wozu  auch  der  folgende  Satz  gut  passen 
würde.  Vgl.  zu  dieser  Bedeutung  von  'promittere'  Sen.  controv.  IX 
6,  13  'oratorem  pramisit  et  praestitit'.  Ps.  Quintil.  declam.  mai.  1,  6 
^interrogabo  .  .  .  per  quae  se  parricidam  scelera  promiserit\  Verg. 
Aen.  IV  227  'non  illum  genetrix  talem  promisU^\  II  96  \me)  promm 
ultorem',  womit  zusammenzustellen  Tac.  bist.  III  59  und  ann.  III  15 
^socios  (sociam)  se  promittere'  und  Exup.  c.  5,  6.  (G.  L.)     Über  den 


570  Gustav  Landgraf  —  Carl  Weyman: 

Gebrauch  des  Plusquamperfekts  an  Stelle  des  Perfekts  (vgl.  übrigens 
lug.  7,  4  'pervenerat')  s.  Engelbrecht  zu  Faustus  Reiens.  p.  496  und 
H.  Blase,  Geschichte  des  Plusquamperf.  S.  75  f. 

5  ut  hostibm  —   carus  essd]    lug.  7,4   '  ut  nostris  vehementer 
'  carus,  Numantinis  maxumo  terrori  esset\ 

6  ff.  victimas  inmolanti  —  peteret]  lug.  63 ,  1  'üticae  C.  Mario 
per  hostias  dis  supplicanti  magna  atque  mirabilia  portendi  haruspex 
dixerat;  proinde  quae  animo  agitabat  fretus  dis  ageret,  fortunam  quam 
saepissime  experiretur;  cuncta  prospere  eventura'. 

9  siquidem]  spätlateinisch  =  nam;  vgl.  Schmalz,  Synt.  S.  420*. 
spondere]      Die  Lesart  des  apogr.  Gold,  'respondere'  wird  durch 

die  Einwirkung  von  'responderunt'  (Z.  7)  entstanden  sein.  Doch 
sei  daran  erinnert,  dafs  z.  B.  bei  Tertullian  'respondere'  in  der  Be- 
deutung von  'spondere'  gebraucht  wird;  vgl.  Oehler,  Tert.  11  p.  CXCIL 

10  tunc  <^eumy  capiendi  consulatus  invasit  magna  cupidii<is]  Cat. 
5,6  ^hunc  libido  maxuma  invaserat  rei  publicae  cap%unda€^\  lug.  24,  2 
quem  tanta  lubido  extinguendi  me  invasit^;  84,  3  ^tanta  lubido  cum 
Mario  eundi  plerosque  invaseraC'^  89,  6  'eins  potiundi  Marium  maxu- 
ma cupido  invaserat\     Tac.  ann.  I  61  'cupido  Caesarem  invadif. 

11  parotis  suffragiis]  Vgl.  lug.  65,  5  'sie  illi  —  honestissuma 
suffragatione  consulatus  petebatur'. 

12  de  M.  r.  loquendo  corruptius]  Vgl.  lug.  64,  5  'criminoBe  simul 
et  magnifice  de  hello  loqui'. 

13  suatn  extoUendo  virtutem]  lug.  15, 2  'lugurthae  virtuiem  extoUer€\ 
effecit  a,  v.  cupidos  novitatisl^  Cat.  28,  4  ^novarum  rerum  cupidam* 

(plebem);  vgl.  37,  2;  48,  1.  —  Quint.  inst.  or.  III  3,  8  ^cupidi  novi- 
tatis  alicuius';  IX  1,  18  'nimia  —  novitcUis  cupiditaie  ductus'.  Heges. 
II  2,  2  'ludaeos  ad  rerum  novUatetn  promptissimos'.  'novitas'  = 
'novae  res'  schon  bei  Lucrez:  Heinze  zu  lU  151  S.  70. 

15  inter  patres  ac  papulum]  Vgl.  Wölfflin,  Allitt.  Verbind.  S.  74; 
Archiv  m  451. 

studio  dominationis  erant  e^citata  certaminali  lug.  41,  2  'neque 
gloriae  neque  daminationis  certamen  inter  civis  erat';  bist.  I  7  M.  ^cer- 
tnmina  —  dominatwnis\ 

16  in  pemiciem  nobüitafis]  Vgl.  lug.  70, 1  'ad  pemiciem  eins  dolum 
quaerere'.  Anders  Heges.  I  45,  3  'ac  paene  in  mulieris  pemiciem 
fraus  convaluerat'. 

17  lacerabat  iniuriis]  lug.  85,  26  'maledictis  lacerenf.  Tac.  ann. 
IV  42  'quis  (probris)  lacerabatur\ 

Marius  novus  extöUeretur  honoribus^  lug.  65,  5  'plebs  nobilitate 
fusa  novos  e^oUebaf]  73,  7  'ita  perculsa  nobilitate  novo  homini  con- 
sulatus mandatur;  et  postea  populus  .  .  rogatus,  quem  vellet  cum  lu- 
gurtha  bellum  gerere,  frequens  Marium  vissiC  (vgl.  Exup.  Z.  19); 
49,  4  'uti  quemque  —  honore  extulerat^\  vgL  die  Erklftrer  zu  Hör. 
carm.  I  1,  8.  Vell.  Pat.  II  128,  1  'omnibus  honoribus  —  exiulere*  und 
Weyman,  Blätter  f.  d.  (bayer.)  Gymnasialschulw.  XXXVDI  (1902) 
S.  228. 

Cap.  2  Z.  1    accepio   consulatu  qiiasi  spolium  victoriae  superatis 


Die  Epiiome  dea  lalins  Exaperantin«.  571 

patribus  asteniabai]  Vgl.  auliser  der  im  Apparate  citierten  Stelle  lug. 
84, 1  ^dictitare  sese  consulatum  ex  vidis  iUis  spoiia  cepisse*.  Tac. 
bist  I  2  'alii  sacerdotia  et  consulatus  ut  spoiia  adepti'.  Heges.  I 
32,  1  'pofisessionem  eorum  quiisi  ^polinm  suis  iunzerat'. 

2  aperteque  $e  eorum  poUnüae  profitdHMtur  adversum]  lug.  40,  2 
^aperte  resistere';  ibid.  27,  2  Unfestus  patfntiae  nobilitatis*. 

3  sed  cum  miliUm  novum  scriberet ....  capUe  eensos  .  . .  duxit  ad 
bdlum]  lug.  86,  2  'ipse  miiUes  scriberey  non  more  maioruiu  neque  ex 
dassibus  (ygL  Exup.  Z.  6),  —  capUe  censos  plerosque'.  Vgl.  Flor.  I 
36,  13  ^Marios  auctis  admodum  copiis,  cum  pro  obscuritate  generis 
sui  capUe  censos  sacramento  adegisset'. 

5  cum  publico  detrimenio]  lug.  54,  5  'minore  detrimenio*.  Sulp. 
Sev.  yit.  Mart  pr.  1,  1  Vel  cum  detrimento  mei  pudoris'. 

7  pro  patrimonü  faeuUate]  Ebenso  Paulus  dig.  XXVI  7,  12,  3 
^pro  faculiate  patrimonii\  Ambros.  expos.  in  Luc.  IV  54  p.  166,  9  Scb. 
'iMi/rtffiOfittim  facultaium*  (aber  im  Citate  bei  Gratianus  ^patrhnonii 
faeuUatem*). 

8  quibus  res  erant]  VgL  zum  Plural,  der  bier  übrigens  schon 
durch  den  Gegensatz  Z.  10  'quibus  nullae  opes  erant'  gestützt  \Tird, 
lug.  64,  6  Vcs  famüiaris  conruperant' ;  bist  I  16  'qui  —  habere  pos- 
sent  res  famüiaris^.  Anmi.  Marc.  XV  2 ,  9  ^quibus  exiguae  res  eranf 
(s.  aber  Grardthausens  Apparat).  Miodonsld  zum  Anonymus  adv.  aileat. 
6,  6  S.  85.  Über  den  allerdings  häufigeren  Singular  'res'  =  'res  fami- 
liaris'  Jahn  zu  Pers.  11 44. 

9  bona  pcUria]  Vgl.  den  krit.  App. 

10  quibus  nuüae  opes  erani\  Gat  37,  3  'nam  semper  in  civitate 
q%ii/%bus  opes  nuUae  sunt  bonis  invident'. 

capud  suum,  quod  solum  possidebant,  censebctniur]  Vgl.  Corp. 
gloss.  VI  177  capite  census]  qui  solum  caput  suum  deducit  ad  censuin. 

12  quia  egestas  haud  facile  habetur  sine  damno]  Exup.  scheint 
Gat  37,  3  'turba  atque  seditionibus  sine  cura  aluntur,  quoniam  egestas 
facile  habetur  sine  damno*  mifsverstanden  zu  haben,  ^haud  faeiie* 
Gat.  13,  5 ;  25,  3  u.  ö. 

13  hos  —  quibus  non  fuerat  r.  c]  Vgl.  c.  6  Z.  3  'bis  in  quorum' 
und  z.  B.  Engelbrecht,  Glaud.  Mam.  p.  234;  Hartel,  Lucifer  p.  303.  — 
Über  'fuerat'  =  'erat'  z.  B.  Archiv  XI  555. 

15  L.  Syüam  legatumli  Vielmehr  als  Quaestor;  vgl.  lug.  95,  1. 

16  confecto  f,  bello  —  missus  est]  lug.  114,  3  'sed  postquam  bellum 
in  Numidia  confedum  et  lugurtham  Romam  vin'ctum  adduci  nuntiatum 
est,  Marius  consul  absens  factus  est  et  ei  decreta  provincia  Gallia'. 

18  quae  tunc  —  vexabat]  Vgl.  zur  Personifizierung  Ambros.  do. 
obitu  Valeiit.  68  'nee  Gattia  bestem  sensit  et  Italia  hostem  reppulit*; 
de  obitu  Theodos.  56'  'non  hoc  sentit  ItaUa,  quae  claros  spectavit 
triumphos,  qus}«  —  concelebrat  suae  libertatis  auctorem'. 

Cap.  3  Z.  Iff.     Nach  Sali,  bist  I;  vgl.  Maurenbecher  II  p.  Off. 

3  destincUus]  =  'missus',  wie  oft  im  Spätlatein;  vgl.  z.  B.  llönsch, 
Gollect.  philol.  S.  74 f.  Ganther,  Gollect.  Avell.  p.  885. 

4  corporis  ^vis^  cUque  animi  magnUudo]  Vgl.  aufser  den  im  krit. 


572  Gufltav  Landgraf  —  Carl  Weyman: 

App.  angeführten  Stellen  lug.  96,  3  (von  Sulla)  'neque  consüio  neque 
manu  priorem  alium  pati'.  Arabros.  expos.  in  Luc.  I  32  p.  31,  1  Seh. 
*non  virUiie  corporis,  sed  animae  magnitudine\ 

5  terminare  qtwdgerebat  proelium]  'terminare  bellum'  ist  livianische 
Phrase:  XXXIII  19,  6;  21,  6.  ^proelium  gerere'  =  'bellum  g.'  auch 
bei  Frontin.  strateg.  II  6,  1;  vgl.  Acta  Montani,  Lucii  etc.  c.  G  p.  74, 
8  Cavalieri;  H.  Goelzer,  Etüde  lexicogr.  et  grammaticale  de  la  lati- 
nite  de  St.  Jerome  p.  271  (über  die  umgekehrte  Erscheinung  'bellum' 
=  'proelium'  z.  B.  Petschenig,  Cassian  I  p.  447;  Meiser,  Boet.  Arist. 
de  interpr.  II  p.  514.  S.  auch  Wendland,  Berliner  philol.  Wochenschr. 
1902  Sp.  231). 

6  infinitae  cupidus  gloriae]  Cat.  11,  3  'semper  infinitn  insatiabilis 
est'  (avaritia).  Flonis  II  9,  6  schreibt  im  nämlichen  Zusammenhange 
von  Marius  'initium  et  causa  belli  inexplebilis  bonorum  Marii  fames, 
dum  decretam  Syllae  provinciam  Sulpicia  lege  sollicitat'. 

8  contusis  —  Gallis]  Vgl.  lug.  43,  5  'opes  contuscte\  Ps.-Sall.  ad 
Caes.  de  rep.  I  5,  2  'contundere  —  imperium'.     Fest.  brev.  22  'Parthi 

—  contusi  sunt'.  Sulp.  Sev.  chron.  I  14,  6  (vom  Pharao)  ^contusus  et 
evictus  est';  50,  4  'Allophylosque  —  contudif. 

vastataqu^  natiofic  penitus  harharorum\  Über  'vastare'  in  der 
Übertragung  vom  Lande  auf  das  Volk  s.  Nipperdey  zu  Tac.  ann.  XIV 
24,  13.  Über  die  analoge  Verwendung  von  'delere'  R.  Novak,  Curae 
Ammianeae,  Prag  1896  p.  66. 

9  itaque  instinctu  eins  —  daretur]  Scheint  ganz  aus  Sallust  ge- 
nommen zu  sein;  vgl.  den  übereinstimmenden  Satz  des  schol.  Gronov. 
zu  Cic.  Cat.  in  24  p.  410  Or.  ^SuJpicius  tulit  legem  ut  toller etur  Mi- 
thridatica  provincia  Sullae  et  daretur  Mario\  Anders  das  neuedierte 
scholium  Cluniacense  zu  dieser  Stelle  bei  Peterson,  Collations  from 
the  cod.  Cluniac.  Oxford  1901  p.  LVIII  'Publius  Sulpicius  tribunus 
plebi  legem  tulit,  ut  Mitridaticum  bellum  quod  Syllae  fuerat  desti- 
natum  ad  Marimn  transferretur'.  Zu  'instinctu  eins'  vgl.  bist.  II  6  M. 
'matris  instinctu*;  Tac.  ann.  I  32  'paucorum  insHn€tu\  Lact.  inst.  I  5, 
10  'musarum  instinctu*;  Passio  Mariani  et  lacobi  1  p.  47,  11  Cav.  in- 
stinctu Spiritus  caelestis' ;  Auson.  perioch.  Odyss.  VI  'Minervae  instinctu* ; 
Optat.  Milev.  III 3  p.  172,  21  Z.;  Sulp.  Sev.  chron.  I  24, 4  Hnstinetu  Dei'. 

12  Vakrianisque  —  militihus]  Vgl.  bist.  III  33  'praedatores  Vale- 
riani';  V  13  'legiones  Valerianae'. 

14  iniuriae  dolore  commotus]  Vgl.  Cat.  28, 4  'dolore  iniuride*  (Lact, 
inst.  I  10,  5);  lug.  20,  4  'dolore  permotum\     Heges.  I  37,  6    'inpulsus 

—  dolore  iniuriae*.  Sulp.  Sev.  chron.  I  27,  4  'quo  dolore  —  permoti*. 
Florus  1.  1.  'sed  impatiens  iniuriae  statim  Sylla   legiones   circumegit'. 

15  statim  ut\  =  ut  primum;  vgl.  Archiv  IV  615.  Uartel,  Lucifer 
p.  375.  Spartian.  Get.  3,  2;  Pertin.  11,  12.  lul.  Capit.  Maxim.  10,  3. 
Oros.  III  13,  9.     'confestim  ut*  schon  bei  Suet.  Aug.  10. 

16  retn  puhlicam  disiurbantem]  bist.  I  77,  13  'pax  et  concordia 
disturbaniur*  (vgl.  Optat.  Milev.  11 16  p.  51,  2  Z.);  15  'quo  parta  (con- 
cordia) disturbantur* . 

17  quos  sibi  socios  adsdverat]  Vgl.  Cat.  47,  1  'socium  adscitam*] 


Die  Epitomc  des  lulius  Kzaperantins.  573 

24,  3  'plunimos  homines  cidscivisse  sibi  dicitur'.  Verg*  Aen.  Xu  38 
^socios  sum  adscire  paxatus'. 

maciiinatorem  tantae  contumeliae]  Vgl.  Cat.  48 ,  9  H<mtam  illam 
contumeUam  sibi  a  Cicerone  impositam'.  'machinari'  Cat.  18,  7  (per- 
niciem)  u.  ö.  Heges.  I  8  ^tam  impii  madiinator  sceleris';  vgl.  Land- 
graf zu  Cic.  Rose.  Am.  132  S.  367.  Buenemann  zu  Lact.  mort. 
persec.  7,  1. 

18  in  exüium  —  detrusit]  starker  Ausdruck.  Vgl.  Aldhelm  de  ans 
B.  M.  VI  13  (Patrol.  LXXXIX  293  D)  HrusU  in  exilium  cyraba  trans 
caerula  vectum'.  Heges.  I  20  'Aristobolo  in  custodiam  detrusd*  (ebenso 
31,  2);  U  5,  3  Hn  carcerem  detrusit  lohannem'.  —  Über  'expellere', 
'eicere'  u.  s.  w.  Mn  exilium'  Seyffert-Müller  zu  Cic.  Lael.  S.  302  f. 

20  naufragus  atque  egenus]  Vgl.  lug.  14, 17  'extd  patria  domo,  solus 
atque  omnium  honestarum  rerum  egens^  quo  accedam?'  Heges.  I  29,  11 
*ut  naufragus  et  rerum  omnium  egens  —  exilio  sedem  niutaverit'. 
Über  die  Verbindung  ^ naufragus^  —  'nudus^  s.  Wölfflin,  Allitt. 
Verb.  S.  71  und  dazu  Sen.  ben.  IV  37,  4;  Hyg.  fab.  21. 

Cap.  4  Z.  1  Cinna  et  Octavius  facti  sunt  cansules]  Vgl.  schol. 
Gronov.  1.  1.  *fecit  Sulla  duos  consules,  Cinnam  et  Octavium'. 

2  de  partibus  Marianis  fuit]  =  partium  Marianarum;  vgl.  c.  7 
Z.  18.  Eutrop.  VI  1,  2  ^jui  partium  Mariatiarum  fuerat\  Cat.  37,  10 
^quicumque  aUarum  atque  senatus  partium  eranf.  Fest.  brev.  18  'qui 
Fompeianarum  partium  fuerat\  Über  'de'  an  Stelle  des  Genet.  part. 
8.  Wölfflin  zum  bell.  Air.  16,  2  S.  28.  Petscbenig,  Cassian  I  p.  457. 
Günther,  Coli.  Avell.  p.  881. 

3  Bomanam  —  civitatem]  Exup.  stellt  das  Adjektiv  'Romanus' 
gewöhnlich  dem  Substantivum  voraus;  vgl.  cap.  2  Z.  18  'R.  fines';  5 
Z.  2  und  8  Z.  19  'R.  exercitus';  cap.  4  Z,  3  und  7  Z.  18  'R.  civitas'; 
cap.  7  Z.  3  'R.  imperium'. 

4  nuUa  discretione]  spätlateinisch;  vgl.  Amm.  Marc.  XXIII  6,  67 
'sine  uüa  discretione^'^  XXVI  6,7.  Faust.  Reiens.  de  grat.  H  6  p.  71, 
23  E;  Salv.  gub.  dei  VII  101  'sine  discretione'. 

6  amplissimis  hanoribus  decorarant]  Vgl.  Cat.  12,  4  'domos  suas 
gloria  decorabant\     Hör.  sat.  I  6,  11  ^amplis  et  honorihus  auctos\ 

7  meritum  dignitatis]  Die  schon  von  Bursian  als  unsallustianisch 
bezeichnete  Phrase  findet  sich  z.  B.  bei  Filastrius  von  Brescia  98,  6 
p.  58,20  und  137,  2  p.  107,  19  Marx;  vgl.  Vict.  Vit.  HI  9  'pro  d. 
merito'. 

8  ob  Äoc]  Vgl.  über  diese  bes.  den  Historikern  geläufige  Wendung 
Reissinger,  Über  Bedeutung  und  Verwendung  der  Präpp.  ob  u.  prop- 
ter  n   (Speyer  1900  Progr.)   S.  11  u.  ö.  Petscbenig,  Victor  Vit.  p.  164. 

9  ut  seditionibus  <^res  publica}  privaretur]  R.  P.  als  Abkürzung 
von  res  publica  wiederholt  im  Parisinus  und  im  apographum  Goldasti. 
'privare'  im  guten  Sinne  schon  bei  Cicero;  vgl.  Tusc.  III  44  'quem- 
admodum  aegritudine  privemus  eum';  de  fin.  I  37  'cum  privaniur  do- 
lore, ipsa  liberatione  omnis  molestiae  gaudemus'. 

10  adnitentibus  veteribus  civibus]  sallustianisch:  Cat.  19, 1  ^adnitente 
Crasso';  bist.  II  98  d  ^adnUente  —  nobilitate';  FV  69,  14  'nullo  circum 

Archiv  für  lat.  Lexikoprr.    XII.    Heft  4.  ^Ä 


574  Gustav  Landgraf  —  Carl  Weyman: 

adnit€nte\  ^mm.  Marc.  XXX  8,  4  ^adniteniibus  cunctis'.  Diet.  Cret. 
V  14  ^adnifentihus  —  Menelao  atque  Agamemnone'.  Günther  im  In- 
dex zur  Collectio  Avellana  p.  862. 

11  munitus  —  capm]  Vgl.  Cat.  32,  1   'urbem  vigiliis  munitufn. 

13  expulsus  igitur  Cinna]  =  schol.  Gronov.  1. 1.  ^Cinna  expulsus 
corrupit  milites'.  Diese  Worte  wie  auch  die  folgenden  lehnen  sich 
ohne  Zweifel  eng  an  Sallust  an. 

14  communicato  cansüio]  Cat.  18,  5  ^consüio  camtmmicato\ 

15  de  ergastuUs  erutis  servis  exercüum  confecerunt]  Maurenbrecher 
zieht  hierher  das  Fragment  ^exercUum  argento  fecif  (bist.  I  27)  = 
schol.  Gronov.  1. 1.  'pretio  collegit  exercitum,  misit  ad  Mari  um  in  Aftica, 
composuit  legiones  solutis  ergastulis  et  venit';  vgl.  liber  de  vir.  ill. 
67,  6  ^Cinnana  dominatione  revocatus  ruptis  ergastulis  exercüum  feeif. 
Flor.  II  9,  11  ^ergastula  armantur';  II  7,  6  (von  Eunus)  Wefractis  er- 
gastulis —  fecit  exerciium\  ^exercitum  facere^  =  'e.  parare'  ist  eine 
spezifisch  sallustische  Phrase;  vgl.  Sen.  epist.  114,  17.  ^exercUus  con- 
ficere^  auch  bei  Cic.  ad  Att.  VIII  11,  2;  vgl.  Bremi  zu  Com.  Nep. 
Kann.  10,  5.  Zu  'eruere'  von  Personen  vgl.  Sulp.  Sev.  vit.  Mart.  9,  1 
'cimi  erui  monasterio  suo  non  facile  posset'.  Paul.  Nol.  carm.  XVm 
321  'non  eruar  (Hartel  p.  426  nicht  zutreffend  '=  repellar')  istinc'. 
Bonnet,  Le  latin  de  Gregoire  de  Tours  p.  270. 

17  Syllae  sateUitem]  Hist.  I  55,  2  'sateUiies  eius^  (des  Sulla)  u.  ö. 
Vgl.  liber  de  vir.  ill.  70,  1  Timbria  —  Cinfiae  saieUes\  Oros.  VI 
2,  9  'Fimbria  Marianorum  scelerum  satdles*. 

super atum  necaverunt]  Vgl.  lug.  20,  3  'Adherbalem  excrudatum 
necaf. 

23  <^verUusy  ne]  Vgl.  lug.  15,  5;  35,  9;  50,  1  u.  ö. 

Cap.  6  Z.  2  f er  all  certamine]  f.  poetisch  und  spätlateinisch; 
vgl.  z.  B.  Flor.  II  10,  2  'f.  illius  tabulae'.  Heges.  1 43,  5  7.  ultio  par- 
ricidii';  45,10  'f.  ministerium*. 

5  refn  publicam  vindicatam  non  reddidii  legibus,  sed  ipse  possedit] 
Deckt  sich  dem  Gedanken  nach  mit  hist.  I  51  'quo  patefactum  est 
rem  publicam  praedae,  non  libertati  repetitam';  vgl.  Val.  Max.  VII  6,4 
'C.  Mario  et  Cn.  Carbone  consulibus  cum  L.  Sulla  dissidentibus,  quo 
tempore  non  rei  publicae  victoria  quaerebatur,  sed  praemium  victoriae 
res  erat  publica*.  Zum  Ausdruck  'remp.  r.  1.'  vgl.  Sulp.  Sev.  chron. 
II  25,  1  'ludaeos  legibus  suis  reddidit^, 

6  ut  Cinnana  ac  Manana  quam  ultum  ierat  dominatio  quaerere- 
tur]  Exup.  überträgt  die  Worte,  die  Sallust  hist.  I  31  von  der  'do- 
minatio Sullae'  gebraucht  '?*/  S,  d.  quam  ultum  ierat  d€sideraretur\  auf 
die  des  Cinna  und  Marius.  Das  Historienfragment  hat  zuerst  Mauren- 
brecher ausgehoben,  aber  nicht  mit  unserer  Stelle  in  Verbindimg  ge- 
])racht.  Tac.  ann.  I  1  'non  Cimme,  non  Sullae  longa  dominatio\  Über 
die  bei  Sallust  und  seinen  Nachahmern  beliebte  Wendung  'ultum  ire' 
s.  Vogel,  Acta  sem.  Erl.  II  444.  Bonnet  a.  a.  0.  p.  414,  3. 

12  leges  ac  iura\  Vgl.  lug.  31,  20  Heges  iura\ 

Cap.  6  Z.  1  liuius  acta  cum  conatur  Lepidus  in  suo  cottsulatu 
suhvertere]     Erweist  sich   als  mohr  oder  minder  wörtlich  aus  Sallust 


Die  Epitome  des  lulius  Ezuperantias.  575 

entnommen  durch  Vergleichung  mit  Flor.  11  11,  2  ^Lcpklus  acia  tanti 
viri  rcscindere  parabat';  scliol.  Gronov.  p.  410  Or.  Volebat  infringere 
acta  Sullana'.  Aus  Florus  haben  (nach  Maurenbrecher  I  p.  19  f.;  vgl. 
dagegen  Flemisch,  Granius  Licinianus,  Progr.  Lohr  1900,  S.  60)  ge- 
schöpft liber  de  vir.  ill.  77  ^Lepidum  acta  SuUae  rcscindere  volentem 
privatus  Italia  fugavit';  Ampel.  19  'Catulus  qui  Lepidum  acta  SnDae 
rcscindere  volentem  Italia  fugavit' ;  Liv.  perioch.  90  'M.  Lepidns,  cum 
acia  Syllae  temptaret  rescindere,  bellum  excitavit'.  Vgl.  auch  Gran. 
Licin.  p.  59  Camozzi  ^res  gestas  a  Sulla  rcscindere^  (e  coniect.);  Aug. 
civ.  dei  III  30  'quorum  alt«r  gesta  Syllana  rcscindere  cupiebat';  Lact, 
mort.  persec.  3,  4  ^nscissis  —  actis  tyranni'.  Ob  Sallust  selbst  an 
der  betr.  Stelle  *acta  rcscindere''  oder  ^subvcitere*  geschrieben,  bleilit 
zweifelhaft,  da  er  beide  Ausdrücke  im  übertragenen  Sinne  verwendet; 
vgl.  lug.  11,  5  ^decreta  onmia  rescindi^  neben  30,  1  'an  decretimi  con- 
sulis  suhvorterenC, 

2  praeUum  gessü\  Vgl.  zu  c.  3  Z.  5. 

5  cangregavit  exercititm]  Vgl.  Heges.  III  22,  1  ^congrcgati  excr- 
citus  terror'  u.  ö. 

6  in  quorum  possessiones  —  resHtutwum]  Auch  diese  Worte 
gehen  nach  Maurenbrecher  II  p.  21,  der  Gran.  Licin.  p.  63  in  quorum 
agros  milites  deduxerat  restUuere^  vergleicht,  auf  Sallust  zurück. 

plebi  quoque  multis  muneribus  publice  privatimque  largitis  carus 
videbatur]  Zur  Sache  vgl.  bist.  I  63  und  77,  6  Uargitionihus  rem 
publicam  lacerari  videbam';  zum  passiven  Gebrauche  von  'largior' 
bist.  I  49  Wenditis  proscriptorum  bonis  aut  dilargUis*\  Buenemann  zu 
Lact.  inst.  VII  1,  13;  zu  ^plebi  —  carus'  lug.  88,  1  'plebi  patribusque 
iuxta  carus*  \  zu  'publice  privatimque'  Gat.  40,  1  'publice  privatitnque 
aere  alieno  oppressos'. 

8  libertatis  assertor]  Auch  bei  Sen.  epist.  13,  14.  Plin.  nat.  bist. 
XX  160.     Heges.  III  16;  V  53. 

et  in  Eiruriae  liioi'c  cic^  Vgl.  bist.  167  und  dazu  Mauren brecher  p.  22. 

W  de  Gallia  rediens]  Vgl.  Eutrop.  IX  19  Wediens  de  Perside'.  Vopisc. 
Firm.  5  'de  Carris  redennte\  Köhler,  Act.  sejn.  Erl.  I  437.  Landgraf 
Arcb.  Xn  461. 

cum  publicis  detrimentis]  Vgl.  zu  c.  2  Z.  5. 

13  sc  implicanks  festinatione  formidinis]  Vgl.  bist.  1 81  'profectionem 
festvnoMes*  und  dazu  Maurenbrecher. 

14  in  Sardiniam  confugeret]  Vgl.  bist.  1 83  'perrexere  in  Hispauiam 
an  Sardiniam\     Flor.  Uli,  7. 

15  populum  Eatnanum  fatigaret  inopia]  Vgl.  bist.  II 93  'fames  <^am  - 
bos  fatigavif\  IV  8  'LucuUum  —  faines  brevi  fatigahaf.  Trotz  dieser 
Parallelen  wird  man  §,ber  Lepidus  als  Subjekt  zu  'fatigaret'  ziehen 
und  'inopia'  als  Ablativ  fafsen  müssen;  vgl.  Com.  Nep.  Eum.  12,  4 
'fame  fatigatus\ 

vires  nrmis  copiisque  et  omni  itistrumefito  reficci'et]  Vgl.  lug.  66, 1 
'arma  tela  aliaque  —  reficere\  43,  3  'arma  —  et  cetera  instrumenta 
militiae  parare'.  Amm.  !Marc.  XVIII  6,  4  'commeatus  milites  arma 
ceteraque  instrumentu  —   parabantur'. 

38* 


576  GuBtav  Landgraf  —  Carl  Weyman: 

17  tuiundo  provinciam]  Vgl.  lug.  110, 6  'finis  meos  —  iutatus  sum*. 

18  M<  —  consilia  vana  forent\  Vgl.  Cat.  52,  16  ^vanum  —  hoc 
consilium  eM*'^  lug.  24,  9  Weilern  et  haec  —  vana  farenf. 

20  morho  gravi  —  mortuus  est]  Vgl.  Flor.  II  11,  7  ^morbo  et 
paenitentia  interiit*. 

Cap.  7  Z.  1  sodus  et  administer]  Ebenso  lug.  29,  2.  Vgl.  Seyf- 
fert-Müller  zu  Cic.  Lael.  S.  251. 

deUctum  tanfi  facinoris]  spätlateinische  Abundanz.  Zu  *t.  f.'  vgl. 
Cat.  28,  3  ^tantum  facmus^. 

2  in  Hispaniam  transvedus  est]  Vgl.  lug.  18, 4  ^in  Africam 
trafisvedV;  28,  6  'i.  A.  iransvectae\ 

3  armis  quassabat  imperium]  Vgl.  c.  5  Z.  10  *civitatem  quassavU^, 
Amm.  Marc.  XV  12,  5  'hae  regiones  —  proelis  parvis  quass(Uae\ 

4  de  Marti  partibus]  Vgl.  zu  cap.  4  Z.  2. 

6  malo  pubUco]  Vgl.  Cat.  37,  7;  bist.  I  77, 13;  Sisenna  frg.  111  P. 
^tnälum  publicum^ '^  bist.  IV  51  ^mali  pubUci*'^  Cat.  51,  32  ^malo  rei 
pitbUcae\ 

7  statuit  (scfiatus)^  ut  curarent  consules^  tie  res  publica  acdperet 
detrimentum]  Cat.  29,  2  'senatus  decrevit,  darent  operam  consules,  ne 
quid  res  publica  detrimenti  caperet*.  *  curare*  in  dieser  Formel  aucb 
z.  B.  bei  Cic.  ad  fam.  XVI  11,  3. 

10  praesidia  stbi  cuiusqus  generis  parare]  sallustianiscb;  vgl.  Cat. 
31,4  ^praesidia  parabantur*\  Cat.  24,  3;  28,4;  40,6  ^cuiusqu^  ge- 
neris\ 

11  duces  idaneos]  Hist.  1 77, 8  ^idoneum  ducenC'^  IQ  98b  ^duces  i\ 

12  *n  quis]  lug.  25,  4;  28,  4  u.  ö. 

13  vetante  Sertorio  colloquia  c,p.  —  traditur]  Deckt  sieb  mit  hist. 
I  91  *cuius  ad  versa  voluntate  coJloquio  militibus  permisso  corruptio 
facta  paucorum  et  exercitus  Sullae  datus  esf. 

16  nudatus  auxUio]  Vgl.  lug.  88,  4  ^praesidiis  nudatum'. 

20  benificium  —  revocaret]  Die  Schreibung  'benificium'  aucb  lug. 
31,  28;  104,  5  u.  ö.;  vgl.  Archiv  XI  248.  Vevocare'  =  Vescindere' 
z.  B.  bei  TertuUian  (Oehler  U  p.  CXCIU). 

21  adversae  partes  essent  amputatae]  Nach  Maurenbrecher  p.  38  aus 
Sallust  genommen.  (?)  Vgl.  Tac.  hist.  U  69. 

22  omnia  quae  imperarentur  sine  recusaiione  promittent^s  esse  facfu- 
ros]  lug.  46,  5  ^amnia  quae  imperarentur  facere^;  111,3  ^ omnia  se 
facturum  promittif]  hist.  U  87  b,  1  'iussa  facturos  promittebanf.  Über  ' 
die  Nachahmungen  der  Stelle  vgl.  Landgraf,  Berl.  philol.  Wochenschr. 
1901  Sp.  253;  über  die  (bereits  klassische)  Ellipse  des  Subjektsakku- 
sativs Lebreton,  Etudes  sur  la  langue  et  la  granmiaire  de  Ciceron, 
Paris  1901  p.  376  ff.     ^svne  recusatione^  schoii  Cic.  Cat.  HI  15;  PhiL 

vni3. 

24  firmissimus  XL  cohartium  comportaretur  exercitus]  Über  'firmus' 
von  einer  Truppe  vgl.  Wölfflin  zu  bell.  Afr.  45,  5  p.  76.  Über  die 
Ausdehnung  von  'portare'  und  seinen  Compositis  in  der  vulgären  und 
späteren  Latinität  s.  z.  B.  Dederich  zu  Dict.  Cret.  p.  XLIV;  Pirson, 
La  langue  des  inscriptions  lat.  de  la  (Tatdc  p.  292  f. 


Die  Epitome  des  lulius  Exuperantias.  577 

Cap.  8  Z.  1  ifUer  haec]  Erst  seit  Livius.  Von  Späteren  z.  B. 
bei  Amm.  Marc.  XX  8,  20;  XXH  7,  3.  Sulp.  Sev.  chron.  U  36,  6.  Vgl. 
Landgraf,  Jahrbb.  f.  Philol.  1882  S.  421.  Tacitus  bevorzugt  Hnter 
quae  (Nipperdey  zu  ann.  I  12,  8). 

3  promptissimis  factis]  Vgl.  Cat.  32,  2  ^promptam  audaciam'; 
bist.  II  91  'belli  prompiissimos\     Lieblingswort  des  Tacitus. 

4  cui  nisi  (paritery  ohviam  iretur]  Das  bei  Donatus  zu  Ter.  Eun. 
I  2,  22  erhaltene  Historienfragment  (I  92)  dient  in  trefflicher  Weise 
zur  Ergänzung  unserer  Stelle  ('pariter'  =  *similiter  ut  ipse  Sulla'; 
vgl.  Dietsch  z.  St.,  fragm.  I  58),  wie  umgekehrt  unsere  Stelle  jenes 
Fragment  vervollständigt. 

5  debellatum  foret]  Die  Verbindung  des  Part.  Perf.  'debellatus' 
mit  'fore'  und  besonders  mit  'foret'  scheint  dem  historischen  Stile  als 
feste  Formel  seit  Livius  anzugehören;  vgl.  XXTTT  13,  6  ^debellatum 
mox  fore  rebantur,  si';  XXX  1,  12  'donec  debellatum  in  Africa  faref; 
XXXIV  43,  3  'quoniam  in  Macedonia  debeUatum  foret\  Besonders 
häufig  im  Bedingungssatze  nach  dem  sallustianischen  Muster  lug.  21,  2 
'et  ni  multitudo  —  fuisset,  —  uno  die  —  coeptum  aique  patratum 
bellum  foret\  nachgeahmt  von  Tac.  ann.  XII  16  'ac  ni  proelium  nox 
diremisset,  coepta  pairataque  expugnatio  eundem  intra  diem  foret\  An 
anderen  Stellen  sagt  Tacitus  dafür  'debellatum  foret';  vgl.  Agr.  26 
^debellatum  illa  victoria  f<yref\  bist.  V  18  ^debellatum  eo  die  foret\ 
bist.  III  19  und  ann.  XII  38  'quasi  debellatum  forH'\  Flor.  I  40,  11 
'et  debellatum  foretj  nisi'.  Zur  Stütze  des  mehrfach  in  'fore'  abge- 
änderten 'foret'  verweist  Kunze  auf  Kühner,  Ausf.  Granmi.  II  S.  1027 
Anm.  1;  Madvig  zu  Cic.  de  fin.  HI  50;  Heine  zu  Cic.  de  off.  I  158; 
Kraner  zu  Caes.  bell.  civ.  m  73,  6;  Nipperdey  zu  Com.  Nep.  Them. 
7  Ende. 

6  verborum  pondere^  Vgl.  Cic.  Ligar.  21  'verborum  pondm\  Alcim. 
Avit.  carm.  I  14  'librantis  pondere  vcrbi\ 

7  ut  aemulum  —  remaverent^  Nach  Maurenbrecher  p.  39  sallu- 
stianisch.  Vgl.  Heges.  I  21  extr.  ^ut  a^nulum  potentiae  quam  maxime 
excluderet'. 

9  idoneum  —  ducem^  Vgl.  zu  cap.  7  Z.  11. 

10  res  —  componerei]  lug.  43,  5  Webus  paratis  compositisque* . 
Sulp.  Sev.  chron.  I  51,  1  Webus  —  compositis\ 

11  strenue]  lug.  22,  3  'bene  atque  strenue\ 

13  müdeste  tuendo  atque  blandkndo  —  cartis  esset^  Deckt  sich  mit 
bist.  I  94  ^modkoqne  et  eleganti  (so  Maurenbrecher,  'diligenti'  Dietsch, 
'clementi'  Roth,  'blande'  oder  'gentili'  Landgraf,  Blätter  f.  d.  Gymn.- 
Schulw.  XXXI  [1895]  S.  135)  imperio  percarus  fuit\ 

16  perdüis  rebus]  Hist.  III  84  Webtis  perdUis\ 

17  Optimum  consilium  credens]  Vgl.  Cat.  32,  1  ^ aptumum  factu 
credens^. 

18  nudaius]  Vgl.  zu  cap.  7  Z.  16. 

supplicm  —  penderet^  Vgl.  Buenemann   zu  Lact.  inst.  VII  14,  3 
und  zum  Plural  Amm.  Marc.  XVII  10,  9  'luenda  sibi  —  supplma\ 
20  hostcm  se  —  professus  esi\  Vgl.  zu  cap.  2  Z.  11. 


578   G.  Landgraf  —  C.Weyman:  DieEpitome  d.  lul.  Exuperantins. 

21  ad  quem  expugnandum]  Vgl.  zu  ^expugnare'  mit  dem  Akkusativ 
der  Person  Nipperdey  zu  Com.  Nep.  Ages.  5,4;  Weifsenbom  zu  Liv. 
XXV  28,  7  und  bes.  Ps.-Quintil.  declam.  min.  337  p.  328,  2  R.  'exer- 
citus  me  expugnavit,  sicut  urbem  hostis';  Commod.  carm.  apol.  975  D. 
'expugnant  gentes,  civitates  quoque  deponunt*. 

22  assiduis  piigniß]  Vgl.  bist.  111  ^assiduis  bellis\ 

23  qiii  tarnen  dif fidle  vinccretur,  nisi  —  in  convivio  —  esset  ocd- 
sus^  Über  den  Conj.  Imperf.  an  Stelle  des  Conj.  Plusquamperf.  s. 
H.  Blase  an  verschiedenen  Stellen  seiner  Geschieht«  des  Irrealis,  Erl. 
1888;  Petschenig,  Corippus  p.  236;  zu  'in  convivio'  vgl.  bist.  III  83; 
Liv.  perioch.  96. 

25  factis  in  Pyreneo  tropheis^  =  bist.  III  89  'de  victis  Hispanis 
tropaea  in  Fyrenaei  ingis  constituif. 


Gustav  Landgraf.  München.  Carl  Weyman. 


Ab  und  Oaitho. 

Im  Thesaurus   linde   ich  nicht  den  lat.  etrusk.  Zunamen  Äh,  der 
C.  L  L.  XI  2038  =  C.  L  E.  4279 

H 

A  .  CAITO  AB 

auf  einem  schon  zu  Lanzis  Zeit  verlorenen  operculum  ossuarii  aus 
Perusia  vorkam;  Lanzi  erhielt  die  Abschrift  von  Galassi.  Niemand 
wird  zweifeln,  dafs  darin  eine  Abkürzung  steckt,  und  man  kann  unter 
anderem  an  C.  I.  E.  4476  Äberra  denken,  ebenfalls  ein  lat.  etrusk. 
Zuname,  welcher  auf  einem  operc.  oss.  aus  Perusia  zu  lesen  war. 
Mir  dünkt  es  doch  immer  (vgl.  Iscr.  paleol.  76)  wahrscheinlicher, 
Ab(er)  für  Hab(er)  =  Faher  zu  ergänzen,  da  derselbe  Galassi  auf 
einem  anderen,  gleichfalls  schon  zu  Lanzis  Zeit  vermifsten  operc.  oss. 
C.  L  L.  XI  2037  =  C.  L  E.  4278 

A  .  OAITHO  .  C  .  F  .  FABUR 

las.  Auch  scheint  mir  immer  ähnlich  der  Fall  von  C.  I.  L.  XIV  4104 
ntos  ret  neben  fata  ret  in  der  Inschrift  eines  praenestinischen  (also 
wohl  etruskisierenden)  Spiegels.  —  Was  Caitho  betriflft,  so  ist  bis 
jetzt  meines  Wissens  kein  gleichlautender  etrusk.  Personenname  be- 
kannt geworden,  da  Garn.  663  Jcuizti  lateinischem  Caeso  entspricht,  und 
statt  Fab.  1899  caizna  hat  man  jetzt  C.  I.  E.  3326  capzna.  Ich  ge- 
statte mir  also,  an  Fab.  2610  bis  M^niia-std  und  an  die  Parallel- 
stelle der  Agramer  Munimienbinden  X  8  sul  scvetu  cadnis  zusammen 
mit  daselbst  VII  10  caitim  -f ,  VI  15  caiica  ceid^im  und  mit  dem  so- 
eben in  ganz  dunkler  Umgebung  erschienenen  C.  I.  E.  4662  caiM  zu 
erinnern. 

Mailand.  Elia  Lattes. 


Miscelleii. 


ABASO. 

Carbonem,  ut  ainnt,  pro  thesauro  inuenerunt. 

Es  ist  nicht  jedem  gegeben,  sich  im  Wust  der  Glossen  auszu- 
kennen,  und  so  wird  man  den  Herren  Vollmer  und  Thumeysen  ver- 
zeihen dürfen,  dafs  sie  an  die  Realität  des  Glossenworts  abaso  geglaubt 
xmd  einen  Artikel  in  den  Thesaurus  gestiftet  haben;  konnte  ja  doch 
selbst  Götz  mit  dem  unsinnigen  Schreibfehler  nicht  fertig  werden. 
Denn  kurz  und  gut:  abaso  ist  nur  verschrieben  fCLr  agaso. 

Beweis: 

Das  Lemma  agaso  (verschrieben  agarso  IV  472.  36  agaron  lY 
204,  50.  490,35.  306,41,  agosson  V  339,  18,  agapo  V  342,  16, 
agabo  V  344,  40)  findet  in  den  Glossen  mancherlei  Erklärung  u.  z. 

I.  Pferdeknecht,  Bereiter,  Fuhrmann.  Vgl.  11  11, 15  dov- 
Xog  KTTiveiog,  11  332,  62  t%no%6^g,  IV  13,  37  equisone,  V  263,  43 
qui  uinum  portant  uel  triticum  ad  uecturas,  V  583,  7  custodes  equo- 
nmi,  quos  rustici  marscalcos  uocant.  Wie  nun  aber  mariskalko  in 
Marschall  und  comes  stabuli  in  Connetable,  wie  caballarius  in  Cheva- 
lier Hofwürden  bezeichneten,  so  ist  auch  agaso 

n.  Hofbeamter:  minister,  officialis  V  520,  5.  591,  31.  339,  18. 

IV  204,  49.  306,  41  oder  Hofbediensteter:  domesticus  IV  13,  12. 
204,  38.  306,  42.  V  263,  38*),  der  in  einem  Falle  ausdrücklich  als 
Kourier    bezeichnet  wird,    nämlich  H  565,  34   agaso:   fdomatio   et 

9 

tractoria.  Zu  emendieren  ist  domestic  cü  tractoria,  d.  h.  „ein  Hof- 
bediensteter mit  einer  Legitimationskarte*^,  dem  die  parochi  auf  kaiser- 
lichen Befehl  Pferde  und  Unterhalt  zu  geben  hatten.  Cod.  lust.  XII 
51,  22.  Da  nun  solche  Beamte  fremder  Leute  Geschäfte  führen,  so 
heilst  agaso 

UI.  Geschäftsführer,  Mandatar.  Es  mufs  nämlich  einmal 
eine  Glosse  gegeben  haben  agaso:  qui  negotia  aliena  procura t.  Wie 
daraus    durch    *procurrit    imd    *praecurrit    zuerst   q.   n.   a.    praecedit 

V  344,  46.  591,  30  und  dann  q.  n.  a.  anteambulat  IV  204,  50.  V 
342,  16  wurde,  hat  Landgraf  im  Arch.  IX  3.  Heft  hübsch  ausgeführt. 
Ein  recht  tüchtig  geschulter  Glossator  setzte  dem  Ganzen  die  Krone 
auf  V  490,  35:   qui  ante  negotia  aliena  ambulat.     Requiescat  in  pace. 


*)  Vgl.  IV  333.  39  domesticuo  agaso,  clieno  vel  proximus  [lictor]. 


580  Eb.  Nestle  —  J.  M.  Stowasser: 

Zu  diesen  Bedeutungen  kann  ich  noch  fügen  IV.  Knecht,  V.  Ge- 
folgsmann, freilich  nicht  direkt,  sondern  auf  einem  Umwege. 
Im  Glossar  ab  absens  steht  nämlich 

IV  404,  40  adsecula  agas[o], 
V.  590.  70  adsuetula  agaso 
femer  liest  man 

IV  474,  35  asseculeae  domesticus, 
IV      9,  26  adseclat  domesticus  =  V  163,  19.  261,  26. 
IV  305,  8     adsaecula  domesticus  familiae. 
Das  sind  die  zerrissenen  Fetzen  einer  alten   schonen  Glosse,   die 
Scaligers  Hand  gerettet  hat  V  591,  27 

adsecla,  domesticus  "l*  familiae  agaso. 
Allein  sie  kann  nicht  richtig  sein,  denn  familiae  giebt  keinen  Sinn. 
Genetiv  kann  es  nicht  sein  (Hofbediensteter  der  Familie?),  Plural 
auch  nicht.  Nun  fehlt  unter  den  Synonymen  für  Knecht  nur  noch 
famulus,  dichterisch  famul,  oskisch  und  afrikanisch  (vgl.  mascel  u.  dergl.) 
famel.  Dann  aber  mufs  das  iae  ein  selbstfindiges  Wort  sein.  Was, 
das  sagt  die  Übereinstimmung  von  2  und  3.  Denn  2  hat  adsecul- 
eae,  3  adseclat.  Jenes  heifst  gewifs  adsecla  idö,  dieses  adsecla  -i*, 
d.  h.  beide  id  est.  Übertragen  wir  diese  Einsicht  auf  unsere  Glosse, 
so  lesen  wir  wohl  ohne  Widerspruch: 

adsecla,  domesticus,  famel  ide  agaso. 
Aber  diese  Glosse  ist  verkehrt  zu  lesen,  wie  so  viele.  Nicht  vom 
^Gefolgsmann'  konnte  man  ja  sagen,  dafs  er  in  sich  den  Begriff  von 
^Hoflakai',  'Knecht',  'Pferdewärtel'  vereinige,  sondern  die  Glosse  hat 
nur  dann  Sinn,  wenn  man  liest  —  dann  steht  auch  id  est  am  rech- 
ten Orte  — : 

agaso  id  e  famel,  domesticus,  adsecla, 

d.  h.  Agaso  bedeutet  1.  Knecht,  2.  Lakai,  3.  Gefolgsmann.  Und  dafs 
die  Glosse  thatsächlich  imigekehrt  zu  verstehen  ist  und  auch  so  ge- 
schrieben war,  dafiir  geben  den  vollgültigen  Beweis  die  Glossen  mit 
dem  Lemma  ABASO.  Ein  Fetzen  der  von  mir  wiederhergestellten 
Glosse,  nämlich  die  Worte 

agaso  «i»  famel,  domes[ , 

wurden  zunächst  zu  abaso:  infama  domus  FV  301,  6.  991,  21;  andere 
machten  in  der  Verlegenheit  infima  V  343,  11  daraus.  Die  Neim- 
malgescheiten  erinnerten  sich  an  Matth.  VH  26  similis  erit  uiro  stulto, 
qui  aedificauit  domum  suam  super  arenam,  etymologisierten  flinker 
Hand  quasi  sine  base  (Eginhart)  V  591,  32  und  schrieben  IV  3,  7. 
201,  6.  471,  8  imd  noch  oft  infirma,  woraus  der  angelsächsische 
Windbeutel  Aelfric  endlich  infirmatorium  („Siechenhaus")  machte. 
Vielleicht  mochte  zur  Verschreibung  des  Lemma  der  Umstand  bei- 
tragen, dafs  jemand  agaso  durch  gleichbedeutendes  übergeschriebenes 
baro  (Baron)  glossierte;  so  erklärte  sich  am  leichtesten  auch  abaro 
V  343,  22.  Das  ist  die  Geschichte  von  ABASO.  In  der  zweiten 
Auflage  des  Thesaurus  wird  das  Wort  hoffentlich  nicht  mehr  stehen. 

Wien.  J.  M.  Stowasser. 


Miscellen.  581 

Dextrator,  de^toXaßog. 

In  seinem  Vortrag  über  „Die  Manöverkritik  Kaiser  Hadrians" 
(Leipzig,  Dieterich  1900)  bespricht  Geh.  Regierungsrat  Dr.  A.  Müller 
ausführlich  das  bis  jetzt  nur  in  der  dem  Vortrag  zu  Grunde  liegen- 
den Inschrift  gefundene  Wort  dextrator  [Renier,  Inscriptions  Romai- 
nes de  l'Algerie  n.  5-,  C.  I.  L.  VIU  n.  2532  (Wilmanns);  Dehner, 
Hadriani  reliquiae,  Bonn  1883;  C.  Suppl.  VIII  18042  (Schmidt)]. 

Der  Kaiser  wendet  sich  an  die  Reiter  der  Kohorte.  Er  behan- 
delt sie  mit  grofsem  Wohlwollen.  Zunächst  sagt  er:  Es  ist  schon 
schwer,  dafs  die  Reiter  einer  Kohorte  an  sich  Wohlgefallen  erwecken; 
schwerer  ist  es,  dafs  sie  nach  den  Übungen  einer  Ala  nicht  Mifsfallen 
erregen  (difficile  est  cohortales  equites  etiam  per  se  placere,  difficilius 
post  alarem  exercitationem  non  displicere).  Der  Kaiser  fährt  dann 
in  diesem  Sinne  fort:  alia  spatia  campi,  alius  iaculantium  numerus, 
frequens  dextrator,  Cantabricus  densus,  equorum  forma,  armorum  ciiltus, 
pro  stipendii  modo:  „dort  sind  andere  Raum  Verhältnisse,  eine  andere 
Zahl  von  Speerwerfern,  zahlreiche  Dextratoren  (ich  lasse  zunächst  das 
sehr  schwer  zu  deutende  lateinische  Wort  stehen),  dichter  kantabri- 
scher  Angriff,  besseres  Aussehen  der  Pferde,  bessere  Pflege  der  Waffen, 
entsprechend  dem  Solde". 

In  der  Erörtenmg  über  das  Wort,  das  „im  Lateinischen  sonst 
nicht  vorkommt",  erläutert  Müller  zunächst  dextratio  (Solinus  45*)) 
mit  Forcellini  gegen  Georges  („Herumgehen  von  der  Rechten  zur 
Linken")  als  „Wendung  nach  rechts",  da  man  „bei  kultlichen  Bittgängen 
nach  rechts  herumging"  (Plaut.  Cure.  1,  1,  69:  si  deos  salutas,  dextro- 
vorsum  censeo). 

,Jst  nun  dextratio  eine  Wendung  nach  rechts,  so  dürfte 
dextrator  jemanden  bezeichnen,  der  eine  solche  Wendung  aus- 
fuhrt. Da  es  sich  aber  in  unserer  Inschrift  um  Kavallerie 
handelt,  so  bleibt  es  allerdings  unbestimmt,  ob  der  Reiter 
oder  das  Pferd  gemeint  ist.  Letzteres  ist  die  Ansicht  von 
Georges,  der  dextrator  mit  ,JSchlacJiirofs**  übersetzt." 

Müller  führt  nicht  an,  was  für  diese  Ansicht  spricht,  dafs  im 
Spätlateinischen  dextrarii,  dextrales,  destrales  (s.  Du  Gange)  equi 
maiores  et  cataphracti  bedeuten,  quibus  utebantur  potissimum  in  bellis 
et  praeliis.  Noch  französisch  destrier,  Vieux  mot,  qui  signifiait  Che- 
val  de  main,  de  bataille.  H  etait  oppose  a  PeUefrai,  qui  se  disait 
d'Un  cheval  de  ceremonie  (Dictionnaire   de  TAcademie   fran^aise  ^- ' ). 

Im  Unterschied  davon  findet  Müller  die  Erklärung  in  einer  der 
von  Arrian  (Tact.  36  f.)  beschriebenen,  von  Hadrian  neu  eingeführten 
Kavallerieübungen.  Die  Schwierigkeit  der  Übung,  auf  welche  An-ian 
ausdrücklich  aufmerksam  macht,,  bestand  für  die  Reiter  darin,  dafs  sie 
sich  im  Sattel  ganz  nach  rechtshin  drehen  mufsten,  um  einerseits  zu 
werfen,    andrerseits    sich    mit    dem    Schilde    gegen    die    Würfe    der 

*)  lovem  toma  dextratione  lustravit. 


582  Eb.  Neatle  —  Ferd.  Sommer. 

anderen  Partei  zu   decken.     Das   Nähere  sehe  man  bei  Müller   selbst, 

S.  45  —  47. 

In  einer  Anzeige  der  Müllerschen  Schrift  beanstandet  J.  Kromayer 

(Deutsche  Litteraturzeitung  1901,  Nr.  28,  Sp.  1760)   diese  Erklärung 

und  sagt: 

„Den  dextrator  kann  man  wohl  nicht  gut  mit  Arrian 
Tact.  36  zusammenbringen,  weil  alle  Leute  die  dort  be- 
schriebene Übung  machen.  Er  gehört  wohl  mit  der  Übung 
(Arrian  Kap.  42)  zusammen,  in  welcher  der  Speer  im  Augen- 
blick geschleudert  werden  muTs,  wo  der  Reiter  das  Pferd 
nach  rechts  herumwirft." 

Der  Unterzeichnete  hat  über  diese  Frage  kein  Urteil,  da  ihm 
seit  seinen  Studententagen  alle  Übung  in  der  edlen  Reitkunst  abhan- 
den gekommen  und  militärische  Taktik  noch  fremder  ist;  aber  auf 
ein  griechisches,  allerdings  gleichfalls  völlig  dunkles  Wort  möchte  er 
aufmerksam  machen,  von  dem  dieses  dextrator  vielleicht  einiges  Licht 
erhält. 

In  der  Apostelgeschichte  ruft  der  Chiliarch  (Tribunus)  von  Jeru- 
salem 2  Centurionen  zu  sich  und  befiehlt  (ich  citiere  zunächst  den 
Text  der  Vulgata): 

Parate  milites  ducentos  ut  eant  usque  Caesaream  et  equi- 
tcs  septuaginta  et  Imicearios  ducentos  a  tertia  hora   noctis. 

Das  griechische  Wort,  das  von  Hieronymus  und  schon  von  der 
altlateinischen  Übersetzung  durch  lancearios  wiedergegeben  ist,  heifst 
im  Griechischen  de^ioXdßovg,  Blass  bemerkt  dazu  in  seiner  „editio 
philologica"  der  Acta  (Gottingae  1895): 

de^ioXcißoi  nusquam  commemorantur  praeterquam  a  lohanne 
Lydo  (saec.  VI,  ap.  Constant.  Porphyrog.  de  thematibus  1,  1) 
et  a  Theophylacto  Simocatte  (IV  1,  saec.  VII),  apud  quos  sunt 
genus  peditum  levis  armaturae,  dist.  a  peltastis  et  saggitta- 
riis.  Nomen  ipsum  obscurissimum,  quod  Suidas  (it.  schol. 
Matth.)  explicat  per  7taQC(q)vXccKsg  (stipatüres  copt,  syr^),  sed 
plerique  vcrtunt  lancearii  vel  sim.  (lat.  interpr.,  syr***,  sahid). 
In  Flor,  simpliciter  pedUes  positum  est. 

Ich  weifs  dem  nichts  hinzuzuftlgcn  als  die  Frage:  Könnte  das 
verbum  obscurissimum  ds^ioXccßog  nicht  Übersetzung  von  dextrator, 
oder  umgekehrt  dextrator  Wiedergabe  von  ÖB^ioXdßog  sein?  Neben 
dextrator  sollte  das  griechische  Wort  jedenfalls  im  Thesaurus  genannt 
werden.     Aber  was  bedeutet  es? 

Maulbronn.  Eb.  Nestle. 


Bidnom  und  triduom. 

Den   zahlreichen   Komposita   mit  bi-  und  tri-    im    ersten   Gliede 
ffegenüher  (Ui-dens,  tri-detis  u.  s.  w.)  zeichnen  sich  Inducm  und  triduom 


Miscellen.  583 

durch  auffallende  Länge  des  i  aus  (vgl.  für  bUluoni  Ter.  Eun.  181  f., 
für  trlduoni  Plaut.  Bacch.  461,  Truc.  337  u.  s.  w.).  Eine  befriedigende 
Erklärung  ist  meines  Wissens  bisher  nicht  gefunden.  Etwa  eine  An- 
lehnung an  pridie,  posirtdie  anzunehmen,  widerrät  die  Thatsache,  dafs 
letztere  Formen  nur  im  adverbiell  erstarrten  Abi.  bezw.  Lokativ  auf- 
treten, während  Induom  und  trtduom,  auch  bezüglich  des  Stanmies  im 
zweiten  Gliede  verschieden  (duom  aus  unbetontem  *divom  =  altind. 
divam  „Tag"),  von  Anfang  an  als  vollkonunen  durchflektierte  neutrale 
Substantiva  erscheinen.  Eine  Beeinflussung  von  hiduam  und  tnduom 
durch  Bildungen  wie  pridie  ist  also  nicht  recht  glaublich.*)  Ebenso 
wenig  wahrscheinlich  wäre  eine  Vermutung,  dafs  in  trlduam  der  alte 
indogerm.  Nom.  pl.  neutr.  *tn  [altind.  tri  (Veda)]  stecke  imd  eine 
pluralische  Zusammenrückung  *fri  divä  „drei  Tage"  als  Kollektiv- 
begriff zu  *tri'divom  singularisiert  worden  sei,  wonach  blduatn  als 
Analogiebildung.  Das  würde  uns  zwingen,  die  Schöpfung  des  Kom- 
positums in  eine  ganz  frühe  Epoche  zu  verlegen,  da  bereits  im  Ur- 
italischen das  neutrale  *tri  durch  die  Neubildung  *triä  (lat.  tria^ 
umbr.  triia)  verdrängt  worden  ist,  und  dazu  haben  wir,  glaube  ich, 
kein  Recht.  Jedenfalls  hat  eine  Deutung,  welche  nicht  so  weit 
zurückzugehen  braucht,  wohl  von  vornherein  mehr  Anspruch  auf  Glaub- 
würdigkeit, und  vielleicht  finden  wir  sie  auf  folgendem  Wege: 

ierruncius  aus  *triS'Uncios  (Bücheier  Rhein.  Mus.  46,  237)  lehrt 
uns,  dafs  neben  dem  blofsen  Stamm  *tri-  auch  das  Zahladverb  *<m, 
später  t4ir(r)  (Skutsch,  Bezzenb.  Beitr.  23, 100  ff.),  im  Lateinischen  als  erstes 
Kompositionsglied  verwendbar  war,  und  es  steht  so  nichts  im  Wege, 
Jnduom  auf  *düiS'divoni  und  entsprechend  trlduom  auf  *iriS'divom 
zurückzuführen.  Vor  d  mufste  s  mit  Ersatzdehnung  schwinden,  wie 
in  didüco  aus  ^dis-d-  u.  s.  w.  Triduom  wäre  dann  insofern  besonders 
interessant,  als  das  *  des  alten,  durch  lautliche  Vorgänge  zu  ter(r) 
gewordenen  *tris  hier  noch  auf  lateinischem  Boden  nachweisbar  wäre. 

Diese  Erklärung  bleibt  so  lange  etwas  lückenhaft,  als  wir  nicht 
zeigen  können,  auf  welche  Weise  das  Zahladverb  in  tnduom  und  hl- 
duom  zimi  ersten  Kompositionsglied  geworden  ist.  Die  Sache  liegt 
hier  m.  E.  ziemlich  klar:  Nimmt  man  eine  Wendimg  wie  Cato  agr. 
112,  3:  uhi  tnduom  praet^rierity  so  ist  das,  in  eine  etwas  ältere 
Sprachperiode  zurückübersetzt,  weiter  nichts  als  *ubci  tris  divom  p. 
„wenn  dreimal  ein  Tag  vergangen  ist'^  Ähnlich  etwa  Ter.  Eun.  636  f.: 
biduom  hie  manendumst  soli  =  *dvis  divom  h,  m.  s.  „soll  zweimal 
einen  Tag  allein  hier  bleiben"  u.  s.  w.  Das  als  zusammengehörig 
empfundene  *tns  divom,  *dvis  divom  vereinigte  sich  dann  ganz  zum 
Kompositum,  das  s  schwand  mit  Ersatzdehnung,  und  damit  war  der 
Ursprung  der  Bildung  verdunkelt.  Es  ist  daher  ganz  ausgeschlossen, 
dafs  in  historischer  Zeit,  etwa  in  den  oben  citierten  Beispielen,  die 
Art    der    alten    Zusammensetzung    noch    irgendwie    fühlbar    gewesen 

*)  Eher  konnte  der  umgekehrte  Fall  eintreten,  und  so  findet  sich  ver- 
einzeltes postriduö  für  postrldie  Plaut.  Mil.  1082  mit  analogischer  Um- 
formung des  /.weiten  Bestandteiles;  davon  abgeleitet  postriduani  dies  (vgl. 
Macrob.  Sat.  1  15,  22). 


584  Ferd.  Sommer  —  A.  Zimmermann: 

sei;  hlduom  und  tnduom  müssen  vielmehr  schon  damals  als  voll- 
kommen einheitliche  Wörter  gegolten  haben,  und  das  wird  durch  be- 
reits plautinische  Wendungen  wie  in  hoc  friduOy  die  nur  aus  einer 
solchen  Auffassung  heraus  verstanden  werden  können,  bestätigt. 

Nach  hlduom  und  tnduom  ist  qiMdrtduom  analogisch  gebildet. 

Leipzig.  Ferdinand  Sommer. 


Zur  Bildung  der  lat.  Personennamen. 

a)  Reduplikation. 

Nach  Kretschmer  E.  356  y^t  nicht  nur  bei  den  Hellenen,  son- 
dern auch  bei  den  übrigen  idg.  Völkern  die  Sitte  nachweisbar,  Lall- 
wörter (Kinderwörter)  als  Personennamen  zu  verwenden";  so  nach  ihm 
bei  den  Italikem:  Acca,  Atta,  Appius,  Tatius.  Ich  habe  in  „Spuren 
indogermanischer  Namengebung  im  Latein''  cf.  B.  B.  23,  257  und 
264  ff.  noch  mehr  solcher  Kinderwörter,  die  zur  Bezeichnung  von 
Personennamen  gedient  haben,  fürs  Latein  nachgewiesen.  Eine  Eigen- 
tümlichkeit der  Kindersprache  ist  nun  —  wie  Wölfflin,  Zeitschr.  f. 
dtsch.  Wortf.  I,  p.  263  gezeigt  hat  —  das  Reduplizieren.  Auch  im 
Latein  zeigt  sich  dies,  wie  tata,  mamma,  päpa  etc.  beweisen.  Ein 
hübsches  Beispiel  bietet  C.  L  L.  XIII  672  „Axula  Cintugeni  fifilia. 
Da  werden  denn  auch  die  Personennamen  solche  Reduplizierungen 
bieten.  Aufser  den  bekannten,  wie  Marmar  neben  Mars,  Perpema 
neben  Pema  —  C.  I.  L.  XI  2377  — ,  Tintinius  neben  Tinius  —  mit 
gebrochener  Reduplikation  Tint-irius  C.  I.  L.  VIII  17903  — ,  Cin- 
cinna-tus  neben  Cinna  (mit  gebrochener  Reduplikation  hierher  Cin- 
cius?),  sind  mir  noch  aufgestofsen :  Mama  z.  B.  Arria  Mama  Eph.  ep. 
II  419  neben  Ma  z.  B.  Orbia  Ma  C.  I.  L.  VI  2356  —  mit  gebrochener 
Reduplikation  Amma  z.  B.  Aur.  Anmia  C.  I.  L.  XI  705  — ,  Vivibius 
C.  I.  L.  m  4224  neben  Vibius,  Susulla  C.  I.  L.  II  (2984)  neben  Sulla, 
Tytyche  C.  I.  L.  VI  9506  neben  Tyche  z.  B.  Flavia  Tyche  C.  I.  L. 
Vin  12641. 

b)    Naraenverkürzung  (Bildung  von  Kurzformen). 

Die  urspr.  zweistimmigen  Namen  (Vollformen)  konunen  auch  in 
verk(irzter  Form  vor,  und  zwar  fällt  dann  meist  der  eine  von  beiden 
Stämmen  ganz,  während  der  andere  bleibt.  Als  solche  verkürzte 
Namen  sind  wohl  so  manche  lat.  Gentilia  aufzufassen  —  vgl.  z.  B. 
Cassius  neben  Kd<sa-cevdQog,  kelt.  Cassi-mara  C.  I.  L.  V  6118,  dtsch. 
Hassomar,  oder  Piterniae  Primigeniae  C.  I.  L.  VI  18652  neben  Opi- 
temius  Liv.  39  c.  17;  denn  in  dem  abgefallenen  0  stockt  der  Stamm 
von  avos  ^Grofsvater'.  Nachtragen  zu  meinen  B.  B.  Bd.  23  und  25 
gebrachten  Beispielen  dieser  Art  von  Verkürzung  möchte  ich  noch  2 
aus  dem  C.  I.  L.  VI,  da  es  sich  hier  um  entlehnte  Namen  handelt, 
die  aufserdera  noch  Gelegenheit  zur  Volksetymologie  bieten.  Denn 
wenn  C.  I.  L.  VI  23066  von  2  Familiengliedem  das  eine  L.  Nostius 


Miflcellen.  585 

L.  1.  PhilotnusuSj  das  andere  Nostia  L.  1.  Musa  heifst,  hier  also  dicht 
bei  einander  Vollform  und  Koseform  sich  finden,  dann  können  wir 
auch  C.  I.  L.  VI  16771%  wo  eine  Person  P.  Decimius  Philomusus  Mus 
heifst,  Mus(us)  als  Kurzform  zu  Philomusus  auffassen,  welche  Kurz- 
form dann  durch  Volksetymologie  zu  1.  mus  gezogen  wurde. 

Dafs  es  aber  auch  Verkürzungen  einstämmiger  Namen  giebt, 
habe  ich  Wochenschr.  f.  kl.  Phil.  1901  n.  37  p.  1022  gezeigt  —  Tul- 
lus  neben  Titullus,  Stus,  Restus,  Restitus,  Restutus  neben  Restitutus 
und  Stutinus  neben  Restutinus  — . 

c)    Die    griechische    Femininendung    -is    bei    lat.    Personen- 
namen. 

Das  Griechische  hat  bei  seiner  grofsen  Verbreitung  im  römischen 
Reiche  auch  auf  die  Endungen  der  röm.  Personennamen  Einflufs  aus- 
geübt. Besonders  häufig  ist  e  im  nom.  sg.  fem.  filr  a  eingetreten. 
Ich  erwähne  beispielsweise  hier  nur  lulia  Quintiane  C.  I.  L.  XIV  1912f 
und  lulia  R^giniane  C.  I.  L.  VI  20653.  Aber  auch  eine  andere 
griechische  Femininendung,  „-is",  z.  B.  in  OvXUgy  ^Av&Cg^  MvQxCg^  er- 
scheint zuweilen  in  Personennamen  lat.  Ursprungs,  aber  soviel  ich 
sehe,  nie  beim  Gentile,  sondern  nur  am  Cognomen  —  mir  ist  auch 
kein  e  für  a  bis  jetzt  beim  Gentile  aufgestofsen  — ;  waren  ja  doch 
die  griechischen  Namen  urspr.  nur  möglich  beim  Cognomen,  da  Skla- 
ven imd  Freigelassene  stets  das  Gentile  ihres  Herrn  bezw.  Patrons 
führten.  Von  solchen  Namen  auf  -is  für  a  bezw.  ia  kann  ich  fol- 
gende anführen:  Vicelliae  Anchari  C.  I.  L.  V  (P)  554  =  Anchariae; 
Marcia  Montanis  C.J.  L.  VI  22145  =  Montana;  Viriaria Nonis  CLL.  VIII 
7838  cf.  Carisia  Nona  C.  L  L.  H  2592;  Satura  Paganis  C.  L  L.  VIII 
5458  =  Pagana;  Nunia  Plenis  C.  L  L.  VI  23163  cf.  Plenia  C.  L  L.  V 
(P)  1172;  ...  minia  A.  f.  Plotecis  C.  I.  L.  XU  5059  cf.  Marta  Plo- 
tica  C.  I.  L.  1 981 ;  Naevia  Pontis  C.  I.  L.  VI7732  =  Pontia;  Seiae  Sapidi 
C.  L  L.  VI  26023  neben  Sapia  Paulina  C.  L  L.  Vm  14607;  Sergis 
C.  L  L.  X  7775t  =  Sergia;  Süvis  C.  L  L.  VI  24998  =  Süvia;  Robüiae 
Stattini  C.  L  L.  IX  1303  für  Statiae  cf.  Stattius  C.  L  L.  VI  2753; 
Vipsania  Surüs  C.  L  L.  VI  5019  =  Suria;  Furiae  Tadis  C.  L  L.  VI 
18818  =  Tadiae;  Caeciliae  Tampyridi  C.  L  L.  XIV  723  cf.  XIV  4091  (6) 
C.  Tappuri,  also  für  Tappuriae;  D.  M.  Tatini  C.  L  L.  Xm  868  und 
Licinia  Tatis  C.  I.  L.  X  2368  =  Tatiae  bezw.  Tatia;  Caecilia  Trabis 
C.  L  L.  VI  24025  =  Traia?,  cf.  Traius  C.  L  L.  JX  1529;  Epinia  Trebis 
C.  L  L.  V  4024  =  Trebia;  Tun  Barbarutae  f(iüae)  C.  I.  L.  V  5033 
=  Turiae?;  Venuleia  Vindis  C.  L  L.  VI  28510  cf.  Vindia  Restuta 
C.  L  L.  JX  5412. 

d)    Die  Endung  ucus. 

Die  Endung  -ucus  (a),  die,  wenn  auch  selten,  lat.  Appellativa  auf- 
weisen —  vgl.  caducus,  manducus,  albucus  — ,  ist  auch  den  römischen 
Personennamen  nicht  fremd.  Zwar  Caducus  findet  sich  da  nicht,  aber 
schon  manducus  zeigt  sich,  cf.  C.  I.  L.  VIII  16547  Ti.  Claudius  Man- 
duccus  mit    der    bei  Eigennamen    beliebten  Konsonantenverdoppelung. 


586  A.  Zimmermann: 

Hierher  gehört  auch  Aurel.  Masucius^  cf.  Paul.  Fest  Th.  d.  P.  p.  113 
masuciuni,  „edacem"  a  mandendo  scilicet.  Ebenso  scheint  mir  das 
n.  g.  Pcducaeus  einem  peducus  seinen  Ursprung  zu  verdanken.  Pe- 
dere:  pedücus  ==  cadere:  cadücus.*)  Der  urwüchsigen  Art  der  Römer 
ist  eine  derartige  Benennung  schon  zuzutrauen.  Offenbar  leiten  doch 
auch  TtiQÖi^^  1.  perdix,  UeQÖUxag  sich  von  TtiqÖEiv  her,  und  in  imserm 
Rebhuhn  dient  der  erste  Teil  des  Wortes  nur  dem  Zwecke  der  Laut- 
malerei; mit  der  Rebe  hat  das  Wort  m.  E.  nichts  zu  thun.  Ebenso 
aber  wie  es  albucus,  sabücus  (sabüceus),  Verruca,  erüca,  urüca  gab,  so 
auch  dem  entsprechende  Personennamen  cf.  Albücius  Hör.  s.  II  1,  48 
etc.;  C.  Sabucio  Maiori  C.  I.  L.  VI  1509;  Q.  Verrucius  C.  I.  L.  II  828; 
Q.  Uruci  Capitonis  C.  I.  L.  H  716;  Sex.  Enici  Clari  C.  I.  L.  XV  7446 
—  indes  letzterer  Name  kann  auch  mit  dem  Berge  Eryx  in  Beziehung 
stehen  — .  So  bildete  sich  nun  allmählich  ein  Gentilsuffix  -ucius  (a) 
heraus,  zumal  da  auch  aus  dem  Verein  der  Stammsilbe  mit  der 
Gentilendung  -ucius  sich  ergeben  konnte,  cf.  n.  g.  Mücius  (a),  C.  I.  L. 
V  7897  L.  Sucius,  VTII  4991  C.  Fuccius;  man  bildete  dann  eben 
nach  Analogie  von  Albius  Albücius,  Sabius  Sabucius,  Verrius  Verru- 
cius weiter.  Auch  im  Keltischen  ward  -ucus  verwendet,  vgl.  matucus 
FickWb.  n*  250  und  den  Völkemamen  der  Aduatuci;  ^vir  können 
darum  im  einzelnen  nicht  inmier  wissen,  ob  ein  urspr.  gallischer  oder 
römischer  Name  vorliegt.  So  werden  wir  schon  wegen  der  unlatei- 
nischen Endung  bei  Suaducconi  matri  C.  I.  L.  XII  3602  und  bei  Bottia 
Saxami  f.  Suaducia  wegen  des  Ursprungs  der  Inschrift  —  C.  I.  L.  HI 
4864  —  auf  keltischen  Ursprung  schliefsen,  zumal  da  es  zum  lat. 
suad-ere  eine  keltische  Parallele  svad  „verlangen"  giebt,  cf.  FickWb. 
II'*  321.  Sonst  sind  mir  bekannt  von  hierher  gehörigen  Personen- 
namen: Abuc(c)ius  (a),  Anucia,  Asucii  C.  I.  L.  XII  5679,  At(t)ucius  (a). 
Beilud  C.  I.  L.  Vn  1331  (22),  Bülucidius  (a)  cf.  C.  I.  L.  IX  3521,  Bi- 
tucius  cf.  C.  I.  L.  Xn  4178,  neben  Bituca(us)  cf.  C.  I.  L.  XH  3114  und 
VII  66  —  vgl.  noch  kelt.  bitus  „Welt"  FickWb.  II*  165  — ,  Bonu- 
cius  C.  I.  L.  XU  76,  Botuca  C.  I.  L.  III  4915  —  offenbar  keltisch  — , 
Cabuca  C.  I.  L.  XII  5686,  53  wohl  keltisch,  Callucia  C.  I.  L.  VIU 
18963,  Caruca  C.  I.  L.  VII  1336  (247),  Casncius,  Oesia  Conducia 
C.  I.  L.  XU  4717  neben  Condi  m(anu)  C.  I.  L.  VU  1336  (341),  Oon- 
tuccius  C.  I.  L.  VI  555  neben  Contius  V  6207,  Ebucius(a)  C.  I.  L. 
XUI  727  Umlautsform  zu  Abucius,  Elucius  C.  I.  L.  VIII  14336  Um- 
lautsforin  mit  Weiterbildung  aus  Allius,  Fabucia  C.  I.  L.  VIU  7771 
neben  Fabia,  Farucia  C.  I.  L.  II  1067  neben  Faria,  Fillucius  episco- 
pus  neben  Fillius  C.  I.  L.  X  4906,  Genucius(a),  Litucca  C.  I.  L.  V 
7287  und  Lituccia  XII  2736  cf.  Litaviccus  keltisch  FickWb.  II*  248, 
Mannucius  episcopus  a.  484  p.  C,  Messucius  cf.  oben  Masucius,  Motu- 
cius  Bramb.  n.  809  neben  Motuca  Bramb.  912  und  Motucus  C.  I.  L. 
XIII  2269,  Parucius  C.  I.  L.  XII  3712  neben  Parius  z.  B.  IX  2553, 
Rasuco  Bramb.  48,  Rituca(nml.)  C.  I.  L.  XII  1714  neben  Ritumara 
C.  I.  L.  III  5092,  SaUuca  C.  I.  L.  V  7942,  Samuco  (mul.)  C.  I.  L.  III 


*)  Bringt  doch  auch  Brugmann  püdicare  mit  pedere  zusammen. 


Miscellen.  587 

4971,  dazu  Sanucomius  III  5056;  Sanucius  C.  I.  L.  V  7227,  Sunucus 
C.  I.  L.  V  5626  und  Senucus  C.  I.  L.  HI  4893  gehören  wohl  alle  zu 
kelt.  sen  „alt";  Tatuca(us)  nur  C.  I.  L.  III  und  bei  Brambach,  also 
wohl  keltisch;  Tinuciu8(a)  n.  g.  und  Titucius(a)  n.  g.;  Tretucio  Maturi 
(Nominativ!)  C.  I.  L.  UI  4784  neben  Tretius  C.  I.  L.  V  7803. 

e)    Durch  Mifsverständnis  an  den  Namen  antretendes  s. 

Schreibungen  wie  Caiu  Spontins  C.  I.  L.  VI  24718  =  Caius  Pon- 
tius, Trebellio  Scrispino  C.  I.  L.  VI  27581,  Asteris  Sperata  C.  I.  L. 
VI  25599  für  Asteri  etc.  lassen  es  erklärlich  erscheinen,  dafs  dieses 
s  sich   auch    manchmal    an    der   falschen   Stelle  festsetzt    und   da  so 

gewissermafsen  Bürgerrecht  erlangt.     Ist  z.  B.  C.  I.  L.  VI  2375c s 

Scalvinus  nur  noch  als  Verschreibung  aufzufassen?  Und  wie  steht  es 
mit  ex  hortis  Scatonianis  C.  I.  L.  VI  6281?  Sollten  nicht  etwa  Scato 
—  z.  B.  C.  I.  L.  I  1136  etc.  — ,  Scatia  C.  I.  L.  VIH  19626,  Scatienus 
C.  I.  L.  X  8397^,34,  Scatinia  Varro  1.  1.  VIU  §  73  aus  Cato,  Catia, 
Catienus,  Catinia  entstanden  sein?  Sollte  im  Cognomen  der  lulia  Stersita 
C.  I.  L.  Vin  6504  derselbe  Name  stecken  wie  im  Cognomen  des  Q. 
Ummidius  Tersita  (^SsgaCxrig)  C.  I.  L.  XU  5250  add.?  Auch  andere  Wörter 
auf  a,  so  z.  B.  Alba,  bezeichnen  beide  Geschlechter. 

f)   Antritt   einer  bequemeren   Endung   an   den  Namenstamm. 

Secus,  das,  nach  seinem  Gebrauche  für  Secundus  zu  schliefsen  — 
vgl.  das  nicht  seltene  secus  heres  — ,  ein  altes  particip.  praesentis  dar- 
stellt und  wohl  für  urspr.  Secuns  steht,  ist  wie  Secundus  auch  als 
Cognomen  gebraucht  worden;  das  us  wurde  nun  aber  mifsverständlich 
als  die  bekannte  Nominativendung  der  2.  Deklination  angesehen  — 
vgl.  L.  Ceium  Secum  C.  I.  L.  FV  737  etc.  —  und  dem  entsprechend 
auch  ein  Fem.  Sec(c)a  gebildet,  cf.  C.  I.  L.  V  5865  Fabiae  C.  f.  Sec- 
cae.  Sequens  kommt  nun  auch  als  Cogn.  vor,  so  z.  B.  C.  I.  L.  XII  1514, 
IX  4810  —  hier  sogar  als  Femininum  „Cloelia  Sequens"  — ;  Secues 
Bramb.  1742  konmit  dem  Secus  schon  ziemlich  nahe.  Secun^lla 
C.  I.  L.  VIII  2439,  wenn  es  nicht  für  häufiges  Secundilla  verschrieben 
ist,  und  Seconti  (Genetiv)  C.  I.  L.  II  5828,  wenn  es  nicht  keltisch  ist, 
würden  noch  das  nt  des  Particips  aufweisen.  Ähnlich  verhält  es  sich 
mit  Praesta  —  C.  I.  L.  XII  4907  „Greceiae  P.  1.  Praestae"  —  und 
Praegna  cf.  C.  I.  L.  VIU  16984  Pregna  Silecis  f.,  neugebildeten  femi- 
ninis  für  praesta(n)s,  praegna(n)s.  Ist  in  der  vita  Clodii  Albini  7,  5 
Pescenni?/s  Princus  nicht  als  Pescennius  Princeps  aufzufassen? 
Sprach  man  etwa  vulgär  schon  prince(s)s  für  princeps,  wie  isse  für 
ipse?  Wenn  SavMag  osk.  Santia  lautet  —  v.  Planta  II  n.  168  — , 
wenn  SccvMmii  C.  I.  L.  XII  203  Santippe,  VI  9800  Äanctipe  heifst, 
wenn.n.  g.  Scantius,  wie  ich  glaube,  gleich  Savd'iog  ist,  sollte  dann 
der  Name  des  alten  Grammatikers  Santra  nicht  auch  hierher  fallen? 
Möglich,  dais  der  ^av^o^Qi^  Menelaus  infolge  des  Dissimilatious- 
gesetzes  auch  ^dvd'Qi^  gelautet  hat  und,  mit  Veränderung  der  unbe- 
kannten Endung  in  eine  bekannte,  zu  Santra  latinisiert  worden  ist. 

Breslau.  A.  Zimmermann. 


Litteratur  1900.  1901.  190f>. 

Gonzalez  Lodge:  liozioon  FlantmiuiL     Vol.  I  fasc.  1:  a  —  alius. 
Ups-  Teubn-  II««).     96  ppg.  Lex.-C»kt. 

Wenn  auch  diese  fleifsige  Arbeit  dem  Thesaurus  ling.  lat.  kaum 
Nutzen  bringen  kann,  weil  wir  Wreits  das  vollständige,  auf  einem 
von  Leo  abkorrigierten  und  adnotierten  Texte  l»eruhende  Zett^lmate- 
rial  liesitzen.  so  hat  doch  das  Publikum  das  Re^-bt,  ein  Lexic4)n  Plau- 
tin um  zu  iTiünschen:  denn  daüs  das  von  Waltzine  nicht  alle  Wönsche 
befriedigt,  ist  im  Arck  XII  134 — 1Ö8  auseinandergesetzt.  Dafs  nun 
der  HeraasgeWr  die  Lesarten  s&mt lieber  Handschriften  angiebt,  wäre 
am  Ende  weniger  anzufechten,  obschon  manches  erspart  werden 
könnte:  dafs  aber  sämtliche  Lesarten  von  RitschL  Ussing,  Götz,. Scholl 
mitgeteilt  werden,  ist  doch  mehr  als  Luxus.  Der'  Verl  hat  selbst 
eingesehen,  dafs  vieles  überflüssig,  vieles  verft-hlt  ist,  allein  er  nioclite 
von  seinem  Prinzipe  der  Vollständigkeit  nicht  abgehen.  In  dieser 
Hini»icht  wird  man  eben  wünschen  müssen,  dafs  der  Lexikograph 
selbst  Kritiker  und  Herr  der  Kritik  sei,  um  ein  eigenes  Urteil  ab- 
gel>en  zu  können.  —  Was  die  Anordnung  des  reichen  Stoffes  betrifit, 
so  hat  Verf.  zu  viele  Unterabteilungen  lieber  vermieden  und  es  vor- 
gezogen, denselben  in  grofseren  Gruppen  zusammenzufassen. 


Car.  Lessing:  ScTiptomm  histonae  Angnatae  lexioon.     Fase  4. 
pg.  241—320.    Lips.  1901.    Lex.-8**. 

Da  die  vorliegende  Lieferung  mit  limitaneus  schliefst,  so  lälst 
sich  leicht  berechnen,  dafs  der  Umfang  des  ganzen  Werkes  acht  Liefe- 
rungen a  5  Bogen  kaum  erreichen,  jedenfalls  nicht  übersteigen  wird. 
Bei  der  Verzichtleistung  auf  den  Abdruck  samtlicher  Stellen  ist  der 
Herausgelier  darauf  angewiesen,  mit  gesundem  Takte  das  praktisch 
oder  wissenschaftlich  Bedeutende  auszuwählen.  Wir  glauben  jedoch 
versichern  zu  können,  dafs  allen  billigen  Wünschen  Rechnung  getragen 
ist.  Wirft  man  einen  Blick  auf  die  Artikel  idem,  ille,  ipse,  is,  iste, 
so  gewinnt  man  auch  einen  Einblick  in  die  Verheerungen  des  Spät- 
lateins ,  welches  die  klassische  GregenübersteUung  von  hie  —  ille  um 
neue  Variationen  wie  ipse  .  .  ille,  iste  .  .  ille  bereichert  Freilich  mufs 
der  Benutzer  auch  eigene  geistige  Arbeit  aufwenden,  insofern  als  das 
sprachliche  Material  wohl  nach  festen  Kubrikt'n  gegliedert  ist,  die  Be- 
deutung derselben  aber  nicht  mit  breiten  Worten  erklärt  wird,  sondern 
aus  den   Beispielen  selbst  herausgelesen  werden  iiiuFs. 


Litteratur.    '  589 

Omera  Fl.  Long:  Of  the  usage  of  quotiens  and  quotienscun- 
que  in  different  periods  of  Latin.  Dokt.-Diss.  Baltimore  1901. 
48pgg.    8«. 

Nachdem  wir  bereits  Arch.  XI  395  ff.  den  Hauptinhalt  der  uns 
im  Mskr.  vorgelegten  Abhandlung  mitgeteilt  haben,  können  wir  uns 
auf  die  Notiz  beschränken,  dafs  dieselbe  nunmehr  im  Drucke  erschie- 
nen ist.  Das  Hauptergebnis  dürfte  der  Nachweis  von  quotiensque 
=  quotienscunque  sein,  wie  man  auch  utique  für  uticunque,  quando- 
que  für  quandocunque  gebrauchte.  Die  Zeit  der  Bildimg  von  quotiens 
können  wir  nicht  mehr  bestinmien;  doch  ist  glaublich,  dafs  man  vor- 
her quam  saepe  gesagt  habe,  wie  wir  es  bei  Terenz  Phormio  757 
noch  finden.     Entgangen  ist  dem  Verf.  der  Beleg  aus  Catull  64,  100 

quam  tum  saepe  niagis  fulvore  expalluit  auri. 

Zu  quotiensque  hätten  wir  nachzutragen  Hilarius  psalm.  120,  17  Zing. 
Sidon.  Apoll,  epist.  9,  15,  1  (=  p.  232,  25  M.) 

quotiensque  verba  Graia  carminaverit. 

Corp.  inscripi  latin.  11  1963.  I  38. 

Minton  Warren:   On   Bome  anoient   and  modern  etymologies. 

(Transact.  of  the  Amer.  Philol.  Assoc.  Vol.  32.) 

1)  pe(r)jcro  und  Sippe  wird  mit  jüro  auf  die  Weise  zu  ver- 
binden gesucht,  dafs  die  alte  Grundform  *p6r-jovesü  zu  *perjuesö  wer- 
den mufste,  woraus  mit  Konsonantierung  des  u  *perjv€S()  und  weiter 
perjero.  So  anerkennenswert  der  Versuch  ist,  auf  neuem  Wege  eine 
Verknüpfung  mit  jüräre  zu  ermöglichen,  so  unannehmbar  sind  die 
beiden  letzten  Etappen  der  Lautentwicklung,  auf  deren  Voraussetzung 
die  Etymologie  beruht.  —  2)  Sorot  und  frater.  Die  antike  Ver- 
einigung von  sorar  mit  seorsum  vrird  durch  die  Nebenform  sorsum^ 
die  Erklärung  von  fratiir  durch  fere  alter  vermittels  der  anaptyktischen 
Aussprache  /er-  für  fr-  und  dialektischen  Schwundes  von  l  vor  t  ge- 
rechtfertigt; das  heifst  doch  wohl  dem  phonetischen  Sinn  der  römi- 
schen Granmiatiker  bei  Fabrikation  ihrer  Etymologien  zu  viel  Ehre 
anthun.  {dies  ater  wird  mit  Deecke  als  Dialektform  für  d.  alter  gedeutet 
und  dies  auch  in  triatrus  etc.  gesucht).  3)  saltem  ^  *si  alitem\ 
letzteres  gebildet  wie  item.  Mir  ebenfalls  im  wahrscheinlich.  4)  Note 
on  frequenter.  Das  Adverb  wird  aus  Cato  verzeichnet  und  seine 
Existenz  im  alten  Latein  aufserdem  unzweifelhaft  richtig  aus  dem 
analogisch  danach  gebildeten  Oppositum  rarenter  erschlossen. 

Leipzig.  Ferdinand  Sommer. 

Hermann  Osthoff:  Etymologische  Parerga.    Erster  Teil.    Leipzig 
1901.    Vm,  378  S.    8^. 

„Dem  Bedürfnis  unserer  Zeit  scheint  es  mir  zu  entsprechen,  dafs 
die  wissenschaftliche  Etymologie  von  der  durch  Fick  inaugurierten 
lexikographischen  Behandluugsweise   wieder    etwas    mehr    einlenke    in 

Archiv  für  lat.  Lexikogr.    XIL    Hoft  4.  f^Q 


590  '    Litteratur. 

die  weiland  von  Pott  so  erfolgreich  beschrittenen  Bahnen  der  zu- 
sammenhängenden, begründenden  und  untersuchenden  Darstellung,  oder 
wenigstens,  dafs  jene  erstere  Betriebsart  nunmehr  in  erhöhtem  Mafse 
durch  systematisches  Arbeiten  in  der  andern  Manier  und  Richtung 
ihre  Ergänzung  finde."  Ich  bin  der  letzte,  der  diesem  Satz  des  Vor- 
worts widersprechen  möchte.  Fast  alle  unsere  Sammelwerke  auf  dem 
Gebiete  der  Etymologie,  insbesondere  aber  Ficks  Vergleich.  Wörter- 
buch der  indogerm.  Sprachen  —  zu  dessen  erstem  Band  in  vierter 
Aufl.  man  Indogerm.  Forsch.  V  222  f.  vergleichen  möge  — ,  setzen  uns 
neben  wirklich  guter  Ware  eine  Fülle  von  Ladenhütern  vor,  die, 
wenn  sie  überhaupt  jemals  Marktwert  besessen  haben,  doch  schon 
längst  und  völlig  verschlissen  sind.  Wenn  es  dem  Verf.  gelingen 
sollte,  hierin  Wandel  zu  schaffen,  so  wird  er  sich  kein  geringes  Ver- 
dienst zusprechen  dürfen. 

Der  Verf.  teilt  sein  Buch  in  zwei  fast  genau  gleiche  Teile  mit 
den  Überschriften  I)  Aus  dem  Pflanzenreich,  II)  Aus  dem  Tierreich, 
und  jeder  der  beiden  Teile  umfafst  vier  Kapitel,  nämlich  I)  1.  Ceres 
a  creando,  2.  Vom  Kernholz,  3.  Eiche  und  Treue,  4.  Ahorn,  und 
II)  1.  Hund  und  Vieh,  2.  Vom  Hörn  und  Homtier,  3.  Wal,  fpdkkaivaj 
4.  Frosch,  froh  und  springen. 

Ich  begnüge  mich,  des  Verf.  Verfahren  an  einem  Beispiel  auf- 
zuzeigen, und  zwar  an  I)  3.  ^Eiche  und  Treue'.  Die  Thatsache,  dafs 
die  Stoffadjektiva  aus  lat.  röbur  'Kernholz  der  Eiche*  und  aus  griech. 
TtQivog  'Steineiche',  nämlich  röbnstus  und  ngcvivog^  neben  der  eigent- 
lichen Bedeutung  *aus  Eichenkernholz'  die  übertragene  'hart,  fest, 
derb'  besitzen  —  vgl.  unser  ^hxigebüchen^  — ,  benutzt  er  als  Aus- 
gangspunkt für  eine  eingehende  Untersuchung  der  Nachkommen-  und 
Verwandtschaft  des  gr.  ÖQvg  'Eiche,  Baum',  ai.  daru^  got.  triu  etc. 
Stoffadjektiva  daraus,  die  die  gleiche  Bedeutungsüberti-agung  aufweisen, 
sind  ai.  därunä-h  (zu  dam  wie  lat.  Hig-tius  zu  tlex)  'hart,  rauh'  und 
air.  dran  (aus  *drunO's)  'fest'.  Dazu  auch  ai.  druna-tn  'Bogen, 
Schwert'  (eig.  'aus  Eichenholz'),  npers.  durü/na  'Regenbogen',  Käf. 
smgdrön  'Hombogen'  (eig.  ^ FAchenholzhogen  aus  Hom').  Vgl.  unser 
'Bierfilze  aus  Porzellan'  u.  a.  m.  Das  ags.  Adjektiv  trum  'fest,  stark, 
kräftig,  gesimd'  setzt  ein  idg.  *trumO'S  'baumstark'  fort,  das  als  Sub- 
stantiv in  ai.  drumd-h  'Baum',  gr.  öqü^i^d  'Gehölz'  vorliegt,  sowie  'mit 
stärkerem  Tiefstufeuablaut  der  ersten  Silbe'  (?)  in  d^fw-g  'Waldung'. 
Dasselbe  ü  zeigt  lat.  düruß  'hart,  rauh',  es  ist  mit  dem  bedeutungs- 
gleichen ai.  däruna-h  auch  etymologisch  verwandt;  seine  Grundlage 
ist  *drürO'S  (vgl.  lat.  cibnim  neben  cribrum).  Idg.  u  oder  ü  enthält 
arm.  tram  aus  urarm.  *iruram,  idg.  *drurämi'8  oder  -mo-s  (vgl.  ^^- 
ftdg),  Ableit.  eines  fem.  Substantivs  *drürä'  (=  lat.  dura-  fem.  Adj. 
'holzharte  Masse'.  Wieder  eine  andere  Ableitung  ist  lit.  drutas  'fest'; 
es  stellt  sich  zu  gr.  ÖQ'O-g  wie  lat.  rÖbustus  zu  röbur.  Weiter  gehören 
hierher:  gr.  öqvov  'Ioxvqov'  (Hesych),  air.  derb  'gewifs',  got.  triggws 
'treu',  trauan  'vertrauen',  apreufs.  druwis  'Glaube'  —  vgl.  zum  Be- 
deutungsübergang gr.  laxvgko^i.  'ich  baue  auf,  traue'  — ,  asl.  sü- 
dravü  'gesund',  Aw.  drvö  'gesund',   ai.  dhruvd'Ji   'fest",  das  sein   dh 


Litteratur.  591 

statt  d  durch  volksetymologischen  AnschluTs  an  dhäraydti  'er  hält  fest' 
bekommen  hat;  das  dem  Aw.  drvö  bedeutungsgleiche  npers.  dumst 
wird  als  Kompositum  *  drti'St(h)ö'S  'in  robore  stans,  qui  in  robore 
est'  gedeutet.  Neben  dem  Adjektiv  *dni8t(h)ö'S  konnte  ein  Substan- 
tiv *  dreust(h)o-s  oder  -m  bestehen  —  vgl.  ai.  dran  'firmus'  aus  *dru' 
nö'S  neben  aind.  dröna-m  — ,  und  dies  ist  thatsächÜch  erhalten  in 
an.  traust  n.  'Sicherheit,  Vertrauen',  ahd.  tröst  m.  'Trost,  Vertrauen'. 
Diese  Komposita  bringen  den  Verf.  endlich  auf  Wortzusammen- 
setzungen, in  denen  idg.  *dereu^  'robur'  als  Anfangsglied  mit  dem 
übertragenen  Sinn  der  'Stärke,  Festigkeit'  behaftet  auftritt;  so  ai. 
dru-nasä'h  'der  eine  klotzige  Nase  hat',  dru-päda-h  'der  klotzige  Füfse 
hat'  —  beide  bei  Grammatikern  bezeugt  — ,  femer  der  gallische 
Eigenname  DrutcUos,  nach  Stokes  'grofsstimig',  und  gall.  dniides  aus 
*dru-\iid'  eig.  'fort  sage'. 

Wenn  ich  mich  auch  nicht  immer  überzeugt  und  einverstanden 
erklären  kann,  so  empfehle  ich  das  Buch  doch  angelegentlichst.  Bei 
der  reichen  Belehrung,  die  der  Leser  empfängt,  wird  er  die  epische 
Breite,  die  sich  insbesondere  auch  in  der  Art  des  Citierens  kund- 
giebt,  ohne  grofse  Überwindung  mit  in  Kauf  nehmen. 

Giefsen.  Bartholomae. 


Ferd.  Sommer:  Handbuch  der  lateinisohen  Laut-  und  Formen- 
lehre. Eine  Einführung  in  das  sprachwissenschaftliche  Studiimi 
des  Lateins.     Heidelb.  1902.    XXHI,    693  S.    8^. 

Verf.  bezeichnet  als  Zweck  seines  der  Sammlung  indogermani- 
scher Grammatiken  von  Prof.  Hirt  in  Leipzig  angehörenden  Buches: 
„dem  Anfänger  einen  allgemein  verständlichen  Überblick  über  den 
jetzigen  Stand  der  lateinischen  Sprachforschung  zu  ermöglichen".  Dem 
entsprechend  vermeidet  das  Buch  zweifelhafte  Punkte  so  viel  als 
möglich.  „Der  Anfänger  will  vor  allem  in  die  Thatsachen  der  histo- 
rischen Grammatik  eingeführt  sein,  und  so  findet  er  bei  mir  das,  was 
ich  persönlich  fär  richtig  halte;  der  Widerstreit  der  Meinungen  und 
die  Autorschaft  dieser  oder  jener  Ansicht  ist  ihm,  wie  ich  aus  Er- 
fahrung weifs,  ziemlich  gleichgültig."  Ein  solches  Buch  setzt  vor 
allem  Nüchternheit  und  Objektivität  des  ürteües  voraus,  welche  S.  in 
hohem  Grade  besitzt.  Seit  15  Jahren  ist  das  sprachliche  Material  in 
einer  Weise  vermehrt  worden,  dafs  wir  im  stände  sind,  früher  mit 
Reserve  aufgestellte  Theorien  zu  bestätigen  oder  scheinbar  begründete 
zu  widerlegen.  Aus  einem  inschriftlichen  fove  =  fave  lernen  wir,  dafs 
ov  um  das  Jahr  200  vor  Chr.  in  av  überging.  Die  Form  der 
Foruminschrift  sacros  =  sacer  zerstört  die  Anschauung,  dafs  sacer, 
ager  u.  s.  w.  der  uritalischen  Periode  angehören.  Ausnahmen  der 
alten  phonetischen  Gesetze  sind  aus  dem  Wege  geräumt,  neue  aufgestellt 
worden.  Alles  das  hat  S.  gesammelt  und  jedes  an  seinen  richtigen 
Platz  gestellt.  So  ist  seine  Lautlehre  vollendeter  als  die  meinige 
oder  die  von  Stolz,  und  wenn  nicht  neue  Inschriften,  namentlich  dia- 

39* 


592  Litteratur. 

lettische,  gefunden  werden,  wird  an  dem  Buche  nicht  mehr  viel  zu 
verbessern  sein;  denn  wir  sehen  jetzt  schon  die  Modifikation  der  indo- 
germanischen Laute  durch  die  italischen  Lippen  und  die  Bedingungen 
dieser  Umwandlung.  Seine  Grammatik  dient  nicht  nur,  wie  er  be- 
scheiden sagt,  den  Anfängern,  sondern  auch  die  Spezialisten  sind  ihm 
zu  Dank  verpflichtet.  Immerhin  bleiben  noch  einige  Kleinigkeiten 
übrig,  welche  ein  tieferes  Eindringen  in  die  archaische  Litteratur 
voraussetzen.    Als  Themata  für  solche  Doktordissertationen  nennen  wir: 

1)  Der  Übergang  der  Futuralform  audibo  in  audiam.  Stehen 
beide  Formen  parallel  nebeneinander,  oder  bedingen  die  Verba,  bezw. 
die  erste  oder  zweite  Person  Sing.,  Unterschiede?  Beispielsweise  ist 
scies  häufiger  als  scibis. 

2)  Wie  weit  gilt  im  Altlatein  das  Gesetz  vocalis  ante  vocalem 
corripitur?  Vgl.  Bücheier,  Rhein.  Mus.  1886,  S.  311  ff.  Lindsay, 
Einl.  zu  Plaut.  Capt.  19.  Die  richtige  Skansion  bei  Lucil.  3,  18  M. 
scheint  zu  sein: 

ind(e)  DicaSarchitum  populos  Delumque  minorem. 

3)  Die  Grenzen  der  Verkürzung  von  sl  zu  sX,  beispielsweise  in 
'siquidem'.  Sommer  S.  142.  Kann  ne,  nicht  nS,  die  ursprüngliche 
Negation  gewesen  sein  in  neque,  nequeo,  nefas,  nihil,  nemo?  Verhält- 
nis von  hödie  zu  hödie  bei  Plautus?  Erkläruug  von  ilico,  dSnuo,  quäre, 
eminus,  refert,  quömodo,  quöminus,  quölibet  etc. 

4)  Geschichte  der  5.  Deklin.  im  Lateinischen,  besonders  das  Ver- 
hältnis der  -ia-Formen  zu  den  -ie-Formen;  effigia,  effigies.  Die  Über- 
lieferung bei  Plautus  und  der  Anteil  der  Abschreiber  an  den  jüngeren 
Formen.  Quantität  von  luxüries  und  paenüria.  Unwahrscheinlichkeit 
der  Konjektur  pestilenties  (codd.  pestilentia)  bei  Martial  3,  93,  17. 

5)  Geschichte  der  4.  Deklination.  Mischimg  der  -o-Formen  und 
der  -u-Formen,  z.  B.  bei  domus.  Zeugnisse  der  Handschriften  archai- 
scher Autoren. 

6)  War  die  spanische  und  albanische  Aussprache  von  lateinischem 
Doppel-1  schon  im  Lateinischen  vorausgenommen?  Also  obsequella 
=  obsequölia  bei  Plautus  Asin.  65,  bei  Turpilius  und  Afranius  nach 
dem  Zeugnis  von  Nonius  p.  215  M. 

7)  Ist  nicht  die  Accentuation  aüdit  (=  audivit;  Sommer  S.  102) 
gewöhnlich  auch  in  der  Poesie  bestätigt  durch  das  Zusanmienfallen 
von  Vers-  und  Wortaccent? 

8)  Haben  ursprüngliche  RO-Stämme  im  Nominativ  regelmäfsig 
-er,  SO-Stämme  dagegen  -erus?  Zu  morigerus  vgl.  gestum;  uterus  geht 
auf  uterum  zurück,  pirus  auf  pii-um,  oder  es  ist  ebenfalls  ein  SO-Stamm. 
Bei  Plaut.  Men.  957  ist  zu  lesen:  liblit  socrus,  abiit  medicus:  denn 
altlat.  socrus  als  masc.  wird  von  den  Grammatikern  bezeugt 

Um  mit  einigen  Randbemerkungen  zu  schliefsen,  so  möchten  wir 
dem  Kapitel  über  Q,  K,  C  (S.  28ff.)  unsere  besondere  Anerkennung 
zollen;  wenn  es  auch  wenig  Neues  enthält,  so  sind  doch  die  That- 
sachen  lichtvoll  dargelegt.  Dafs  die  späte  Beibehaltung  von  o  nach 
u  in  voltis  u.  s.  w.  nur  ein  graphischer  Ausweg  war,  imi  die  Schrei- 
bung von  Doppel-u  zu  vermeiden,  darauf  wird  man  durch  sultis  (nicht 


Litteratur.  593 

soltis)  geföhrt  für  si  voltis.  —  Dafs  das  phonetische  Gesetz,  welches 
eu  in  ou  abänderte,  noch  in  der  historischen  Periode  wirksam  war, 
sehen  wir  an  der  lateinischen  Form  Polouces  =  IIoXvdsvKrig.  —  Hat 
Cicero  ignominia  wie  innominia  ausgesprochen,  wie  man  schliefsen 
könnte  nach  Rep.  4,6:  censoris  iudicium  nihil  fere  damnato  nisi  ru- 
berem adfert:  itaque,  ut  omnis  ea  iudicatio  versatur  tantum  modo  in 
nomine,  animadversio  illa  ignominia  dicta  est?  Steht  närro  für 
*gnäruro,  als  abgeleitetes  Transitivum  von  gnärüris,  wie  memoro  von 
memorV  —  Ist  palmeicrinibus  (codd.  pahnetcrinibus)  bei  Cicero  orai 
153  eine  Zusammensetzung  von  palmeus  und  crinis?  —  Wie  steht  es 
mit  dem  inschriftlichen,  kürzlich  gefundenen  cosoled  =  consule,  welches 
S.  411  nicht  erwähnt  wird?  Ich  bedaure,  dafs  mir  Dr.  Sommer  S.  551 
gefolgt  ist  in  der  unmetrischen  Konstitution  von  Naevius  trag.  50  R., 
wo  er  inlicite  Übi  ansetzt;  es  mufs  heifsen  inlicite,  eine  Verbalableitung 
von  licium,  nicht  von  illlcio.  —  Stehen  die  dialektischen  (oskisieren- 
den)  Formen  fimdatid,  parentatid  (S.  567)  für  fundassit,  parentassit, 
unter  Annahme  von  tt  ==  ss?  —  lOVESTOD  der  Foruminschrift 
=  iusto  spricht  sicher  gegen  die  Änderung  lOVESAT  =  iurat  der  Duenos- 
inschrift  in  lOVASET.    Sommer  S.  620. 

St.  Andrews  (Schottland).  W.  M.  Lindsay. 


Frid.  Pradel:  De  praepoBitionum  in  prisoa  latinitate  vi  atque 
U8U.  (Supplem.  annal.  philol.  vol.  26.)  Lips.,  Teubn.  1901.  pg.  465 
—576.  S^. 

Unsere  Kenntnis  der  lateinischen  Präpositionen  ist  namentlich 
da  mangelhaft,  wo  ims  der  Tursellinus  von  Hand  im  Stiche  läfst, 
also  für  secundum,  sine,  sub,  super,  supra,  während  för  trans,  ultra, 
usque  durch  das  Archiv  gesorgt  ist.  Verf.  hat  sein  Beobachtungs- 
gebiet von  a  bis  fini  ausgedehnt,  ist  aber,  was  leicht  begreiflich,  über 
das  Jahr  100  v.  Chr.  nicht  hinausgegangen.  Er  sucht  namentlich  die 
semasiologische  Entwicklung  aufzuhellen,  welche  in  der  Zeit  von  Hand 
zu  kurz  kommen  mufste,  und  betont  den  historischen  Faktor  stärker 
als  früher.  Die  Angaben  der  alten  Grammatiker  sind  sorgfältig 
zusammengestellt,  und  aus  den  Inschriften  ist  neues  Material  in  reicher 
Fülle  beigebracht.  Wenn  wir  bisher  beobachtet  hatten,  dafs  in  der 
archaischen  Litteratur  circa  fehlte  und  nur  circum  gebraucht  sei,  so 
hat  sich  nun  in  der  Inschrift  Corp.  inscr.  I  198  XHT  (122  vor  Chr.) 
doch  circa  eum  gefunden,  und  ebenso  wird  die  Regel,  dafs  das 
archaische  Latein  nur  adverbielles  coram  kenne,  durch  dieselbe  In- 
schrift XL.  XLH  coram  eo,  coram  iudicibus  umgestofsen,  wozu  dann 
noch  die  unzweifelhafte  Ergänzung  coram  arc^vorsario^  kommt.  Richtig 
dagegen  bleibt,  dafs  citra  junge  Analogiebildung  zu  extra,  infra,  intra 
ist;  denn  der  neue  inschriftliche  Beleg  Corp.  I  603,  5  citra  scalas 
fällt  in  das  Jahr  58  vor  Chr.  Es  wäre  sehr  zu  wünschen,  dafs  die 
begonnenen  Untersuchimgen  in  dem  nämlichen  Sinne  fortgeführt  würder 


594  Litteratur. 

Julius  Wolff:   De  clausulis  CiceronianiB.     (Jahrb.  f.  class.  PhiloL 
Suppl.-Band  26.)     Lips.,  Teubner  1901.    100  pgg.    8®. 

Wolffs  Arbeit,  eingebender  als  die  von  Norden  und  Müller  über 
den  gleichen  Punkt,  beruht  auf  zahlreichen  und  sorgfältigen  Beobach- 
tungen, die  mit  grofsem  Fleifs  und  von  seinem  Standpunkt  aus  mit 
Geschick  verwertet  und  klassifiziert  sind.  Sie  erweitert  und  vermehrt 
die  von  jenen  aufgestellten  Klauseln.  So  weist  Wolff  nach,  dafs  der 
Klausel  A  (-  v^  _  ^  häufig  ein  Creticus  oder  Molossus  vorausgeschickt  sei. 
Das  ist  richtig  und  konnte  durch  Ciceros  Theorie  selbst  begründet 
werden,  der  or.  216  sagt:  sed  hos  cum  in  clausulis  pedes  nomino, 
non  loquor  de  uno  pede  extremo,  adiungo,  quod  minumum  sit,  proxu- 
mum  superiorem,  saepe  etimn  tertium.  Wenn  also  im  vorletzten  Fufs 
ein  Trochaeus  steht,  so  ist  es  darnach  sehr  wohl  erlaubt,  im  dritten 
noch  einen  Creticus  zu  setzen.  Dafs  dann  für  den  Creticus  ein  Mo- 
lossus steht,  ist  nichts  Besonderes  imd  brauchte  auch  nicht  als  be- 
sondere Regel  bezeichnet  zu  werden  (cap.  1,  §  1,  ü).  Wenn  nim  Wolff 
unter  den  Beispielen  in  erster  Linie  Brut.  6  (süstfn5r6t  dolorem) 
aufführt,  so  ist  mir  unklar,  warum  er  hier  nicht  den  wirklichen  Satz- 

schlufs  atque  orbatum  teneret  ( u  _  f>^)  berücksichtigte.     Dieses 

Beispiel  erscheint  weder  hier,  noch  auch  später  unter  der  Rubrik 
Elision  (atque).  Allerdings  sucht  Wolff  einen  Creticus  vor  Klausel  A. 
Metrisch  aber  ist  kein  Unterschied,  ob  davor  ein  Creticus  oder  Mo- 
lossus steht.  Wäre  jedoch  Wolffs  Beispiel  richtig,  dann  hätte  dieser  Satz 
zwei  Klauseln.  Das  ist  aber  undenkbar,  zumal  nach  dolorem  kein 
Sinnesabschnitt  ist.  Die  wirkliche  Satzklausel  liegt  meiner  Meinung 
nach  einzig  und  allein  in  atque  orbatum  teneret.  Als  erstes  Beispiel 
für  Molossus  vor  Klausel  A  wählte  Wolff  vielmehr  off.  I  136:  scrmö 
debet  väcäre.  Auch  das  kann  ich  nicht  fftr  richtig  halten.  Erstens 
steht  auch  dieses  Beispiel  wieder  mitten  im  Satz,  es  folgt  ne  aut  etc., 
zweitens,  und  das  ist  wichtiger,  korrespondiert  es  inhaltlich  und 
rhythmisch  mit  motus  animi  nimios  rationi  non  obtemperantes.  Wie 
wir  nämlich  im  Leben  die  Leidenschaften  fliehen  sollen,  so  mufs 
auch  die  Rede  von  leidenschaftlicher  Bewegung  frei  sein.  Die  rhyth- 
mische  Form   fär    diesen   Vergleich   ist:    rationji  ^ '  ^-     Hier 

besteht  also  innerhalb  des  Satzes  eine  Responsion,  die  mir  gar  nicht 
als  Klausel  gedacht  scheint.  Ich  halte  überhaupt  für  einen  Fehler 
der  Wolffschen  Arbeit  —  das  bezieht  sich  auf  die  ganze  Klausel- 
theorie — ,  dafs  er  nicht  in  jedem  einzelnen  Fall  den  Satz  als  Ganzes 
betrachtete.  Ich  wenigstens  gelangte  auf  diesem  Wege  bei  vielen 
seiner  Beispiele  zu  andern  Resultaten.  Zu  welch  schiefem  Urteil  eine 
solche,  die  Periode  nicht  als  Ganzes  berücksichtigende  Statuierung  von 
Klauseln  führen  kann,  zeigt  der  Anfang  der  Rosciana:  Credo  ego  vos, 
iudices,  mirari.  Wolff  bezeichnet  das  let;5te  Wort  als  Palimbacchius, 
wozu  er  die  letzte  Silbe  in  iudices,  eine  Länge,  hinzunimmt  und 
wodurch  er  die  Klausel  Ag  gewonnen  zu  haben  glaubt.  §  609  führt 
Wolff  überhaupt  eine  Anzahl  Worte  an,  die  als  Palimb.  zu  messen 
seien,    denen  Cic.  entweder  eine  Länge  oder  einen  Trochaeus  voraus- 


Litteratur.  595 

schicke,  um  Klausel  A^  und  B^  zu  erzielen.  In  jenem  Anfang  der 
Rose,  liegt  die  Sache  aber  ganz  anders.  Rhythmisch  ist  die  Stelle 
allerdings    gedacht,    aber    nicht    als    Klausel,     sondern    als    Ganzes: 

-ow'.-u '-^,  Choriambus  mit  zwei  Kretikern,  wie  diese  Versart 

überhaupt  gern  verbunden  zu  werden  pflegt  (Wolff  S.  589).  Oder 
glaubt  man  denn,  dafs  ein  Redner  in  den  ersten  fünf  Worten,  die  er 
spricht,  sein  Augenmerk  auf  eine  kunstvolle  Klausel  richte?  Dafs 
aber  ein  Autor  dem  Anfang  seiner  Worte  eine  rhythmische  Form  ver- 
leiht, ist  sogar  bei  den  Geschichtschreibem  nicht  selten.  Die  Klausel 
des  ersten  Satzes  der  Rosciana  liegt  nur  in  comparandus,  das  mit 
voller  Absicht  an  den  SchluTs  gestellt  ist. 

Ich  mufs  mir  versagen,  obgleich  ich  noch  mehr  Stellen  aus  der 
Rosciana  notiert  habe,  näher  darauf  einzugehen,  da  die  abweichende  An- 
sicht besonders  begründet  werden  müfste.  Ferner  ist  es  für  jemand, 
der  auf  einem  anderen  Standpunkt  steht,  schwer,  da,  wo  blofs  der  § 
ohne  Wortlaut  citiert  ist,  die  gemeinte  Stelle  jedesmal  zu  finden;  es 
werden  aber  überhaupt  bei  dieser  Einrichtimg  wenige  die  so  bezeich- 
neten Stellen  nachzuprüfen  Lust  haben. 

Nachdem  der  Verf.  über  die  verschiedenen  Arten  der  Klausel, 
dann  über  den  Wert  gesprochen,  den  Cicero  ihnen  beigelegt,  femer 
mit  grofsem  Fleiüs  eine  Statistik  über  die  von  ihm  eruierten  Klauseln 
gegeben,  geht  er  S.  599  fT.  sogar  der  Cäsur  innerhalb  derselben  nach, 
der  man  aber  nicht  folgen  kann,  weil  er  die  einschlägigen  Stellen 
nicht  citiert.  Wenn  er  auf  den  reinen  Dichoreus  284  Stellen  rechnet, 
so  wäre  es  interessant,  zu  wissen,  wie  viele  davon  auf  eine  Rede 
kommen;  denn  Cicero  verwirft  or.  cap.  63  die  Anwendung  vieler 
Dichoreen:  primum  enim  numerus  agnoscitur,  deinde  satiat,  postea 
cognita  facilitate  contenmitur.  Dafs  aber  Cicero  durch  die  Cäsur 
etwa  gesucht  hätte,  Mannigfaltigkeit  in  den  Dichoreus  oder  Dicreticus 
zu  bringen,  glaube  ich  nicht.  Ihm  lag  eine  andere  Incisio  am  Her- 
zen, von  der  er  ebenda  spricht.  0  Marce  Druse,  patrem  appello  ist 
ihm  ein  Beispiel  von  incisa  dictio,  wobei  es  ihm  gar  nicht  auf  die 
Cäsur  innerhalb  des  Dichoreus  ankonmit;  wenigstens  sagt  er  nichts 
davon.  Man  mufs  den  aus  dem  or.  eben  citierten  Satz  im  Auge  be- 
halten, um  cap.  IV  der  WolflBschen  Dissertatio  zu  würdigen.  Hier 
spricht  er  l)  den  Satz  aus,  dafs  Cic.  sich  die  Aufgabe  gestellt  habe, 
alle  Glieder  der  Rede  dnrch  Klauseln  auszuschmücken,  was  ich  für 
unrichtig  halte;  2)  untersucht  er  an  zahlreichen  Beispielen,  welche 
Nomina  und  Verbalformen  für  sich  allein  eine  Klausel  bilden,  und 
welche  des  Zusatzes  einer  oder  weniger  Silben  dazu  bedürfen.  Wenn 
z.  B.  in  der  Klausel  A  (-  o  _  o^)  die  Cäsur  nach  der  ersten  Länge 
steht,  so  war  für  den  Rest  ein  Wort  nötig,  das  einen  Amphibrachys 
bildete  (^  -  J):    T  I  19:    principatüm    tSnerö.      Bei    der    Klausel  A  2 

( ~)  brauchte  der  Redner,  wenn  die  Cäsur  nach  der  ersten  Länge 

steht,  einen  Palimbacchius,  wofür  er  die  schon  behandelte  und  anders 
erklärte  Stelle  Rose.  1  anführt  Bei  andern  Klauseln  bedurfte  der 
Redner  eines  Antispasts,  Epitrits  und  anderer  Metra.  Man  mufs  sich 
wundern,    welche    grofse   Mühe    der    Verf.    sich    gegeben,    um    solche 


596  Liiieraiur. 

metrische  Wortformen  zu  finden  und  sie  mit  seiner  Klausel-  und 
Cäsurtheorie  zu  vereinigen.  Ich  kann  dieser  Theorie  nicht  folgen  und 
bin  überzeugt,  dafs  Cicero  nicht  daran  gedacht  hat. 

§  633  ff.  fuhrt  Wolff  einige  Hilfsmittel  zur  Bildung  von  Klauseln 
an  imd  bezeichnet  als  sehr  geeignet  hierfür  besonders  die  Partikeln 
que,  atque,  deren  Verwendung  innerhalb  und  auTserhalb  der  Klauseln 
er  durch  ein  reiches  statistisches  Material  nachweist.  Wie  ängstlich 
(anxie,  an  einer  andern  Stelle  avide)  Cicero  nach  Klauseln  gesucht, 
gehe  daraus  hervor,  dafs  er,  um  einen  Trochaeus  zu  erhalten,  dem 
Dichter  gleich  (Plautus  und  Terenz)  atque  öfter  vor  Konsonanten 
setze,  wo  sonst  ac  stehe.  Cicero  hat  ja  wohl  gewifs  hie  und  da 
dieses  Mittel  angewandt,  dafs  aber  z.  B.  off.  §  17  utilitatibusque,  wo 
nicht  einmal  eine  Interpunktion  steht,  als  Klausel  bezeichnet  wird,  ist 
sicher  unberechtigt.  RA  §  31  ist  das  rhythmische  Verhältnis  ein 
ganz  anderes,  worauf  aber  nicht  näher  eingegangen  werden  kann. 

Sehr  richtig  handelt  der  Verf.  am  Schlufs  über  Synalöphe,  Eli- 
sion, Hiatus  und  was  damit  zusanmienhängt.  Zugeben  kann  man 
auch,  dafs  die  Klausel  von  Einflufs  auf  die  Wortstellung  war.  Ver- 
mifst  habe  ich  bei  dem  Kapitel  über  Elision  die  Stelle  Rose.  §  153: 
quem  in  locum  rem  publicam  |  perventuram  putetis.  Sie  ist  auch 
S.  586  nicht  verzeichnet,  wo  Wolff  beweist  „quantopere  Cicero  creti- 
cimi  vel  molossum  ante  clausulam  A  efiicere  studuerit^,  imd  doch  ist 
sie  gerade  hiefür  ein  gutes  Beispiel.  Indes  ist  gerade  diese  Stelle 
geeignet,  meine  verschiedene  Auffassimg  über  Ciceros  Rhythmus  zu 
kennzeichnen.  Es  wäre  durchaus  unrichtig,  hier  blofs  die  Klausel  in 
Betracht  zu  ziehen.  Diese  (perv6ntüräm  pütetis)  hängt  rhythmisch 
aufs  engste  mit  quem  in  locum  rem  publicam  zusammen,  also: 

-u w_  7  Süb. 

^  _  u  7  Süb. 

Die  zweite  Reihe  also  Molossus  mit  Klausel  A,  die  erste  ist  ähnlich, 
aber  nicht  gleich  (beide  kretisches  Mafs  mit  Dichoreus  am  Schlufs). 
Metrisch  gleich  soll  eine  Responsion  nicht  sein,  sonst  entstünde  ein 
Vers:  versum  vetat  esse,  numerum  iubet  (Aristoteles  nach  Cic.  or. 
§  172),  oder  §  187  perspicuum  est  igitur  numeris  astrictam  orationem 
esse  debere,  carere  versibus.  Den  Nimierus  darf  man  jedoch  nicht 
allein  in  der  Klausel  suchen.  Vielfach  ist  die  Klausel  der  Schlufs 
eines  rhythmischen  Ganzen.  Im  Metrum  allein  liegt  der  Numerus 
aber  auch  nicht.  Dieser  ist  überhaupt  vielgestaltig,  wie  Demosthenes 
zeigt,  von  dem  Cic.  or.  §  136  sagt:  et  vero  nullus  fere  ab  eo  locus 
sine  quadam  cofiformaUone  sententiae  dicitur.  Diese  mannigfaltige, 
oft  schwer  zu  bestimmende  conformatio  sententiae  bildet  das  Wesen 
des  Numerus.  Es  gab  antike  Rhetoren,  die  blofs  dem  Metrum  nach- 
gingen, wie  es  Neuere  giebt,  die  nur  Klauseln  suchen.  Eines  ist  so 
einseitig  wie  das  andere.  Das  wären  traurige  Redner  gewesen,  die 
nur  in  ihrem  Gedächtnis  Worte  und  Wortformen  aufhäuften,  um  sie 
„jui^j^wr^xÄg*'  als  Klauseln  zu  verwenden.  Allerdings  ist  eine  Rede, 
namentlich  eine  gerichtliche,  nicht  in  allen  Teilen  von  dem  Numerus 
durchzogen,  aber  eine  gewisse  conformatio  sententiae  ist  meistens  vor- 


Litteratur.  597 

handen,  bestehe  diese  nun  in  kunstvollen  Figuren,  auffallender  Wort- 
stellung, abgegrenzter  Silbenmessung,  verschiedenartigen  Klauseln  oder 
in  metrisch  geformtem  Rhythmus.  Das  also,  was  Cicero  im  Orator 
numerosum  nennt,  ist  ein  sehr  mannigfaltiges  Ingrediens  der  Rede. 
Ciceros  Lehre  und  praktische  Übung  beruht  aber  durchaus  auf  griechi- 
schen Vorbildern.  Bei  Ljsias  z.  B.,  den  Cicero  or.  §  20  als  Muster 
eines  Attikers  feiert  (venustissimus  ille  scriptor  ac  politissimus),  finden 
sich,  abgesehen  von  den  in  den  Ausgaben  verzeichneten  rhetorischen 
Kunstformen,  manchmal  rhythmisch  genau  umgrenzte  Stellen.  Wo  er 
Antithesen  anwendet,  verbindet  er  damit  gern  rhythmische  Responsion. 
An  drei  Stellen  möge  dies  in  Kürze  zum  Schlufs  gezeigt  werden. 
Eratosth.  §  78: 

twv  fiiv  TtaQOvrav  KccrafpQOv&Vj 


Hier  ist  angewendet  die  Figur  des  ndqiisov  und  l^ioioxikBvxov ^  ferner 
gleiche  Silbenzahl  (9)  und  metrische  Ähnlichkeit.     Femer  vorher: 

ötTUxltag  fiiv  iv  iktyaqjla^ 
öiTUxUog  S^  ^  iv  SrifioT^axUc^ 


\J   -    _<w»UUU_V-/_ 


w  _  _  u  _  _  v^  u  u  _,  je  10  Silben. 

Metrische  Ähnlichkeit  imd  Gleichheit  der  Silbenzahl  liegen  im  Wesen 
des  TUXQtaov.     Auch: 

v7t€Q  vfi&v  &7to^av6vrogj 

'iTciQ  XYig  avxov  novriqlag^ 


\J  \J  -  _uuu_u 


v^u u_u_,je  9  Silben. 

Sehr  häufig  ist  diese  genau  sich  entsprechende  S3rmmetrie  nicht,  aber 
sie  kommt  bei  Lysias,  Demosthenes  und  Cicero  da  vor,  wo  der  Ge- 
danke die  symmetrische  Form  an  die  Hand  giebt. 

An  einem  andern  Ort  wird  vielleicht  Gelegenheit  sein,  eine  Rede 
Ciceros  rhythmisch  nach  seinen  Grundsätzen  zu  analysieren,  wobei  die 
Klauseltheorie  Wolffs  von  Nutzen  sein  kann,  die  aber  jedenfalls  einer 
starken  Einschränkung  bedarf,  weil  er,  wie  oben  an  wenigen  Bei- 
spielen gezeigt  ist,  Klauseln  statuiert,  wo  ein  anderes  rhythmisches 
Verhältnis  obwaltet. 

Durlach  in  Baden.  May. 

Deususianu,  Ovide:   Histoire  de  la  Langue  Bomnaine.     Paris, 
Leroux  1901.     Tome  premier,  fasc.  1.  XXXI,   128  pgg.  8®. 

Nachdem  D.  eine  kurze  kritische  Übersicht  über  das  gegeben 
hat,  was  bereits  zur  Erhellung  der  rumänischen  Sprachgeschichte  ge- 
schrieben wurde  und  aus  den  Worten  und  Erscheinungen  derselben, 
die  vorlateinischen  Sprachen  zugeschrieben  wurden,  in  äufserst  vor- 
sichtiger Weise  jene  wenigen  ausgesondert  hat,  bei  denen  vor- 
lateinischer Ursprung  durch  historisch-vergleichende  Betrachtung  und 


598  Litteratur. 

aus  anderen  Gründen  als  gesichert  angesehen  werden  kann,  geht  er 
auf  die  Darstellung  des  Lateinischen,  wie  es  in  den  in  Betracht 
kommenden  Provinzen  gesprochen  wurde,  üher.  Er  nimmt  zimächst 
zu  der  Frage  Stellung,  inwieweit  man  berechtigt  sei,  innerhalb  des 
Lateinischen  von  Dialekten  zu  sprechen.  Verf.  leugnet  die  Existenz 
von  Dialekten,  nimmt  aber  verschieden  nuancierte  Aussprache  und 
kleine  Differenzen  im  Wortschatz  an.  Ich  glaube,  Verf.  fafst  das 
chronologische  Moment  zu  wenig  ins  Auge;  mit  der  Berücksichtigung 
desselben  verschwindet  der  Streit  um  Schlagworte.  In  der  ersten 
Zeit  nach  Eroberung  einer  Provinz,  d.  h.  solange  hier  das  Lateinische 
fast  ausschliefslich  von  den  römischen  Soldaten  und  Kolonisten  ge- 
sprochen wurde,  waren  der  sprachlichen  Unterschiede  sicher  nicht  nur 
nicht  viele,  sondern  überhaupt  keine.  Fassen  wir  aber  die  Zeit  etwa 
der  Auflösung  des  weströmischen  Beiches  ins  Auge,  also  eine  Zeit, 
wo  das  Lateinische  länger  oder  kürzer,  aber  jedenfalls  schon  mehrere 
Generationen  hindurch  im  Munde  der  Eingeborenen  gelebt  und  sich 
fortentwickelt  hat,  so  lassen  sich  starke  dialektische  Unterschiede 
bereits  a  priori  annehmen.  Vgl.  Arch.  XII  380  ff.  Thatsächlich  mufs 
z.  B.  der  Verf.  ein  ficatum — ficdtum,  secale — secdk,  dui — dpi  (=  duo), 
ciciUa — cuciita,  teils  Abfall,  teils  Verbleiben  des  Auslaut-s  zugestehen, 
und  trotzdem  es  Verf.  nicht  ausdrücklich  sagt,  kann  ein  camisia 
—  camtsm,  cannabis  (span.-portug.,  afrz.,  franco-prov.;  die  Äufserung 
Gauchats  scheint  Verf.  S.  83  mifsverstanden  zu  haben)  —  cannebis, 
mandicat  —  manducat  (afr.  manjue^  it.  numuca)  nicht  in  Abrede  ge- 
stellt werden  u.  s.  w.,  wenn  wir  aus  den  roman.  Sprachen  auch  viel 
noch  nicht  direkt  beweisen  können  und  dort,  wo  wir  darin  zwar  die 
untere,  aber  nicht  die  obere  Zeitgrenze  eines  Lautwandels,  einer 
Flexionsform  etc.  angeben  können,  immer  im  Zweifelfall  die  Erschei- 
nung so  spät  als  möglich  ansetzen,  um  uns  den  Vorwurf  eines 
„Phantasielateins"  zu  ersparen,  auch  wenn  innere  Gründe  für  ein  frühe- 
res Datum  sprechen.  —  Und  noch  in  anderer  Hinsicht  kommt  be- 
sonders für  uns  Romanisten  das  chronologische  Moment  in  Betracht. 
Solange  in  zusammenhängendem  romanischem  Gebiet  —  auch  bei 
verschiedener  ethnologischer  Gnmdlage  —  Parallelergebnisse  vorliegen, 
können  wir  nicht  entscheiden,  ob  gleiche  lateinische  Grundform  oder 
allmähliche  Verbreitung  von  einer  Region  aus  vorliegt.  Darum  ist 
uns  das  Rumänische,  das  schon  verhältnismäfsig  früh  auDser  Kontakt 
mit  anderen  latinisierten  Gebieten  gekommen  ist,  von  besonderer 
Wichtigkeit,  was  von  D.  übersehen  wird  (z.  B.  S.  48).  So  beweist  der 
Dativ  der  rumänischen  Substantiva  dem  Latinisten  und  Romanisten, 
dafs  bis  zu  einer  ziemlich  späten  Zeit  dieser  Kasus  im  gesprochenen 
Latein  fortbestand  und  nicht  präpositionale  Umschreibung  (wie  so 
früh  für  gewisse  Arten  des  Genetivs)  eintrat.  So  zeigt  das  Rumäni- 
sche (vgl.  S.  70),  dafs  der  Zusammenfall  von  e  und  t  älter  ist  als 
der  von  ö  und  ü.  Und  darum  haben  wir  Romanisten  besondem 
Grund,  die  sorgfältige  Darstellung  der  lateinischen  Verhältnisse  durch 
D.  mit  lebhafter  Freude  zu  begrüfsen,  wenn  sie  auch  an  Erklärungen 
und  Material  (trotzdem  C.  I.  L.  lU  ausgebeutet  wurde)  nicht  viel  bringt, 


Litteratur.  599 

was  ihnen  nicht  schon  gut  bekannt  war.  Denn  da  das  Rumänische 
viel  weniger  von  uns  berücksichtigt  wurde,  als  es  verdiente,  so  er- 
scheinen die  Thatsachen  häufig  in  anderer  Beleuchtung.  Unrichtiges 
begegnet  wenig,  das  Wichtigste  ist  bereits  von  Meyer-Lübke,  Lbl.  f. 
g.  u.  r.  Ph.  Sp.  208  f. ,  richtig  gestellt  worden.  Nur  noch  einige 
Bemerkungen:  S.  80.  Die  Erklärung  von  giur  =  y'Oqog  triflFb  wohl  das 
Richtige,  imd  der  Ersatz  von  griechisch  v  durch  lat  tu  findet  sein  ge- 
naues Gegenstück  in  der  Aussprache  iu  {=  ü)  der  Engländer,  die 
französisch  sprechen  wollen.  —  S.  91.  cydonia  ==  vulglt.  codania,  nicht 
Assimilation,  sondern  griech.  v  =  o,  wie  so  oft.  —  S.  112.  Mit  der 
Annahme,  dafs  qu  vor  o,  u  sich  früh  zu  c  vereinfacht  habe,  steht  in 
Widerspruch  das  auf  derselben  Seite  für  potimiche  angenommene 
Etymon  quoturnix.  —  S.  122.  ja  aus  jam  in  tonloser  Stellung  ist 
nicht  recht  glaublich  wegen  cum  y  it.  span.  con,  portg.  com,  sum 
(=  suum)  y  frz.  son.  Ich  halte  es  für  die  vorvokalisch  berechtigte 
Form,  also  urspr.  ja  avemus,  ja  est^  aber  jam  bU)o,  jan  dico  (vgl. 
coeo  —  campono),  und  die  Verallgemeinerung  gerade  dieser  Form  erkläre 
ich  mir  aus  dem  besonders  häufigen  Grebrauch  vor  dem  meist  voka- 
lisch anlautenden  Hilfszeitwort  beim  umschriebenen  Perfekt. 

Bis  jetzt  liegt  im  ersten  Heft  blofs  die  Lautlehre  und  der  An- 
fang der  Formenlehre  des  lateinischen  Abschnitts  vor.  Auf  die  Fort- 
setzung freuen  wir  uns. 

Prag.  Eugen  Herzog. 

Roh.  Novak:   In  panegyriooB  laÜnoB  studia  grammatica  et  cri- 
tica.     Pragae  1901.    83  pgg.    8®. 

So  grofs  das  Verdienst  von  Bährens  ist,  für  die  Kritik  der  Panegy- 
riker  den  Codex  Upsaliensis  wiedergewonnen  zu  haben,  so  sehr  hat  er 
es  an  ruhiger  Überlegung  fehlen  lassen  bei  der  Feststellung  des 
Textes.  Mit  einem  allgemeinen  lateinischen  Sprachgefühl  ist  hier 
nichts  zu  machen,  sondern  man  mufs  die  Eigentümlichkeiten  jedes 
einzelnen  Schriftwerkes,  hier  der  gallischen  Schulberedsamkeit  des  aus- 
gehenden dritten  Jahrhunderts  nach  Chr.  (denn  der  Panegyricus  des 
Plinius  wird  ausgeschlossen)  auf  Grund  sorgfältiger  und  vollständiger 
Beobachtung  festzustellen  suchen.  Diesen  Standpunkt  hat  N.,  wie 
schon  in  seinen  Untersuchungen  über  die  Script,  bist.  Aug.  und  über 
Ammian,  eingenommen.  Die  gallischen  Panegyriker  haben  also  als 
Kausalpräposition  propter  gebraucht,  ob  nur  in  der  Formel  ob  hoc 
und  ob  haec;  sie  haben  korrekt  geschrieben  densissima  quaeque,  aber 
nicht  fortissimi  quique,  was  sich  viele  Spätlateiner  gestattet  haben; 
sie  haben  auch  hexametrische  Satzklauseln  wie  constituisse  vermieden 
und  consecrävisse  vorgezogen.  Andrerseits  haben  sie  atque  vor  Kon- 
sonanten gebraucht.  Solche  Dinge  mufs  man  sicher  wissen,  bevor 
man  eigene  Konjekturen  macht  oder  die  anderer  beurteilt.  Damit  ist 
die  Untersuchungsmethode  des  Verf  gekennzeichnet,  wenn  es  auch  hier 
unmöglich  ist,  auf  das  Einzelne  einzugehen. 


600  Litteratur. 

Gar.  Schenkl:   Ambrosii  expositio  evangelii  Becundum  Laoan. 
(Corp.  scr.  eccles.  lat.  vol.  32.)   Vindob.  1902.  XXXX,  590  pgg.  8®. 

Die  10  Bücher  des  Lukaskommentares  sind,  wie  auch  das  Exameron 
betitelte  Werk,  aus  Predigten  hervorgegangen,  welche  Ambrosius  in 
Mailand  gehalten  hat.  Manches  freilich  ist  weggefallen,  was  nur  für 
den  Kanzelvortrag  berechtigt  war,  manches  hinzugekommen,  was  sich 
för  litterarische  Veröffentlichung  eignete,  manches  aber  auch  stehen 
geblieben,  was  auf  die  kirchlichen  Festtage  Bezug  hat.  Begonnen 
haben  die  Predigten  im  Jahre  385,  abgeschlossen  ist  das  Buch  im 
Jahre  389.  Die  älteren  Erklärer,  welche  A.  benützte,  hat  er  uns 
nicht  genannt,  mit  Ausnahme  einiger  Häretiker,  welche  er  mit  Namen 
bekämpft;  nur  die  Lukashomilien  des  Origenes  können  wir  namhaft 
machen,  weil  sie  von  Hieronymus  übersetzt  und  erhalten  sind.  Die 
Bibelkenntnis  des  A.  erstreckt  sich  auf  das  ganze  alte  und  neue 
Testament;  das  Markusevangelium  tritt  allerdings,  wie  auch  bei  andern, 
sichtlich  zurück.  Unter  den  profanen  Autoren  steht  Vergil,  wie  immer, 
obenan;  wenn  wir  der  Naturgeschichte  des  Plinius  begegnen,  so  wird 
dies  niemand  befremdlich  erscheinen,  da  Ambr.  dieses  Werk  schon  im 
Exameron  benützt  hatte.  Über  das  Einzelne  werden  wir  durch  den 
*Index  locorum'  aufgeklärt;  einen  Index  nominum  erhalten  wir  frei- 
lich nicht,  und  noch  weniger  Indices  verborum,  auf  die  wir  wohl  erst 
hoffen  dürfen,  wenn  die  Ausgabe  vollendet  ist. 

Die  reinste  Tertesquelle  bietet  der  Codex  Bobiensis  saec.  VII, 
jetzt  in  schlimmem  Zustande  in  Mailand  und  Turin.  Als  Karl  Schenkl 
seine  Textesrevision  begann,  traute  er  freilich  mehr  der  Petersburger 
(aus  Corvey  stammenden)  und  der  Oxforder  (Bodleiana)  Handschrift; 
er  sah  dann  den  Irrtum  selbst  ein,  war  aber  in  der  Herstellung  der 
Lesarten  des  Cod.  Bob.  nicht  konsequent  genug.  Als  er  im  Septem- 
ber 1900  starb,  war  die  Hälfte  des  Bandes  gesetzt;  die  Vollendimg 
übernahm  sein  Sohn  Heinrich,  Prof.  in  Graz,  welcher  es  für  nötig 
hielt,  auf  S.  529 — 554  ein  Adnotationis  supplementum  mit  Zusätzen 
über  handschriftliche  Lesarten  und  mit  Parallelstellen  aus  Beda  vor- 
zulegen. 

Car.  F.  Vrba,  los.  Zycha:    Augustini  opera.     Sect.  Vm,  pars  2. 
Vol.  42.  Corp.  Script,  eccles.  latin.  Vindob.  1902.  XXX,  333  pgg.  8®. 

Obschon  die  Kommission  des  grofsartigen  Unternehmens  bereits 
auf  ein  halbes  hundert  Bände  zurückblicken  kann,  so  zeigen  uns  doch 
die  Umschläge  der  Ausgaben  unter  dem  Titel  ^Praeparantur'  eine 
solche  Fülle  litterarischer  Werke,  dafs  man,  wenn  man  die  noch 
nicht  in  Angriff  genommenen  hinzurechnet,  auch  in  femer  Ferne  noch 
kein  Ende  zu  sehen  vermag.  Es  ist  daher  in  Aussicht  genonmien, 
die  Abschlüsse  neuer  Engagements  zurückzustellen  und  dafür  die  seit 
Jahren  vorbereiteten  Bände  zum  Drucke  zu  bringen.  Hier  stellt 
namentlich  der  fruchtbare  und  jeder  Zeit  schlagfertige  Augustin  an 
die  Ausdauer  der  Bearbeiter  hohe  Anforderungen.  Ein  Band  von 
mäfsigem  Umfange  bringt  uns  jetzt  5  dogmatisch-polemische  Abhand- 


Litteratur.  601 

lungen,  De  perfectione  institiae  hominis  etc.,  welche  V.  und  Z.  ge- 
meinschaftlich herausgegeben  haben;  das  Nähere  über  die  Arbeits- 
teilung ist  Praef.  p.  XXK  mitgeteilt. 

Der  mittlerweile  an  die  Spitze  des  österr.  Kultusministeriums 
berufene  Leiter,  W.  von  Hartel  hat  dem  Unternehmen  seine  Dienste 
geleistet  durch  Beschaffung  wichtiger  Handschriften,  während  der  neu 
in  die  Kommission  eingetretene  Extraordinarius  Aug.  Engelbrecht 
seine  Mühewaltung  bis  auf  die  Durchsicht  der  Korrekturbogen  erstreckt. 
Der  Natur  der  Sache  nach  bieten  die  genannten  Bücher  dem  klassi- 
schen Philologen  weniger  Interesse  als  etwa  die  Confessiones  oder  das 
Werk  De  civitate  dei;  aber  für  die  Geschichte  der  christlichen  Kirche 
sind  diese  zwischen  415  und  419  verfafsten  Schriften  sehr  wichtig, 
namentlich  für  die  Streitigkeiten  mit  dem  britischen  Mönche  Pelagius 
(Lehre  von  der  Erbsünde)  und  die  Polemik  gegen  Coelestius  und 
Julian.  Die  Schrift  De  nuptiis  et  concupiscentia  bestand  ursprüng- 
lich nur  aus  einem  Buche,  zu  welchem  das  zweite  als  ein  Nachtrag 
zur  Abwehr  neuer  Angriffe  hinzugekommen  ist. 

Pius  Knöll:  Augustini  retraotationum  libri  duo.     Corp.  scr.  eccles. 
lat.  Vol.  XXXVL  Vindob.  XX,  217pgg.  8®. 

Dem  Unternehmen  sind  in  letzter  Zeit  zwei  Umstände  zu  gute 
gekommen:  dafs  immer  mehr  die  Handschriften  nach  Wien  zur  Kol- 
lation versandt  werden,  diesmal  sogar  die  älteste  Petersburger  Hand- 
schrift saec.  VIII,  und  dafs  Prof.  Aug.  Engelbrecht  nicht  nur  die  Kor- 
rekturen liest,  sondern  die  Herausgeber  in  jeder  Weise  unterstützt. 
Die  Eetractationes  hat  derselbe  Gelehrte  kritisch  bearbeitet,  welcher  uns 
schon  die  Confessiones  geliefert,  und  beide  Schriften  sind  wohl  die 
wichtigsten  zur  Kenntnis  des  Augustin  und  seiner  Lehre.  Denn  die 
Retr.  geben  uns  ein  chronologisch  geordnetes  Verzeichnis  seiner  sämt- 
lichen Schriften,  welche  im  J.  427  auf  232  volumina  angewachsen 
waren.  Diese  Produktion  wäre  undenkbar,  wäre  A.  nicht  vorher 
Professor  der  Rhetorik  in  Karthago  und  Mailand  und  daher  auch 
mit  der  griechischen  Philosophie  vertraut  gewesen.  Die  ältesten 
Schriften  reichen  über  die  Taufe  zurück.  A.  teilt  uns  in  den  Retr. 
nicht  nur  mit,  unter  welchen  Umiständen  die  einzelnen  Werke  ent- 
standen sind,  sondern  er  erläutert  auch  deren  Gliederung,  z.  B.  die 
Disposition  des  Werkes  De  civitate  dei,  und  nimmt  zurück,  was  er 
geschrieben  zu  haben  bereute,  nennt  auch  die  Anfangsworte  jeder 
Schrift,  damit  die  Identität  desto  leichter  konstatiert  werden  könne. 
—  Indices  locorum  retractatorum  und  scriptorum  (Bibelstellen,  patri- 
stische  und   profane  Litteratur)  machen  den  SchluTs. 

P.  Huvelin:  Los  tablettes  magiques  et  le  droit  romain.    [Memoire 
presente  au  Congris  international  d'histoire  comparee,  Paris  1900.| 
Macon  1901.    66  S.   8®. 
Deutsche  und  französische  Forscher  lenkten  im  letzten  Jahi-zebnte 

die  Aufmerksamkeit   der  Philologen   und  Archäologen   auf   die    zahl- 


602  Litteratur. 

reichen  Fluchtafeln,  welche  uns  aus  der  antiken  Welt  überliefert  sind. 
Der  gelehrte  Ljoneser  Jurist  Huvelin  hat  diese  Arbeiten  genau  ver- 
folgt und  giebt  uns  in  seiner  Schrift  zuvörderst  eine  treffliche  Über- 
sicht der  Ergebnisse.  Dabei  macht  er  die  richtige  Beobachtung,  dafs 
gewisse  typische  Ausdrücke  der  antiken  Fluchtafeln  an  technisch- 
juristische Redewendungen  anklingen.  Aufser  consecrare,  voTere,  spon- 
dere  sind  es  insbesondere  die  Worte  obligare  und  damnare,  die,  in 
den  Fluchtafeln  häufig  verwendet,  spezifisch  juristische  Bedeutung  ge- 
wonnen haben.  Die  Wiederkehr  dieser  Worte  führt  H.  zu  der  Hypo- 
these, dafs  die  altrömische  obligatio  sakralen  Charakters  gewesen  sei 
und  dafs  insbesondere  die  im  Obligationenrecht  so  wichtige  damnatio 
ebenso  wie  die  damnatio  der  Fluchtafeln  eine  religiöse  oder  magische 
Bedeutung  gehabt  habe.  Diese  Hypothese  hat  viel  Anmutendes. 
Aber  ich  zögere  doch,  mich  ihr  anzuschliefsen.  Die  Grundbedeutung 
von  obligare  und  damnare  ist  binden  und  haftbar  machen;  Menschen 
und  Sachen  werden  einem  Gott  oder  einem  Menschen  obligiert  und 
damniert  in  dem  Sinne,  dafs  der  Gott  oder  der  Mensch  über  das, 
was  obligiert  oder  damniert  ist,  für  einen  bestimmten  FaU  Gewalt 
haben  soll.  Wie  derjenige,  gegen  welchen  der  Fluch  gerichtet  ist, 
für  einen  gewissen  Fall  dem  Gotte  verfällt,  welchem  er  obligiert  oder 
damniert  ist,  so  verfällt,  wenn  die  Schuld  nicht  bezahlt  wird,  die 
obligierte  Sache  oder  der  obligierte  oder  damnierte  Mensch  (der  auch 
ein  anderer  als  der  Schuldner  selbst  sein  kann)  der  Grewalt  des 
Gläubigers.  Hiemach  führt  die  Verwendung  der  bezeichneten  Worte 
in  den  Fluchtafeln  und  in  der  Rechtssprache  auf  einen  hier  wie  dort 
verwendbaren  Wortsinn  zurück  und  braucht  daher  keine  Entlehnung 
zu  sein.  Damit  entfällt  aber  auch  die  Folgerung  aus  der  religiösen 
Bedeutung  der  Worte  in  den  Fluchformeln  auf  die  gleichartige  Be- 
deutung im  Rechte. 

München.  L.  Seuffert. 


Berichtigang  zn  besta. 

Die  oben  S.  400  aus  Lactanz  angeführten  Belege  sind  als  auf 
Irrtum  beruhend  zu  streichen.  —  Auch  bei  Primasius,  Apocal.  (Zahn, 
Forschungen,  Band  4),  für  welchen  Hausleiter  die  Form  besta  ansetzt 
(Seite  66  =  98),  ist  diese  weder  durch  die  Mehrzahl  der  Handschrif- 
ten noch  durch  den  Kasus  (bestis  =  bestiis)  gesichert. 


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Seite 
Accius  fr.  29  B 681 

Ambrosius,  Hegesippus 465  f. 

Ammian.  Marc.  14,  6,  9 532  A. 

Apuleius  Met.  2,  15 96 

2,  34 96 

8,  2t 96 

11,  18 96 

Flor.  3 97 


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n 


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II 


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Aristoteles  Hhetor.  3,  6 492  f. 

Auetor  a<l  Herenn.  4,  45 648  ff. 

Augustin  civ.  d.  2,  27    420 

(Biblia)  Eccles.  29,  8 331 

Caecilius  Statius  217 686 

Caelius  Aurel.  ehren 173  f. 

„  „       acut 809  f. 

(Caesar)  b.  Hisp.  Tit 168 

1,  1 160 

1,2 161 

1,  4 162 

2,  1 163 

3,  4 164 

3,  6 166 

3,  6 166 

3,  8 165 

5,  6 166 

6,  2 167  f. 

7,  1 169 

8,  2 169 

9,  1 170 

9,  3 171 

16,  3 171 

Cann.  epigr.  488  B 217 

„       800  B 287 

Cato  Agr.  31,  2 207 

Chiron.  Mulom 401  ff.  651  ff. 

Cicero  Arat.  Oberlieferung  ....   637 

296 601 

461   637 


1» 


Seite 


Cicero  de  deor.  nat.  2,  109 686 

„       Phil.  1,  16 424 

de  domo 127 


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„      Cato  mai.  20 121 

TuBC.  1,  89 382 

Attic.     4,  1,  1 423 

„      12,  5,  3 336 

Epist.  7,  6,  2 280 

Claudius  Quadrigarius 545  f. 

Culex 537  A.* 

Curtiufl  7,  6,  7 531 

Donatus,  Schol 284 

„  Eun.  639 477 

Epit.  Alex.  29 189 

11    101 281 

Exuperantius 561  ff. 

Florus 337 

„      1,  1,  8 453 

Gellius  1,  24,  4 219 

„      20,  8,  7 199 

Glossae 411  ff.  413.  420.  426 

Hegesippus 465  f. 

Horatius  Carm.  4,  7,  21 523  A.* 

„       4,  15,  15 487 

Epod.  17,  22 540 

Epist.  2,  3,  467 438 

Hygin  Fab..  14 93 

„         „   184 129 

Inscriptio  Corp.  I  29.  30 332 


1» 


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I  34 


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„       I  34,  V.  6 

„     II  3015 

„    VI  14672  

tit.  Mumm 

sen.  cons.  Bac 

Isid.  Orig.  9,  2,  105 

1,     12,  6,  11 

Juvenal  6,  90 

Laevius  fr.  IIa  Baehr 


II 
11 
11 
11 
11 


236 
535 
228 
365 
354 
474 
26 
129 
282 
586 


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Seite 

Livius  Andr.  fr.  26  B 53Ö 

,,  ,f       fr.  38  B 534 

Lucilius  11,  4  M.  (305  B.) 506  A. 

14, 15M.  (351  B.) 506  A. 

26,  löM.  (5ü3B.) 536 

30,98M.  (710  B.) 506  A. 

LucretiuB  6,  14 538  f. 

ManiliuB  5,  840 463 

Riartialis,  Lemmata 455  f. 

Notae  Tiron 25  ff.  63 

Ovidiufl  Hcroid.  1,  24 518 

„     12 518 

Amores  3,  7,  79 528 

„        3,  12,  40 520 A.» 

Ars  amat.  2,  622 . . .  520  A.* 

Fast.  2,  858 542  A. 

ex  Pont.  2,  1,  43 532 

[Ovidius]  epist.  Sapph.  23  . . .  520  A. 

Pacuvius  384 535 

Paulus  Festi 420 

Peregr.  ad  loca  sancta 186 

Placidi  Gl 124.  149 

Plautus  Bacch.  274 201 

Men.  680 99 

Rud.  521 99 

Stich.  339 99 

Trin.  23 390 


11 


11 


11 


11 


II 


11 


11 


11 


11 


11 


PlüiiuH  nat.  h.  18,  360 128 

Poetae  fraginentum 516  A. 

PropertiuH  3,  20,  10 541  A. 

Quintilianus  8,  6,  28 544  A. 

„  10,  1,  91 421 


»1 
11 
1« 
11 
»1 


Seit« 

Quintilian  10,  1,  106 241 

Rutinus  dial.  Adam 280 

Sallust.  bell.  Cat 119 

„        Hist.  1,  31M 574 

Schol.  (Ironov.  Cic 284 

Seneca  dial.  7,  25,  2 20 

Statius  Achill.  1,  950 130 

„         Silv.  5,  1,  83 199 

Tacitus  Dial.  13 348 

Agr.  87 122 

„     42 121 

Germ.  Titel  117 

Hist.  1,  7 351 

„      1,  15 350 

„  „      1,  65 141.  149 

Ter.  Phorm.  332 282 

Tragic.  fragm.  ine.  ine.  96  ....   535 

Varro  L.  lat.  5,  63 510  A. 

11      ,1     6,41 94 

,.      11     7,  64 531 

Veget.  Ep.  mil.  4,  15 264 

„       Mulomed.  pr.  6 339 

Velleiu8  2,  7,  3 356 

Vergilius  Aen.  1,  589 478 

„  „      1,734 515  A. 

„  „      3,  428 542 

,1      4i427 516 

„      4,  534 513  A. 

„    11,  844 520  A. 

(Victor)  Ei>.  Caes.  5,  5 446 

11     16,  12 451 


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